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Mandoria - Die zwölf Amulette
Mandoria - Die zwölf Amulette
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eBook257 Seiten3 Stunden

Mandoria - Die zwölf Amulette

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Über dieses E-Book

Das einzige Außergewöhnliche an Emily ist der mitleidig-erschrockene Blick, den ihr die Leute zuwerfen, wenn sie erfahren dass sie eine Vollwaise ist... denkt sie zumindest. Aber als ein merkwürdiges kleines Männchen, das behauptet ein Elf zu sein, durch ihr Fenster klettert, ihr ein kostbares Amulett überreicht und darauf besteht, dass sie es nach "Mandorla" begleitet, erfährt Emily, dass sie eine Auserwählte dieser Parallelwelt ist. Sie ist eine der zwölf Amulettträger, die jeweils die Kontrolle über ein Element besitzen und ihre Kräfte einsetzen um Mandorla zu schützen. Doch zum Zeitpunkt von Emilys Ankunft stehen sie vor einer großen Bedrohung. Das Amulett des Lebens - das mächtigste der Amulette wurde gestohlen. Gemeinsam mit dem siebzehnjährigen Sam soll Emily es zurückbringen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum11. Aug. 2013
ISBN9783847648536
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    Buchvorschau

    Mandoria - Die zwölf Amulette - Maria Meyer

    Prolog

    „Es bleibt uns keine andere Wahl", sagte der Zauberer. Seine Stimme war ruhig, aber er war angespannt bis in die Fingerspitzen, die er unter der Platte des schweren Eichenholztisches ungeduldig aneinander tippte. Es war tatsächlich die letzte Möglichkeit, die ihm einfiel, und er brauchte die Zustimmung des Rates. Der Rat aber tagte schon seit Stunden und schien sich einfach nicht mit seiner Idee abfinden zu wollen.

    „Aber warum sollte das Amulett jemanden aus der neuen Welt wählen?, fragte Senius zum hundertsten Mal. „Das ist noch nie vorgekommen, Zalador, nicht ein einziges Mal. Warum glaubst du, dass so etwas plötzlich passiert? Reisen in die neue Welt sind immer ein verdammtes Risiko, das weißt du so gut wie ich. Ein zustimmendes Gemurmel ging durch die Mitglieder des Rates.

    Zaladors Geduld war am Ende. Er erhob sich von seinem Stuhl, stützte die Hände auf den Tisch und sah mit funkelnden Augen in die Runde. „Natürlich können wir uns nicht sicher sein, dass sie in der neuen Welt ist, aber das ist die einzige Erklärung, die ich anzubieten habe. Wir haben seit Jahren immer wieder Stunden und Stunden hier gesessen und erfolglos nach Erklärungen gesucht, also kann ich wohl annehmen, dass keiner von ihnen eine hat." Niemand widersprach ihm. Er merkte, dass sie zögerten. Jetzt musste er sie überzeugen, oder er konnte es aufgeben.

    „Mir ist klar, dass es unwahrscheinlich erscheint, fügte er hinzu, „aber wir haben keine Zeit mehr nach anderen Möglichkeiten zu suchen. Wir befinden uns praktisch im Krieg! Wir haben die Suche in der neuen Welt jetzt fünfzehn Jahre lang aufgeschoben. Die Amulettträger sind eine Einheit, wir können uns diese Lücke nicht länger leisten. Also sollten wir jede Möglichkeit, sie zu finden – und sei sie noch so absurd – in Erwägung ziehen. Ansonsten können wir gleich einen Boten zu Sebulon schicken und ihm unsere Kapitulation mitteilen.

    Noch immer schwiegen sie. Zalador holte tief Luft: „Wer stimmt einer Suche in der neuen Welt zu?"

    Er sah sie an, verteilt um den runden Tisch. Senius rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her, seine Ziegenbeine baumelten knapp über dem Boden. „Also gut", er hob die rechte Hand und sah Zalador an. Langsam hoben auch die anderen Ratsmitglieder die Hände, einer nach dem anderen.

    „Ich danke Ihnen", Zalador stieß einen Seufzer aus und ließ sich erleichtert zurück in seinen Stuhl sinken. Zum ersten Mal seit Tagen bemerkte er kaum seinen schmerzenden Rücken. Die kleine Gestalt am Fenster, die davonhuschte und in der Dunkelheit verschwand, bemerkte niemand.

    1.

    „Morgen kommen die Schulräte in unsere Klasse. Ich möchte, dass ihr euch benehmt. Miss Clinton klappte ihren Terminkalender zusammen. „Übrigens hab ich morgen Nachmittag nichts weiter vor. Wir können gerne ein bisschen Nachsitzen einschieben, wenn jemand meint, er hat es nicht nötig, mir zuzuhören, fügte sie mit plötzlicher Schärfe hinzu und knallte den Kalender auf Ashleys Tisch. Diese zuckte zusammen und ließ dann – nicht ohne die Augen in Richtung ihrer blondierten Freundin Carrie zu verdrehen – Make-up und Lipgloss in ihrer Tasche verschwinden.

    Offenbar war an meinem Gesicht abzulesen, was ich davon hielt, sich dreimal täglich mitten im Unterricht zu schminken, denn Ashley drehte sich zu mir um und fragte mit giftigem Blick: „Hast du irgendein Problem, Emily?"

    Ich lächelte ironisch und begann, auf dem Rand meines Blattes herum zu kritzeln. Selbst Ashley konnte mich jetzt nicht mehr wütend machen. Denn der Tag, an dem die Schulräte kamen, war immer einer der Besten des Jahres.

    Die Schulräte, das war eine Truppe alter, untersetzter Männer mit Hornbrillen und schlechten Zähnen – und Professor Jared Hunter. Jared war schlank und ziemlich groß, hatte dunkle, meistens zerzauste Haare und strahlend grüne Augen und roch immer nach Pfefferminzkaugummis. Eigentlich war er viel zu cool, um ein Schulrat zu sein.

    Weil nicht nur ich das so sah, war der Tag an dem die Schulräte kamen auch der einzige Tag des Jahres, an dem Carrie und Ashley mich nicht ansahen, als wäre ich irgendein merkwürdiger Alien, der auf ihrem Bitch-Planeten notgelandet war. An diesem Tag waren sie alle einfach nur neidisch auf mich.

    Denn Jared war so was wie ein alter Freund von mir. Er lud mich jedes Jahr in die kleine Eisdiele im Dorf ein, erkundigte sich ob es mir gut ging und plauderte über Gott und die Welt. Natürlich sah ich diese Treffen nicht als Dates oder so was. (Auch wenn ich Ashley diesen Eindruck nicht ausredete. Es war lustig, sie neidisch zu machen.) Jared war immerhin alt genug, um mein Vater zu sein. Und irgendwie war er auch eine Art Vater für mich. Das lag vermutlich zum Teil daran, dass ich ihn schon mein ganzes Leben lang kannte.

    Bevor ich ins Internat kam, hatte ich nämlich bei einer Familie in den Bergen gelebt, in der Nähe vom Ben Nevis. Jared gehörte ein kleines Ferienhaus in unserer Straße. Als begeisterter Bergsteiger fuhr er jeden Sommer für ein bis zwei Wochen hin, freundete sich bald gut mit meinen Adoptiveltern an und nahm mich, als ich alt genug war, oft zum Bergsteigen oder Skifahren mit.

    Als ich von der kleinen Dorfschule ins Internat gekommen war, hatte ich festgestellt, dass Jared Hunter Professor war und zu den Schulräten gehörte, die jedes Jahr unsere Schule inspizierten.

    Sein Besuch in meiner zweiten Schulwoche war eine Erleichterung gewesen, da ich endlich wieder ein Gespräch mit jemandem führen konnte, der nicht ständig Fragen stellte, wie jeder einzelne Schüler meiner neuen Klasse. Wo hatte ich vor der Adoptivfamilie gewohnt? Konnte ich mich noch an meine Eltern erinnern? Ich hasste solche Fragen. Natürlich konnte ich mich nicht an sie erinnern, genauso wenig wie an London. Dort hatten wir gelebt, bis im Gebäudekomplex ein Feuer ausbrach. Elf schwer Verletzte, fünf Tote, dazu gehörten auch meine Eltern, Luke und Sophie Morgan. Damals war ich gerade mal ein Jahr alt gewesen.

    Alles was ich über meine Eltern weiß ist, dass sie nicht arm gewesen sein können. Denn sie haben mir eine gehörige Summe Geld hinterlassen, die inzwischen wahrscheinlich nicht mehr ganz so groß ist, weil davon seit fünf Jahren das nicht gerade billige Internat bezahlt wird. Außerdem haben sie kurz vor dem Unfall ein Dokument bei einem Notar eingereicht, das besagt, dass ich auf keinen Fall in ein Waisenhaus gesteckt werden soll. Wenn mich niemand freiwillig adoptierte, sollte man die Familie von ihrem Geld bezahlen.

    Der Notar, mit dem ich mich treffen musste, um das Geld für das Internat bezahlen zu können, hat mir von diesem Dokument erzählt. Er hat auch gesagt, dass er sonst niemandem davon erzählen werde, da er einer Schweigepflicht unterliege. Auch ich sollte es lieber für mich behalten, weil es für andere Leute so aussehen könnte, als seien meine Eltern von ihrem jungen Tod und damit von dem Brand nicht überrascht gewesen. Er hat sich anscheinend nicht getraut es so zu sagen, aber ich habe trotzdem verstanden, was er meinte. Seiner Meinung nach besteht die Chance, dass meine Eltern, aus welchen Gründen auch immer, den Brand gelegt haben.

    Aber ich glaube das nicht. Ich bin sicher, dass sie es geahnt hatten und Angst hatten, weil sie nicht wussten, was mit mir passieren würde, wenn es tatsächlich so kommen sollte.

    Und ich glaube, dass ich das von ihnen geerbt habe. Manchmal ahne ich einfach, wie sich die Dinge entwickeln. Ich bin keine Hellseherin und kann auch nicht die Zukunft voraussagen oder so was. Und nein, verrückt bin ich auch nicht. Aber zum Beispiel hatte ich schon den ganzen Tag auf eine gute Nachricht gewartet, die Miss Clinton ja jetzt verkündet hatte. Und das ist nicht alltäglich, da ich nicht unbedingt das bin, was man als Optimistin bezeichnen würde.

    „Schreibt euch das in den Kalender!, befahl Miss Clinton, „Wer morgen zu spät kommt oder mich auf irgendeine andere Weise vor den Schulräten blamiert, sitzt nach!

    Da lief ich keine Gefahr, da ich sowieso zu den wenigen Leuten gehörte, die pünktlich zum Unterricht kamen. Zufrieden malte ich einen Smiley neben das Datum vom 17.08. und stopfte meine Sachen in die Tasche.

    Es klingelte und sofort begannen überall Stühle zu scharren, was Miss Clintons Ausführungen über die Bestrafung potentieller Störenfriede untergehen ließ. „Der Lehrer beendet die Stunde!, schrie sie in den allgemeinen Tumult hinein, „Setzen!

    Ungeduldig hörten wir zu, wie sie die Hausaufgaben ansagte, bis sie uns endlich nach draußen schickte. Als ich mir meine Tasche überwarf, sah ich plötzlich eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Die alte Kastanie vor den Fenstern des Klassenraumes schwankte sanft im Wind. Ich kniff die Augen gegen das Sonnenlicht zusammen und sah genauer hin. War da nicht eben ein Gesicht gewesen?

    „Raus mit dir Emily", Miss Clinton machte eine ungeduldige Handbewegung, ohne den Blick von den auf ihrem Tisch verteilten Zetteln zu heben. Ich sah noch einmal über die Schulter, aber zwischen den Zweigen bewegte sich nichts.

    „Emily! Hallo, Emily, wach auf!"

    Verwirrt öffnete ich die Augen und sah meine Zimmergenossin Rachel, die mich an den Schultern rüttelte. Als sie sah, dass ich wach war, ließ sie mich los und ließ sich mit genervtem Gesicht auf ihr eigenes Bett fallen.

    „Du hast geschrien, meinte sie, „...wieder mal. Ich schlug meine Decke zur Seite, lehnte mich an die Wand und stellte fest, dass mein Herz raste und ich völlig verschwitzt war. Für einen Moment tauchte das Bild meines Albtraums wieder vor meinem inneren Auge auf. Ein riesiger Drache mit einem schlangenartigen, von schwarzen Schuppen bedeckten Körper und Reißzähnen, so lang wie mein Unterarm. Es war derselbe Traum, der seit Tagen immer wiederkehrte.

    „Wie spät ist es?, fragte ich, zu erschöpft um auf dem Nachtschrank nach meiner Uhr zu tasten. Rachel strich sich die krausen Locken aus dem Gesicht und warf einen Blick auf ihren Wecker. „Gleich fünf. Ich würde jetzt gern noch ’ne Stunde schlafen, wenn du nichts dagegen hast. Mit diesen Worten schnappte sie sich ihre Decke und drehte das Gesicht zur Wand. „Und wenn du dir nicht bald einen Traumfänger oder so was besorgst, will ich eine neue Zimmernachbarin. Ich seufzte und sah aus dem Fenster. Der Himmel war schon hell und völlig wolkenlos. Ich stieg aus dem Bett und warf Rachel einen Blick zu. Sie hatte ihre Decke trotz der Wärme im Raum beinahe bis über den Kopf gezogen sodass nur ein Büschel lockiger brauner Haare zu sehen war. „Okay... ich geh duschen, teilte ich ihrem bewegungslosen Körper mit und öffnete die Tür.

    Etwa zwei Stunden später betrat ich den Klassenraum und musste unwillkürlich grinsen. Das Bild, das sich mir bot, hätte es in jede Comedy-Serie geschafft. An die hintere Wand hatte man fünf Extrastühle aufgestellt, auf denen die Schulräte bereits saßen. Auf wundersame Weise hatten es auch die Mädchen, die es mit der Pünktlichkeit sonst nicht so genau nahmen, geschafft, rechtzeitig da zu sein. Eine große Traube von ihnen, die wiederum missbilligend von den schon anwesenden Jungen beobachtet wurde, stand in einer Ecke des Raumes und warf Carrie böse Blicke zu. Diese stolzierte nämlich gerade an den Schulräten vorbei, warf ihr blondiertes Haar in den Nacken und schenkte Jared, der im Moment ganz unvorbildlich Kaugummi kaute und gelangweilt in die Gegend starrte, ein strahlendes Lächeln.

    Er lächelte höflich zurück, woraufhin die Mädchentraube in der Ecke in wütendes Tuscheln ausbrach und die Jungs die Augen verdrehten und begannen ihn nachzuäffen, und drehte sich in Richtung Tür, als sie hinter mir ins Schloss fiel. „Emily!", er stand auf und lächelte jetzt wirklich - Carrie schloss sich der böse Blicke werfenden Traube an.

    Jared sah ein wenig blasser aus als sonst und hatte einen Dreitagebart. Trotzdem strahlten seine Augen so lebendig wie immer, als er mich kurz umarmte, was wiederum ein kollektives Tuscheln auslöste, und fragte: „Heute Nachmittag im Venezia? Ich lächelte. „Na klar, wie immer.

    Mit einem seltenen Hochgefühl stolzierte ich zu meinem Platz. Ashley starrte mich giftig an und nahm ihren Platz vor meinem ein. „Hast du irgendein Problem, Ashley?" Sie schnaubte und wandte sich ab. Ich warf Jared einen Blick zu und stellte fest, dass er uns amüsiert beobachtete. Es war nicht nur die Tatsache, dass Ashley und Carrie vor Eifersucht kochten, die mich fröhlich machte. Vor allem war es einfach ein tolles Gefühl ihn wiederzusehen.

    Nach der Schule machte ich mich auf den Weg ins Dorf. Noch war der Himmel strahlend blau und die Sonne knallte nur so auf die hellen, gepflasterten Straßen mit den kleinen Läden und den sommerlich bunt gekleideten Menschen herab, aber am Horizont waren schon dunkle Wolken zu erkennen. Weil für heute Nacht Gewitter angesagt war, hatte Miss Clinton mich beschworen auch ja vor dem Unwetter im Internat zu sein.

    Bevor ich das Eiscafé ansteuerte, machte ich einen Abstecher in die Bibliothek und lieh mir einen dicken Wälzer über griechische und römische Sagen aus. Morgen war ich in Geschichte mit meinem Vortrag über Odysseus dran. Eigentlich war das für mich ein Heimspiel, Sagen und Mythen interessierten mich einfach. Auf dem Regal über meinem Bett stapelten sich Bücher mit Sagen aus aller Welt, weshalb ich von Rachel regelmäßig von Kopfschütteln begleitete, herablassende Kommentare zu hören bekam. Trotzdem war unsere Geschichtslehrerin, die genau wie ich ihre halbe Freizeit in der Bibliothek verbrachte, immer begeistert, wenn man ausgeliehene Bücher mitbrachte, um daraus ein paar Zeilen vorzulesen.

    Das Buch unter dem Arm schlenderte ich dann die Straße weiter hinunter zum Eiscafé Venezia, dem Zuhause des besten Erdbeereisbechers der Welt. Die kleinen Plastiktische waren allesamt besetzt, aber Jared hatte schon einen freigehalten. Er zwinkerte mir zu, als ich mich zwischen Gästen und Kellnern hindurchschlängelte. Schließlich ließ ich mich ihm gegenüber in einen Stuhl fallen und knallte das Buch auf den Tisch. „Puh, ist das warm heute!, ich legte einen Moment den Kopf in den Nacken und sah in den blauen Himmel, „Es ist schön, dich mal wieder zu sehen. Er lächelte, „Es ist schön dich mal wieder zu sehen. Ich bin echt froh, dass es dir gut geht."

    Seine Stimme klang dabei so erleichtert, dass ich stutzte: „Warum sollte es mir nicht gut gehen?"

    Er fummelte an einem Zipfel der Tischdecke herum, „Naja, ein Kollege hat mir erzählt, an eurer Schule sei die Schweinegrippe ausgebrochen."

    „Ach Quatsch, das war nur ein Junge. Und der ist schon längst wieder gesund. Du brauchst dir keine..."

    „Haben sie sich schon entschieden, Signorina?", der ältere, italienische Kellner tupfte sich den Schweiß von der Stirn und fischte Block und Stift aus seiner Tasche.

    Das war keine schwere Entscheidung, da ich hier immer das Gleiche bestellte, „Einen Erdbeerbecher, bitte."

    „Für mich den Schokobecher", meinte Jared nach einem kurzen Blick in die Karte.

    „Ok, multo bene, kommt sofo... Mamma Mia!", der Kellner stieß eine Reihe italienischer Flüche aus und stürzte davon, um seine Aushilfe zu beschimpfen, die gerade ein Milchshake auf die Straße gekippt hatte.

    Jared warf einen neugierigen Blick auf mein Buch: „Was ist das?"

    „Ein Sagenbuch, ich drehte es herum, sodass er den Titel lesen konnte, „für Geschichte.

    Mit ein wenig zusammengekniffenen Augen deutete er auf das Bild auf dem Einband – eine Vasenzeichnung mehrerer Fabelwesen mit einem Pferdekörper und dem Oberkörper eines Mannes, dort wo der Hals des Pferdes normalerweise saß: „Sind das Zentauren?"

    „Genau, ich zwängte das Buch in meine Tasche und schloss den Reißverschluss, „Warum bist du uns dieses Jahr eigentlich nicht besuchen gekommen? Zu alt zum Bergsteigen?

    Er lachte, „Nein, ich hatte einfach nur... viel zu tun. Keine Zeit, um Urlaub zu machen."

    Ich nickte und mir wurde bewusst, dass ich gar nicht wusste, was ein Schulrat eigentlich den ganzen Tag machte, wenn er nicht gerade in einem Klassenraum herumsaß und die Schule inspizierte. Vielleicht war er deshalb so blass, weil er, statt sich draußen zu sonnen, seine Ferien hinter dem Schreibtisch verbracht hatte. „Du Armer, ich hängte meine Tasche wieder an den Stuhl, „Tja, mein Sommer war eigentlich ganz gut, wenn man davon absieht, dass Sarah uns für zwei Wochen nach Ayton zu ihren Verwandten verschleppt hat. Jared lachte, „Zu Onkel Mike. Seufzend nickte ich, „Ganz genau, zu Onkel Mike. Sarah war meine Adoptivmutter und über ihren Onkel hatte Jared von mir schon einige Tiraden zu hören bekommen. „Und, wie geht’s ihm?, fragte er, „Gut? Ich verdrehte die Augen, „Zu gut. Der Mann ist siebzig und macht mehr Sportarten als das Internat anbietet."

    „Hoppala!, der italienische Kellner zwängte seinen rundlichen Bauch zwischen den voll besetzten Tischen hindurch. „Schoko für Sie? Jared nickte, „Danke. „Ah, und Erdbeer für die Signorina, mit schwungvoller Geste stellte er beide Eisbecher auf dem Tisch ab.

    „Danke. Mmmh, das sieht lecker aus!", ich machte mich sofort über meinen Eisbecher her und Jared tat es mir nach.

    „Aber..., sagte er plötzlich und betrachtete mich ein wenig beunruhigt, „du hast nicht wieder solche... du weißt schon... hellseherischen Anwandlungen gehabt, oder?

    Jared war der einzige Mensch, dem ich das je erzählt hatte, und ich hatte es Sekunden danach schon wieder bereut, weil er vor Schreck fast vom Stuhl gekippt war und mich danach die ganzen Sommerferien pausenlos auf diese merkwürdige Art von der Seite angesehen hatte.

    „Nein, log ich, „schon lange nicht mehr. Wahrscheinlich waren das damals nur ein paar verrückte Zufälle.

    „Mmmh, murmelte er und löffelte wieder in seinem Eis herum, „Und ähm... schmeckt dir das Eis? Das war ein etwas plumper Versuch die leicht angespannte Stille, die dieses Thema nach sich gezogen hatte, zu brechen, aber ich war trotzdem froh darüber.

    „Klar! Erdbeereis ist einfach das Beste. Und Venezia ist die beste Eisdiele."

    Er grinste ein wenig erleichtert: „Quatsch, Schokolade ist das Beste! Außerdem schmeckt Erdbeereis gar nicht nach richtigen Erdbeeren. Weißt du, wie viele unschuldige, köstliche Früchte für das da sterben mussten?"

    Nachdem wir einige Minuten wortreich über Eissorten diskutiert hatten, rief Jared den Kellner: „Wir möchten bitte bezahlen."

    „Denk nicht mal daran, Emily!, fügte er grinsend hinzu, als ich mein Portmonee zücken wollte. Ich verdrehte die Augen und lächelte: „Danke.

    „Geht doch klar, er stand auf, „Na dann mal los, der Himmel sieht schon ziemlich düster aus.

    Er hatte Recht, das Gewitter stand unverkennbar kurz bevor, also legten wir den Rückweg zum Internat zügig zurück. Gerade als wir den Hof überquerten, fielen die ersten Regentropfen. Jared stieß die Eingangstür auf, „Na, wenn das kein perfektes Timing ist."

    Ich lachte, „Du musst nächsten Sommer wieder bei uns Urlaub machen, okay?"

    „Ich versuch’s, er umarmte mich und ich bemerkte den vertrauten Geruch nach Pfefferminzkaugummis, „Ich muss jetzt los. Aber es war toll dich zu sehen.

    Ich lächelte, „Dich auch. Mach’s gut."

    Nach dem Abendbrot lag ich im Bett und las das Buch aus der Bibliothek. Es war ein herrliches Gefühl, mich in meine warme Decke zu kuscheln und dabei dem Donner und den Regentropfen, die gegen mein Fenster klatschten, zuzuhören. Da die Lehrer am Freitag nicht so streng waren, wenn wir länger aufblieben, war Rachel zu ein paar von ihren Freundinnen gegangen, um einen Horrorfilm zu gucken. Also hatte ich das Zimmer für mich allein.

    Leider war mein Buch eine der nervigen Ausgaben ohne Inhaltsverzeichnis und hatte geschätzte eine Million Seiten. Also blätterte ich hin und her, auf der Suche nach der Sage von Odysseus, als plötzlich ein merkwürdiges Kribbeln durch meinen

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