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Westside Blvd. - Entführung in L.A.
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Westside Blvd. - Entführung in L.A.
eBook586 Seiten7 Stunden

Westside Blvd. - Entführung in L.A.

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Über dieses E-Book

Die junge Schauspielerin Heather Simms wird in L.A. auf dem Weg nach Hause entführt.
Während die Polizei verzweifelt versucht, Hinweise oder Spuren zu finden, verfolgt der Entführer seine ganz eigenen, ungewöhnlichen Pläne.
Unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit stellt er Forderungen, doch Lieutenant Steve Delaney vom LAPD muss schnell feststellen, dass dieser Fall nach keinem gängigen Schema abläuft.
Im Zuge der Ermittlungen muss die Polizei zu unkonventionellen Mitteln greifen und auch Heather spürt bereits sehr bald, dass sie in den Händen eines unberechenbaren Psychopathen gelandet ist.
Sie sieht sich gezwungen, einen gefährlichen Kampf um ihr Leben zu führen.
Einen Kampf, für den ihr niemand ein fertig geschriebenes Drehbuch reichen kann und dessen Regeln sie erst erlernen muss...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum25. Juni 2014
ISBN9783847647508
Westside Blvd. - Entführung in L.A.

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    Buchvorschau

    Westside Blvd. - Entführung in L.A. - Torsten Hoppe

    xxx

    Realität ist eine Form der Illusion, die nach strengen Gesetzmäßigkeiten vorangetrieben wird.

    Illusion ist eine Form der Realität, die der Phantasie freien Lauf lässt.

    1. Tag

    Kapitel 1

    Mein Kopf flog zur Seite, als seine Hand brutal gegen meine rechte Wange schlug. Die Augen meines Vaters funkelten aggressiv und nur mit sichtlicher Mühe gelang es ihm, nicht völlig die Beherrschung zu verlieren.

    »Wage es nie wieder, in diesem Ton mit mir zu sprechen!«, schrie er.

    Ich wich einen Schritt zurück und starrte ihn hasserfüllt an.

    »Warum? Verträgst du die Wahrheit nicht? Mum ist erst seit zwei Monaten tot und du amüsierst dich bereits mit irgendwelchen dahergelaufenen Schlampen! Du besitzt ja noch nicht mal den Anstand, mit ihnen in ein Motel zu fahren. Nein, Mr. Burton legt seine neuesten Errungenschaften lieber im eigenen Ehebett flach. Hast du wenigstens Mums Bild umgedreht, oder musste sie dir bei deiner Morgengymnastik auch noch zusehen?«

    Als Dads Hand urplötzlich vorschnellte und sich um meinen Hals legte, hatte ich nicht die geringste Chance auszuweichen. Mit einer ruckartigen Bewegung stieß er mich mit dem Rücken gegen den Türrahmen, ohne dass sein Griff sich dabei lockerte. Ich stöhnte vor Schmerzen auf.

    »Vorsicht, junge Lady, oder ich vergesse mich. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig; dir nicht und auch keinem anderen Menschen. Der Tod deiner Mutter hat mich genauso hart getroffen wie dich. Aber das Leben geht weiter. Ich brauche keine Ratschläge von einer neunmalklugen Sechzehnjährigen, deren einziges Talent darin liegt, mein Geld mit vollen Händen auszugeben.«

    Ich spürte, wie mir die Luft wegblieb. Die Hand meines Vaters drückte unbarmherzig gegen meinen Hals und ich stieß ein leises Röcheln aus. Krampfhaft versuchte ich, seine Finger zu lösen, doch ich war nicht mal annähernd kräftig genug, um gegen ihn anzukommen. Ich hörte auf, mich gegen ihn zu wehren, und hoffte inständig, dass sich sein Griff dadurch etwas lockern würde. Er zog mich mit einer langsamen Bewegung zu sich hin, blickte mir starr in die Augen und schleuderte mich anschließend mit einem kurzen, kräftigen Stoß gegen die Wand des Flures.

    Für ein paar Sekunden stand er regungslos da, dann drehte er sich um und ging mit schnellen Schritten zur Eingangstür. Während er die Tür öffnete, warf er mir noch einen wütenden Blick zu, dann verschwand er wortlos auf der Straße. Ich kauerte röchelnd an der Wand, massierte mit der rechten Hand meinen Hals und kämpfte gegen das Schwindelgefühl an. Mein ganzer Körper zitterte, als ich langsam am Mauerwerk entlang zu Boden rutschte. Gierig sog ich die Luft in meine Lungen und spürte, wie das Leben allmählich wieder in meine Glieder zurückkehrte.

    »Verdammtes Schwein«, murmelte ich und lehnte den Kopf gegen die Wand. Mit Tränen in den Augen starrte ich abwesend zur geschlossenen Eingangstür.

    »Cut. Das war hervorragend, Leute. Wir machen zwanzig Minuten Pause.« Terry Gordon erhob sich von seinem Regiestuhl und kam auf mich zu. Er reichte mir die Hand und zog mich zu sich hoch.

    »Für einen Moment hatte ich Angst, ihr beide würdet euch gegenseitig umbringen.«

    Ich sah ihn mit meinem treuesten Blick an. »Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Terry. Ich habe großen Respekt vor dem Alter und so gesehen ist Richard doch die absolute Respektsperson.«

    »Hey, ich bin im besten Alter.« Richard Kent stand in der Tür und hatte den Kopf leicht schräg gelegt. »Ich bin wie ein guter Wein, der immer besser wird, je mehr Zeit er zum Reifen bekommt. Ich glaube, wenn du meine richtige Tochter wärst, hätte ich dich schon längst zur Adoption freigegeben.«

    Ich ging mit einem Lächeln auf ihn zu und legte meine Hände auf seine riesigen Schultern.

    »Ich könnte überhaupt nicht deine Tochter sein«, sagte ich. »Dafür bin ich nämlich viel zu hübsch und intelligent.«

    Richard konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. »Du hast vergessen, deine einzigartige Bescheidenheit zu erwähnen.«

    »Stimmt«, antwortete ich. »Aber die ist doch dermaßen bekannt, dass ich nicht mehr darüber sprechen muss, oder?«

    Richard legte lachend den Arm um mich und drückte mit seinen Bärenpranken zu. »Du warst großartig, Honey. Ich hatte vorhin schon ein ganz schlechtes Gewissen bekommen, als du angefangen hast, so jämmerlich zu röcheln.«

    »Davon habe ich aber nicht viel gemerkt. So irre wie du mich in der Szene angesehen hast, habe ich nur gedacht: Mein Gott, hoffentlich begegnet dir dieser Typ nie im Dunkeln.«

    »Hey«, protestierte Richard, »Ich bin ein netter, harmloser Pazifist, der keiner Fliege etwas zuleide tut. Ich bremse sogar für siebzehnjährige Schauspielerinnen.«

    Ich gab ihm einen Stupser in die Seite. »Das will ich dir aber auch geraten haben. Denk immer daran: Wenn meine Rolle gestrichen wird, dann musst du wieder zurück ins Heim.«

    Richard drehte sich kopfschüttelnd um. »Sag mal Terry, gab es für diese Rolle eigentlich kein nettes, normales Mädchen?«

    Kapitel 2

    Es war kurz nach neunzehn Uhr, als ich das Gelände der Hollywood Sunrise Studios in Los Angeles endlich verlassen konnte. Hinter mir lagen elf harte Stunden und unzählige wiederholte Takes. Dieser Drehtag war einfach nur wahnsinnig anstrengend gewesen. Den ganzen Nachmittag lang hatten wir ausschließlich Szenen auf dem Drehplan gehabt, in denen es um extreme Konfliktsituationen und das kaputte Gefühlsleben der noch kaputteren Hauptakteure ging.

    Obwohl ich unseren Regisseur Terry Gordon privat für einen total netten und sympathischen Typen halte, versteht er es hervorragend, uns Schauspieler während eines Drehtages regelmäßig in den Wahnsinn zu treiben. Szenen werden ’zig mal wiederholt, bis selbst dieser dauernörgelnde Perfektionist auf seinem Regiestuhl endlich zufriedengestellt ist. An diesem Freitag hatte ich ihn insgeheim bestimmt hundertmal verflucht, doch jetzt musste ich zugeben, dass es zwischen den endgültigen Takes und den Szenen, die ich persönlich als ungeduldige Regisseurin bereits akzeptiert hätte, riesengroße Unterschiede gab, die allesamt in den kleinen, aber wichtigen Details lagen.

    Nein, Terry beherrschte sein Handwerk; das stand fest. Für alle in unserem Team war es nur eine Frage der Zeit, bis er die Kulissen unserer Daily Soap für immer verlassen würde, um seinen ersten großen Kinofilm zu drehen. Hollywood und die Hollywood Sunrise Studios waren mittlerweile seit über drei Jahren seine große, bunte Spielwiese, auf der er sich austoben konnte. Aber eigentlich war er schon an seinem allerersten Tag an unserem Set mit der Aufarbeitung unserer banalen, alltäglichen Serienprobleme völlig unterfordert. Ein Kollege hat einmal gesagt, dass Terry die Leiter des Erfolgs bereits vor dem Fenster der großen Studiobosse aufgestellt habe und nun ungeduldig darauf warten würde, dass ihm jemand Einlass gewährt und ein Drehbuch vorlegt, welches ihm den Aufstieg in die Riege der Starregisseure ermöglichen würde. Viel besser konnte man das wohl nicht ausdrücken.

    Ich winkte Jim – dem alten Pförtner der Studios – zu und betrat die Vineyard Avenue. Die schwülwarme Luft schien extra auf mich gewartet zu haben, um mich auf meinem Heimweg zu begleiten. Müde blinzelte ich in die tief stehende Sonne. Ich war total geschafft. Seit acht Uhr morgens hatte ich in den klimatisierten Kulissen der Studios wieder und wieder meine Szenen gespielt, ohne die Hitze an diesem heißen Tag überhaupt wahrzunehmen. Es war jetzt Ende Mai. Die Sonne knallte schon seit Wochen unbarmherzig auf unsere Stadt herunter und ließ Menschen, Tiere und Vegetation gleichermaßen leiden. Da ich mich fast nur noch in den Studios aufhielt, sah ich allerdings immer noch aus, wie eine Mischung aus Vampir und Kellerzombie.

    Dafür freute ich mich nun um so mehr auf das vor mir liegende Wochenende, das ausnahmsweise mal völlig drehfrei war. Die nächsten zwei Tage würde ich zusammen mit meinem Freund Peter am Strand von Santa Monica verbringen, wo man es bei einer angenehmen Meeresbrise gut aushalten konnte. Wir würden die Sonne genießen – wobei ich jedoch nicht braun werden durfte –, uns im Meer abkühlen und bei einem erfrischenden Drink die Texte für die nächsten Szenen lernen. Zwei Tage ohne den Stress der Studios; zwei Tage Erholung, bevor ich meine eigene Persönlichkeit wieder gegen die von Dana Burton eintauschen würde.

    Mein Name ist Heather Simms. Ich bin siebzehn Jahre alt und rein zufällig zur Schauspielerei gekommen. Vor zwei Jahren war ich mal kurzfristig in unserer Heimatstadt San Diego bei einer Modenschau eingesprungen, um einer Freundin meiner Mutter einen Gefallen zu tun. Wanda Davenport ist die Chefin einer Modelagentur. Mum und ich waren eigentlich nur als Zuschauer dort, aber ein paar Minuten vor Beginn der Vorführung verstauchte sich eines der Models den rechten Knöchel. Man brauchte nun sofort ein junges Mädchen, das Teenagermode vorführte und kam dabei spontan auf mich. Ich dachte erst, die wollten mich auf den Arm nehmen, aber sie meinten es wirklich ernst. Optisch passte ich wohl recht gut in das entsprechende Anforderungsprofil: 1,71 groß, schlank, lange blonde Haare, blaue Augen und ein hübsches Gesicht. Zumindest sagten mir alle möglichen Menschen, dass ich hübsch sei. Ich selbst sah das viel nüchterner. Ich konnte ohne nachzudenken eine Liste mit zehn Punkten erstellen, die ich an mir überhaupt nicht mochte und die ich gerne sofort geändert hätte. Ich fand meine Nase zu breit, meine Ohren zu abstehend, meine Wangenknochen zu markant, meine Brüste zu klein, meinen Bauch zu dick…; naja, Gedanken, die sich wahrscheinlich viele Mädchen in meinem Alter machten. Trotz meiner so offensichtlichen 'Makel' verfügte ich aber auch zu jener Zeit bereits über ein recht gesundes Selbstbewusstsein. Aber mal so ganz spontan und ohne jede Vorbereitung vor wildfremden Menschen über einen Laufsteg schreiten und Mode präsentieren? Ich sträubte mich heftig gegen diese bescheuerte Idee, aber schließlich ließ ich mich von meiner Mum und Wanda doch noch zu einem Auftritt überreden. Eigentlich tat ich es nur Mum zuliebe.

    Ich bekam eine ultraknappe Einweisung und stand plötzlich in legeren Kleidungsstücken der Freizeit-Kollektion auf dem Laufsteg. Ich weiß noch, dass mein Herz in diesem Moment wie wild hämmerte. Ich sah die vielen Menschen, die entlang des gut fünfzehn Meter langen Catwalk saßen und spürte die Panik in mir aufsteigen. Am liebsten wäre ich damals zur Hintertür hinaus gerannt, aber stattdessen hatte ich mich auf die Mitte des Laufsteges konzentriert und war mit langsamen Schritten losgegangen. Schon nach wenigen Metern hatte sich meine Verkrampfung etwas gelöst und ich bewegte mich – wie ich persönlich fand – für eine blutige Anfängerin recht locker. Als ich wieder hinter dem Vorhang verschwunden war, hatte die Freundin meiner Mutter mich begeistert in den Arm genommen und an sich gedrückt. Ich muss in diesem Moment wohl über das ganze Gesicht gestrahlt haben und hatte sofort gefragt, was ich als Nächstes präsentieren sollte. Nach zwei weiteren Läufen in eleganter Garderobe – viel zu elegant für einen Teenager mit Vorliebe für Jeans und Jogginghosen – und in moderner Bademode, war mein erster Auftritt als Model beendet. Anschließend war ich wohl wie auf Speed. Ich redete ununterbrochen, so aufgeregt war ich.

    Doch dieser Abend hielt noch eine weitere Überraschung bereit: Hinter der Bühne war ein total seriös aussehender Typ im Anzug auf uns zugekommen, und hatte gefragt, ob wir ein paar Minuten Zeit für ihn hätten. Er war ein Mitarbeiter der Hollywood Sunrise Studios, der auf der Suche nach neuen Gesichtern verschiedene Großstädte durchkämmte. Er hatte uns erzählt, wie beeindruckt er von meinem Auftritt und meiner Ausstrahlung war und hatte mich zu einem Casting nach Hollywood eingeladen. Was sich anfangs wie ein Gag anhörte, entpuppte sich als ernst gemeintes Angebot. Die Hollywood Sunrise Studios planten zu jener Zeit eine neue Daily Soap und suchten hierfür geeignete Darsteller. Ich bekam die Visitenkarte des Schlipsträgers und versprach, über die Sache nachzudenken. Noch am selben Abend hatte in unserem Hause der Familienrat getagt. Ich ging damals noch zur Highschool und aus diesem Grund war Dad auch sofort gegen das Casting.

    Ich heulte und jammerte, setzte meinen treuesten Dackelblick auf, diskutierte, zickte, flehte, bettelte. Ich wollte dahin – unbedingt. Nach schier endlosen Diskussionen hatten Mum und Dad schließlich nachgegeben und mir erlaubt, am Vorsprechen teilzunehmen. Denn in einer Sache waren sich beide wohl einig: Bei dieser Veranstaltung würden hunderte von hübschen Mädchen erscheinen und mindestens achtzig Prozent von denen würden sicherlich Erfahrungen als Schauspielerinnen oder Models vorweisen können. Sie wollten mir damals nicht meine Illusionen zerstören, aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Studios sich ausgerechnet für ihre völlig unerfahrene Tochter entscheiden würden, sahen die beiden doch als verschwindend gering an. Umso überraschter waren sie auch, als ich knapp zwei Monate nach dem Casting eine weitere Einladung nach Hollywood erhielt. Ein aus zwei Produzenten und einem Regisseur bestehendes Team war sehr angetan von der – wie sie schrieben – ‘natürlichen, unverbrauchten Art des Mädchens aus San Diego’ und boten mir eine Rolle in der neu konzipierten Serie ‘Westside Blvd.’ an.

    Nun war der Ärger in unserem Haus erst richtig losgegangen. Ich war fest entschlossen gewesen, die große Chance in der Traumfabrik wahrzunehmen und hatte daraufhin spontan die Schule abgebrochen. Eine Rolle in Hollywood …; welches Mädchen würde von so einer Chance nicht träumen? Dad hatte jedoch sein Einverständnis verweigert und so war es zu endlosen Streitigkeiten gekommen, bei denen keiner von uns bereit war, auch nur einen Schritt auf den anderen zuzugehen. Ich wollte mir diese einmalige Gelegenheit aber auf keinem Fall kaputt machen lassen. Dad hatte seine Bedenken erst dann widerwillig abgelegt, als die Hollywood Sunrise Studios ihm zusicherten, mir mittels Privatlehrer die Möglichkeit eines Schulabschlusses zu gewährleisten. Als damals sechzehnjähriges Mädchen erhielt ich einen Ein-Jahres-Vertrag und bezog zusammen mit zwei anderen Mädels, die ebenfalls von der großen Filmkarriere träumten, eine Wohnung in der Nähe des Studiogeländes. Einfach nur cool.

    Die Figur der Dana Burton, die ich in der Serie spiele, war ursprünglich als eine auf ein Jahr begrenzte Nebenrolle angelegt, doch nach ein paar Monaten war die Resonanz der Zuschauer auf mich und meinen Filmvater Richard Kent dermaßen positiv, dass unsere Szenen kontinuierlich ausgebaut wurden. Der helle Wahnsinn.

    Richard Kent ist ein sehr erfahrener Bühnen- und Filmschauspieler – wobei ich gestehen muss, dass ich ihn bis dato überhaupt nicht kannte. Ich hatte seinen Namen noch nie gehört. Na ja, ich gehörte damals wahrscheinlich aber auch nicht zu seiner Zielgruppe. Richard ist der Hammer. Er ist so wahnsinnig gut. Wobei er in unserer Serie auch eine total coole Rolle bekam: Er spielt den völlig rücksichtslosen und korrupten Rechtsanwalt Frank Burton – meinen Vater, ein Riesenarschloch. Wenn ich heute einen gewissen Status in unserem Studio besaß, dann hatte ich das zu einem ganz, ganz großen Teil Richard zu verdanken. Er hatte mich im letzten Jahr immer unterstützt und mir so viele tolle Tipps gegeben, ohne die ich total aufgeschmissen gewesen wäre. Er polarisierte wahnsinnig und zog die Aufmerksamkeit aller Menschen auf sich. Ich denke, in seinem Sog und seinem Schatten konnte ich mich für eine Sechzehnjährige recht gut freischwimmen.

    Viele Leute haben mir schon erzählt, dass ich ein großes Naturtalent sei. Ich wusste allerdings meistens nicht, ob sie das ehrlich meinten, oder ob sie nur freundlich sein wollten. Was ich jedoch wusste, war, dass die Anzahl meiner Fans in den vergangenen Monaten ganz schön angestiegen war. Sie schrieben mir Briefe, schickten mir Fotos und erzählten mir, ich wäre ein großer Star. War ich das wirklich? Eigentlich hatte ich bisher doch noch nicht viel erreicht. Ein Star war in meinen Augen jemand, der über Jahre oder Jahrzehnte in der Öffentlichkeit überzeugt hatte. Ich hingegen war noch ganz am Anfang; aber träumen durfte man ja…

    Mittlerweile war mein Vertrag vorzeitig um ein weiteres Jahr verlängert worden und auch mein Dad war nach seinen anfänglichen Bedenken mächtig stolz auf mich. Ich mochte die Serie; in der Rolle der ebenso verzogenen, wie zickigen Dana Burton konnte ich mich so richtig austoben. Ich tauchte in eine völlig andere Welt ein. Und das Coolste war, dass ich bereits ein paar Angebote für kleinere Fernsehprojekte bekommen hatte.

    Aber ich musste auch erfahren, dass der vermeintliche Traumjob seine Schattenseiten besaß. Eigentlich war ich immer ein totaler Familienmensch gewesen und schon nach recht kurzer Zeit hatte ich meine Eltern und meine Schwester Angela wahnsinnig vermisst. Abends hatte ich regelmäßig in meinem Bett gelegen und geheult. Ich wollte das Leben einer Erwachsenen führen und hatte schnell gemerkt, dass ich in vielerlei Hinsicht doch noch ein Mädchen war. Ein kleines Mädchen, dem seine Mummy fehlte; wie uncool…

    Terry Gordon hatte natürlich auch schnell gemerkt, dass mit mir irgendwas nicht stimmte – war nicht so schwierig, da ich ständig meinen Text versaut hatte. Er hatte daraufhin mit den Studiobossen gesprochen und prompt war meinen Eltern eine Wohnung in Westwood – nicht weit entfernt vom Filmgelände – angeboten worden. Nach anfänglichem Zögern hatte sich Dad von der Central Bank, bei der er arbeitete, von Detroit nach Los Angeles versetzen lassen und war mit Mum, meiner Schwester Angie und all unseren Habseligkeiten in die Stadt der Engel gezogen. Als mein Vater mir die vom Familienrat einstimmig getroffene Entscheidung mitgeteilt hatte, wollte ich die ganze Welt umarmen. Ich war so unbeschreiblich glücklich, dass ich gar nicht mehr aufhören konnte zu weinen.

    Ich hatte damals allerdings trotzdem beschlossen, auch weiterhin in meiner mittlerweile lieb gewonnenen Wohngemeinschaft wohnen zu bleiben.

    Irgendwie musste ich damals schließlich einen Weg finden, Schritt für Schritt selbstständiger zu werden. Aber nun hatte ich ja auch die Möglichkeit, meine Familie jederzeit zu besuchen; und davon machte ich in der Folgezeit reichlich Gebrauch.

    Mittlerweile hatte ich meinen Privatlehrer gegen einen Schauspiellehrer eingetauscht und mich vollkommen auf eine Zukunft in Hollywood konzentriert. Da der straffe Drehplan die Möglichkeit des ganztägigen Besuchs einer Schauspielschule nicht zuließ, hatte ich seitdem viermal die Woche abends am Kurs eines ehemaligen Schauspielers teilgenommen.

    Dad hat immer gesagt, ich wäre eine verdammte kleine Perfektionistin, die mit nichts zufrieden sei. Wahrscheinlich liegt er damit nicht ganz verkehrt. Im Nachhinein machte ich mir oft Vorwürfe, warum ich etwas nicht besser hingekriegt hatte; auch wenn alle anderen sagten, dass es absolut okay gewesen wäre. Abends ständig in einen Schauspielkurs zu rennen, war wahrscheinlich auch so eine Perfektionismus-Geschichte. Als wären die Drehtage nicht schon stressig genug gewesen. In den letzten Wochen hatte ich nachts, wenn ich völlig erschöpft in meinem Bett lag, unzählige Male das nachhaltige Verlangen gespürt, alles hinzuschmeißen. Doch ich hatte die Zähne immer wieder zusammengebissen und eisern durchgehalten.

    An den Wochenenden erholte ich mich zusammen mit Peter – der ebenfalls an dem abendlichen Schauspielkurs teilnahm – von dem Stress der Dreharbeiten und versuchte neue Energie zu tanken. Der recht gut gefüllte Terminkalender einer ambitionierten Nachwuchsschauspielerin ließ zwar nicht wirklich viel Spielraum für eine Beziehung, aber da Peter aus derselben Branche kam, funktionierte es doch irgendwie.

    Ich warf einen Blick auf die Uhr und streckte mich. Jeder einzelne Knochen in meinem Körper schien sich zu Wort zu melden, um sich über meine mangelnde Fürsorge zu beschweren. Ich war völlig fertig. Erschöpft ging ich die Straße entlang und freute mich bereits auf ein heißes Bad in meiner Wohnung. Wie in Trance trottete ich den alltäglichen Weg entlang, den meine Füße mir vorgaben. Ich war so sehr in meine Gedanken versunken, dass ich die schnell näherkommenden Schritte in meinem Rücken erst gar nicht wahrnahm. Meine Augen waren auf den Boden gerichtet und folgten meinem Schatten, der sich mit der Geschmeidigkeit einer senilen Greisin über den Asphalt quälte. Mit langsamen und kantigen Bewegungen kroch der dunkle Fleck über den Bürgersteig.

    Irritiert blieb ich stehen, als der Schatten vor meinen Füßen plötzlich größer und breiter wurde. Eine schwarze Hand, die nicht mir gehörte, griff seitlich über die Schulter und verschmolz mit dem Schatten meines Kopfes. Ich spürte den starken Druck, der im nächsten Moment auf meinem Mund und meiner Nase lag, ich nahm einen penetranten Geruch wahr, der bei jedem Atemzug meinen Körper durchströmte. Die Welt begann sich vor meinen Augen zu drehen. Ich ruderte wild mit den Armen, versuchte mich aus der unsichtbaren Umklammerung zu befreien, aber meine Kräfte schwanden mehr und mehr. Eine seltsame Leichtigkeit überkam mich, dann wurde es schließlich schwarz um mich herum.

    Kapitel 3

    Der dichte Nebel, der sich wie ein dunkler Schleier über alles niedergelegt hatte, lichtete sich nur ganz langsam. Verschwommene Konturen setzten sich zu durchgehenden Linien zusammen, erzeugten nach und nach ein düsteres, räumliches Bild. Ich schloss für ein paar Sekunden die Augen und öffnete sie vorsichtig wieder. Eine beängstigende Dunkelheit umgab mich. Eine Dunkelheit, die es mir zwar gerade noch ermöglichte, die Formen einzelner Möbelstücke zu erkennen, meinen Orientierungssinn jedoch völlig überforderte. Ich lag auf der Seite und starrte auf einen leeren Sessel. Behutsam versuchte ich mich aufzurichten, doch das Zimmer fing augenblicklich an, sich zu drehen. Instinktiv legte ich die Hand über die Augen. Mein Herz begann zu rasen, während mein Kreislauf nur äußerst langsam in Schwung kam, um bereits einen kurzen Moment später in ein hyperaktives Bewegungsprogramm zu verfallen.

    Ich versuchte, gleichmäßig zu atmen und mich selbst zu beruhigen. Wie in Zeitlupe nahm ich die Hand von den Augen und blickte mich in dem dunklen Raum um. Der Nebel in meinem Kopf war nun völlig verschwunden und auch die verschiedenen Gegenstände um mich herum hatten in meiner Wahrnehmung wieder eine feste Konsistenz angenommen. Ich setzte mich auf und verharrte für einen Moment bewegungslos. Während meine Augen sich ganz langsam ein wenig an die Dunkelheit gewöhnten, lauschte ich angestrengt nach irgendwelchen Geräuschen in meinem Umfeld. Doch nicht der kleinste Laut drang zu mir durch.

    Was war geschehen? Wo zur Hölle war ich hier? Je klarer mein Kopf wieder wurde, desto stärker wurde auch die Panik, die mich gnadenlos wie eine Welle erfasste. Krampfhaft versuchte ich mich daran zu erinnern, was passiert war. Ich war im Studio gewesen. Wir hatten lange gedreht, ich wollte nach Hause gehen…; Verdammt, Heather, konzentrier dich.

    Ich erinnerte mich daran, wie ich das Studiogelände nach einem anstrengenden Drehtag völlig erschöpft verlassen hatte und wie sehr ich mich auf das Wochenende gefreut hatte. Doch was war dann geschehen? Jemand schien aus meinem Gedächtnis eine kleine Ecke mit Hammer und Meißel herausgeschlagen zu haben.

    Meine Erinnerungen endeten auf der Straße vor dem Studio und nun war ich plötzlich in einem dunklen Raum eingesperrt. Was war nur passiert? Hatte man mich niedergeschlagen? Ich spürte keinerlei Schmerzen und ein Abtasten meines Hinterkopfes ergab auch keine Hinweise auf körperliche Gewaltanwendung. Vielleicht hatte man mich auch betäubt; ich glaubte, mich an einen durchdringenden Geruch erinnern zu können, war mir dessen aber nicht sicher. Zumindest hätte es das starke Schwindelgefühl erklärt, das ich beim Erwachen verspürt hatte.

    Mein Handy – verdammt, wo war mein Handy? Hektisch blickte ich mich in alle Richtungen um. Wo war meine Handtasche? Ich musste sie finden. Wenn ich mein Handy hatte, konnte ich Hilfe rufen; meinen Dad, die Polizei, die Homeland Security…; Gott, wo war meine Handtasche? Ich fiel auf die Knie und rutschte angespannt kreuz und quer durch den dunklen Raum. Ich wünschte mir eine Taschenlampe, um in jede verflixte Ecke dieses Zimmers leuchten zu können. In meiner Handtasche hatte ich eine kleine Taschenlampe…; tolle Idee, Heather. Nachdem ich unzählige Minuten lang erfolglos über den Boden gekrabbelt war, musste ich resignierend einsehen, dass meine Tasche nicht hier war. Keine Handtasche, keine Taschenlampe, kein Handy.

    Ich erhob mich schwerfällig und lehnte mich gegen eine der Wände. Zum ersten Mal sah ich mir meine Umgebung bewusst an.

    Der Raum, in dem ich mich befand, war ungefähr vier Meter lang und drei Meter breit. Die kahlen Wände waren grob verputzt. Es gab kein Fenster; das einzige spärliche Licht, das in den Raum hinein drang, fiel durch einen schmalen Spalt unter der schweren Holztür hindurch. Ich ging ein paar Meter zur Seite und setzte mich auf das alte, klapprige Bett, auf dem ich vorhin aufgewacht war. Knapp einen Meter entfernt standen ein alter Sessel, dessen dunkles Polster an mehreren Stellen aufgerissen war, ein ebenso mitgenommenes Sofa und ein kleiner Holztisch. Am anderen Ende des Raumes befand sich eine alte Kommode.

    Ich erhob mich langsam und bewegte mich auf wackligen Beinen zur Tür. Mein Körper zitterte, als ich das Ohr gegen das kalte Holz presste. Von draußen war kein Geräusch zu hören. Ich legte die Hand auf die Klinke und drückte sie vorsichtig herunter. Mit dem Gewicht meines Körpers drückte ich gegen die Tür, doch diese bewegte sich keinen Zentimeter.

    »Verdammt«, seufzte ich und erschrak über den zittrigen Klang meiner eigenen Stimme. Für einen kurzen Moment überlegte ich, um Hilfe zu rufen, doch ich verwarf den Gedanken wieder. Irgendjemand hatte mich hier eingesperrt und die Vorstellung, dass dieser Mensch hier auftauchen und mir etwas antun würde, weckte tiefstes Unbehagen in mir.

    Meine Augen hatten sich mittlerweile recht gut an die Dunkelheit gewöhnt. Ich lehnte mit dem Rücken an der Tür und sah mich ängstlich um.Unzählige Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich hatte doch niemandem etwas getan, was sollte das alles nur bedeuten? Je mehr ich über das nachdachte, was mir nun zustoßen könnte, desto unsicherer wurde ich. Was hatte man mit mir vor? Meine Familie war nicht reich und auch ich selbst hatte in meiner kurzen Schauspielerkarriere keine Reichtümer angehäuft; eine Erpressung machte dementsprechend nicht wirklich viel Sinn. Ich hatte doch auch keine Feinde, die mir so etwas antun würden. Mit langsamen Schritten ging ich zu dem alten Bett zurück. Meiner Wirkung auf Jungs war ich mir allerdings schon bewusst und der Gedanke, dass dies der Grund für die Entführung sein könnte, löste eine regelrechte Panik in mir aus. Ich legte mich auf das Bett und starrte mit zitterndem Körper die Decke an, während die ersten vereinzelten Tränen meine Wangen herunter rollten und auf das Laken des Bettes tropften.

    Ich ging davon aus, dass ich eine Zeit lang bewusstlos gewesen war, aber wie lange ich wirklich weggetreten war, konnte ich beim besten Willen nicht einschätzen. Wie spät war es wohl? Ohne Fenster und Blick ins Freie war es mir unmöglich, die Tageszeit zu bestimmen, und meine innere Uhr schien derbe aus dem üblichen Trott geraten zu sein. Aber auf jeden Fall würde man mich bereits vermissen. Meine Freundinnen hätten sich bestimmt schon Sorgen gemacht und meinen Vater angerufen. Wahrscheinlich war die Polizei bereits auf der Suche nach mir. Es war nur eine Frage der Zeit, bis man mich hier finden würde. Ich atmete tief durch. So ein Schwachsinn…; niemand wusste, wo ich war, niemand würde mich hier finden…; als ich registrierte, wie naiv diese ganzen Gedanken waren, konnte ich die Tränen endgültig nicht mehr zurückhalten.

    Ein entferntes Geräusch ließ mich zusammenfahren. Mein Kopf wirbelte herum, meine Augen starrten dem Eingang des Raumes entgegen. Kein Laut war zu hören. Ich hielt den Atem an. Wenn niemand kam, könnte mich auch niemand befreien; aber wenn die Person kam, die mich hier eingesperrt hatte, dann…; nein, diesen Gedanken wollte ich nicht zu Ende denken.

    Ich wollte den Blick gerade abwenden, als der feine Lichtstrahl, der unter der Tür hindurch fiel, plötzlich unterbrochen wurde. Das Licht war nicht ausgegangen, aber irgendetwas befand sich nun zwischen der Lichtquelle und mir. Der dunkle Schatten bewegte sich und wurde immer schmaler. Jemand näherte sich von außen der Tür. Ich setzte mich mit einer ruckartigen Bewegung auf, wischte mir mit dem Ärmel meines T-Shirts die Augen ab und rutschte verängstigt zum Kopfende des Bettes zurück. Der Schatten zweier Füße war vor der Tür nun zur Ruhe gekommen. Mein Körper begann zu zittern und ich umklammerte mit beiden Armen meine angezogenen Beine. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich auf dem abgedunkelten Spalt unter der Tür. Ich hörte meinen rasenden Herzschlag, spürte den schnellen, stakkatoartigen Rhythmus in meiner Brust.

    Das klickende Schließgeräusch des Schlosses ließ mich zusammenfahren. Die Klinke wurde langsam heruntergedrückt und die Tür öffnete sich wie in Zeitlupe. Helles Licht durchflutete den kleinen Raum und zeichnete im Türrahmen den bedrohlichen Schatten eines Mannes ab. Die Gestalt stand regungslos da und beobachtete mich. Ich wollte schreien; schreien so laut ich nur konnte, doch ich brachte keinen Ton heraus; meine Kehle war wie zugeschnürt.

    Es vergingen schier endlose Sekunden in denen weder ich, noch der Mann im Türrahmen, sich bewegten. Ich wagte kaum zu atmen. Krampfhaft versuchte ich, jede noch so kleine Bewegung zu vermeiden; als wäre ich unsichtbar, solange ich nur reglos verharrte. Schließlich machte der Mann einen Schritt nach vorne und betrat den Raum. Ich schlug die Hände vor das Gesicht und begann schrill und hysterisch zu schreien. Die Frequenz des Schreies schmerzte in meinen eigenen Ohren und ließ den Laut noch gequälter erscheinen. Sämtliche Muskeln in meinem zitternden Körper waren völlig verkrampft, mein Herz schien fast zu platzen. Ich erwartete jeden Moment seine Hände auf meinem Körper zu fühlen und seinen keuchenden Atem zu spüren, als die Tür mit einem lauten Knallen in ihr Schloss flog.

    Ich erschrak und vergaß dabei sogar für einen Moment, zu schreien. Ich riss die Hände vom Gesicht weg und starrte zur Tür. Es war wieder dunkel um mich herum. Von außen wurde ein Schlüssel im Schloss herumgedreht. Meine Augen fixierten den Schatten, der sich nun wieder unter dem Türspalt abzeichnete. Als dieser sich von der Tür entfernte, atmete ich tief durch. Ich hatte die Arme wieder um meine zitternden Beine geschlungen, das Rasseln meines Herzens schien den gesamten Raum vibrieren zu lassen.

    Eine beruhigende und zugleich auch beängstigende Stille breitete sich um mich herum aus. Allmählich gewöhnten sich meine Augen wieder an die Dunkelheit und mit jeder Kontur des Raumes, die zu mir durchdrang, verschwanden die Visionen der Angst mehr und mehr in den hinteren Regionen meines Bewusstseins. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so allein gefühlt. Die selbstsichere Heather mit dem stets so ausgeprägten Selbstbewusstsein hatte in Panik die Flucht angetreten und ein verunsichertes, junges Mädchen in einem dunklen Gefängnis zurückgelassen. Eine Seite an mir, die ich so nicht kannte – und die ich auch nie kennenlernen wollte…

    Mein Blick fiel auf den kleinen Holztisch neben dem Sessel, auf dem der fremde Mann einen Teller abgestellt hatte, der mit einer Art Kunststoffglocke abgedeckt war. Unschlüssig starrte ich den Teller an, dann fiel mein Blick wieder zur Tür. Das matte Licht, das durch den schmalen Spalt hindurch schien, wurde von keinerlei Hindernissen beeinträchtigt. Ich war allein.

    Meine Augen wanderten zurück zu dem alten Tisch. Langsam lösten meine Arme die Umklammerung meiner angezogenen Beine und ich rutschte bis an die Bettkante vor. Nach einem erneuten Blick zur Tür stand ich auf und ging mit unsicheren Schritten auf den Tisch zu. Meine Hand zitterte, als ich sie in Richtung des Plastikdeckels ausstreckte. Kurz bevor ich die dunkelgraue Glocke berührte, ballte ich die Hand zur Faust und zog sie ruckartig zurück. Ich weiß nicht, was ich in diesem Moment befürchtet hatte. Dies war kein Kinofilm, hier sprangen mit aller Wahrscheinlichkeit keine Monster vom Teller.

    Nach einigen Sekunden wagte ich einen zweiten Versuch. Vorsichtig berührte ich mit den Fingern den Griff des Deckels und hob ihn an. Ich legte den ihn zur Seite und starrte auf den mit drei Wurst- und Käsesandwiches gefüllten Teller. Ich atmete tief durch, ohne den Blick abzuwenden. Dann schleuderte ich den Teller mit einer ruckartigen Bewegung vom Tisch. Das Porzellan zerbrach mit einem klirrenden Geräusch und verteilte seine Scherben zwischen den Sandwiches. Erschrocken drehte ich den Kopf zur Seite und starrte zum wiederholten Male die Tür an. Verdammt, warum musste ich jetzt solchen Krach machen?

    Ich hielt den Atem an und lauschte, doch alles blieb ruhig. Mit langsamen Schritten ging ich zurück zu meinem Bett und legte mich auf das Laken. Ich war völlig unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen; mit leeren Augen blickte ich minutenlang die Decke an. Je länger ich in meinem Gefängnis dalag, umso größer wurde das Angstgefühl, das sich wie ein tonnenschweres Kleidungsstück an meinen zitternden Körper schmiegte.

    Kapitel 4

    Mein Atem keuchte, mein Herz schlug wie wild. Wie von Sinnen rannte ich über die grüne Wiese, die Grashalme kitzelten an meinen nackten Füßen. Verzweifelt suchte ich nach einem Unterschlupf, doch vor mir lag nichts, als schier endlose Wiese. Ich blickte nach rechts und links, doch nur die grüne Farbe des Grases zeichnete sich vom bedrohlichen, grauen Horizont ab. Im Laufen drehte ich den Kopf für einen kurzen Moment nach hinten und sah die schwarze Nebelwand, die mich unaufhaltsam verfolgte. Ich glaubte zwei dunkle Augen erkannt zu haben, die mich mit durchdringendem Blick beobachteten, richtete den Kopf stur nach vorne und lief so schnell ich nur konnte. Die Wiese nahm überhaupt kein Ende. Ich war allein, verfolgt von diesem geheimnisvollen Nebel, der nichts Gutes verhieß. Mein Herz raste. Ich hatte Angst mich umzuschauen, doch trotzdem drehte ich erneut den Kopf und blickte über die Schulter. Die Wand war näher gekommen, der wabernde Dunst verhüllte alles, was hinter mir lag.

    Ich wünschte mir, mich in einer Erdspalte verstecken zu können, doch das satte grüne Gras mit den verwelkten Frühlingsblumen bot keinerlei Verstecke. Schneller und schneller setzte ich meine Füße voreinander, so dass ich das Gefühl hatte, den Boden kaum noch zu berühren. Im nächsten Moment trat ich in ein kleines Loch und verlor das Gleichgewicht. Ich stürzte seitlich nach vorne hinüber und landete der Länge nach im Gras. Durch die Geschwindigkeit meines Laufes rollte ich zweimal über die rechte Schulter ab, bevor ich leicht benommen liegenblieb. Ich wollte mich gerade wieder aufrappeln, als ich die dunklen Augen direkt über mir sah. Zwei Hände aus Nebel streckten sich mir entgegen, um mich in den vernichtenden Schlund der Dunkelheit zu ziehen. Schützend hielt ich meine Arme vor den Kopf, mein panischer Schrei war das einzige Geräusch, das die morbide Stille der Umgebung durchbrach.

    Ich schreckte hoch und saß aufrecht im Bett. Für einen kurzen Moment versuchte ich, die dunkle Nebelwand mit meinen Händen abzuwehren, dann registrierte mein verschlafenes Unterbewusstsein, dass ich nur geträumt hatte. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Im nächsten Moment kehrte die Erinnerung zurück. Ich war eingesperrt in einem dunklen Raum, oder war dies auch nur ein Traum? Ich riss die Augen wieder auf und sah mich um. Nein, dies war kein Traum. Es gab keine Nebelwand, die mich mit dunklen Augen verfolgte, aber das Zimmer war Wirklichkeit. Für einen kurzen Moment hatte ich gehofft, in meinem eigenen Bett zu liegen, doch dieser Wunsch erfüllte sich nicht.

    Ich starrte auf die kahlen Wände, dann wanderte mein Blick wieder zu der schweren Tür hinüber. Noch immer fiel der schwache Lichtstrahl unter ihr hindurch in den Raum hinein. Wie war es mir überhaupt gelungen, in dieser Situation einzuschlafen? Langsam stand ich auf und ging auf die Tür zu. Ich lauschte nach irgendwelchen Geräuschen von der anderen Seite, doch alles war still. Was sollte ich tun? Wenn ich anfing um Hilfe zu schreien, konnte es sein, dass der Kerl käme und mir etwas antäte. Aber würde dieser Moment früher oder später nicht sowieso eintreten? Vielleicht bestand ja die Chance, dass irgendjemand anderes da draußen war und meine Schreie hörte – jemand, der ganz zufällig hier vorbeikam. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und begann zu schreien.

    »Hilfe ...; Hallo, ist da jemand?... Bitte helfen Sie mir.«

    Ich presste das Ohr gegen die Tür und horchte angestrengt. Keine Reaktion. Wütend begann ich mit den Fäusten gegen das Holz zu trommeln.

    »Hiiiiilfe...., Hiiilfe.... Helfen Sie mir, ich bin eingesperrt. Ist da denn niemand? Hiiiilfe ...«

    Ich lehnte die Stirn gegen die Tür und atmete tief durch. Langsam und kraftlos schlug ich mit der rechten Faust noch zweimal gegen das Holz. Verzweifelt musste ich die Sinnlosigkeit dieser Aktion einsehen und drehte mich resigniert um.

    Gerade als ich zu meinem Bett zurückgehen wollte, vernahm ich von draußen ein Geräusch. Eine weiter entfernte Tür wurde zugeschlagen, dann hörte ich Schritte. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen sollte, oder ob es einen Grund gab, beunruhigt zu sein. Der schmale Lichtkegel zu meinen Füßen wurde erneut von einem sich bewegenden Schatten verdrängt. Die Schritte wurden lauter und ich wich verängstigt zurück. Es gab in diesem Raum keinerlei Möglichkeit, sich zu verstecken und so lief ich mit schnellen Schritten zur gegenüberliegenden Wand und presste meinen Rücken gegen den Verputz. Der Schatten hatte sich vor der Tür wieder zu der Breite von zwei Füßen reduziert, als ich hörte, wie ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde. Es gab ein klickendes Geräusch, dann wurde die Klinke heruntergedrückt.

    Mir stockte der Atem, als die Tür sich öffnete und dem Licht Einlass gewährte. Im Türrahmen zeichnete sich derselbe Schatten ab, den ich bereits beim ersten Mal gesehen hatte. Sämtliche Hoffnungen auf Befreiung zersplitterten wie eine achtlos weggeschmissene Glaskugel auf einem Betonboden. Kein Held, der auf einem weißen Pferd in mein Verlies eindrang, um mich in sein Schloss zu bringen; kein junger Prinz, der im Kampf gegen das Böse zufällig des Weges kam, die Übeltäter vernichtete und mich auf Händen in die Freiheit trug. Das Zittern in meinem Körper wurde unerträglich.

    Der fremde Mann machte einen Schritt in den Raum hinein und blieb stehen. Sein Blick fiel auf den zerbrochenen Teller und die am Boden liegenden Sandwiches. Dann sah er zu mir herüber. Obwohl ich sein Gesicht nicht erkennen konnte, spürte ich, wie seine Augen mich fixierten. Automatisch senkte ich den Blick zu Boden.

    Der Mann machte einen Schritt zur Seite und ging in die Hocke. Er streckte die linke Hand aus und griff nach den Scherben des Tellers. Ohne auch nur einen Moment zu überlegen, stieß ich mich von der Wand ab und rannte auf die Tür zu. Ich war noch gut einen Meter vom rettenden Ausgang entfernt, als der Mann sich schwerfällig erhob und umdrehte. In dem Augenblick, in dem ich an ihm vorbeirannte, spürte ich, wie die Hand des Fremden sich brutal um mein Handgelenk legte. Er zog mich kurz zu sich, so dass ich mit dem vollen Schwung meines Laufes gegen den Türrahmen stieß und benommen in die Knie ging. Noch immer umklammerte er mein Handgelenk. Ich presste meine freie Hand gegen die Stirn, wo sich ein stechender Schmerz ausbreitete. Ruckartig riss der Mann mich hoch und stieß mich auf das Bett. Ich schrie vor Schmerz und Angst auf und begann leise zu wimmern.

    »Bitte, tun Sie mir nichts ..., bitte nicht ...« Meine Stimme klang unwirklich und verzerrt.

    Ich hatte das Gesicht in den Händen vergraben und schluchzte heftig. Das Zittern meines Körpers ließ das alte Bettgestell vibrieren. Panisch kniff ich die Augen fest zusammen; zu groß war die Angst, den fremden Mann direkt neben mir stehen zu sehen. Ich spürte die Hilflosigkeit in mir aufsteigen und hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Ich erwartete erneut, jeden Moment seine Hand auf meinem Körper zu spüren. Als die Tür mit einem lauten Knall in ihr Schloss fiel, fuhr ich erschrocken zusammen.

    Mit verheulten Augen blickte ich auf und durchsuchte den Raum mit hektischen Blicken. Ich war allein. Der Schlüssel drehte sich im Türschloss, dann entfernte sich der Schatten wieder.

    Ich saß aufrecht in meinem Bett und wischte mir die Tränen ab. Alle meine Gliedmaßen bebten noch immer vor Angst und ließen sich in diesem Moment auch nicht davon überzeugen, dass die Gefahr vorerst gebannt war. Zum zweiten Mal war der fremde Mann mittlerweile bei mir in meinem dunklen Verlies aufgetaucht. Er hatte mir wieder nichts angetan, aber bedeutete dies wirklich, dass ich in keiner akuten Gefahr war? Oder war es einfach nur eine Frage der Zeit, bis meine letzte Stunde gekommen war? Er hatte wieder nicht mit mir gesprochen. Was zur Hölle wollte er überhaupt von mir?

    Ich spürte, wie mein Kreislauf zusammenzubrechen drohte und legte mich hin. Nein, um Hilfe zu rufen, war wahrscheinlich keine erfolgversprechende Strategie, um aus diesem Gefängnis zu entkommen. Nur ganz allmählich schien mein Blutdruck wieder in normale Bereiche abzusinken und das Zittern ließ nach.

    Kapitel 5

    Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, aber dennoch war ich mir völlig sicher, dass viele Stunden vergangen sein mussten, seitdem der Mann zum zweiten Mal bei mir gewesen war. Es fiel mir wahnsinnig schwer, auch nur vereinzelte, klare Gedanken zu fassen. Meine Gehirnzellen schienen viel zu verwirrt zu sein, um ihrer Arbeit nachzugehen. Völlig orientierungslos liefen die kleinen grauen Zellen

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