Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Argots Schwert
Argots Schwert
Argots Schwert
eBook915 Seiten12 Stunden

Argots Schwert

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Ein leerstehendes Haus im Wald, eine Wette, ein Bier zu viel - und plötzlich ist Falk im Besitz eines uralten Schwertes. Eigentlich viel zu viele Scherereien für den Mittzwanziger, der in Jena in seinem Bürojob versauert. Und als wäre das alles nicht schon genug, ist da auch noch dieser Brief, in dem von einem Schatz auf der nahegelegenen Leuchtenburg die Rede ist. Beim Goldschmied Franz Argot kann Falk etwas über die Herkunft des Schwertes in Erfahrung bringen, doch gleichzeitig mischt sich Geschichtsstudentin Caro - Kettenraucherin, ehrgeizig, erfolglos - in die Sache ein, und schon steckt Falk bis zur ausgeleierten Wollmütze drin in einer Schatzsuche, die weit in die hochmittelalterliche Vergangenheit der Leuchtenburg führt, und ihm mehr abverlangt, als er sich jemals hätte vorstellen können.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. März 2018
ISBN9783742745835
Argots Schwert

Ähnlich wie Argots Schwert

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Argots Schwert

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Argots Schwert - Johanna Danneberg

    Tag 1, Donnerstag

    Der Heimweg zog sich in die Länge wie geschmolzener Käse. Es war kühl, aber nicht so kalt, als dass Falk in seinem T-Shirt gefroren hätte, als er an einem Septemberabend, gegen zweiundzwanzig Uhr, auf einer schmalen Straße mitten durch den Wald trottete. Im Unterholz zirpten Grillen, ab und zu huschte eine Maus vorbei, und feuchte kühle Schwaden stiegen auf und waberten über die Straße vor ihm. Falk trank einen Schluck aus seiner Bierdose, während er darauf achtete, sich ein paar Meter vor den beiden anderen zu halten.

    Die beiden anderen, das waren sein Kumpel und Mitbewohner Robert, sowie ein Mädel, deren Namen Falk beständig vergaß. Ohne, dass es ihn sonderlich interessierte, rätselte er vor sich hin: Tanja? Wendi? Dann fiel es ihm wieder ein: Fanni! Gerade beschwerte sie sich, warum keiner ein Taxi gerufen hätte. Als er sich umdrehte sah er, dass sie die Haare zurückwarf wie ein bockiges Pferd. Beschwichtigend hörte er Robs zu seiner Begleiterin sagen:

    „Es ist nicht mehr weit. Falk kennt den Weg mit geschlossenen Augen. Stimmt’s Alter?"

    „Noch etwa zwei bis zehn Kilometer., schätzte Falk. „Wir müssen quasi nur noch um diese Kurve da vorne, dann sind wir schon fast da.

    „Zwei bis zehn?, quietschte Fanni. „Was denn nun? Und was für eine Kurve? Ich seh da vorne keine Kurve. Ich seh nämlich gar nichts! Es ist stockfinster, wir sind mitten im gottverdammten Dschungel, und um uns herum ist ein Haufen Viehzeug im Gebüsch, ich schwöre es!

    Womit sie vermutlich nicht Unrecht hatte, dachte Falk. In quengeligem Tonfall verkündete Fanni nun:

    „Ich muss mal."

    Falk wechselte einen Blick mit Robs. Als dieser vorhin bei Konrad aufgetaucht war, die durchaus attraktive Mitstudentin mit den glänzenden hellbraunen Haaren im Schlepptau, hatte sie auf Falk zunächst noch einen ganz sympathischen Eindruck gemacht. Sie studierte irgendwas auf Lehramt; auf jeden Fall hatte sie so getan als ob sie sich ziemlich gut mit Fußball auskennen würde. Als Falk ihr daraufhin erzählt hatte, dass er zusammen mit ein paar Kumpels schon seit geraumer Zeit – mit eher mäßigem Fortschritt – ein kleines Fußballturnier plante, hatte sie in Aussicht gestellt, beim sportwissenschaftlichen Institut anzufragen, ob auf deren Gelände eine solche Veranstaltung stattfinden könne. Im Laufe des Abends hatte sich Fanni dann aber als arrogante Nervensäge entpuppt, die mit Sicherheit niemanden wegen des Fußballplatzes fragen würde. Falk war das Gefühl nicht losgeworden, dass sie in erster Linie Robs abschleppen wollte, wie eine Trophäe. Und Robs ging voll darauf ein, dachte Falk, während er beobachtete wie sein Freund nun Wache hielt neben irgendeinem Gebüsch, in welches Fanni verschwunden war.

    Falk drehte sich um und ging langsam weiter. Er schüttelte vorsichtig seine Bierdose. Viel war nicht mehr drin. Gedämpft konnte er den Verkehr auf der Schnellstraße hören, die unterhalb des Hausbergs stadtauswärts führte. Der steile Bergkamm lag wie ein Sattel über dem östlichen Ausläufer von Jena. Vom Stadtzentrum aus führte ein Netz von Straßen zu den Wohnvierteln an den Hängen hinauf. In einem der großzügigen Stadthäuser im Hausbergviertel, mit den großen terrassenartigen Gartengrundstücken, wohnte Konrad Seiler noch bei seinen Eltern. Er hatte an diesem Donnerstagabend vor der Garage „den Grill angeschmissen", was bei Konrad regelmäßig in ein mittelschweres Besäufnis ausartete.

    Falk war froh, heute vergleichsweise zeitig den Absprung geschafft zu haben, auch wenn er nun, da Robs und Fanni sich ihm angeschlossen hatten, deutlich langsamer voran kam als geplant. Immerhin hatte er sich in weiser Voraussicht mit einem Bier versorgt. Er blieb stehen um auf die anderen zu warten, und wünschte, er hätte mehr Dosen mitgenommen.

    Langsam sehnte er sich wirklich nach seinem Bett. Falk wohnte zusammen mit Robs in einer kleinen Dachwohnung, die sich, von Konrad aus gesehen, auf der anderen Seite des Bergs befand. Die kürzeste Verbindung war daher die schmale gewundene Straße, die sich durch den Wald fast bis zur Kuppe des Hausbergs hinaufschlängelte und auf der anderen Seite wieder hinunter. Und auf dieser Straße stand Falk nun, während es immer später wurde, und das Weckerklingeln am nächsten Morgen näher rückte. Das Hausbergviertel hatten sie schon lange hinter sich zurückgelassen. Straßenlaternen gab es hier oben nicht, was ihm auf dem Hinweg vor einigen Stunden, als die warme Spätsommersonne noch geschienen hatte, gar nicht weiter aufgefallen war. Inzwischen hatte es sich nicht nur merklich abgekühlt, sondern mit der Nacht waren auch Wolken aufgezogen, die den Mond verdeckten. Fanni und Robs schlossen zu Falk auf.

    „Mir ist voll kalt.", jammerte Fanni.

    „Ich könnte auch nen Schluck gebrauchen.", sagte Robs.

    „Alle.", bedauerte Falk, die Dose austrinkend.

    *

    Da sie bereits seit geraumer Zeit wieder bergab unterwegs waren, wusste Falk, dass sie den Wald bald hinter sich lassen und das Wohnviertel diesseits des Hausbergs erreichen würden. In einigen hundert Metern Entfernung konnte er bereits die gelblichen Lichtkegel der Straßenlaternen erkennen, die einen Parkplatz mit einer Bushaltestelle beleuchteten.

    Dann riss plötzlich die Wolkendecke auf. Dahinter kam der fast volle Mond zum Vorschein und tauchte die Straße vor ihnen für einen Moment in farbloses Licht. Zu ihrer Rechten verlief ein Drahtzaun, und das Mondlicht ließ den dichten verfilzten Wald dahinter umso schwärzer erscheinen. Ein paar Meter weiter vorne führten zwei krumme Treppenstufen zu einem Tor im Zaun. Es stand einen Spalt breit offen. Ein schmaler Pfad führte in das Gestrüpp dahinter und verlor sich in der Dunkelheit. Zwischen den Bäumen beleuchtete der Mond die Umrisse eines Hauses. Sie hielten an. Fanni sagte:

    „Sieht aus wie ein Geisterhaus. Total verfallen."

    „Da wohnt schon seit Ewigkeiten niemand mehr., sagte Robs. „Falk, weißt du noch, wie wir mal reingeguckt haben?

    „Ihr wart doch da nicht wirklich drin?! Ihr seid ja bescheuert! Komm schon Robert, lass uns gehen."

    „Es war eigentlich vollkommen leer, bis auf einen alten Kachelofen.", meinte Falk.

    Er ließ die Bierdose in seinen geräumigen Wanderrucksack fallen und probierte, das Tor weiter aufzudrücken. Quietschend gab es nach.

    „Hör auf!", rief Fanni und kicherte nervös.

    „Ich schau mal nach, ob jemand da ist.", sagte Falk, öffnete das Tor und betrat das Grundstück. Als er sich umdrehte, bemerkte er, wie Fanni Robs einen scharfen Blick zuwarf. Sie zischte:

    „Wenn du das tust, komme ich heute auf gar keinen Fall mehr mit zu dir!"

    Robs schien kurz zu überlegen, dann grinste er sie an und meinte:

    „Na gut, dann sehen wir uns an der Uni."

    „Aber du kannst mich doch nicht hier stehen lassen!"

    Falk hatte sich schon einige Meter vorsichtig auf dem Pfad vorwärts bewegt. Er hörte Robs irgendwas zu Fanni sagen, und als er sich jetzt noch einmal umdrehte, konnte er zwischen den Zweigen kurz ihr Gesicht als hellen Fleck erkennen, bevor sie die Straße entlang verschwand. Dann tauchte Roberts kantiger Kopf vor ihm auf. Blonde Locken quollen unter seiner Mütze hervor. Er war kleiner als Falk, machte das aber wett, indem er eher zu hüpfen als zu gehen schien.

    „Was das wieder werden soll, Alter., sagte sein Freund nun gedämpft. „Ich hätte schön mit Fanni nach Hause und ins warme Bettchen abdüsen können.

    „Die Frau tötet mir den letzten Nerv, Robs. Hast du sie zur Bushaltestelle geschickt?"

    „Ja. Hab ihr gesagt, sie soll den Bus um 22:30 nehmen."

    Robs lachte meckernd.

    „Du wolltest sie wohl loswerden?", fragte er.

    Falk zuckte grinsend die Achseln.

    „Was soll’s., sagte Robs. „Sie lässt mich eh noch ran. Wahrscheinlich will sie damit vor ihren Mädels angeben. Schauen wir lieber mal, was du uns hier eingebrockt hast.

    Beide wendeten sich nach vorne, dem Pfad durchs Unterholz zu. Vor sich sah Falk die Lichtung, wo sich das verfallene Holzhaus wie ein Betrunkener an einige Buchen lehnte. Obwohl die Bäume um diese Jahreszeit noch voller Blätter waren, wirkten sie kränklich und dünn, als würden sie sich gegenseitig das Licht zum Leben nehmen. Gestrüpp schien das Haus von allen Seiten anzufressen, so dass seine Umrisse mit dem Wald verschmolzen.

    Von Nahem betrachtet war es gar nicht groß, mit einem spitzen Dach und vier zierlichen Türmen an den Ecken. Die Fenster schauten ihnen wie schwarze traurige Augen entgegen. Das Haus schien aus einer anderen Zeit zu stammen. Es war komplett aus Holz gebaut. Im Obergeschoss befand sich ein schmaler Balkon, wo sich die Zweige der umstehenden Bäume um die Holzlatten des Geländers schlangen. Eine Terrasse, vom Erdgeschoss aus zugänglich, verlor sich im Dickicht, von einem durchhängenden vermoosten Wellblechdach notdürftig vor Regen geschützt.

    Das Mondlicht fiel von der Seite auf ein geschnitztes Zeichen unter der Dachspitze. Es erinnerte an ein Wagenrad, mit vier von einer zentralen Nabe ausgehenden Speichen, die sich nach außen hin verbreiterten, jedoch ohne den abschließenden Reifen.

    Hier war es so ruhig, dass Falk Robert hinter sich atmen hörte. Plötzlich scheute er sich, aus dem Schutz des Waldes auf die Lichtung zu treten. Robs flüsterte:

    „Was ist denn los, du Held?"

    „Nichts. Auf geht’s!"

    Die beiden huschten über die Lichtung und drückten sich an der Hauswand entlang um die Ecke. Die Eingangstür befand sich auf der Hinterseite und stand halb offen. Drei mit Unkraut bewachsene Steinstufen führten hinauf. Falk schlüpfte ins Innere und hielt inne. Robs blieb dicht hinter ihm. Nur die ersten paar Schritte weit fiel das Mondlicht in einen Flur, in dem Scherben und Laub in kleinen Häufchen hereingeweht verstreut lagen. Gleich rechts sah Falk den Ansatz einer Treppe, die nach unten führte. Er erinnerte sich an ihren letzten Besuch in dem alten Haus – damals war es heller Tag gewesen, aber trotzdem hatten sie sich erst nach einiger Überwindung getraut, die Treppe runter zu steigen. Mit ihren Handys leuchtend waren sie schließlich in einem Kellerraum gelandet, der leer gewesen war bis auf ein paar alte Zeitungen.

    Im Moment wäre Falk um keinen Preis der Welt die Treppe hinunter gestiegen. Vorsichtig machte er einen Schritt in den Flur hinein. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er am Ende des Flurs ein Zimmer erkennen. Mondlicht schien durch die Fenster hinein. Als dunklen Fleck sah er den Kachelofen. Irgendetwas schien darauf zu liegen.

    Wie von einem Stromschlag getroffen zuckte Falk zusammen, als Robs hinter ihm leise aber vernehmlich sagte:

    „Alter, ich mach mir gleich in die Hose."

    Falk entließ zischend seinen angespannten Atem und flüsterte:

    „Siehst du dieses Knäuel da vorne, auf dem Ofen? Ich will nur kurz gucken, was das ist. "

    Sie traten in das Zimmer. Draußen, vor den großen Fenstern, lauerte das Dickicht. Ein weiterer Flur führte nach links in einen Raum, von dem aus, wie sie wussten, die Terrasse erreichbar war. Rechts hinter ihnen begann die Treppe ins Obergeschoss, wo es noch zwei oder drei weitere Zimmer gab, Falk erinnerte sich nicht mehr genau.

    Der Kachelofen stand mitten im Raum, als könne er selbst nicht so ganz fassen, dass man nur ihn zurückgelassen und alles andere mitgenommen hatte. Dort, wo normalerweise das Ofenrohr steckte, klaffte ein Loch. Falk griff nach dem Bündel, das oben drauf lag. Es war ein Beutel, der, so fühlte es sich zumindest an, aus Leder gefertigt war. Die Öffnung war mit einem groben Strick zugezogen; hindurch lugte ein Knauf.

    Als Falk den Beutel anhob, war er überrascht, wie schwer er war. Er lockerte den Strick und zog den länglichen Gegenstand heraus, der drin war.

    „Ein Schwert!", stellte er fest.

    Es war etwa einen Meter lang und steckte in einer Lederscheide. Falk reichte es an Robs weiter, der vorsichtig an dem Knauf ruckelte. Ohne Mühe konnte er den oberen Teil einer glänzenden dunklen Klinge aus der Scheide ziehen, während Falk den Lederbeutel schüttelte und fühlte, dass noch etwas darin war. Er wollte gerade hineingreifen, als Robs sagte:

    „Ich wette, du traust dich nicht, den Beutel mit zu nehmen."

    Falk sah auf und überlegte nicht lange.

    „Wenn du mir hoch und heilig versprichst, dass du, solange wir beide unter einem Dach wohnen, niemals etwas mit dieser Fanni anfängst. Dann mach ich's."

    Einen Moment lang starrten sie sich an, dann zuckte Robs mit den Schultern und schlug ein. Falk stopfte den gesamten Beutel mitsamt dem Schwert in seinen Wanderrucksack, der gerade groß genug war, dass er ihn oben noch verschließen konnte. Danach hatten beide es auf einmal recht eilig.

    Robs war schon mit drei langen Schritten in Richtung Flur aufgebrochen, und Falk schickte sich an, ihm zu folgen, als er meinte, ein Geräusch zu hören: ein Knarzen, es kam aus dem Obergeschoss! Prickelndes Adrenalin schoss ihm durch die Adern, und ohne noch einen Moment zu vergeuden machte er, dass er Robs hinterherkam, der schon mit einem Sprung die Treppenstufen vor der Haustür herunter gesetzt war.

    Gemeinsam bogen sie um die Hausecke, überquerten die Lichtung und duckten sich auf den Pfad durchs Unterholz. Falk lief nun voran und während ihm die Zweige ins Gesicht schlugen, hatte er unbändige Lust zu rennen. Er sah das Tor vor sich, sprang auch diese Stufen herunter, landete mit einem klatschenden Geräusch auf der Straße und joggte los, die Straße herunter bis zu dem Parkplatz mit der Bushaltestelle, und dann, langsamer werdend, weiter entlang kleiner Häuser und parkender Autos. An der Kreuzung zu ihrer Straße holte Robs ihn ein. Schwer atmend hielten sie inne.

    „Hast du das gehört? Da eben in dem Haus?", fragte Falk.

    „Gehört? Nee, was denn?"

    „So ein Knarren im Gebälk. Als ob da jemand gewesen wäre, im zweiten Stock."

    Nebeneinander gingen sie, nun gemächlicher, weiter entlang der nächtlichen Straße. Das Wohnviertel bestand aus Doppelhäusern mit mickrigen umzäunten Gärtchen; hier wohnten vornehmlich Rentner und Familien. Es war ganz still, bis Robs plötzlich sagte:

    „Ich glaub, wenn ich da was gehört hätte, dann hätt ich mir wirklich eingekackt."

    Beide kicherten unbändig, wie früher, als sie noch kleine Jungs gewesen waren.

    „Der Bus mit Fanni war schon weg.", stellte Robs dann fest.

    „Mann, bin ich froh dass wir die los sind.", antwortete Falk.

    „Wir? Ich bin doch derjenige, der fortan auf die süße Maus verzichten muss."

    „Eben nicht! Du wärst doch morgen gleich früh zu deinem Sportkurs aufgebrochen, und die Tante hätte bei uns zu Hause das Bad blockiert, wenn ich zur Arbeit muss. So wie neulich, wer was das noch gleich?"

    „Meike hieß die. Mensch Falk, gut dass du mich an den verdammten Kurs erinnerst. Ich muss morgen schon um sechs am Institut sein."

    Sie erreichten die Eingangstür zu der Doppelhaushälfte, in deren Dachgeschoss sich ihre kleine Wohnung befand. Robs fummelte in seinen Taschen nach dem Schlüssel, dann schlichen sie die enge Treppe hinauf, so leise wie möglich, um Roberts Onkel Peter, der unten mit seiner Familie wohnte, nicht zu wecken. Falk drängte hinter seinem Freund in die Wohnung, zog die Tür zu und ließ den Rucksack in der Küche auf einen Stuhl fallen.

    Beide starrten eine Weile darauf.

    „Meinst du echt, da war jemand? In dem Haus?", fragte Robs.

    Falk zögerte.

    „Irgendwer muss diesen komischen Beutel ja dahingelegt haben."

    „Ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee war, den mitzunehmen.", sagte Robs unvermittelt, und Falk ahnte, dass er Recht haben könnte.

    Tag 2, Freitag

    Falk erwachte vom Weckerklingeln. Träume schlängelten sich wie Wiesel nach allen Seiten hin aus seinem Bewusstsein heraus. Er schaute sich im Dämmerlicht um und erkannte sein Zimmer: der Schrank, der Schreibtisch, der Computer. Er lag auf seinem Schlafsofa, in zusammen geknüllten Decken. Durchs Fenster sah er graublauen morgendämmernden Himmel. Das Display seines Handys zeigte sechs Uhr.

    Falk zog die Decke hoch bis unters Kinn. Zwischen den Traumschatten tauchten die Geschehnisse des gestrigen Abends aus seiner Erinnerung auf. Mit einem Ruck setzte er sich auf, woraufhin in seinem Schädel ein hektisches Hämmern einsetzte, was ihm wiederum auch die Flasche Lambrusco wieder ins Gedächtnis rief, die bei irgendeiner Pizzalieferung dabei gewesen war, und die er und Robs gestern Abend auf den Schreck noch in der Küche geöffnet hatten.

    Falk warf die Decke zur Seite, schnappte sein Handtuch, das über der Tür zum Trocknen gehangen hatte und stolperte die schmale Holztreppe vor seinem Zimmer hinunter. Er bog direkt ins Bad ab, griff nach Zahnbürste und Zahnpasta und ging dann zähneputzend weiter Richtung Küche.

    Dort sah er es bestätigt: mitten auf dem Küchentisch, zwischen Werbezeitungen, der leeren Lambruscoflasche und zwei weißen Kaffeebechern aus der Unimensa, lagen der Lederbeutel von gestern Nacht und die Gegenstände, die sich darin befunden hatten. Da war das Schwert, wieder sorgfältig in seine Scheide gesteckt. Daneben lag ein Briefumschlag, den sie ebenfalls in dem Beutel gefunden hatten. Er war verschlossen und wog schwer in der Hand. Der Inhalt, hatten Falk und Robs vermutet, musste aus mehreren dicken Papierseiten bestehen. Auf dem Umschlag hatten nur vier Worte gestanden, mit blauer Tinte in gleichmäßiger geschwungener Handschrift geschrieben: ‚Für Mark von Marie’.

    Dann sah Falk, dass Robert ihm auf der Rückseite eines Kassenzettels eine kurze Nachricht hinterlassen hatte:

    ‚Wir sehen uns in einer Woche. Sieh lieber zu, dass du das Zeug wieder zurückschaffst!’

    Daneben war ein kleines grinsendes Gesicht gemalt.

    Robert hatte es also tatsächlich pünktlich aus dem Bett geschafft, und war nun bereits unterwegs zu seinem einwöchigen Trainingslager, irgendwo im Harz. Wahrscheinlich würde er sich im Bus noch einmal zusammenrollen, ein paar Stündchen schlafen, und keinen Gedanken mehr an ihn, Falk, verschwenden, der sich jetzt mit diesem Mist herumschlagen musste.

    Eine Weile stand Falk unschlüssig in der Küche herum, dann beschloss er, dass er erst einmal zur Arbeit musste. Er ging zurück ins Bad, wusch sich den Mund aus und stieg unter die Dusche. Das heiße Wasser machte ihn munter. Hinterher warf er einen Blick in den Spiegel. Seine Haare, dunkelblond und tropfnass, hingen ihm bis zum Kinn, wo ein paar Bartstoppeln unmotiviert vor sich hin sprossen. Lohnte sich nicht, die heute zu rasieren, fand er. Dunkle Augenringe und die fahle Haut verrieten ihm, dass die Woche sich dem Ende zuneigte. Seine Augen, eng zusammenstehend, leuchteten hellgrau aus den tiefen Höhlen unter seinen Brauen hervor. Falk entschied, dass er nicht schlimmer aussah als sonst.

    Während er sich abtrocknete, begann er, Stück für Stück zu rekonstruieren, was eigentlich gestern passiert war. Sie waren bei Konrad gewesen. Sie hatten gegrillt und ein paar Bierchen getrunken. Später hatte Konrads Freundin ihnen allen noch Schnaps aufgedrängt. Wir hatten wohl doch schon einiges getankt, dachte Falk, sonst wäre ich doch nie auf die Idee gekommen, auf dem Heimweg in das verdammte alte Haus einzusteigen. Und diesen Beutel mitzunehmen. Wobei ja eigentlich Robs Schuld war. Aber zumindest hatte er, Falk, mit der Aktion dafür gesorgt, dass diese Fanni hier nicht mehr aufkreuzen würde.

    Falk stieg zu seinem Zimmer hoch und zog eine frische Boxershorts an, sowie die knielange weite Hose vom Vortag, ein frisches T-Shirt und einen schwarzen Kapuzenpullover.

    Wo ist mein Rucksack, überlegte er. Ach ja, noch unten. Genau wie das andere Zeug.

    Die Flasche Lambrusco hinterher in der Küche war irgendwie auch überflüssig gewesen, erkannte Falk angesichts des dumpfen Schmerzes im dem Bereich hinter seiner Stirn. Aber nach der Geschichte hatten sie einfach noch einen trinken müssen. Sie hatten einen Diebstahl begangen, soviel war ihnen klar gewesen. Dabei hatten ja nur aus Spaß ein wenig in dem alten verlassenen Haus herumschnüffeln wollten. Hatten sie ja schließlich früher auch schon gemacht, das Ding stand doch seit Jahrzehnten leer. Was hatte es bloß mit dem Lederbeutel und dem Schwert auf sich? Wie waren diese Sachen dorthin gekommen. Hatte sich wirklich jemand im Haus befunden, im oberen Stockwerk? Wer waren Mark und Marie?

    Falk betrachtete das Schwert auf dem Küchentisch. Gestern hatten sie es aus seiner Scheide gezogen. Dunkel war das Metall der Klinge gewesen, fast schwarz, und vom Knauf aus bis zu etwas zwei Dritteln der Länge durch eine flachen Rinne in der Mitte geteilt. Zwischen Knauf und Klinge befand sich der schmale Steg, der gerade und schlicht gearbeitet war. Überhaupt war die Waffe auffallend schlicht, fand Falk, es gab keine Verzierungen bis auf zwei winzige Zeichen, die am oberen Rand der Klinge in der Rinne eingraviert waren.

    *

    Ein Blick auf die Uhr seines Handys sagte ihm, dass er dringend los musste. Nach kurzem Überlegen brachte Falk Schwert, Briefumschlag und Beutel nach oben in sein Zimmer, wo er alles unter sein Schlafsofa stopfte. Wieder unten in der Küche griff er nach seinem Rucksack, der seit dem Vorabend in einer Ecke lag, schüttete alles, was drin war, aus, so dass die leeren Bierdosen scheppernd auf den Küchenfußboden fielen, und setzte ihn auf. Dann zog er noch seine Wollmütze über den Kopf und die Wohnungstür hinter sich zu.

    Leise ging er die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, durchquerte den Flur der unteren Wohnung, wo Roberts Onkel Peter mit seiner Frau und den beiden Kindern lebte, und trat ins Freie. Die Wolken der letzten Nacht hatten sich verzogen und der Himmel war blau erleuchtet von den ersten Strahlen der Sonne – es würde einer dieser Tage werden, an denen die klare Kälte des herannahenden Herbstes tagsüber noch einmal von der Septembersonne vertrieben wurde.

    Trotzdem war Falk froh über seine blaue Mütze, die er jeden Tag, sommers wie winters, trug, denn als er sein Fahrrad abgeschlossen hatte und die Straße bis zur Buswendeschleife entlang radelte, wehte ihm der Fahrtwind schneidend kalt um die Nase. Er ließ sich den Steinborn hinunter rollen, vorbei an kleinen Doppelhäusern, die bunt gestrichen waren, um die unterschiedlichen Besitzer anzuzeigen. Mit den von niedrigen Mauern begrenzten Vorgärtchen war diese Gegend viel bescheidener als das Villenviertel auf der anderen Seite des Hausbergs.

    Falk überquerte die Karl-Liebknecht-Straße am unteren Hangende und fuhr weiter nach Jena Ost, wo er, einige Male abbiegend, über das Kopfsteinpflaster in den engen Straßen holperte. Die Häuser hier standen niedrig und dicht gedrängt beieinander, ab und zu war sogar noch ein Fachwerkgebäude darunter, so dass man das alte Dorf erahnen konnte, das hier, östlich der Saale, einmal bestanden hatte, bevor es von der wachsenden Stadt verschluckt worden war. Falk bog am Supermarkt ab, stellte sein Fahrrad neben dem Parkplatz ab, extra nicht an der Laterne, wo die Nachbarn immer ihre Hunde pinkeln ließen, und betrat den Neubau, in dem die Büroräume des Ingenieur- und Architekturbüros Krehmer untergebracht waren.

    An seinem Schreibtisch angekommen wechselte er ein paar Sätze mit seinen Kollegen während der Rechner hochfuhr, und ging dann los, um sich wie jeden Morgen einen Kaffee zu holen. Erst als er am Platz saß und in seinen Rucksack griff, um seine Frühstücksbrote herauszuholen, musste er feststellen, dass er vergessen hatte, sie zu schmieren, etwas, das ihm noch nie passiert war. Dann sah er auch noch die Sekretärin auf seinen Tisch zukommen, und ahnte, dass sie ihn wieder wegen der Druckerpatronen von der eigentlichen Arbeit abhalten würde. Dies drohte definitiv ein Scheißtag zu werden!

    Falk flüchtete zur Toilette und schloss sich in eine der Kabinen ein. Während er die Musik auf seinem Player durchging, musste er wieder an die Geschehnisse des gestrigen Abends denken. Und selbst als er sich eine ordentliche Playlist zusammengestellt hatte und sich, die Kopfhörer im Ohr, wieder an seinen Schreibtisch gesetzt hatte, blieb ihm immer noch ein Detail im Sinn: die beiden Zeichen, die auf dem Schwert eingraviert waren.

    Das eine war dasselbe runde wagenradähnliche Zeichen, welches auch an dem alten Haus unter dem Giebel angebracht war. Das andere Zeichen war ein einfacher Buchstabe: ein „A", in einem Kreis, ohne Schnörkel bis auf die horizontalen Standfüße an den unteren Enden und einem etwas verbreiterten rechten Arm, der sich nach links über den schmaleren Arm hinüberschwang. Und Falk hatte das ganz starke Gefühl, dass er dieses Zeichen kannte.

    *

    Falk näherte sich dem Dönerimbiss in der Karl-Liebknecht-Straße und sah seine Kollegen, die schon vorgegangen waren, drinnen sitzen. Als EDV-Verantwortlicher der Firma hatte er sich normalerweise den ganzen Tag mit den technischen Problemen seiner Kollegen herumzuärgern, aber heute, und das war wesentlich schlimmer, auch mit denen seines Chefs, der noch nicht im Zeitalter des Internets angekommen zu sein schien. Und die schwerwiegendsten Probleme bekam sein Chef grundsätzlich mittags um kurz vor zwölf, und nachmittags um halb fünf.

    Falk überquerte die Straße. Ein paar Autos hupten, da er sich dabei viel Zeit ließ. Er hatte noch nie verstanden, wieso manche Menschen immer so schnell gingen. Er schlenderte lieber. Er genoss ein paar warme Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht. Den Kapuzenpullover hatte er sich trotzdem übergezogen, es war immer noch frisch.

    Sein Zimmernachbar Ralf, der neue Auszubildende aus der Abteilung Hochbau, und die Sekretärin saßen dicht gedrängt auf Barhockern an einem der kleinen runden Tische in dem Imbiss, und verzehrten ihre Döner. Es gab keinen Hocker mehr, und Falk stellte sich mit einer Dürumrolle dazu. Sie gingen für gewöhnlich freitags zum Döner, da sie an diesem Tag eine kleinere Runde waren. Viele Kollegen machten schon früher Feierabend, und zu viert passten sie so gerade an einen der Stehtische. Wie immer lag eine Zeitung aufgeschlagen darauf, und jeder versuchte, die anderen mit einer übertriebeneren Schlagzeile zu übertrumpfen.

    „’Kanzlerin jetzt Veganerin’", las Saskia, die Sekretärin vor.

    „’Modezar feiert Orgie in Potsdamer Villa’, deklamierte Ralf, und dann: „’Festgenommen werden eine Reihe Minderjähriger, drei stadtbekannte Transvestiten und die Großmutter des bekannten Modeschöpfers’! Die Großmutter? Meine sitzt zu Hause und strickt Socken, und in Potsdam feiern sie Orgien!

    „Woher weißt du das so genau?, meinte Falk und biss so herzhaft in seine Rolle, dass die Soße raustropfte. „Vielleicht feiert sie ja auch mit.

    Der Azubi hatte auch etwas gefunden:

    „’Klimawandel zwingt Pinguin, seinen natürlichen Lebensraum zu verlassen’", rief er aus, und deutete auf das körnige Foto eines der schwarz-weiß gefiederten Tiere, welches auf einem Schneehügel hockte, während im Hintergrund eine felsige Küste zu sehen war, die wenig einladend aussah.

    Einen Moment schwiegen alle, dann sagte Saskia geduldig:

    „Das ist nicht lustig, Kenni"

    „Vor allem ist das Quatsch., befand Falk. „Pinguine fühlen sich in solchen Gegenden pudelwohl. Sie brauchen steinigen Untergrund, daraus bauen sie Nester für ihre Eier.

    „Echt jetzt? Ich dachte, die buddeln sich Höhlen im Schnee.", meinte Saskia.

    „Zeig mal das Bild vom Bikinimädchen.", verlangte Ralf, und sie ließen das Thema fallen, und widmeten sich ihrem Essen.

    Auf dem Rückweg sprachen sie über eine weitere Schlagzeile, sie die im Lokalteil gefunden hatte. Ein älterer Mann aus einem Dorf bei Weimar hatte den Hauptgewinn der Jahresverlosung der Zeitung gewonnen, und die Hälfte seines Gewinns an eine Stiftung gespendet. Sie hatten sich darüber ausgetauscht, ob sie auch so großzügig wären, und waren zu der Übereinkunft gekommen, dass es wohl auf die Größe des Gewinns ankäme.

    An der Firma angekommen rauchten Saskia und Ralf draußen noch eine Zigarette. Falk blieb bei ihnen stehen, nicht gerade erpicht darauf, wieder ins Büro zu kommen. Er hatte den anderen nicht gesagt, dass er sich als allererstes ein Auto kaufen würde. Die hätten ihn nur ausgelacht, ihn, der noch nicht mal einen Führerschein hatte.

    *

    Erst kurz vor fünf am Nachmittag verließ Falk als einer der letzten die Firma. Er entschied, sich zur Abwechslung mal einen ruhigen Abend vor dem Fernseher zu gönnen. Zu Hause angekommen, räumte er ein paar Einkäufe, die er auf dem Nachhauseweg besorgt hatte, in den Kühlschrank, der bis auf ein angebrochenes Paket Butter, eine Salami und verschiedene Senf- und Ketchupsorten leer gewesen war. Er riss eine große Tüte Chips auf und begab sich damit ins Nebenzimmer.

    Ursprünglich hatten sie den Raum als Wohnzimmer nutzen wollen. Momentan standen hier aber nur eine Couch, eine stachelige Agave und ein Fernseher. Weitere wohnliche Möbel fehlten, dafür lehnte Roberts Rennrad an der Wand und über einem Wäscheständer hingen Falks dreckige Fußballstutzen. Auf dem Boden, der, genau wie in den anderen Zimmern der Wohnung, mit unbehandelten Dielen ausgelegt war, lagen außerdem eine Gewichtstange und zwei Hanteln, zusätzliche Gewichte zum Verschrauben, mehrere Fußbälle, ein Volleyball, Falks alter Hockeyschläger und ein Staubsauger.

    Falk warf sich aufs Sofa und schon sich gedankenverloren ein paar Chips in den Mund. Sein Blick wanderte zu Roberts Zimmer nebenan. Die Tür stand weit offen. Sein Freund hatte die Wände vollgehängt mit Postern von Schauspielerinnen und Models, die sich halbnackt an Stränden, in Werkstätten oder auf Kühlerhauben von Sportwagen räkelten. Auf einem Regalbrett an der Wand gleich gegenüber der Tür standen, vom Wohnzimmer aus gut sichtbar, verschiedene kleine und größere Pokale; einige Medaillen hingen darunter. Robs war früher Turner gewesen, hatte dann zum Fußball gewechselt und sogar eine Weile beim Fußballverein Carl-Zeiss-Jena in der Nachwuchsgruppe mittrainiert. Die O-Beine hatte er seitdem immer noch. Mittlerweile studierte er Sport und Mathe auf Lehramt. Robs würde einmal ein guter Lehrer werden, streng, aber trotzdem ein Kumpeltyp, dachte Falk.

    Er selber hatte früher Hockey gespielt, jedoch irgendwann das Interesse daran verloren, als er jedes Wochenende zu Spielen fahren musste, die seine Mannschaft für gewöhnlich verlor. Jetzt kickte er regelmäßig mit Robs und den anderen Jungs Fußball auf einem der öffentlichen Bolzplätze oder bei ihrer ehemaligen Schule. Die Idee, ein eigenes Turnier zu veranstalten, war ihnen an einem Abend bei Konrad gekommen, als sie einmal mehr viel zu viel Bier und den selbstgepanschten Likör von Konrads Freundin getrunken hatten. Sie hatten vor, es wie eine kleine Liga aufzuziehen, es sollte Hin- und Rückspiele zwischen den Mannschaften geben, Punkte und eine Tabelle wie in der Bundesliga, und zusätzlich, um die Spannung weiter aufzubauen, noch eine Finalrunde nach Vorbild des DFB-Pokals. Das Problem war nur, dass sie hierfür sie einen Platz brauchten, an dem die Spiele regelmäßig stattfinden konnten.

    Falk seufzte. Robs hatte den Rest seines Zimmers im gewohnten Zustand hinterlassen: auf dem zerwühlten Bett lagen verschiedene Kleidungstücke, ein leerer Umzugskarton stand daneben, ein Handtuch war über die Lehne des Stuhls geworfen, der Schreibtisch war übersät mit Notizen und Büchern. Gleich neben dem Schreibtisch befand sich die Tür zur Terrasse – im Sommer ein herrlicher Ort für ein Bierchen in der Sonne, und ganzjährig ihre Abstellmöglichkeit für die leeren Kästen.

    Robs hat’s gut, dachte Falk. Der muss sich jetzt nicht mit diesem verdammten Schwert rumärgern! Er kramte sein Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer seines Freundes, der jedoch nicht dran ging.

    Es half alles nichts. Er musste die Sachen zurück in das Haus bringen. Er würde den Beutel einfach wieder dort ablegen, wo sie ihn gefunden hatten. Und am besten brachte er es jetzt gleich hinter sich.

    *

    Falk stand schon im Flur, seinen Wanderrucksack auf dem Rücken, darin der Lederbeutel mit dem Schwert und dem Brief, als er Schritte auf der Treppe hörte. Dann klopfte es an der Wohnungstür. Hektisch nahm Falk den Rucksack ab und warf ihn ins Nebenzimmer auf die Couch. War ihm schon jemand auf der Spur?, ging es ihm durch den Kopf, nur um sich im nächsten Moment zu ermahnen, wie albern dieser Gedanke war.

    „Hey, Falk!, hörte er dann Peter rufen, den Onkel von Robert. „Bist du zu Hause?

    Falk atmete aus.

    „Jo, bin da! Warte!"

    Er ging zur Tür und öffnete. Peter stand im Halbdunkel der Treppe, ein kleiner drahtiger Mann, den Falk noch nie ohne sein kariertes Holzfällerhemd gesehen hatte, dessen Ärmel er je nach Jahreszeit mehr oder weniger weit aufkrempelte.

    „Was gibt’s denn?", fragte Falk und im selben Moment fiel ihm ein, dass er wahrscheinlich immer noch ziemlich verschreckt aussah, also bat er Peter mit einer Geste hinein und überlegte, wie er sich am besten verhalten sollte, um wie nach einem ganz normalen Freitagabend zu wirken.

    „Willst du ein Bier?, fragte er, während er in die Küche ging und den Kühlschrank öffnete. „Ach nee, sorry, ich hab gar keins da. Er lachte verlegen und richtete sich wieder auf.

    Peter stand im Flur, die Hände in den Hosentaschen.

    „Nicht schlimm.", brummte er. Als er die Kabel sah, die an der Decke entlang aus dem Wohnzimmer kommend die Treppe hinauf in Falks Dachzimmer führten, runzelte er die Stirn.

    „Was verkabelt ihr denn hier?"

    „Nur unsere Computer, dann können wir im Netzwerk zocken, du weißt schon…"

    „Achso, achso", nickte Peter und machte weder Anstalten, sich weiter in die Wohnung hinein zu begeben, noch, wieder hinaus.

    „Ja, also wie gesagt, ich kann dir leider nichts anbieten…", setzte Falk an, ohne zu wissen, wie er den Satz beenden sollte.

    „Nee, lass mal, Falk. Ich bin eigentlich nur kurz hochgekommen, weil ich euch was erzählen wollte. Stell dir vor, oben, bei der Straße rüber zum Hausbergviertel, da am Fuchsturm vorbei, da ham se ne Tote gefunden!"

    „Was, ernsthaft?!"

    Fieberhaft überlegte Falk, was er mit seinen Händen anstellen sollte. Schließlich steckte er sie ebenfalls in seine Hosentaschen. Die beiden standen sich gegenüber, Peter im Flur, er selber in der Küche.

    „Ja, irgendwelche Jungs haben sie beim spielen da oben entdeckt. Sie lag in dem alten Holzhaus, ich weiß nicht ob du es kennst. Steht schon seit Jahren leer. Keine Ahnung, wann da zum letzten Mal jemand gewohnt hat."

    „Das gibt’s doch nicht!"

    „Doch. Ich hab's eben von der Nachbarin gehört. Kam gerade von Arbeit, wollte den Wagen parken, da quatscht sie mich schon an. Die von gegenüber, die immer den ganzen Tag aus ihrem Fenster glotzt."

    „Ach, die alte Stasitante."

    „Ja, die hat's nicht verlernt. Die Kids, die die Leiche gefunden haben, sind wohl gleich nach Hause gerannt und haben es ihren Eltern erzählt. Und irgendwie hat die Nachbarin es dann auch gleich erfahren."

    Falk machte ein zustimmendes Geräusch, aber in seinem Kopf dröhnte es, als würde eine Eisenbahn durchrasen. Er musste jetzt dieses Gespräch überstehen! Sollte er nachfragen, interessiert tun? Oder besser gleichgültig? Währenddessen fuhr Peter fort:

    „Keine Ahnung, wer die Tote ist und wie sie gestorben ist. Aber man muss aufpassen heutzutage. Ich hab meinen Kindern erst mal verboten, draußen zu spielen. Ihr solltet auch die Augen offen halten."

    Falk nickte eifrig.

    „Auf jeden Fall, werd ich tun. Ich sag auch Robs Bescheid. Krasse Geschichte."

    „Naja., machte Peter abschließend. „Wo ist Robert überhaupt? Immer unterwegs, was?

    Erleichtert über den Themenwechsel nahm Falk seine schwitzenden Hände aus den Hosentaschen und lehnte sich an den Türrahmen zwischen Flur und Küche.

    „Ja, der ist grad bei so ner Sache von der Uni, Trainingslager, irgendwo im Harz. Ist heute Morgen losgefahren und kommt erst nächste Woche wieder."

    „Achso. Training, ja? Die Studenten, die machen doch nur Party, dachte ich., erklärte Peter und zwinkerte Falk zu. Als Dachdeckermeister hatte Peter immer schon ein diffus kollegiales Verhältnis zu Falk gepflegt, da der ebenfalls nicht studiert, sondern eine Ausbildung als Bauzeichner bei Krehmer gemacht hatte. Als in seiner Firma dann händeringend jemand gesucht wurde, der sich um „diesen ganzen Internetz-Kram, wie sein Chef es ausgedrückt hatte, kümmern konnte, hatte Falk sich über eine Zusatzausbildung weiter qualifiziert, und war seitdem der offizielle EDV-Verantwortliche für die ganze Firma. Demnächst sollte er sogar noch jemanden zur Unterstützung bekommen. Für Peter lag Falks Arbeit damit deutlich näher an seiner eigenen Vorstellungswelt als das Studentenleben seines Neffen.

    „Also gut Falk, wollt euch nur Bescheid sagen."

    Er wandte sich um, öffnete die Wohnungstür und meinte über die Schulter:

    „Du denkst an die Miete?"

    „Klar, Peter, ich überweise sie gleich, äh, nachher."

    „Ok. Will dich auch gar nicht weiter stören. Das mit dem Bier, das machen wir mal ein anderes Mal."

    „Kein Ding. Mach‘s gut!"

    Die Tür schlug zu und Falk wartete, bis Peters Schritte auf der Treppe verklangen. Dann ging er rüber ins Wohnzimmer und starrte seinen Rucksack, der auf der Couch lag, an, als wäre er eine Kofferbombe. Da drin war der Lederbeutel. In dem Beutel war das Schwert. Und der Briefumschlag. Für Mark. Von Marie. Marie, ob das die Frau war, die nun tot in dem alten verfallen Haus gefunden worden war? Was hatte sie in dem Haus gemacht? War sie tatsächlich gestern Abend schon dort gewesen, als er und Robs den Beutel mitgenommen hatten? Hatte sie das Schwert und den Umschlag in das alte Haus gebracht? Wahrscheinlich, denn sie wollte die Sachen wohl jemandem namens Mark übergeben. Jetzt war sie tot! Und in seinem Rucksack befanden sich diese seltsamen Gegenstände, die ganz und gar nicht für ihn bestimmt gewesen waren. Das war nicht gut, das war gar nicht gut!

    Bei dieser Schlussfolgerung angekommen begann Falk, ziellos in der Wohnung umherzustreifen. Erneut versuchte er, Robs zu erreichen, aber es meldete sich nur eine Tonbandstimme: der Teilnehmer sei momentan nicht erreichbar. Er wird keinen Empfang haben, dachte Falk. Oder er hat sein Ladegerät vergessen. Oder sein Handy verloren. Wer wusste das schon, bei Robs.

    Ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, war Falk unterdessen wieder in der Küche angelangt. Er würde der Polizei alles erzählen müssen. Vielleicht würden sie nachsichtig sein. Dass er den Beutel mitgenommen hatte, das war ja bloß eine bescheuerte Wette gewesen. Bloß, dass es jetzt eine Leiche gab. Warum bloß war Robs gerade jetzt nicht da, er steckte schließlich genauso da drin wie er selber!

    Was, wenn die Frau nicht einfach so gestorben war? Was, wenn sie umgebracht worden war? Vielleicht von diesem Mark? Das waren wichtige Details, die Polizei würde so etwas wissen wollen! Aber würden er und Robs dann nicht sogar selbst als Verdächtige gelten?

    Falk ertappte sich bei der Überlegung, ob sie irgendwo in dem Haus Fingerabdrücke hinterlassen hatten. Die Haustür hatte offen gestanden, die hatten sie nicht berührt. Und als er die Geschehnisse noch einmal durchging, war er sich ziemlich sicher, dass sie auch den Kachelofen nicht angefasst hatten, als sie den Beutel hoch genommen hatten. Immerhin was.

    Gut war auch, dass Fanni nichts von dem Schwert mitbekommen hatte. Im Grunde konnte sie noch nicht einmal wissen, ob sie das Haus tatsächlich betreten hatten oder nicht. Und so, wie Robs sie abserviert hatte, konnte Falk nur hoffen, dass sie den gestrigen Abend einfach so schnell wie möglich würde vergessen wollen.

    Falk versuchte, den weiteren Heimweg zu rekonstruieren, nachdem sie das Schwert eingepackt hatten. Zuerst waren sie ziemlich zügig losgelaufen, später dann waren sie gemütlich gegangen. Auffällig verhalten hatten sie sich dabei nicht, im Gegenteil, sie hatten sich ganz normal unterhalten. Begegnet war ihnen auf dem gesamten Heimweg sowieso niemand, kein Wunder, das Viertel war nach Einbruch der Dunkelheit für gewöhnlich wie ausgestorben. Trotzdem, woher zum Teufel wollte er wissen, dass nicht doch noch jemand mitbekommen hatte, dass sie in dem Haus gewesen waren!

    Falk merkte, dass seine Gedanken sich im Kreis drehten. Zu dem Haus konnte er den Beutel nicht mehr bringen, das stand schon mal fest. Er sollte sich wirklich der Polizei stellen, schließlich hatte er sich ja nichts vorzuwerfen. Außer Diebstahl. Und Hausfriedensbruch. Und wer weiß was noch Allem. Wenn das sein Chef mitbekäme! Er wäre seinen Job los! Nein, die Polizei war ausgeschlossen, er durfte unter gar keinen Umständen mit der Sache in Verbindung gebracht werden!

    Falk fasste einen Entschluss: er würde das Schwert sorgfältig abwischen, damit keine Fingerabdrücke oder sonstige Spuren von ihm oder Robs daran zu finden wären. Und heute Nacht würde er den Beutel mitsamt seinem Inhalt in die Saale werfen.

    *

    In der Küche fand er einen Eimer, in den er heißes Wasser füllte und dann eine halbe Flasche Geschirrspülmittel dazu gab, so dass es ordentlich schäumte. Er brachte den Eimer und seinen Rucksack nach oben in sein Zimmer, zog den Lederbeutel hervor und legte das Schwert auf die Dielen neben seinem Bett. Dann klingelte sein Handy.

    „Jetzt meldet er sich.", sagte Falk halblaut und zog das Telefon aus seiner Hosentasche. Es war aber nicht Robs, der anrief, sondern Michael. Freitagabend!, dachte Falk flüchtig. Vermutlich wollte ihn sein Freund zu irgendeiner Party mitnehmen.

    „Jo, meldete er sich mit wenig Elan in der Stimme. „Was gibt’s?

    „So einiges, klang die tiefe Stimme von Michael Budarcik aus dem Telefon. „Was machst’n heut Abend?

    „Werd nen ruhigen machen. Ist gestern dann doch ziemlich spät geworden, bei Konrad."

    „Alles klar. Hat Robser die Frau noch rumgekriegt? Wie hieß sie gleich – Franzi?"

    „Fanni. Nee, hat er nicht. Wird auch nicht mehr passieren."

    Micha fragte nicht weiter nach, was Falk ihm hoch anrechnete.

    „Du kannst mal Konrad anrufen., sagte er. „Der meinte gestern, er wolle heute was starten.

    „Jo werd ich. Na dann, mach dir mal nen entspannten Abend."

    „Ich meld mich morgen bei dir."

    „Gut, bis dann."

    Falk klappte sein Handy zu, froh, das Gespräch so unkompliziert beendet zu haben, und wendete sich wieder dem Schwert zu, das er nun aus der Scheide zog. Er hatte sich Schwerter eigentlich länger vorgestellt, und auch mit mehr Verzierungen, mit Edelsteinen besetzt, oder so ähnlich.

    Ob das hier ein echtes Schwert war, ein richtiges Kriegsgerät, aus dem Mittelalter? Er wog es in der Hand, dann stand er auf und führte eine schwungvolle Acht in der Luft aus. Es ließ sich problemlos führen und lag gut in der Hand. Falk nahm eine Wasserflasche, die voll neben seinem Bett stand, und verglich das Gewicht. Er schätzte das Schwert auf anderthalb bis zwei Kilo. Kritisch hob er die Waffe vor sein Gesicht – beim kämpfen wäre zusätzliches Zierzeug wahrscheinlich eher hinderlich, vermutete er. Es war eben ein Gebrauchsgegenstand gewesen. Mit einem Ausfallschritt trat er weit nach vorne und stach das Schwert vor sich in die Luft. Dann lachte er leise und setzte sich wieder hin.

    Das Schwert auf dem Schoß, zog er den Eimer Wasser heran, tauchte einen Lappen ein und begann, sorgfältig die Klinge, den Griff und den Steg abzuwischen, nicht ohne sich dabei flüchtig zu fragen, ob dieser Aufwand überhaupt notwendig war, schließlich wollte er die Sachen sowieso in die Saale schmeißen. Wobei es auch irgendwie schade um die schöne Waffe war. Erneut überlegte er, wie alt sie wohl war. Wann war eigentlich das Mittelalter gewesen, fragte er sich. Vor 1000 Jahren? Ob das Schwert wohl 1000 Jahre alt war? Nein, sicher nicht, wahrscheinlich war es nachgeschmiedet worden, für irgendwelche Freaks, die in ihrer Freizeit gerne Ritter spielten, eine Art Showwaffe oder so. Er fuhr mit der Fingerkuppe an der einen Seite über die Klinge. Nicht grade messerscharf, befand er. Bei genauem Hinsehen konnte er kleine Dellen an der Klinge erkennen, und Kratzer auf der Oberfläche.

    „Wie wenn man jemandem ordentlich eins vor die Rüstung haut., murmelte Falk. Mit dem Lappen fuhr er dann in der Rille entlang, die in der Mitte der Klinge eingebracht war. Gleich unter dem Steg waren die zwei Zeichen eingraviert, die einzigen ungewöhnlichen Merkmale an der gesamten Waffe. Sie waren untereinander angeordnet, oben das Wagenrad, was auch eine Sonne darstellen konnte, wie er jetzt fand, darunter das schlichte „A im Kreis. Beide waren nicht viel größer als sein Daumennagel. Jemand hatte sie sorgfältig eingraviert, die Kanten waren glatt geschliffen und gleichmäßig abgerundet. Beide Zeichen waren klar und gradlinig, ohne Schnörkel, wie das Schwert selber. Falk hielt in seiner Bewegung inne und legte dann den Lappen beiseite.

    Woher kannte er bloß dieses „A"? Je länger Falk darüber nachdachte, umso sicherer wurde er, dass er den Buchstaben in dieser Form und in genau dieser Kombination innerhalb des Kreises schon einmal gesehen hatte.

    Sein Nacken begann zu schmerzen. Als sich dann auch noch sein Magen knurrend meldete, befand er, genug gearbeitet zu haben. Er legte das Schwert beiseite, wobei er den Lappen benutzte, um das Metall nicht mit den Händen zu berühren, und ging runter in die Küche. Dort setzte er Wasser in einem Topf auf und fing an, ein paar Zwiebeln und etwas Knoblauch klein zu schneiden.

    Die einfachen Handgriffe beruhigten ihn. Pfeifend schaltete er im Wohnzimmer den Fernseher ein, dann warf er Spaghetti in das kochende Wasser, während er auf einer zweiten Herdplatte ein wenig Öl erhitze, worin er die Zwiebeln und den Knoblauch anbriet und schließlich eine Packung passierte Tomaten darüber goss. Die Wurst im Kühlschrank fiel ihm ein, und er schnibbelte sie ebenfalls klein und gab sie in die Soße. Mit ein wenig Salz und Pfeffer würde es eine ganz passable Mahlzeit abgeben.

    Um sich die Zeit zu vertreiben, bis die Nudeln fertig waren, begann Falk im Wohnzimmer ein paar Liegestütze zu machen. Nach dreißig Wiederholungen legte er eine kurze Pause ein. Gerade wollte er einen neuen Satz beginnen, als sein Blick den Fernseher streifte – er hatte wahllos irgendein Programm eingeschaltet und war beim örtlichen Lokalsender gelandet, JenaTV. Auf dem Bildschirm wurde gerade sehr schlicht aufgemachte Werbung geschaltet, jeweils bestehend aus einem Standbild und dem Logo der beworbenen Firma: ein Hersteller für Getriebeteile im Gewerbegebiet Jena-Nord, ein Klamottenladen in der Innenstadt, und dann ein Goldschmiedegeschäft in der Unterlauengasse. Das Bild blieb für einige Sekunden auf dem Bildschirm, während im Hintergrund eine leise Musik dudelte.

    Und dort, genau in der Mitte des Bildschirms, prangte groß und deutlich ein „A in einem Kreis. Über der oberen Hälfte war, leicht bogenförmig an den Kreis angepasst, der Name des Ladens geschrieben: „Argot. Unter dem Kreis stand, etwas kleiner: „Goldschmiedemeister".

    Es war genau dasselbe „A" wie auf dem Schwert! Falk hastete nach oben in sein Zimmer und betrachtete das eingravierte Zeichen auf dem Schwert noch einmal von Nahem. Danach wurde er wieder unsicher. War es wirklich dasselbe Zeichen? Einen Buchstaben in einem Kreis als Symbol zu nutzen war sicherlich keine Seltenheit.

    Und doch schien ihm die Ähnlichkeit zu groß, als dass es ein Zufall sein konnte. Er kannte diesen Goldschmiedeladen, war wahrscheinlich schon Hunderte Male daran vorbeigekommen, schließlich befand sich die Unterlauengasse direkt im Stadtzentrum, beim Marktplatz. Er erinnerte sich, dass vor dem Laden ein Schild über der Tür hing, auf dem das Logo zu sehen war. Deshalb war ihm das Zeichen wahrscheinlich auch von Anfang an schon so bekannt vorgekommen. Nachdenklich betrachtete Falk die Waffe, die auf seinem Bett lag, blank geputzt und matt schimmernd. Dann fielen ihm seine Nudeln wieder ein.

    Kurz darauf saß er, den dampfenden Teller auf den Knien balancierend, im Wohnzimmer auf dem Sofa und beschloss, das Bündel heute Nacht nicht in die Saale werfen. Stattdessen würde er gleich morgen Vormittag zu diesem Laden fahren. Wenn das Logo des Goldschmieds tatsächlich dasselbe war wie das eingravierte Zeichen auf der Klinge, so würde er dort vielleicht in Erfahrung bringen können, woher das Schwert stammte, und wem es gehörte oder gehört hatte. Loswerden konnte er die Sachen später immer noch.

    Zufrieden über seine Entscheidung und die gelungene Tomatensoße schaltete Falk zu einem uralten Actionfilm, aß seine Nudeln, schaltete den Fernseher in der nächsten Werbepause aus, trottete nach oben in sein Zimmer, zog sich aus und ließ sich mit einem erleichterten Grunzen ins Bett fallen, wo er sogleich einschlief.

    Tag 3, Samstagmorgen

    Am nächsten Morgen erwachte Falk so ausgeruht wie seit Tagen nicht mehr. Er duschte, putzte sich die Zähne und rasierte sich, verzichtete auf ein Frühstück, und machte sich gegen zehn Uhr auf den Weg in die Stadt. Das Schwert nahm er, wieder in der Scheide und im Lederbeutel verstaut, in seinem Rucksack mit.

    Auch heute war die Luft klar, und die Sonnenstrahlen hatten die morgendliche Kühle schon vertrieben. Falk bog in die Karl-Liebknecht-Straße ein, wo er den Straßenbahnschienen in Richtung Stadtzentrum folgte, vorbei an Mehrfamilienhäusern, kleinen Kneipen und Geschäften, einer Kfz-Werkstatt und einem Supermarkt.

    Er erreichte die Camsdorfer Brücke. Die Saale war an die dreißig Meter breit an dieser Stelle und die Weiden an den Ufern wurden vom trübe schäumenden Wasser umspült. Noch vor wenigen Wochen hatte er Sandbänke im Flussbett gesehen, erinnerte sich Falk. Starke Regenfälle im August jedoch hatten den Fluss anschwellen lassen. Jetzt strömten braune schlammige Wassermassen unter der Camsdorfer Brücke hindurch und trieben Äste, Plastiktüten und quakende Enten vor sich her.

    Falk fuhr entlang der Straßenbahnschienen stadteinwärts, und bog dann nach links ab. Groß und klobig lag hier das Hauptgebäude der Universität, ursprünglich der Herzogssitz der Stadt. Falk war einmal in der großen Aula im Erdgeschoss gewesen, als Robs sein Studium begonnen hatte. Alle neuen Studenten waren feierlich begrüßt worden, und Falk war mitgekommen, weil die Schnittchen und der Sekt umsonst gewesen waren. Es gab hier auch einen sonnigen Innenhof, wo sich Efeu an den Wänden hochrankte. Hier konnte man im Sommer draußen sitzen und sich ein günstiges Essen aus der Mensa schmecken lassen.

    Die verschiedenen Institute der Uni waren in der ganzen Stadt verteilt. Das führte dazu, dass die Studenten meist zu Fuß unterwegs waren, um zu ihren jeweiligen Vorlesungsräumen, den Mensen oder den Bibliotheken zu gelangen. In den Cafés, Kneipen und Bars war man darauf eingerichtet, Frühstück noch nachmittags um fünf und Cocktails ab morgens um zehn zu servieren.

    Jetzt, in den Semesterferien, waren zwar weniger Studenten als sonst in der Stadt, aber Falk musste trotzdem langsam fahren, als nach rechts unter einem Tordurchgang hindurch in die Marktgasse einbog. Mütter schoben Kinderwagen durch die Gegend, außerdem waren Rentner unterwegs, die am Samstagvormittag ihre Besorgungen erledigten, sowie Familien, Schüler in kichernden Grüppchen und verschlafende Mittzwanziger. Falk bog gleich wieder links in die Unterlauengasse ab und schloss sein Fahrrad ab. Er ging kurz ein paar Schritte zur Sparkasse, wo er seinen Teil der Miete an Peter überwies. Wieder mal war damit sein Konto schon zum Anfang des Monats so gut wie leer. Falk trat hinaus in die Sonne. Hinter der Fleischerei an der rechten Seite der kopfsteingepflasterten Unterlauengasse konnte er schon das Messingschild sehen. Dort war der Goldschmiedeladen.

    Die Hände in den Hosentaschen, das Gewicht des Schwertes in seinem Rucksack spürend, schlenderte Falk die Gasse hinunter. Die Häuser hier waren schmal, fast alle mit kleinen Läden im Untergeschoss und Mietwohnungen darüber. Der Goldschmied Argot hatte sein Geschäft im Erdgeschoss eines gelb gestrichenen Hauses. Das Messingschild über der Tür war mittels filigran geschwungener eiserner Ranken an der Wand befestigt. Im Kontrast dazu standen die schlicht gearbeiteten Wörter ‚Argot’ und ‚Goldschmiedemeister’, die das große ‚A’ im Kreis umrahmten.

    Eine Glocke klingelte leise, als Falk durch die Tür in den Raum trat, der durch das einfallende Tageslicht sowie zahlreiche Lampen an den Vitrinen, in denen Ringe, Uhren, Ketten und anderer Goldschmuck auslagen, hell erleuchtet war. Hinter der Theke stand ein magerer Mann mit buschigem Schnauzer.

    Das musste wohl der Goldschmiedemeister Argot persönlich sein, sagte sich Falk. Argot hatte Falk nur kurz gemustert und sich dann wieder dem Pärchen zugewendet, das bei ihm an der Theke stand und mit gedämpften Stimmen über irgendwas diskutierte. Unschlüssig, was er tun sollte, betrachtete Falk die Schmuckstücke in den Vitrinen genauer. Als er einen breiten goldenen Ring in die Hand nahm, konnte er auf der Innenseite, winzig klein eingraviert, das Zeichen des Goldschmieds erkennen: das ‚A’ im Kreis.

    „Kann ich Ihnen helfen, junger Mann?"

    Urplötzlich war Argot neben ihm aufgetaucht. Er war bestimmt einen Kopf kleiner als Falk und hatte nur noch einen spärlichen grau-braunen Haarkranz am Kopf, der die glänzende Glatze umschloss, auf der bräunliche Altersflecken verteilt waren wie Kaffeespritzer.

    „Auf Wiedersehen.", verabschiedeten sich unterdessen die beiden Kunden von eben. Eine rundliche Frau, etwa in Argots Alter, die Falk vorher gar nicht bemerkt hatte, hielt ihnen die Tür auf, und ging danach hinter die Theke, während Argot neben Falk stehen blieb.

    „Äh, ich suche eigentlich was für meine Freundin…", improvisierte Falk.

    „Sie wollen heiraten? Glückwunsch."

    „Heiraten? Naja, eigentlich noch nicht."

    „Dann sind Sie hier bei den Trauringen aber falsch. Wir haben schönen Modeschmuck, gleich hinter Ihnen."

    Falk begann zu schwitzen. Meister Argot, wenn er es denn war, machte ihn nervös. Er sprach mit krächzender Stimme, seine kleinen Augen hinter der Brille lagen tief in den Höhlen und beobachteten Falk stechend.

    Ich könnte ihm das Schwert einfach zeigen, wer weiß, vielleicht würde er es kennen, überlegte Falk. Aber wie sollte er erklären, wo er es herhatte? Entschuldigung, ich habe ein altes Schwert mit Ihrem Zeichen drauf, wissen Sie da zufällig etwas drüber? Ich habe es übrigens aus einem verfallenen Holzhaus, in dem kurz darauf eine tote Frau gefunden wurde…

    Nein, er musste sich eine passende Erklärung zurecht legen, wie er dazu gekommen war. Vielleicht könnte er es auf dem Dachboden gefunden haben? Bei seinen Großeltern? Falk versuchte sich zu erinnern, wann er das letzte Mal eine vergleichbare Flunkerei auch nur halbwegs glaubhaft aufgeführt hatte, aber es gelang ihm nicht. Selbst im Schultheater war er nur für Licht und Ton verantwortlich gewesen, weil er als Schauspieler einfach kein Talent besaß.

    Argot war derweil hinter seine Theke zurückgekehrt, wo er irgendwas zu polieren begann. Er ignorierte die Frau, die neben ihm stand, warf dafür aber Falk in regelmäßigen Abständen misstrauische Blicke zu.

    Er würde hier nichts in Erfahrung bringen können, erkannte Falk enttäuscht, und wollte sich schon zum gehen wenden, als die Türglocke klingelte und gleich mehrere Kunden den Laden betraten. Jemand fragte mit heller Stimme:

    „Guten Tag, sind Sie Meister Argot?"

    Falk spitze die Ohren. Der Alte brummte zustimmend, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.

    „Das ist ja großartig, zu Ihnen wollte ich nämlich!", rief die junge Frau, die zu dem Goldschmiedemeister an die Theke getreten war, erfreut. Falk sah sie nur von hinten, sie war schwarz gekleidet, hatte streichholzdünne Beine und trug einen ausgebeulten schwarzen Bundeswehrrucksack auf dem Rücken, den sie nun abnahm und auf die Theke knallte, direkt unter Argots Nase. Der hatte ihr Lächeln nicht erwidert.

    „Ich möchte Sie wirklich nicht aufhalten, Herr Argot, Sie haben sicherlich sehr viel zu tun."

    Dabei machte sie eine unbestimmte Handbewegung in den Laden hinein. Falk erhaschte einen Blick auf ihr Gesicht und einen kleinen Stecker, der an ihrem Nasenflügel glitzerte. Glattes dunkelbraunes Haar fiel ihr in die Stirn und als sie es wegwischte, sah er, dass sie auch in der Augenbraue einen Piercingring trug.

    Argots Miene blieb starr, doch die junge Frau vor ihm redete unbeirrt weiter:

    „Deshalb will ich es auch ganz kurz machen. Ich mache eine Radiosendung über die Geschichte des Handwerks in Jena. Bei Radio OKJ, dem Offenen Kanal Jena, Sie wissen schon. Ach entschuldigen Sie, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt."

    Sie streckte Argot über die Theke hinweg die Hand hin, die dieser notgedrungen ergriff.

    „Carolina Schubert, Geschichtsstudentin, 9. Semester., erklärte sie. „Die Sendung wird ganz hervorragend passen zu der Ausstellung über das Jenaer Handwerk im Stadtmuseum, die gerade vorbereitet wird.

    „Das ist ja sehr schön, Fräulein Schubert, aber was habe ich damit zu tun?"

    „Nun, ich würde gerne ein Interview mit Ihnen führen, Herr Argot!", rief sie und strahlte ihn an, als hätte sie ihm soeben verkündet, dass er im Lotto gewonnen habe. Argot blieb stumm, was Carolina Schubert nicht zu stören schien.

    „Ihre Familie ist eine der ältesten Handwerksfamilien hier in Jena. So was muss man doch herausstellen, das ist unheimlich spannend. Mittelalter ist voll im Trend!"

    Aus dem Augenwinkel beobachtete Falk den Goldschmied, der nicht den Eindruck machte, als ob er sich auch nur im Geringsten für Trends interessierte. Und tatsächlich beschied Argot:

    „Für so etwas habe ich grade wirklich keine Zeit, Fräulein Schubert."

    „Vielleicht überlegen Sie es sich ja noch einmal. Ihre Vorfahren lassen sich über Jahrhunderte zurückverfolgen, es waren auch Waffenschmiede darunter, und Hufschmiede – glauben Sie mir, die Leute lieben solche Geschichten, die in die Vergangenheit, ins Mittelalter führen!"

    Falk traute sich kaum zu atmen, während er innehielt und das Armband, welches er seit einigen Minuten befingert hatte, unbeachtet in seiner Hand baumeln ließ. Er war froh, dass der Schmuckständer ihn halb vor der Theke verbarg. Als er jetzt einen unauffälligen Blick in die Richtung warf, sah er, dass Argot die junge Frau vor ihm aus zusammengekniffenen Augen musterte, wie einen Kratzer in einem Goldring.

    „Na gut. Rufen Sie mich heute Abend noch mal an." sagte er schließlich.

    *

    Carolina Schubert notierte sich die Telefonnummer und verabschiedete sich dann so zügig, als hätte sie Angst, Argot könne es sich noch einmal anderes überlegen. Falk beeilte sich, hinter seinem Schmuckständer hervor zu kommen, um ihr die Tür aufzuhalten, so wie es die Frau für die Kunden vorhin getan hatte, doch die Studentin war schon mit schnellen Schritten auf die sonnige Gasse hinaus getreten, wo sie stehen blieb, um in ihrem Rucksack zu kramen. Falk, der ihr gefolgt war, sagte:

    „Na, das ist aber ein ganz freundlicher, was?"

    Sie sah ihn überrascht an, kniff dann prüfend die Augen zusammen und sagte mit einem Schulterzucken:

    „Ach, diese alten Leute, sind immer erst mal misstrauisch."

    Sie fischte eine Packung Zigaretten aus ihrem Rucksack, zündete sich eine an und schien sich zum Gehen umwenden zu wollen. Falk überlegte nicht, die Eingebung war ganz plötzlich da.

    „Entschuldigung, dass ich dich jetzt so direkt frage, aber ich hab eben zufällig mitgehört und da hast du gesagt, du machst eine Sendung im OKJ…"

    Er grinste schief in der Bemühung, nicht aufdringlich zu erscheinen. Zumindest blieb sie stehen, und musterte ihn genauer. Kurz schien sie abzuwägen, ob er sie gerade anbaggerte, eine Bedrohung darstellte, oder schwachsinnig war. Schließlich blies sie Rauch aus und sagte:

    „Wieso, du bist wohl von der Konkurrenz, oder was? Lass mich raten: JenaTV?"

    Sie lachte, so als fände sie sich selber ziemlich witzig.

    Nicht im Geringsten!, versicherte Falk. Vielmehr interessiere er sich schon länger für den Radiosender. Er und ein paar Freunde seien nämlich dabei, ein Fußballturnier zu organisieren und hätten sich überlegt, dass etwas Werbung nicht schaden könne. Ob es da vielleicht eine Möglichkeit gäbe, beim OKJ?

    „Naja, so direkt Werbung ist eigentlich nicht erlaubt. Aber es kann jeder, der gerne etwas mitteilen möchte, dort eine Sendung produzieren. Kosten tut es nix. Ihr müsstet wahrscheinlich einfach eine Sendung über eure Truppe und euer Turnier machen. Wobei… Sie sah ihn abschätzend an und fuhr dann fort: „…mich persönlich als Hörer das vermutlich nicht die Bohne interessieren würde!

    Dabei prustete sie wieder los, als könne sie es gar nicht verhindern. Als sie sein verdattertes Gesicht sah, setzte sie hinzu:

    „Im Übrigen hab ich auch keine Ahnung, ob sich irgendwer für meine eigenen Sendungen interessiert. Ist aber egal. Der OKJ wird von öffentlichen Geldern finanziert, es gibt keine Einschaltquoten oder so. Du kannst dort also auch eine Stunde lang über Kartoffelbrei diskutieren, oder die Volksmusik deiner Tante einspielen. Bloß rechtsradikalen Scheiß, den darfst du natürlich nicht bringen!"

    Nachdem sie ihn einmal als ungefährlich eingestuft hatte, wirkte sie, als wäre es das Normalste der Welt, mit einem Fremden auf der Straße zu plaudern. Falk fiel auf, dass ihre Augen so tiefschwarz geschminkt waren, als hätte sie sie mit einem Edding umrandet. Er tat so, als würde er sich das Gesagte durch den Kopf gehen lassen. Auf den Gedanken, über das Turnier im OKJ zu berichten, war er noch nie zuvor gekommen und er war selber überrascht, wie locker ihm die Notlüge über die Lippen gekommen war. Andererseits, vielleicht war das ja sogar wirklich eine gute Idee? Gleichzeitig überlegte er, wie er das Gespräch wieder auf den Schmiedemeister Argot lenken könnte.

    „Also, mich würde das Thema deiner Sendung aber schon interessieren., sagte er schließlich unvermittelt. „Das mit dem Handwerk in Jena.

    „Das freut mich! Sie trat die Zigarette aus und fragte, plötzlich ganz geschäftig: „Kennst du noch weitere Handwerksbetriebe? Die richtig alt sind?

    „Naja, nicht direkt. Der Friseurladen, am Markt, den gab es auf jeden Fall schon zu DDR-Zeiten."

    Falks Mutter arbeitete in dem Laden und wurde nie müde, zu betonen, wie lange schon.

    „Nee, das ist nicht alt genug., meinte Carolina betrübt. „Was ich suche, sind mittelalterliche Betriebe. Und im Mittelalter gab es noch keine Friseure, da übernahmen die Bader das Haareschneiden.

    Es entstand eine kurze Pause, in der beide unschlüssig herum standen. Ganz offensichtlich wusste Carolina Schubert nicht, was er von ihr wollte. Kein Wunder, dachte Falk, das wusste er ja selber auch nicht so richtig. Am Ende sagte sie aufmunternd:

    „Du kannst dich ja mal auf der Internetseite des Senders umschauen. Wenn ihr euren Fußballkram im Radio vorstellen möchtet, findest du dort alle wichtigen Informationen. Und wenn es dich interessiert: da steht auch, wann meine nächste Sendung läuft. Ich glaube, in drei Wochen. Muss mich langsam echt ranhalten. Bisher habe ich nur einen Steinmetz gefunden, der mir ein Interview geben wollte."

    Mit diesen Worten wandte sie sich zum Gehen, sagte aber noch über die Schulter:

    „Ich bin übrigens Caro. Wenn du auf der Seite vom OKJ nach meinem Namen suchst, findest du auch meine Email-Adresse. Falls dir doch noch ein mittelalterlicher Handwerksbetrieb einfällt!"

    Sie winkte und entfernte sich dann mit so schnellen energischen Schritten, dass entgegenkommende Passanten ihr ausweichen mussten.

    Ich bin Falk, dachte er. Schön, dich kennen zu lernen.

    *

    Während er zu seinem Fahrrad zurückging, fragte sich Falk, ob Caro ihn nun für den letzten Depp hielt. Wobei, auch wenn sie ihm nicht gleich ihre Telefonnummer gegeben hatte, so doch immerhin den Hinweis, wie er mit ihr in Kontakt treten könnte. Und vielleicht könnte sie ihm ja wirklich helfen? Sie war selber an Argot interessiert, und schien sogar ziemlich gut Bescheid zu wissen über den alten Goldschmied – immerhin hatte sie ihn auf dessen Vorfahren angesprochen.

    Somit war sein vormittäglicher Ausflug auch nicht ganz umsonst gewesen, denn zumindest wusste er nun, dass der Betrieb der Familie Argot schon sehr lange in Jena ansässig war – einer der ältesten Handwerksbetriebe der Stadt, hatte Caro gesagt -, und dass die Argots früher Waffenschmiede gewesen waren. Es war also durchaus möglich, dass einer der Vorfahren von Franz Argot das Schwert hergestellt hatte. Das Schwert, das er nun in seinem Rucksack herumtrug.

    Er könnte wirklich versuchen, über die Internetseite vom Offenen Kanal Jena Kontakt zu Caro aufzunehmen, dachte Falk. Versuchen, herauszufinden, was sie alles über Franz Argot und dessen Vorfahren wusste. Offensichtlich

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1