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Aloha in Surf City
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eBook301 Seiten4 Stunden

Aloha in Surf City

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Über dieses E-Book

Manchmal spülen die Wellen des Schicksals die Menschen mit gewaltiger Wucht davon und wenn sie wieder auftauchen hat sich alles verändert, am meisten sie selbst. Diese Erkenntnis bringt Joe dazu, vor der bitteren Realität aus seiner Heimatstadt nach Surf City zu fliehen. Seine Traumwelt ist ihm jedoch gefolgt und zwingt ihn dazu, sich weiter mit sich selbst zu beschäftigen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum2. Okt. 2015
ISBN9783738042726
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    Buchvorschau

    Aloha in Surf City - Michael Reisinger

    1

    Joe schreit vor Angst laut auf. Er schaut aus dem kleinen Flugzeugfenster zu seiner Linken. Mit blankem Entsetzten muss er feststellen, dass der Ozean schnell von dem Flugzeug Besitz zu ergreifen scheint, denn das aufsteigende Wasser hat schon die Oberkante des Fensters erreicht. Das Flugzeug ist definitiv am Sinken. Joe ist verzweifelt. Er will nicht sterben!

    „Sie müssen loslassen, junger Mann! Joe schaut verzweifelt nach rechts, in die Richtung, woher die gutgemeinten Ratschläge gekommen sind. Sie stammen von einem alten Mann, fein gekleidet, aber mit unglaublich verstrubbelten Haaren; „professorenhaft beschreibt sein Erscheinungsbild wohl am besten. Daneben sitzt ein weiterer Mann, seltsam bleich und emotionslos. Das sind ja zwei schräge Vögel. Joe ist wenig begeistert dass genau diese beiden sonderbaren Gestalten in so einem Moment der Panik neben ihm sitzen. Wie viel würde er jetzt für ein vertrautes Gesicht geben.

    Das Flugzeug sinkt weiter. Schon beginnt die Kraft des Wassers die Hülle des Fliegers unter Druck zu setzen. Alles ruckelt und krächzt und ächzt und wirkt völlig instabil. Joe ist kreidebleich vor Angst. Er hat seine Hände in die Rückenlehne des Vordersitzes gekrallt und hält diesen fest, als ob sein Leben genau davon abhängen würde, dass er ja nie wieder los lässt. Wann hört dieses verdammte Ruckeln denn endlich auf? „Entspannen Sie sich doch, junger Mann! Ihre Verkrampfung führt doch zu nichts." Joe quittiert den neuerlichen Ratschlag mit einem bösen Blick. Mann, versteht dieser senile Alte nicht, dass sie gleich alle ertrinken werden?

    Psch! Psch! Psch-Psch! An Joes Fenster beginnen sich Risse in Dichtung und Scheibe zu bilden. Dann ein kurzer Augenblick bedrohlicher Stille, und schon dringt Wasser ein. Joe verkrampft noch mehr und tiefer gräbt er seine Finger in die Rückenlehne. Der Professorentyp fasst ihm beruhigend an den Arm, was Joe nur noch mehr in Rage bringt. Ok, fairerweise muss man sagen, dass Joe sich generell gerade leicht unter Druck gesetzt fühlt, mit dem Wasser nun schneller und schneller in den Flieger eindringend.

    Eigentlich hasst Joe ja Flugzeuge. Sie sind in seinen Augen unnatürliche Monster. Nimm den Start als Beispiel. Der Mensch ist doch nicht dazu geboren innerhalb weniger Minuten von Null auf Tausende Meter Höhe geschleudert und dabei so durchgeschüttelt zu werden, oder? Zu allem Überfluss das Ganze auch noch in solch engen, schlauchartigen Konservendosen. Diese bewegen sich dann ausgestattetet mit einem Haufen fehlerhafter menschlicher Technik in viel zu großer Höhe fort. Obendrein vollgepumpt mit schlechter Luft und vollgestopft mit widerlichen Leuten. Joe findet das einfach nur krank!

    Der Mensch ist in seinen Augen ein Landwesen. Erde ist sein Element - nicht Luft, Feuer oder Wasser. Das Problem ist, dass wenn man irgendwo weiter weg hin will, Flugzeuge oft unausweichliche Übel darstellen. Weil das so ist steht Joe auch immer wieder vor dem gleichen Dilemma – fliegen oder nicht fliegen? Fliegen bringt dir die Freiheit etwas Neues zu erleben. Nicht Fliegen die Sicherheit heil am vertrauten Boden zu bleiben. Doch was ist besser?

    Der Flieger scheint seine maximale Belastbarkeit zu erreichen. Das Krächzen und Stöhnen der Hülle ist unerträglich laut geworden. Joe bekommt fast einen Herzinfarkt. Warum nur ist der alte Mann neben ihm so ruhig? Und dessen Begleiter ebenso? Joe schaut sich nach den weiteren Passagieren um. Komischerweise sind alle anderen Insassen des Fliegers ziemlich tiefenentspannt, obwohl mittlerweile durch wirklich jedes Fenster Wasser eindringt. So viel Wasser, dass Joes Knöchel schon vollständig umspült sind. Aber es scheint niemanden im Geringsten zu stören, außer Joe, der die Rücklehne des Vordermanns nicht mehr loslässt. Seine Finger schmerzen elendig von der krampfhaften Anspannung der letzten Minuten. Sein Herz schlägt laut.

    Immer noch sinkt der Flieger. Das Krächzen und Stöhnen der Hülle wird noch eine Spur lauter. Lange kann es nicht mehr dauern bis die Wände der Naturgewalt des Ozeans nicht mehr Stand halten können. Joe beginnt sich mit seinem Schicksal abzufinden. Bald, sehr bald wird sein Leben vorbei sein. Es kommt ihm in den Sinn, dass er es eh nicht besonders gemocht hat. Vielleicht gibt es ja ein Leben nach dem Tod, und vielleicht ist dieses ja sogar besser. Joe atmet tief durch.

    Der alte Mann neben ihm scheint das als positives Zeichen zu werten: „Geht es Ihnen wieder besser? „Wie soll es gehen wenn einem das Wasser fast bis zum Hals steht? Eine kleine Übertreibung, denn eigentlich hat es ja noch nicht mal die Knie erreicht. Aber es steigt und steigt; definitiv kein gutes Zeichen. Seinen Sitznachbarn scheint das immer noch nicht im Geringsten zu stören: „Es ist doch heute trotz allem ein herrlicher Tag, oder nicht? „Sind Sie krank? Ich würde es ja eher einen verdammt beschissenen Tag nennen, wenn man so kurz vorm Ertrinken steht.

    Joe hasst Smalltalk grundsätzlich zutiefst. Smalltalk aber während der letzten Augenblicke vor dem Tod, ein persönlicher Alptraum für Joe und die Höchststrafe. Sein Pech, denn dieser Professorentyp scheint Smalltalk zu lieben: „Nur keine Panik. Lassen Sie uns doch etwas quatschen, das hilft meistens beim Entspannen. Wohin sind Sie denn unterwegs? „In den Urlaub. Joe versucht so knapp wie möglich zu antworten. „Oh, das ist ja toll. Wohin geht es denn genau? Nicht mehr weit wie es aussieht; wahrscheinlich neues Ziel: Meeresgrund. „Weit weg! Joe hofft inständig, dass diese Antwort sein Desinteresse an einer Konversation klar und deutlich rüberbringt. Kann der Typ ihn nun für seine letzten inneren Vorbereitungen bezüglich dem unausweichlichen Ende in Ruhe lassen?

    Nein, kann er nicht. „Oh, das ist gut. Das ist sehr gut. Mein Assistent und ich verreisen auch gerade. Geschäftlich! Wen interessiert das, denkt Joe bei sich. Dennoch ringt er sich ein kurzes „Hm ab. Aber auch das stoppt den anderen nicht: „Sie müssen nämlich wissen, dass ich Professor für Robotik bin. Ein sehr bedeutender Professor sogar. Meine Forschung ist auf der ganzen Welt bekannt und nun muss ich meine neuesten Ergebnisse auf diesem Symposium präsentieren. Mein Assistent begleitet mich." Er deutet auf den Typen neben sich. Dieser zeigt jedoch keinerlei Reaktion. Das macht ihn fast schon wieder sympathisch für Joe. Obwohl ihm irgendwelche Anzeichen von Panik bei irgendjemand Anderen aus dem Kreis der Mitreisenden jetzt doch noch sehr viel mehr bedeuten würde. Es kann doch nicht sein, dass Joe der einzige ist der Angst hat.

    Aus antrainierter Höflichkeit kommentiert Joe den letzten Redeschwall des Professors mit einem „Aha. Viel Glück dafür. Hätte er vielleicht doch nicht machen sollen. Denn dadurch fühlt sich der Professor genötigt fortzufahren. „Ja, ja. Wir stehen vor einem großen Durchbruch, mein Junge. Eine Erfindung, die jeden Mann auf Erden glücklich machen wird. Auch Sie werden davon profitieren. Bald. Schon sehr bald. Was für ein Spinner! Das Wasser hat nun Joes Schoß überschwemmt. Das Ende ist zum Greifen nahe. Und dieser Wahnsinnige neben ihm redet von Zukunft? Wie kann man nur so verblendet sein das Unausweichliche so erfolgreich zu ignorieren. „Mit Verlaub, Herr Professor. Diese Maschine hatte einen Absturz. Wir sind im Meer notgelandet. Das Flugzeug ist am Sinken. Es dringt Wasser durch die Fenster ein. Wir werden ertrinken!"

    „Bleiben Sie ruhig. Das ist alles nicht so schlimm wie Sie vielleicht gerade glauben! Der Professor schüttelt den Kopf: „Nein. So fatalistisch dürfen Sie gar nicht erst denken. Das ist nicht das Ende, es ist erst der Anfang. Es gibt einen Plan und das Untergehen gehört dazu. Es ist sogar äußerst wichtig, dass wir zuerst einmal untergehen. Vor allem dass Sie untergehen, das ist für alles weitere besonders wichtig! Denn nur so können Sie das Glück erfahren, das ich für Sie vorgesehen habe.

    Mit einem lauten Krachen explodiert die Flugzeughülle. Joe wird von einem Sog gepackt und aus dem Flugzeug geschleudert. Sekundenbruchteile später reißt ihn der Sog unerbittlich in die Tiefe. Joe strampelt wie wild. Doch es hilft nichts. Immer tiefer und tiefer geht seine neue Reise. Dann wird es dunkel.

    2

    Joe schlägt die Augen auf. Es muss noch mitten in der Nacht sein, denn es ist dunkel draußen. Er liegt in seinem Bett. Offensichtlich muss er heftig geträumt haben, so verschwitzt wie er ist. Die Bettdecke liegt zerknüllt mehr neben ihm als auf ihm. Joe friert, denn es ist tiefster Winter und er lässt aus Prinzip keine Heizung in der Nacht laufen. Zusätzlich fühlt er einen Druck auf der Blase. Joe rafft sich auf, langsam und tapsig.

    Schlaftrunken macht er sich auf den Weg Richtung Badezimmer. Obwohl es sein Apartment ist und er lange genug hier wohnt, um sich mit schlafwandlerischer Sicherheit zu jedem erdenklichen Punkt innerhalb dieser 40m² navigieren zu können, stellt die schlafbedingte Desorientierung ein erhebliches Problem in der Dunkelheit dar. Bam! Au! Joe ist aus Versehen gegen den Türstock gelaufen. Schmerzverzehrt reibt er sich das Schienbein. Autsch, das war ein Volltreffer. Missmutig tapst er zur Tür hinaus. Dann quert er den Eingangsbereich seiner kleinen Wohnung hinüber zum Bad.

    Im Vorraum profitiert er vom schwachen Licht, das von einem der kitschigsten Bilder kommt, die man sich nur vorstellen kann. Joe hatte sich lange geweigert dieses Bild in seiner Wohnung aufzuhängen, doch seine Freundin Vivian hat ihn dazu gedrängt, wieder und wieder, bis er klein beigegeben hat. Jetzt hängt dieses ein Meter mal ein Meter große Monstrum in seinem Vorzimmer. Es zeigt einen Surfer, der eine Welle in Richtung Strand irgendeines tropischen Paradieses abreitet. Neben dem Surfer schwimmt eine Schildkröte und am Strand wartet eine Bikinischönheit. Gemalt ist das Bild mit dick deckenden Farben, ähnlich Ölfarben, in grellen Farbtönen, 80er-Jahre-Stil. Unterstützt werden die Farben von kleinen LED-Lämpchen, die, gespeist von Strom aus der Steckdose, kontinuierlich blinken und dabei die Bewegung des Meeres symbolisieren sollen. Was tut man nicht alles für die Beziehung, oder? Vor allem jetzt, wo es zwischen Joe und Vivian in regelmäßigen Abständen kracht. Wie heute Abend als sie sich für Stunden in die Wolle gekriegt haben. Joe will gerade gar nicht dran denken, denn sonst kann er sicher nicht mehr einschlafen. Um sich abzulenken betrachtet er, intensiver als sonst, aber weiterhin schlaftrunken, das Surfer-Bild. Dabei träumt er mit halboffenen Augen vor sich hin.

    Oh, das Meer! Wie gerne würde er dem Winter hier in der grauen Stadt entfliehen und einfach mal für unbestimmte Zeit ans Meer ziehen, dorthin wo das Wetter immer schön ist und die Temperaturen immer warm. Joe stellt sich vor wie das wäre, wenn er jetzt in einem solchen tropischen Paradies zu Hause wäre. Er würde definitiv Surfen lernen und dann hoffentlich genauso entspannt wie die gemalte Figur auf dem Bild dem Sonnenuntergang entgegengleiten. Ach, das wär schön!

    Joe schüttelt sich. Leider sind das doch nur Träumereien, unrealistische Phantasien, nicht zu erfüllen und völlig abgekoppelt von der Wirklichkeit. Er muss natürlich hierbleiben. Immerhin hat er einen Job hier, eine Freundin. Sein bester Freund ist auch hier. Er kann nicht einfach gehen. Nein, nein, er kann wirklich nicht weg. Joe schüttelt sich nochmal.

    Im Halbdunkeln braucht er etwas Zeit bis er die Türklinge zum Bad ertastet hat, doch gelingt ihm das hier besser, als vorher bei der anderen Tür. Auch wegen dem Licht des Bildes. Joe überlegt kurz, ob er im Bad Licht anmachen soll. Doch er entscheidet sich dagegen. Den Weg findet er auch im Dunkeln. Schon sitzt er auf dem Klo und erledigt sein Geschäft.

    Dabei denkt Joe über den Traum nach, den er gerade eben gehabt hat. Träume in denen Flugzeuge vorkommen gehören definitiv nicht zu Joes Favoriten. Er hat zu großen Respekt vor den Blechvögeln als dass er gerne in ihnen sitzt. Nur an sie denken löst schon Unbehagen aus. Aber Träumen ist ja noch mal emotionaler und intensiver als An-Etwas-Denken. Darum kann er jetzt richtig die Beklemmung spüren, die er normalerweise hat, wenn er in der Realität fliegen muss. Joe findet das furchtbar. Beim Träumen kommt doch immer so eine seltsame und unkontrollierbare emotionale Ebene dazu, die einen richtig fertig machen kann. Und die bei Joe im Zusammenhang mit Flugzeugen eindeutig angstbeladen ist.

    Dementsprechend mulmig fühlt er sich nun durch die Nachwehen dieses speziellen Flugzeug-Traumes, worin neben dem Fliegen noch ein Absturz und darauffolgendes Ertrinken vorgekommen sind. Joe fröstelt es wieder. Es ist nicht nur die kalte Winterluft, die durch das offene Badezimmerfenster hereinströmt. Es ist auch Joes momentane Stimmung. Schon länger hat er ein mulmiges Gefühl. So als ob irgendetwas in der Luft liegen würde. Irgendetwas Großes, das bald auf ihn hereinstürzen wird.

    Mittlerweile ist er mit seinem Geschäft fertig. Schnell noch abgeschüttelt, die schlechten Gedanken gleich mit und dann nichts wie zurück ins Bett. Joe marschiert los. Bam! Au! Er knallt mit seinem Kopf gegen etwas Hartes. Verdammt!!! Joe hat vergessen, dass er ja vorhin die Badezimmertüre zugemacht hat. Jetzt ist er voll dagegen gerannt. Scheiße! Nun hat er Kopfschmerzen. Noch missmutiger als am Hinweg setzt der so geprügelte Joe den Rückweg zu seinem Bett fort. Gott sei Dank ohne weitere Vorkommnisse!

    3

    Es ist pechschwarz hier. Joe sitzt auf einem Stuhl. Sein Kopf tut weh als ob ihm jemand mit dem Hammer eins übergebraten hätte und er hat jegliche Orientierung verloren. Was ist passiert? Ist die Maschine abgestürzt? Adrenalin schießt in sein Blut. Ist er vielleicht in einem Krankenhaus? Einem Leichenschauhaus? Wobei, das macht keinen Sinn. Immerhin sitzt er ja auf einem Stuhl und liegt nicht in einem Bett oder auf einem OP-Tisch. Er schaut sich um. Es ist immer noch dunkel. So dunkel, dass er nicht erkennen kann was sonst noch in dem Zimmer ist.

    Es benötigt einen heftigen Kampf mit seinem Kreislauf, um überhaupt aufstehen zu können, den Joe jedoch schlussendlich für sich entscheiden kann. Als erstes überprüft er den Zustand seines Körpers. Er scheint unverletzt, ein mildes Kopfweh seine einzige Beschwerde. Dann steht er langsam und wohldosiert auf, nur um fast gleich wieder wegen eines plötzlich auftauchenden Schwindelanfalls umzukippen. Doch Joe schafft es sich zu stabilisieren.

    Er will den Raum untersuchen. Dafür muss aber erstmal der Lichtschalter gefunden werden. Langsam tastet sich Joe die Wände entlang bis er einen Türrahmen erreicht hat. Augenblicke später ist auch der Schalter lokalisiert. Die plötzliche Helligkeit schmerzt Joes Augen und lässt alles erstmal verschwommen erscheinen. Das Kopfweh wird stärker. Schemenhaft beginnt Joe die Ausmaße des Raumes sowie die Anzahl und Art der Einrichtungsgegenstände zu erkennen. Es ist ein sehr kleiner Raum ohne Fenster, mit dicken Wänden und etwas modrig nach Keller riechend. Darin stehen außer einem einfachen Bett und einem Stuhl keine weiteren Gegenstände. Aus dem Raum heraus führt eine Holztür aber, wie schon erwähnt, keine Fenster. Es gibt auch kein besonderes Lüftungssystem, nur der Spalt unter der Holztür scheint den Raum mit Sauerstoff zu versorgen. Sofort fühlt Joe Klaustrophobie in sich hochsteigen. Auch kommt der Schwindel zurück und der kleine Raum um ihn herum beginnt sich wieder stärker zu drehen. Oh Gott, wo ist er hier gelandet?

    Um nicht in Panik zu verfallen stürmt Joe auf die Türklinge zu. Sie lässt sich nicht runterdrücken, ist stattdessen starr, als ob sie jemand von außen mit aller Kraft gegen Joes Druck hochhalten würde. Joes Herz rast schneller und schneller. Er ist eingesperrt! Joe beginnt wie wild gegen die Holztür zu hämmern und um Hilfe zu rufen. Keine Antwort. Auch sonst keine erkennbare Veränderung der Lage. Dafür tun ihm nun die Handrücken weh. Sehr sogar.

    Jedoch haben Angst und Wut nun die Kontrolle über seine Aktionen übernommen, wodurch er den Schmerz gar nicht mehr spürt. Auch das mit dem klar denken scheint nicht mehr zu funktionieren, denn Joes nächste Handlung ist es, den Stuhl zu nehmen und unzählige Male gegen die Tür zu dreschen. Endresultat dieser Aktion: ein kaputter Stuhl und ein erschöpfter Joe.

    Die Angst aber ist immer noch nicht abgeklungen. Also rüttelt Joe wie besessen an der Türklinke. Es tut sich nichts. Einfach nichts. Er ist und bleibt eingesperrt! Joe lässt sich verzweifelt am Türblatt entlang Richtung Boden sinken. Es ist vorbei. Irgendein Psycho hat ihn hier eingesperrt und lässt ihn nun elendig verhungern. Das ist das Ende von Joe - gefangen in einem Verließ, bis ihn die Angst schlussendlich dahinraffen wird. Nun ist er deprimiert. Und erschöpft. Ja richtig müde sogar. Diese Müdigkeit lässt die Angst momentan einer dumpfen Leere weichen. So beruhigt sich sein Puls und sein Atem beginnt wieder normal zu funktionieren. Er schließt kurz die Augen.

    Als er sie wieder öffnet sieht er das kitschige Surfbild aus dem Vorraum seines Apartments. Was macht das denn hier? Joe ist verwundert. Es war doch vorher noch gar nicht da. Trotzdem ist er heilfroh dieses vertraute Element aus seiner Wohnung hier zu sehen. Oh wie oft hat er bei diesem Bild komische Gedanken bekommen? Meistens musste er an so etwas Abstraktes wie Freiheit denken. Nachher hat er sich richtig schlecht gefühlt, weil er doch so ein unfreier Mensch ist. Dann hat er sich immer geschworen, dass er eines Tages über seinen eigenen Schatten springen und für längere Zeit ans Meer ziehen wird, um endlich mal diese Freiheit kennenzulernen, an die er immer denken muss. Aber nicht gleich sondern später, dann wenn es besser ins Leben passt.

    Und was ist jetzt? Statt freier zu werden ist er noch mehr in Gefangenschaft geraten, in dieser Zelle, in diesem Kerker, wo auch immer er jetzt ist. Ja genau, wo ist er eigentlich? Und wer hat ihn hier eingesperrt? Doch Joe findet keine Antwort. Nein, es ist sinnlos. Stattdessen sollte er sich wohl besser ablenken. Vielleicht mit ein paar schönen Gedanken? So behält er wenigstens noch etwas das Gefühl, Herr über seine eigene Lage zu sein. Auch wenn die Situation gerade beschissen ist, seine Einstellung dazu kann ihm hoffentlich ja wohl keiner nehmen. Darum stellt sich Joe nun ganz intensiv das Schönste vor, an dass er gerade denken kann. Es fällt ihm genau eine Sache ein. Er stellt sich vor, der Surfer in dem Bild zu sein.

    Auf einmal macht es Klack, die Türklinge bewegt sich nach unten, die Tür schwingt auf und der ans Türblatt gelehnte Joe purzelt rücklings aus dem Zimmer hinaus. Draußen erwartet ihn ein schlichter Gang der schlecht beleuchtet und komplett leer ist. Weit und breit keine Spur von der Geisterhand, die ihm so unverhofft die Tür geöffnet hat. Joe richtet sich mühsam auf.

    Der Gang präsentiert sich als hässlicher, langgezogener Schlurf von dem alte, ziemlich versifft wirkende Holztüren links und rechts abgehen. Wieder gibt es keine Fenster. Joe lehnt sich kurz mit dem Rücken an die Wand und atmet ein paar Mal tief durch. Die Luft ist stickig und riecht ungesund nach Moder. Dann reißt Joe sich von der Wand los und beginnt den Gang Tür für Tür abzuklappern. Tür 1 gegenüber seiner Tür: versperrt. Tür 2 neben seiner Tür, etwas weiter den Gang hinunter: versperrt. Tür 3 gegenüber Tür Nummer 2: ein WC, alt aber anscheinend funktionsfähig. Und relativ sauber. Tür 4: ein Badezimmer, oder besser gesagt ein Raum mit einer Badewanne und einem Waschbecken darin. Keine Schränke, keine Hygieneartikeln, keine Handtücher. Und wieder keine Fenster. Dafür ein richtig fieser Schimmelgeruch, der von dem großen schwarzen Fleck an der Decke herunterströmt. Tür 5: ein weiterer Raum ohne Fenster, diesmal mit einem Tisch und zwei Stühlen ausgestattet. Tür 6: abgesperrt.

    Joe hat den gesamten Gang abgeschritten und steht nun vor der letzten Tür, derjenigen gegenüber Nummer 6. Nummer 7 also. Wobei? Streng genommen muss er ja seinen Raum auch mitzählen. Also dann halt Nummer 8. Er versucht die Tür aufzumachen. Sie ist nicht abgesperrt. In dem Raum ist es dunkel. Joe tastet nach dem Lichtschalter neben dem Türstock und drückt ihn. Es wird hell. Seine Augen brauchen den Bruchteil einer Sekunde, dann haben sie sich an die Helligkeit gewöhnt und er sieht wieder klar. Und was er sieht lässt ihn zusammenzucken, aufschreien und einen großen Satz nach hinten machen.

    In dem Raum ist nur ein Bett und auf diesem Bett sitz ein Mensch, eine Frau präziser gesagt. Eine sehr schöne Frau um es ganz genau zu nehmen. Schlicht bekleidet mit einem Kleid. Etwas jünger als er selbst. Sie hat die Augen geschlossen und sitzt so da, als ob sie meditieren würde. Der Wirbel von Joes Rein und Raus sowie Vor und Zurück scheint sie gar nicht gestört zu haben. Sie bleibt ruhig auf dem Bett sitzen und lässt ihre Augen geschlossen. Ist sie vielleicht tot?

    Langsam wagt sich Joe nach vorne. Ganz vorsichtig nähert er sich der jungen Frau. Ihr Brustkorb bewegt sich und Joe vernimmt Atemgeräusche. Also nicht tot. Er wird mutiger und kommt ihr bis auf Armeslänge näher. Plötzlich öffnet sie ihre Augen. Joe zuckt fürchterlich zusammen. Aus seiner Kehle kommt ein Ton, der an das Quieken eines Schweines erinnert. Die Frau aber zeigt keine Emotion. Stattdessen beginnen ihre kalten, ausdrucklosen Augen ihn mit aller Gründlichkeit zu analysieren.

    Die Frau streckt ihre Arme aus und versucht nach Joe zu greifen. Dieser schreit panisch auf und macht einen neuerlichen Satz nach Hinten. Die Frau hat ihn verfehlt. Doch das scheint sie nicht weiter zu stören. Langsam steht sie auf und geht mit ausgestreckten Armen auf den verängstigten Joe zu. Schritt für Schritt weicht dieser zurück. Und Schritt für Schritt folgt sie ihm. Schon ist Joe aus der Tür raus und will diese zuschlagen.

    Zu spät. Die Frau hat einen Arm dazwischen gebracht und die Tür schwingt wieder auf. Joe hat die Hosen gestrichen voll. Doch die Frau geht weiter auf ihn zu. Joe weicht zurück und zurück. Plötzlich spürt er etwas Hartes in seinem Rücken. Es ist die Türklinge der gegenüberliegenden Tür. Joe greift schnell danach und drückt sie hinunter. Verdammt, die Tür öffnet sich nicht. Ach ja, stimmt, die war ja abgeschlossen. Er sitzt in der Falle. Die Hände der Frau strecken sich in Richtung seines Halses. Joe hat fürchterliche Angst. Er braucht eine Idee, schnell. Ihre Hände kommen näher. Joes Kehle wird trocken, eine nutzlose Reaktion in dieser Situation. Denk nach Joe, denk nach!

    „Wer bist du? Er schreit es mehr raus als dass er redet. Aber es ist das Einzige, was ihm auf die Schnelle als Abwehrmaßnahme eingefallen ist. Glücklicherweise scheint es sogar Wirkung zu zeigen. „Ich bin Katerina. Wer bist du? Die Frau hat ihm sofort geantwortet. Und sie bleibt stehen, immer noch mit ausgestreckten Armen, welche regungslos in der Luft verharren, einen Fingerbreit von Joes Hals entfernt. Nicht die alltäglichste Kennlernsituation. „Ich bin Joe. Rede Junge, rede. Vielleicht hilft das ja diese Psychotante unter Kontrolle zu halten. Scheiße nur dass er kein großer Redner ist. „Was machst du hier unten? Kein besonders guter Anfang für Smalltalk, aber das war die erste Frage, die ihm so eingefallen ist. Die Frau, Katerina, scheint sich nicht dran zu stören und antwortet ihm sofort: „Ich warte auf dich. Ich bin hier um mit dir Liebe zu machen."

    Was??? Es ist nicht nur das Schrägste, was Joe je zu hören bekommen hat, vor allem von einer völlig Unbekannten. Sie hat es

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