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Der uninterpretierbare Traum: Die Geschichte von Rompf
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Der uninterpretierbare Traum: Die Geschichte von Rompf
eBook317 Seiten4 Stunden

Der uninterpretierbare Traum: Die Geschichte von Rompf

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Über dieses E-Book

Ein gutes, ein ungewöhnliches, ein substanzielles Werk. Das ist wahr. Der Nachfolger von Yorick, der schon sehr gut war, nur ist Rompf halt noch ausgefallener.

Das Schreiben guter Literatur setzt immer eine hohe Risikobereitschaft voraus. Mehr Autoren wie Philip Hautmann, welche das Wagnis eingehen, die ausgetretenen literarischen Trampelpfade zu verlassen, wären der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur dringend zu wünschen. - Christian Köllerer, The Gap
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Okt. 2015
ISBN9783738045185
Der uninterpretierbare Traum: Die Geschichte von Rompf

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    Buchvorschau

    Der uninterpretierbare Traum - Philip Hautmann

    Klappentext, Zitate, Widmung

    Gegenstand dieses sensationellen Buches, dessen Bauprinzip, wie sie bald merken werden, liebe Leserin, die freie, ungehinderte menschliche Kreativität bildet, ist eine Betrachtung des am weitesten verbreiteten menschlichen Problems, nämlich das der menschlichen Durchschnittlichkeit, die nichts über sich selbst anerkennt, außer, wenn es darum geht, sich selbst zu vergotten. Wie bei „Yorick, dem Vorgängerbuch, also das Problem der menschlichen Ipseität; wo bei „Yorick jedoch die Seltsamkeit des menschlichen Charakters beleuchtet wird, so ist es hier der Mangel an Charakter, sozusagen die Verfallenheit an das Man, und das Problem des Egoischen an sich. Im Gegensatz zu „Yorick" wird hier jedoch auch die Lösung des Problems der menschlichen Ipseität angezeigt, nämlich die Öffnung des Menschen für das Nicht-Selbstische, das Hineinwachsen des Menschen in die Moral, in das gute Prinzip. Eine wesentliche Referenz hat dieser Rompf-Roman bei Ibsens Peer Gynt, diesem bei uns wenig bekannten, aber bodenlos tiefen Werk, dessen Lektüre ich auch ganz unabhängig davon empfehle. Der Peer Gynt heißt hier Rompf, eine Kurzform des Namens Roman, nicht allein beispiellos dumpfen Klanges wegen, sondern auch, um auszudrücken, dass es sich hier um einen „Roman handelt, beziehungsweise, dass die literarische Form hier mitreflektiert und in sich selbst miteinbezogen wird. Am glücklichsten würde es mich machen, würden sie hierin keine „experimentelle, sondern Metaliteratur erblicken. Es ist hier ein Spiel der Formen und der Inhalte, das in einem Gedankenraum stattfindet; gestatten wir uns eine Anlehnung an den Traum, nicht allein aufgrund des deliranten Charakters der Realität, der hier notdürftig abgebildet werden soll, sondern auch, weil hier alles einigermaßen spontan stattfindet. Weitere nützliche Navigationsmarken zum Verständnis sind die Begriffe Stream of Consciousness, Sprache der Nacht, Chaosmos, schizotype Kreativität, Klartraum, Universalpoesie und Transzendentalpoesie. Ich hoffe, Ihnen gefällt das, ansonsten habe ich hier wenigstens was probiert. Liebe Leserin, jetzt gehört die Sache ihnen! Als wichtigsten Tipp möchte ich ihnen noch mitteilen: --Ä/&"+kap_-P>>>LO-----Z!(

    Y., 2014

    Philip Hautmann, geb. 1977 in Linz, hat Sozial-, Wirtschafts- und Politikwissenschaften in Linz und Basel studiert und lebt in Wien. Ende 2010 ist sein erster Roman „Yorick – Ein Mensch in Schwierigkeiten erschienen, der als „Ulysses von Wien u. dergl. gepriesen wurde. Die hier vorliegende Geschichte von Rompf ist dessen Nachfolger. www.philiphautmann.at

    Für Sarah und Stella

    Wenn das Komische Freude bereiten und nützen soll, muss es mit einem ernsten und bedeutenden Stoff gepaart werden … Ich will versuchen, was sonst der Tragödie vorbehalten war, auf heitere Art darzustellen: die Laster der Großen, die eigentlichen Ursachen des menschlichen Unglücks, die Torheiten der Politik, das Falsche der üblichen Moral, die Unzulänglichkeit aller philosophischer Systeme, den geistesgeschichtlichen Aspekt des Jahrhunderts; ich will ein Bild der Welt, der Gesellschaft, des gegenwärtigen Bürgertums, der politischen Umwälzungen der nationalen Verhältnisse geben. Und ich glaube, dass ich, und zumal heute, mit den Waffen der Komik mehr erreiche als mit Leidenschaft, Liebe, Einbildungskraft, Beredsamkeit, sogar mehr als dem Räsonnement, obschon dieses heute viel Macht besitzt.

    Ciacomo Leopardi

    Die ewige Verwechslung und die stets erneute Auseinanderhaltung ... des höheren und niederen Lebens, bildet das Hauptthema aller Historie des menschlichen Geistes: dies ist das Motiv der Weltgeschichte.

    Otto Weininger

    Hafis, ein dunkles Rätsel

    Ist unser Sein

    Und seine Erforschung

    Ein Gaukelspiel und ein Schein

    (Urknall und Formierung der Materie im Erzähluniversum, bis dass Rompf erscheint)

    Ich möchte die Geschichte von Rompf erzählen. Die Geschichte von Rompf bewegt sich entlang jener Linie, diesseits derer der Kosmos und jenseits derer das Chaos liegt. Das Wichtigste, das es zu verstehen gibt, ist dass der Geist zunächst dem Raum selbst gleicht, das Ego hingegen einer Krümmung, einer Schwerkraft, unter deren Wirkung alle Ausformungen des Geistes abgelenkt und nach innen gezogen werden, hin in das endliche Zentrum unseres pathologischen Verhaltens, einer kleinen, ständig auf- und zuschnappenden, hysterisch agitierten Falle, beziehungsweise, wenn ich näher rangehe, einem beständig klappernden, schnappenden und dabei insgesamt in einem leeren Raum hysterisch zitternden Gebiss, wie ich es mir bildhaft vorstelle: der Selbstreferenzialität. Dieses ist eine Vorstellung, aus der sich einige Probleme ergeben, wie wir sehen werden, sie muss jedoch als Mutter aller Überlegungen gelten, wollen wir uns der akkuraten Erfassung des Menschlichen beziehungsweise dem schwierigen Thema des Rompf annähern. Bevor ich über Rompf erzähle, muss ich mich jedoch an dieser Stelle zunächst an Foom erinnern. Foom wurde im Kindergarten so genannt, weil seine schicke Frisur stets den Eindruck machte und so aussah, als hätte er sie in eine Form gepresst, es wurde Abend und es wurde Morgen, und eines Morgens nannten wir ihn dann Foom. Das erste halbe Jahr im Kindergarten hat Foom kaum was gesagt, sondern versucht, sich seine beiden Hände gleichzeitig in den Mund zu stecken, aus Nervosität. Ein paar Wochen darauf wurde der, den also Foom zu nennen wir übereingekommen waren, während eines schriftlichen Tests im Fach Musik beim Schummeln erwischt und von der Professorin draußen auf den Katheder gesetzt. Ohne seinen Schummelzettel, den anzufertigen ihn mehr Arbeit und Zeit gekostet haben musste, als schnell vorher in der Pause ein bisschen zu lernen, was eh ausreichend gewesen wäre, war er jedoch völlig aufgeschmissen und wusste keine einzige Frage auch nur mit einem einzigen Satz oder zumindest einer Ausflucht zu beantworten. Also saß er volle zwanzig Minuten draußen hinter dem Katheder und blickte betropitzt zu uns ins Kindergartenzimmer hinein. Nach diesem Vorfall war uns allen klar, dass von allen Leuten, die wir kannten, Foom der seltsamste war. Ich denke mir jetzt irgendetwas mit dem Wort Blei. Konkreter gesagt, fühle die Notwendigkeit, jetzt das Wort Blei zu verwenden. Gras am Boden: feine grüne Häärchen, entsprießend der Scholle – die Oberfläche eines Neutronensterns soll aufgrund der extremen Schwerkraft, die auf die Ausrichtung der Atome wirkt, faser- beziehungsweise haarartig sein, bevor sie nach nur wenigen Zentimetern in einen anderen, extrem kompakten Zustand übergeht. Über dem Gras, grün, und der Scholle, erdfarben: Himmel – ein bleierner Schild.

    Über dem Gras, grün, und der Scholle, erdfarben: Himmel – ein bleierner Schild. Von links nach rechts das Bild entlang verläuft der Feldweg, rechts hinten steht eine Scheune, ganz vorne im Bild, vor dem Feldweg, eine Art Holzzaun, konkret eine Vorrichtung bestehend aus drei waagrechten und ebenso drei senkrechten Balken, zirka zwei Meter breit und hundertfünfundreißig Zentimeter hoch, ohne erkennbaren Sinn, doch das ist der Sinnloszaun, an den ellbogengestützt gelehnt Rompf und sein bester Freund („Kumpel") Holz sich anlungern, wenn sie in meinem Geist in Erscheinung treten.

    Du, das Leben ist Scheiße, kann Rompf sich endlich aufraffen, zu seinem Kumpel Holz zu sagen.

    Genau, sagt Holz darauf zu Rompf.

    Das Leben ist der letzte Dreck, ruft Rompf nach einer weiteren Weile aus.

    Genau, ruft Holz zurück.

    Das Leben ist ein einziges Klo, so Rompf, diesmal sogar unmittelbar darauf folgend.

    Ein Klo, meine Rede, spricht also Holz.

    Das ist die Entstehungsgeschichte von Rompf und Holz, als sie in meinem Geist erschaffen wurden.

    Ich schaue auf die Uhr und sehe wie spät es ist. Es ist fünfundreißig Jahre nach meiner Geburt und ein paar Jahre weniger, als ich mir einmal bei einem Ausflug mit meinen Eltern nach Wilhering einen Schiefer eingezogen habe! Ich kann mich noch erinnern, wie ich einige Augenblicke verdutzt dagestanden bin, versucht habe einzuordnen, was passiert ist, und dann aus vollen Halse und leidenschaftlich mit dem Plärren begonnen habe, wobei sich dieses Geplärre die ganze Heimfahrt über, die meine Eltern sogleich mit mir angetreten sind, hingezogen hat. Wie fürchterlich ich meinen Eltern auf die Nerven gegangen sein muss, doch das war halt ich! Heute weiß ich, dass Kinder in etwa bis ins Alter, in dem sie eingeschult werden, die Ausdrucksregulation noch nicht ganz beherrschen bzw. die korrekte Wahrnehmung und Einordnung von äußeren Reizen, vor allem, wenn sie schmerzhafter Natur sind; warum, frage und ärgere ich mich immer, sind einem Erkenntnisse wie diese nicht früher schon zur Verfügung gestanden, als man sie gebraucht hätte? Wie unendlich viel weiter wäre man dann heute, und das Immer-Weiter-Kommen ist ja das einzig Interessante, zumindest für mich, wenngleich nicht für die meisten Menschen, wie ich seitdem feststellen konnte. Je mehr ich mich in das Thema versteige, frage ich mich, ob wir damals noch den blauen Volvo oder schon den silbernen BX gehabt haben, erinnere mich plötzlich, wie ich meinen schiefernen Finger während der Fahrt jammernd aus dem Fenster gehalten habe – zur ständigen Kühlung – also muss es der BX gewesen sein, denn bei dem Volvo konnte man die Hinterfenster nur aufklappen, falls ich mich da jetzt nicht irre, was ich aber eben nicht glaube. Das heißt, dass mein Bruder auch schon auf der Welt gewesen sein muss, der schon früh eine Brille trug, jetzt Kontaktlinsen. Das heißt, es muss sich um die Zeit gehandelt haben, wo die Biesenfeldsiedlung bei uns in der Nähe errichtet worden ist. Dort gab es dann die Konditorei Preining, wo wir zum Abschluss unserer Volksschulzeit als ganze Klasse von unserer Lehrerin eingeladen wurden, und die auch heute noch recht gut ist. Und genau am Ende meiner Volksschulzeit sind wir dann umgezogen, nach Ebelsberg, ans andere Ende der Stadt, weil meine Mutter das als besser für sich empfunden hat. Bevor ich in die Volksschule gekommen bin, erinnere ich mich, eine Freundin namens Marlies gehabt zu haben, die zwar gleich alt, aber zu ihrem ewigen Ruhm als eine ungeheuer reife Persönlichkeit in meinem Gedächtnis abgespeichert ist, die keinerlei Groll oder Ressentiment kannte und die mich gleichsam stets getröstet und beschützt hat, wenn die anderen Kinderchen mir Böses angetan haben oder mich gehänselt und ausgelacht wegen meiner Interessen, die ich stets hatte und die sich damals alle zwei Monate auf etwas anderes bezogen haben, unter anderem einmal auf Waschmaschinen, dann auf Betonautos, auf Akkordeons, Klaviere, Feuerwerkskörper, Motorräder oder Überschallflugzeuge vom Typ Concorde (heute lache natürlich ich über die anderen, da ich wenigstens Interessen habe, sie aber wahrscheinlich nicht, außer höchstens Radfahren, Reiten oder Schwimmen - und die anderen lachen über mich, da die wenigstens Jobs haben, ich aber nicht). Ansonsten kann ich mich an nichts mehr, was mit Marlies zusammenhängt, erinnern, auch nicht mehr an ihren Nachnamen, was bedeutet, dass allein der unglaubliche Zufall mich je in diesem Leben noch einmal mit ihr zusammenführen wird, das heißt also dem Chaos überlassen bleibt. In der Angelegenheit, um die es geht, sind wir aber noch in unsere Wohnung in Auhof nachhause gekommen, wo mir mein Vater dann ganz einfach mit einer Pinzette den Schiefer rausgezogen hat, und das Problem spontan behoben wurde. Draußen vor unserem Wohnblock gab es eine Wiese und einen Spielplatz mit vier Schaukeln, von denen ich eine einmal unsanft ins Gesicht bekommen habe, woraufhin ich, nach Augenblicken der Verdutztheit, ebenfalls zu Plärren begonnen habe, was, glaube ich, meine erste bewusste Erinnerung war. Oder war es die, wo ich mich vor der Geburt meines Bruders mit dem Flugzeug gespielt habe und mir eingebildet habe, er werde da in Zukunft auch mit uns einsteigen? Je weiter man seine Erinnerungen zurückverfolgt, desto mehr gleichen sie Rauchfetzen, die von irgendeinem grauen, dumpfen Urgrund, einer Art Grund des persönlichen Marianengrabens aufsteigen, ohne dass dieser jedoch geographische Charakteristika aufweisen würde, so zumindest stelle ich mir das jetzt bei der Gelegenheit vor, werde aber später darüber nachdenken, ob man das auch tatsächlich so sagen kann. Der Urgrund ist ein Schild in der Zeit¹, hinter dem man zwar bereits gelebt hat, hinter den aber die bewussten Erinnerungen nicht zurückreichen. Ich finde diesen freilich allseits bekannten Umstand genauer besehen, beziehungsweise genauer bedacht, faszinierend wie einst das Riesenrad, für das ich mich damals auch eine Weile interessiert habe. Hinter dem Schild liegen jene Erfahrungen, welche die Grundstruktur unserer Persönlichkeit geprägt haben, also jener Form, in der wir uns grundsätzlich wiederfinden und außerhalb derer uns eine emotionale und damit reale Erfahrung der Welt und des Selbst nicht möglich ist, wie auch die Erfahrungen, die durch eine individuelle Persönlichkeit gemacht werden, für eine andere Persönlichkeit nicht ohne Weiteres in eine eigene innere Erfahrung übersetzbar sind: Weshalb wir uns durch die Form der individuellen Persönlichkeit zwar grundsätzlich begegnen und kennenlernen, uns aber gleichzeitig fremd bleiben. Nehmen wir die nulljährige Liese. Die nulljährige Liese wird von ihrer Amme zu unregelmäßigen Zeiten gefüttert, ebenso erratisch wird auf ihr Geplärre reagiert. Häufig werden ihr, wenn sie plärrt, mit einem Wollschal die Hände gebunden, was zwar nicht Liese, dafür aber die Amme weniger nervös macht. Die Eltern, die die Erziehung der Liese ab dem sie ein Jahr alt ist übernehmen, lassen sich nichts zu Schulden kommen. Im Alter von einigen Jahren zeigt Liese ein sehr extrovertiertes Wesen und einen gewinnenden Charme, den sie einsetzt, um ihre Umwelt zu beeinflussen und zu ihren Gunsten zu manipulieren, hinter diesem Ausdruck bemerkt man jedoch eine eigenartige, dazu im Widerspruch stehende Teilnahms- und Affektlosigkeit. Im Alter von acht Jahren wird Liese in Stresssituationen sich angewöhnen, an einem Wollschal zu nuckeln und dabei mit ausdruckslosen, gleichsam nach innen gerichteten Augen starr in die Gegend zu blicken, irgendwann wird man bemerken, dass ihre gesamte Wahrnehmung egozentrisch verzerrt ist etc. Sprich: Liese leidet an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die schwer behandelbar ist, da sie, wie alle Persönlichkeit, ihr emotionales wie kognitives, ja, integrales Fenster zur Welt ist, das in diesem Fall allein durch die Dummheit und Nervosität der Amme so angelegt wurde. Nehmen wir den nulljährigen Tom, der auf einem holländischen Fischkutter in ein Strampelkostüm gesteckt und die meiste Zeit des Tages über über das Strampelkostüm an einer Leine aufgehängt wird. Später wird Tom immer wieder und wieder über geistige Probleme schreiben, die Sexualität wird in seinen Schriften überhaupt keine Rolle spielen, Frauen und vor allem Mütter stets negativ dargestellt werden, als Mensch wird Tom keine Freundschaften eingehen und einem zur Begrüßung mit nahezu vollständig ausgestrecktem Arm die Hand reichen etc. Ebenso ist der nulljährige Ted ein normal entwickeltes und an seiner Umgebung interessiertes Kind. Im Alter von zwei Jahren wird er nach der Verabreichung eines Medikamentes einen schweren allergischen Schock erleiden und einige Wochen im Krankenhaus verbringen, um nachher menschliche Kontakte fast vollständig zu meiden, Mathematikprofessor und Genie zu werden, bald darauf ohne Angabe von Gründen seine Professur niederzulegen und zu verschwinden und schließlich zweieinhalb Jahrzehnte später als der Unabomber verhaftet zu werden, der zwar vorgeben wird, auf der Grundlage einer fortschrittskritischen und primitivistischen Ideologie seine Verbrechen begangen zu haben, insgeheim aber für sich notieren wird, dass sein eigentlicher Beweggrund sein „Hass auf die Menschen" gewesen sei. So viel also zu Ted und Tom und der Linie zwischen Kosmos und Chaos in der Persönlichkeitsentwicklung. Runter durch den Trichter, wenn man die Masse freilegt, ein Netz von einigen Punkten, Molekülen, darunter eine schmutziggraue Fläche: die Tiefenstruktur der Persönlichkeit. So stelle ich mir das vor, ein paar molekülartige Dinger hängen herum, darunter ein ortloser Ort, wo kein Punkt von einem anderen unterscheidbar ist: ein halluziniertes Bild für die Tiefenstruktur der Persönlichkeit. Ich habe viel nachgedacht über die Tiefenstruktur der Persönlichkeit, die unveränderbar ist. Unterhalb der Planckskala soll der Raum fraktal sein, selbstähnlich, sagen sie, wie mir bei der Gelegenheit einfällt. Ich habe viel nachgedacht über ein Begiffsbild für das Chaos. Jetzt habe ich der Leserin nicht gesagt, wie spät es eigentlich war, als ich vorhin auf die Uhr gesehen habe. Ich werde das bei der nächsten Gelegenheit veranlassen.

    Ich schaue auf die Uhr und sehe wie spät es ist. Es ist vierzehn Milliarden Jahre nach dem Urknall, aus dem unser ganz ausgezeichnetes Universum hervorgegangen ist. Treffen wir die Annahme, dass die Naturkräfte oder Naturkonstanten in einem bloß geringfügigen Maße anders gegeneinander abgestimmt wären als sie es sind, so gäbe es bei einer um nur 4 Prozent geringeren Stärke der elektromagnetischen Kraft weder Wasserstoff noch Sterne. Wäre die schwache Wechselwirkung schwächer, gäbe es ebenfalls keinen Wasserstoff, wäre sie stärker, könnten Supernovae das interstellare Medium nicht mit schweren Elementen anreichern. Bei einer geringfügig anderen kosmologischen Konstante wäre das Universum entweder sofort wieder kollabiert oder aber würde so rasch expandieren, dass keine Galaxien entstehen könnten. Im Fall von mehr als drei Raumdimensionen wären keine stabilen Kreisbahnen ergo keine Atome möglich, im Fall von mehr als einer Zeitdimension gäbe es keine Kausalität ergo wären Ereignisse völlig unvorhersehbar. Die Wahrscheinlichkeit, dass unser Universum so ist, wie es ist, und kein einen heillos depressiv machendes Pfuscherwerk, das irgendwie so dahindümpelt wie ein platter Autoreifen, beträgt 1 zu 10 hoch 40, ist also, gelinde gesagt, sehr klein. Theisten begreifen das als Hinweis auf einen intelligenten Schöpfungsakt, andere sprechen vom Anthropischen Prinzip, wonach unser Universum eben so ist, wie es ist, weil es sonst niemanden gäbe, der es zu beobachten und sich die Frage nach seiner ungeheuren Unwahrscheinlichkeit zu stellen imstande wäre. Ziehen wir hingegen aber schlicht die Chaostheorie oder aber simple Statistik zu Rate, so lassen sich innerhalb von Beobachtungen von Zufallsbewegungen einer großen Zahl von Objekten innerhalb dieses Chaos geordnete Zustände ausfindig machen, die über endliche und messbare Perioden hinweg bestehen, bevor sie wieder in chaotische Ungeordnetheit übergehen. Umgelegt auf einen außerzeitlichen beziehungsweise zeitlosen und, bezogen auf die herkömmlichen Vorstellungen des Begriffes, dimensionslosen quantenphysikalischen Zustandsraum, innerhalb dessen sich gegebene Welten entfalten, finden wir also jeden nur möglichen Grad von Geordnetheit, freilich umgeben von einer überwältigenden Masse an chaotischem Material. Ich würde zu gerne wissen, wie dieser Außenraum und diese Außenzeit, innerhalb derer alles stattfindet, vorstellbar ist. Es würde sich um eine unendliche Flucht von Universen handeln, beziehungsweise eben um die Unendlichkeit schlechthin. Ohne die Annahme einer solchen Unendlichkeit scheint keine logische Erklärung unserer Existenz beziehungsweise der des Universums möglich, gleichzeitig erscheint die Vorstellung einer solchen unendlichen Erstreckung in Raum und Zeit paradox: Weshalb man eben am besten das Bild vom zeit- und dimensionslosen Zustandsraum annimmt, der dann eben sozusagen der Kosmos ist. Das würde also bedeuten, dass Kosmos, auf Altgriechisch bedeutend „Weltordnung und dem Begriff des Universums übergeordnet, und Chaos, anders und innerhalb unserer Welt richtig gefasst als der Zufall als Auswahl innerhalb einer außerweltlichen Fülle von möglichen Zuständen, einander inhärent sind. Die unendliche Möglichkeit von Zuständen bedeutet für meine Geschichte von Rompf, dass Rompf, der gerade da unten an der Straße steht, über diese ebenso gut gleich hätte rübergehen können. Und dass Rompf, der gerade nach links schaut, ebenso gut eben hätte nach rechts schauen können, beziehungsweise dass Rompf, der zuerst nach links und dann nach rechts schaut, ebenso gut hätte nach rechts und dann nach links schauen können, oder aber beides bleiben lassen. Ein Existenzialist hätte an dieser Stelle womöglich seine helle Freude, wenn schon sonst ihn nichts freuen mag – Beckett mit seiner Vorliebe für absurde Kombinatorik stelle ich mir gerade vor, wie er in Anbetracht dieses Konzeptes angespannt leicht vornüber gebeugt mit seinem Adlerblick, hinter dem sich jedoch Aufgeregtheit und Nervosität nicht verbergen lässt, im Kaffeehaus sitzt, Kette raucht und in seiner Linken eine Whiskeyflasche umklammert hält – deshalb habe ich sie dem unendlichen Zustandsraum entrissen und hierher gesetzt. Treffen wir halt also eine zufällige Auswahl innerhalb eines Spektrums von kohärenten Geschichten von Rompf, so haben wir also die Geschichte von Rompf, die ich erzählen möchte – ich bin ja schon gespannt, wie das ausgeht. Ebenso gespannt bin ich, wie das mit dem Universum ausgeht. Ein aktueller Ansatz stellt die Möglichkeit zur Disposition, dass in unserem Universum bald die Zeit stehen bleiben wird. Dabei geht dieser Ansatz davon aus, dass unser Universum eine Membran ist, die durch eine höherdimensionale Raumzeit namens Bulk driftet, dabei aber heftig zu schwingen beginnt oder aber sich in ihrem Gleiten durch den Bulk stark beschleunigt, insgesamt sich stark krümmt. Damit wären alle Objekte innerhalb unseres Universums gezwungen, sich immer schneller zu bewegen um am selben Fleck zu bleiben, bis sich ihre Geschwindigkeit der des Lichts annähert und diese letztendlich überschreitet. Da sich schneller als das Licht nichts bewegen kann, würde das bedeuten, dass alle Objekte sozusagen an Ort und Stelle einfrieren, sich ihre zeitartigen Weltlinien zu raumartigen verbiegen ergo die Zeit aufhören würde zu existieren und in Raum übergeht, wobei die Objekte davon nichts merken würden. Man würde als Beobachter lediglich feststellen können, dass ferne Objekte, also Galaxien, sich immer schneller von einem weg bewegen. Was auch tatsächlich das ist, was beobachtet wird, und bislang einer unbekannten „Dunklen Energie zugeschrieben wird, die niemand noch hat ausfindig machen können. Womöglich beobachten wir in Wahrheit das Ende der Zeit und leben in einem Universum, das drauf und dran ist, einzufrieren! Das wäre etwas von so koketter Bizarrerie dass für mich ein kleines Glück genau wie lecker Brot und umsonst Kaffee bei Bäckerei Volkertmarkt am Morgen und rechtzeitig ausweichend Danebengetretensein Hundescheiße Weg dorthin, muss ich schon sagen. – Rompfs Mutter, Aase, würde eine solche Deutung als „materialistisch lächelnd beiseiteschieben und einem erklären, dass nichts davon wahr oder zu befürchten sei, da das Universum aus einem mit Gott gleichzusetzenden „Bewusstsein entstanden ist, sich als solches stufenweise entfaltet und dass das Interessanteste von allem die „Bewusstseinsrevolution" sei, die bald bevorstehe, die ganze Menschheit ergreifen würde und durch die nach einer langen Phase des menschheitsgeschichtlichen Chaos endlich herrliche Zeiten anbrechen würden. Rompfs Vater, Aasus, sitzt in fernem Land in seinem Lehnstuhl und zieht mit dem Gesichtsausdruck des Philosophen an seiner Pfeife und sinniert weniger über kosmogonische Konzepte, sondern viel eher und intensiver über den quasi-kosmischen Kampf zwischen den Freimaurern und den Eingeweihten = einer ebenso kleinen Minderheit, die allein die Machenschaften der Freimaurer zu durchschauen und letztendlich zum Wohle aller zu durchkreuzen vermag, hier auf Erden. Aasus` Weltbild kann in seiner Komplexität nicht wiedergegeben werden, in seinen Eckpunkten auf das Zeitalter der Gegenwart bezogen kann es kurz so umrissen werden: Nach der Ausschaltung des „Störfaktors" Hitler am Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Freimaurer beziehungsweise, wie sie von den Eingeweihten genannt werden, den „Einweltlern" (deren angebliches Ziel die Entwurzelung des Nationalbewusstseins der Völker zur Durchsetzung ihrer eigenen globalen Herrschaft sei) habe sich in Form der Verträge von Maastricht bereits eine präapokalyptische Prophezeiung des alttestamentarischen Propheten Ezechiel erfüllt, wie die Globalisierung, deren Startschuss mit dem Fall des Eisernen Vorhanges 1989 zeitlich anzusetzen sei, also 666 Jahre nach der Ermordung des letzten Ritters des Templerordens durch die Freimaurer, damit die Zahl des Tieres nach der Apokalypse des Johannes in sich trage. Was insgesamt bedeute, dass der Endkampf zwischen den Einweltlermächten der Finsternis und der Eingeweihtenmächte des Lichts, symbolisch genannt Armageddon, unmittelbar bevorstehe, wobei freilich niemand den Tag oder die Stunde kenne. Das Wissen um den Milliardentod, den dieser Endkampf mit sich bringe, macht Rompfs Vater, Aasus, bisweilen melancholisch, dann besinnt er sich darauf und schreibt gerne darüber, dass daraufhin jedoch für den weißen Mann herrliche Zeiten anbrechen würden. Rompfs Freundin, Solveig, hingegen ist eher der naturwissenschaftliche Typ und ist ihrer eigenen Vorstellung zufolge lange im Dunkeln getappt, bis sie schließlich ein Buch eines Geophysikers – „der es ja schließlich wissen muss! – inhaliert hatte, das verkündet, dass der Maya-Kalender, der den Weltuntergang mit dem Jahr 2012 ansetzt, insofern Recht hat, als aufgrund geophysikalischer Prozesse Ungemach droht, wenngleich nicht bereits 2012 sondern „in näherer Zukunft, und es sich auch um keinen Weltuntergang handle, sondern lediglich um „umwälzende Ereignisse, also insgesamt nichts, was mit dem Maya-Kalender und seinen Prophezeiungen eigentlich zu tun hätte. Der Geophysiker verkündet, dass sich in näherer Zukunft innerhalb von wenigen Jahren das Magnetfeld der Erde umdrehen werde, was zu verheerenden Resultaten führen würde, unter anderem, was die Ablenkung der kosmischen Strahlung durch das Erdmagnetfeld anlangt, wobei er diese Vorhersage mit der Existenz sogenannter „Riemannscher Felder begründet, von denen es neun gäbe, innerhalb derer kosmische Objekte schwingen würden, und das dritte Riemannsche Feld, innerhalb dessen die Erde schwingt, durch plattentektonische Prozesse instabil geworden sei und durch das vierte ausgetauscht werden würde, was ein umgedrehtes Erdmagnetfeld implizieren würde. Da er Geophysiker sei, müsse er ja wissen, wovon er spräche, sagt Solveig immer. Insofern dem Buch des Geophysikers „2012 – Ein Geophysiker erklärt, warum die Mayas Recht hatten" einiger Verkaufserfolg einerseits beschieden war, in seinen Szenarien dem breiten Publikum andererseits zu depressiv ausgefallen ist, schob er ein zweites nach, dessen Kernaussage darin besteht, dass es durch die Umdrehung des Erdmagnetfeldes zwar zu einem gewaltigen elektromagnetischen Puls kommen würde, durch den alle Halbleiter

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