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Adam Bocca im Wald der Rätsel: Das erste Abenteuer Adam Boccas unter den Kuppeln
Adam Bocca im Wald der Rätsel: Das erste Abenteuer Adam Boccas unter den Kuppeln
Adam Bocca im Wald der Rätsel: Das erste Abenteuer Adam Boccas unter den Kuppeln
eBook899 Seiten13 Stunden

Adam Bocca im Wald der Rätsel: Das erste Abenteuer Adam Boccas unter den Kuppeln

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Über dieses E-Book

Im Wald der Rätsel erlebt Adam Bocca das erste aus einer Reihe von Abenteuern in seinem Leben unter dem Schutz der Kuppel. In einer unbestimmt fernen Zukunft lebend ist Adam Bocca 19 Jahre alt und auf der Schwelle zum selbständigen Leben, als sein beschauliches Dasein als wenig ehrgeiziger Schulabsolvent aufgestört wird. Er begegnet Stella, einem Mädchen, dem er zunächst wenig Beachtung schenkt, in das er sich aber bald einfach verlieben muss. Als Adam bereit ist, ein ganz normales Leben in einer ganz normalen Beziehung zu leben, wird auch dieser Plan gestört: Entgegen allen seinen Gewohnheiten verlässt er ausnahmsweise einmal seine Heimatstadt Kys, eine Stadt wie alle Städte unter der Kuppel, in denen alle vernünftigen Menschen zu leben vorziehen. Dort draußen, in der ihm völlig unbekannten ländlichen und unbewohnten Umgebung der Stadt, begegnet er Wesen, deren Existenz ihm so unwahrscheinlich erscheint, dass er nicht sicher ist, ob er diese Begegnung wirklich erlebt hat. Adam stellt sich und seinen besten Freund Carlo auf die Probe - freilich ohne Carlo einzuweihen - und macht sich noch einmal auf die Suche nach den Wesen, die ihm prompt begegnen, und die ihm unmissverständlich bedeuten, er solle aus der Stadt weggehen und zu ihnen kommen. Adam wehrt sich dagegen, diesem Ruf nachzugeben, doch die Wesen lassen ihn so lange nicht in Ruhe bis er gegen den dringenden Rat seiner Freunde Carlo und Oskar sich entschließt, in den Wald zu den Wesen zu gehen. Das Leben dort ist ein Leben gegen die Gesellschaft, aber auch ein Leben gegen seine eigenen Gewohnheiten. Als es Winter wird, will Adam bereits verzweifeln, doch die Wesen werden immer mehr zu seinen Helfern. Er begreift, dass sie ihm helfen, um Hilfe von ihm zu erlangen. Schließlich lässt er sich darauf ein und versucht zu erforschen, wie er den Wesen helfen kann.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum4. Feb. 2014
ISBN9783847673767
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    Buchvorschau

    Adam Bocca im Wald der Rätsel - Tilmann A. Büttner

    Titel

    Adam Bocca

    im Wald der Rätsel

    von

    Tilmann Büttner

    Die erste Vorrede

    Ich schreibe alles auf. Ich fange jetzt einfach mal an, das alles aufzuschreiben. Ich habe keine Ahnung, ob mir das helfen wird bei dem, was vor mir liegt. Aber ich fange jetzt einfach mal an, alles aufzuschreiben. Von Anfang an. Wann fing es an? Noch im Hellen, im ganz Heiteren fing es an, da nahm der Weg seinen Anfang, der uns bis hierher führen würde. Wer hätte das gedacht. Ich schreibe das jetzt alles auf, auch in der Hoffnung, es dann verstehen zu können. Ich weiß auch nicht, ob mir noch genug Zeit bleibt, denn weder weiß ich, wie viel Zeit mit bleibt, noch, wie viel Zeit ich brauchen werde. Und ich weiß auch nicht, ob ich es werde mitnehmen können, wenn es soweit ist, und wenn ich bis dahin alles aufgeschrieben habe. Es ist halt doch eine ganze Menge.

    Wir hatten doch so viel Spaß. Ich will mich gar nicht beklagen, es war wirklich ganz viel Spaß dabei, was haben wir gelacht und Spaß gehabt. Und Tränen geweint. Tränen des Abschieds, der Verzweiflung, der Trauer, aber die Tränen sind verschwunden, versickert im Boden der Zeit, den haben wir beschritten, es ist nichts daraus gewachsen. Ich fürchte kein Urteil, mag es noch so ungerecht ausfallen, was wir getan haben, lässt sich ebenso wenig leugnen wie das, was zu tun wir versäumt haben. Das wird wahrscheinlich sogar viel schwerer wiegen. Auch will ich mich gar nicht darauf berufen, eine bloße Figur am Rande des Geschehens gewesen zu sein, vielleicht war ich das sogar, aber das war meine eigene Wahl. Mit dem, was ich wusste, hätte ich eingreifen können ins Geschehen, ich tat es nicht, vertraute auf die anderen so wie die anderen auf wiederum andere vertrauten, wohl auch auf mich.

    Hey, kennt ihr das? Die Party ist noch nicht vorbei, aber aus irgendeinem Grunde habt ihr euch entschlossen, doch schon zu gehen. Habt euch eingeredet, dass man aufhören soll, wenn es am schönsten ist, so was in der Richtung, und das hat für eure gute Laune gereicht, bis ihr draußen standet und die Tür hinter euch ins Schloss fiel. Und dann fällt euch alles ein, was ihr noch hättet sagen und machen wollen, und dass das Ganze dann noch viel besser geworden wäre. So viel besser, dass euch im Vergleich dazu das wirklich Geschehene erbärmlich vorkommt. Und jetzt? Könnt ihr wieder umkehren? Macht euch noch mal jemand auf? Nein? Ihr wisst es nicht, denn ihr traut euch bestimmt nicht, eine Rückkehr zu versuchen.

    Das habe ich euch voraus.

    Die Stadt bei den Flüssen, 1. Kapitel

    Adam Bocca war ein freundlicher junger Mann von neunzehn Jahren und deshalb sehr überrascht, als er an einem warmen Samstagnachmittag im strahlenden Juni am grünen Ufer der Kirna ordentlich eine aufs Maul bekam. Na gut, ich selber bekam auch einen Riesenschreck, weil alles so schnell ging, dass ich Adam gerade noch auffangen konnte, als er rücklings auf die beiden Mädchen auf der Strandmatte zu stolpern drohte. Und das hätte den Typ, der plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht war, sicher noch viel wütender gemacht. Auf einmal war der Typ da, packte Adam an der linken Schulter, drehte den verdutzten Jungen herum und pfefferte ihm eine schallende Backpfeife, dass es nur so klatschte. Das wäre vielleicht der richtige Moment gewesen, uns schleunigst vom Acker zu machen, aber Adam war mutig genug – vielleicht auch schon zu selig angetrunken –, den Ernst der Lage zu verkennen und vor den beiden jungen Damen statt der schmählichen Flucht den aufrechten Widerstand auszuprobieren. Leider blieb es beim Versuch. „Hör mal, Mann…" sagte Adam mit leicht verwaschener Aussprache, aber der Typ war offensichtlich nicht heran gerauscht um uns irgendwie zuzuhören. Statt Worte zu wechseln, wollte er lieber gleich Taten sprechen lassen. Der Typ schwang einen einwandfreien rechten Haken, mit dem er Adam am Kinn traf.

    Unser guter, argloser Adam! Glück für ihn, dass er wohl wirklich überrascht und auch nicht wenig empört, aber auf gar keinen Fall in Kampfeslaune war. Denn so blieb er ganz locker, und sein Kopf klappte ohne größeren Widerstand nach hinten, wie bei einem Kuscheltier, mit dem man Fußball spielt. Erst jetzt erwachte ich aus einem tranceartigen Zustand der Benommenheit und war in der Lage, Adam aus den Klauen dieses prügelsüchtigen Berserkers zu befreien. Ich hatte schon die üble Ahnung, Adam könnte es mit einer weiteren Probe seiner unwiderstehlichen Verbaldiplomatie versuchen, denn nachdem er sich den Kopf zurecht geschüttelt hatte, machte er den Mund auf. Der Kinnhaken musste ihm aber doch mehr zugesetzt haben, als ich auf den ersten Blick erkannt hatte. Anstatt noch etwas zu sagen, taumelte Adam ein, zwei Schritte rückwärts, so dass das blonde Mädchen gerade noch den Fuß zurückziehen konnte. Nicht auszudenken, wenn Adam der Liebsten dieses Kinnhaken-Bronkos auch noch auf den Fuß gelatscht wäre! Um das zu verhindern und Adams Rückwärtsgang zu stoppen, machte ich einen Ausfallschritt, packte ihn bei beiden Schultern und zerrte ihn flink aus der Gefahrenzone.

    Adam ließ sich bereitwillig wegziehen und ging dann ohne Anstalten mit mir weg, ohne sich auch nur einmal nach dem Typen und seinen beiden Damen umzuschauen. Ich behielt den Gorilla natürlich gut im Auge, indem ich mich auf unserem Abzug (um das klarzustellen: gerannt sind wird nicht) immer wieder nach ihm umdrehte. Aber da war die Gefahr schon gebannt, der Typ warf uns nur einen kurzen bösen Blick hinterher und ein seinem begrenzten Esprit angemessenes „Verpisst euch, ihr Säcke!, dann widmete er sich seinem freigeboxten Zwei-Personen-Harem. Das blonde Mädchen versuchte ihn wohl auch irgendwie zu beruhigen mit „Hey, Freddy, ist gut jetzt, sowas in der Art, aber genau habe ich es nicht verstanden. So, so, Freddy, der Rächer der angebaggerten Flussufer-Schönheiten, dachte ich mir. Vielleicht hatte unsere Musiklehrerin doch recht gehabt, als sie uns mit klassischen U2-Songs quälte, denn da heißt es doch wohl sinngemäß, dass jede Schönheit einmal mit einem Idioten ausgehen muss. Kaum zu glauben, dass unser schulischer Bildungskanon solche Perlen der Weisheit bereit hält.

    Schließlich bogen Adam und ich auf unserem Weg zum Kiosk des „Goldenen Erpels" – dem besten Platz in ganz Kys, um sich beim Sonnenbad am Ufer der Kirna mit frischen Kaltgetränken zu versorgen – um die Ecke. Ich hatte Gelegenheit, meinen auf der Balz misshandelten Kumpan näher zu begutachten. Adam hatte Dusel gehabt, seine linke Backe leuchtete von der Backpfeife zwar in lebensbejahendem Rot und auf derselben Seite schien mir sein Kinn ein wenig geschwollen. Aber er blutete nicht und auch sein Kiefer und seine Zähne waren noch ganz und in einem Stück. Und hey, ehrlich, mehr als mich schnell mit Adam vom Acker zu machen hätte ich echt nicht tun können. Gut, zugegeben, ich hätte ihn überreden können, die beiden Mädchen auf ihrer Bast-Strandmatte erst gar nicht anzusprechen.

    Ich meine, es war ein toller Tag. Wir saßen mit Carlo und den Jungs am Fluss und als nach einem guten Stündchen Faulenzen und dummes Zeug Quatschen unsere Erstausstattung an Reisbier leer gewesen war, hatten Adam und ich von jedem einen Obolus eingesammelt und uns auf den Weg zum Kiosk gemacht, um Nachschub zu holen. Am oberen Ende des Strandbades, da wo die von frisch gemähtem Rasen herrlich duftende Böschung an die Platanenallee grenzte, hatte Adam mich am Unterarm gepackt und mir – bevor ich mich überhaupt erschrecken konnte – zugeraunt „Wow, schau mal! Das war ja nun für einen jungen Mann, gerade verzaubert vom Anblick eines hübschen Mädchens, eine ziemlich anständige Ausdrucksweise. Ich hatte erstmal nach einem Eisstand oder einem tollen Auto oder sowas in der Art Ausschau gehalten. Aber Adams Klammergriff hatte sich einfach nicht gelöst und er hatte mich nach links gezerrt. Es muss der Augenblick gewesen sein, in dem das schwarzhaarige Mädchen sich vom Bauch auf ihre rechte Seite drehte, genau die Sekunde, in der mein Blick von ihr gefangen genommen wurde. Adam hatte mich zur Standmatte der beiden gesteuert. Ich hatte zu ihm vielleicht noch etwas in der Art wie „Ähm, was ist den jetzt mit dem Bier oder so gesagt, genau weiß ich das nicht mehr; jedenfalls habe ich nicht versucht, mich von ihm loszureißen. Er hätte mich auch gar nicht zur Strandmatte führen müssen, denn ich war mindestens genauso stark und magisch von den beiden Mädchen angezogen wie er.

    Zum Glück hatte er mich wenigstens losgelassen, als wir direkt vor den beiden Mädchen standen, und er zu der Blonden gesagt hatte: „Hallo, ich bin… hier, also… mit meinen Freunden,… bin ich hier. Und ihr?" Ich bin mir auch nicht mehr sicher, ob ich Adams sensationelle Anmache bewunderte oder seine Dummheit beklagte, die Schwarzhaarige zu übersehen und an der Blonden hängenzubleiben. Wahrscheinlicher ist, dass ich einen herrlichen Augenblick lang gar nichts dachte. Während Adam das blonde Mädchen angesprochen hatte, war ich in eine Art wunderbare Schockstarre beim Anblick ihrer schwarzhaarigen Freundin gefallen.

    Was für wunderbare Haare, langes schwarzes, fast bläulich schimmerndes Haar, sie trug es offen und es fiel ihr auf ihre Schultern, die so schön waren, so ebenmäßig und wohlproportioniert, dass mir der Anblick fast weh tat. Ihre Haut hatte einen dunklen, südländischen Teint mit einem Stich ins Olivgrüne, der vollkommen mit dem Blauschwarz ihres Haars harmonierte. Und ihr Gesicht! Ich will gar nicht erst versuchen, ihre seltsam tiefblauen Augen zu rühmen, ihre kerzengerade Nase, die in ungeschminkter Schönheit strahlende Röte ihrer Lippen oder den sanften Schwung ihrer Augenbrauen, die in einer Linie mit ihren Wangenknochen geschaffen schienen. Mir fehlt bestimmt die Gabe, der Schönheit ihres Gesichts gerecht zu werden, aber ich konnte, als ich da vor ihr stand, drei oder vier Armlängen von ihr entfernt, meinen Blick einfach nicht davon abwenden. Und das, obwohl sie einen Bikini trug und ich – und überhaupt jeder Kerl in meinem Alter und mit meiner Bereitschaft für die Schönheit aller Mädchen – jeden erdenklichen Anlass gehabt hätte, nicht nur auf ihr Gesicht zu achten! Wenn man mich zum Beispiel nach der Farbe des Bikinis fragen wollte… okay, ich gebe es zu, das weiß ich noch, sogar ganz genau, sie trug einen leuchtend grünen Bikini, grün wie ein Baum im Frühling. Aber mal abgesehen davon, hatte ich nur Augen für ihr wunderbares Gesicht. Ein so wunderbarer Kopf auf zwei so schönen Schultern.

    Ich schwamm auf einer Welle stummer Begeisterung, die Antwort der Blonden auf Adams unnachahmlichen Eröffnungszug der Flirtkonversation kam nur dumpf und wie aus weiter Ferne an mein Ohr. Ewig hätte ich in Trance da stehen können. Aber dann kam ja der Typ, der „Ey-quatsch-mein-Mädel-nicht-an"-Platzhirsch, der Mann, der weiß, dass es nur einen geben kann, der doof genug ist, Mädels mit Hieben gegen Nebenbuhler beeindrucken zu wollen. Mädchen wollen das nämlich gar nicht, ganz bestimmt nicht. Oder ich müsste mich von meinem Axiom verabschieden, dass die Welt eigentlich doch schön ist.

    Jedenfalls hatte es „Klatsch! gemacht, als der Typ sein Backpfeife verteilt hatte, und davon musste ich wohl aufgewacht sein. Als wir um die Ecke gegangen und in Sicherheit waren kam auch Adam endlich wieder zu sich. „Aua, Mann, verdammt! fluchte er. Da konnte ich ihm nur stumm nickend zustimmen. „Wie kann man nur so … so aggressiv sein?" wunderte er sich. Tja, Adam, lieber Adam, vielleicht bist du jetzt endlich alt genug, um zu erfahren, dass der Schutz der Kuppel uns nicht vor allem bewahrt? Nein, das sagte ich ihm natürlich nicht, obwohl ich gerade anfing, echt sauer auf ihn zu sein. Das hätte wirklich ganz anders ausgehen können. Wenn Freddy drei, vier Reisbier mehr gehabt hätte und wirklich wütend geworden wäre, hätten wir eine wunderbare Strandbad-Schlägerei lostreten können. Das kam ja schon hin und wieder vor an der Uferpromenade der Kirna, und die Beteiligten durften im Anschluss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf eine gründliche Behandlung durch die Secuforce, den größten Sicherheitskonzern in Paneupinia, einschließlich Übernachtung und Frühstück rechnen. Und ich rede noch nicht einmal von der vertanen Chance, die Schwarzhaarige kennenzulernen.

    Hätte ich Adam nicht vor Prügel bewahren müssen, und hätte er mit seinem tapsigen Auftreten nicht sowieso schon alles vermasselt, dann hätte ich es bestimmt hingekriegt, die Schönheit im Bikini mit einem originellen Spruch anzusprechen und nicht nur ihren Namen, sondern vielleicht sogar ihre Nummer zu erfahren. Und dann muss mir unser hauptamtlicher Gutmensch Adam in die Quere kommen!

    Aber ich konnte ebenso wenig wie die anderen Jungs aus unserer Clique dem guten Adam lange böse sein. Er war ein bisschen wie ein kleiner Bruder für uns, auf den aufzupassen wir uns alle Mühe gaben. Die Mühe war auch nicht allzu groß, denn Adam war ein eher schüchterner Junge, der nur selten die Initiative ergriff. Seltsam, ausgerechnet an jenem Samstag war er es gewesen, der die Idee gehabt hatte, an die Kirna zu gehen und uns in die Sonne zu legen. Und dass er aus heiterem Himmel auf die Idee gekommen war, zwei hübsche, ihm aber leider vollkommen unbekannte Mädchen anzusprechen, das passte eigentlich auch nicht so recht zu ihm. Und dann musste es gleich so enden! „Na, komm, sagte ich zu ihm „kein Alkohol ist auch keine Lösung. Die Jungs warten bestimmt schon auf Nachschub.

    „Sie hätte mir bestimmt ihre Nummer gegeben", gab er mir zur Antwort.

    „Wie bitte?" Das durfte ja wohl nicht wahr sein.

    „Ja, sie hat mich angelächelt, als ich sie nach ihrer Nummer gefragt habe, und wollte sie mir bestimmt gerade sagen, als dieser… dieser Rüpel mich zusammengeschlagen hat."

    „Adam, das war kein Rüpel, sondern ein Arschloch. Und er hat dich auch nicht zusammengeschlagen, sondern dir ganz sportlich eine gezimmert, weil du seine Perle angequatscht hast. Und, ich muss schon sagen, wenn du echt so doof gewesen sein solltest, sie auch noch nach ihrer Nummer zu fragen, dann hast du es auch echt verdient."

    „Verdient? Ich kann ja wohl ansprechen, wen ich will, ohne gleich tätlich angegriffen zu werden. Was denkt der Kerl sich denn! Das ist hier doch keine… Fußballkaschemme!"

    Fußballkaschemme, ja, so stellte sich Adam das böse Leben ständig besoffener Sportfreunde vor, barbarische Kerls, die nur darauf warten, unschuldige Mitbürger zusammenzuschlagen. Jetzt war es auch an mir, den lieben Jungen zu beruhigen.

    „Nein, so habe ich das ja nicht gemeint. Klar, der Typ ist ein echter Arsch, sag ich doch. Aber du musst hier am Strand schon ein bisschen aufpassen, welches Mädchen du so mal eben auf ihre Nummer ansprichst. Hast du das eigentlich wirklich gemacht?"

    „Ja klar, du standest doch daneben."

    „Das schon, meinte ich, „ich hab’s aber nicht mitgekriegt. Hatte ich wirklich nicht, schwarzes Haar und so, was sollte ich tun. „Egal, jetzt lass uns mal das Bier holen gehen, ist ja zum Glück nichts passiert."

    Später, ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen war, saßen wir wieder mit den Jungs in unserem kleinen Biertrinklager wenige Schritte von der Stelle entfernt, an der die Wellen des Flusses ans Ufer plätscherten. Der erste, von uns geholte Biernachschub war schon ausgetrunken. Carlo und ein entfernter Bekannter von ihm – der Typ kam wohl aus Vallinigra, stank ziemlich aus dem Mund und kicherte viel und sinnlos vor sich hin, also nicht Carlo, sondern sein Bekannter – hatten die nächste Runde schon geholt, und wir nahmen die ersten Schlucke. Es hatte noch weiter aufgeklart, die letzten Wolken hatten sich entweder ganz verzogen oder in dünne, hohe Schleier verwandelt. Die Sonne stand schon tief über der Stadt und konnte das Ufer ungehindert und mit der vollen goldenen Wucht bescheinen. Wir hatten nicht wirklich ein Auge dafür, waren eher mit einer verbissenen Freude dabei, unsere Flaschen auszutrinken. Unsere Stimmung war wunderbar und beschwingt. Daran konnte nicht einmal Frank Fahrenheit, die alte Nervensäge, etwas ändern, als er sich irgendwann zu uns gesellte und wir ihn widerstrebend bei uns duldeten. Seine doofen Sprüche quittierten wir mit noch dooferen, und so trug „Ferkel-Frank zu unserer guten Laune bei, statt sie zu trüben. „Ferkel-Frank übrigens wegen seiner Vorliebe für eher ausgefallene Cybersex-Netzinhalte, jeder von uns kannte diese Geschichten und konnte schon deshalb Frank nicht für voll nehmen.

    Ein paar der Jungs hatten sich unterdessen todschicke Sonnenbrillen auf die Nase gesetzt, andere die Augen geschlossen, was ihnen eine nachdenkliche Miene gab, wieder andere hatten sich einfach mit dem Rücken zur Sonne gesetzt, um nicht geblendet zu werden. So hatte auch ich es gehalten, und vielleicht war ich deshalb der erste, der bemerkte, dass Stella zu uns herüber kam.

    Dass sie Stella hieß, das wusste ich natürlich noch nicht in dem Augenblick, als ich das fantastische schwarzhaarige Mädchen sah, das zusammen mit ihrer schwer bewachten blonden Freundin Adam und mich beinahe in eine schlimme Falle gelockt hätte. Jedenfalls kam sie jetzt auf unsere Gruppe sich hingefläzter und Reisbier trinkender Jungs zu. Kurz blieb sie stehen, schirmte mit der flachen Hand ihre Augen gegen die tief stehende Sonne, orientierte sich und ging dann weiter zu uns hin. Sie hatte eine helle, weite Stoffhose angezogen und ein Oberteil in derselben baumgrünen Farbe, die auch ihr Bikini hatte. Ja, na gut, daran konnte ich mich sofort erinnern, nachdem ich sie an ihrem wunderbaren schwarzen Haar erkannt hatte. Über der Schulter trug sie eine große Stofftasche in einem quietschend leuchtendem Orange. Die tief stehende Sonne beleuchtete sie wie ein Bühnenscheinwerfer, nur eben unendlich viel goldener, wärmer. Der bläulich-schwarze Ton ihrer tief dunklen Haare war dadurch überblendet, es schien nun eher in leichten Rottönen zu glühen. Ihre Haut wirkte noch südländischer und schimmerte wie edles Holz. Ganz unbeirrt und zielstrebig kam sie auf uns zu. Ich verschluckte mich an meinem Bier und prustete Carlo eine ansehnliche Portion aufs Hemd.

    Schließlich blieb sie vor unserer Gruppe stehen. „Habt ihr eins davon für mich übrig?" fragte sie und deutete auf unseren geschrumpften Vorrat an Reisbierflaschen.

    Carlo, ganz Kavalier, sprang eilfertig auf, rief freudig „Na klar, willst du dich vielleicht zu uns setzen?" und öffnete – sehr beeindruckender Trick – den Kronkorken einer Flasche mit seinem Ring; was seine Verlobte wohl dazu gesagt hätte? Und warum uns Kerlen immer das Gehirn stehen bleibt, wenn wir in der Nähe von Mädchen wie Stella sind?

    Die anderen, mich eingeschlossen, sagten gar nichts, vielleicht blieb manchen sogar der Mund offen stehen. Und Carlos Begrüßungsrede war ja auch nicht gerade getragen von tiefsinniger Schlauheit. Ob sie sich „vielleicht" zu uns setzen wollte, na toll. Nee, sie wollte vielleicht auch nur eine Flasche Bier schnorren und sich das Kaltgetränk von ihrem Bronko aus dem Bauchnabel lutschen lassen, Mann, was für eine doofe Frage. Egal, Stella machte es nichts aus.

    Sie setzte sich direkt neben Adam, obwohl da eigentlich kein Platz frei war. Aber der Bekannte von Carlo hatte nicht nur das blödsinnige Kichern eingestellt, sondern war auch erschrocken zur Seite gewichen. Besser für ihn, denn Stelle hätte ihm sonst bestimmt einen aussagekräftigen Tritt verpasst. Sie nahm einen großen ersten Schluck. „Lecker, konstatierte sie, „und schön kalt. Dann noch ein echter Jungensschluck und schließlich – ein waschechter Rülpser: „Uuuualp!. Carlos Bekannter kicherte natürlich gleich wieder los. Treten konnte sie ihn nicht mehr, jetzt, da sie schon saß. Nur verbal. „Bist du irgendwie doof? fragte sie ihn mit eiskalter Stimme. Der Kicherer kicherte nicht mehr, machte leicht den Mund auf, und fing sich gleich die nächste ein. „Halt lieber die Klappe", schnauzte Stella, und nahm noch einen Schluck. Was für ein sensationeller Einstand in einer Runde ihr bis dahin völlig unbekannter Adoleszenten. Hut ab!

    Aber sie machte auch gleich klar, dass sie nicht (nur) auf Krawall gebürstet war. „Nix für ungut, sagte sie, an uns alle gewandt, „aber ich habe für heute Nachmittag eigentlich schon reichlich genug von sozial auffälligen Halbstarken. Das konnte Carlos Bekannten eigentlich nicht wirklich versöhnen, aber er sagte nichts, und auch Carlo ergriff keine Partei für ihn, ganz im Gegenteil.

    „Kein Problem, sagte Carlo in seinem jovialsten netter-Mensch-Tonfall, „er wollte sowieso gerade eine neue Runde holen gehen.

    Das verstand der Kichermann auch sofort, seltsamer Weise, er sprang auf, als hätte ihn was gebissen und trollte sich zum Kiosk.

    „Na dann, Prost, sagte Stella, jetzt nur zu Adam, und stieß mit ihrer Flasche gegen seine. „Ich heiße übrigens Stella.

    „Hallo, Stella, antwortete er. Hoffentlich ist er jetzt nicht so bescheuert, nach ihrer blonden Freundin zu fragen, wünschte ich mir inständig. „Wo ist denn deine Freundin? Die mit der du auf der Strandmatte warst? Ach, Adam!

    „Die ist mit ihrem Freund abgezogen, die arme Gestörte." Ja! JaJaJaJaJa! Der Bronko war nicht Stellas Typ, sondern der von ihrer Blondinen-Freundin, und Stella fand ihn – mindestens – genauso doof wie ich. Da musste ich doch gleich eingreifen.

    „Ja, echt, so ‘nen Penner muss man sich echt nicht antun", gab ich nickend zum Besten. Was ich nicht hätte tun sollen.

    „Hör mal, Freundchen, antwortete Stella und ihre Stimme glitt unüberhörbar wieder ins Eisige, „das ist ja wohl Sandras Sache, wie sie mit ihrem Freund umgeht. Okay, Freddy ist kein einfacher Mensch, aber es wäre auch nicht in Ordnung, wenn sie ihn einfach mal so eben fallen lässt, wenn er ein bisschen ausrastet. Und wenn das jemand dann komisch finden darf, dann ja wohl jemand, der sie kennt, und nicht so ein dahergelaufener Bengel. Dahergelaufener Bengel, wie groß waren die Chancen, dass sie mich damit nicht gemeint haben könnte?

    „Na ja, egal, ich bin ja nicht hergekommen, um zu streiten" meinte sie, wieder in deutlich wärmerem Ton. Schade nur, dass sich ihr Friedensangebot wieder allein an Adam richtete, und sie mich wohl schon wieder aus ihrem Kurzzeitgedächtnis gestrichen hatte. Auch an den anderen schien sie kein besonders großes Interesse zu haben, jedenfalls kümmerte sie sich nicht darum, ob die ihr doch ziemlich selbstbewusstes Auftreten toll oder eher störend fanden. Stattdessen versuchte sie, mit Adam in ein Gespräch zu kommen.

    „Und, was machst du so, wenn du nicht gerade Blondinen im Strandbad anbaggerst?" fragte sie Adam.

    Adam schaute geniert zu Boden, gnädig verdeckte ein Schatten auf seinem Gesicht eine aufkommende Röte. „Ich hab sie nicht angebaggert, sagte er im Ton eines beim Naschen erwischten Kindes, „ich wollte sie nur kennenlernen und nach ihrer Telefonnummer fragen.

    „Oh, ach so, na zum Glück, ich dachte, du wolltest sie anbaggern. Aber wenn du nur auf ihre Telefonnummer aus warst… grinste Stella. „Es gibt wohl doch noch ganz anständige Jungs. Wie heißt du?

    „Adam."

    „Schön dich kennenzulernen, Adam. Stille. „Und toll, dass du mich nicht gleich so zuquatschst. Vielleicht magst du trotzdem meine Frage beantworten?

    „Hm?"

    „Was du so machst, in deinem Leben."

    „Och, druckste Adam, „nichts besonders. Stille.

    „In der Branche bin ich auch sagte Stella schließlich. „Wir haben ja sooo viele Gemeinsamkeiten. Was speziell nichts Besonderes machst du so?

    „Mach’n Praktikum, beim Amt."

    „Das ist ja mal wirklich ganz dolle nichts Besonderes. Glückwunsch."

    An der Stelle fühlte Carlo sich gedrängt, in das Gespräch einzugreifen. Adam stand ihm doch um einiges näher als der Kichermann.

    „Er absolviert eine freiwillige Dienstzeit beim Regierungsamt für Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung sprang er Adam bei. „Unser junger Freund hier könnte da richtig was draus machen. Wenn er nur nicht so eine Trantüte wäre. Das Zeug dazu hätte er, sein Schlusszeugnis ist jedenfalls ein echter Hingucker. Stimmt’s, Adam?

    Was soll man auf so eine gutgemeinte Hilfestellung antworten, die dir dein bester Freund in Anwesenheit einer sehr hübschen Frau gibt? Nichts. Und genau das tat Adam.

    „Wann hast du denn den Abschluss gemacht? In diesem Jahr?" fragte Stella ihn.

    „Nein, letztes" antwortete Adam, immer mehr drucksend.

    „Oha, und seitdem machst du freiwillige Dienstzeit?"

    Adam nickte.

    „Ich seh‘ schon, du willst Experte im nichts-Besonderes-Machen werden. Ist ja auch wirklich ein Handwerk mit Zukunft" antwortete Stella, nahm einen letzten Schluck aus ihrer Flasche und nickte so interessiert, als hätte ihr jemand gerade erklärt, er sei der Erfinder der Hochgeschwindigkeits-Transittunnel.

    „Also, ich ging Carlo jetzt noch einmal dazwischen, „ich studiere. An der Regierungsuni. Ökonomie. Ist echt total stressig, aber auch total interessant, ich mache gerade Scheine in…

    „Na, sapperlot, unterbrach Stella ihn, „schön, dass du dir bei dem ganzen Stress heute ein bisschen Zeit freischaufeln konntest.

    Carlo wurde rot, ein paar von den Jungs lachten, leise, um nicht als nächster was abzubekommen. Ich glaube, sie waren alle genauso in Stella verliebt wie ich, Adam jetzt mal ausgenommen. Der wollte einfach nicht begreifen, dass Stella, dieses wunderbare Mädchen einzig und allein für ihn hergekommen war und sich unter ein Rudel Bier trinkender Jungs gewagt hatte. Unfassbarer Trottel, der er damals war.

    „Und, sag mal", fing er zaghaft an.

    „Ja?" ermunterte Stella ihn, wohl in der Hoffnung, er würde jetzt endlich mit ihr ins Gespräch kommen wollen.

    „Ja, hm, also die… Sandra, also deine Freundin… das ist doch der Name deiner Freundin, also der Blonden von vorhin?"

    „Jaaa…" Stellas Ton kühlte schon wieder deutlich ab.

    „Ah, ach so, stammelte Adam weiter, „die ist also mit dem anderen, na ja, mit dem Freddy zusammen, stimmt’s?

    „Bingo. Fein beobachtet."

    „Du hast nicht zufällig trotzdem ihre…"

    „Ihre Nummer?"

    „Hmmm."

    „Na gut, pass auf seufzte Stella und holte tief Luft. Dann kramte sie in ihrer Tasche herum bis sie einen Stift fand. Sie nahm ihre leere Flasche und schrieb etwas auf das vom Kondenswasser feuchte Etikett, das sie schließlich vorsichtig abzog. „Ich geb dir jetzt eine Nummer. Sie klebte Adam das Etikett schwungvoll auf die Backe. Der arme Junge war über seine zweite Backpfeife innerhalb kurzer Zeit so überrascht, dass er – wieder mal – gar nichts sagte oder machte.

    „Das ist natürlich nicht Sandras Nummer, fuhr Stella fort. „Ich glaube du weißt, was es heißt, einen besten Freund zu haben. Sie sah Carlo an. „Von dem würdest du auch nicht wollen, dass er deine Nummer rausrückt, wenn jemand Wildfremdes danach fragt. Und ich bin nunmal Sandras beste Freundin, egal, was für ein Voll-Bronko ihr Typ ist. Das wirst du, wie gesagt, sicher verstehen. Ich hab dir meine Nummer aufgeschrieben, nur für den Fall, dass du doch noch ein bisschen mit mir quatschen willst." Damit stand sie auf und griff ihre Tasche.

    „Danke für das Bier, Jungs. Und, ach ja, wenn einer von euch auf die Idee kommen sollte, Adam etwas zu genau auf die Backe zu schauen und mich dann anzurufen, dann schneid ich ihm die Eier ab. Versprochen."

    Sie drehte sich um und hätte beinahe den Kichermann über den Haufen gerannt, der gerade mit einer Arm voll Bierflaschen angetöffelt kam und vor lauter Schreck, Stella in voller Größe gegenüber zu stehen, einen erschreckten Satz zur Seite machte. Aber sie tat ihm nichts, außer ihm eine Flasche abzunehmen. „Danke, Doofmann, sagte sie zu ihm, diesmal mit zuckersüßer Stimme „hab dich auch lieb. Sie öffnete die Flasche ebenfalls mit einem Fingerring – einem herrlich bunten Schmuckring mit leuchtenden Blütenornamenten – und warf Adam den Kronkorken zu.

    „Mach’s gut".

    Ein fantastischer Tag neigte sich dem Ende zu, die Sonne versank hinter dem Horizont und Stella verschwand in der Menge der Menschen, die vom Fluss aufbrachen, um nach Hause zu gehen. Die jetzt immer tiefer stehende Sonne durchstrahlte und wärmte eine weiche Abendluft, in der jeder frei und unbeschwert atmete und alles möglich schien. Wer immer wollte, konnte an so einem Sommerabend alle möglichen Pläne der Welt schmieden oder in das verrückteste Abenteuer aufbrechen. Wenn man denn nur wollte.

    Die Stadt bei den Flüssen, 2. Kapitel

    Ja, so war das damals an jenem wunderbaren Spätsommerabend in Kys an den grünen, goldenen Ufern der Kirna. Eine Clique junger Kerls, die von einem prächtig schönen Samstagabend nicht mehr erhofften, als ein paar faule Stunden bei kühlem Reisbier zusammen mit „unseren Jungs" zu verbringen. Und deren Hoffnungen auf ein kleines Abenteuer des Lebens schon weiter übertroffen worden waren, als wir einem Mädchen wie Stella begegneten. Ich brauche eigentlich gar nicht zu sagen, dass wir, nachdem sie wieder verschwunden war, natürlich noch lange dort saßen, keine fünf Schritte von den lebensfroh plätschernden Wellen des sanften Flusses. Zuerst hatten wir, Stella war kaum außer Hörweite, aufgeregt durcheinander geschnattert, Adam mit Fragen gelöchert, was denn wohl das gewesen sei, und wie er es denn nun angehen wollte, sie anzurufen, und überhaupt, was denn passiert war, als wir beide Bier holen gegangen waren. Adam antwortet nicht viel, wischte sich mit einer ärgerlichen Bewegung das feuchte Etikett von der Backe, schmiss es aber dann doch nicht ins Wasser, sondern hielt es so lange zwischen den Fingern, es manchmal nachdenklich betrachtend, bis er es schließlich in die Brusttasche seines Hemdes steckte. Da war die Aufregung der Jungs schon abgeflaut, noch ein paar anzügliche Bemerkungen über Stella machten die Runde, Ferkel-Frank bekam ordentlich eine eingeschenkt, als er es wieder einmal übertreiben musste. Selbstverständlich beteiligte ich mich überhaupt nicht an dem ganzen Gelaber, sondern versuchte, die Jungs so gut und auffällig es eben ging, auf ein anderes Thema zu bringen. Schließlich wurde noch einmal Bier geholt, und nochmal und nochmal, bis wir uns auflösten, die einen nach Hause gingen und andere zu einer Tour durch die Kneipen und Bars der Stadt aufbrachen.

    Wir waren in einem Alter, in dem der Mann in uns sich nur zögerlich gegen den Jungen durchsetzte. Zum Erwachsenwerden hatten wir keine besondere Lust, selbst Carlo, unser Vorzeigestudent an der Regierungsuni nicht. Er war zwanzig Jahre alt, Adam und ich, wie die meisten aus der Clique erst neunzehn. Jeder von uns hatte die Schulzeit erst kurze Zeit zuvor hinter sich gebracht. Alle lebten wir mit unseren kleinen, bescheidenen Hoffnungen auf das alltägliche und beherrschbare Glück vor uns hin. Wir wollten: uns von unseren Eltern losmachen, immer genug Zeit und ein bisschen Geld für Spaß mit der Clique haben, Mädchen kennenlernen, mit Mädchen zusammen sein, mit einer besonders hübschen, wenn es denn irgendwie ginge, ins Bett gehen. Wir konnten: das tun, was alle in unserem Alter gerne taten, weder waren wir Rebellen noch litten wir Mangel. Wir mussten: uns um niemanden wirklich kümmern, dafür mitmachen im Strom der Gesellschaft, uns darin im Rahmen des Anstands und des gewohnten Lebens bewegen; aber etwas anderes wollten wir sowieso nicht. Kurzum: Wir waren zufrieden. Vielleicht nicht glücklich, wenn Glück eine Steigerung der Zufriedenheit ist, aber zufrieden, nach Art eines unauffälligen Glücks zufrieden.

    Das waren aber nicht nur wir, das war jeder Mensch in Kys und den anderen Städten, in Doburg oder Kwostnau oder Olznach oder Ubbenburg und in überhaupt allen Städten in der Paneupinia. Geschirmt von der Kuppel, unserer Kuppel, lebten wir beschützt, im Großen wie im Kleinen. Die Kuppel gab uns Sicherheit, ohne dass wir sie sahen. Niemand von uns war jemals auch nur in die Nähe des Randes der Kuppel gekommen, und wenn wir bei strahlendem Sonnenschein im Freien waren, vielleicht im warmen Gras am Flussufer lagen und nach oben zwinkerten, dann konnten wir sie nicht wahrnehmen. Und was war die Kuppel denn auch schon? Sie existierte, nun gut, aber eben außerhalb unserer Wahrnehmung. Tabuisiert war sie nicht, oh nein, ab der dritten Schulklasse war die Kuppel das Thema im Lebensführungsunterricht, einem ebenso öden wie leicht zu beherrschenden Schulfach: Man musste immer nur fix auswendig lernen, was einem die Lehrer immer und immer wieder vorbeteten, solange bis es sich auch der letzte Depp merken konnte. Und wenn man es dann in den Klassenarbeiten eins zu eins wiedergab, wie es einem eingetrichtert worden war, dann bekam man die Bestnote. Nur gut, dass Lebensführungskunde von der ersten bis zur letzten Schulklasse Hauptfach war. Wenn man es damit nicht schaffte, war einem einfach nicht zu helfen. Leicht verdiente Bestnoten ganz ohne jedes Nachdenken. Und die Kuppel, ja, das war die große Nummer, bei der alle Lehrer einen wichtigen Ton in der Stimme und einen existentiell-entschlossenen Blick bekamen, sie straften sich, nahmen würdige Haltung an, wenn sie von der Kuppel erzählten. Und sie schilderten in immer neuen, noch farbigeren, noch sinnfälligeren Bildern die Existenz und Wirkungsweise der Kuppel Paneupinia und auch aller anderen Kuppeln. Wie sicher die Kuppel war, wie unglaublich groß und doch stabil, wie wunderbar es war, die Kuppel um sich zu haben – und wie gut, dass man über die Transitexpresstunnel eins-zwei-drei von einer Kuppel in die andere reisen konnte, so dass die Kuppeln in Wahrheit die Menschen gar nicht voneinander trennten, sondern überhaupt erst verbanden. Wenn es besonders dicke kam, mussten wir uns dann noch verworrene Geschichten über eine mythisch verklärte Frau namens Kabbey anhören, die irgendwann irgendwie irgendwas mit den Kuppeln zu tun gehabt hatte, aber das war sehr schwer zu begreifen. Trotzdem flochten die Lehrer in ihre Unterrichtseinheiten zu den Kuppeln immer wieder solche Legenden über die großartige, unvergleichliche, beispiellose Kabbey ein, Legenden, die durch den arg routinierten Vortrag freilich einiges von ihrem Reiz verloren.

    Kurz und gut: lauter langweiliges Zeug, mit dem wir da traktiert wurden. Keinen der Schüler in meiner Klasse hatte es interessiert, mich nicht, Adam nicht, sogar Guinhilde, unsere immer herber werdende Klassenbeste gab sich ausnahmsweise einmal nicht Mühe, grenzenloses Interesse vorzutäuschen. Warum auch? Erstens: Wenn Lebensführungsunterricht schon im Allgemeinen keiner echten geistigen Anstrengung bedurfte, dann war die Sache mit der Kuppel ein echter Selbstläufer. Sicher – groß – stabil – verbindet – schützt – immer da – immer verlässlich – massiv – Lebensgrundlage – Sternenzelt – Daseinsraum – super, super, super – blah, blah, gähn. Die Lehrer hätten vielleicht sogar geglaubt, man wolle sie auf den Arm nehmen, hätte man diesem Gesülze Interesse entgegengebracht. Und zweitens: Wenn auch niemand an der Existenz der Kuppel zweifelte, hatte sie doch niemand jemals gesehen, sich an ihr das Füßchen gestoßen oder das Köpfchen gehauen. Wir waren hier, uns ging es gut. Irgendwo dort gab es die Kuppel, und wenn es uns deshalb so gut ging, weil es die Kuppel gab, na schön, auch recht. Wenn es uns genauso gut gegangen wäre, wenn es die Kuppel nicht gegeben hätte, auch in Ordnung. Mann, was soll das Gegrübel, lass uns lieber zum Squitten gehen, unsere Schulmannschaft gegen die Jungs von der Protektorenschule, und in der Profiliga spielt morgen mal wieder Kys gegen Ubbenburg, da gibts volle Hütte.

    Ist es denn vorstellbar, dass sich jemand, dem nichts fehlt, über etwas Gedanken macht, das wohl da ist, und für das er sich schon in der Schule nicht interessiert hat? Jetzt mal ehrlich? Schon deshalb nicht, weil bei allem Gesülze über die Kuppel kein Lehrer jemals auf die Idee gekommen wäre, die Frage aufzuwerfen, ob es denn gut war, dass es die Kuppeln gab; oder wer entschieden hatte, die Kuppel hochzuziehen und oben zu lassen. Warum ist Wasser nass, dachte der Hund und soff den Napf doch aus. Weil es nur nass so schön zu trinken ist. Basta.

    Und weil das so ist, und weil Adam spätestens seit zehn Minuten vor Sonnenuntergang an jenem Samstagabend unglaublich verliebt war, machte er sich jetzt genauso wenig Gedanken über die Kuppel, wie er auch noch niemals vorher darüber nachgedacht hatte. Heidewitzka, war Adam verliebt, seine ganze Welt war ein weichgezeichnetes Idyll saftiger Pastellfarben. Seine etwas langweilige und hier und da auch leicht schäbige Heimatstadt Kys – eine Oase tief empfundener, ehrlicher und wertvoller Gefühle. Die sanft und gräulich vor sich hin dümpelnde Kirna – ein Schicksalsfluss voll strömenden Lebenselixiers. Jeder neue Morgen würde ihm, das meinte er beim Sonnenuntergang am Fluss zu spüren, ja, zu wissen, von nun an wie eine Geburt in ein neues Leben sein, jedes davon voll der höchsten Freuden und Genüsse. Weggewischt der gelangweilte Trott in seiner Dienstzeit. Vergessen das nagende Unbehagen, wenn er seinem Vater von seinem Leben erzählte, immer mit der leisen Befürchtung, sein Vater könnte bei diesen Berichten einmal nicht nur angestrengt auf einen fernen Punkt in einem anderen Winkel des Raums schauen, sondern fragen, was Adam denn nun eigentlich anfangen wollte. Überhaupt, dieses erst leise, dann immer lauter pochende Gefühl eiskalter Entfremdung von seinem Vater, es war verschwunden, vergessen, wie alle Unbilden seiner tagtäglichen Existenz.

    Nach außen hin würde er immer noch der nette junge Mann sein, der eine wenig aufregende freiwillige Dienstzeit beim Regierungsamt für Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung absolvierte, in der großen Stadtwohnung seines Vaters lebte und in seiner Freizeit mit einer festen Gruppe Gleichaltriger gerne mal ein Reisbierchen trinken ging. Aber in seinem Inneren war ein ganz anderes Dasein angebrochen. In einem Kaleidoskop der Empfindungen und Stimmungen setzten sich ihm immer neue fantastisch farbenreiche Bilder zusammen, Bilder, die zwar nicht die wahrnehmbare Wirklichkeit darstellten, aber doch ebenso wenig bloße Trugbilder waren. Für Adam leuchteten da in verlockender Weise Signale, Wegweiser, verlässliche Richtungsgeber in eine ansonsten unbekannte Zukunft. Was genau werden würde, er konnte und wollte es jetzt nicht wissen, doch sicher war ihm der rauschhafte Sog eines ihn vollständig umfassenden und durchdringenden Gefühls. Einen solchen Rausch hatte er noch nie durchlebt und genossen. Dass dieser Rausch wieder schwächer werden und schließlich vergehen würde, das ahnte er vom ersten Moment an, ohne diese Aussicht zu bedauern. Das überwältigende an diesem Rausch war seine Gegenwärtigkeit, das Bewusstsein, den Rausch, wäre er erst einmal abgeklungen, nicht zu vermissen und nicht wiederholen zu wollen. In diesem Sinne war es kein Rausch, was Adam da empfand, sondern ein Aufbruch. Der Beginn einer inneren Wanderschaft, auf der er so bald nicht zum Ziel gelangen wollte.

    Es gehört zu den unbegreiflichen Wundern im Seelenleben eines Adoleszenten, dass derartige Stürme des Empfindens gleichsam von einem Schmetterlingsflügelschlag des Schicksals ausgelöst werden können. Oder prosaischer betrachtet: Nicht zu fassen, dass so ein Allerwelts-Hühnchen, wie es Sandra jedenfalls damals war, unseren guten alten Adam so in Verzückung hatte bringen können. Ich an seiner Stelle hätte dieses Mädchen mit den aschblonden, immer irgendwie zuppelig abstehenden Haaren und der bei bösmeinender Betrachtung eindeutig zu großen Nase gar nicht näher betrachtet. Spätestens ihre blechern kratzende Stimme hätte sie in den hintersten Winkel meiner Wahrnehmung katapultiert und mich gegen alle ihre etwa doch vorhandenen Reize immun gemacht. Aber na gut, im Rückblick ist einem ja ohnehin immer ganz klar, wie alles hatte laufen müssen, und als Adam und ich damals an jenem Nachmittag auf die beiden Mädchen trafen, überstrahlte für mich Stellas Anwesenheit sowieso alle anderen überhaupt möglichen Sinneseindrücke. So kann es jungen Kerls gehen: der eine verguckt sich ein wenig in ein wirklich außergewöhnlich schönes Mädchen, der andere verliebt sich so sehr in eine recht unscheinbare junge Dame, dass von seinem – allerdings schon zuvor etwas wackligen – Seelengebäude kein Stein auf dem anderen bleibt. Das hat, zumindest in diesem Alter, wohl etwas mit der Reife zu tun, also nicht Reife im Sinne von innerer Festigung, sondern damit, ob der junge Mann an den Punkt gelangt ist, an dem er für den ersten Sturm liebender Gefühle reif ist. Und wenn er das ist, kommt es vermutlich gar nicht so sehr darauf an, ob er einem nur durchschnittlichen Mädchen begegnet, oder einer Prinzessin der Schönheit und Anmut. Bemerkenswert an Adams Gefühlsausbruch war, so gesehen, nur der blinde Zufall, der eine gleichzeitige Begegnung sowohl mit einem Durchschnittsmädchen als auch mit einer Prinzessin (doch, doch, drunter geh ich bei Stella nicht, Jungs-Rülpser hin oder her) herbeigeführt und dennoch Adams Aufmerksamkeit auf das Durchschnittsmädchen (Entschuldigung, Sandra, aber lass uns bitte ehrlich sein) gelenkt hatte. Gerecht ist das nicht, aber eben möglich.

    Und nun wollte Adam Sandra unbedingt wiedersehen.

    Die Stadt bei den Flüssen, 3. Kapitel

    Auf ein lebensfroh sonniges Wochenende folgen noch zwei oder drei weitere herrliche Sommertage, dann verliert der Sommer spürbar an Schwung. Und auch wenn die Menschen sich in heimlicher Verzweiflung an die Wärme und das Licht klammern, beide schwinden doch zusehends. Noch reden sich viele für eine kleine Weile ein, es komme ja gar nicht aufs Wetter an, Hauptsache es ist Sommer, und da fühle man sich doch immer glücklich und aufbruchslustig. Aber die Tage werden grauer, trüber, nasser, in einem immerzu bleiernen Himmel schwindet die Erinnerung an die Empfindung der Unbeschwertheit, mit der es sich schon morgens ohne jeden Gedanken an die passende Kleidung oder gar die richtige Kopfbedeckung aus dem Haus treten ließ. Vorbei die Tage, an denen die Straße einladend leuchtet und der Weg zum Auto oder zum Expressschweber oder womöglich zu Fuß zur Arbeitsstelle eine erste Freude ist, die manche Alltagssorge des bevorstehenden Tages verstummen lässt. Wie anders jetzt, wenn die regenfeuchte Straße geradezu entgegen ruft, es sei besser, daheim zu bleiben, jedenfalls aber mühselig, die wenigen Schritte draußen zu tun; und jedenfalls sei es mehr als angebracht, sich kritische Sorgen zu machen, ob es nicht doch zu kalt sei für die leichte Sommerhose oder die flotten, aber nur dünn besohlten Schuhe. So hastet es verärgert durch die Straßen, hinab in die Schächte der Expressschweberstationen, schnell, nur schnell hinein in die Bürogebäude, die in den niedrigen Wolken verschwindenden, nur schnell, auf dass wenigstens der lästige Weg dorthin beendet sei. Und selbst das Surren der Autos, an einem sonnigen Morgen eine harmonische Begleitung zum Vogelgezwitscher, ist an so einem Regenmorgen ein abweisendes Fauchen.

    Tatsächlich muss sich der Fußgänger an solchen Tagen in Acht nehmen vor den Autos, ihre hochkonzentriert gespeicherte elektrische Energie will dann nicht nur den zuverlässigen Antrieb gewährleisten, sie ist förmlich eine stille Aggression, die jeden Moment ausbrechen kann. Denn die Geduld der Autofahrer hängt nach wenigen Minuten der stoßweisen Fahrt durch die Stadt an einem dünnen Nervenfaden. Die fröhliche Radiosendung ist zu aufdringlich, die alternativ bereitgehaltene Lieblingsmusik weckt Fluchtgedanken, anstatt aufzuheitern. Und jetzt geht es schon wieder nicht voran, weil dieser Trottel da vorne – in einem dicken Mercur, na klar, soll er sich doch ’ne Karre anschaffen, mit der er klarkommt, der Depp – scheinbar schläft, anstatt auf die Anweisungen seines Verkehrssystems zu hören. Was ist das nun schon wieder für eine bescheuerte Baustelle, muss das mitten im Morgenverkehr gemacht werden, ja gut, letzte Woche, da war die auch schon da, und es war sehr interessant, aus dem lässig heruntergelassenen Autofenster den Arbeitern zuzusehen, wie sie in der wärmenden Morgensonne die Baugrube beackerten, aber heute ist es viel zu nieselig, um das Fenster auch nur einen Spalt weit zu öffnen, dabei ist es im Auto muffig vor Regenfeuchte, verdammt, erst Mittwoch und schon eine Viertelstunde zu spät dran. Im Radio schmachtet eine dünnstimmige Mieze etwas von „heißem Verlangen, heißen Küssen, heißen Nächten vor sich hin, die doofe Kuh, ja, ja, jetzt brabbelt der aufreizend gut gelaunte Showman vom Morgenfunk dummes Zeug über Supergrillparties mit den tollen Leuten am Wochenende, hey, Mädels – der Kerl sagt tatsächlich „hey, Mädels – vergesst euer Berrybräu-Reisbier nicht, ihr wisst schon, euer fruchtig-cooler Start in ein Su-u-u-u-u-per-Wochende. Arschloch, das sind immer noch drei Tage bis dahin, erst mal rechtzeitig zum Meeting im Büro sein, Mann, jetzt fahr doch zu, was ist denn jetzt das, Mist, ist wohl ein Unfall, oh nein, jetzt kommen auch noch zwei Motorradtypen von der Secuforce, schnell Platz machen, da, jetzt haben sie dem armen Idioten da hinten die Seitenscheibe eingeschlagen, tja, die können ziemlich derbe drauf sein, wenn einer ihnen nicht schnell genug Platz machen. Jetzt sind sie zum Glück vorbei, ach, da vorne ist es ja schon passiert, nichts wie dran vorbei und dann weg hier.

    Die beiden Secuforce-Protektoren steigen von ihren chromblitzenden Magnetorädern. Die Helme nehmen sie nicht ab und dazu machen sie ein so grimmiges Gesicht, als ob sie sich selbst bei den ängstlich beiseite springenden Passanten noch mehr Respekt verschaffen müssten. Der Streifenführer geht vor, der andere bellt „Secuforce, Platz da, aber schnell", obwohl die ältere Dame weder im Weg steht noch irgendwie weiter ausweichen könnte. Sie presst sich schon zitternd an die Hauswand. Die Streife stiefelt im Übrigen achtlos an ihr vorbei, hin zu dem Zeitungsverkäufer. Dessen fettig zerzausten Haare sind im Nieselregen nass geworden, er ringt verzweifelt seine wurstigen Hände, wenn er sie nicht wieder einmal zu Fäusten ballt und dem jungen Mann droht, der verwirrt um das verschrammte Auto herumstapft, das in den Resten des aus Zeltstangen und Planen zusammengeschusterten Zeitungsstandes zum Stehen gekommen ist. Oha, ganz ganz dumm gelaufen, da hat der junge Kerl ja wirklich, Treffer versenkt!, genau ins Schwarze getroffen, hundert Punkte. Frische Bremsspuren zeigen an, dass er von da drüben aus der schräg von links einmünden Straße gekommen sein muss, da hat er wohl zu viel Tempo drauf gehabt auf dem schlüpfrigen Schallschutzbeton, oder er hat irgendwie gepennt. Jedenfalls hat er die Kurve nicht gekriegt, der deutlich zu große Abbiegeradius hat ihn auf den Bürgersteig und schön in die rechte Seite des Zeitungsstandes geführt, dann hat das Auto wohl die Zeltstangen zerknickt und die ganze Konstruktion ist zusammengekracht. Jetzt liegen die Zeitungen im Regen, der in unangenehmen Böen immer wieder einsetzende Wind hat feuchte Papierfetzen über den Bürgersteig getrieben, wo sie von den Passanten zertreten werden. Der Zeitungsverkäufer könnte einem eigentlich leid tun, das ist ja auch sonst kein gutes Geschäft mit den Papierzeitungen, wo doch so gut wie jeder sein Digitalpapier hat, auf dem er alle Bücher, Zeitschriften und Zeitungen abrufen kann, und nur dann eine Zeitung kauft, wenn sie billiger als der Download ist. Da bleibt bei den Händlern nicht viel hängen.

    Und jetzt muss auch noch so ein junger Schnösel den Stand zu Schrott fahren. Klar, das ist ärgerlich, mehr als ärgerlich, aber die Sympathie der wenigen Schaulustigen, die sich von der Secuforce-Streife nicht abschrecken lassen, gehört trotzdem nicht dem Zeitungsverkäufer, sondern eher dem jungen Mann aus dem Unfallauto. Die Aufregung des schmierigen Zeitungsverkäufers ist zu aufgesetzt. Besonders seit dem Eintreffen der Streife haben sich seine Beschimpfungen dermaßen gesteigert, damit die Secuforce-Protektoren auch ja nicht übersehen können wer hier der Schuldige ist. „Du Missgeburt, den Hals sollte man dir Umdrehen, du unnützes Stück Scheiße, dich sollten sie gleich erschießen", schimpft der Zeitungsverkäufer, schwingt drohend die Fäuste, lässt seinen Zeigefinger immer wieder anklagend in Richtung des jungen Kerls sausen, Mitleid muss man da bekommen mit dem armen Kerl. Es ist Adam.

    So ganz geht die allzu offensichtliche Taktik des Zeitungsverkäufers trotzdem nicht auf, „du hättest hier alle umbringen können, du dummes Häufchen Dreck", zetert er jetzt weiter. Aber die Streife scheint noch nicht erkannt zu haben oder erkennen zu wollen, wer hier der Bösewicht ist, und wer das arme Opfer. Der Streifenführer wirft sich in die Brust und stemmt die Hände in die Seiten. Während sein Kollege den Handcomputer zückt, schnauzt er den Zeitungsverkäufer an:

    „Was ist denn hier los?"

    Keine sehr geistreiche Frage, gewiss, der Zeitungsstand wird ja wohl kaum rückwärts in das Auto reingefahren sein, das dann nicht mehr ausweichen konnte. Aber das wagt natürlich keiner einem Secuforce-Protektor entgegen zu setzen.

    „Zum Glück sind Sie da, Herr Protektor dient sich der Zeitungsverkäufer devot an, „dieser..., dieser Verbrecher ist viel zu schnell um die Kurve gerast, mit deut-lich un-an-ge-pass-ter Geschwindigkeit, wir hätten alle tot sein können, er hat mein ganzes Geschäft kaputt gefahren. Und nur für den Fall, dass der Streifenführer den Ernst der Lage nicht ganz begreifen sollte, deutet der Zeitungsverkäufer auf die zerfetzten Reste seines kümmerlichen Standes, will heißen: seines Geschäfts, mit einer Bewegung, die wohl grenzenlosen Schmerz ausdrücken soll. „Tot hätten wir alle sein können, und ruiniert hat er mich vor allem der Verbrecher, Sie müssen gleich...". Nein, so nicht, Secuforce-Protektoren müssen gar nichts.

    „Ruhe! schnauzt der Streifenführer erwartungsgemäß, „Secuforce-Protektoren müssen gar nichts! Sein Kamerad macht einen Ruck, als wollte er die Hacken zusammenknallen.

    „Nein, nein, natürlich nicht, Herr Protektor fistelt der Zeitungsverkäufer in verzweifelter Beschwichtigung, „ich wollte nur sagen..., ich habe alles gesehen, dieser Verbrecher ist viel zu schnell...

    „Ruhe! Jetzt brüllt der Streifenführer den Zeitungsverkäufer förmlich an. „Halt den Mund! Identitätskarte! Flott flott!

    „Jawohl, natürlich", mit zitternden Händen dreht sich der Zeitungsverkäufer um und wühlt in den Trümmern auf der Suche nach seinen Papieren. Währenddessen tritt der Streifenführer an das Auto heran und packt Adam bei der Schulter.

    „Wie ist das passiert?"

    „Ich weiß nicht so recht, bin wohl so rausgerutscht." Adam wirkt nicht im Geringsten eingeschüchtert, dafür um so zerstreuter. „Was ist denn passiert?" gibt er die Frage ungeniert zurück. Eine derart offene Naivität müsste eigentlich auch hartgesottene Secuforce-Protektoren entwaffnen, aber dieser Streifenführer ist ein alter Hase und lässt sich nicht beirren. Bevor er sich ins Nachdenken verheddert, greift er zu bewährten Instrumenten der Sachverhaltsaufklärung.

    „Identitätskarte, Führerschein, Fahrzeuglizenz, flott flott", bellt er Adam an. Immerhin zeigt er sich keineswegs ungeduldig, während Adam umständlich seine Tasche und das Handschuhfach nach den geforderten Dokumenten durchkramt. Es dauert eine halbe Ewigkeit. Denn in Gedanken ist Adam gar nicht hier am zu Schrott gefahrenen Zeitungsstand, im kühlen Nieselregen eines unansehnlichen Mittwochmorgens, nein, er hängt noch ganz dem vorigen Tag nach, an dem so viel passiert ist.

    Dieser Dienstag vor dem Unfall war auch kein sonniger Tag mehr gewesen, aber immerhin war dem morgendlichen Regen ein Vormittag mit einigen halbwegs sonnigen Momenten gefolgt. War da etwas besonders an diesem Dienstagvormittag gewesen, den Adam bei monotoner Beschäftigung im Regierungsamt verbrachte? Wohl kaum, wieder einmal sortierte er „Eingaben interessierter Mitbürger" in verschiedene Aktenordner ein. Das System, nach dem er sortieren musste, war ziemlich willkürlich. Zum Teil ging es um die Adressen der Absender, dann auch darum, was genau sie wollten (wenn sie denn ein Anliegen ausdrücklich formulierten), schließlich auch danach, ob sie einen Betrieb mit einer bestimmten Anzahl von Arbeitsplätze repräsentierten. Genauso gut hätte man die Zuschriften nach der Eingangsuhrzeit in Kombination mit der Lieblingsfarbe der Absender sortieren können, schon allein deswegen, weil nur ganz wenige Zuschriften irgendeine Beachtung fanden. Diejenigen, die in die Ordner sortiert wurden, gehörten allesamt zur überwältigend großen ignorierten Mehrheit. Aber das interessierte Adam nicht wirklich, seit mehr als einem Jahr erledigte er im Regierungsamt derlei Aufgaben, bei denen weder Methode noch Ziel einer näheren gedanklichen Überprüfung standgehalten hätten. Wenn man denn darüber nachgedacht hätte, Adam tat es jedenfalls nicht. Genau so wenig, wie er sich über seine freiwillige Dienstzeit an sich Gedanken machte. War es wirklich schon über ein Jahr her, seitdem er den Schulabschluss gemacht und die freiwillige Dienstzeit begonnen hatte? Es hätten genau so gut zehn Wochen oder zehn Jahre sein können. Die im Regierungsamt verbrachte und vertane Zeit versickerte spurlos wie Wasser in einem Schwamm.

    Selbst das für ihn ungeheuer wichtige, ja einschneidende Erlebnis eineinhalb Wochen zuvor, an jenem Samstagnachmittag am Ufer der Kirna hatte ihn zwar wachgerüttelt, aber doch keine Reflexionen über den Sinn seiner freiwilligen Dienstzeit ausgelöst. Nur in seinem Inneren Geweckt worden war er durch die Begegnung mit Sandra und… diesem andere Mädchen… – ja richtig, Stella hieß sie wohl – allein innerlich war, das, aber immerhin. Da waren auf einmal viel mehr wertvolle und wunderbare Empfindungen in ihm, als nur die reichlich knabenhafte Freude über eine gewonnene Partie Squitten oder einen fröhlichen Abend mit den Jungs aus seiner Clique. An jenem Samstagabend hatte er, alleine am Flussufer stehend, liebende Empfindungen in vielen Farben und Tönen gespürt – nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Empfindungen münden nicht von selbst in einen Entschluss zum Handeln, besonders nicht bei einem jungen Mann, dessen Schritte ins Leben zwar immer größer werden, aber noch so unsicher sind, dass er immer wieder über seine eigenen Füße stolpert. An der Eintönigkeit seiner freiwilligen Dienstzeit und seiner völligen Gleichgültigkeit der Dienstzeit und ihrer Eintönigkeit gegenüber hatte sich schlechthin gar nichts geändert. Und so hatte auch dieser Dienstag, der Tag, bevor er am Mittwochmorgen in den Zeitungsstand rauschte, wie jeder andere Wochentag so gewöhnlich und ereignisarm begonnen, wie Adam sich es nur hätte wünschen können.

    Die Veränderungen in seinem Leben seit dem – sehr kurzen – Aufeinandertreffen mit Sandra hatten sich auf seine Freizeit beschränkt. Schon am Sonntag danach hatte er am Computer versucht, Sandra zu identifizieren und ihre Nummer herauszubekommen. Zunächst hatte er mithilfe des Tokens, den er als Behördenangehöriger eines Regierungsamtes immerhin hatte, auf die zentralen Meldedatei zugegriffen und eine Inverssuche zu der Nummer durchgeführt, die Stella ihm gegeben hatte. Das hatte erwartungsgemäß funktioniert, zu dieser Nummer hatte der Rechner eine Stella Parker als berechtigte Person ausgeworfen, weitere Daten wie Wohnort, Tätigkeit, Geburtsdaten und dergleichen seien bei dem „der Regierung von kooperativ verbundenen Sicherheitskonzern – das war natürlich die Secuforce – hinterlegt und könnten dort von Berechtigten abgefragt werden. So weit ging Adams Berechtigung als freiwillig Dienstleistender natürlich nicht, und so musste er mit Stellas Namen weitersuchen. Er hatte keinen Erfolg. Der erste Ansatz war natürlich das Freundenetz gewesen, die zentrale Plattform für Online-Kontakte zwischen Freunden und denen, die es werden wollen. Überraschender Weise war unter Stellas Klarnamen dort kein Eintrag zu finden, obwohl Leute in ihrem und Adams Alter sich meistens kaum die Mühe machten, sich dort unter einem Alias zu registrieren. Danach hatte er es noch mit den Fansites einiger Musikvideosender versucht und den Kundenforen der drei größten Modehausketten. Nirgends gab es eine Stella Parker. Einen Treffer hatte er dann schließlich doch, als er ohne großes Nachdenken ein Mitgliederforum des „Freundeskreises der Sicherheitskräfte in Paneupinia überprüft hatte. Da, tatsächlich hatte da die Suche nach Stella Parker Erfolg gehabt. Stella Parker war, das hatte Adam doch sehr gewundert, vielfach anerkannte und sogar ausgezeichnete Freundin der Sicherheitskräfte. Der nächste Klick hatte den Irrtum aufgeklärt: die im Freundeskreis der Sicherheitskräfte registrierte Stella hatte im Jahr zuvor ihre fünfundzwanzigjährige Mitgliedschaft gefeiert und dafür die Ehrenbrosche entgegengenommen. Eine dermaßen achtbar um die Sicherheitskräfte bemühte, vermutlich schon reichlich ältere Dame konnte kaum mit dem Früchtchen identisch sein, das fremden Jungs das Reisbier wegtrank und dabei die Flaschen mit ihrem Ring öffnete.

    Mit diesem Ergebnis waren Adams Bemühungen, über die Suche nach Stella Sandra aufzuspüren, fürs Erste gescheitert. Eine „Sandra im Netz zu suchen, nähere Beschreibung: blond, um die zwanzig Jahre alt, sitzt im Sommer gerne mit ihre Freunden an der Kirna, das war von vornherein aussichtslos. Oder wie Adams wunderbar verschrobener Biologie-Lehrer einmal zur Freunde der gesamten Abschlussklasse gepredigt hatte: „Meine Herren, Sie müssen ja das Objekt Ihrer Begierde nicht siezen, wenn Sie von der Liebe auf den ersten Blick getroffen werden. Aber nach ihrem Nachnamen sollten Sie schon fragen. Oder haben Sie es schon einmal geschafft, eine..., na sagen wir: eine Cindy im Telefonbuch von Kys zu finden? Nun benutzte zwar so gut wie niemand mehr Telefonbücher, aber Recht hatte er doch gehabt, der verschmitzte alte Knacker. Alleine anhand ihres Vornamens konnte Adam Sandra nicht finden und schon gar nicht ihre Nummer herausbekommen. Das war auch Stella klar gewesen, die auch gewusst haben musste, dass Adam auch sie selber nicht über ihre Nummer würde identifizieren können. Er war also in eine Sackgasse geraten.

    Sein letzter Strohhalm war der Plan gewesen, am darauffolgenden Samstag noch einmal an die Kirna zu gehen in der Hoffnung, Sandra würde dort wieder auftauchen und er bekäme womöglich sogar die Chance mit ihr alleine, ohne ihren Freddy in der Nähe, zu reden. Aber das nächste Wochenende war schon kühl und regnerisch, und so gab es genau genommen überhaupt keine Menschen, die am Flussufer den Tag verbrachten. Nur ein paar hysterische Powerwalker hasteten vorüber. Adam war trotzdem hingegangen, hatte eine gute halbe Stunde lang im Regen gestanden und war dann niedergeschlagen nach Hause getrottet. Warum musste er sich auch in ein Mädchen verlieben, bei dem er überhaupt keine Chance hatte, sie zu finden und wiederzusehen?

    Gar keine Chance? Na ja, das stimmte natürlich nicht. Immerhin hatte er Stellas Nummer, er hätte sie anrufen und sich mit ihr verabreden können, vielleicht hätte er dann mit etwas Geschick das Gespräch auf Sandra lenken und so viel über sie herausbekommen können, um sie doch noch im Netz aufzuspüren. Aber das war für Adam kaum mehr als eine rein theoretische Möglichkeit. Stella hatte er kennen gelernt... als ein Mädchen, mit dem er lieber nicht mehr als unbedingt nötig zu tun haben wollte. Er hatte sie an jenem Nachmittag am Fluss nicht unsympathisch gefunden, hatte auch nicht übersehen, wie hübsch sie war, und doch – oder vielleicht auch deshalb – hatte er, ja, da gab es nichts zu leugnen, hatte er Angst vor ihr gehabt. Nur so ein bisschen, genug jedenfalls, um ein Telefonat oder gar ein Treffen mit ihr vorsichtshalber erst gar nicht in Betracht zu ziehen. Richtiggehend verhört hatte sie ihn schließlich, und Carlo hatte die Sache nicht unbedingt besser gemacht mit seinen Versuchen, Adam besser dastehen zu lassen. Und dann die Nummer mit dem Bierflaschenetikett! Hätte er nicht ein bisschen Angst vor Stella gehabt – und so wenig war es gar nicht, eine ganz undefinierbare Angst hatte er davor gehabt, ihren Unwillen auf sich zu ziehen – hätte er also keine Angst vor Stella gehabt, er hätte das Etikett unbesehen in den Fluss geschmissen. Das hatte er zum Glück nicht getan, so dass ihm eine winzig kleine Hoffnung geblieben war, mithilfe der Nummer von Stella auch Sandra wiederfinden zu können. Diese Hoffnung hatte sich zwar nun zerschlagen, aber immerhin. Und doch hatte sich Adams Verzweiflung noch nicht hoch genug aufgetürmt, um die theoretische Restmöglichkeit doch noch zu ergreifen und Stella anzurufen. Lieber hatte er sich eine Woche nach dem Aufeinandertreffen mit Sandra an derselben Stelle am Flussufer nasse Füße geholt und verwunderte Blicke der Powerwalker eingehandelt. Dann, zu Hause hatte er sich in ein heißes Bad gelegt und sich unbestimmten, süßen Träumereien an Sandra hingegeben, die vor seinem geistigen Auge – selbstverständlich – immer schöner und begehrenswerter wurde.

    Sein Vater war an diesem Wochenende wieder einmal nicht daheim sondern auf unaufschiebbarer Geschäftsreise in einer der benachbarten Kuppeln unterwegs, so dass Adam die Wohnung für sich gehabt hatte, alle Türen hatte offen stehen lassen und eine schwermütige, scheinbar uralte Popmelodie bis in das große, hell erleuchtete Bad hinein hatte fließen lassen können. Der Sinn des Textes war Adam nicht mit dem Verstand, sondern nur in vagen Ahnungen zugänglich. Von einem Lied, dessen Tentakel sich aus einer Tür hinaus erstreckten, war da die Rede, von einer Welt in Zeitlupe und davon, wie zwei, die zusammengehören, den Tag verschlafen.

    Adam hatte nicht verstehen müssen, was sich diese Musikgruppe mit dem rätselhaften Namen „Elbow da vor unvorstellbar langer Zeit bei diesem Lied mit dem rätselhaften Titel „Bones of you gedacht hatte. Nur mitfühlen, bis in die letzte Faser spüren wollte er es. Das war ihm an einem so trüben Samstagnachmittag ohne jede Aussicht, Sandra in nächster Zeit wiederzufinden, ganz ausgezeichnet gelungen. Sandra, ach, Sandra. Sanft war Adam eingedöst.

    Mit penetranter Gutgelauntheit hatte ihn der Klingelton seines Handys aus Dösen und Träumereien gerissen. Das wilde Gestampfe der quäkenden elektronischen Musik aus dem silbergrau changierenden und ultraflachen Mobiltelefon hatte überdeutlich zur schwärmerischen Schwere der klassischen „Elbow"-Songs kontrastiert, und das hatte geholfen, Adam um so gründlicher zu wecken. Als ob er bei etwas Verbotenem, oder wenigstens bei etwas Ungehörigem erwischt worden wäre, war er aus der Badewanne gesprungen, hatte sich sein Handy und den Haustechnik-Controller geschnappt und zeitgleich die Musikanlage ausgeschaltet und den Anruf angenommen.

    „Hallo? hatte er ins Telefon gerufen, „Adam Bocca? Er hatte schon immer eine unverwechselbare Art gehabt, seine Anrufer dadurch zu verwirren, dass er sich zwar mit seinem Namen meldete, ihn aber als Frage intonierte. So mancher Anrufer hatte da schon überrascht aufgelegt. Aber Stella natürlich nicht.

    „Das will ich hoffen war ihre Stimme sanft aber entschlossen aus seinem Handy getönt, „oder ich werfe meine Kommunikationssoftware auf den Müll.

    Adam hatte geschwiegen. Dann hatte er geschnauft vor Überraschung. Nur sagen hatte er nichts können.

    „Ja, ja, setzte Stella das Gespräch fort, „schon gut, du kannst dir deine überschwänglichen Freudensbekundungen sparen, ich freue mich auch total, wieder von dir zu hören.

    Immer noch keine Reaktion von Adam.

    „Aber gehört hast du von einer Erfindung namens Telefongespräch doch schon mal? hatte sie weiter gebohrte. „Und vielleicht hast du ja auch schon mal so ganz am Rande mitbekommen, dass die zentrale Spielregel dabei verlangt, dass beide Gesprächsteilnehmer etwas sagen?

    „Ja, hallo... Zäh wie Klebstoff waren Adam die Worte aus dem Mund getropfte, „hallo, ich...

    „Oh, prima, klar können wir von mir aus gerne bei den Basics anfangen. Alsdann: Hallo Adam Bocca, ich wünsche einen guten Tag und bitte um Nachsicht um die Störung zu dieser unpassenden Zeit, ich bin’s nur, Stella Parker, Telekommunikationsgenie und auf der Suche nach einem jungen Mann, der nicht gleich jedes dahergelaufene Hühnchen zurückrufen muss, das ihm seine Nummer gibt. Darf man vielleicht fragen warum?"

    „Wie hast du meine Nummer herausgefunden?"

    „Huiuiui, ich hoffe, dein Sicherheitsbeauftragter scheißt sich nicht gleich die Hosen voll, wo doch schon eine unbekannte Verrückte dich ohne weiteres kommunikativ aufspüren kann. Aber keine Angst, ich will dich weder erpressen noch stalken." Stellas Ton war ziemlich gereizt geworden.

    Adam hatte sich entweder nicht davon beeindrucken lassen oder er es einfach überhört. „Ja, aber wie hast du es denn dann geschafft?"

    „Ist dir das wirklich so wichtig, oder kommt es dir nur darauf an, mich so gründlich wie’s nur geht, abblitzen zu lassen? Stella hatte ihn beinahe angeschrien. Etwas ruhiger war sie fortgefahren: „Mensch, so ein grüner Junge kannst du ja doch wohl nicht sein, wenn sie dich beim Regierungsamt immerhin für eine freiwillige Dienstzeit genommen haben. Dann kannst du es dir ja eigentlich selber zusammenreimen, dass ich keine geniale Spürnase sein musste, um dich zu identifizieren und deine Nummer herauszukriegen.

    „Ach?"

    „Ey, komm, das spielst du mir jetzt vor, oder? Wie viele Adams gibt es wohl, die im Regierungsamt für

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