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Zelenka - Trilogie Band 2: Doppelfehler
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Zelenka - Trilogie Band 2: Doppelfehler
eBook328 Seiten4 Stunden

Zelenka - Trilogie Band 2: Doppelfehler

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Über dieses E-Book

Ein brutales Verbrechen an der jungen Britta klärt sich nur scheinbar von alleine auf. Doch dann schlägt der Schlächter von Duisburg wieder zu. Und das nicht nur einmal …

Haben die Ermittler voreilige Schlüsse gezogen?

In einem Berliner Kino wird Kommissarin Marion Zelenka Zeugin eines ebenso seltsamen wie heimtückischen Mordes. Besteht ein Zusammenhang mit den Verbrechen in Duisburg?
Uneinigkeit und Intrigen belasten dort das Klima im Polizeipräsidium. Aus persönlicher Abneigung entsteht blinder Hass, und Marions Überlegenheit steigert sich zum Hochmut und generiert Fehler, bis die Situation dramatisch eskaliert.

Doch plötzlich geschieht ein Attentat, und danach ist nichts mehr wie vorher.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum19. Sept. 2014
ISBN9783738011289
Zelenka - Trilogie Band 2: Doppelfehler

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    Buchvorschau

    Zelenka - Trilogie Band 2 - Kurt Mühle

    Vorurteile

    „Tschüss, mein Schatz", sagte Jo Rohrbach, klemmte sein Angelzeug unter den Arm und verließ die Wohnung.

    Britta sah mit einem unendlich traurigen Blick ihrem Stiefvater nach; ihre Lippen bebten, - unfähig zu einer Antwort. Sie spürte ihren Puls rasen, während sie versuchte, die quälenden Ängste zu verdrängen. Ich will das nicht mehr! Niemals mehr! Das alles muss ein Ende haben! Endgültig, was auch danach passieren mag. Mit solchen Gedanken versuchte sie, ihren Willen zu stärken und ihre Zweifel zu besiegen.

    Minuten später zog sie hastig ihre Lederjacke über, nahm den Fahrradschlüssel vom Schlüsselbrett und trat entschlossen in den Hausflur. Es musste sein! Und diesmal würde sie nicht im letzten Augenblick vor dem zurückschrecken, was sie schon vor über einem Jahr hätte tun sollen, aber mit Rücksicht auf den Stiefvater dann doch nicht fertiggebracht hatte.

    Es war ein grauer fünfstöckiger Altbau in einer belebten Durchgangsstraße in Duisburg-Marxloh, einer typischen Arbeitergegend. Die abgetretene Holztreppe knarrte, als Britta eilig hinunter lief. In der dritten Etage wischte Frau Hecker gerade mit Putzeimer und Aufnehmer die schäbigen Treppenstufen, als Franz Weigel sich gemächlich - mit dem alten Holz um die Wette ächzend - bierselig am Geländer nach oben hangelte. Er wohnte im vierten Stock, gleich unter Rohrbach.

    Ei! Wieder mal so flott? Und sexy dazu. Muss alles sexy sein heutzutage. Nur noch Flittchen sind das alles. Hicks ... Aber sooo sexy! Halbnackt. Und schämen können die sich gar nicht mehr. Heh, -hammse dich auch schon nach Hollywood eingeladen?, feixte er - halb grölend, halb lallend - , als Britta wortlos vorübereilte, während er die attraktive Vierzehnjährige gierig und unverschämt grinsend aus seinen wässrigen Augen musterte. Widerlicher Kneipengestank umgab ihn. Kopfschüttelnd verschwand Frau Hecker mit ihren Putzutensilien in ihre Wohnung. Geiler Saufbock, murmelte sie derweil vor sich hin.

    Unten im Treppenflur schloss sich gerade die Haustür hinter Martin Kranicz, der von seiner Arbeit im Hafen nach Hause kam. Kranicz war bis vor einem Jahr ein Arbeitskollege von Brittas Vater gewesen, bis dieser durch einen Unfall arbeitsunfähig wurde. Ein flüchtiges Lächeln, als er das junge Mädchen erblickte, dann wandte er sich rasch in gespielter Gleichgültigkeit ab und ging gemächlich die Stufen hinauf, - mit hochrotem Kopf. War es sein erhöhter Blutdruck? Oder nur der Anblick dieses aufreizend gekleideten Mädchens?

    Britta beachtete ihn nicht, tat, als würde sie ihn nicht sehen. Sie war auf dem Weg zu Heike, ihrer engsten Freundin und Vertrauten. Gemeinsam wollten sie den schweren Gang antreten. Heike würde ihr bestimmt eine große Stütze sein, weil sie wortgewandter auftrat und von all dem Schrecklichen selber nicht betroffen war.

    Zuvor aber musste Britta ihr Fahrrad aus dem Keller holen. Es roch muffig von den feuchten Ziegelwänden, als sie das alte Kellergewölbe betrat und an der schmierigen Wand nach dem Lichtschalter tastete. Flackernd leuchtete das spärlich-trübe Licht der wenigen Sparlampen auf, dazwischen ein paar orangefarbene Leuchtpunkte einer schwachen Notbeleuchtung. Der Keller bestand aus einem Wirrwarr von Holzlatten-Verschlägen, einen für jede der zwanzig Mietparteien in diesem sanierungsbedürftigen Altbau.

    Im hinteren Kellerbereich, in einer düsteren Ecke, war der Abstellplatz für Fahrräder, gesichert durch eine Lattentür mit einem einfachen Vorhängeschloss. - Während Britta aus ihrer Tasche den Schlüssel herauskramte, fiel die mächtige stählerne Brandschutztür zum Keller mit dumpfem Nachhall ins Schloss.

    Brittas Fahrrad hing an einem Haken an der hinteren Ziegelwand. Sie reckte sich, um den Rahmen zu fassen. Dröhnend donnerte derweil auf der Straße ein schwerer LKW vorbei, der den Boden vibrieren ließ.

    Da verlöschte plötzlich das Kellerlicht. Erschrocken wandte Britta sich um und sah nur noch den rasch schmaler werdenden Lichtkegel, der durch die sich geräuschlos und langsam schließende Kellertür hereindrang, bis es stockdunkel wurde. Jemand schien sich in den Keller geschlichen zu haben. Aber die orangenen Punkte der Notbeleuchtung spendeten nicht genügend Licht, um irgendetwas zu erkennen.

    Hallo!, rief Britta in die Dunkelheit hinein. „Hallo, wer ist denn da?" Sie lauschte angestrengt, während ihr Herz immer heftiger zu schlagen begann. Niemand antwortete ihr. Ein leises Schlürfen von vorsichtigen Schritten auf dem dreckig-sandigen Kellerboden blieb die einzige Antwort. Dann ein Knall und das Geräusch von splitterndem Glas, die orangenen Punkte verlöschten. Hatte da jemand die Notbeleuchtung eingeschlagen? Was hatte das alles zu bedeuten?

    Absolute Dunkelheit umgab sie nun. Sie versuchte, um Hilfe schreien. Ihr Zittern und das vor Angst schmerzhaft pochende Herz ließen ihre Laute fast ersticken und zudem untergehen im Lärm einer draußen vorbei ratternden Straßenbahn.

    Als der Straßenlärm kurz abgeebbt war, hörte sie wieder dieses beängstigende Schlürfen. Es kam näher, - immer näher. In ihrer Verzweifelung ertastete Britta die Luftpumpe ihres Fahrrades und schlug damit in der Dunkelheit abwehrend um sich. Plötzlich – aus der tiefen Dunkelheit heraus - blendete sie der grelle Lichtstrahl einer Handlampe, der sich rasch und mit suchendem Schwenken auf sie zu bewegte.

    Hilfe - Hilfe – Hilfe ...! Niemand konnte sie außerhalb dieses Kellergewölbes hören. Sie schleuderte mit aller Kraft die Luftpumpe in Richtung Lampe und versuchte zugleich, seitlich davon zu entfliehen. Eine unsichtbare Pranke umklammert sie, zerrte sie zu Boden. Nichts war zu erkennen in dem grellen Licht vor ihr.

    Dann ein seltsames grelles Aufblitzen, mitten in ihrem Kopf, gefolgt von einem fürchterlichen dumpfen Schmerz, der rasch verflog, bis friedvolle Stille eintrat. Alle Gedanken und alle Ängste wichen von ihr. Zögernd schien es hell zu werden. Weißer Nebel umgab sie in absoluter Ruhe.

    Zwei Tage später.

    Es war schon spät, eigentlich längst Feierabend, aber Hauptkommissarin Marion Zelenka blätterte im Schein ihrer Schreibtischlampe immer wieder in den zahlreichen Vernehmungs-Protokollen, um darin doch noch einen Erfolg versprechenden Ansatz für weitere Ermittlungen zu finden. Zum wiederholten Male las sie Wort für Wort bestimmte Passagen durch. Irgendwo in den Papieren vor ihr musste sich der Name des Täters befinden, dessen war sie sich ganz sicher. Aber wer? Wer hatte ein Motiv zu dieser grauenhaften Tat?

    Warum wurde im Keller die Notbeleuchtung zerstört? – Wollte der Täter in völliger Dunkelheit seine Tat ausführen, um nicht erkannt zu werden, falls etwas schief ging? Vielleicht wäre das Mädchen ja nicht sofort tot gewesen, hätte noch einen Hinweis auf seinen Mörder geben können. Vielleicht fürchtete er auch, ein anderer Hausbewohner könnte unerwartet in den Keller kommen und ihn erkennen.

    Marion hatte sich sehr genau in dem schmutzigen Kellergewölbe umgesehen, das durch die Lattenverschläge so verwinkelt war, dass sich bei Dunkelheit selbst ein Hausbewohner nicht hätte ausreichend orientieren können. Der Mörder dürfte also eine Handlampe benutzt haben, aber er musste sich trotzdem in dem Keller ausgekannt haben. -

    Zuletzt hatten Frau Hecker, der angetrunkene Franz Weigel und der von der Arbeit kommende Martin Kranicz Britta im Treppenhaus lebend gesehen, ehe der Hausmeister Schöllmann das Mädchen mit zertrümmertem Schädel im Fahrradkeller entdeckte und die Polizei benachrichtigte. Zu dieser Zeit war Britta schon über eine Stunde lang tot.

    Am auffälligsten hatte sich Jo Rohrbach, Brittas Vater, am Tatort benommen. Dieses gefühlskalte Pokerface, sinnierte die Kommissarin. Stumm, mit versteinertem Gesicht hatte er dagestanden, alle Fragen nur mit einem Achselzucken beantwortet, als ginge ihn dieses grausame Verbrechen nichts an. Den scheußlichen Anblick des toten Mädchens konnte er als einziger offenbar emotionslos ertragen. Während Marion vom Verhalten dieses Mannes angewidert war, konstatierte der Polizeiarzt ein schweres Trauma und wies ihn zunächst zur Beobachtung in eine Klinik ein.

    Er war zur Tatzeit angeblich nicht im Hause, sondern auf dem Weg zu seinem Angler-Platz an den Ruhrauen. Zeugen gibt’s dafür keine. Er könnte zurückgekommen sein, wäre gleich in den Keller gegangen, um ..., murmelte Marion vor sich hin und wanderte dabei grübelnd in dem menschenleeren Großraumbüro auf und ab.

    Dabei ging ihr das Schicksal ihrer eigenen Tochter Svenja nicht aus dem Sinn, die vor Jahren das Opfer einer Vergewaltigung wurde. Sie selbst wurde Zeugin dieses Verbrechens und davon, dass der Täter ihr damaliger Lebenspartner Arno war, - ausgerechnet er, der sich zuvor so väterlich fürsorglich gezeigt hatte, obwohl er nicht Svenjas leiblicher Vater war. – Wieder ’n Stiefvater, kam es ihr in den Sinn, doch schüttelte sie diesen Gedanken sogleich als unzulässiges und gefährliches Vorurteil von sich ab. Aber - Brittas Mutter lag derzeit mit einem komplizierten Oberarmbruch im Krankenhaus; Rohrbach war also mit dem Kind allein zu Hause. Genau wie damals Arno mit Svenja. Und er hatte für die Tatzeit kein verwertbares Alibi. Aber das hatten die anderen Hausbewohner auch nicht, einschließlich des Hausmeisters Karlheinz Schöllmann.

    Am nächsten Morgen erhielt Marions Misstrauen unerwartet neue Nahrung. Ihr Mitarbeiter und Stellvertreter Gerd Petzold wusste einige neue Details zu berichten: „Also, das Mädchen wurde am Tatort nicht sexuell missbraucht. Kampfspuren von nennenswerter Gegenwehr sind auch nicht zu erkennen. Tatwerkzeug war ein stumpfer Eisengegenstand, ein dicker Hammer, ein Beil oder etwas Ähnliches. Die Rechtsmedizin hat Rostspuren in der Kopfwunde des Mädchens gesichert. Die Tatwaffe konnten wir allerdings bisher nicht finden."

    Marion runzelte die Stirn. „Ein eiskalt geplanter Totschlag?"

    „Nicht auszuschließen, erwiderte Petzold. „Die Britta wollte offenbar ihr Fahrrad aus dem Keller holen. Leider wissen wir nicht, wohin sie wollte. Sie ist übrigens ein Adoptiv-Kind. Frau Rohrbach kann keine Kinder bekommen. Und noch etwas: Die knapp Vierzehnjährige war keine Jungfrau mehr.

    „Heutzutage leider nichts Ungewöhnliches, meinte Marion nur. Etwas über die Ehe der Rohrbachs erfahren?"

    Kann man so sagen, erwiderte Petzold, entweder gab’s lautstarken Streit oder eisiges Schweigen. So etwa seit einem Jahr. - Sie soll angeblich damals eine Affäre gehabt haben. - Das wusste jedenfalls Frau Hecker zu berichten. Alle Aufmerksamkeit soll Vater Rohrbach seitdem nur seiner Adoptiv-Tochter Britta geschenkt haben, tat angeblich alles für sie, soll sie geradezu vergöttert haben. Ansonsten geht er öfter zum Angeln, meist mit seinem Kumpel, dem Martin Kranicz.

    Wieder beschlich Marion ein mulmiges Gefühl. Schmerzhafte Erinnerungen wurden wach. War Britta vielleicht über längere Zeit zuvor missbraucht worden? - Wollte sie sich nun der Mutter, der Polizei oder einer anderen Vertrauensperson offenbaren? - Wollte der Täter dies im letzten Augenblick verhindern, und musste Britta deshalb sterben? - Welch andere Motive gäbe es sonst noch, dieses junge Mädchen einfach so brutal zu erschlagen? - Raub oder ein Vergewaltigungs-Versuch schieden offensichtlich aus. Und bei der Tat gestört wurde der Täter auch nicht. - Oder war es vielleicht doch ein Wahnsinniger, der auch jeden anderen da unten im Keller erschlagen hätte. Britta als das Zufallsopfer eines gefährlichen Psychopathen? Als gewissenhafte Kriminalbeamtin durfte Marion auch dies nicht ausschließen, glauben mochte sie an diese Möglichkeit freilich nicht.

    Petzold hatte noch einiges mehr recherchiert. Die gute Frau Hecker ist sehr redselig. Ihr Mann ist übrigens zur Zeit auf Montage in Nürnberg. - Der Franz Weigel über ihr trinkt sich gern einen, schaut jedem Weiberrock nach und schleppt öfter irgendwelche Frauen an, dann geht’s da wohl manchmal hoch her. Hat keine Vorstrafen, ist auch sonst nicht durch Schlägereien oder Brutalitäten auffällig geworden. - Der Martin Kranicz aus der zweiten Etage ist seit zwei Jahren geschieden, wohnt dort allein und ist mit Jo Rohrbach eng befreundet. Die beiden waren früher Arbeitskollegen, heute angeln sie oft gemeinsam. Ruhrauen. Kranicz ist Kranführer im Ruhrorter Hafen. Ist eher so der ruhige Typ, auch keine Vorstrafen und ...

    Mensch, unterbrach ihn seine Chefin, „die Heike Boritzki sollte längst hier sein." Sie schaute auf die Uhr. Bereits vor vierzig Minuten hätte sie hier ihre Aussage machen sollen. Die Kriminalisten hatten sie als beste Freundin des ermordeten Mädchens ermittelt und erhofften sich nun von einer Befragung tiefere Einblicke in Brittas Privat- oder sogar Intimleben.

    Petzold griff zum Telefon.

    Sorry, nimmt keiner ab. Vielleicht ist sie ja unterwegs zu uns. - Ich hab mir übrigens auch mal den Hausmeister, diesen Karlheinz Schöllmann, näher angesehen. Er hat ja die Tote gefunden. Dabei ist mir in seiner Wohnung aufgefallen, dass man dort sehr deutlich ein dumpfes Geräusch hört, wenn die Kellertür zufällt. - Mit der Britta hat’s schon öfter deswegen Ärger gegeben, weil sie die Tür nie leise von Hand schloss, sondern über den Federmechanismus immer laut zuknallen ließ. - Der Schöllmann hat sich darüber schon über die Maßen aufgeregt und unflätig im Hausflur herum gebrüllt, - sagt unsere aufmerksame Frau Hecker. Seine Frau soll ihn vor ein paar Wochen verlassen haben. Er gilt als unfreundlicher, grobschlächtiger Griesgram und in bestimmten Situationen als unberechenbarer Choleriker, hat drei Vorstrafen wegen Körperverletzung bei Kneipen-Schlägereien, und er soll auch seine Frau früher öfter geschlagen haben, - sagt Frau Hecker.

    „Türenknallen als Mordmotiv hatten wir zwar bisher noch nicht", meinte die Hauptkommissarin zweifelnd.

    Petzold druckste ein wenig herum. „Da ist noch etwas: Vor ’nem halben Jahr etwa gab’s diesen denkwürdigen Prozess um die angebliche Nutte, die aber wohl keine war. Der angetrunkene Schöllmann soll mit ihr Oralsex gehabt haben, - freiwillig oder unfreiwillig, das wurde nie geklärt. Und äh ... na ja, der Rest ist dir bestimmt noch in Erinnerung. Stand ja in allen Zeitungen."

    „Keine Spur. Marion zuckte hilflos mit den Schultern. „He, was liest du denn für Zeitungen?

    „Ach, weißt du garantiert. Tu nicht so ... Petzold schien es nicht aussprechen zu wollen. „Die Klatschblätter und Illustrierten waren voll davon. Hast du bestimmt irgendwo gelesen, beim Frisör zum Beispiel.

    „Zum Frisör nehme ich mir allenfalls etwas zu lesen mit. Schließlich will ich da meinen Kopf verschönern und nicht verblöden lassen. Also, welchen Zusammenhang gibt’s da mit unserem Fall?"

    Petzold war es peinlich, seine Chefin in dieser Angelegenheit aufklären zu müssen. „Die Frau hat sich angeblich heftig gewehrt und ihm dabei etwas von – nun ja – seinem besten Stück abgebissen."

    In Marions Gesicht zeigte sich keinerlei Regung, als sie kriminalistisch korrekt und ohne innere Beteiligung antwortete: „Das müssen wir auf jeden Fall bedenken. So etwas soll einen Mann ziemlich verändern, - nicht nur äußerlich."

    Marion war eine schlanke, attraktive Frau, die mancher eher auf dem Laufsteg als bei der Polizei vermutet hätte. Ihr mittellanges blondes Haar schimmerte ein wenig rötlich, aus dem schmalen Gesicht leuchtete ein Paar himmelblauer Augen, die je nach Mimik ausdrucksvoll mild und wohlwollend dreinschauten, manches Mal aber auch abweisend, kalt und misstrauisch ihr Gegenüber mustern konnten. Ihr Wesen strahlte Ruhe und Besonnenheit aus, - dennoch, viele nannten sie spröde, weil sie mit weiblichem Charme im Alltag arg zu geizen pflegte. In ihren Augen aber blitzte und funkelte es, als seien sie die Bühne all ihrer Emotionen.

    Seit Kriminalrat Dr. Sowetzko sie nach ihrer Versetzung von Düsseldorf nach Duisburg hier zur Hauptkommissarin und Leiterin des K21 ernannt hatte, war sie überaus erfolgreich gewesen. Viele ihrer Alleingänge hatte ihr Chef daher mit geradezu väterlicher Nachsicht gedeckt. In ihrem Kommissariat arbeitete sie nur mit Männern zusammen, doch ihre Geradlinigkeit, ihre hohe Fachkompetenz und Verlässlichkeit schweißten das K21 zu einer schlagkräftigen Einheit zusammen. Dennoch wahrte sie als Chefin eiserne Distanz: mit all ihren Kollegen blieb es bislang bei der förmlichen Sie-Anrede. Petzold machte da eine Ausnahme, aber nur wenn Marion und er unter sich waren. Dann gab es das vertraute Du, was aus dem gemeinsamen schrecklichen Erleben um Marions Tochter Svenja herrührte. –

    Das Telefon läutete, Marion nahm den Hörer ab.

    Wa-a-a-s!?, rief sie entsetzt. Sofort die Fahndung einleiten! Und zu ihrem Kollegen gewandt: Brittas Stiefvater, dieser Rohrbach ist verschwunden. Einfach abgehauen aus dem Krankenhaus. - Los, komm! Rasch zu der Heike Boritzki! Die ist ja immer noch nicht eingetroffen. Wer weiß, was der Rohrbach vorhat ... Ich hab’ so ein dummes Gefühl, als ob das arme Ding vielleicht in großer Gefahr ist! -

    Heike war allein zu Hause. Auf das mehrmalige Klingeln reagierte sie nicht, verhielt sich stattdessen ganz ruhig und wagte kaum zu atmen. Erst als Petzold zum Sturmklingeln auch noch mit der Faust gegen die Tür trommelte und „Polizei – bitte aufmachen!" rief, öffnete sich die durch eine Sperrkette gesicherte Wohnungstür einen Spalt weit. Die Beamten zeigten ihre Polizeiausweise, und nach einigem Zögern ließ Heike sie eintreten.

    Ungefragt schossen gleich Erklärungen aus ihr heraus: Sie habe den Termin bei der Polizei schlicht vergessen und in die Schule sei sie nicht gegangen, weil sie sich nicht wohl fühle. Die Mutter sei arbeiten, der Vater wohne nicht mehr bei ihnen sondern in Essen mit einer anderen Frau zusammen und ihr Bruder sei beim Bund. Und im übrigen sei sie wegen Brittas Tod völlig fertig ...

    Für Marion klang das wie auswendig gelernt und zu hastig vorgetragen. Ein seltsames Flackern lag dabei in Heikes Augen. Hinzu kamen nervöse, abrupte Gesten. Waren hier eventuell Drogen im Spiel? Öffnete sich damit ein weiteres Feld für ein Tatmotiv? – Oder waren diese Symptome nur Ausdruck purer Angst? - Oder beides? – Hatte Rohrbach sie nach seiner Flucht schon aufgesucht oder telefonisch bedroht? - Um etwas Vertrauen aufzubauen, begann Marion eine ganz allgemeine Unterhaltung. Petzold hörte dieser Plauderei sichtlich gelangweilt zu. Er wäre lieber gleich zur Sache gekommen. Na mach’ man, Chefin, dachte er bei sich.

    Vorsichtig lenkte die Kommissarin schließlich das Gespräch auf Britta und hatte urplötzlich die Eingebung, auch vom Schicksal ihrer eigenen Tochter zu erzählen. Als die Rede auf den Missbrauch kam, zuckte Heike zusammen. Ihr Gesicht wurde noch blasser. Ihr Kopf senkte sich als suche sie auf dem fleckigen Teppich nach Worten. Marion spürte die Widerstandskraft des Mädchens schwinden.

    Sag’ mir, was war mit Britta?, fragte sie mit warmer Stimme und ergriff dabei Heikes Hand. „Vertraue mir. Ich werde dich schützen. Versprochen."

    Einige Augenblicke des Schweigens vergingen, dann hob Heike langsam den Kopf und blickte Marion mit verzweifeltem Gesicht und Tränen in den Augen an. Dieses Schwein, dieses perverse Dreckschwein!, brach es aus ihr heraus Immer wieder musste sie diesem alten Ekel gefügig sein ... Und gedroht hat er ihr, ständig gedroht. Britta hatte panische Angst. - Aber jetzt sollte Schluss sein, wir wollten zusammen zur Polizei gehen. Und das hat Britta diesem Dreckskerl auch gesagt ...

    Also doch. - Heike, wirst du alles, was du dazu berichten kannst, auch zu Protokoll geben? – Nur so können wir den Mann daran hindern, weiter sein Unwesen zu treiben. – Bitte! Es ist wichtig für uns alle.

    Das Mädchen nickte zögernd und bekannte schließlich: Ich habe Brittas Tagebuch. Hat sie mir gebracht, weil sie solche Angst hatte, dass es ihr Vater finden könnte. Aus einem Schuhkarton, den sie unter einem Schrank versteckt hatte, kramte Heike ein rotes Tagebuch hervor, das mit einem zierlichen Messing-Schloss versehen war. Den Schlüssel hab’ ich aber nicht ...

    Marion reichte das Büchlein ihrem Kollegen weiter, der mit einem Taschenmesser in wenigen Augenblicken das winzige Schloss geöffnet hatte. Marion nahm es wieder an sich, schlug es auf und begann darin zu lesen, während Petzold mit ernster Miene zu Heike sagte: Wir wissen leider nicht, wo Rohrbach - also Brittas Vater - sich derzeit aufhält, aber die Fahndung nach ihm läuft. Und wir werden ihn fassen, verlass dich darauf. Bis dahin bekommst du Polizeischutz. Doch in diesem Augenblick sprang Heike auf und sah mit weit aufgerissenen Augen voller Entsetzen die beiden Beamten an.

    Wie?! – Was?! - Brittas Papa?! – Heike schrie die Worte völlig irritiert aus sich heraus. Wieso der ...?! - Was hat der damit zu tun? - Der hat Britta geliebt! - Das ist ein Traum-Papa! Den hat Britta vergöttert, der hätte doch nie ... Von ihm weiß ich überhaupt, das Britta umgebracht wurde. Und ihm hab’ ich auch alles erzählt, was die arme Britta so lange ertragen musste bei diesem verdammten Schwein ...

    Marion fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Ich Idiotin, sagte sie leise zu sich selber. „Wie konnte ich nur so betriebsblind sein? Dann klappte sie entschlossen Brittas Tagebuch zu und wandte sich an Petzold. „Wir müssen die Fahndung nach Rohrbach verschärfen. Ich ahne nun, was der wirklich vorhat." –

    Der nächste Tag begann mit diesigem Sommer-Wetter. Über allem lag ein Feuchtefilm, als es allmählich heller wurde und im Ruhrorter Hafen die Frühschicht begann.

    Betriebsführer Sonnborn schlenderte am Hafenbecken 4 entlang auf eine Kranbrücke zu, blieb stehen und zündete sich eine Zigarette an. Beim ersten genießerischen Zug erblickte er etwas Merkwürdiges: Das Kranseil hing vom Auslegerarm hinab bis ins Wasser. Nichts zu sehen vom Kranhaken. Er fluchte innerlich über die vermeintliche Schlamperei. Vorschrift war es nämlich, den Kranhaken nach Schichtende ganz nach oben zu fahren. Und noch etwas fiel ihm auf: Die Tür zur Kranführer-Kabine stand weit offen.

    Da stimmt doch was nicht, dachte Sonnborn und kletterte zur Kabine hoch. Zu seinem Erstaunen entdeckte er, dass sogar der Hauptschlüssel im Steuerpult steckte. Er schaute sich um, ob eventuell irgendwo ein Kollege in Sicht war. Aber niemand war zu sehen. Kurz entschlossen drückte er auf den Taster AUF, um das Seil aus dem Wasser zu hieven. Der Kranmotor lief an. Die Krantechnik schien völlig intakt zu sein.

    Sonnborn beobachtete, wie das Seil langsam aus dem Hafenbecken nach oben gezogen wurde. Plötzlich erstarrte er in schauerlichem Entsetzen ... Da tauchte aus dem Wasser die Gestalt eines Mannes auf, am Hals aufgehängt an dem schweren rostigen Kranhaken, schlaff hingen die Arme nach unten, Wasser floss aus Ärmel und Hosenbeinen. Der Kopf war schräg zu einer Schulter geneigt, der Mund stand weit offen, und die starren Augen erinnerten an die Fratze eines Schreckensgemäldes.

    Instinktiv schlug Sonnborn mit beiden Händen auf die rote NOTAUS-Taste, sprang aus der Kabine und presste eine Hand vor den Mund, um sich nicht übergeben zu müssen. Dann endlich angelte er sein Handy aus der Jacke und wählte die Notrufnummer der Polizei.

    Kommissar Welter und seine Kollegen von der Spurensicherung und der Rechtsmedizin hatten stundenlang am Tatort zu tun, bis alle Routinearbeiten erledigt waren. Bei der Untersuchung des Toten fand man Ausweispapiere; er wurde als Mitarbeiter des Hafenbetriebes identifiziert und als der hier zuständige Kranführer. Sein Name: Martin Kranicz. Er war seit über fünf Stunden tot. - Gegen Mittag erfuhr auch Marion von diesem grausigen Geschehen.

    Am späten Nachmittag desselben Tages.

    Marion und ihr Kollege Petzold saßen an den Ruhrauen oberhalb einer Böschung im Gras und beobachten nachdenklich den einsamen Angler unten am Wasser. Berufsunfähig durch Unfall, sinnierte Marion, Ehe kaputt, miese Wohngegend und das Einzige, das Liebste auf Erden wird ihm auf diese schreckliche Weise genommen. Und das von einem ehemaligen Kollegen, dem er vertraute und den er für seinen Freund hielt, - der sich aber an seiner über alles geliebten Tochter verging und sie dann aus Angst vor Entdeckung brutal ermordete. Wäre mir doch Brittas Tagebuch vor einer Woche in die Hände gefallen, dann hätte ich das Schlimmste verhindern können. Hätte, hätte ...

    Langsam und leise näherte sich auf dem Weg hinter ihnen der angeforderte Streifenwagen und hielt an. Zwei Beamte stiegen aus. Marion erhob sich, atmete einmal tief durch und rief dem Angler zu: Herr Rohrbach ...!

    Jo Rohrbach zog seine Angel aus dem Wasser; gerade hatte ein Fisch angebissen. Mit müdem Lächeln präsentierte er den Beamten seinen Fang. Dann wurde sein Gesicht ernst, er nickte Marion zu, - wie zum Einverständnis mit dem, was nun unabänderlich folgen musste. – Vorsichtig nahm er den Fisch vom Haken und schenkte ihm im Wasser der Ruhr das Leben.

    Dann kam Rohrbach langsam und gefasst die Böschung herauf.

    Die Kommissarin wandte sich um, verwischte mit dem Handrücken eine Träne und raunte ihrem Kollegen: Das war’s dann wohl. Mach du den Rest.

    War es das wirklich?

    In diesen heil’gen Hallen

    Es ging auf Nachmittag zu, und die Kantine im Polizeipräsidium hatte sich schon weitgehend geleert. In einer Ecke saßen jedoch Hauptkommissar Hasenbach, Leiter des K20, und seine Mannschaft zu einer Besprechung beisammen, - wie schon so oft. Hasenbach bezeichnete dies gern als „Arbeitsessen" und tat sich dabei furchtbar wichtig.

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