Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Ich war ein Kind der DDR
Ich war ein Kind der DDR
Ich war ein Kind der DDR
eBook286 Seiten4 Stunden

Ich war ein Kind der DDR

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

An Hand meines Lebenslaufes schreibe ich über mein Leben in der DDR. Ich habe mich bemüht, auf der Grundlage meiner Erfahrungen und Erlebnisse in DDR meine ehrliche Meinung preiszugeben; so wie ich die DDR erlebt habe. Denn jeder, der die DDR seine Heimat nannte, hat seine eigene Geschichte. Ich habe bei meinen Aufzeichnungen damalige und heutige politische Erkenntnisse gegenüber gestellt und verglichen. Genauso wenig wie ich die DDR pauschal als Unrechtsstaat bezeichnen würde, genauso befinde ich die Bundesrepublik nicht immer als Rechtsstaat. Die jungen Leute müssen sich darauf verlassen, was wir ihnen über die DDR erzählen. Man sollte ihnen nicht nur die vergiftete Seite des Apfels übergeben, sondern die gesunde Seite dazu reichen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum25. Nov. 2018
ISBN9783742714022
Ich war ein Kind der DDR

Mehr von Margarithe W. Mann lesen

Ähnlich wie Ich war ein Kind der DDR

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Ich war ein Kind der DDR

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Ich war ein Kind der DDR - Margarithe W. Mann

    Vorwort

    In meinem Dreiteiler „Stehaufmännchen - Die Kraft zu leben" habe ich mein Leben in Form einer sehr ausführlichen Autobiografie dargelegt. Allerdings habe ich dabei die Politik und damit verbundene Ereignisse nur am Rande, der Vollständigkeit halber, gestreift.

    Meine Enkelkinder sind bereits in einem Alter, indem sie nicht nur in der Schule mit dem Thema DDR konfrontiert werden. Fragen tauchen auf. „Oma, wie war das denn nun mit der DDR und dem Sozialismus? War das gut, oder war es schlecht? Wir sollen für den Schulunterricht über die DDR schreiben, über Frauen, das Leben und Berufstätigkeit in der DDR. Als ich ihre Frage mit: „Es war nicht alles gut damals, aber es war auch nicht alles schlecht, beantwortete und mich gleichzeitig darüber wunderte und mich fragte, warum sich die Kinder zu Dingen äußern sollen, die sie selber nicht miterlebt haben, mache ich mich daran und nehme die Jahre 1953 bis 1989, nicht nur für meine Enkelkinder, noch einmal ein wenig genauer unter die Lupe. Ich werde dabei verschiedene positive, als auch negative Erlebnisse und Eindrücke aus schon sehr lange vergangenen Tagen, die mein Leben geprägt haben zur Darstellung bringen. Natürlich richte ich dabei ein besonderes Augenmerk auf politische Begebenheiten, die ich in meiner Biographie wie schon gesagt nur hier und da beiläufig erwähnt habe. Ich möchte darauf hinweisen und betonen, dass das alles, was ich hier zu Papier bringen werde, keine geschichtliche Abhandlung über einen deutschen Staat werden soll, den es heute nicht mehr gibt. Diese Ereignisse kann man in Geschichtsbüchern oder im Internet nachlesen. Ich beschränke meine Erzählung, in chronologischer Reihenfolge, auf mein ganz persönliches Leben in der DDR. Ich lege dabei ausschließlich meine eigenen, ganz persönlichen Erinnerungen, Erlebnisse und Erfahrungen zu Grunde, denn jeder Mensch, der in der DDR geboren und aufgewachsen ist, kann dazu seine eigene Geschichte vorbringen. Jeder einzelne Mensch, der die DDR seine Heimat nannte, hat diese individuell erlebt und betrachtet dieses Thema demnach auch aus seiner persönlichen Perspektive und mit den damit verbundenen Gedanken. In Folge dessen fallen die Beurteilungen über diesen einst existierenden deutschen Staat sehr unterschiedlich aus. Ich werde ganz objektiv meine Meinung zu allen Erinnerungen, Erfahrungen und Begegnungen äußern, mit denen ich im Laufe meines Lebens in der DDR konfrontiert wurde, wie ich persönlich diesen Teil Deutschlands erlebt habe und wie ich damit umgegangen bin. Verschiedene spezifische Kriterien, die das Leben in der DDR geprägt haben werde ich der heutigen Zeit gegenüber stellen. Dazu habe ich folgenden Grundgedanken, den ich meiner Darstellung vorausschicken möchte, bevor ich mich den Einzelheiten zuwende:

    Genauso wenig wie ich die ehemalige DDR pauschal als Unrechtsstaat bezeichne, wie es vielfach in den Medien interpretiert wird, genauso wenig nenne ich die heutige Bundesrepublik Deutschland immer und in jeder Situation einen Rechtsstaat, wobei für mich diese Bezeichnung mehr denn je in Frage gestellt wird. Unsere jungen Leute, die nach der Wende geboren sind müssen, bzw. können sich nur darauf verlassen, was wir, die ältere Generation, ihnen über die DDR berichten. Ich finde, man sollte den jungen Leuten nicht nur die vergiftete Hälfte des Apfels präsentieren, sondern ihnen ebenfalls die gesunde, dazugehörige Hälfte reichen.

    Kinderzeit

    Meine Wenigkeit wurde am 3. April 1953 in Saalfeld geboren. Meine Mutter berichtete mir später, dass dieses Ereignis genau an einem Karfreitag mit herrlichem Frühlingswetter gewesen sein soll. Ich kam nicht im Krankenhaus zur Welt, sondern in einer kleinen Privatklinik meiner Heimatstadt Saalfeld in Thüringen. Diese kleine Klinik befand sich in der Oberen Straße, etwa da, wo ein paar Jahre später unser Zahnarzt Dr. Baumgärtl seine Praxis inne hatte. Ebenfalls zu DDR – Zeiten praktizierte dort unter anderem der Allgemeinmediziner Dr. Alexej, und auch gegenwärtig betreuen Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen an dieser Stelle ihre Patienten. Man kann dieses Gebäude auf Grund seiner Umstrukturierung, nach dem Bau des städtischen Krankenhauses, als Ärztehaus bezeichnen.

    Der erste Spatenstich für das Krankenhaus in Saalfeld erfolgte am 19. November 1953. In späteren Jahren, am 16. März 1961 bekam es den Namen: „Agricola – Krankenhaus. Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass sich seit der Wende die genannte Einrichtung „Thüringenklinik nennt. Im Jahr 2013 begann man dort mit dem Anbau eines neuen Traktes für Neurologie und Psychatrie als Ergänzung des Klinikums, der am 5. Juni 2015 eröffnet wurde.

    1962 wurde für das damalige Personal des Krankenhauses ein Schwesternwohnheim in unmittelbarer Nähe erbaut. Es existiert gegenwärtig noch immer und gehört meines Wissens in einer Form zum Komplex der Altenpflegeeinrichtung der AWO am Rainweg.

    Die Frau des damaligen Chefarztes Dr. Kraus, eben dieser vorhin genannten früheren kleinen Privatklinik in der Oberen Straße, hat zu besagter Zeit für die Wöchnerinnen gekocht und gebacken. Meine Mutter spricht noch heute davon, wie schön diese individuelle Betreuung gewesen ist. Wenn man bedenkt, dass der 2. Weltkrieg erst am 2. September 1945 zu Ende gewesen ist, waren bis zum Jahr meiner Geburt, also 1953, gerade einmal 8 Jahre vergangen. So kann man die Zeit in der ich zur Welt kam durchaus noch als Nachkriegsjahre bezeichnen. Also eine Zeit, in der die Versorgung der Bevölkerung nicht gerade üppig war. Die DDR wurde wie man weiß am 7. Oktober 1949 gegründet, nachdem zuvor im September 1949 der westdeutsche Separatstaat errichtet wurde. Die Verfassung der DDR trat in Kraft und Wilhelm Pieck wurde am 11. Oktober 1949 zum Präsidenten der DDR gewählt und blieb in diesem Amt bis zu seinem Tod am 7. September 1960.

    Meine Großeltern und auch meine Eltern erzählten mir später von diesen schweren Jahren nach dem Krieg und vom Wiederaufbau des Landes. Es fielen die Worte, wie Ruinen, Trümmerfrauen und der Satz: Viel Arbeit hatten sie und wenig Brot. Männer und Söhne kamen ausgemergelt und krank aus Krieg und Gefangenschaft zurück, … wenn sie überhaupt zurückkehrten. Junge Mädchen und Frauen, die durch die Zeit des Krieges viel entbehren mussten, wurden nun als junge Mütter gut versorgt. Der Aufenthalt in dieser kleinen Klinik war im Gegensatz zu Heute relativ lang, den Müttern wurde viel Ruhe verordnet. Heute verfolgt man nicht nur dahingehend andere Richtlinien.

    Gewohnt haben wir nach meiner Geburt zusammen mit den Großeltern mütterlicherseits in der Leninstraße, die nach der Wende wieder ihren alten, ursprünglichen Namen Knochstraße erhielt. Dieses Haus in der Leninstraße steht übrigens noch heute, es befindet sich vom Oberen Tor kommend, in etwa auf halber Länge dieser Straße auf der linken Seite. Das alte Haus hat noch heute den original gemauerten Balkon in Richtung Straßenseite.

    Mein Opa, der wie meine Oma aus Johannesthal ( Polen )stammte, war zu dieser Zeit Kreistuberkulosearzt und arbeitete in der Tuberkuloseberatungsstelle am Promenadenweg, genau da, wo heute das Polizeikreisamt ist. Allerdings hat man es vorgezogen, dieses Polizeikreisamt dem schönen alten Gebäude, eben dieser Tuberkuloseberatungsstelle, vor die „Nase zu setzen", warum auch immer. Wahrscheinlich spielen ungeklärte Besitzansprüche eine Rolle, wie so oft. Ich habe mir vorgenommen, mich diesbezüglich einmal genauer zu informieren und nach dessen Erfolg dazu ein paar Zeilen ergänzen.

    Sehr oft fuhr mein Opa auch in seine Praxis nach Lobenstein und Lauscha, wo er sich ebenfalls intensiv um seine Patienten kümmerte. Ich habe mir sagen lassen, dass mein Großvater ein sehr guter Arzt gewesen ist, der jeden einzelnen Patienten liebte und dem der Eid des Hippokrates noch etwas bedeutete. Damals stand noch der Mensch im Vordergrund, heute ist es der Profit, aber dazu komme ich später noch. Als angehender junger Mediziner versorgte und betreute er während des ersten Weltkrieges verletzte Soldaten auf dem Schlachtfeld und im Lazarett. Nach dem Krieg nahm er seine verantwortungsvolle Aufgabe als Landarzt auf. Auch nach dem 2. Weltkrieg, (als Lagerarzt verpflichtet), setzte er seine Tätigkeit als Landarzt fort und erarbeitete sich später den Titel Medizinalrat um als Kreistuberkulosearzt zu fungieren. Während seiner damaligen Dienstjahre als Landarzt waren die Bedingungen äußerst erschwert, besonders im Winter. Oft musste er seinen Weg zu Fuß oder auch mit den Skiern fortsetzen, wenn der Schnee so hoch war, dass selbst der Pferdeschlitten stecken blieb. Dennoch gab es für meinen Opa niemals ein: Das geht nicht. Auch in den fünfziger Jahren, als er dann mit dem Auto fahren konnte, es war zu dieser Zeit ein alter BMW, endete die Fahrt nicht selten auf freiem Feld in einer Schneewehe. Als beliebter „ Herr Doktor, wie ihn die Leute nannten, schaffte er sich eine gewisse Position, die ihm einen äußerst guten Ruf einbrachte. Natürlich gab es im Krieg und auch in den Jahren danach sehr viele Menschen, besonders bei der Landbevölkerung, die zwar durch ihre Landwirtschaft genug zu essen, aber kein Geld hatten, um einen Arzt bezahlen zu können. Sie entlohnten meinen Opa mit Naturalien, die er dann an die ärmsten Patienten weitergab, wenn er zu ihnen zum häuslichen Arztbesuch gerufen wurde und er sie besuchte. Er brachte ihnen also noch etwas mit, anstatt entlohnt zu werden. Seine Hosentaschen waren stets gefüllt mit Bonbons für die Kinder. Vom erzählen meiner Mutter weiß ich, dass meine Oma dann immer sagte: „Meine Güte Gottfried, so wirst du nie zu etwas kommen. Aber er antwortete nur: „Ach lass` nur Wally, wir haben doch immer noch genug".

    Meine Großmutter Walburga war in meinem Geburtsjahr 1953 als Lehrerin für die Fächer Mathematik, Musik und Handarbeiten bereits in Rente. Sie war übrigens so ziemlich die einzige in unserer Familie, die gut singen und rechnen konnte. Alle anderen Familienmitglieder sind bis in die heutige Zeit hinein als total unmusikalisch und als „Mathematikkünstler" zu bezeichnen.

    Die Eltern meines Vaters und seine älteste Schwester stammten ursprünglich aus Oldenburg in Niedersachsen, zogen später nach Osterburg (Altmark) und bauten ein Haus, indem mein Vater 1928, geboren wurde, so wie auch noch zwei weitere Schwestern meines Vaters. Mein Opa väterlicherseits war Schneidermeister und besaß seine Werkstatt im Hof. Die Mutter meines Papas durfte ich leider nicht mehr kennenlernen. Wie gesagt bin ich zu Ostern 1953 geboren und die Oma verstarb plötzlich zu Pfingsten des gleichen Jahres, bevor sie uns besuchen und mich in Augenschein nehmen konnte. An meinen Großvater väterlicherseits kann ich mich nur sehr wage erinnern, er heiratete nach dem Tod meiner Oma noch einmal. Nach den Berichten meiner Mutter soll dessen Wahl nicht so recht im Sinne der übrigen Familie gewesen sein, wohl auch, weil der Opa sich so schnell entschied, ein zweites Mal zu heiraten. Mir selber kommt es nicht zu darüber zu urteilen. Mir ist nur der letzte Besuch in Erinnerung geblieben, an dem ich meinen Opa im Krankenhaus Osterburg mit den Eltern besucht hatte. Seine Haut war ganz gelb, heute weiß ich, dass er eine Lebererkrankung hatte, 1960 ist er verstorben.

    Mein Papa, 1928 geboren, war zu der Zeit, als ich in das weltliche Dasein eintreten durfte, Leiter der Konsumgenossenschaft in Saalfeld und meine Mutter Waldheide, 1923 geboren, war mit mir ein Jahr zu Hause. Das war zu dieser Zeit nur möglich, weil sie von meinem Opa finanziell unterstützt werden konnte.

    Die Eltern meiner Mutter, sowie meine Mutter selber, stammten wie schon gesagt aus Oberschlesien und gelangten 1948 während der Flucht über Brünn (Tschechien) nach Pirna (ehemalige russische Besatzungszone). Von da aus zogen sie, bedingt durch die Tätigkeit meines Großvaters über Eggesin nach Neubrandenburg, um schließlich 1950 in Saalfeld sesshaft zu werden. Meine Mutter hatte noch eine Schwester, Sieglinde, die in diesen Jahren im Harz wohnte und auch wie ihr Mann Theo im Gesundheitswesen arbeitete, beide waren sie Apotheker.

    Im Sommer 1953 zogen meine Großeltern, sowie auch meine Eltern mit mir in der Sonneberger Straße in ein Mehrfamilienhaus. Gemeinsam mit uns wohnte dort auch noch der Bruder meiner Oma, mein Onkel Josef, der, um es vornehm auszudrücken, etwas speziell war. Gegenüber auf der anderen Straßenseite befand sich über viele Jahre hindurch die naturkundliche Sammlung des Forschungsreisenden Emil Weiske.

    Habt Ihr eigentlich schon gewusst, dass ich bereits als Baby in der Regionalzeitung von mir zu hören machte? Nein? Dann will ich es euch verraten: Ich war das erste Kind, welches in diesen Jahren in Saalfeld und Umgebung gegen Tuberkulose geimpft wurde. Was glaubt ihr wohl, wer mich geimpft hat? Genau, es war mein Opa als Kreistuberkulosearzt persönlich.

    Als ich etwa ein Jahr alt war zogen meine Eltern mit mir nach Lauscha. Wir hatten dort eine Wohnung im gleichen Haus, in der sich auch die Dienststelle meines Großvaters und ein Labor befand. Man könnte es auch als kleines Ärztehaus bezeichnen. Es war ein großes Mehrfamilienhaus im oberen Lauscha in der Friedensstraße. Wie gesagt hielt dort mein Opa einen Teil seiner Sprechstunden mit integrierter Röntgenabteilung ab. Meine Mutter nahm als Laborantin im gleichen Haus ihre Arbeit auf. Mein Vater bekleidete das Amt des stellvertretenden Bürgermeisters im Rathaus der Stadt Lauscha. Und ich? … ich sollte natürlich in der Kinderkrippe untergebracht werden. Allerdings machte ich meinen Eltern damit einen Strich durch ihre Rechnung, … ich war ein ständig kränkelndes Kind. Also suchte mein Opa für mich ein Kindermädchen und hatte dann endlich beim dritten Anlauf Glück damit. Das erste Mädchen war unehrlich und wurde beim Stehlen erwischt. Das andere Mädchen, welches sich um mich kümmern sollte, hatte für mich kleine Mohnsäckchen angefertigt und mir diese wie einen Nuckel in den Mund gesteckt, damit ich schlafen sollte. Sie wollte nicht so viel Arbeit mit mir haben.

    Während wir in dieser Dienststelle wohnten, prägten sich erste Erinnerungen in meinem Leben ein. An alle einzelnen Begebenheiten meiner ersten Lebensjahre, sowie an diese Wohnung kann ich mich natürlich nicht mehr im erinnern. Ganz wage tauchen noch Bilder vor mir auf, von einer relativ großen Küche zum Beispiel, in der ein Tisch in der Mitte stand. Ich weiß aber noch, dass mein Opa öfter mit uns an diesem Tisch saß, sicher immer dann, wenn er zwischen seinen Sprechstunden eine Pause gemacht hatte.

    Es ist natürlich klar, dass ich als Kleinkind von den wirtschaftlichen Verhältnissen im Land nichts mitbekommen habe, sondern diese Dinge später von meinen Eltern erfragen musste. So berichtete man mir unter anderem, dass es zu dieser Zeit noch Lebensmittelkarten gab. Das heißt, jeder Haushalt hatte nur ein bestimmtes Kontingent an Waren zur Verfügung, jeder Einkauf musste sorgfältig bedacht werden. Diese Karten waren in bestimmte Rubriken eingeteilt, die bei jedem Einkauf vom Verkäufer abgeschnitten wurden. So gab es zum Beispiel Abschnitte für Süßigkeiten, es konnte gewählt werden zwischen Zucker oder Schokolade. Erst im nächsten Monat gab es dann eine neue Karte. Man musste also genau überlegen, wie man diese Dinge einteilte, oder ob es vielleicht gerade ein Monat war, in dem jemand Geburtstag hatte und man deshalb diese Karte für den Kuchen, für Schokolade oder Kakao benötigte. Wie für die Lebensmittel gab es Karten für Textilien, auch Windeln gehörten zur Bekleidung. Die Eltern mussten sich entscheiden, entweder gab es etwas zum Anziehen für Mama oder Papa, … oder Windeln für mich. Man erzählte mir, dass eine Schwester meiner Oma den Stoff für die Windeln aus Westdeutschland schickte und meine Oma nähte für mich die Windeln daraus. Die Kleider – und auch die Lebensmittelkarten wurden erst 1958 abgeschafft.

    Staatsoberhaupt der DDR war in diesen Jahren als Präsident des Landes Wilhelm Pieck (1949 – 1960). Eigenen Erinnerungen zur Folge lebt in mir die Tatsache, dass ich immer genug zu essen hatte. Ich glaube, dass das ein Kriterium ist, was sich im frühsten Kindesalter manifestiert. An Zeiten, in denen man hungern musste, an die erinnert man sich mit Sicherheit, die vergisst man auch als Kind nicht. In diesem Zusammenhang ist mir in Erinnerung geblieben, dass meine Mutter immer in einem großen Geschäft einkaufte. Am Abend klingelte es an der Tür und jemand brachte die große Einkaufstasche zu uns nach Hause. Das gibt es wohl heute auch noch, aber nicht mehr unentgeltlich, … damals gehörte das noch zum Service.

    Ich weiß noch ganz genau, dass ich nicht so sehr gerne in meinem Kinderwagen, in der Sportkarre wie man sagte, gesessen habe, sondern diese lieber selber schieben wollte. Jedes mal sagte dann meine Mutter: „Wenn ich dich jetzt aus dem Wagen nehme weil du laufen willst, kannst du aber nicht mehr zurück in deinen Wagen, deine Schuhe sind dann ganz schmutzig! ". Sie hob mich meistens doch heraus, ich hielt mich links und rechts an der Lenkstange der Karre fest und watschelte genau vor den Füßen meiner Mutter weiter. Manchmal stolperte sie über mich und stöhnte, sicher ging es ihr nicht schnell genug.

    Irgendwann kam das Kindermädchen nicht mehr und ich war viel bei meinen Großeltern in Saalfeld, vorwiegend bei der Oma, denn der Opa war noch vollauf beschäftigt mit seinen Patienten. Ich war sehr gern in Saalfeld bei Oma und Opa, … ich bin nie gern in so eine Kindereinrichtung gegangen. Das war für mich eine äußerst leidige Angelegenheit, an die ich mich nicht gewöhnen konnte und die ich noch heute deutlich vor Augen habe. Wenn ich nicht bei den Großeltern sein durfte oder konnte, dann „schleppte man mich eben dort hin. Die einzige „Tante, die ich in meiner Zwangslage ein wenig mochte und die mir den Aufenthalt dort erträglich machte war die Tante „Mietzi", vielleicht weil sie ganz oft mit uns gesungen hat. Ich glaube, nur ganz wenige Kinder kennen heute noch das Lied:

    „Hänschen klein, ging allein in die weite Welt hinein,

    Stock und Hut steht ihm gut, er ist Wohlgemut,

    aber Mama weinet sehr,

    hat ja nun kein Hänschen mehr..."

    oder das Kreisspiel:

    „Petersilie, Suppenkraut wächst in unserm Garten,

    Unser Hannchen ist ne Braut, soll nicht länger warten!

    Roter Wein, weißer Wein

    morgen soll die Hochzeit sein".

    Oder wie wäre es mit:

    „Häschen in der Grube saß und schlief,

    armes Häschen, bist du krank, dass du nicht mehr

    hüpfen kannst?

    Häschen hüpf, Häschen hüpf".

    Ich weiß nicht mehr, wie die Tante Mietzi mit richtigen Namen hieß, ich erinnere mich nur an eine bunte Strickjacke die sie immer trug. Bestimmt weil ich eben so schrecklich ungern in den Kindergarten ging, war ich auch weiterhin sehr oft krank und mein Opa holte mich zurück nach Saalfeld. Auf einmal war dann die Welt wieder für mich in Ordnung. Es war nie langweilig bei Oma und Opa. Ich weiß noch wie heute, dass eines Tages ein fremder Mann kam, der einen großen Kasten mitbrachte und im Wohnzimmer meiner Großeltern auf einen Schrank stellte. Der Mann beschäftigte sich eine ganze Weile damit und meine Oma stand dabei und sah ihm zu. Auf einmal wurde der geheimnisvolle Kasten vorne ganz hell, es war ein Bild zu sehen und das bewegte sich sogar: Ein Fernseher. Ich habe noch genau die Worte meiner Oma im Ohr, die zu mir sagte: „Schau mal, wie die Manneln umherlaufen, alle nur hinter einem einzigen Ball her, wenn jeder so einen hätte, dann brauchten sie nicht so arg zu laufen!". Ich war fasziniert, schließlich hatte ich zuvor noch nie so etwas gesehen. Ich stellte mich auf meine Zehenspitzen und versuchte hinter den Kasten zu schauen, ich konnte mir nicht erklären, wie diese Manneln, wie sie meine Oma nannte, in den Kasten hinein gekommen waren. Der Mann, der diese tolle Sache mitgebracht hatte lächelte auf mich herab und meine Oma begleitete ihn zurück zur Tür. Bestimmt hat sie auch über diesen Kasten gestaunt, denn sie hielt noch immer den großen Kochlöffel aus Holz in der Hand und eilte damit zurück in die Küche. Die Manneln, wie sie meine Oma bezeichnete waren Fußballspieler. Obwohl eben diese Fußballer das erste war, was ich in meinem Leben im Fernsehen gesehen hatte, blieb das Thema Fußball bis heute für mich so ziemlich das langweiligste was es im Leben überhaupt gibt. Aber dafür besaß meine Oma in der Küche etwas, womit ich am liebsten den ganzen Tag zugebracht hätte: Ein richtiges, echtes, großes Huhn. Ihr glaubt das nicht? Wenn ich es euch doch sage, ihr könnt es mir ruhig glauben, es war tatsächlich so. Es war groß, dick und braun und saß in einem richtigen Nest aus Stroh unter der Abwäsche. Früher, also zu meiner Kinderzeit gab es noch keine Anbauküchen, so wie sie heute modern sind, na und Geschirrspüler schon garnicht. Alle Schränke standen einzeln, sie waren nicht miteinander verbunden. Es gab einen großen Küchenschrank, einen Herd und einen Kühlschrank. Dieser hatte nur ein ganz winzig kleines Gefrierfach wo vielleicht gerade einmal ein Eis darin platz gefunden hätte. Einen Gefrierschrank kannten wir zu der Zeit noch nicht und ich ließ mir sagen, dass damals nicht einmal alle Leute in Besitz eines Kühlschrankes waren. Ich erinnere mich aber daran, dass der Kühlschrank mit einem Schlüssel abgeschlossen werden konnte. Neben dem Kühlschrank befand sich die eben genannte Abwäsche. Ihr wisst nicht, was das ist? Heute sagt man Spüle dazu, nur dass diese beiden Spülbecken nicht verkleidet waren und dadurch der Blick auf die Abflussrohre freigegeben wurde. An so etwas wie einen Geschirrspüler dachte wie schon gesagt zu dieser Zeit noch niemand. Mein Opa ließ von einem Handwerker ein Schränkchen mit zwei Vordertüren um diese Abwäsche bauen, … und in diesem Schränkchen wohnte das dicke Huhn, eine Glucke. Ich fand das genial, damals als Kind. Meine Oma legte Eier in das Strohnest, damit die Glucke Küken daraus machen sollte, … so jedenfalls waren meine kindlichen Gedankengänge. Ich war natürlich sehr neugierig und machte dauernd die Türen des Schränkchens auf, um zu sehen, ob die Küken schon da sind. Meine Oma meckerte dann immer und sagte, dass die Glucke gestört wird, wenn ich dauernd den Schrank auf und zu mache, aber ich musste doch sehen, was das Huhn den ganzen Tag da macht. Sobald meine Großmutter die Küche verließ, ging ich sofort zum Schränkchen zurück, öffnete die Türen und schaute nach. Aber die dumme Glucke gackerte jedesmal ganz laut und verriet dadurch mich und meine Neugier. Meine Oma kam dann sogleich herbei geeilt, ich machte schnell die Tür wieder zu und versuchte an den Luftlöchern an der Seite des kleinen Stalles etwas zu erkennen. Endlich war es soweit, eines Morgens hüpften piepsende, allerliebste kleine gelbe Bälle im Nest umher. Nach ein paar Tagen wurde mein Onkel Josef damit beauftragt, die ganze Hühnerfamilie nach unten in den Hof zu bringen.

    In diesen Jahren stand, so wie bei meinen Großeltern auch, in den meisten Haushalten ein Sofa in der Küche. Die Küchen waren meist geräumig und fungierten als Wohnraum, wo sich so gut wie das ganze Familienleben abspielte, man bezeichnete es allgemein als Wohnküche. Im Wohnzimmer, in der so genannten „guten Stube hielt man sich seltener auf, meist war das nur zu Feierlichkeiten. Erst später, als es Den Fernseher in den meisten Familien gab, „zog man dann am Abend von der Wohnküche ins Wohnzimmer. Natürlich gab es auch noch keine moderne Heizung an der Wand oder gar im Fußboden. Ein Kohleherd musste angefeuert werden, wie man das nannte, damit es schön warm war in der kalten Jahreszeit. Man konnte auch sehr gut das Essen darauf warm stellen, zudem befand sich immer eine Kanne mit Malzkaffee auf der hinteren Seite des Ofens. Lange vor meiner Zeit wurde ausschließlich auf dieser Ofenplatte gekocht, aber nun gab es bereits dafür einen Gasherd neben

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1