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Flirrendes Licht: Roman
Flirrendes Licht: Roman
Flirrendes Licht: Roman
eBook278 Seiten3 Stunden

Flirrendes Licht: Roman

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Über dieses E-Book

Zwei Geschwister sehen sich wieder im Haus ihrer Kindheit, Jugend. Wegen der Deutschen Teilung haben sie sich jahrzehntelang nicht treffen können. Zeit: kurz nach der Wiedervereinigung.
Das Haus ist das alte Sommerhaus der Familie. Anfang des Krieges, als die Bombenangriffe losgingen, hatte der Großvater Frau und Tochter mit ihren beiden Kindern aus Berlin in dieses Haus übersiedeln lassen, weil er ahnte, was durch den Krieg in der Großstadt passieren würde. So war es gekommen, dass Freya, Helmut in dieser abgelegenen Gegend der Uckermark aufwuchsen.
Als Kinder hatten sie hier ein sehr freies Leben geführt, waren im Dorf zur Schule gegangen, hatten immer alles zusammen gemacht - gespielt, gelesen, Schularbeiten erledigt, diskutiert. Kaum beaufsichtigt von den Erwachsenen, weil die in den schweren Kriegs-, Nachkriegsjahren mit Überleben beschäftigt waren. Meistens hatten sich die Kinder damals draußen oder in dem alten kleinen Nebengebäude aufgehalten, das ursprünglich einmal der Stall für die Kutschpferde gewesen war - doch stets hatten sie alles gemeinsam gemacht. Bis es dann in ihrer Jugend zur endgültigen Trennung gekommen war.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum6. Aug. 2018
ISBN9783742726865
Flirrendes Licht: Roman

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    Buchvorschau

    Flirrendes Licht - Dieter Pflanz

    1

    Es war heiß, sein Rücken schwitzte. Er spürte das Hemd unter dem Rucksack nass werden. Und das schon am Anfang! Vielleicht doch keine gute Idee, den letzten Weg zu Fuß laufen zu wollen - .

    Völlig unbekannt. Dunkel unter den hohen Buchen, obwohl draußen die Sonne schien. Hinter den Erlen, Buchen unten am Wasser, am anderen Ufer, dessen Hang steil abfiel, Wiesen, Büsche, Gärten, Häuser nur oben auf der Kante. Kaum zu sehen, einige Dächer, Wände mit Fenstern, darunter zwei, drei Schuppen, ein Gartenhaus, das rund und vornehm aussah. Wahrscheinlich weil es weiß gestrichen war. Vornehm rund und nicht klein, noch von vor dem Krieg. Vielleicht sogar von vor dem Ersten, obwohl das Holz diese lange Zeit schwer überlebt haben konnte. Und dann noch im Hang oberhalb des Wassers. Bestimmt feuchte Luft, fast ständig. Oder es war ein Neubau, ziemlich neuer, nach Plänen der guten alten Zeit. Sozusagen Nostalgiebau ... nach uralten Plänen. Aus der Erinnerung, für die Erinnerung: fürs gute Gefühl - .

    Er konnte alles deutlich sehen, obwohl über fünfhundert Meter, tausend weg. Der See hier am unteren Ende nicht breit. Tief eingeschnitten und nicht breit, drüben die Wiesenhänge, auf dieser Seite Wald. Auch drüben etwas Wald, links hinten, weiter weg, hinter den Wiesen, wo‘s keine Häuser mehr gab. Aber anderer Wald: Kiefern anscheinend. Die abfallenden Grashänge früher für die Häuser zum Überleben. Gärten, Schafe, Ziegen, vielleicht ab und zu eine Kuh. Und unten ein alter Kahn zum Fischen.

    Die meisten Hänge, die er zwischen den Bäumen hindurch einsehen konnte, sahen so aus, wie wahrscheinlich früher. Nur der weiß leuchtende Pavillon fiel aus dem Rahmen: wollte etwas Besseres sein - . Eindeutig! Auch das Boot unten, die Boote. Ein solides Anlegerfloß, Holzfläche über großen Tonnen, und darauf eine weiß gestrichene Bank. Ebenfalls grell weiß.

    Eindeutig: die wollten was Besseres sein!

    Frage nur, ob schon zu sozialistischen Zeiten - . Oder noch.

    Er hievte den Rucksack ab, setzte ihn auf den sandigen Weg, wollte nach dem Fernglas suchen, um die Einzelheiten drüben genauer erkennen zu können. Schon hatte er die Schnürung gelockert, als er laut „Nein!" sagte.

    Er verschloss den Rucksack wieder, hob ihn zurück auf die Schultern, ließ aber den Bauchgurt offen, damit Luft unter die Rückenauflage kam. Der Weg sandig mit tiefen Einfurchungen von Regenbächen, Treckern, vielleicht auch anderen Autos. Doch schwer vorstellbar, dass hier häufig normale Autos fuhren, müssten ständig von einer Wegeseite auf die andere wechseln, um mit den Bodenblechen nicht aufzustoßen. Selbst das Gehen schwierig, ständig drückten sich die Fußspitzen tief ein, rutschten zur Seite weg. Doch zum Glück Schatten. Immer noch Buchen, jedoch jünger, dünner als unten, und vermischt mit Kiefern.

    Während er ging, überlegte er, wie in dieser sandigen Erde Buchen wachsen konnten. Vielleicht reichten die Wurzeln tief runter ins Grundwasser vom See, mehr als fünfzehn, zwanzig Meter waren es nicht. Oder es gab unter dem Sand Lehm, Ton, Geschiebeflächen, noch von der Eiszeit her, und der Sand war erst später aufgeweht worden. Außerdem war dies eindeutiger Nordhang, kaum der prallen Sonne ausgesetzt, selbst ohne die Bäume nicht.

    Der Weg zog sich in leichtem Bogen den Berg hoch, war weit zu überblicken, bestimmt einen Kilometer weit. Oder fast. Doch oben, wo er in der Biegung verschwand, wurde es heller, sonniger. Wohl andere Baumarten, Schonungen, niedrigeres Gehölz, - mit Sicherheit heißer, aber vielleicht auch ebener, leichter zu gehen.

    Er beschleunigte den Schritt, um die einsehbare Wegstrecke schnell hinter sich zu bringen. Markierungen, die nach Wanderzeichen aussahen, gab es nicht mehr, nur ab und zu kryptische Zeichen an Baumstämmen, die nach Forstzeichen aussahen. Irgendwelche Hinweise für Holzabholung, Kartierungen, vielleicht Besitzanzeigen wenn es Privatleuten gehörte. Obwohl hier bestimmt wenig privat, nach vierzig, fünfzig Jahren Staatswirtschaft - . Oder: grade wieder! Restitution - die Klöster, Kirchen, Güter hatten sich sofort alles wieder unter den Nagel gerissen.

    Der Weg wurde sehr heiß. Der Sand, die hellen Steine reflektierten die Sonne, die wegen der dünnen Äste der Kiefern kaum Schatten warf. Er spürte, wie der Schweiß am Rücken herunterlief, schob die Finger unter die Rucksackauflage, um zu kühlen. Auch die Beine wurden wieder schwer, wie jedesmal wenn er zu schnell zu steile Berge anging. Die Venen der Unterschenkel schmerzten, bestimmt schon angeschwollen. Er zog mühsam die Hosenbeine hoch, mit einigem Drehen der Füße im Sand, und sah, dass die Waden dick waren.

    Hatte keinen Zweck - . Er setzte sich auf eine Fahrspurkante, stützte den Rucksack auf der Erde ab. Sonst riss noch der Film. Wie damals in der Nacht im Wald, als so schön Schnee lag und Vollmond schien. Er grinste. Und so was dann in einem fremden Wald.

    Völlig fremd, überhaupt nicht nachvollziehbar, dass sie diesen Weg früher ständig gelaufen waren - . Nicht die geringste Erinnerung. War natürlich schon Jahrzehnte her, an die vier, um genau zu sein. Oder er hatte sich verlaufen, und es war überhaupt nicht der richtige Weg.

    Wahrscheinlich der falsche - aber oben wurde es heller. Niedrige Schonungen oder Ackerland, Wiesen. Er ging langsam weiter, schlurfte fast über den sandigen Boden. Der Druck in den Beinen hatte aufgehört, nur die Stützstrümpfe fühlten sich feucht an: die Haut unten den engen Stützstrümpfen. Doch es war Wind aufgekommen, der angenehm von hinten blies, aus östlicher Richtung. Er war fast auf der Kuppe. Der Wind war schon da, und das Haus damals hatte auf der Kuppe gelegen: - doch nicht verlaufen!

    Er ging schneller, nach einigen hundert Metern erkannte er, dass das hellere Licht hinten den Bäumen von Wiesenflächen herrührte. Der Weg ging in eine Art Hohlweg über: rechts weiter die Kiefern des Waldes, links eine mit Büschen bewachsene Böschung, dahinter riesige Wiesenflächen. Soweit man sehen konnte nur Gras, das hinten wieder verschwand, wohl nach unten verschwand, in einen Hangabfall. Keine Häuser, keine Mauern, Zäune, Felsen - nur Gras. Es sah aus, als löse sich diese riesige Fläche in den Himmel auf. Nahtloser Übergang von Gras zu Himmel: grüngraues Gras ... flirrendes Licht ... graublauer Himmel - . Keine Wolken. Nur Wind, der am Böschungsrand das höhere Gras, Blätter bewegte. Das Gras auf den Flächen war zu kurz, als dass man daran den kräftigen Wind erkennen konnte. Dicht hinter dem Wald - am oberen Rand des Waldes, durch den er gekommen war - lagen riesige Mengen gemähtes Gras. Nicht Heu, sondern Grasberge, alt, angefault, wie die illegal entsorgten Garten-, Grasabfälle auf dem Land an Waldrändern, nur dass die Mengen hier weitaus größer waren. Riesig, hundertfach größer, der Anblick deprimierend, besonders gegen den schweifenden Blick nach rechts auf die weiten Flächen. Und den Himmel.

    Er ging in den Hohlweg, der steiniger war als der Weg vorher. Die Büsche hinter ihm verdeckten den abstoßenden Blick auf die riesigen Grashaufen, die Sträucher, Bäume links auf der Böschung wurden höher, warfen wieder Schatten. Und plötzlich sah er in dunkleren Rinnen Äpfel liegen, hellgelbe Äpfel gegen grauen Stein. Er bückte sich, hob einen Apfel auf, roch dran. Sommerapfel: richtiger Sommerapfel, Roggenapfel, Klarapfel, voll reif. Er wischte ihn an der Hose ab, schaute nach oben, biss hinein. Weich, vollreif - und oben auf der Böschungskante der Baum. Voller Früchte, nur ziemlich hoch.

    Hastig setzte er den Rucksack ab, kletterte den kleinen dornigen Hang hinauf, fand oben im Gras lauter weißgelbe Äpfel. Und groß, für Sommeräpfel sehr groß. Er wühlte in der Hose nach dem Taschenmesser, schnitt einen Apfel durch, probierte. Vollreif, mürbe, süß. Er trug die am besten aussehenden in einer Grasmulde zusammen, überlegte kurz, zog dann sein Hemd vorn aus der Hose, hielt es mit der linken Hand, tat die gesammelten Äpfel hinein. „Roggenäpfel ... ich werd verrückt - ." Mit Sicherheit veredelt, irgendwann. Vor Jahrzehnten. Er versuchte sich zu erinnern, an damalsdamals, wusste aber nicht, ob hier Äpfel gestanden hatten, - wusste nicht einmal, ob er hier jemals gewesen war. Völlig unbekannt. Der Hohlweg, der ganze Weg unten vom See her - : unbekannt. Er hätte geschworen, nie hier gewesen zu sein. Doch der Himmel bekannt. Der nach weit hinten sich abwärts beugende Himmel bekannt. Unfug natürlich, gab es nicht, doch das leicht steigende Land - mit dem Abfall nach hinten ins flirrende Licht - bekannt. Bestimmt bekannt.

    Er setzte sich am Weg unten in die Böschung, ließ die Äpfel aus den Hemdzipfeln ins Gras rollen. Mit dem Taschenmesser schnitt er langsam bedächtig einen Apfel in vier, dann acht Teile, steckte eins in den Mund, kaute, lutschte. Er war durstig. Vielleicht damals hier Felder gewesen, mit Ackerkrume - . Er zerschnitt einen weiteren Apfel, kaute langsam, lutschte die Stücke aus.

    War allein nicht zu klären - er musste sie fragen. Die weite Grasfläche fremd, völlig fremd, aber das gebogene Land mit dem flirrenden Licht ganz hinten irgendwie bekannt. Er spürte, wie er müde wurde, legte den Kopf auf das Rückenpolster des Rucksacks, schloss die Augen. Das Licht ganz hinten bekannt - , dachte er, nur die Grasflächen nicht.

    2

    Er hörte das Auto, dann abruptes Rutschen auf Steinen. Türreißen, steinige Geräusche, Frauenstimme die schrie: „Sitz! Eine sich überschlagende Frauenstimme: „Sitz! ... sitz!

    Langsam öffnete er die Augen, sah unten auf den Steinen, dem Sand einen Hund sitzen. Knapp vor seinen Füßen einen Hund und eine Frau, die ihn, weit vorgebeugt, am Hals festhielt. Mit der linken Hand, hinten am Halsband. Eine irgendwie elegante Frau, in heller Bluse, grau, - auch wenn sie ihn mit weit aufgerissenen Augen, verzerrtem Mund anstarrte. Mit den rechten Fingerspitzen stützte sie sich auf die Erde, um nicht zu fallen.

    Helmut schloss wieder die Augen, sagte sehr langsam: „Hallo ... Hund -!"

    Schluchzen, Geräusche wie Weinen. Die Frau kniete jetzt im Sand, fasste ihn am Kopf von beiden Seiten, drückte die Stirn gegen seine Stirn. Fest, sehr fest, drehte die Stirn hin, her. Sie küsste ihn, weinte. „Ich dachte ... dir wäre was passiert - ."

    Er richtete sich auf, stützte den Ellbogen auf den Rucksack. „Nein - dot bin ich noch nich‘. Hab nur geschlafen." Er streichelte ihren Kopf, küsste die Stirn. Und auf einmal war der Hund da, lautlos, ganz vorsichtig schob er seine Nase zwischen ihrer beider Gesichter. Die Nase war kalt und feucht.

    Sie lachten, saßen in der Böschung, Freya hielt seine Hand. Mit den linken Fingern streichelte er den Hund, der das anscheinend mochte. Ein Terrier mit rauhem, irgendwie hartem, drahtigem Fell, das sich gut anfühlte.

    „Ach, Helmut -, wieder schluchzte sie, „ich dachte, dir sei was passiert. Mein Gott. Tränen liefen übers Gesicht, alles nass. „Ich muss fürchterlich aussehen ... dabei hatte ich mich extra schön gemacht für dich."

    Er sah sie lächelnd forschend an. „Du siehst prima aus. Mit einem Taschentuch aus der Hose trocknete er ihr das Gesicht ab. Nur der Lidschatten oder wie das heiße sei ein bisschen verlaufen, das Schwarze vom Augenlid, - rieb ihre Wange, feuchtete den Tuchzipfel mit der Zunge an, rieb noch einmal. „Wieder perfekt! sagte er, lachte.

    „So verkrümmt, wie du auf der Erde lagst -. Auf der nackten Erde ... ich dachte..."

    Er liege beim Schlafen immer verkrümmt, unterbrach Helmut sie, das sei seine embryonale Ruhestellung. Er sei auf einmal müde geworden: die Wärme, der lange Weg bergauf. Und plötzlich sagte er dann: „Mach mal die Augen zu!", langte um sie herum nach einem Apfel im Gras.

    Gehorsam hatte sie die Augen geschlossen, er bewegte den Apfel dicht unter ihrer Nase. „Was riechst du?"

    Freya zog mit der Nase tief Luft ein, entließ sie gleich drauf mit Schluchzen durch den Mund. „Ich weiß nicht -."

    „Los, gib dir Mühe!"

    „Ein Apfel -?"

    „Nicht nur ein Apfel"¨, sagte er überlaut begeistert, „ein Sommerapfel, Roggenapfel oder wie die hießen." Auf die sie immer so scharf gewesen seien, um diese Jahreszeit. Die ersten neuen Äpfel im Jahr! Er biss hinein, schluckte, berührte mit dem abgebissenen saftigen Rand ihre Lippen, benetzte sie.

    Sie lachte, biss auch in den Apfel, öffnete wieder langsam die Augen.

    „So gefällst du mir besser, schnauzte er. „Die hab ich extra für dich gesucht ... diesen großen Haufen hier! Reif und ganz dick. Sie sah zu, wie er die gesammelten Äpfel in den Außentaschen des Rucksacks verstaute. „Sag mal, sagte er dann leise, „hattest du immer grüne Augen -?

    „Ich glaube." Sie lächelte.

    Er strich ihr übers Haar, erhob sich abrupt, nahm den Rucksack mit der rechten Hand hoch. „Los, kommt endlich ... wo ich jetzt nicht mehr laufen muss."

    Auch der Hund sprang auf, bellte, kletterte durch die offen stehende Tür ins Auto. Sie lachten. Der sei ganz verrückt aufs Autofahren, meinte seine Schwester, obwohl erst ein Jahr alt. Noch nicht mal ein Jahr, aber Autofahren bereits gelernt. Helmut legte den Rucksack in den Kofferraum, drückte den Deckel zu.

    „Ich kann hier nicht drehen", sagte sie, er fand das Schloss des Sicherheitsgurts, hakte ein. Sie fuhr weiter bergab, setzte unterhalb der Grashaufen rückwärts in den abgehenden Forstweg, wendete. Helmut hatte den linken Arm um die Lehne gelegt, berührte den Hund, und der spielte mit, biss ihn in die Hand, knabberte. Aber sehr vorsichtig, nass.

    Helmut erkundigte sich nach den riesigen Grasbergen. Irgendwie ungewöhnlich riesige, habe er sich vorhin schon Gedanken drüber gemacht.

    Die seien dabei, Trockenrasen zu machen, sie lächelte ironisch. All dies sei jetzt Naturschutzgebiet, ihre rechte Hand machte eine Bewegung durchs ganze vordere Auto, und deshalb kippten sie das gemähte Gras immer unten vorm Wald ab.

    „Das sieht fürchterlich aus."

    „Das sieht nicht nur aus, das ist fürchterlich. Das Zeug fault, und die ganze Brühe läuft in den Wald. Da stinkt‘s nur noch. - Eigentlich wollen sie alles auf Sondermülldeponien entsorgen, doch wer soll das bezahlen."

    Sondermüll -?, sagte Helmut entsetzt.

    „Ja, die heben alle ab. Bei so etwas dreht sich mir natürlich der Magen um -. Ich habe schon zig mal gefordert, die Flächen richtig zu mähen und wie früher Heu zu machen! Die verpackten Ballen könnten sie den Rinderzüchtern schenken oder den vielen Pferdehaltern, die es jetzt gibt. Die würden sich das Heu sogar selbst abholen, mit Kusshand, für umsonst. Oder sie könnten es sogar verkaufen." Sie hatte sich in Erregung geredet, hielt an. „Aber nein! Sogar der Ansgar, mit dem ich wirklich gut kann, lacht nur, wenn ich mich so aufrege. Ich müsse immer groß denken!, sagt er nur stets. Der Ansgar ist hier zuständig, für den Naturschutz. Aus Süddeutschland, irgendwo unten vom Bodensee, spricht noch markanten Dialekt. Groß denken! sagt der immer, Naturschutz muss denen etwas kosten. Viel! Sonst nehmen sie das nicht ernst. Je mehr er kostet, desto wertvoller werde er ihnen: - und desto mehr Geld würden sie anschließend dafür noch herausrücken."

    Sie schüttelte verständnislos den Kopf. Er sah sie von der Seite an. „Ja -."

    „Nicht ja ... nein! - Ich sei immer noch viel zu sehr Ossi, denke zu kleinräumig. Ich hätte das geltende Prinzip noch immer nicht richtig kapiert! Groß denken -. Wenn die Grashaufen endlich groß genug geworden seien, würden sie entsorgt werden, zur Sondermülldeponie. Das erzählt mir ständig der Ansgar - wenn ich mich über das Gras aufrege -, und mit dem verstehe ich mich inzwischen wirklich gut. Inzwischen verstehen wir uns gut."

    Sie lachten. Freya schüttelte noch immer den Kopf, atmete schwer.

    „Verdammt, ich war Ökonomin!" sagte sie bitter. Sie hatte die Hände schlaff auf dem Lenkrad, sah nach vorn ins Weite. Irgendwie weit in die Weite, Helmut sah sie von der Seite an. Der Hund biss auf seiner linken Hand herum, nicht mehr auf einzelnen Fingern, sondern auf der halben Hand. Vorsichtig, ohne dass es wehtat, doch begeistert.

    „Ich wusste gar nicht, dass du mit so vielen Männern zusammenlebst, sagte er plötzlich nachdenklich, ernst, „hätte ich das gewusst, würde ich mir wirklich überlegt haben zu kommen.

    Sie fuhr herum. „Ich lebe mit keinen Männern zusammen, Helmut, ich bin allein. Ich lebe in dem Haus ganz allein!"

    „Da bin ich mir nicht mehr sicher", sagte er traurig.

    „Der Ansgar ist nur ein guter Freund, ein ferner Freund, ach, Bekannter. Der ist fünfundzwanzig Jahre jünger als ich, der hat Frau und Kinder. Wir waren fürchterlich aneinander geraten, im Anfang, und jetzt arbeiten wir zusammen. Beim Naturschutz. Diese ganze riesige Fläche ist Naturschutzgebiet geworden. Weil ich hier nun mal wohne, fand ich es sinnvoll, da mitzumachen. Doch auch sonst. Ich finde es sinnvoll, sich um die Umwelt zu kümmern, sehrsehr sinnvoll. Und nötig. Wir haben nur gleiche Interessen, müssen uns ständig austauschen, abstimmen, wie wir weiter vorgehen. Zu uns gehören noch zig andere Leute, wir sind eine richtig gute Gruppe, und weil ich hier wohne, am Rande des neuen Naturparks, treffen wir uns häufig bei mir. Manchmal ist das Haus ganz voll. Da wird dann richtig geschrien, diskutiert. Gestritten!"

    Das Gesicht in Eifer verzogen, ihre Pupillen groß.

    Er wiegte den Kopf, murmelte: „Ich weiß nicht -."

    Sie hob wieder heftig an zu erklären, als sie bemerkte, dass etwas nicht stimmte, sah seinen rücklings verdrehten Arm, den kauenden Hund, lachte. „Ach, Helmut ... an deinen Humor muss ich mich auch wirklich erst wieder gewöhnen - ."

    Sie schlug mit der Stirn gegen seinen Kopf, traf links oberhalb der Schläfe.

    „Au ... dass das ein Mann ist, ein sehr Liebe bedürftiger, wirst du wohl nicht abstreiten!" sagte er streng.

    „Das ist Kalle. Ich hatte dir von ihm erzählt."

    „Hast du nicht."

    „Mit Sicherheit habe ich dir von ihm geschrieben. Oder am Telefon erzählt, mit Sicherheit."

    Er könne sich nicht erinnern.

    Doch! Eigentlich habe sie überhaupt keinen Hund haben wollen, doch Freunde von früher hätten sie überredet. Wenn sie in dieser Wildnis wohne, brauche sie einen Hund. Und ein Freund, mit dem sie zusammen Examen gemacht habe, züchte nun Hunde. Davor sei er Hauptmann gewesen. Jetzt seien sie zurück nach Rügen, woher sie ursprünglich stammten, er züchte Terrier und sie habe da oben eine eigene Praxis aufgemacht. Zum Glück sei sie Zahnärztin gewesen. Halbwegs liefe es jetzt mit ihnen, nur habe er auf einmal Prostatakrebs bekommen. „Irgendwie logisch", sagte sie.

    Er wiegte zweifelnd den Kopf. „Klingt zwar logisch - aber im Grunde weiß keiner, woher so etwas kommt. Da streiten sie sich noch."

    „Sicher ... keine Kausalitäten, nicht: so etwas kommt mit Sicherheit von dem da. Doch ein Mann in den besten Jahren, dem plötzlich alles genommen wird: sein Beruf, das bisherige Leben, die ganzen täglichen Abläufe. Und er war mit Leib und Seele Soldat. So etwas muss doch auf die Eier gehen, auf die Prostata."

    „Genau weiß das keiner -. Er zog die Nase kraus. „Prostata ist bei Männern inzwischen die häufigste Krebsart, bei Frauen Brust, und all diese Männer sind keine plötzlich entlassenen Soldaten.

    Egal - wenn es auch nicht wirklich egal sei. Doch seine Hunde seien gut: Irische Terrier! „Die sollen ganz tollkühn sein, unglaublich mutig. Gradezu irre mutig, sollen es sogar mit Löwen aufnehmen. Ich weiß zwar nicht, woher man das weiß, da es hier keine Löwen gibt, aber vielleicht haben die Engländer früher diese Hunde mit in ihre Kolonien genommen -. Unglaublich tollkühn, tapfer ... der Kalle soll mich verteidigen bis aufs Blut! Sie machte Kunstpause. „Bisher weiß ich aber eigentlich nur, dass er immerfort gestreichelt werden will - .

    Jetzt lachte sie, dass ihr Tränen über die Wangen liefen.

    „Der ist noch sehr jung ... kein Jahr alt, sagtest du."

    „Sicher. Er ist wahnsinnig anhänglich, und ich hänge auch an ihm. Wahnsinnig." Doch sie wolle alles richtig machen. Da sie wenig Ahnung von Hunden gehabt habe, sei sie mit ihm in die Welpenschule gegangen, danach in die Grundausbildung, jetzt in noch etwas anderes ganz Wichtiges. Die Frau von der Hundeschule habe bei ihnen auch früher irgendetwas ganz Anderes

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