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Der Prinzenparkmörder: Ein Braunschweig-Krimi
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Der Prinzenparkmörder: Ein Braunschweig-Krimi
eBook253 Seiten3 Stunden

Der Prinzenparkmörder: Ein Braunschweig-Krimi

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Über dieses E-Book

Der Braunschweiger Unternehmer Ludwig König wird tot in der Nähe des Prinzenparks aufgefunden. Allem Anschein nach ist er absichtlich überfahren worden. Während Hauptkommissar Wenger und sein Team versuchen, das Motiv für die Tat herauszufinden, geschieht ein zweiter Mord. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Taten? Die Beamten ahnen, dass sie es mit einem Serienmörder zu tun haben. Wird es ihnen gelingen, weitere Opfer zu verhindern?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum6. Juli 2018
ISBN9783742731500
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    Buchvorschau

    Der Prinzenparkmörder - Martina Wolff

    Kapitel 1

    Sonnabend, 23. Juni 1984

    Es waren knapp neunhundert Meter vom Ende der Kastanienallee, dort wo der Prinz-Albrecht-Park begann, bis zur Abzweigung in die Georg-Westermann-Allee. Die Nacht war lau, und die Blätter der riesigen alten Bäume im Park raschelten leise im Sommerwind. Am Eingang des Parks, von den Braunschweigern nur Prinzenpark genannt, stand Klopsi mit dreien seiner Freunde. Klopsi, so war er von jeher von allen genannt worden, denn er war groß und fett. Er fand diesen Namen zwar nicht besonders witzig und litt insgeheim unter seinem Gewicht, hatte sich aber irgendwann an beides gewöhnt.

    Klopsi sah die Glut aufglimmen, als seine Freunde an ihren Zigaretten zogen, und im Licht der Straßenlaternen konnte er die bläulichen Rauchwolken erkennen, die sich wie Nebelschwaden um die Gruppe legten. Er selbst rauchte nicht. Er hatte es noch nie getan. Auch wenn die anderen ihn deshalb auslachten. Außer Drago. Der hatte es akzeptiert.

    Klopsi war aufgeregt. Sein rechter Fuß trat auf den linken, dann der linke auf den rechten. King Luis, Paff und Drago lachten leise und scherzten, aber er konnte sehen, dass sie nur versuchten, ihre eigene Nervosität voreinander zu verbergen.

    Die Ebertallee war um diese Zeit fast menschenleer, mitten in der Nacht traute sich wohl niemand mehr in den Park. Und abgesehen von einer Handvoll versprengter Autofahrer, die an diesem Sonnabendmorgen mit vom Tanzen in der Diskothek schmerzenden Füßen und nach Qualm stinkend ihrer kurzen Nachtruhe entgegenfuhren, gab es niemanden, der seine Kumpels bei ihrer Zigarettenrunde störte.

    Klopsi sah zu seinem orangefarbenen Opel Manta hinüber. Er hatte ihn, ebenso wie Drago und Paff, während seines Urlaubs in wochenlanger spätabendlicher Arbeit frisiert. King Luis hatte ihm und den anderen dabei geholfen. Als Mechaniker verfügte er über das nötige Wissen, um aus den schrottreifen Anfängerkisten rasende Geschosse zu machen. Und King Luis arbeitete in einer Autowerkstatt, was Klopsi und seinen Freunden die Arbeit zusätzlich erleichtert hatte.

    Auf der Ebertallee war es jetzt still. In der Ferne sah er ein Auto, dessen Scheinwerfer dreimal aufgeblendet wurden. Das war Dickis Zeichen, dass die Bullen den Streckenabschnitt verlassen hatten und die Luft rein war. Im Geiste hörte Klopsi bereits das Aufheulen der Motoren. Er fühlte, wie er in die Rückenlehne seines Sitzes gepresst wurde, so als würde er schon in seinem Manta sitzen und Vollgas geben.

    „Also, nochmal zur Sicherheit, begann King Luis, „wir starten von hier und fahren bis zur Ecke Westermannallee. Dort steht Dicki und stoppt die Zeit. Wir fahren drei Rennen. Die Gegner des ersten Rennens sind schon ausgelost. Das zweite Rennen bestreiten die beiden Gewinner des ersten gegeneinander, ebenso die beiden Verlierer. Das dritte Rennen fahren die beiden Sieger aus dem zweiten, die beiden Verlierer treten im dritten Rennen nicht mehr an. Wer am Ende der Beste ist, kriegt ne Kiste Kelters.

    Klopsi betrachtete King Luis. Er war lang und schlacksig und trug unter seiner rotbraunen Lederjacke, die er sich mal auf dem Flohmarkt gekauft hatte, ein weißes T-Shirt mit einem aufgedruckten Foto der Gruppe Dire Straits. Seine riesigen Füße steckten in ausgetretenen Sportschuhen, von denen er sich bisher wegen deren Bequemlichkeit noch nicht hatte trennen können, und Klopsi fragte sich manchmal, wie oft die gerissenen Sohlen bei Regen schon für nasse Füße gesorgt hatten. King Luis‘ strähnige braune Haare waren im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und in seinem rechten Ohr funkelte ein kleiner silberner Ring.

    „Ich finde, der Einsatz ist ganz schön mager, dafür dass wir hier unseren Arsch riskieren", erwiderte Paff.

    Klopsi beneidete ihn insgeheim, denn er wagte als einziger, King Luis zu widersprechen. Außerdem war er hübsch und sah ein bisschen aus wie Tom Selleck, nur dass die Schenkelbürste fehlte. Er hatte oft selbst miterlebt, wie die Mädchen auf ihn flogen, während Klopsi nicht den Hauch einer Chance gehabt hätte. Das lag sicher nicht nur an den Grübchen, die sich in Paffs Gesicht auftaten, wenn er lachte, sondern vor allem auch an seinem Schlitten, einem silberfarbenen Opel Ascona Sport mit schwarzen Rallyestreifen. Gegen ein solches Geschoss konnte Klopsis Apfelsinenmühle nicht anstinken.

    „Bleib halt weg, wenn‘s dir nicht passt, du Pfeife!, sagte Drago scherzhaft zu Paff, „hier geht‘s nicht um den Einsatz, hier geht’s um den Spaßfaktor, den Fun, kapierste? Ne Kiste Kelters ist doch astrein, ein ganzer Kasten Bier nur für mich!

    „Dafür musst du erstmal gewinnen. Das dürfte bei deiner lahmarschigen Fahrweise ziemlich aussichtslos sein."

    Klopsi schmunzelte. Paff hatte Humor. Er nahm nichts übel, setzte aber immer auf eine handfeste Retourkutsche. Er wünschte sich nur einen Bruchteil von Paffs Schlagfertigkeit. Dennoch war ihm Drago noch immer der Liebste. King Luis und Paff waren gute Kumpels, aber Drago war sein Freund. Der einzige, den er hatte. Sie kannten sich seit der Grundschule. Drago hatte sich in der dritten Klasse neben ihn gesetzt, als er frisch aus Zabreb nach Braunschweig gekommen war. Seitdem waren sie unzertrennlich, obwohl sie optisch völlig unterschiedlich aussahen, Klopsi mit seinen massigen zwei Metern, während Drago nur einsachtundsechzig maß. Paff hatte mal gesagt, Klopsi und Drago würden zusammen aussehen wie Samson und Tiffy aus der Sesamstraße. Ihm war das Bockwurst. Drago hatte immer zu ihm gehalten, wenn der Rest der Klasse ihn verspottete, bis er weinte. Klopsi, Klopsi! Du bist und bleibst ein Fettsack! Drago hatte sie so lange verdroschen, bis sie mit ihren Spottgesängen aufhörten.

    King Luis klatschte in die Hände. „Ok, Leute, bevor ihr anfangt, euch zu zerfleischen, lasst uns einsteigen. Es ist schon drei, bald wird's hell, und dann können wir's vergessen. Und: Die Scheinwerfer bleiben ausgeschaltet. Die Straßenbeleuchtung muss reichen."

    Klopsis rechtes Schulterblatt fing unvermittelt an zu zwiebeln, als Paff ihm einen Schlag darauf versetzte. „Los, steig ein, Alter, oder willst du hier Wurzeln schlagen?"

    Klopsi hätte das Rennen lieber am Hafen gemacht, dort war es weniger gefährlich, und man konnte nicht so leicht erwischt werden. Aber King Luis hatte anders entschieden, und so hatte er sich gefügt. Er startete den Motor. Neben ihm stand Paff. Klopsi sah ihn durch sein Seitenfenster an. Sein Kontrahent wirkte siegessicher. Klopsis Aufregung wurde stärker. Er schwitzte und sein Herz begann zu rasen. Er sah in den Rückspiegel. Auf der Straße stand King Luis und schwenkte dreimal seine selbst gebastelte neongrüne Fahne. Klopsi drückte das Gaspedal bis zum Anschlag hinunter und krallte seine Hände um das Lenkrad. Er blickte starr geradeaus und sah die Ebertallee verschwommen unter sich hinweggleiten. Aus dem Augenwinkel konnte er erkennen, dass Paff noch immer neben ihm war. Endlich sah er Dicki. Im Licht der Straßenlaterne konnte Klopsi erkennen, wie dieser seine Stoppuhr fixierte. Um Haaresbreite erreichte er das Ziel vor Paff. Er wendete und fuhr zurück zum Ausgangspunkt, wo King Luis und Drago bereits in den Startlöchern standen. Klopsi stieg aus und nahm von King Luis die Fahne entgegen, ging zum Startpunkt und schwenkte das leuchtende Stoffstück. Er hörte, wie King Luis und Drago auf ihre Gaspedale traten. Motorenlärm und Benzingestank erfüllten die nächtliche Luft. Klopsi hoffte, dass die Anwohner des östlichen Ringgebiets einen tiefen Schlaf hatten. Bald konnte er erkennen, dass Drago und King Luis zurückkamen. Sie parkten ihre Autos am Straßenrand und stiegen aus.

    „Ey, du bist so 'ne Flachzange!" Drago grinste seinen unterlegenen Kontrahenten King Luis hämisch an.

    „Halt die Fresse, du Idiot!, erwiderte dieser, halb scherzhaft, halb enttäuscht, „wenn ich nicht gewesen wäre, hättest du deine blöde Schrottmühle nicht mal vorwärts gekriegt!

    „Vielleicht hättest du deine blöde Schrottmühle auch mal vor dem Rennen frisieren sollen."

    Drago musste über seinen eigenen Scherz so sehr lachen, dass ihm die Tränen kamen. Klopsi zog die Augenbrauen hoch. Drago war mutig, so mit King Luis zu sprechen, doch dann sah er, dass dieser es nicht übel nahm. Sie witzelten stattdessen noch einen Moment weiter, bis King Luis die beiden Gewinner aus den ersten Rennen mahnte, in ihre Fahrzeuge zu steigen und zum Start zu fahren. Drago ließ sich in seinem blauen Scirocco nieder, den er liebevoll Schockiero nannte, und Klopsi in seinem Manta. Sie lenkten ihre Fahrzeuge nebeneinander. Klopsi tickte mehrfach hintereinander aufs Gas, Drago tat es ihm gleich. Er sah seinen Freund an und hob den Daumen. King Luis schwenkte die Fahne. Sie starteten, Drago links, Klopsi rechts. Mit quietschenden Reifen verließen sie den Start und rasten in Richtung Zielpunkt, wo Dicki mit der Stoppuhr auf sie wartete. Er trat das Gaspedal durch, doch auf der linken Seite sah er Drago Stück für Stück an sich vorbeiziehen. Verdammter Jugo! Der Blick seines Freundes war starr aufs Ziel gerichtet. Der Abstand zwischen ihm und Drago wurde größer. Nur noch wenige Meter trennten seinen Freund vom Sieg. Dicki war bereits am Straßenrand erkennbar. Wie durch eine Wand aus Watte hörte Klopsi das quietschende Ratschen an Dragos Wagen. Er sah den Scirocco ins Schlingern kommen, und es hätte nicht viel gefehlt, dass er gegen ihn gefahren wäre. Kurz darauf hörte er ein Krachen hinter sich. Er sah in den Rückspiegel. Da war etwas Dunkles, das durch die Luft flog und hinter den parkenden Autos landete. Dann blickte er wieder zu Drago, der versuchte, sein Auto unter Kontrolle zu bringen. Endlich schien es ihm gelungen zu sein, denn das Schlingern hörte auf, und Drago drosselte das Tempo. Klopsi sah, dass er wendete. Er hatte seinen autoverrückten Freund noch nie so langsam fahren sehen. Er bremste ebenfalls, drehte um und folgte ihm. Am Startpunkt parkten sie ihre Wagen und gingen zu King Luis und Paff, die schon auf sie warteten.

    „Alter, was ist los?"

    Klopsi konnte sich keinen Reim auf das Verhalten seines Freundes machen, doch ihm war klar, dass etwas Dramatisches passiert sein musste.

    „Ich hab grad `nen Radfahrer plattgemacht." Drago sprach leise, seine Stimme war kaum zu hören. Nervös griff er in die Tasche seiner abgewetzten Lederjacke und zog seine Zigaretten heraus, um sich eine davon anzuzünden. Seine Finger zitterten. Plötzlich beugte er sich vorn über und würgte. Hastig griff er nach einer Plastiktüte, die vor ihm auf dem Boden lag, hielt sie sich unters Gesicht und erbrach sich.

    „Scheiße, was machen wir jetzt?", fragte Paff.

    „Das fragst du noch? Klopsi schüttelte verständnislos den Kopf. „Wir müssen den suchen! Vielleicht lebt der noch! Der braucht doch Hilfe! Vielleicht müssen wir die Bullen und nen Krankenwagen rufen. Los, lasst uns hin und nachsehen!

    Dicki war inzwischen ebenfalls von seinem Posten zurückgekehrt und am Startpunkt angelangt.

    „Was für ein verdammter Mist! Ich hab gesehen, wie der durch die Luft gesegelt ist. Mindestens fünfzehn Meter, wenn nicht mehr! So‘n Crash überlebt kein Mensch. Verfluchte Scheiße! Er befahl Drago, bei ihm einzusteigen. „Du hast nen Schock, Alter, so kannst du nicht fahren. Los, komm.

    „Ich hab den nicht gesehen, der hatte kein Licht an." Drago war sichtlich verzweifelt. Gemeinsam fuhren sie zu dem Ort, an dem der Radfahrer gelandet sein musste. Als alle eingetroffen waren, nahm Dicki eine Taschenlampe aus seiner Jackentasche und leuchtete in den Park hinein. Klopsi sah das Opfer sofort. Ein Busch hatte verhindert, dass es auf dem Boden landete. Es lag grotesk verdreht mit den Füßen nach oben in den Ästen. Das Gesicht war von den dornigen Zweigen zerschnitten und voll mit Blut, die Augen starrten leblos in die Nacht, und da auch der Mund offen stand, konnte Klopsi erkennen, dass einige der Zähne herausgebrochen waren. Die Jacke war zerrissen und gab den Blick auf eine weiße, vorn geknotete Bluse und zerrissene schwarze Jeans frei. Er fragte sich, ob die Risse vor oder nach dem Aufprall in die Hose gekommen waren. Erst jetzt sah er, dass das Unfallopfer eine junge Frau war. Sie hatte lange dunkle Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengeknotet hatte. Bevor der Aufprall ihr Gesicht zerstört hatte, war sie sicherlich sehr schön gewesen. Sie musste in seinem Alter sein, um die Zwanzig. Klopsi drehte sich um. Ihr Fahrrad lag völlig verbeult ein paar Meter von ihnen entfernt auf dem Fußweg neben einem parkenden Mercedes, der durch den Aufprall eine gesplitterte Frontscheibe und eine tiefe Delle auf dem Dach davongetragen hatte.

    „Scheiße, Mann, die ist tot!" Drago, der noch kurz zuvor den harten Kerl gemimt hatte, fing an zu heulen.

    „Wir müssen die Bullen informieren. Klospsis Feststellung klang fast sachlich. „Uns trifft schließlich keine Schuld. Die Tussi hatte kein Licht an. Die konnte man einfach nicht sehen.

    „Bist du irre? King Luis klatschte sich empört gegen die Stirn. „Wir haben hier ein verbotenes Autorennen veranstaltet. Weißt du, was passiert, wenn das rauskommt? Wir wandern in den Bau, und zwar alle. Wir sind alle schuld, dass das passiert ist. Wir können der sowieso nicht mehr helfen. Was mich betrifft, ich hab keinen Bock auf Knast. Lasst uns lieber hier so schnell wie möglich verschwinden.

    Klopsi riss empört die Augen auf. Doch er zögerte. Noch nie hatte er es gewagt, King Luis zu widersprechen. Da war er ganz anders als Paff. Er fürchtete, dass King Luis seine Einwände nicht gelten lassen, sich vielleicht sogar über ihn lustig machen würde. Das hatte er schon oft getan. Doch diese Situation war anders. Hier ging es um Gerechtigkeit, um Anstand. Er schluckte seine Zweifel hinunter.

    „Das können wir nicht machen, das ist Fahrerflucht! Wenn das rauskommt, verlieren wir alle unsere Jobs! Ich hab keine Möge, von der Stütze zu leben."

    „Wir werden viel mehr verlieren als nur unsere Jobs, wenn wir die Bullen rufen. Unser Leben, wie wir es kennen, wird beendet sein. Denk mal drüber nach!"

    Mit diesen Worten drehte King Luis sich um und lief dann entschlossen zu seinem BMW. Er drehte sich um und zögerte, als wollte er sehen, wie seine Freunde reagieren würden. Einer nach dem anderen ging zu seinem Auto, stieg ein und fuhr davon. Nur Drago wartete ab. Sie sahen sich an. „King Luis hat recht. Wir können nichts mehr für sie tun."

    „Ich hab kein gutes Gefühl dabei, Drago. Wir müssen das melden. Wir haben einfach Mist gebaut. Ich hab gleich gesagt, wir sollen zum Hafen fahren. Wenn King Luis auf mich gehört hätte, wäre es nicht so weit gekommen."

    Drago trat ganz nah an Klopsi heran und blickte zu ihm hinauf. In seinem Blick lag eine so tiefe Verzweiflung, dass es Klopsi schmerzte.

    „Du bist mein bester Freund! Willst du mich verpfeifen?"

    Klopsi sah ihn traurig an. „Ich verpfeife dich nicht. Ich werde gar nichts tun. Aber du musst zur Polizei gehen. Ich begleite dich auch."

    Er sah, wie Drago den Kopf senkte und sich dann zum Gehen wandte. Er zögerte einen Moment, doch dann ging er zu seinem Auto. Nach ein paar Schritten blieb er noch einmal stehen und drehte sich um.

    „Ich kann nicht", sagte er.

    Dann stieg er in seinen Scirocco und fuhr davon.

    Kapitel 2

    Freitag, 2. Juni 2017

    Müde von der Arbeit schloss Ludwig die Glastür zu seinem Unternehmen ab. Er war spät dran. Seine Frau und seine beiden Kinder warteten sicher schon ungeduldig auf ihn. Am Nachmittag hatte er sie angerufen und ihr gesagt, dass es heute später werden würde. Sie hatte etwas von nicht schlimm und Yoga-Kurs gesagt. Aber er war so beschäftigt gewesen, dass er nicht richtig zugehört hatte. Er hatte versprochen, zur Entschädigung mit ihr und den Kindern essen zu gehen. 

    Ludwig machte sich zu Fuß auf den Weg. Seine Angestellten fanden das merkwürdig. Jemand hatte ihm einmal im Scherz vorgeworfen, er würde durch sein Verhalten das Geschäft schädigen. Sein Haus lag nur etwa einen Kilometer vom Stammhaus in Lamme entfernt. Was sollte er also mit dem Auto fahren? Er machte sich auf den Weg durch die Lammer Wiesen. Er wollte noch schnell zum Bäcker im Einkaufszentrum nahe dem Sportplatz, wo sein Junge am Wochenende immer Fußball spielte. Er lächelte bei dem Gedanken. Seine Kinder waren sein ganzer Stolz. Er war wirklich ein Glückspilz. Er hatte eine schöne, junge Frau und sein Geschäft lief hervorragend. Gerade hatte er eine neue Filiale in Osnabrück eröffnen können.

    Schon von weitem kam ihm der Duft von frischen Backwaren entgegen. Er lief über den Parkplatz und betrat die Bäckerei. Frau Winke bediente ihre Kunden wie immer freundlich und gut gelaunt, nur ihre Auszubildende Rabea schien heute etwas mürrisch zu sein. Er betrachtete die blonde junge Frau und lächelte sie an. Doch sie schien es nicht wahrzunehmen. Frau Winke überreichte ihm schließlich die große Papiertüte mit zehn Normalen, nachdem er an die Reihe gekommen war. Er klemmte sich die Tüte unter den Arm. Sie knisterte leise. Er freute sich schon auf das Abendessen mit Sandra und den Kindern. Die Brötchen würden sie am nächsten Morgen zum Frühstück essen. Sonnabends frühstückten sie immer alle zusammen. Er konnte sich das erlauben, denn Paul war ein zuverlässiger Geschäftsführer, der ihn vertreten würde, bis er gegen Mittag kam. Sandra mochte eigentlich lieber frische Brötchen, aber die Kinder wollten sie aufgebacken aus dem Ofen. Das krachte so schön beim Hineinbeißen. Er ging zum Ausgang und wandte sich nach rechts. Der Parkplatz war voller Autos, dennoch sah er keine Menschenseele. Alles schien sich in den Geschäften des Einkaufszentrums versteckt zu halten. Plötzlich bemerkte er einen großen, kräftigen Mann von vielleicht Mitte Vierzig, der sich an seiner Beifahrertür zu schaffen machte. Ludwig sah, wie er sich aufrichtete. Unvermittelt verzog der Mann vor Schmerzen das Gesicht und griff sich an die Brust. Wie ein Sack brach er auf dem Parkplatz zusammen. Erschrocken ließ Ludwig seine Brötchentüte fallen und rannte zu dem am Boden Liegenden.

    „Was ist mit Ihnen? Kann ich ihnen helfen?"

    Der Mann lag auf der Seite und atmete nicht. Ludwig berührte ihn an der rechten Schulter und versuchte vorsichtig, ihn auf den Rücken zu wälzen. In dem Moment drehte der Mann sich blitzschnell um und packte ihn mit der linken Hand am Nacken. Er presse ihm ein weiches Tuch auf Mund und Nase. Ludwig fühlte, wie sich ätzende chemische Dämpfe in seine Lungen fraßen. Dann verlor er das Bewusstsein.

    Sonnabend, 3.

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