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Das bunte Leben eines einfachen Seemanns: Band 19 in der maritimen gelben Buchreihe Zeitzeugen des Alltags
Das bunte Leben eines einfachen Seemanns: Band 19 in der maritimen gelben Buchreihe Zeitzeugen des Alltags
Das bunte Leben eines einfachen Seemanns: Band 19 in der maritimen gelben Buchreihe Zeitzeugen des Alltags
eBook426 Seiten4 Stunden

Das bunte Leben eines einfachen Seemanns: Band 19 in der maritimen gelben Buchreihe Zeitzeugen des Alltags

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Über dieses E-Book

Uwe Heins erzählt aus seinem bunten Seemannsleben Er fuhr als Moses und Jungmann auf großen Motorschiffen nach Afrika, Japan, in die Karibik und durch den Panamakanal zur US-Westküste. Später war er als Leichtmatrose und Bestmann auf Kümos zwischen Skandinavien und England unterwegs. Wie der Junge aus einfachen Verhältnissen sich durch den Alltag kämpft und lernt, sein Leben zu bewältigen, erzählt er mit einem Schuss Selbstironie in diesem Band 19 aus der Zeitzeugen-Buchreihe "Seemannsschicksale". Im Verein "Freunde der Seefahrt" in Emden hielt er die Erinnerung an die große Zeit der Seefahrt hoch. Der Herausgeber dieser Buchreihe leitete 27 Jahre lang das große Seemannsheim in Hamburg neben dem "Michel" am Krayenkamp und begegnete dort Tausenden Seeleuten, von denen er etliche interviewte und im Band 1 dieser gelben Reihe vorstellt.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum29. Apr. 2014
ISBN9783847686859
Das bunte Leben eines einfachen Seemanns: Band 19 in der maritimen gelben Buchreihe Zeitzeugen des Alltags

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    Buchvorschau

    Das bunte Leben eines einfachen Seemanns - Jürgen Ruszkowski (Hrsg.)

    Vorwort des Herausgebers

    Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig 140 Betten. In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

    1992 kam mir der Gedanke, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags": Seemannsschicksale.

    Insgesamt brachte ich bisher über 3.600 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften als Reaktionen zu meinem Buch. Diese Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben.

    Ein Schifffahrtsjournalist urteilt über Band 1: „...heute kam Ihr Buch per Post an - und ich habe es gleich in einem Rutsch komplett durchgelesen. Einfach toll! In der Sprache des Seemannes, abenteuerlich und engagiert. Storys von der Backschaftskiste und voll von Lebenslust, Leid und Tragik. Dieses Buch sollte man den Politikern und Reedern um die Ohren klatschen. Menschenschicksale voll von Hochs und Tiefs. Ich hoffe, dass das Buch eine große Verbreitung findet und mit Vorurteilen aufräumt. Da ich in der Schifffahrtsjournalistikbranche ganz gut engagiert bin, ...werde ich gerne dazu beitragen, dass Ihr Buch eine große Verbreitung findet... Ich bestelle hiermit noch fünf weitere Exemplare... Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit dem Buch, das wirklich Seinesgleichen sucht..."

    Diese Rezension freut mich: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. Danke Herr Ruszkowski.

    In diesem Band 19 können Sie wieder das Leben eines Seemanns kennen lernen. Uwe Heins stammt aus Lübeck und lebt seit vielen Jahren in Emden. Er erzählt in diesem Band farbig und interessant – und manchmal auch selbstkritisch - über seinen seemännischen Werdegang, seine Erlebnisse an Bord und in Häfen sowie teilweise über sein Leben nach der Seefahrt an Land.

    Herrn Egbert Kaschner (†) sei für Korrekturhilfe herzlich gedankt.

    Hamburg, im Januar 2006 / 2014 Jürgen Ruszkowski

    Uwe Heins – Herkunft und Kindheit

    Geboren wurde ich 1940 in Altlandsberg und anschließend auch dort getauft. Dieser Ort liegt in der Nähe von Berlin, wo meine Mutter bei der LVA arbeitete. Einen Vater gab es zwar, ich habe ihn aber nie kennen gelernt.

    Meine Grosseltern mütterlicherseits wohnten in einer Schule in Lübeck-Moisling. Als mein Großvater, der damals sehr kriegsbegeistert war, mich das erste Mal im Arm hatte, gab er mich nicht wieder her, somit wuchs ich bei meinem Opa und meiner Oma in Lübeck auf, wurde auch hier eingeschult.

    Nach dem Kriege zogen wir nach Lübeck-Karlshof, einer Wohnsiedlung in Richtung Travemünde. Hier trat ich damals dem Fußballverein LBV Phönix bei, deren Platz in unmittelbarer Nähe lag. Die Schulzeit sowie die Freizeitaktivitäten genoss ich gemeinsam mit einem Namensvetter Joachim Heins, zu dem ich immer noch Kontakt habe, sehr. Noch heute kann ich mich genau an viele gemeinsame Unternehmungen erinnern. Oftmals tobten wir nachmittags im nahe gelegenen Lauerholz herum. Die Querwege hatten für uns immer fortlaufende Wegnummern. Hier übersprangen wir fast unüberwindlich breite Gräben, bauten Hütten aus Holz. Im Winter liefen wir auf den breiten zugefrorenen Gräben Schlittschuh und spielten mit krummen Stöcken Eishockey. In einer nahe gelegenen Sandkuhle mit angrenzendem Fichtenwald spielten wir „Indianer. Unsere Kriegsschreie könnte ich noch heute genau wiederholen, auch unser geheimes Erkennungswort weiß ich noch: „Feurige Lohe. Ich erinnere mich auch noch an den gelblichen Hund, der in Lübeck-Karlshof rechts neben dem Haus Am Rusch 13 bellte. Hinter diesem Haus der Familie Heins befand sich eine Frettchenzucht, die mir Joachim oft zeigte. Durch die unterschiedliche schulische Weiterbildung und den Fortzug meiner Mutter in die Lübecker Innenstadt lockerte sich dann meine Freundschaft. Ein loser Kontakt blieb aber immer. Meine Mutter war inzwischen verheiratet, und ich hatte auch Halbgeschwister.

    Irgendwann konnte meine Großmutter nicht mehr so für mich sorgen, wie es hätte sein müssen, und ich kam zu meiner Mutter und zu meinem Stiefvater nach Lübeck. Ich besuchte bald darauf die Mittelschule und musste sehr darunter leiden, dass alle meine Lehrkräfte einmal bei meinem Großvater zur Schule gegangen waren, und damals hatte ja wohl noch der Rohrstock regiert. Noch heute meine ich, dass meine insgesamt sieben Fünfen, die ich in der 9. Klasse im Zeugnis hatte, und die mich zur unweigerlichen Wiederholung des Schuljahres zwangen, versteckte Racheakte der Lehrer waren. Aber auch das überstand ich und schloss 1957 mit der Mittleren Reife die Schule ab. Einen Berufswunsch hatte ich nicht zu haben, es war ganz klar, dass ich zur Bundesbahn gehen würde, mein Großvater (stiefväterlicherseits) war Inspektor bei der Bahn und wollte dies schon richten.

    Wir wohnten damals inzwischen in der Moislinger Allee in Lübeck, Bahnhofsnähe mit Blick aus dem 3. Stock auf das gesamte Panorama von Lübeck, allem voran das weltbekannte Holstentor.

    Dann kam der Tag, der mein Leben verändern sollte. Wie des Öfteren, schlenderte ich durch den nahe gelegenen Lübecker Hauptbahnhof. An einer dieser früher üblichen Kartenkontrollstellen entdeckte ich einen ehemaligen Schulkollegen, der, weil er nicht kleben geblieben war, ein Jahr früher die Schule verlassen konnte und jetzt bei der Bahn eine Ausbildung machte. Er knipste hier die Fahr- und Bahnsteigkarten, die zu damaligen Zeiten vorgezeigt werden mussten und entwertet wurden. Erstaunt fragte ich ihn, ob solche „Arbeiten auch zu der Ausbildung zum höheren Dienst gehören würden. Es kam ein eindeutiges „Ja. Ich weiß heute nicht mehr, woher ich den unglaublichen Mut hatte, meiner Mutter entgegenzutreten und zu sagen, dass dies doch wohl in keinem Fall etwas für mich wäre. Ich würde nie und nimmer zur Bahn gehen, da könne passieren, was da wolle. Es muss sie sehr beeindruckt haben, denn sie versprach mir, mit mir zum Arbeitsamt gehen zu wollen, und zwar so schnell wie möglich.

    Ich brauchte nicht lange zu warten, da machte meine Mutter ihr Versprechen wahr und schleppte mich zum Arbeitsamt. Ich weiß heute nicht mehr, welche Fragen das damalige Gespräch mit dem Berufsberater beinhaltete, ich musste jedenfalls nach etwa 20 Minuten nach draußen auf den Flur, und meine Mutter sprach alleine mit dem Mann. Als sie aus dem Zimmer herauskam, wollte ich natürlich wissen, was denn nun der Tipp des Berufsberaters sei. Sie meinte, der einzige Rat, den der Berufsberater ihr gegeben hätte, war der, dass es wohl am besten sei, man würde mich in die weite Welt entlassen.

    Nun weiß ich heute, dass ich damals sicherlich noch nicht reif genug war, einfach so in die Welt hinaus zu gehen, was immer es auch heißen konnte. Durch einen Kontakt bei uns im Hause kam das Gespräch auf die „Christliche Seefahrt."

    Ich glaube nicht, dass ich damals euphorisch gejubelt habe, aber ich konnte mich in meinem damals naiven pubertären Denken mit dem Gedanken anfreunden, irgendwo auf Haiti am Strand spazieren zu gehen.

    Schiffsjungenschule Priwall

    Vorher war da aber noch eine Voraussetzung zu erfüllen, die mir meine Mutter schnellstens erklärte: Bevor man eine Ausbildung zum Matrosen machen konnte, musste man zu damaliger Zeit erst einmal auf eine Schiffsjungenschule. Eine solche befand sich in Lübeck-Travemünde auf dem Priwall.

    Mit den Formalitäten der Anmeldung hatte ich nichts zu tun. Ich weiß nur noch, dass ich am 15. April 1957 mitsamt Seesack per Bahn nach Travemünde fuhr, mit der Fähre zum Priwall übersetzte und nachmittags wohlbehalten in der Schiffsjungenschule eintraf.

    Hier merkte ich schnell, dass ich nicht der Einzige war, der den Lehrgang zu absolvieren hatte. Mit mir standen etwa 60 andere junge Leute in der Begrüßungshalle.

    Nach einer kurzen Ansprache durch den Lehrgangsleiter, einem Kapitän Krieger, wurden uns allen die Zimmer zugewiesen, wo wir die nächsten drei Monate nächtigen sollten.

    Die Zimmer waren mit jeweils drei Doppelstockbetten, einem Tisch, Stühlen in der Mitte sowie sechs Holzspinden ausgestattet, in die jetzt jeder von uns Ankömmlingen seine mitgebrachten Sachen einräumte.

    Dann ging es zum Essen. In einem riesengroßen Speiseraum wurde aufgetischt. Mit uns Neuen waren noch etwa 60 andere Teilnehmer anwesend. Sie hatten inzwischen die Hälfte des Lehrgangs absolviert und trugen eine Arbeitskleidung, mit der wir erst noch ausgestattet werden sollten, was auch am Nachmittag geschah.

    Der angebrochene Nachmittag und der Abend standen zu unserer freien Verfügung, was damit genutzt wurde, uns richtig miteinander bekannt zu machen und das Haus näher kennen zu lernen.

    Am nächsten Tag erfolgte schon am Morgen der erste Schreck: Schon um 6:00 Uhr wurden wir mit dem jetzt bekannten Türenaufreißen und Schreien „Reise, Reise, raus aus der Scheiße" geweckt. Ein zeitlich limitiertes Waschen und Anziehen folgte. Danach war im Flur eine Paradeaufstellung einzunehmen, und es wurde abgezählt, was wir, die neu waren, aber noch gehörig lernen mussten.

    Dann wurde die Planung für den Tagesablauf bekannt gegeben. Diese ganze Routine sollte sich in den nächsten drei Monaten fast täglich wiederholen. Im Sommer erfolgte das Antreten aber des Öfteren draußen, auf so einer Art Kasernenhof. In den nächsten Tagen wurden wir systematisch ausgebildet.

    Nach dem morgendlichen Frühstück von 7:00 Uhr bis 7:30 Uhr fand ein regelrechter Unterricht bei verschiedenen Lehrern statt, die alle Kapitäne waren.

    Theoretischer Unterricht und praktische Ausbildung wurden meist gesplittet, so dass wir nicht den ganzen Tag auf unserm Hintern sitzen mussten.

    An die Theorie kann ich mich gar nicht mehr so recht erinnern, die Praxis war sowieso für alle viel interessanter. Es wurde im Freien die Bearbeitung von Tauwerk geübt, das Spleißen und die ganze Knotentechnik. An dicht beistehenden Davids hingen zwei Rettungsboote, die immer wieder zu Übungen ins Wasser gelassen wurden, um das Rudern und auch das Wriggen zu üben. Beim gemeinsamen Rudern kam es in erster Linie auf die strikte Befolgung der Kommandos an, was uns sichtlich schwer fiel.

    Das Mittagessen wurde immer gemeinsam im Speisesaal eingenommen. Es summte dann dort wie in einem Bienenkorb. Wir saßen alle auf langen Bänken und schielten gelegentlich zu unseren Ausbildern, die natürlich getrennt von uns, an normalen Tischen und auf Stühlen saßen.

    So gegen 16:00 Uhr war Feierabend, dann wuschen wir uns und zogen unsere Freizeitkleidung an. Die Zimmer wurden gereinigt, die schon morgens gebauten Betten noch einmal geprüft und auch der Schrankinhalt noch einmal gerade gezupft, denn gegen 17.30 Uhr war jeden Werktag immer ein bedeutsamer Zeitpunkt: Ein Oberbootsmann kam ohne Anklopfen ins Zimmer. Jeder sprang sofort hoch und nahm Hab-Acht-Stellung ein. Der für jedes Zimmer gewählte Zimmersprecher machte Meldung wie beim Militär und der Oberbootsmann begutachtete nach Lust und Laune einige Spinde von innen oder bemängelte die Glätte eines Bettbezuges oder Ähnliches. Danach zog er wieder ab, und wir atmeten tief durch.

    Die ersten 14 Tage waren angefüllt mit neuen Eindrücken. Mit einem Ausgang war in dieser Zeit nicht zu rechnen. Neidvoll hatten wir schon immer die betrachtet, die an Wochenenden von den Ausgängen zurückkehrten. Allerdings war immer abends 22:00 Uhr Zapfenstreich, es sei, sie hatten, wie auch wir später, eine „Landgangsbescheinigung" für eine Heimfahrt, diese galt dann von Samstag Mittag bis zum Sonntag Abend, natürlich spätestens 22:00 Uhr.

    Nach 14 Tagen wurden wir mit der „Landgangsuniform" eingekleidet, eine uns damals unheimlich störende Kluft, dunkelblaue Hose mit Schlag und vorne mit der Klappe, einem blauen Hemd, was immer schön gebügelt sein musste, einem dunkelblauen Schlips, einem Kolani, einer joppenähnlichen Uniformjacke mit einem Ärmelstreifen, der uns sofort als Lehrgangsteilnehmer auf dem Priwall erkennbar machte, dazu ein dunkelblaues Schiffchen, deren Sitz auf dem Kopf genau vorgeschrieben war.

    Nach 14 Tagen kam die Regelung, dass man bei „Landgang" jeden Vorgesetzten, den man auf der Straße außerhalb der Schiffsjungenschule traf, durch Stehenbleiben und Handanlegen an das Schiffchen grüßen musste. Eine für uns abscheuliche Angelegenheit, der wir uns oftmals durch einen Bürgersteigwechsel zur anderen Straßenseite zu entziehen versuchten.

    Wer nun gedacht hatte, samstags wäre allgemeines Abrauschen in die Freiheit, dem wurde erst einmal eine immer am Samstag stattfindende Hürde in den Weg gelegt, bei der wir das erste Mal fast alle stolperten.

    Um 14:00 Uhr wurde vor dem geplanten Landgang draußen allgemeines Antreten angeordnet. Der Oberausbilder schritt nun die Reihen ab und begutachtete jeden von uns, und - oh Schreck -, er hatte fast bei jedem etwas auszusetzen, sei es, dass etwas mit dem Hemd nicht stimmte, das Schiffchen nicht richtig saß, die Schuhe nicht gut genug geputzt waren, die Fingernägel zu lang waren - oder man eben nur aus dem Mund roch.

    Für die Beseitigung der Mängel gab es jetzt eine Frist von fünfzehn Minuten, dann musste man wieder zurück sein, und es wurde noch einmal geprüft, und wehe, es war nicht so, wie der Ausbilder es sich vorstellte: Abmarsch auf die Bude, Kleidung wechseln und Strafwache schieben. Und es waren schon einige dabei, die das erste Wochenende auf dem Schulgelände bleiben mussten, ich war dabei.

    Als zusätzliche Strafe musste ich damals Wache gehen, d. h. die ganze Nacht im Zwei-Stunden-Rhythmus in einer Wachuniform am Zaun der gesamten Anlage entlanggehen, ausgerüstet mit einer Taschenlampe, sonst nichts.

    Für dieses Privileg, für die Sicherheit zu sorgen, bekam ich die Erlaubnis, am Sonntag nach dem Frühstück in meinem Bett liegen zu dürfen, aber auch nur bis zum Mittag. – Toll!

    Schon das nächste Landgangsvorhaben glückte. Geschniegelt wie ein Zirkusbär, verließ ich zusammen mit einem Kollegen, der schon länger da war, die Anlage. Dicht bei der gegenüber Travemünde liegenden „PASSAT" (die dort noch immer liegt), setzten wir mit einer kleinen Fähre über die Trave.

    Der Kollege war aus Travemünde. Er nahm mich mit zu sich nach Hause, wo wir uns beide der Uniform entledigten. Von ihm bekam ich dann passendes anderes Zeug. So ging das also, schade dass der Kamerad schon bald seine drei Monate um hatte.

    Jetzt war der Weg frei für „Abenteuer" in der Freiheit, wie wir damals irrtümlich glaubten. Ausgelassen genossen wir diese paar Stunden außerhalb der Ausbildungsstätte. Mit 17 blickte man ja auch schon mal den jungen Mädchen hinterher. Oft genug beschränkte es sich - gegenüber heute - jedoch auf heiße Blicke. Jeder in meinem Alter weiß, dass schon eine zufällige Berührung mit dem anderen Geschlecht damals schon etwas Besonderes war, über das man sich freute, und wovon man eventuell noch abends im Bett träumte.

    Die Tage liefen aufgrund aller neuen Erfahrungen nur so dahin. Sämtliche „Schikanen", denen wir unserer Meinung nach ausgesetzt waren, waren immer schnell vergessen. Nach der Hälfte der drei Monate bekamen wir neue Gesichter zu sehen, denen wir Neuigkeiten sowie Besonderheiten, die uns am Anfang weisgemacht wurden, mitteilten. Es waren eigentlich schöne Tage, wenngleich ich nach heutigem Maßstab meine, nicht viel in den drei Monaten gelernt zu haben.

    An eines, was mir vermittelt und von den Ausbildern als besonders wichtig empfunden wurde, werde ich mich aber wohl immer erinnern. Es betraf die Nichtsteuerungsfähigkeit eines Schiffes auf hoher See, doch davon später mehr. Glück hatte ich offenbar mit den Wetterverhältnissen. Bei Besuchen von ehemaligen Auszubildenden hörte ich, dass es hier im Winter ganz schön hart zugehen würde, so beispielsweise mit Appellen nachts um 3:00 Uhr draußen im Schlafanzug.

    Eine allgemein unbeliebte Strafmaßnahme habe ich allerdings nie vergessen. Es war bei einigen Ausbildern so Sitte, eine Bestrafung auszuwählen, die ich später bei der Seefahrt von vielen bestätigt bekommen habe. Hatte man bei bestimmten Ausbildern schlechte Karten, der Ausgang war schon gestrichen, die Wachen besetzt, wurde man in einer Gruppe von sechs bis acht Mann am Samstag genau um die Zeit auf den Vorplatz bestellt, an dem auch die landgangswürdigen Kadetten das Haus verließen. Ausgestattet mit Spitzhacke, Vorschlaghammer und Schubkarre durften die Bestraften nun die Betonplatten, die wohl von einem ehemaligen Flugplatz stammten, zertrümmern und mittels Karre ca. 30 Meter weiter zu einem Berg aufschütten. Eine - gerade bei schönem Wetter - erquickende Arbeit, die immer wieder viel Hohn und Spott ernten ließ. Man erzählte sich, der Oberausbilder wolle hier, wenn die Steine entfernt seien, einen Gemüsegarten anlegen.

    Es gab aber auch andere Teilnehmer der Maßnahme, die noch Jahre später behaupteten, ihre Bestrafung hätte darin bestanden, am Rande der befestigten Betonfläche viele Aufhäufungen von zertrümmertem Beton mittels Schaufel und Schubkarre zur Auffüllung freigemachter Flächen innerhalb der Betonwüste zu verbringen. Und dies schien mir glaubhaft.

    Der Eintrag im später erstellten Seefahrtsbuch ist die einzige sichtbare Erinnerung an die Tage auf dem Priwall.

    Was sind schon drei Monate am Beginn eines jungen Lebens? Diese 90 Tage, an die ich mich heute immer noch gerne erinnere, gingen eben auch vorbei. Mit einem Zeugnis und ziemlich viel Bla Bla wurden damals mit mir 60 junge Männer verabschiedet und mit den besten Wünschen für die „Eroberung" der Meere entlassen.

    Mit dem Zug ging es dann nach Lübeck zu meiner Mutter. Die Uniform konnten wir behalten, sie hing noch Jahre später im Kleiderschrank meiner Mutter und wurde nie mehr benutzt.

    Schade nur, dass kein Bild meine Männlichkeit in Uniform bestätigt. Nicht gerade mit Stolz, aber mit einiger Portion Erinnerungswert würde ich es heute wohl gerne betrachten.

    Endlich wieder zu Hause, sprach meine Mutter schon gleich von dem nun beginnenden Ernst des Lebens und von der Heuerstelle in Hamburg, von der sie anscheinend mehr wusste als ich.

    Wohin geht's, Seemann?

    Eine Fahrt mit dem Zug von Lübeck nach Hamburg dauerte damals wie heute eine knappe Stunde. Schneller als mir lieb war, saß ich drin und war gespannt, was mich in Hamburg erwarten würde.

    Ausgestattet mit sauberer Wäsche, die in meinem Seesack verstaut war, und etwas Bargeld für eine eventuelle Unterkunft in einem Seemannsheim kam ich am 16. Juli 1957 in Hamburg auf dem Hauptbahnhof an. Die Adresse der Heuerstelle hatte ich bei mir, ebenso mein Allerheiligstes, das neu erstellte Seefahrtbuch.

    Nachdem ich mich erkundigt hatte, wie ich denn nun zur Heuerstelle, die dicht bei den St. Pauli-Landungsbrücken lag, kommen könnte, saß ich schon wieder in einem Zug, diesmal der U-Bahn, die mich bis zur Haltestelle St. Pauli-Landungsbrücken brachte. Von dort machte ich mich zu Fuß auf bis zur Heuerstelle.

    Ich kann heute nicht mehr sagen, was für Vorstellungen ich von einer Heuerstelle hatte. Als ich jedenfalls das Haus in Hamburg betrat, war ich überrascht. Es mögen wohl 100 Leute gewesen sein, die hier auf Fluren und Gängen standen. Alle schienen sich irgendwie zu kennen, denn jeder sprach mit jedem, und über was! Ich hatte keinen blassen Schimmer von dem, was hier ablief, aber ich hatte zwei gesunde Augen und merkte schnell, wie alles ablief. Ab und zu öffneten sich kleine Klappen von einem der angrenzenden Büros, ein Gesicht war zu sehen und begann zu rufen: „Matrosen für ‚BERNHARD RUSS’! oder „drei Heizer für ‚TETE OLDENDORFF’! und Ähnliches. Daraufhin drängten sich immer wartende Leute zu den kleinen Schaltern und warfen ihre Seefahrtbücher hinein. So war das also. Der Mann da hinter der Klappe hatte die Fäden in der Hand, und es gab nicht nur eine Klappe, sondern bestimmt fünf oder sechs davon, und hinter allen herrschte rege Tätigkeit.

    Da ich als Schiffsjunge anfangen musste, brauchte ich also nur zu warten, bis dieser Dienstgrad aufgerufen wurde. Nach etwa einer Stunde war es soweit. Heizer, Matrosen, Jungmänner und Leichtmatrosen, Reiniger und Schmierer waren glücklich gemacht worden, dann kam für mich der Aufruf: „Schiffsjungen für mehrere Schiffe, alle Fahrtgebiete." Was ich doch drängeln konnte! So schnell habe ich selten eine Wegstrecke von etwa fünf Metern zwischen anderen wartenden Leuten zur Klappe hin zurückgelegt, mein Seefahrtbuch rein gegeben, wie auch noch vier andere schmalgesichtige junge Männer, und jetzt hieß es warten.

    Nach etwa 20 Minuten ging die Klappe auf und mein Name wurde gerufen. Der Mann, von dem ich nur das Gesicht sehen konnte, gab mir das Seefahrtbuch wieder, zusammen mit einem Heuerschein, wie ich schnell erkannte. Nach ein paar zusätzlichen Informationen, die aber für mich völlig unwichtig waren, wurde ich nun endlich vertraglich in die Arbeitswelt entlassen.

    Wie ich aus dem empfangenen Papier, dem Heuerschein, entnehmen konnte, lag das Schiff, die „STECKELHÖRN" an den Pfählen im Hafenbecken von Waltershof. Also, nichts wie hin, aber wie? Gut, dass wohl jemand meine ratlose Miene beim Studieren des Heuerscheins richtig deuten konnte, denn von ihm, einem bärtigen Endfünfziger, erfuhr ich, von wo aus ich mit einem Boot zum Hafenbecken nach Waltershof kommen würde.

    Zu Fuß war es zum Glück nicht weit bis zu den Landungsbrücken, wo die Barkasse abfahren sollte Nachdem ich mich an den langen Anlegestegen durchgefragt hatte, fand ich schnell die Stelle, wo das Boot schon von mehreren Seeleuten erwartet wurde. Durch Zufall hörte ich aus einem Gespräch heraus, dass auch ein Matrose auf die STECKELHÖRN wollte, also hängte ich mich an ihn, und schon eine Stunde später stand ich an Deck des Schiffes, das mich in die „weite Welt" hinausbringen sollte.

    Große Fahrt als Decksjunge nach Afrika

    Nachdem ich den Heuerschein und das Seefahrtsbuch beim 1. Offizier abgegeben hatte, wurde mir meine Kammer, die im Achterschiff unter Deck lag, und die ich mit einem zweiten Decksjungen teilen musste, gezeigt. Ich begann, meinen Seesack zu leeren, alles einzuräumen und lernte auch den anderen Decksjungen kennen. Dieser war schon vier Monate an Bord und machte mir gleich unmissverständlich klar, dass es sein Privileg wäre, die untere Koje benutzen zu dürfen. Ich musste also in die obere ziehen, was mir aber gar nichts ausmachte. Mein Kammerkollege zeigte mir an diesem Tage noch so einiges vom Schiff, auch führte er mich in meine Arbeit ein, und dabei kam die erste Überraschung für mich. Dachte ich doch tatsächlich, ich könne am nächsten Tag an Deck die nötigen Arbeiten verrichten bzw. sie erlernen, so machte er mich mit Arbeiten vertraut, die zwar oben an Deck, aber innen in der Mannschaftsmesse zu erledigen waren, grob gesagt, ich war die Putzfrau, der Kellner, der Essenholer, kurz gesagt, der „Moses" eben.

    Die Üngültigmachung der linken Seite des Seefahrtbuchs war erforrlich, als sich später 1962 mein Aussehen so verändert hatte, dass ein neues Bild eingefügt werden musste.

    In den kleinen Aufbauten am Heck des Schiffes befanden sich neben der Messe für das Mannschaftspersonal nur noch einige Abstellräumlichkeiten. Die Messe, in der die Decks- und Maschinencrew zusammen, aber an getrennten Tischen die Mahlzeiten einnahmen, war mein Revier. Mir wurde gezeigt, wie ich zu den Mahlzeiten aufdecken musste, wo sich das Inventar befand und welche Rituale beim Essenholen zu den Hauptmahlzeiten beim Koch vor der Kombüse mittschiffs herrschten. Alle waren freundlich und zuvorkommend, zumindest noch hier in Hamburg.

    Nach zwei Tagen verholten wir in ein anderes Hafenbecken, wo wir Stückgut luden. Von all dem bekam ich aber nicht viel mit, zu eingebunden war ich in mein Tagwerk und zu groß auch meine Angst, schon gleich etwas verkehrt zu machen. Als wir drei Tage später ausliefen, war ich mittlerweile alleine für die Mahlzeiten und das nötige Nebenbei verantwortlich. Ich musste ab jetzt dreizehn Leute der Decksbesatzung und sieben Mann des Maschinenpersonals bedienen und für sie das Essen von mittschiffs aus der Kombüse holen.

    Wir befanden uns längst auf See, als ich das Ziel der Reise erfuhr. Nach Zuladungen in Bremen, Amsterdam und Bordeaux sollte die Reise nach Westafrika gehen, mit verschiedenen Löschhäfen, die mir zu damaliger Zeit alle unbekannt waren.

    In Bremen bekamen wir eine Vielzahl von Kisten und Kasten an Bord. Von der eigentlichen Beladung sah ich aber nicht viel. Ich musste beim Essenholen nur immer aufpassen, wenn ich über Deck nach mittschiffs zur Kombüse ging, musste immer die dem Land abgewandte Seite wählen. An einen Landgang war überhaupt nicht zu denken. Erstens hatte ich kein Geld und zweitens war mein Dienst erst abends um 19 Uhr beendet. Danach ging’s ab unter die Dusche und dann in die Kammer zur Unterhaltung mit dem anderen Decksjungen und dann ab in die Koje, denn morgens um 6:30 Uhr musste ich schon wieder aufstehen.

    Der Tagesablauf im Hafen beim Lade- oder Löschbetrieb sah für mich folgendermaßen aus: Die Schichten der Hafenarbeiter begannen um 6 Uhr morgens. Dann waren schon einige der Besatzungsmitglieder an Deck, um das Ladegeschirr richtig zu stellen bzw. die Luken vorher zu öffnen. Deshalb war morgens meine erste Arbeit, diese Leute mit Kaffee zu versorgen, vorher musste ich aber erst einmal die Unordnung der Nacht beseitigen. Es war bei den Seeleuten so üblich, dass sie, wenn sie nachts von Land kamen, sich oftmals noch in der Messe aufhielten, um sich noch selbst was zum Essen aus dem Kühlschrank zu holen oder sich eine Tasse Kaffee zu machen. Die Überreste nächtlicher „Gelage" durfte ich dann morgens als erstes beseitigen. Danach wurde für das Frühstück aufgedeckt, was um 7:30 Uhr begann. Kurz vorher musste ich über Deck nach mittschiffs zum Koch und die Mahlzeiten dort in speziellem Geschirr abholen und bei jedem Wetter über Deck nach achtern tragen.

    Üblicherweise gab es jeden morgen an Bord eine warme Mahlzeit, seien es Frikadellen, Eier in jeder Form, auch mal Bratwurst oder Würstchen, mal ein Kotelett, dazu natürlich mehrere Sorten Brot, viele Sorten an Wurst und

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