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FUKUSHIMA - IM SCHATTEN: Katastrophe und Flucht
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FUKUSHIMA - IM SCHATTEN: Katastrophe und Flucht
eBook242 Seiten3 Stunden

FUKUSHIMA - IM SCHATTEN: Katastrophe und Flucht

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Über dieses E-Book

Der vorliegende Band FUKUSHIMA – IM SCHATTEN "Katastrophe und Flucht" ist der erste Teil von drei Buechern und behandelt die Tage vom 11. Maerz 2011 bis zum 18. Maerz 2011 im Spiegel meiner Reflexionen.

Auszugsweise wurde dieser Text veroeffentlicht als OAG-Taschenbuch Nr. 97 "Japan an jenem Tag – Augenzeugenberichte zum 11. Maerz 2011" Hg. Albrecht Rothacher im IUDICIUM-Verlag.
Alle Rechte liegen beim Autor

Teil 2 FUKUSHIMA – IM SCHATTEN "Ein schwach verstrahltes Jahr" und Teil 3 FUKUSHIMA – IM SCHATTEN "Fallout" werden in Kuerze veroeffentlicht.

Ich lebe mit meiner japanischen Frau seit 1984 in Japan, seit 1986 im Fischerort Yotsukura, 33 Kilometer vom AKW Dai-ichi entfernt, wo wir auch den 11. Maerz 2011 erlebten: Erdbeben, Tsunami und Radioaktivitaet.

Die Woche vom 11. Maerz bis zur Ankunft am Flughafen Muenster–Osnabrueck gibt den Stoff ab fuer Teil 1 meines Manuskripts: Katastrophe und Flucht. Darin versuche ich ein Bild unseres Umfelds hier im Ort zu schildern, was ein anderes Japan-Bild entwirft als das Uebliche und die Ereignisse vom elften Maerz in einen inneren Zusammenhang zu bringen. Von den Erlebnissen einer Irrfahrt ausgehend, informiere ich ueber die Geschehnisse besonders am AKW, wobei ich besonders Tepco und die Regierung massiv kritisiere: aber auch den Lebensstil unserer Konsumkultur, der ja letzten Endes Atomstrom ermoeglichte bzw. verlangte. Es werden auch beispielhaft Schicksale einiger Freunde in kurzen Ausschnitten gezeichnet. Waehrend des Schreibens bebt es – auch das ist Teil des Berichtes der dadurch etwas sehr Aktuelles erhaelt.
Solche Aspekte des Ungluecks werden in Einblendungen wie Mosaiksteinchen in den Spannungsbogen eingesetzt. Ich moechte durch einen sehr direkt ansprechenden Erzaehlton in verschiedenen Sprachebenen von sachlich ueber gehoben und sogar lyrisch bis andererseits drastisch den Leser in eine Welt von dramatischer Aktion und Reflexion einbeziehen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum13. März 2014
ISBN9783847679226
FUKUSHIMA - IM SCHATTEN: Katastrophe und Flucht

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    Buchvorschau

    FUKUSHIMA - IM SCHATTEN - Juergen Oberbaeumer

    Widmung

    Für Mariko

    Vorwort, Mai 2012

    Im Labyrinth der eigenen Gedanken gefangen schreibe ich ein Buch, froh, dass ich endlich die Kraft gefunden habe einen Ausbruchsversuch zu wagen. Ob er gelingen wird? Man kann sich nicht selbst entkommen, und so vermute ich auch, dass meine krausen Erinnerungen und Deutungen mir keinen Koenigsweg in die Freiheit werden zeigen koennen. Bestenfalls die Konturen meines Kaefigs besser sichtbar machen! Eines Kaefigs – dessen Waende doch aus den Knochen meines eigenen Dickschaedels bestehen.

    Andererseits kam mir neulich die Erkenntnis: man muss sich schon an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen – andere hat man schliesslich nicht! Das Herz will immer das Gleiche… ob das heisst, es ist einverstanden mit den Irrungen und tastenden Wirrungen des Weges „aus Fukushima"? Auch auf die Gefahr hin letzten Endes zu bleiben? Und zufrieden zu sein? Kann man hier noch Zufriedenheit finden, Glueck waere ein zu grosses Wort fuer jemanden in meiner, in unserer Situation, obwohl Mariko sich inzwischen im Blumengarten wieder freut wie frueher im Gemuesebeet? Alles waechst so gut wie nie sagt sie und ihre Freundin erzaehlte sogar auf der Halbglatze ihres Mannes sproesse es wieder neu: ist das unsere schoene neue Welt? Strahlen aus der Asche?

    Wer weiss was die Zukunft bringen wird? Niemand. Die Vergangenheit, die eigene Vergangenheit – nicht einmal die kennt man richtig. Man schafft sich aus Erinnerungen und Wuenschen etwas, baut sich etwas von dem man dann mit Ueberzeugung sagt: Ja, so war es!

    Ich sitze jetzt also dabei die Geschehnisse ab dem elften Maerz 2011 zu verarbeiten: zu was? ist natuerlich die Frage. Dies gewaltige Aufbaeumen der Erde, des Meeres und der Technik hat viele, auch meine Frau und mich, aus der Bahn geworfen. Wir sind zurueck in unseren alten vier Waenden und versuchen wie vorher zu leben aber alles ist anders. In die Dankbarkeit verschont geblieben zu sein mischt sich bitter die Gewissheit betrogen zu sein. Die Natur ist nicht boese, sie nimmt grossartig wie sie gibt – nur die Geschaeftsleute mit ihren eleganten Aktentaschen sind schwer zu ertragen. Die Schreckmomente in denen man die Luft anhaelt weil irgendein Geraeusch ERDBEBEN! signalisiert: ein vorueberfahrender LKW, eine schwer zufallende Tuer, eine springende Katze, ein unerwarteter Windstoss oder was immer – sind dagegen gar nichts.

    Wie kann ich also unser Leben, oder sage ich doch ruhig: mein Leben, jeder Mensch hat schliesslich nur seins, wieder auf ein Fundament stellen das uns, oder eben: mich tragen wird? Die Selbstverstaendlichkeit des Daseins ist verloren gegangen, der Boden unter den Fuessen schwankt immer noch, besonders wenn man so lebt wie ich: frei segelnd auf offenem Meer, nein eher halb verloren treibend als Schiffbruechiger. Jedenfalls weit weg von der eigenen Heimat! Seit allzu langer Zeit. „You can never go back" sagte mir die Freundin Pearl schon vor ueber zwanzig Jahren, und etwas Aehnliches las ich auch neulich noch einmal bei Carl Zuckmayer: der mich mit seinen Erinnerungen aus dem Exil aufrichtet wenn ich mal wieder allzu sehr am Boden krauche.

    Es geht nicht zurueck – also, avanti, gehen wir nach vorn. Adelante, go go go. Den eigenen Weg hinter mir dabei nicht abzureissen wie der alptraumhafte Schwellenreisser sondern neu aufzubauen – kann mir das gelingen, so verrueckt wie ich bin, mit den wenigen, so ganz unkonventionellen Mitteln die mir Heimatlosem zur Verfuegung stehen? Die Gemeinschaft traegt euch Zuhausegebliebenen – was traegt mich Fortgelaufenen ausser dem bisschen Glauben an das eigene Schicksal? Und was oder wer hilft mir mein Schicksal zu deuten ausser der Welt der Worte – die nun einmal meine Welt ist? Also schreibe ich so gut ich kann gegen das Vergehen an. Ich will unbedingt das am Leben erhalten, was wir an Starkem erfahren haben, gerade in der Krise. Ob das nicht ein verfolgenswertes Unternehmen ist? Auch wenn es eigentlich kaum „dramatisch ist, „Drama ist ja ein Konstrukt, eine Deutung von Erlebnissen die im Moment des Geschehens ganz anders empfunden werden: man laeuft entweder weg vor dem Tsunami oder wird von ihm ueberrollt; Angst ist vielleicht dabei – vielleicht auch nicht. Grosse Gefuehle sicher nicht.Der Mensch reagiert reflexhaft wenn’s erforderlich ist: erst wenn man Zeit zum Nachdenken hat, erst wenn die Gedanken kommen entsteht das Beduerfnis nach Verstaendnis, nach Deutung, nach Ordnung. Was so ploetzlich und so unbegreiflich wild geschah, muss irgendwie in das eigene Leben integriert werden, wenn man gesund bleiben will. Die Wildnis muss urbar gemacht werden, fruchtbar wenn moeglich. Das ist muehsame Arbeit und nur bedingt emotional.

    Ob’s fuer die geneigte Leserin, den geneigten Leser profitabel ist ein paar Stunden Zeit des eigenen Lebens zu opfern um mir beim Ackern zuzuschauen? Hoffen wir es! Ueber manche Dinge kann man zwar nicht sprechen, vielleicht steigt hinter den Worten aber hier und da etwas Beredteres auf, eine Art Schweigen.

    Ein Innehalten, das etwas von der Anstrengung kommunizieren wuerde Mensch zu bleiben, wenn sich die Maechte ungnaedig zeigen. Mensch zu werden! Nicht Spielball der „Maechte".

    Und warum ich dies hier fuer alle Oeffentlichkeit schreibe? Mich selber bloss stelle?

    „Also, wenn Du dermassen krass gegen die japanische Politik schreibst – kannst Du danach hier nicht mehr arbeiten…" sagte Ruth. Ob sie Recht hat? Ob ich es je herausfinden werde…?

    Ich schreibe jedenfalls. Um anzuklagen! Je laenger die Ereignisse von 2011 zurueckbleiben desto bitterer werde ich. Es muss sich etwas aendern. Ich schreibe um zu warnen – und um den Mut und die Kraft der kleinen Leute von Fukushima zu feiern! So dumm sie – wir – auch waren und sicher immer noch sind. Wir sind staerker als das Unheil. Wir wurden niedergetreten wie Gras und richten uns auch genauso wieder auf. Wir halten zusammen.

    Hoffe ich.

    1 Wir bleiben!

    Seit ueber 27 Jahren lebe ich in Fukushima.

    Sollte ich jetzt etwa weggehen? „Wir bleiben! sagte ich neulich in einem Interview das deutschlandweit ueber die Schirme flimmerte. Wir bleiben – schreibe ich das jetzt etwa mit dem heimlichen Wunsch gerade diese trotzigen Worte koennten vielleicht irgendein Wunder bewirken, uns einen Weg oeffnen raus aus dieser Situation hier? „We have a situation… in der Tat, mon general. We have a situation.

    „Warum wollt ihr denn nur zurueckgehen? wurden wir in Deutschland so oft gefragt, im April 2011, als es klar war, dass wir genau das wagen wollten. „WARUM?! was sollten wir denn anderes tun, ihr geliebten Deppen? Wovon leben – mit wem – wo die halbe Familie hier ist; die japanische Seite der Familie, und auf Hilfe der Tochter, meiner Frau Mariko, angewiesen. Wo meine Arbeit ist. Unser Lebensunterhalt. Unser Leben! In Deutschland als 57-jaehriger, nach fast 30 Jahren, im Grunde seit ueber 30 Jahren im Ausland, versuchen einen Job zu finden?

    Ein guter Witz, ha ha.

    2 Wurzeln

    Nach 27 Jahren gibt es Wurzeln, es gibt Verflechtungen, die nicht aus eigener Kraft zu kappen sind. Hatte Heike recht als sie meinte es sei vielleicht besser gewesen, wenn unser Haus vom Tsunami weggespuelt worden waere? Fuenfzig Meter vor uns lief sich die Welle aus. Hier im Ort war sie mit knapp fuenf Metern extrem niedrig... etwas hoeher, Normalhoehe, und wir waeren alle unsere Sorgen los. Der Strand von Yotsukura ist kaum 500 Meter von unserem Haus weit weg; man kann im Sommer in Badelatschen und Handtuch zum Baden gehen. Wenn Seegang ist und der Wind kraeftig von Osten kommt hoeren wir die Brandung maechtig rauschen. Vor Jahren einmal so extrem dass ich nachts rausgelaufen bin, weil es so laut war, dass ich dachte: „Das Meer kommt!" aber es war nur ganz normale Brandung. Der Huegel hinter dem Haus, der, auf den ich jetzt fluechtete, warf das Rauschen verstaerkt punktgenau auf uns: wie ich dann mit einem flauen Gefuehl im Bauch in Richtung Strand ging wurde das Rauschen schwaecher und schwaecher und ich wunderte mich….

    Wir wohnen etwa 33 Kilometer suedlich von Fukushima Dai-ichi. Acht Zeitzonen oestlich Deutschlands, auf der Hoehe von Almeria in Spanien oder Naxos in Griechenland, am Stillen Ozean.

    Unser Haus. Gemietet, aber doch: unser Haus seit Herbst 1986; der erste Oktober war Einzugstag. Ich hatte zwei Wochen darauf verwandt die Staender und Balken mit Leinoelfirnis zu streichen und die Waende mit weisser Abdeckfarbe aufzuhellen: so zogen wir mit Kind und Kegel ein. ‘Kind’ meint die kleine May… wegen derer Liebe zum Treppensteigen wir eigentlich aus der alten Wohnung rausgewollt hatten; die Treppe da war allzu steil; fast eine Leiter! ‘Kegel’ – die Sachen die sich in jenem einem knappen Jahr schon angesammelt hatten. Nichts im Vergleich zu dem was uns heute umgibt… aber doch mehr als beim ersten Umzug: per Rucksack auf der kleinen Honda. Der beste Umzug den ich je gemacht habe.

    Leon, der mich gestern so direkt und fast brutal auffordert: „Schreib ein Buch! war noch nicht geboren. „Schreib solange Fukushima noch nicht vergessen ist! forderte er und so sitze ich jetzt am PC.

    Neujahrsabend 2012: das Jahr des Drachen ist nicht mehr weit weg, ist ganz nah wie ein rettendes Ufer… noch drei Wochen, noch einen Vollmond und dann vierzehn Tage bis der Hase zur Ruhe gehen kann, der verdammte Nager. Hat mich schon frueher gequaelt, durch meine eigene Schuld natuerlich; Charakter ist Schicksal, und ein schwacher Charakter selbstverschuldetes Leiden. Und dies Buch jetzt – auch May hatte das ja schon einen Tag vor Sylvester drauf: Schreib doch ein Buch darueber! – eine etwas andere Zielrichtung, mehr in Richtung „Beauty and the Beast", aber das ist eine andere Geschichte.Wie auch die Frage die mir so oft gestellt wurde, warum ich nach Japan gekommen sei.

    Eine ganz andere Geschichte; lassen wir die jetzt mal ruhen.

    3 Haben wir’s geahnt?

    Lassen wir diesmal anfangen im Maerz 2011… einem anfangs ueberaus schoenen Monat! Mariko hat normalerweise im Maerz immer den Blues: letztes Jahr war’s anders! Wir freuten uns auf den heranziehenden Fruehling. Der Himmel war so blau. Nach dem langen Winter mit seinen Sorgen freuten wir uns so sehr auf den Fruehling! Alles begann zu spriessen und zu bluehen, das kleine wunderschoen hellblau bluehende Zeugs, in Deutschland wuerde man’s Lungenkraut nennen, breitete sich ueber die winterkahlen Beete unseres kleinen Gemuesegaertchens aus wie jedes Jahr, die kalten Winde des Februar wehten schwaecher, die Frostnaechte wurden seltener und die hart funkelnden Sterne des Orion begannen im Westen zu verschwinden. An manchen Tagen konnte man regelrecht das kommende Fruehjahr mit seinen Versprechungen riechen. Wir leben zwar imVerhaeltnis zu Europa relativ weit suedlich hier, in unserem Garten waechst eine strubbelige Palme – die genauso alt ist wie unsere Kinder, sagt Mariko immer, aber die Winter sind lang und kalt. Es gibt keine gute Heizung und keine gemuetlich warmen Stuben. Nachts sind es im Schlafzimmer nur drei, vier Grad ueber Null und im Grunde ist das ganze Haus von Dezember bis Maerz ein einziger, grosser Kuehlschrank.

    Unser Haus ist alt, es ist ein „richtiges" japanisches Haus wie es inzwischen nicht mehr allzuviele gibt, einstoeckig mit Tatamimatten in allen Raeumen ausser der Kueche, die einen einfachen, guten Holzfussboden aus Kiefernbrettern hat. Wir leben wie die Fuersten: so wie wir wollen. Freunde die uns besuchen sind immer ueberrascht: Das ist ja wie zu Hause bei den Grosseltern…

    Freunde der Nacht: ihr seid vom Land und wisst nicht, dass dies inzwischen wieder hochmodern ist, „retro", und in den Zeitschriften der Grossstaedte auf sorgfaeltig inszenierten Fotos einem schmachtenden Publikum teuer verkauft wird. Wir aber haben das noch in echt, und wir wissen, dass dieser Lebensstil bedroht ist in einem Land das hundertfuenfzig Jahre immer nur blind nach vorwaerts gerannt ist ohne sich umzuschauen.

    Gerade deshalb ist es zukunftsweisend. Zurueck zum einfacheren Leben! Wir sind keine idealistischen Spinner, wir sind aber klug genug uns nicht von den immer greller toenenden Werbekampagnen fuer das gerade allerneueste Glueck einfangen zu lassen.

    In einer fremden Kultur ist es schwer seine eigene Identitaet zu behaupten. Ohne irgendwelchen Kontakt zu anderen Deutschen, nicht mal anderen Europaeern, muss man schon sehr in sich ruhen, mit anderen Worten ein bisschen verrueckt sein um nicht voellig weggeschwemmt zu werden von den, je aelter man selber wird, immer fremdartiger werdenden Stroemungen der fernoestlichen Umgebung! Zum Glueck sind wir, meine Frau und ich, uns ganz einig in allen wichtigen Punkten und haben uns hier eine eigene kleine Insel des Gluecks geschaffen, dreihundert Quadratmeter eingezaeuntes bedrohtes Idyll. Unser eigenes „Fukushima: was ja uebersetzt zufaellig „Gluecksinsel heisst. Eine bittere Ironie nach den Ereignissen des elften Maerz 2011 und seinen Folgen.

    Wir waren nicht auf so etwas gefasst. Die oertliche Weisheit war: hier gibt’s keine schlimmen Erdbeben! Und tatsaechlich haben wir in all den Jahren nie eins gehabt. Die grossen Verwerfungen sind relativ fern von uns, Japan wimmelt ja foermlich von ihnen – jetzt haben sich natuerlich auch noch jede Menge neue Falten und Spalten aktiviert so dass wir auch bei uns nicht mehr so ganz entspannt sein koennen, na, was rede ich. Auch vor Tsunamis glaubten wir sicher zu sein: die Kueste der zwei noerdlicheren Praefekturen Miyagi und Iwate mit ihren fjordartigen, tiefen Buchten ist gefaehrdet wie jeder weiss – aber wir doch nicht! Und vor dem Naeherkommen des dritten apokalyptischen Reiters verschlossen wir jahrelang die Augen so gut wir konnten, obwohl wir seine fahle Maehre eigentlich schnauben hoerten.

    Es hatte schon immer Probleme und Skandale in den Atomkraftwerken Dai-ichi und Dai-ni gegeben, besonders in der „Nummer Eins", wie Dai-ichi heisst. Nummer eins der Luegen und Vertuschungen wie wir jetzt, viel zu spaet, besser und besser wissen und uns fragen: Wie konnte das sein? Natuerlich war uns schon bewusst, uns, im Gegensatz zu den technikglaeubigen und vertrauensvoll liberaldemokratisch waehlenden Menschen um uns herum, dass da am Strand ein Monster hockte. Gleich an der Nationalstrasse 6, aber durch ein Waeldchen gut abgeschirmt und so weit weg von Menschen, dass es fast unsichtbar war. Strategisch ideal gelegen, genial gefunden dieser Platz.

    Weit genug vor den Toren der Stadt, zwischen ein paar kleinen Doerfern die es erst reich machte und dann vernichtete. Eine dunkle Wolke am Horizont – mehr waren diese zwei AKWs mit ihren zehn Reaktoren fuer uns nicht; wie ahnungslos wir waren.

    Eine vage Bedrohung die uns immer davon abhielt weiter nach Norden zu gehen, in die schoene, unberuehrte Landschaft in die es uns eigentlich zog: mehr nicht. Uns aber nicht veranlasste hier wegzuziehen. Wie dumm wir waren nicht auf unser Gefuehl zu hoeren.

    Andererseits – wie schwer es ist eine Umgebung zu verlassen in der man einmal Fuss gefasst hat: sehe ich jetzt. Wie die Fliege auf dem Klebeband zappeln wir hier und koennen uns doch nicht losreissen; wer ausser dem einen belgischen Cowboy auf seinem Jolly Jumper koennte schon den eigenen Schatten hinter sich zuruecklassen?

    Grosse Ereignisse werfen aber ihre Schatten voraus weiss das Sprichwort, und auch wir haben einige verblueffende Dinge gesagt und getan, wenn ich mich erinnere an die Wochen vor dem Erdbeben. Ich habe jetzt mein Tagebuch von damals noch einmal gelesen unter der Perspektive: Habe ich das Unheil irgendwie kommen spueren? Und wundere mich ueber dies und das; ohne, dass uns damals etwas bewusst geworden waere. Natuerlich – das ist eben so. Irgendwas haben wir aber gespuert denke ich.

    Makaber: wir sahen und kommentierten sarkastisch ein Video, den alten Schinken vom „China Syndrome" mit Jack Lemmon und Jane Fonda: eine Woche vor den Ereignissen. In dem Film geht’s um eine Kernschmelze in den USA! Der geschmolzene Kern unterwegs in Richtung Erdmittelpunkt, und darueber hinaus nach China. Wir ahnten nicht wie bald wir genau das in unserer unmittelbaren Nachbarschaft haben wuerden, nur dass es jetzt gleich drei alles veraetzende Trumm Hoellenfeuer sind die in Richtung Suedatlantik, offene See vor Uruguay, weit draussen vor dem Rio de la Plata wandern.

    Noch krasser ist Folgendes. Wir haben – hatten! – ein Lieblings-Onsen, „Misaki-koen", in unmittelbarer Naehe des AKW Dai-ni, und damit also in der Todeszone. Sehr schoen war es da, man konnte da sogar im Freien das heisse Wasser geniessen, die Erinnerung kommt beim Schreiben so deutlich… den Mond ueber dem Meer aufsteigen sehen, wenn man genau am Einstieg, aus Natursteinen sehr schoen gemacht, links der kleinen Treppe im Wasser so sass, dass der eine Tragpfosten die beschissen blendende Laterne auf der Wiese zwischen Bad und fernerer Natur verdeckte. Das entdeckte ich bei meinem letzten Bad da! Mariko nebenan im Frauenbad: ob sie den gleichen Mond sah?

    Auf dem Rueckweg vom Onsen, abends gegen acht, mit dem Auto diese kuenstliche Allee mit den faux chinois Strassenlaternen laengs, zurueck zur N 6, sahen wir eine Reklametafel fuer die Praefektur Fukushima; „beruehmt sollte Fukushima werden wurde darauf erhofft. „Wodurch denn bloss? spottete ich. „Beruehmt? Wenn ueberhaupt durch irgendwas dann hoechstens durch die verdammten Atomkraftwerke…" wobei natuerlich impliziert war durch eine Katastrophe; mein Spott legte sich aber nicht in irgendeiner Form, als Vorahnung oder dergleichen, duester auf’s Gemuet, nein, wir erinnerten uns erst an diesen surrealistischen Dialog als wir gut eine Woche spaeter auf der Flucht vor eben dem sozusagen herbeigespotteten Ungeheuerlichen waren.

    Waere uns die Bedrohung akut erschienen – haetten wir uns sicher nicht ausgerechnet an diesem letzten Besuch im Bad eine Zehnerkarte gekauft! Die koennen wir jetzt an die Wand nageln.

    Ob die Voegel uns was sagen wollten? Wer kann die aber schon verstehen. Wir hatten drei 'Visionen'; die erste war ein praechtiger Graureiher der unversehens seine riesigen Schwingen schlagend hier im Garten vor unserem kleinen Teich stand. Schwang sich nach ein paar Augenblicken aufs Dach, hockte da („unheilverkuendend"?) waehrend Mariko und ich uns freuten und flog nach einigenAugenblicken hoch zum Tempel; auf die eine grosse Kiefer in deren Wipfel er manchmal zu sehen ist. Derselben, unter der ich ein paar Tage spaeter Zuflucht vorm Tsuanami nahm.

    Die zweite war noch seltener. Es gibt die „japanische Nachtigall", Uguissu, die als Fruehlingsbringer geliebt wird. Sie ruft unverkennbar melodisch mit einem Triller den jeder kennt auch, wenn er sonst kein Spatzentschilpen vom Kraechzen einer Kraehe unterscheiden koennte. Die Uguissu ist nun auch dadurch bekannt dass man sie nie sieht. Nie. Wie den Kuckuck bei uns. Aber zwei Tage vor dem elften Maerz hoerten wir eine ganz nah: im Strauch am Teich – und dann zeigte sie sich

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