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Dhenari: Hüter der Portale
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eBook243 Seiten3 Stunden

Dhenari: Hüter der Portale

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Über dieses E-Book

Die Dhen Sachain sind die älteste Rasse des Universums und besitzen die Fähigkeit, mit reiner Willenskraft Wurmlöcher zu erschaffen, die sie an jeden Ort in der Galaxis bringen. Dreißig Jahre nach einem Krieg, der ihren Ruf vollständig ruiniert hat, leben die letzten Dhen zurückgezogen auf einem Dschungelplaneten und versuchen, das alte Wissen zu bewahren und weiterzugeben. Als die junge Aki ihren Mentor auf eine Rettungsmission begleitet, muss sie erkennen, dass eine vorschnell getroffene Entscheidung weitreichende Folgen haben kann und die Dhen Sachain womöglich doch die Bösen in der Geschichte sind.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum24. Okt. 2018
ISBN9783742721037
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    Buchvorschau

    Dhenari - Jessica Franke

    Prolog

    Die Klinge ihres Schwerts durchbohrte seine Brust, und für einen Augenblick erstarrte das ganze Universum angesichts ihrer Grausamkeit. Stille brandete über sie hinweg. Mit einem Ruck zog sie ihre Waffe heraus, während der Mann in sich zusammensackte und nach einem kurzen Moment des Zögerns zur Seite kippte. Es dauerte lange, bis das Blut auf dem bestickten Brokat seines Gehrocks als dunkler, sich ausbreitender Fleck sichtbar wurde. An der Spitze ihrer breiten Klinge glänzten nur einige hellrote Schlieren. Der Tod dieses Mannes wurde zur Beiläufigkeit, da war keine Schuld, keine Reue, nur ein fast betäubendes Gefühl von Macht. Das also war sie.

    Part I

    Die Kindheit dauert so lange, wie du möchtest.

    Lässt du sie erst hinter dir, gibt es kein Zurück.

    (Sprichwort von Namia)

    Kapitel 1 – Veränderungen

    Die Bäume Lethiels schüttelten ihre Kronen im morgendlichen Wind und scheuchten die noch schlafenden Vögel auf. Nur langsam kletterte die milchige Helligkeit über den Horizont und vertrieb die kalte Luft, während einige der übereifrigen Blütenpflanzen bereits ihren Duft verströmten und die Insekten aus ihren Nachtquartieren lockten.

    Als ein lauter Paarungsruf vom Fluss ertönte, blickte Fandra auf. Wie an jedem Tag saß sie bereits seit der Dämmerung hier draußen und genoss die Ruhe des Dschungels, bevor die Pflicht rief. Es war ein Privileg, dass sie Lethiel und die Akademie ihr Zuhause nennen durfte, das war ihr nie bewusster als in diesen stillen Momenten. Das Leben draußen war seit dem Krieg hart geworden. Selbst fast dreißig Jahre nach seinem Ende vergaßen die Menschen nur zögerlich, in welches Chaos die Dhen sie gestürzt hatten.

    Es war angesichts dessen ein Wunder, dass man sie hier in Ruhe neue Dhen Sachain ausbilden ließ. Aber selbst die größten Zweifler hatten inzwischen eingesehen, dass es einen Grund für ihre Existenz geben musste. Einen Grund dafür, dass immer noch Kinder geboren wurden, die tief in die Struktur des Universums eingreifen konnten.

    Der Lockruf des Vogels erklang ein zweites Mal, näher diesmal, und Fandra erhob sich aus dem vergilbten Gras, das vor dem Gebäude wuchs, das sie ein wenig großspurig Akademie nannten. Es war nichts als ein alter Tempel einer vor Äonen untergegangenen Zivilisation, erbaut aus sandfarbenen Steinblöcken, die sich hoch über den Dschungel erhoben und am Eingang von vier dicken Säulen flankiert wurden. Auf dem Planeten gab es hunderte solcher Gebäude, deren Bedeutung mit den Ureinwohnern untergegangen war. Der Ort war magisch und erdverbunden zugleich, und allen Unannehmlichkeiten zum Trotz war er zum Inbegriff ihrer Existenz geworden, seit der Krieg eine breite Schneise in ihre Reihen geschlagen hatte.

    Als sie einen Fuß auf die erste der grauen Steinplatten vor dem Eingang setzte, hörte Fandra einen weiteren Schrei. Mit ihren geschulten Ohren erkannte sie sofort, dass sich kein Partner für den einsamen Vogel eingefunden hatte, vielmehr machte sich eine gewisse Schülerin einen Spaß daraus, ihn zu ärgern. Automatisch blickte Fandra nach oben und sah das Mädchen kurz aus einem der Fensterlöcher winken, dann setzte sie ihren Weg fort.

    Aki Lavantin zog hastig ihren Kopf zurück, ließ die grob behauene Fensterbank los und tapste über ihr Bett, das genau unter dem Fenster stand und ihr als Leiter diente. Ihre Füße berührten nur für einen Sekundenbruchteil den eiskalten Boden, bevor sie sich wieder aufs Bett fallen ließ und erst einmal nach ihren Schlappen suchte, die sich irgendwie unter ihr Bett verirrt hatten.

    Es war noch früh, doch Aki war ein Morgenmensch und bereits seit einer geraumen Weile wach. Dass sie die Zeit damit verbrachte, aus dem Fenster zu schauen und Vögel zu ärgern, war pädagogisch betrachtet freilich beklagenswert. Langsam aber sollte sie sich sowieso für den Tag fertig machen, wenn Fandra schon mit ihrer täglichen Meditation fertig war.

    Sie band sich nachlässig ihre dunklen Locken zu einem Pferdeschwanz zusammen und zog aus dem Kleiderstapel auf ihrem Tisch eine dunkelgrüne Hose und ein cremefarbenes Hemd. Nichts, womit sie auffiel, denn über kurz oder lang entwickelte hier jeder einen ähnlichen Kleidungsstil. Das schwüle Klima und die Anforderungen des Trainings waren am Ende überzeugender als irgendwelche Moden, obwohl es natürlich trotzdem genügend Schüler gab, die es versuchten. Als sie sich fertig angezogen hatte, schlüpfte Aki in die hohen Schnürstiefel, die ihr ihre Mutter geschenkt hatte, brachte ihr Bett flüchtig in Ordnung, und verließ das Quartier in Richtung Speisesaal.

    Der alte Tempel, in dem sie sowohl lebten als auch lernten, war sicherlich einst zu einem ganz anderen Zweck errichtet worden. In den wenigsten Quartieren waren in den Gründungstagen der Akademie Fensterlöcher in die Wände geschlagen worden, und die engen Gänge, die das Gebäude wie Adern durchzogen, bildeten ein Labyrinth, in dem nahezu jeder Schüler zu Beginn seiner Ausbildung mindestens einmal verloren ging. Das Herzstück aber war eine riesige Halle im Erdgeschoss, deren Decke sich irgendwo in der Dunkelheit verlor, und die eine Akustik besaß, auf die so manche Oper auf der Hauptwelt neidisch war. Für sie war dieser Raum Speisesaal, Versammlungshalle, Treffpunkt und Marktplatz in einem.

    Die Dramen, die sich hier jeden Tag aufs Neue abspielten, interessierten vor allem Akis Schwester Ezra. Während sie gedankenlos ihr Müsli in sich hinein schaufelte, wanderte ihr Blick über die Schar von Schülern, die an runden Tischen saßen und den Saal mit einer Kakophonie unterschiedlicher Stimmen und Sprachen füllten.

    Niemand käme auf den absurden Gedanken, dass sie und Aki miteinander verwandt waren, denn Ezra wirkte mit ihren kurzen blonden Haaren und den schlanken Gliedern ungleich zarter. Sie war auch bei weitem die Ruhigere und Besonnenere von ihnen beiden. Überhaupt nur wegen ihr und ihrem Ehrgeiz waren sie hier. Ihr Vater mochte einer der Gründer der Akademie sein, aber Aki hatte herzlich wenig Interesse daran gezeigt, ihren Titel als Partykönigin von Namia aufzugeben. Eigentlich wusste Ezra bis heute nicht, wieso sie mit nach Lethiel gekommen war.

    Als sie Aki entdeckte, winkte sie ihr zu, aber ihre Schwester machte noch einen Umweg zum Büfett, bevor sie sich mit einer Schale Obstsalat zu ihr an den Tisch setzte. Gleich darauf gesellte sich Mek'to-bar Evarankontelyys zu ihnen und strich sich dabei wie üblich seinen viel zu langen Pony aus dem Gesicht.

    Mek'to-bar war zwar ein wenig älter als die beiden Mädchen, aber mit seiner zurückhaltenden Art wirkte er häufig wie ein kleiner Junge, der sich verlaufen hatte. Im Grunde war er nur mit Ezra befreundet, Aki hatte er irgendwie gratis mit dazu bekommen und war sich immer noch nicht sicher, ob er sich darüber nun freuen sollte oder nicht.

    „Schaut, sagte Mek'to-bar und nickte in Richtung des offenen Vorraums der Akademie, wo sich im blendenden Licht eine Silhouette abzeichnete. „Schon wieder eine neue Dhen.

    Aki drehte sich um. „Die Zweite innerhalb von drei Tagen", stellte sie nüchtern fest und wandte sich dann wieder Ezra und Mek'to-bar zu, die weiterhin gebannt die Frau beobachteten, die zielstrebig zu Fandras Tisch lief. Sie trug den dunkelroten Umhang einer voll ausgebildeten Dhen Sachain und hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, so dass nur einige ihrer hervorquellenden blonden Locken und ihr weicher Gang verrieten, dass es sich um eine Frau handelte. Die Beiden nickten, um Akis Bemerkung zu bestätigen, sagten aber nichts.

    Aki drehte sich nochmals um und sah gerade noch, wie die Frau Fandra die Hand schüttelte, bevor beide in dem Gang verschwanden, der zu ihrem Büro führte. Als sie aus ihrem Blickfeld verschwunden waren, wandte sie sich wieder ihrem Obstsalat zu.

    „Vielleicht ist das das Sammeln der Kräfte, von dem Renga spricht."

    „Also, diese Prophezeiung ist so schwammig, dass damit genauso gut das Frühstück in zwei Wochen gemeint sein kann", bemerkte Aki.

    „Abgesehen davon sind schätzungsweise neunzig Prozent der Vorhersagen in exakt dem Moment wertlos geworden, als der Krieg begann", ergänzte Mek'to-bar.

    Ezra verzog genervt den Mund. „Ich sag ja nur, dass es auffällig ist."

    „Was? Dass Fandra neue Lehrer einstellt? Aki ließ den Löffel klappernd in die leere Schüssel fallen. „Wie auch immer, ich geh zum Training.

    „Ach ja, dein neues Hobby. Ezra rollte mit den Augen. „Was hat es damit auf sich?

    „Ich entwickle mich weiter, antwortete sie schulterzuckend. „Weißt du, Dhen sein ist ja gut und schön, aber man muss doch auch mal irgendwas anderes machen.

    „Und da fällt die als erstes Tanzen ein?" fragte Ezra zweifelnd.

    „Tibi-Cho ist kein Tanz, wie oft soll ich das denn noch sagen? Es ist ein Kampfsport."

    „Ich glaube nicht, dass ein Gegner das genauso sähe."

    Aki kniff die Lippen zusammen und erhob sich, um ihre Schüssel wegzubringen. Auf dem Weg warf sie einen schnellen Blick auf den Speiseplan und sah, dass es heute Mittag nur eine Suppe gab. Also nahm sie sich vorsichtshalber eine orangerote Herzfrucht mit und kehrte damit an den Tisch zurück. „Ich geh dann mal. Mag einer mitkommen?"

    „Nee", machten Ezra und Mek'to-bar gleichzeitig.

    Aki hob nur die Schultern und verschwand durch die schmale Türöffnung wieder in das Labyrinth aus Gängen.

    Es war früh damit begonnen worden, den Tempel zu unterkellern, weil man hoffte, auf diese Weise Platz für weitere Quartiere schaffen zu können. Es stellte sich allerdings schnell heraus, dass es unter der Erde deutlich kühler war, weshalb man stattdessen die Trainingsräume dort untergebracht hatte.

    Auf dem Weg zu einem davon lauschte Aki aufmerksam, ob schon jemand vor ihr da war. Morgens, wenn die meisten Schüler noch beim Frühstück waren oder ihren Privatangelegenheiten nachgingen, war praktisch die einzige Möglichkeit, einen der Räume für sich allein zu haben. In weniger als einer Stunde träfen die ersten Schüler ein, um ihr Kampftraining zu absolvieren oder Ausdauerübungen zu machen. Dinge, die Aki mittlerweile im Schlaf beherrschte.

    Sie hatte hier schon so ziemlich alles ausprobiert, bis hin zu Meditation, für die ihr jedoch eindeutig Fandras Geduld fehlte. Und es war nicht nur die Langeweile, immer wieder ergriff sie eine schwer in Worte zu fassende Furcht davor, was nach der Akademie kam. Es wurde viel und hochtrabend von Vergebung gesprochen, von einem Neuanfang für die Dhen, doch in Wirklichkeit lebten sie alle in einer Art Stasis. Was gab es schon für sie da draußen? Kein Wunder, dass sich Fandra derart an ihre Lehrtätigkeit klammerte. Und so suchte Aki. Und versuchte sich abzulenken.

    Vor knapp zwei Monaten dann hatte ihr ihre Tante Niema von einer neuen Modesportart namens Tibi-Cho erzählt, der die Highsociety derzeit frenetisch nachging. Aki hielt zwar nicht viel von Modeerscheinungen, aber die Technik gefiel ihr, deshalb recherchierte sie ein wenig und fand heraus, dass es sich dabei um eine Abwandlung eines sehr alten Kampfsports vom Planeten Ceti 8 handelte. Tibi-Cho war – entgegen der Meinung der bessergestellten Damen Namias und Beranns – kein Tanz, sondern eine geradezu meditativ verlangsamte Kampftechnik, bei der man jede einzelne Bewegung erkennen konnte und deshalb besonders gewissenhaft ausführen musste.

    Aki streckte sich und dehnte ihre Muskeln, bevor sie die Augen schloss und alle Gedanken aus ihrem Geist verbannte. Sie lauschte ihrem Herzschlag, bis der Rhythmus ihren ganzen Körper erfasste, verlangsamte ihre Atmung und verfiel in einen fast Trance-artigen Zustand. Ihr Körper begann ganz von selbst mit den Bewegungen, bis sie nur noch Geist zu sein glaubte. Sie vergaß die Welt und meinte, die Welt müsse nun auch sie vergessen.

    Als Yan-Ivo Tekwaran an die Akademie zurückgekehrt war, hatte er anfangs noch gehofft, es fiele ihm leicht, sich wieder dort zurechtzufinden. Doch selbst nach drei Tagen fühlte er sich wie der hagere Jugendliche, der er bei seinem ersten Besuch auf Lethiel gewesen war. Die Gänge sahen alle gleich aus, vor allem im Keller, wo man die großen Sandsteinquader mit Stahl verkleidet hatte. Erst als er das leise Schlurfen von Schuhen auf den Steinfliesen hörte, wusste er, dass er richtig war, und öffnete die Tür zu einem spärlich beleuchteten Trainingsraum.

    Yan-Ivo sah man nicht sofort an, dass er ein Dhen Sachain war. Er trug ein weißes Hemd zu grauen Hosen und dazu eine schwarze Weste, die unnötig war, ihm aber das verwegene Aussehen eines Schmugglers verlieh, was gewisse Vorteile hatte. Er war groß und drahtig, sein Gesicht schmal und jung, und unter den dichten Augenbrauen leuchteten blaue Augen, die aufmerksam das Mädchen beobachteten, das völlig in sich selbst versunken einen seltsamen Tanz zu vollführen schien.

    Die Stärke, die aus den präzisen Bewegungsabläufen sprach, zeugte von erstaunlicher Körperbeherrschung. Das Mädchen war siebzehn Jahre alt, hatte Fandra ihm gesagt, auch wenn sie ihm jetzt ein bisschen klein für ihr Alter vorkam. Dennoch, es war lange her, seit er jemanden so vollkommen in Bewegung hatte aufgehen sehen.

    Er beobachtete sie einige Minuten lang, bis sie die Bewegung langsam ausschwingen ließ und die Augen öffnete. Sofort veränderte sich ihre Haltung und sie sah ihn finster an. Yan-Ivo fiel wieder ein, dass Fandra ihm auch ihren Namen genannt hatte. Akimané Libertates Lavantin. Die Tochter eines der wichtigsten Dhen der jüngeren Geschichte und einer vermutlich stark unterschätzten Frau aus dem Wüstenvolk von Simintaar.

    „Akimané, sagte er und versuchte, es wie eine Frage klingen zu lassen. Sie antwortete nicht, reagierte nicht einmal mit einem Zwinkern. Fast musste er über diesen Starrsinn schmunzeln. „Mein Name ist Yan-Ivo Tekwaran, fuhr er fort und beobachtete aufmerksam ihre Augen, die ihm als einziges Aufschluss über ihre Gedanken gaben konnten. Sie starrte ihn feindselig an, aber der Name Tekwaran konnte ihr nicht gänzlich unbekannt sein. Die Gemeinde der Dhen Sachain war klein geworden.

    „Aki, erwiderte sie schließlich und wandte sich gleich wieder von ihm ab, bevor er reagieren konnte. Er wartete geduldig, bis sie zum anderen Ende des Raums gelaufen war, um sich eines der im Halbdunkel bereitliegenden Handtücher zu nehmen. Sie ließ ihr gerötetes Gesicht darin versinken, verharrte einen Augenblick und warf es sich anschließend über die Schulter. Auf dem Rückweg zu ihm fragte sie: „Was wollen Sie?

    Sie legte großen Wert darauf, ihm das Gefühl zu geben, er habe sie bei etwas Wichtigem gestört, doch es war nicht seine Aufgabe, sie deshalb zurechtzuweisen. Zumindest noch nicht. Stattdessen antwortete er: „Fandra möchte dich sehen."

    Aki nickte, griff nach einer Herzfrucht, die ein wenig verloren neben dem Eingang lag, und lief an ihm vorbei, ohne darauf zu achten, ob er ihr folgte oder im Trainingsraum zurückblieb.

    Als Yan-Ivo hinter ihr durch die verwinkelten Gänge lief, spürte er deutlich, wie sehr sie sich darum bemühte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er sie nervös machte. Um sich und ihn abzulenken, knabberte sie geräuschvoll an ihrer Frucht.

    Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie Fandras Arbeitszimmer, dessen Tür ausnahmsweise nur angelehnt war. Yan-Ivo merkte, dass Aki kurz davor war, die Tür einfach vor seiner Nase zufallen zu lassen. Die Anwesenheit von Ezra, Mek'to-bar und den zwei neuen Dhen lenkte sie gerade noch rechtzeitig ab. Er trat nach ihr ein und gesellte sich zu den beiden Frauen, die mit Fandra warteten.

    „Ah, Aki, begrüßte Fandra sie mit jener unerschütterlich freundlichen Art, die einen unter gewissen Umständen zur Weißglut treiben konnte. „Ich hab mich schon gefragt, ob unser Freund dich wohl findet.

    Da Aki nicht reagierte, zog sie ihr Lächeln noch ein wenig mehr in die Breite und setzte dann zu einer Erklärung für diese Versammlung an. „Aki, Ezra, Mek'to-bar, ihr erinnert euch sicher noch, dass wir darüber sprachen, dass viel von unserem Wissen im Krieg verloren gegangen ist."

    Das war zweifellos die Mutter aller Untertreibungen. Der Krieg mochte vielleicht nicht das ursprüngliche Ziel erreicht haben, alle Dhen zu töten, aber er hatte sie sehr erfolgreich ausgerottet. Wer damals nicht gestorben war, war untergetaucht und hatte versucht, sein altes Leben zu vergessen. Nur unbelehrbaren Dhen wie Fandra oder Akis und Ezras Vater Rafal war es zu verdanken, dass ihr altes Erbe nicht gänzlich verloren gegangen war. Nach und nach schlossen sich andere dem Vorhaben an, das verbliebene Wissen zu bewahren, doch es blieb bruchstückhaft, gesammelt aus den Erinnerungen an die eigene Ausbildung. Eines wussten sie alle: Die Akademie konnte nur eine Übergangslösung sein. Ihre Fähigkeiten waren viel zu komplex, um sie einem genormten Lehrplan zu unterwerfen.

    Unwillkürlich blickte Aki zu den drei Dhen und versuchte, ihr Alter einzuschätzen. War es tatsächlich möglich, dass sie noch nach der alten Methode ausgebildet wurden? Unwahrscheinlich, beschloss sie, keiner von ihnen sah älter als dreißig aus, bei ihrer Geburt war der Krieg gerade erst zu Ende gewesen.

    „Ich habe mich lange mit Rafal über euch unterhalten, wisst ihr. Es ist offensichtlich, dass ihr vom Unterricht nicht mehr gefordert werdet, fuhr Fandra fort. „Es ist übrigens äußerst lobenswert, dass ihr ihn trotzdem so stoisch ertragt.

    Aki entging der strenge Blick in ihre Richtung nicht, aber sie tat, als erfordere etwas auf Fandras Schreibtisch ihre volle Aufmerksamkeit. Sie war nicht stolz darauf, dass sie den Unterricht immer öfter schwänzte oder geradezu boshaft Lösungen verriet, ohne den anderen Schülern eine Chance zu geben. Sie wusste, dass sie längst nicht am Ende des Weges angelangt war, aber die immer gleichen Übungen waren für sie alle drei zur Routine geworden, die weder ihren Geist noch ihren Körper sonderlich forderten. Sie traten buchstäblich auf der Stelle.

    „Nach reiflicher Überlegung haben wir deshalb beschlossen, das alte Ausbildungskonzept der Dhen Sachain probehalber wiederzubeleben. Auf die Weise erhält hoffentlich jeder von euch eine seinem Grad angemessene Ausbildung."

    Es dauerte einige Augenblicke, bis das Gesagte in ihren Köpfen ankam. Die Akademie war eine Erfindung der Nachkriegszeit, ein Provisorium, weil sie nur noch so wenige waren. Früher waren junge Dhen vor einen Ältestenrat getreten, der den Grad ihrer Fähigkeiten einschätzte. Offiziell gab es vier solcher Grade, unter der Hand war aber stets noch ein fünfter gehandelt worden. Anschließend schlugen die Ältesten einen Dhen Sachain als

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