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marder zu mardern: Roman
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eBook478 Seiten6 Stunden

marder zu mardern: Roman

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Über dieses E-Book

In einem Provinznest gehen vier angesehene Bürger gemeinsam auf Jagd. Der Bürgermeister, ein Bauunternehmer, der Besitzer der örtlichen Gaststätte und eine Pferdezüchterin. Durch die angespannten Verhältnisse der vier Jagdteilnehmer kommt es zur Katastrophe.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum15. März 2016
ISBN9783734511905
marder zu mardern: Roman

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    Buchvorschau

    marder zu mardern - Semjon Volkov

    sonntag

    In dicke Winterkleidung gemummt, saß Seibold auf seinem Hochsitz und beobachtete durchs Fernglas den gegenüberliegenden Waldrand. Noch war es dunkel, noch hinter den Bergspitzen die Sonne, deren Zacken aussahen wie das Schneideblatt einer Stichsäge. Aber Seibold konnte schon einzelne Tannenstämme erkennen, zwischen denen die angefrorene Suhle lag. Bis auf den Wind, der leise durch die frostige Talsenke strich, war es völlig still.

    Seibold ließ wieder das Fernglas hängen. Er holte die Thermoskanne aus seiner Tasche auf der Sitzbank, schraubte auf und nahm den Becheraufsatz zwischen die Knie, während er den dampfenden Tee eingoss. Er fühlte den warmen Tee zwischen seinen Knien und durch die Wollhandschuhe und hielt ihn ein paar Minuten lang. Dann zog er den Schal vom Mund, trank den Tee in einem Wurf, fummelte den gestrickten Schal wieder über seine Nasenspitze, fast bis zum Brillenrand, und packte die Kanne weg. Das Gewehr quer auf seinem Schoß, verharrte Seibold mit verschränkten Armen regungslos wie eine sitzende Statur. Nur hin und wieder zwinkerte er, bewegte unterm Schal die Backenmuskeln, streifte den Handschuh zurück, sah nach der Uhr und nahm das Fernglas auf. Die dichten Tannenäste wankten schwächer. Eine Viertelstunde verging, eine halbe, während die schlappe Novembersonne sich langsam hinterm Berg vorkroch, das Licht von seinem blauen Ton in einen helleren überging. Dann hörte der Wind ganz auf. Die frostbedeckten Stellen im steifen, kniehohen Gras glitzerte. Und Seibold kam hoch aus seiner Starre.

    Sie waren da, drüben am Waldrand. Er nahm die Mauser von seinem Schoß und machte sich bereit. Die Schweine wanderten argwöhnisch um die Suhle. Zuerst waren sie verschwommen, ein Haufen blinder Umrisse, bis er am Fernrohr drehte. Die Rotte bestand aus etwa fünfzehn Tieren, ein paar Bachen und Frischlingen, das meiste waren halbwüchsige Überläufer.

    Seibold wartete. Die Schweine wanderten noch um die Furchen der Suhle, in denen das angefrorene Wasser stand, schnüffelten, mussten erst zur Ruhe kommen. Seibold legte das Gewehr wieder auf die Knie, zog den rechten Handschuh aus und ballte mehrmals seine taube, spröde Hand zur Faust. Er hatte es jetzt sehr eilig, legte den Sicherheitshebel der Mauser um, visierte einen der Überläufer an, hielt den Atem an, griff nach dem Abzug, der kälter war, als sein Zeigefinger. Der Lauf der Mauser lag starr und fast lotrecht auf dem runden, moosigen Geländer. Vorgebeugt und die Ellbogen auf den Knien, saß er still. Seine rote Hand griff. Der Schuss krachte durch die Stille und schallte durchs kleinere Osttal, über die unebene Wiese und in den Tannenwald, wo sein echo erst verhallte, als Seibold den Gewehrkolben auf seinem Knie absetzte und wieder zu atmen anfing. Kurz darauf hatte er bereits das Gewehr zerlegt und in den Kasten gepackt. Er zog den Reißverschluss der Tasche zu, warf sich Gewehrkasten und Tasche über die Schulter, kletterte vom Hochsitz und umwanderte die freistehenden Stämme aus Buchen und Tannen. Unter seinen Stiefeln knackten der trockene, hellgelbe Nadelteppich, das kältesteife, ausgeblichene und eingerollte Laub krachte. Der Wald wurde dichter, die Stämme kamen ihm enger entgegen. Seibolds neonorangene Winterjacke leuchtete durchs trübe Unterholz, als er auf dem ausgetretenen Pfad über den Erdhügel stieg. Da war der kleine Hang, die Stelle. Mit abgebremsten Schritten, unter denen das zuwachsende Moos wieder aufriss, stemmte er sich gegen das Gefälle. Dann schnellte er den letzten Meter auf den Weg hinunter. Der Jeep, der dort mit der Fahrerseite zum Pfad stand, nahm zwei Drittel seiner Breite ein. Der Pfad war schmal und dunkel. Fast lückenlos säumten ihn die Tannen. Die beiden ausgefahrenen Kuhlen mit den Reifenspuren waren kaum zu erkennen.

    Seibold öffnete den Kofferraum, schwang den Rucksack ab und warf ihn durch den Kofferraum, hinter den Fahrersitz, bevor er die Fahrertür öffnete. Den Gewehrkasten legte er auf den Beifahrersitz und setzte sich hinters Steuer, wischte über die Frontscheibe und fuhr aus dem Waldstück. Der Jeep tauchte vom Pfad in die offene Talsenke ein, hoppelte durch die unebene Wiese und walzte auf seinem Weg zur Suhle vor der Kühlerhaube das kniehohe Gras nieder. Die alten Sommerreifen griffen schlecht als der Untergrund anstieg, rutschten mehrmals, suchten Halt, und das Getriebe krachte beim Schalten. Erst im dritten Anlauf quälte sich der Jeep an die Suhle. Seibold fasste in die Jackentasche, ließ den Motor laufen und stieg aus.

    Sein Atem dampfte in der trockenen Kälte. Er sah die kleine Einschussstelle im Fell der Sau. Eiswasser an der dreckigen Schnauze, lag sie an Ort und Stelle zusammengebrochen direkt über einer der Furchen. Seibold nahm die Hand aus der Jackentasche, ging in die Hocke und schürzte die Lippen. Er hatte knapp am Blatt vorbeigezogen. Eine Weile betrachtete er sie, fasste mit leicht zitternder Hand nach dem Einschussloch und schien nachzudenken. Unregelmäßig wie ein Rinnsal aus Wassertropen auf einer Fensterscheibe war das ausgetretenen Blut ein paar Zentimeter durch die grauen Borsten geflossen und kurz vorm Boden versiegt, weil nichts mehr nachkam. Die Borsten waren voller feiner Erde. Die Borsten, die Pinsel, die Schnauze, die ganze Sau war dreckig.

    Seibold hörte wieder, wie hinter ihm der Jeep grummelte. Er stand auf, ging hin und öffnete den Kofferraum. Die Handschuhe stopfte er in die Jackentasche zur Pistole, bevor er mit beiden Händen die angewinkelten Hinterläufe der Sau packte und sie zum Kofferraum zog. Mit verbissenem Gesicht, packte er sie unter den Schultern, hob und schob und drückte sie unter Keuchen auf den Rahmen. Vor Anstrengung beschlug seine verrutschte Brille, seine speckigen, blassen Backen wurden rot, während er einen Stiefel auf die Stoßstange stellte und ihr Gewicht mit dem Knie stützte. So konnte er sie seitlich über ihren eigenen Kamm rollen. Die Sau bekam Übergewicht. Mit einem klatschenden Geräusch schlug sie um in die Wanne. Seibold warf den Kofferraum zu. Seine Nase war ausgetrocknet, er spürte wie innen die Härchen rissen, wie er unter der Wollmütze schwitzte, schnäuzte sich. Einen Moment später rollte der Jeep von der Wiese zurück in die Tannen. Bis zum geschotterten Weg, der das Osttal mit dem Westtal verband, war die Fahrt im ersten Gang ein einziges Ruckeln über Schlaglöcher und abgefallene Zweige. Hin und her baumelte das vergilbte Duftbäumchen am Rückspiegel. Seibold saß so dicht hinterm Lenkrad, dass es bei jeder Kurve seinen Bauch unter der Jacke streifte. Die Zweige kratzten an der Frontscheibe und übers Dach entlang und teilten sich hundert Meter weiter zur verzweigten Lichtung, an der auf einer kahlen Eiche die farbigen Striche die Rundwanderwege anzeigte. Am Stamm der Buche, wo er herauskam, hing das angenagelte Schild: Jagdrevier, Betreten verboten. Ohne anzuhalten schotterte der Jeep über die Lichtung zum Hauptweg.

    Es wurde immer heller, die Bäume spärlicher. Die sandigen Reifen liefen runder und endlich glatt über den Beton. Und dann war er raus aus dem Wald. Das größere Westtal, das einen Teil des Dorfes einfasste, wurde von der Betonstraße, einem Rundweg, umspannt wie ein ovaler Ring um eine ovale Pfanne. In der Ferne guckten vom Regen abgeschliffene Felsbrocken aus Sandstein, umrahmt von Nadelwald in seiner frostigen Morgensuppe. Aber das Ruckeln des Jeeps war nur kurz unterbrochen, die Betonstraße hinter der Abzweigung zum Steinbruch rissig und kaum breiter als der Waldpfad. Links von ihr stieg der hecken- und grasbewachsene Kamm an, eine stufenloser Buckel, übersichtlich und ohne Bäume, nur am Wegrand, während auf der rechten Seite der Hang wellenartig abfiel, eine geschwungene Welle, die alles kreuz und quer ins Tal geschwemmt hatte. Die Gegenstraße lag viel tiefer. Unten standen vereinzelte windschiefe Hütten und selbstgezimmerte Holzschober, abgezäunte Gemüsegärten, manche unter Folie abgedeckt, daneben ein Bachgraben. Vor allem jedoch Grasflächen. Dann fing oberhalb schon der lang gestreckte Zaun an. Der Buckel ging über in mehrere Stufen und bildete Plateaus, auf denen Seibold im Novemberdunst beim Hinaufblicken die Pferdekoppeln sah. Im Tal fingen die Häuser an. Die Dächer waren weiß um die Ziegeln. Jedes Haus hatte mindestens ein Stück Garten, groß genug für einen Rasenmäher. In manchen brannte Licht. Die Auffahrt zum Reitstall kam in Sicht, eine geteerte Kurve, die von der Betonstraße abzweigte und von Hecken gesäumt war. Das offene Gelände oberhalb hörte auf und der Wald fing wieder an. Vor dem Jeep tauchten plötzlich zwei Lichter auf, wurden größer. Seibold fuhr direkt darauf zu, er grummelte verärgert, schaltete herunter und bremste langsam ab, genau wie der schwarze Pick-up, in dem zwei Leute saßen. Kühlerhaube an Kühlerhaube kamen sie zum Stehen. Die Motoren brummten. Seibold wartete, was passieren würde. Der Weg zurück zum Anfang der Betonstraße war kürzer, als der zur Auffahrt zum Reitstall.

    Gleich darauf hupte der Pick-up. Seibold grummelte, hörte wie der Pick-up noch einmal hupte. Diesmal gab er sogar noch Lichtsignal. Er wusste wer darin saß, ohne die Gesichter zu sehen. Kopfschüttelnd legte er den Rückwärtsgang ein, warf den Arm über den Beifahrersitz, verdrehte den Nacken und stieß etwa achtzig Meter zurück. Der Pick-up folgte ihm die ganze Strecke, stets dicht vor ihm, als würde er den Jeep fort drücken. Zwischen den Stoßstangen blieb kein Meter Platz. Erst an der Auffahrt lösten sie sich voneinander. Seibold bremste und beobachtete wie der Pick-up vor ihm einschwenkte und seine Rücklichter hinter der Kurve verschwanden. Noch einen Moment lang stand er da und sah nach der leeren Kurve. Dann murmelte er einen Fluch und fuhr wieder vorwärts, schneller als zuvor. Der Jeep verließ den Rundweg. Die rissige Betonstraße wurde breiter. Seibold fuhr an einer stillgelegten Schuhfabrik vorbei, mitten ins Dorf. Auf den Stufen vor der Kirche stand eine Gruppe von Leuten in Sonntagskleidern, mit umgeschnallten Fotoapparaten. Hinter dem Gebäude, in dem bis vor einem Jahr Post und Bank gewesen waren, bog der Jeep in eine ansteigende Seitenstraße. Seibold hielt vor einem der sauberen Häuser mit seinem sauber rausgeputzten Vorgarten, in dem niedriger Buchs wuchs. Er parkte, stieg aus und klingelte am Eisengatter. Sein Atem qualmte. An der Haustür mit seinem aufgehängten Kranz aus Tannenzweigen waren noch die verwischten Kreidezeichen von letztem Januar zu sehen.

    „Morgen, Walter. Kalt heut", gähnte der Tierarzt und wischte sich die Augen. Er trug einen Morgenmantel aus rotem Frotté, Wollsocken und Pantoffeln. Seine mageren Waden waren bläulich und blass wie die Tageszeit.

    „Un Doktor?" nickte Seibold.

    „Soweit. - Braun kam ans Gatter geschlurft, öffnete. Sein heller Vollbart war wie das Polster in einem Spatzennest. „Und was bringen Sie mir wieder?

    Er folgte Seibold zum Kofferraum.

    „Ham Sie nicht bald alle Säue abgeknallt in ihrem Revier?"

    „Im Gegenteil. Seit letztem Jahr haben se wieder geworfen wie verrückt. Oben bei Lampings ham se letzte Woche die ganzen jungen Birken angefressen, berichtete Seibold. „Alles im Arsch. Un beim Wanderverein ham se auch die Faxen dicke. Überall sin die Wege umgepflügt wie mit ‘m Traktor.

    „Moment."

    Während Braun ins Haus schlurfte, um seine Sachen zu holen, betrachtete Seibold die Sau. Dann sah er dem Tierarzt zu. Der klappte das mitgebrachte Mäppchen auf, griff eine der Spritzen und nahm der Sau Blut ab, bevor er einen Schnitt machte, mit der Pinzette ein paar Fleischfasern ausriss und in ein Röhrchen schob.

    „Kommen Sie."

    Seibold ging hinter ihm ins Haus, durch den Seitengang in die teilweise geflieste Garage. Braun wischte im Gehen über den Lichtschalter. „Und, wie geht es Ihnen?" fragte Braun beiläufig und begann zu hantieren. Da war der Tisch, das Waschbecken. Auf dem Tisch stand das Mikroskop. Er hockte sich und untersuchte die Proben.

    „Gut Doktor, sehr gut, nickte Seibold, stellte sich neben den Tisch und fummelte den Schal unter sein Kinn. „In letzter Zeit überleg ich nur immer wieder, ob ich mich nicht erschießen soll?

    Mit spöttischer Miene sah Braun kurz auf. Sein Vollbart war wie das Polster in einem Spatzennest.

    So, oder so, meinte Seibold und deutete mit seinem Zeigefinger erst auf seinen offenen Mund, dann auf seine Schläfe.

    „Wenn Sie dazu einen medizinischen Rat wollen, schießen Sie sich in den Pons, ins Stammhirn, das wirkt totsicher, entgegnete Braun, kniff wieder das Auge zu. Aus seinem vorgeschobenen Nacken reckte sich der oberste Halswirbel. „Aber vielleicht sollten Sie vorher doch überlegen, ob ihnen das weiterhelfen würde.

    Seibold schüttelte den Kopf. Er hatte die Wollmütze aufbehalten, nur die Handschuhe ausgezogen und besah sich seine Knöchel mit ihrer spröden Haut.

    „Nein, nichts würd’ irgendwas helfen und ändern würd’ es genauso wenig. Außer dass meine Mutter dann den Laden übernehmen würd. Aber kein halbes Jahr und sie hätt’ alles durchgebracht. Wenn sie nicht schon alles zur Beerdigung rauschmeißen würd’. Ehrlich, man darf ihr keine fünfzig Euro in die Hand geben. Es ist als würd’ das Geld bei ihr in Rauch aufgehen, erzählte er gleichmütig und machte auf einmal mit seinen Armen eine ausladende Bewegung. „Puff - und weg ist es.

    Braun auf dem Stuhl nahm sich jetzt die Fleischprobe vor. Sein Bart streifte beim Blick auf Seibold über den Frotté seiner Schulter.

    „Na, dann schlage ich vor, Sie bleiben vorläufig doch besser am Leben." Er glotze wie eine schläfrigen Eule, lächelte.

    „So gesehen ja. Und statt mich selbst, könnt ich ja auch einen andern abknallen. Überlegen Sie, Doktor, Säue bei denen sich’s lohnt, gibt’s ja immer genug."

    Ihr Wort in Gottes Ohr, murmelte Braun. So schindet man Zeit. Abrupt stand er auf und wusch sich am Waschbecken die Hände. „Übrigens Ihre Sau, Walter, ist gesund wie ein Fisch im Wasser."

    Das wusste ich.

    Seibold wartete bis ihn Braun nach draußen brachte. Am Gatter drehte er sich um, zog am Reißverschluss seiner Jacke und holte unentschlossen das Portemonnaie heraus.

    „Wie viel?", fragte er, während Braun seine Hände unbeteiligt in die Taschen schob.

    „Tun sie bloß das Geld weg, sonst krieg ich ‘n Hustenanfall."

    Seibold steckte das Portemonnaie wieder weg und zog am Reißverschluss.

    „Ihr Tisch ist wie immer reserviert, Doktor."

    Er gab Braun die Hand und ging zum Jeep.

    „Wiedersehen, Walter."

    „Bis dann, Doktor. Ich seh Sie zum Wildbraten, Sie und ihre Frau und wen sie auch sonst mitbringen wollen."

    Der Jeep fuhr los, wieder vorbei an der Kirche, vor der niemand mehr stand, die Straße hinauf, bis zum Fußballplatz, der zur Gaststätte gehörte. Ein einzelner Wagen stand davor. Der Hinterhof mit seinem geräumigen, gemauerten Schuppen war gepflastert, der Fußballplatz aus Sand. Seibold parkte im Hinterhof, er schnallte den Gewehrkasten über und betrat den Hintereingang der Gaststätte. Es war offen und drinnen warm, als er in die Küche kam. Er knipste das Licht an, sah sich um, knipste aus. Dann ging er zur Treppe, stellte den Kasten gegen das Geländer, stopfte Mütze und Handschuhe in die Jackentaschen und ging in den Speisesaal, in dem Wände und Decke verkleidet waren mit dunklen Holzpaneelen. Das Ganze im ländlichen Jagdstil. An jeder Wand hingen etliche Jagdtrophäen, Hirschköpfe mit Geweihen, Keilerköpfe. Hoschi, der Koch hockte an einem der langen, massiven Tische und las Bildzeitung. Vor ihm stand eine leere Kaffeetasse voller angetrockneter Nasen.

    „Jow, bist aber früh."

    „Un?"

    Seibold stellte sich hinter den Tresen, zog am Jackenreißverschluss und schraubte an der Kaffeemaschine. Unter der Jacke trug er einen Pullunder mit einem Muster aus grünen Streifen.

    Heut ist doch die Firmung von den Meins ihrer Kleinen.

    „Ja? A-so, Firmung, meinte Seibold zerstreut und massierte seine linke Hand, ehe er auffuhr. „Ich kümmre mich um die Sau. Wen hast du eingeteilt? Er schlürfte den Espresso und schmatzte.

    Hoschi legte die Zeitung beiseite und kam zum Tresen. Als Arbeitskleidung trug er nur einen faltigen Vorbinder. Sein Gesicht mit dem gestutzten Backenbart und den fleischigen Ohren erinnerte an einen Schimpansen.

    „Die Margit, die Andrea und die andre, die Kleine da, die die die Dings da…, er schnippte, „na… die Schneider angebracht hat, die von den Hartmanns.

    „Die Rote mit dem langen Zopf?", meinte Seibold gleichmütig und glotzte ins Espressotässchen.

    „Genau die. Die ist erst sechzehn. Hast du das gewusst?"

    Seibold stellte das Tässchen in die Spüle. Nein.

    „Und hat schon so große Euter. Bei der will man direkt Stallknecht spielen", lachte Hoschi.

    „Nicht so schweinisch!, fuhr Seibold herum und sah ihn an, so nachdrücklich und ernsthaft, dass Hoschi verlegen wurde: „Macht ja nichts.

    Dann runzelte er die Stirn: „Oder denkst du, die weis es nicht selbst."

    Mit schelmischer Freude fuhr er fort. Die weis das ganz genau, und ob.

    „Hör auf, jetzt!", meinte Seibold scharf, aber weder gekränkt, noch herausfordernd, und ohne jede Spur von Wut, es klang, als würde er nur auf einer Überzeugung beharren.

    Hoschi war beschämt: „Is ja gut. Mannmann, regst dich gleich auf wie ’ne Betschwester."

    Er blickte zur Seite und stützte sich auf den Tresen.

    „Ach, is mir doch scheißegal, verwarf Seibold und setzte sich in Bewegung. „Ich nehm mal die Sau aus, murmelte er und nickte. Wieder lauter, gab er mit fuchtelndem Zeigefinger Anweisung: „Pass auf, dass die zwei richtig bedienen. Und fangt rechtzeitig an. Sonst fangen die gleich wieder an bei der Rechnung von wegen Rabatt."

    „Mach ich, mach ich, Chefchen."

    Hoschi wurde wieder unbefangen.

    Hast ganz Recht. Bloß weil der Kerl Bürgermeister is, denkter er kann uns abzocken, ging er dem kleineren Seibold bis zur Küche hinterher und ereiferte sich: „So wie’s letzte mal, als seine Kleine Kommunion oder sowas gehabt hat."

    „Na, dann pass ja gut auf." Seibold knipste das Küchenlicht an. Sein Gesicht war gleichmütig.

    „Ich nehm dann mal die Sau aus."

    Er ließ Hoschi stehen und wühlte saumselig in einer Schublade, dann nahm er den Ausbeiner und fuhr mit dem Daumen seitlich über die Klinge. Nochmals griff er in die Schublade und nahm den Wetzstahl heraus, während es in der Küche lebhaft wurde, Hoschi eifrig die Kühlhaustür aufriss, zuwarf, vorbereitete, Töpfe aufstellte, Küchengeräte anschloss.

    Ausbeiner und Wetzstahl in der Hand latschte Seibold nun hinüber zum Schuppen und verschwand in der Seitentür. Dabei dampfte er, als käme er aus der heißen Wanne. Schließlich fuhr er den Jeep rein und machte hinter sich wieder zu. Etwa eine halbe Stunde verging, ehe er wieder herauskam, noch dampfender, noch mehr am schwitzen, über dem Pullunder jetzt in einer langen Gummischürze, auf der Blutspritzer klebten. Schweigend holte er aus der Küche die Bürste und ließ den Putzeimer volllaufen mit heißem Wasser. Hoschi war noch allein, aber in den Töpfen brutzelte schon das Essen für die Kommuniongäste. Noch einmal verschwand er eine Weile im Schuppen. Die Aushilfen für den Tag waren schon da, als er, diesmal in seiner neonorangenen Winterjacke mitsamt Tasche zurückkam. Er hörte sie in der Küche reden, ging aber nicht rein. Stattdessen nahm er vorsichtig, um jedes Geräusch zu vermeiden den am Geländer abgestellten Gewehrkasten auf und stieg seufzend die Treppe rauf. Dort zog er die Stiefel aus. Hinter der Wohnungstür mit ihrer altertümlichen facettenartigen Einfassung aus gelbem Zierglas, brannte Licht. Einen Moment verharrte er, ehe er den steckenden Schlüssel umso schneller drehte, die Tür aufriss und sich gleich darauf selbst gegenüberstand. Ohne darauf zu achten, drehte er sich am Spiegel zur Seite und glitt mit einem flüchtigen Blick auf seine Gestalt daran vorbei. Alles war still, so still, dass er die Standuhr im Wohnzimmer ticken hörte. Er blieb stehen, lauschte und sah durch den Gang, worauf er mit leisen Schritten die Tür schräg gegenüber der Wohnungstür ansteuerte.

    Vorsichtig drückte er die Klinke durch. Er ließ die Tür einen Augenblick offen, ging in seinen dreckigen Wollsocken durchs Zimmer zum Schrank und verstaute darin den Kasten. Die Einrichtung bestand aus alten Möbeln und erinnerte mit seinem überholten Globus neben dem Schreibtisch und dem Klappsekretär zum Teil an sein früheres Jugendzimmer. Kein Stück war jünger als dreißig Jahren, fast so alt wie Seibold selbst oder auch noch älter, etwa so alt wie die dicke Frau, die plötzlich in der Türöffnung stand. Graue Locken, schwarzer Wollpullover, lange beige Hosen. Seine Mutter. Sie hatten das selbe schwabblige Doppelkinn, den selben kurzen Hals. Nur sah man vom Wollpullover die Nähte. Sie trug ihn verkehrt herum.

    Morgen, Walter. Und, war‘s denn schön in der Schule?

    Ja.

    Seibold nahm die Brille ab, blinzelte, rieb sich die Augen und die Dellen am Nasenrücken. Noch immer trug er die Jacke. Du weist doch, ich bin immer fleißig am lernen fügte er hinzu. Aber warum bis du wach?

    Er drehte sich von ihr fort, legte seine Brille ins aufgeklappte Etui auf dem Schreibtisch und begann die Gegenstände darauf hin und her zu rücken, während sie starr auf der Türschwelle zum Zimmer stand, so als traue sie sich nicht weiter rein.

    Walter?

    Ihre Stimme klang bittend, und Seibold warf ihr mit den Armen auf den Tisch gestützt einen vergrämten Blick über die Schulter zu.

    Was is?

    Willst du was Heißes, ne Suppe oder so, ‘s kann dauern bis dein Vater heute heim kommt.

    Sie fasste nach ihrem Ellbogen, betastete ihn und redete auf ihn ein. Du hast nicht mal Pausenbrot mitgenommen, dass ich dir gemacht hab für deine Tabletten.

    Is gut.

    Is gut? Du mit deinem schwachen Herz - du kannst die Tabletten doch nicht so nehmen.

    Is gut, is alles gut, Mutti.

    Mit gleichmütigem Nicken ging er auf sie zu und griff nach der Tür. Er schürzte die Lippen und sah ihr ins Gesicht: Ich mach meine Hausaufgaben und leg mich dann hin.

    Langsam, sodass sie von selbst zurückwich, schloss er die Zimmertür. Bis später.

    Seibold drehte den Schlüssel.

    Endlich zog er die Jacke aus, hängte sie an einem Bügel in den Kleiderschrank. Es war vollkommen still. Durchs Fenster fiel trübes Novemberlicht, das unscharfe Schatten um die Gegenstände warf und nicht mehr viel heller werden würde. Ganz kurz knarrten die Matratzenfedern, rieb die Bettdecke, dann lag Seibold bis auf die Stiefel und Jacke seitlich im Bett. Eine Weile machte er keine Bewegung. Seine Augen waren offen. Schließlich fasste er unter der Decke in seine Hosentasche und führte das Ding vor seine Augen, Ausgiebig befühlte er den Keilerzahn. An der Tür klopfte es.

    Walter.

    Seine Mutter wartete einen Moment auf Antwort. Walter willst du Kaffee und Kuchen?

    Nö.

    Seibold nahm den Zahn in seine Faust.

    Lass mich.

    Es is noch vom Bienenstich da von gestern, oder soll ich dir Plattgeschmelzte machen?

    Jetzt, um die Uhrzeit! rief Seibold verärgert. Nein! Dann kam nichts mehr.

    Noch einmal knarrte es, als er den Zahn wieder in die Hosentasche steckte, seine Beine anzog, das zweite Kopfkissen vor seiner Brust zurechtlegte und umarmte.

    Draußen vor der Gaststätte hörte er Stimmen, Gemurmel, Gelächter, Kindergekreische. Die Taufgesellschaft war eingetroffen. Seibold schloss die Augen und fing an zu flennen.

    Herausgeputzt stand die alte schwere Flak oben am Seitenausgang des Museums. Ihr faustdickes Kanonenrohr zeigte in freier Sicht schräg über die geteerte, zweispurige Landstraße auf die hügeligen, dürren Weiden.

    Falk Golz ging hin und her unter der Mündung - das Handy am Ohr und das Zigarillo in der Hand, wippte im Oberkörper, redete lebhaft, lachte und sah nach seinem Handgelenk.

    Darauf steckte er das Handy zurück in seinem langen, grauen Übermantel.

    Die Krawatte über seinem faltigen, weißen Kragenhemd hatte einen schlampigen Knoten.

    Noch einmal zog er am Zigarillo, kam dabei die Steintreppe runter und schnippte sie in den Busch.

    Das Museum an der Kreuzung war hellrot, dreistöckig, aus viereckigen Sandsteinblöcken. Es gab nur ein einzelnes Nachbarhaus, gegenüber, zu dem ein riesiger Garten gehörte.

    Golz sah hinüber, dann an der Fassade des Museums zu seinem Vater hinauf, der mit eingehängtem Eimer auf der Leiter stand und das Schild überm Eingang wischte. Es tropfte auf die Türstufe. Der Alte streckte sich, stieg eine Sprosse tiefer, quietschte mit dem Schwamm übers Schild.

    Sein Atem dampfte.

    ‘n alter Herr wie du, sollt nicht mehr so hoch hinaus wollen, vor allem am Tag des Herrn.

    Arggg, halt die Klappe! raunzte der Alte und drehte ihm kurz den Kopf zu, auf dem er eine alte Wehrmachtskappe mit aufgenähtem Museumsschild trug. Wer macht’s denn sonst? Duuu!

    Golz grinste.

    Un, wo bleibt denn dein Kollege? meinte der Alte und drückte den Schwamm aus.

    Der kommt gleich.

    Golz hörte einen Wagen und drehte sich um.

    Wenn man vom Teufel spricht.

    Die Limousine fuhr auf den vorm Museum auf den Streifen aus Rollsplitt und parkte.

    Ein Mann im Anzug, um die fünfzig, stieg aus, und Falk riss zum Gruß den Arm hoch.

    Ihr seid schwer zu finden! rief der Mann im Näherkommen und hielt Golz die Hand entgegen, der sie ihm kräftig schüttelte.

    Hugo, zeigte er auf den Alten, das is mein alter Herr - heißt es wenigstens.

    Tag, Eppler is mein Name.

    Der Alte musterte den Fremden einen Moment von der Leiter, dann schnellte seine Hand zur Mütze und er machte er einen nachlässigen Militärgruß.

    Noch verwundert, sah Eppler, dass Golz ihm zuzwinkerte.

    Fahren wir? fragte er Golz.

    Ihr Geschäftsleute, immer auf ‘m Sprung was, und kommt nicht zur Ruh rief der Alte. Falk!

    Wir sehn uns später, Paps.

    Das is der Fluch, Herr Golz, entgegnete Eppler und trat vor dem plätschernden Strahl, der nun das Schild herunterkam, einen Schritt zurück.

    Fluch?

    Der Alte tat, als höre er das Wort zum ersten mal, worauf er nickte. Ach so.

    Golz nahm Eppler beim Arm.

    So isses, und jetzt ab, sonst fangen die ohne uns an.

    Hey?

    Nein, lass den stehen, wir fahren mit dem hier. Golz zeigte auf den Landrover seines Vaters. Oder meinst du ich hab Bock drauf anzuschieben?

    Er stieg ein, warf Drahtrolle und Drahtschere vom Beifahrersitz auf den Rücksitz und wartete, bis Eppler saß. Dann fuhren sie los.

    Im Seitenspiegel beobachtete Eppler wie der Alte auf seiner Leiter kleiner wurde und um die Ecke verschwand.

    Die Straße bildete den Übergang von den Wiesen zum Wald. Den ganzen rechten Straßenrand entlang war vom einen zum andern Katzenauge Drahtschnur gespannt, an der in gleichmäßigen Abständen CDs baumelten.

    Eppler leckte seine Lippen, setzte an, und fragte: Wie lange macht sie das schon?

    Mit den Gäulen?

    Ja.

    Der Landrover rauschte am Wald vorbei, während die kurvige Landstraße den Blick auf eine Streuobstwiese freimachte, hinter der das gelbe Ortsschild, begleitet von alten Häusern auftauchte. Am Straßenrand stand eine verfallene Mühle.

    Golz erzählte: Seit sie hergekommen is. Das werden jetzt so zehn Jahre sein. Da hinten , fuhr er vor Epplers Gesicht den Arm aus und zeigte über den Bach zum bewaldeten Hügel, fängt die Koppel an. Hat gleich angefangen zu bauen, als sie herkam, aus Westfalen glaub ich. Der Quadratmeter war billig. Hat gleich ‘n schönes Stück abbekommen. Seitdem hat sie mindestens sechs, sieben Leuten die angrenzenden Parzellen abgekauft und sich ausgedehnt. Die Bäume lässt sie rausmachen für neue Weiden. Da wird das Ding immer größer. Mittlerweile hat se mehrere Koppeln, frag mich wie viel, ich war bisher nur zweimal oben. Die Scheune is ‘n mordsmäßiger Bau. Nur hat sie’s jetzt, wo ihr schon fast der ganze Hang überm Tal gehört, nich mehr so einfach.

    Die geschwungene, abfallende Straße, tauchte mitsamt dem Landrover ins Dorf ab. Wie senkrecht in die Erde gerammt, erschienen die neu gebauten Häuser den Hang hinauf. Aus manchen Schornsteinen stieg Rauch.

    Die Leute lassen sich nich mehr so leicht abspeisen. Die wissen, dass sie das Land unbedingt haben will, und fordern natürlich ihre Preise. Auch wenn auf den Parzellen nur ‘n paar vertrocknete Tanne stehen, in denen der Borkenkäfer sitzt. Aber die Zucht is ziemlich bekannt. Die braucht gar keine Werbung zu machen. Sie is ziemlich clever, weist du. Die Leute kommen auch so alle paar Jahre von überall, um sich ‘n Gaul anzuschaffen. Meinetwegen, jedem das seine. So, genug erklärt. Wirst’s ja gleich sehen, warf 34Eppler einen ironischen Blick zu und bog in die holprige Betonstraße mit der alten Fabrik ein. Dich schlepp ich ja auch mit.

    Golz griff in seinen Mantel, holte einen Flachmann vor und nahm einen Wurf.

    Der Wagen holperte jetzt stark. Durch die Erschütterungen hatte er Mühe zu trinken und den Verschluss zuzuschrauben.

    Is bloß zur Auffrischung, sonst benehm’ ich mich vielleicht daneben. Und außerdem wird mir vom Quatschen der Hals trocken. Auch?

    Eppler schüttelte den Kopf.

    Is nich so deine Welt, was?

    Keinen Meter, Blaublütige und Neureiche und so, die, die mit schnellen Spekulationen ’n Haufen Kohle machen und den Trotteln von Kleinaktionären einreden, sie könnten alle Millionäre werden. Bestimmt auch ’n paar verirrte Akademiker. Du weist, was das heißt. Guck mich an, ich bin vielleicht ‘n Großkotz und Prolet, aber ich versuch nich vorzutäuschen, was Besseres zu sein. Ich bin was ich bin, aber nich, was andre gern hätten, dass ich bin. Aber in deren Kreisen frisst man sogar, um zu sparen, das angebissene Pausenbrot von andern und erzählt seinesgleichen vom Nobelfraß im Vier-Sterne-Restaurant. Geschenkt, Mann! Das Schlimme is nur, dass diese Leute von sich denken, sie sind normal und es wär normal, dass man so tut, als hätt’ man die Weisheit mit Löffeln gefressen. Wer nich dazugehört is bei denen ‘n armes Schwein. So sieht’s nämlich aus. Jedenfalls, ich hab dir’s versprochen, also bring ich dich hin. Sein Geld wird man ja so und so los. Hoffentlich hast du auch genug dabei. Frau Baronin hat nämlich gesalzene Preise, die nimmt es garantiert nur in bar. Aber dafür is sie adlig, bemerkte Golz.

    Beide lachten.

    Und ‘nem gekauften Gaul, guckt man schon mal gern ins Maul merkte Eppler an und klopfte sich auf den Brustkorb.

    ‘n Schaukelpferd käm dich bestimmt billiger, Hugo.

    Schon, nur sag das ma meiner Tochter. Die reißt mir die Rübe runter.

    Kenn ich. Mein Sohn is genauso. Der will und will, achtzehn Jahre alt und teufelt mich wie mein eigener alter Herr. Tja, wir ham unsre Kinder wohl zu arg verwöhnt. Andrerseits, wozu sollen wir alten Trottel sonst gut sein, als den Geldbeutel aufzumachen. Wenn wir schon verdienen, lachte Golz.

    Vor der Frontscheibe kam die Auffahrt in Sicht.

    Am Wegrand, bedeckt mit zerkleinerten Tonscherben, stand ein Aufsteller: „Zum Reitstall", dazu der Pfeil - soviel konnte Eppler noch sehen, bevor Golz in die anfangs flache die Kurve ging.

    Es schotterte und ruckelte, noch mehr als auf der Betonstraße. Mit wankenden Köpfen schossen sie, von Hecken und kahlen Ästen gestreift, über das flache Stück um die lang gestreckte, bananenförmige Kurve. Und dann hörte der Tonschotter auf, es wurde steil, und Golz trat plötzlich scharf auf die Bremse.

    Hä! grunzte er schadenfroh. Siehst du, genau das mein ich. Keine Ahnung von Tuten und Blasen.

    Der Sportwagen vor ihnen mit seinem Kennzeichen aus München stand auf der Stelle, die Reifen in den Fahrrillen. Sie konnten durch die Heckscheibe die beiden Leute sehen, den Fahrer, einen Mann und daneben eine Frau. Die Steigung war rutschig vom Frost, und die aufgebrochenen Fahrrillen hatten den rutschigen Untergrund in Schlamm verwandelt. Der Mann gestikulierte. Offenbar stritten sie sich. Wieder setzte der Fahrer an, der Sportwagen brummte auf, schlitterte auf dem rutschigen Untergrund, während er nach hinten Dreck aufwarf, zur Seite und schmierte ab. Der Fahrer schlug aufs Lenkrad und schüttelte den Kopf. Golz hupte und stieg aus.

    Der Untergrund an der Stelle war ein einziger zäher, schwarzer Brei, der über die Ränder seiner Halbschuhe quoll. Er winkte, hob eine Hand an den Mund und rief: Hey, wollt ihr da unbedingt rauf?

    Der Fahrer ließ das Fenster runter und streckte seinen Kopf mit der in Haar gesteckten Sonnenbrille heraus.

    Aber immer, klar!

    Die Frau auf dem Beifahrersitz hockte da wie eine frisierte Puppe.

    Ich hab ’n Seil. Wenn ihr wollt?

    Der Fahrer nickte. Wenn’s klappt.

    Der Sportwagen sprang an.

    Gut, ’n Stück zurück, bis runter. Wir hängen euch ran. Lass einfach rollen, wir fahren zurück, dirigierte Golz, stieg ein und stieß Eppler, der die Arme verschränkt hielt und die Stirn runzelte, sachte mit dem Ellbogen an. Mit summendem Motor stieß Golz zurück durch die Kurve, während das Heck des Sportwagens so dicht herankam, dass Eppler den Aufkleber vom Tennisclub lesen konnte.

    Der Auspuff züngelte.

    Unten am Übergang zwischen Betonstraße und Auffahrt wurde es breiter. Golz lenkte rüber, damit der Sportwagen vorbeikam.

    Der Fahrer hatte es eilig.

    Als er im Rückwärtsgang an ihnen entlang schoss und abbremste, blieb zwischen den Autos kaum eine Handbreit Platz.

    Eppler, der sich bislang unbeteiligt gehalten hatte, schüttelte den Kopf, während der Sportwagen hinter sie fuhr.

    Golz ließ den Motor laufen und stieg aus. Eppler fasste nach dem warmen Gebläse, dann nach seinem Mantelkragen. Durch die geöffnete Kofferraumklappe kroch ihm die Kälte in den Nacken. Er hörte und spürte das Hantieren am Wagenheck. Am Seitenspiegel beobachtete er, wie der ebenso lange wie breite und kräftig gebaute Golz das Seil an der Stoßstange des Sportwagens einhakte.

    Während die Leute darin regungslos verharrten, kniff Golz aufmunternd die Augen zusammen und hob zum Abschluss den Daumen. Dann ließ er sich wieder neben ihn in den Sitz plumpsen, sah zurück und fuhr an, bis das Seil sich von den Tonscherben hob, zu straffen anfing und er den Widerstand spürte, es aufhörte nachzuschwingen,

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