Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Im Netz der Gedanken
Im Netz der Gedanken
Im Netz der Gedanken
eBook343 Seiten4 Stunden

Im Netz der Gedanken

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Als der Erzähler der Geschichte, ein ganz normaler Geschäftsmann, nach ein paar Gläsern Wein, versucht seinem Auftraggeber die eigenen esoterischen Ansichten nahe zu bringen, ahnt er nicht, dass dieser Abend sein Leben verändern soll. Ein paar Tage später unterbreitet ihm dieser ein interessantes Angebot. Er soll bei einem geheimen Projekt mitwirken in dem sich ein internationales Team von Spezialisten unter den Straßen Berlins mit wichtigen Grundsatzfragen beschäftigt. Eine eigens dafür entstehende virtuelle Welt soll Aufschlüsse über unser eigenes Leben geben. Erst zu spät bemerkt er, welche Ziele die Initiatoren in Wahrheit verfolgen. Es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit.In bester Tradition der Matrix oder des 13-Floor geht diese Geschichte in ihren philosophischen Gedanken einen Schritt weiter, ohne jedoch die Bezug zur Realität zu verlieren. Im lockeren Stil erlebt der Leser ein interessantes Wortgeflecht in deren Verlauf die Handlung immer wieder unerwartete Wendungen nimmt.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum4. Nov. 2016
ISBN9783738091038
Im Netz der Gedanken
Autor

Stefan Heidenreich

Stefan Heidenreich wurde 1959 in Berlin geboren. Während seine Frau und seine Tochter sich 1999 im Wasser tummeln, beginnt der selbstständige Kaufmann an der Adria-Küste seinen ersten Roman zu schreiben. Fast acht Jahre vergehen, bis der passionierte Autor sein Werk "Im Netz der Gedanken" veröffentlicht. Im Sommer 2012 zieht es den, bis dahin noch unbekannten Schriftsteller an die Lübecker Bucht, wo er fortan mit seiner Frau lebt.

Ähnlich wie Im Netz der Gedanken

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Im Netz der Gedanken

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Im Netz der Gedanken - Stefan Heidenreich

    Prolog

    Jede Geschichte hat irgendwo einen Anfang. Einen Ursprung. So soll selbst unsere eigene Geschichte zum Beispiel, einst durch den berühmten Urknall entstanden sein. Am Anfang stand also die große spektakuläre Ouvertüre. Ganz ähnlich verhält es sich mit einem Buch. Am Beginn eines Buches steht erst einmal eine Idee. Irgendjemand hat sich dann hingesetzt, seine Gedanken in Worte gefasst und diese dann niedergeschrieben. In diesem Punkt unterscheiden sich Romane nur unwesentlich von Sachbüchern. Natürlich wird der Eine oder Andere jetzt sagen, dass Sachbücher nur Wissen wiedergeben. Erlerntes Wissen. Aber auch hier wurden nur die Gedanken von Menschen wiedergegeben. Menschen, die einst Dinge analysiert und erforscht haben.

    Mit Erfindungen und technischen Errungenschaften verhält es sich ganz genau so. Selbst der nüchternste wissenschaftliche Bericht ist nur das geistige Abbild, dessen, was Menschen sich erdachten oder erforschten. Am Anfang steht also immer ein Gedanke.

    Warum ich dies hier erzähle? Wahrscheinlich, um mir selbst zu vergegenwärtigen, wo meine hier aufgeschriebene Geschichte ihren Ursprung hatte.

    Nun? Wie sieht es aus? Lust auf eine kleine Reise durch meine Welt der Gedanken bekommen? Ich weis, dass ich tatsächlich erst eine solche Reise unternehmen musste, um dieses Buch zu schreiben. Also kommt mit, dorthin wo ich bereits schon war. Ich lade euch dazu ein.

    Kapitel 1

    Wenn mir mal jemand gesagt hätte, dass ich mich eines Tages hier wiederfinde, dann hätte ich ihn wahrscheinlich ausgelacht. Und doch ist es für mich ein Zufluchtsort, an dem ich schon seit zwei Tagen Ruhe habe. Und es ist bestimmt nicht das Hilton-Hotel. Die kahlen Wände, auf die ich blicke, strahlen nichts von dem aus, was ich normalerweise bevorzuge. Nicht einmal die kleinen Zettel, die sie inzwischen schmücken, sind in der Lage, die trostlose Atmosphäre aufreißen zu lassen. Und es ist garantiert kein Luxusapartment an einem Urlaubsort meiner Träume. Aber es ist ein Ort, an dem ich darüber nachdenken kann, wie alles angefangen hat. Ein Ort, an den es mich vertrieben hat, und an dem ich mich in Sicherheit wäge. Ich fühle mich hier wie in einem Käfig. Aber ich weiß, dass ich es mir nicht erlauben darf, wieder rauszugehen. Zumindest, so lange nicht, bis ich noch mehr weiß, mehr zu beeinflussen in der Lage bin.

    Sicherlich werden sie mich hier bald finden. Und was dann?

    Ich höre den Regen, der von draußen seit zwei Tagen gegen die Fenster prasselt. Wie gerne würde ich hinausgehen und feststellen, dass alles vorbei ist. Aber die Ereignisse der letzten Zeit würden mich zu früh einholen.

    Warum musste ich an diesem Tag damals auch unbedingt an genau diesem Tisch sitzen, und warum konnte ich nicht endlich mal den Mund halten, sondern musste wieder einmal mit meinen dummen Sprüchen den kompletten Tisch unterhalten. (Ich hasse es, wenn man unter Zuhilfenahme von Namensschildern zum Essen platziert wird, obwohl man als erwachsener Mensch in der Lage sein sollte, sich seine Tischnachbarn selbst auszusuchen.) Und warum musste ich wieder einmal zu viel trinken?

    Wollte ich nur meine Redegewandtheit unter Beweis stellen oder den anderen beweisen, dass Herr Doktor auch nur ein ganz normaler Mensch ist, mit dem man sich normal unterhalten kann?

    Nun sei an dieser Stelle die Bemerkung erlaubt, dass so ziemlich alle anderen Tischnachbarn Menschen waren, die sich unter ihresgleichen ständig als die größten Geschäftsleute der Weltwirtschaft aufspielen konnten. Geschäftsleute, die sich die Machenschaften von Multikonzernen auf keinen Fall weiter gefallen lassen würden. Und in keinem Fall wären sie bereit, sich von diesen Sklavenhändlern vorschreiben zu lassen, wie sie ihre Geschäfte zu führen hätten. Schließlich waren sie es doch, die tagtäglich an vorderster Front standen und die hier präsentierten Produkte besser verkaufen konnten, als jeder dieser Konzernbosse es jemals vermocht hätte.

    Nur heute Abend schienen sie nicht so revolutionär, wie sie sich noch am Vormittag gaben. Heute Abend saßen sie mit Herrn Doktor am selben Tisch und hatten offensichtlich Schwierigkeiten einen fehlerfreien Satz zu sprechen. Und wenn es ihnen doch gelang, dann stammelten sie bestenfalls Loblieder auf Konzern und Produkte, sodass ich mehrmals geneigt war meinen Nachbarn unterzuhaken, um ihn im Chor der Lobpreisungen zum Schunkeln aufzufordern. „Heuchler und Schmarotzer" kam es mir in den Sinn. An diesem Tisch gab es, außer Herrn Doktor und meiner selbst, ausnahmslos niemanden auf den diese Bezeichnung nicht zutraf.

    Selbst Frank Gutschmidt, der in der Mittagspause noch bereit war dem Konzern seine Werksvertretung vor die Füße zu werfen, saß schüchtern am Tisch wie ein 14-jähriges Mädchen bei ihrer ersten Tanzveranstaltung. Ich musste mir mehrmals auf die Zunge beißen, um nicht schallend loszulachen. Da saßen wir nun alle mit einem der führenden Köpfe unseres Vertragspartners beim Essen in diesem Nobelschuppen zusammen.

    Der Kronleuchter an der Decke warf aus scheinbar unzähligen, zu einzelnen Flammen geformten kleinen Glühlampen, ein warmes Licht auf den kompletten Saal. Die ansonsten kahlen Wände schmückten verschiedene Gemälde, wie man sie in alten Schlössern oder anderen europäischen Kultstätten vorfindet. Wenn die Ober noch Ritterrüstungen getragen hätten, dann hätte ich mich wie ein Komparse in einem historischen Film gefühlt.

    Der Einzige, der sich optisch problemlos in dieses Bild einfügte, das war Bernd Gutschmidt. Er war ein paar Jahre jünger als sein Bruder, der ihn als Mitarbeiter seiner Firma, gerne zu Veranstaltungen dieser Art mitnahm. Bernd, war der Einzige, dessen Haarpracht in der Lage gewesen wäre es mit Robert Wagner, in seiner Rolle als junger Prinz Eisenherz aufzunehmen. Zudem erfreute er uns immer wieder mit seinen völlig unreifen Bemerkungen, für die sich sein Bruder meistens im Nachhinein entschuldigte.

    Wie gesagt, ich fühlte mich in dieser Runde wieder einmal mehr als glücklich, dabei sein zu dürfen.

    Wir saßen an runden Tischen, die Platz für jeweils zwölf Personen boten, und neben diversen Tellern, Gläsern und Servietten, die ihn schmückten, lenkte ein Blumenarrangement die Aufmerksamkeit auf sich, das mit dem Firmenlogo, der von uns vertretenen Marke, auf einem Wimpel in der Mitte der Tafeldecke thronte.

    Niemand traute sich den Mund aufzumachen, um Herrn Doktor direkt anzusprechen. Nur ein leises Murmeln war in der Lage, von der live dargebotenen Kammermusik, von der ich mir nicht sicher war, ob sie wirklich appetitanregend wirken sollte, abzulenken. Das hinter uns liegende Sechs-Gänge-Menü bestand zu meinem Leidwesen wieder einmal aus einem Auszug der bevorzugten Speisekarten internationaler Gourmets, zu denen ich mich noch nie zählte. Aber was sollte ich tun?

    Ob der von mir bevorzugte Pizzalieferant, den ich von meinem Handy aus mühelos erreichen würde, meine Bestellung hier in den Saal liefern würde? Ich war mir nicht sicher.

    Also, weiter. Gute Miene machen und sich nichts anmerken lassen, war meine Devise. Den gereichten Fisch lehnte ich noch ab, bevor der Teller seine endgültige Parkposition zwischen meinem Besteck erreicht hatte. Den milden Geschmack der restlichen Speisen peppte ich mit Salz und Pfeffer auf oder neutralisierte ihn, mit dem für mich eigentlich viel zu trockenen Rotwein.

    Nach einem akzeptablen Getränk fragen, wollte ich vorsichtshalber nicht, denn ich war mir nicht sicher, ob dieses in der Einladung wirklich enthalten wäre. Also versuchte ich den gummiartigen Geschmack, den der Wein auf meinen Gaumen hinterließ, einfach zu ignorieren und den Abend sowie die angespannte Atmosphäre mit Würde zu überstehen.

    Alle anderen beschäftigten sich damit, den einzelnen Gängen, deren Namen auch sie nicht ohne Motorikprobleme aussprechen konnten, lautstark ihre Ehrerbietung zu erbringen. Es war einer der Abende, von denen ich noch heute behaupte, dass die Beobachtung der Anwesenden mindestens zwei Semester Soziologiestudium zu ersetzen in der Lage wäre.

    Zwischen jedem einzelnen Bissen hörte ich immer neue Komplimente für den Küchenchef und seine Mannschaft. Der Einmarsch des mit Wunderkerzen geschmückten Desserts im dafür abgedunkelten Saal verursachte bei den Herren ein warmes Leuchten in den Augen, während die Damen mit den Tränen der Rührung kämpften, und diese zur Steigerung der Wirkung mit einem Papiertaschentuch abtupften.

    Frau Gutschmidt versuchte dieses im Anschluss wieder im Ärmel ihrer Bluse verschwinden zu lassen, bis sie merkte, dass sie in dem berühmten kleinen Schwarzen steckte, dessen Preis uns ihr Mann schon vorher an der Bar unaufgefordert, aber natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit, verraten musste.

    Der anschließende Applaus beunruhigte mich etwas. Schließlich handelte es sich bei dieser Nachspeise um die Eiscreme aus einer Familienpackung vom Supermarkt nebenan, und ich hoffte, dass die geforderte Zugabe, bzw. Ehrenrunde des Küchenpersonals, endete, bevor sich der zwischen Schoko und Vanille eingebettete Erdbeerstreifen endgültig verflüssigte.

    Dem leisen Wispern am Tisch konnte ich entnehmen, dass es unserem Gastgeber wieder einmal gelang, sich als Weltkonzern der Spitzenklasse zu präsentieren. Mich persönlich erfüllte der Nachtisch mit einem Entzücken ganz anderer Art. Schließlich war es das Ende des nunmehr zweistündigen Galadiners, und jetzt konnte endlich der gemütliche Teil des Abends beginnen.

    Ob die hier in der Lage gewesen wären, einen ordentlichen Cuba-Libre zu servieren? Wahrscheinlich hätte ich ihn separat bestellen und auch noch selbst bezahlen müssen. Egal. Wenn mir der Wein bisher nichts anhaben konnte, warum sollte ich ihn dann nicht weiter durch meinen Hals bringen? Ich beobachte die Glückseligkeit in den Augen der anderen, die immer noch ehrfürchtig auf ihren Stühlen hin und her rutschten, als ob sie von einem Insekt ins Hinterteil gestochen wurden.

    Anders, als die meisten im Raum war ich immer der Meinung, dass mich mit dem Konzern nicht mehr als ein Vertrag verband, der für beide Partner mit Rechten und Pflichten versehen war, und von beiden Seiten unter Einhaltung bestimmter Spielregeln und Fristen gelöst werden konnte. Niemand hier im Raum war gegen seinen Willen hier. Deshalb hatte ich oftmals Schwierigkeiten damit, mich bestimmten Regeln zu unterwerfen.

    Der Direktor eines anderen Konzerns, mit dem mich einst ein solcher Vertrag verband, nannte mich dafür einmal einen Eigenbrötler.

    Wenn dies bedeutete, dass ich kein Mensch bin, der auf Kommando mit den Wölfen heult, dann konnte ich diese Titulierung nur als Kompliment verstehen. Für mich kann es nichts Schlimmeres geben, als das Gesicht zu verlieren. Nichts Schlimmeres als das Gefühl morgens in den Spiegel zu sehen und meinem Gegenüber beim Rasieren nicht mehr in die Augen schauen zu können. (Eventuelle Verletzungen, die dabei entstehen könnten nicht einmal berücksichtigt).

    Was mich allerdings an diesem Abend beeindruckte das war die Tatsache, dass dieser Doktor Birnbaum in der Lage war mit seinen 52 Jahren immer noch wie ein Mann um die 30 zu wirken. 1,75m groß, schlank, absolut perfekt sitzende und gleichermaßen moderne Kurzhaarfrisur. Im Gegensatz zu mir schien er sogar von grauen Haaren verschont zu sein. Dabei trennten uns mehr als 15 Jahre voneinander. Und trotz dieses jugendlichen Aussehens, hatte er es bis in die höchste Ebene eines so gigantischen Unternehmens gebracht. Alleine, die Wortgewandtheit dieses Mannes hatte eine besondere Ausstrahlung auf mich.

    Während ich in einem Moment noch glaubte, dass seine Wiege an der Küste Deutschlands gestanden haben möge, so war er in der Lage, im nächsten Moment den Ur-Bayern an sein Publikum abzuliefern. Auch wenn er im einen Moment die deutliche Sprache der trockenen Geschäftswelt sprach, war bereits im nächsten Moment eine freundliche Spitzfindigkeit fällig, für die seine beruflichen Mitstreiter, in der Chefetage des Konzerns mit Gewissheit nicht das nötige Verständnis aufgebracht hätten.

    Irgendwie fing ich an, den Abend zu genießen.

    Für mich war es schon immer eine besondere Herausforderung festzustellen, wie viel Menschlichkeit sich Leute von diesem Stand und Bildung tatsächlich bewahren konnten. Und dieses Exemplar war perfekt in der Rolle, die meine Erwartungen ihm auferlegt hatte.

    Nachdem wir beide nun über Stunden den Tisch gemeinsam unterhielten, verabschiedete sich einer meiner Berufskollegen nach dem anderen, um sein Hotelzimmer aufzusuchen. Schließlich war morgen der letzte Tag dieser inzwischen dreitägigen Produktpräsentation.

    Wer wollte sich da vor einem Vorstandsmitglied in ein schlechtes Licht setzen. Wer? Offensichtlich war ich dazu bereit. Und meinen Gesprächspartner schien es nicht im Geringsten zu stören. Vielleicht genoss er es auch bloß, sich einmal einfach nur zwanglos zu unterhalten. Schließlich hatte er nun zwei Tage lang eine Ansprache nach der anderen gehalten und sah endlich dem Tag entgegen, an dem er sich wie ein ganz normal gelangweilter Zuhörer verhalten durfte. Am nächsten Tag, so verriet er mir, brauchte er nicht ans Rednerpult zu treten, um mich und meine Berufskollegen zu motivieren.

    Also saßen wir noch weitere zwei Stunden an diesem Tisch und unterhielten uns über alles, was uns so einfiel. Und ich hörte noch ein paar neue Witze, die zwar nicht alle jugendfrei waren, aber mein eigenes Repertoire hervorragend ergänzen würden.

    Bei meinem Versuch zwei Stunden zuvor, die bei Tisch herrschende angespannte Atmosphäre mit einem unreinen Witz aufzulockern, erhielt ich ein pikiertes Nasenrümpfen von den Damen und die Missachtung von genau den Herren, die sich noch am Vormittag über genau diesen Witz vor Lachen verbogen. Der Einzige, der anscheinend keine Probleme damit hatte, war Herr Doktor, dessen Lachen man auf Geheiß mit vorgehaltener Hand dann doch folgte.

    Warum benehmen sich Menschen zu unterschiedlichen Gelegenheiten so verschieden?

    Selbst als das Restaurant schon leer war und der Ober den letzten Tisch in der üblichen preußischen Ordnung für den nächsten Tag vorbereitet hatte, blieben wir sitzen und redeten weiter, als ob wir diese Aktivitäten nicht bemerkten.

    Ich genoss es zu beobachten, wie der Ober sich immer wieder ein freundliches Lächeln durch die Lippen presste, wenn er an unseren Tisch kam, um aus einer Flasche nachzuschenken, von der ich schon längst nicht mehr wusste, die wievielte es inzwischen war. Anscheinend war auch er sich bewusst, dass mit Dr. Birnbaum, hier ein Mann saß, der zu den besten Kunden des Hotels gehörte. Und ein Hotel, das erst vor wenigen Monaten als Kongresshotel entstanden war, brauchte Kunden dieser Art. Kunden, die ihre Verkaufsveranstaltungen hier abhielten. Vereinigungen und Verbände, die das ganze Hotel für ein Symposium mieteten. Ja selbst dieser Ober spielte seine Rolle perfekt. Es waren einfach zu viele Hotels dieser Art seit Öffnung der Grenzen in und um Berlin entstanden, die alle um diese Großkunden buhlten. So saßen wir also da und redeten einfach weiter.

    Ich weiß heute nicht mehr, wer von uns beiden das Stichwort gab, welches mich dazu bewegte, mich in Philosophie zu ergehen. Wie viele Betrunkene hatte auch ich in diesem Zustand ein ganz besonderes Lieblingsthema.

    „Der Sinn des Lebens"

    Normalerweise ein Alarmsignal für alle, die mich besser kannten. Im Allgemeinen, genau der Moment, in dem der Gastgeber üblicherweise darauf wartete, dass seine Frau ihre flache Hand zum Mund führte, um Müdigkeit zu demonstrieren, während er behutsam aufstand, das Telefon aus der Halterung nahm und die Nummer vom Taxifunk wählte. Schließlich vergewisserte man sich noch meiner Absicht, mich nicht mehr selbst ans Steuer meines Autos zu setzen, bevor die Frau aufrief, dass das Taxi bereits wartete und mich mit einer herzlichen Umarmung verabschiedete.

    Es war fast immer dieselbe Prozedur. Es sei denn, ich fühlte mich gesundheitlich angeschlagen und verzichtete auf jeglichen Alkoholgenuss. Dann war ich meistens der erste Gast, der eine Party verließ, weil er mit den vielen Betrunkenen einfach keinen vernünftigen Gesprächsstoff mehr fand.

    Die letzte Chance, mir ein Taxi zu rufen oder mich mindestens zu Bett zu schicken, hatte Herr Doktor anscheinend verpasst. Oder er wollte sie einfach nicht nutzen. Er saß da und hörte andächtig zu. Ich redete wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt wieder einmal, ohne das Bedürfnis zu empfinden Luft zu holen. Doch mein Gegenüber wurde, entgegen vieler anderen, mit denen ich ähnliche Gespräche führte, dessen einfach nicht überdrüssig.

    Nein im Gegenteil, er saugte jedes Wort, das von meinen Lippen kam, förmlich auf, als ob ihn das, was ich von mir gab, tatsächlich interessierte.

    Gut, meine ganz persönlichen Ansichten über das Sein, Gott, Raum und Materie, sind vielleicht eher ungewöhnlich. Und ob ich diese Ansichten tatsächlich in meinem damaligen Zustand noch formulieren konnte, entzieht sich meiner Erinnerung. Schließlich hatte meine Zunge bereits schon vor Stunden allen Gesetzen der Schwerkraft zu trotzen versucht und über die gesundheitlichen Folgen, welche mich am nächsten Tage erwarten würde, wollte ich in diesem Moment einfach nicht nachdenken.

    Ich glaube mich zu erinnern, dass ich aus Mitleid mehrfach versuchte das Gesprächsthema zu wechseln. Aber immer wurden diese Versuche mit einer gezielten Zwischenfrage zunichtegemacht, sodass ich zum ersten Mal das Gefühl hatte, auf jemanden getroffen zu sein, der diese meine Auffassungen tatsächlich teilt. Endlich mal einer, der mich nicht dezent mit den Worten „vergiss mal deine Rede nicht" brutal in ein anderes Thema zwängte.

    Oder stand ich hier auf dem Prüfstand eines Mannes, der meine Qualifikation in Sachen Verkauf und Überzeugungskraft zu ermitteln versuchte?

    Wenn ja, dann stand meine Zusammenarbeit mit dem Konzern auf sehr wackligen Füßen. Ein Verkaufsgespräch in diesem Zustand wäre bestimmt nicht das, was man von jemandem erwartete, den man gerade zwei Tage lang geschult hat.

    Irgendwann muss ich dann doch noch den Weg in mein Hotelzimmer und in mein Bett gefunden haben. Denn dort fand ich mich am nächsten Morgen gegen 9.30 Uhr wieder.

    Zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass ich es anscheinend irgendwann in der Nacht geschafft hatte mich meiner Schuhe und meines Sakkos zu entledigen. Über den Rest meiner Kleidung möchte ich mich an dieser Stelle nicht äußern. ― 9.00 Uhr schoss es mir durch den Kopf.

    Ich sah auf meinen Tagesplan.

    Da stand es:

    „9.00 Uhr Saal Alt-Berlin"

    Programm:

    Begrüßung durch Herrn Schubert Verkaufsleiter

    Anschließend Referat von Herrn Burg über

    Haftungsfragen und versicherungsrechtliche

    Möglichkeiten zur Schadenbegrenzung.........

    Inzwischen war es bereits 9.55 Uhr und die Aspirin, die ich vor 15 Minuten bestellt hatte, waren immer noch nicht eingetroffen. Ich brauchte der Dame an der Rezeption nicht einmal meine Zimmernummer zu nennen. Als ich sie ihr gerade mitteilen wollte, kam sie mir bereits zuvor. Hatte ich tatsächlich den Weg ins Hotelzimmer allein gefunden?

    Auf dem Tisch stand immer noch mein aufgeklapptes Laptop, mit dessen Hilfe ich am Vortag, als es mir noch gut ging, meine Emails der letzten zwei Tage abrief.

    Da ich mich in einem Konferenzhotel befand, brauchte ich diesmal nicht einmal mein Modem auszupacken, um es anstelle des Telefons mit der Anschlussdose zu verbinden. Jedes Zimmer verfügte über einen eigenen Internetanschluss, mit dessen Hilfe man sich direkt mit dem weltweiten Netz verbinden konnte. Ich hatte gleich nach dem Einchecken vor zwei Tagen die bereitliegende Anleitung eingehend studiert und die Möglichkeit nur zu gerne genutzt. Zumindest ersparte ich es mir, mich wieder an die für meinen Zustand viel zu komplizierte Arbeit zu machen, den Telefonanschluss wieder in Betrieb zu nehmen. Es gab eine Anschlusspauschale, die es erlaubte, ohne Zeitdruck online arbeiten zu können. Als sparsamer Mensch wählte ich den Dreitagestarif aus, der es mir gestattete während meines Aufenthalts, ohne Unterbrechung online zu bleiben.

    Ein paar private Nachrichten löschte ich nach dem Lesen sofort wieder. Andere leitete ich an mein Büro weiter, wo meine Mitarbeiter wussten, was zu tun wäre. Weitere wurden mit ein paar Anweisungen versehen und ebenfalls an mein Büro geschickt.

    An diesem Morgen stand die Kiste einfach nur da und surrte leise vor sich hin. Den Eingang eventueller Nachrichten zu kontrollieren, dessen war ich nicht fähig. Ich schaute nur kurz auf das Display, um festzustellen, dass Lesen, Schreiben und Verwalten nicht mit dem Hämmern in meinem Kopf in Einklang zu bringen waren.

    Allerdings hämmerte es nicht nur in meinem Kopf, sondern auch an meiner Zimmertür.

    In einem Anfall der Erleichterung riss ich dem Pagen die Kopfschmerztabletten aus der Hand und löste sie umgehend in meinem Zahnputzbecher auf.

    Gegen 10.45 Uhr hatte ich endlich den Saal „Alt-Berlin" erreicht und gehofft, dass niemand meine Verspätung bemerken würde.

    ― Falsch gedacht. ―

    Der Saal war abgedunkelt und Herr Burg versuchte gerade die Buchstaben auf der Leinwand zu erkennen, welche ich mit dem Öffnen der Tür offensichtlich zu sehr aufhellte, als dass es ihm möglich gewesen wäre. Ich hätte vor Scham im Boden versinken können, als ich merkte, dass mich ca. 800 Augen musterten, um festzustellen, wer für diese Unterbrechung verantwortlich war. Also setze ich mich in die hinterste Reihe und versuchte mich so unauffällig wie nur möglich zu verhalten.

    Zum Glück wurde um 11.30 Uhr eine Kaffeepause anberaumt, sodass ich meine Gehirnzellen wieder mit Sauerstoff versorgen konnte.

    Kaum hatten wir den Saal verlassen, kam Klaus zu mir, um mich über den Verlauf des Vorabends sowie meinen heutigen Zustand zu befragen.

    Klaus war bereits seit acht Jahren für den Konzern tätig und derjenige, der mich vor drei Jahren unter seine Fittiche nahm, um mich auf meine damals noch neue Tätigkeit einzuschießen.

    Inzwischen waren wir auch privat recht gut befreundet, sodass wir auch gemeinsam zu jeder beruflichen Veranstaltung anreisten. Den Fahrdienst teilten wir uns dabei gewissenhaft auf, sodass jeder von uns einmal der Chauffeur und das nächste Mal der Chauffierte war. Ich hätte Gott auf Knien danken können, dass diesmal Klaus mit dem Fahren an der Reihe war.

    Er stand immer noch vor mir und schüttelte den Kopf. Die Mimik, mit der er in meine, wie ich vermute, stark geröteten Augen sah, enthielten eine Mischung aus Missachtung und Schadenfreude.

    „Du siehst aus, als hättest du die komplette Nacht durchgesumpft." Schleuderte er mir vorwurfsvoll und gleichzeitig lächelnd entgegen, während ich mir mit zittriger Hand die bereits zweite Tasse Kaffee eingoss. Klaus hatte die Befürchtung, dass die von mir dazugegebene Kondensmilch bereits als Schlagsahne in der Tasse ankäme. Ich gebe zu, dass tatsächlich leichte Probleme mit der Feinmotorik zu erkennen waren.

    Ich berichtete ihm von den Heuchlern, mit denen ich am Vorabend am Tisch saß und, dass wir, wenn wir Tischnachbarn gewesen wären, uns sicherlich vor Lachen eingepinkelt hätten.

    Alleine das Benehmen von Frank Gutschmidts kleinem Bruder war wieder eine Show der besonderen Güteklasse. Wenn dieser Typ nicht für seinen Bruder arbeiten würde, dann wäre eine Comedy-Show für ihn eine echte Berufung. Natürlich dürfte er nie erfahren, dass Kameras auf ihn gerichtet seien. Schließlich glaubte er wirklich das, was er erzählte. Das hätte seine ungewollte Komik mit Gewissheit nur gestört. Dieser Mann war einfach nur naiv.

    Da wir ähnliche Situationen schon oft gemeinsam erlebt hatten, besaß ich das uneingeschränkte Mitgefühl meines Freundes. Ich erzählte ihm noch, dass ich mit Herrn Doktor noch bis in die späte Nacht bei Tisch gesessen und getrunken habe, sodass ich nun befürchtete, den armen Kerl über Gebühr vollgequatscht zu haben.

    „Wo ist er eigentlich?" fragte ich Klaus.

    „Oh! Sagte er. „Laut Schubert ist er schon abgereist. Er hatte wohl private Dinge zu erledigen, die ihn für die nächsten Tage in Anspruch nehmen würden. Hättest du Schuberts wie immer extrem ausladende Begrüßungsrede gehört, dann wüsstest du es. Allerdings haben seine Ausschweifungen auch etwas Gutes. Als du rein kamst, hatte Burg gerade erst mit seinem Vortrag begonnen, sodass du nichts Wesentliches versäumt hast.

    Offensichtlich war es Klaus nicht bewusst, dass meine körperliche Anwesenheit nichts mit meiner Aufnahmebereitschaft zu tun hatte, und ich bereits vor der Pause Probleme mit dem Gewicht meiner Augenlider hatte. Aber das sollte ihn auch nicht interessieren, dachte ich mir. Schließlich hatten wir zu Beginn der Veranstaltung wieder die üblichen vier Aktenordner und Präsentationsmappen überreicht bekommen, sodass ich alles Wesentliche später nachlesen könne.

    Den restlichen Tag verbrachte ich mit dem Versuch, mich auf die einzelnen Referenten zu konzentrieren und hätte vor lauter Dankbarkeit weinen können, als wir gegen 15.00 Uhr endlich in Richtung Heimat starten durften.

    Klaus holte das Auto, während ich mich so lange wie möglich im Freien aufhalten wollte. Ich stand vor dem Hotel und beobachtete die dazugehörige Grünanlage. Selbst auf dem vor mir liegenden kurz geschnittenen Rasen fand man Platz, um darin den Namen des Hotels mit Blumen darzustellen. Ich versuchte jeder Fahne, die vor dem Haupteingang wehte, das dazugehörige Land zuzuordnen. Als ich immer noch darüber grübelte, welche Landesfarben das Leintuch zwischen England und Spanien zierte, forderte mich Klaus, der inzwischen mit dem Auto hinter mir auftauchte, zum Einsteigen auf.

    Klaus schimpfte noch über die Höhe der von ihm gerade entrichteten Parkgebühr und dann fuhr los.

    Mich beschäftigten inzwischen ganz andere Dinge.

    Erst suchte ich im Handschuhfach vergebens nach einer Sonnenbrille, dann brachte ich meine Rückenlehne in eine möglichst angenehme Position und versuchte zwischen dem Lesen des

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1