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Dich habe ich mir nicht gewünscht: Sheemore Band 1
Dich habe ich mir nicht gewünscht: Sheemore Band 1
Dich habe ich mir nicht gewünscht: Sheemore Band 1
eBook573 Seiten8 Stunden

Dich habe ich mir nicht gewünscht: Sheemore Band 1

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Über dieses E-Book

Wenn es einen Ort gibt, an dem alles wieder gut werden kann, dann ist es Sheemore. Der Überzeugung ist Anna, als sie nach vierzehn Jahren Italien den Rücken kehrt und in ihre Heimatstadt an der schottischen Ostküste zurückkommt. Im Gepäck hat sie nicht nur einen riesigen Schuldenberg, sondern auch ihre zwei Kinder und keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Doch nicht umsonst glaubt man in Sheemore noch an die Kraft der Wünsche und die magische Wirkung des Feenhügels. Nur zu dumm, dass sich die Feen oft auch einen Scherz erlauben und den Menschen Dinge schicken, die sie sich nie gewünscht haben. Und so sieht sich Anna plötzlich ihrem Noch-Ehemann Matteo gegenüber, der sie um jeden Preis zurückerobern will und dafür sogar im eiskalten Schottland bleiben will. Ob ein Fake-Date mit dem attraktiven Banker Nick ihr wirklich aus der Patsche hilft? Mit einem Mal läuft nämlich alles ziemlich aus dem Ruder...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum29. Mai 2021
ISBN9783753189543
Dich habe ich mir nicht gewünscht: Sheemore Band 1

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    Buchvorschau

    Dich habe ich mir nicht gewünscht - Tara McKay

    Tara McKay

    Von Tara McKay ist bislang erschienen:

    Herzstolpern – Portobello Love Story (2020)

    Über die Autorin:

    Tara McKay liebt Edinburgh, Chick-Lit-Romane, einen Spaziergang am Strand von Portobello mit ihren Hunden und das ganz normale alltägliche Chaos in ihrer Familie. Außerdem ist sie eine wenig begnadete Bäckerin, die zum Ausgleich dafür – zur Freude von Mann und Tochter – gut kochen kann.

    Tara McKay

    Dich habe ich mir nicht gewünscht

    Sheemore-Reihe, Band 1

    Roman

    1.Auflage

    Deutsche Erstveröffentlichung

    Copyright © by Kate-O’Connor-Books/ Pamela Uhrig

    Cover: Oliviaprodesign

    Auszüge aus der Ballade Tam Lin:  Glenriddle MS. vol xi, no 17, 1791

    Alle Rechte, einschließlich das, des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Für alle, die noch an die Kraft der Wünsche glauben,

    egal wie alt sie sind.

    Oh Anna, please don’t go,

    your heart’s in the right place.

    Don’t be fooled by pain,

    it comes, but it goes away.

    (Life in Film, Anna, Please Don’t Go)

    Kapitel 1

    Ich muss sagen, für meine Rückkehr habe ich mir einen äußerst schottischen Tag ausgesucht. Es regnet. Nicht weiter verwunderlich, aber ich begrüße den Regen wie einen alten Freund, den ich lange nicht mehr gesehen habe.

    Es ist der gute, alte schottische Nieselregen, der einen völlig überraschend trifft und der so schnell geht, wie er gekommen ist.

    Dass ihn nicht alle aus meiner Familie so lieben wie ich, muss ich spätestens feststellen, als sich meine Tochter Emma die Kapuze ihrer völlig überteuerten Regenjacke von Aspesi demonstrativ über den Kopf zieht. Mir wird immer noch schwindelig, wenn ich an die Summe denke, die ich bei einem Einkaufsbummel in Bologna dafür ausgegeben habe.

    Ich mag zur Hälfte Italienerin sein, aber Markenkleidung ist mir nicht wichtig - eine Tatsache, die weder Emma, noch ihr Vater verstehen können. Ich glaube nicht, dass die Welt ein Laufsteg ist, auf dem es gilt immer bestmöglich gekleidet zu sein. Ganz im Gegenteil zu den meisten Italienern, die ich in meinen vierzehn Jahren in Italien kennengelernt habe. Da Emma zu drei Vierteln Italienerin und in Bologna aufgewachsen ist, macht sich das bei ihr ziemlich deutlich bemerkbar. Die pragmatische schottische Seite schlägt eher selten durch – die, die mancher als geizig bezeichnet, wogegen ich mich entschieden verwehre. Ich bin nicht geizig – nur vielleicht ein wenig verantwortungsvoller in Geldfragen.

    Ich spüre die kleine Hand meines Sohnes in meiner – ein bisschen klebrig wie meist - und drücke aufmunternd zu.

    „Bäh, Regen!" Nathan blickt zum Himmel hinauf und verzieht sein niedliches Gesicht mit der Stupsnase, den erdbeerroten Lippen und den tiefbraunen Augen.

    „Schöner Regen", entgegne ich lächelnd, bücke mich zu ihm hinab und knöpfe seine Jacke zu. Fürsorglich ziehe ich ihm ebenfalls seine Kapuze über den Kopf. Seine Regenjacke ist bedeutend günstiger als die seiner Schwester, aber trotzdem keineswegs billig. Bei der Kleidung der Kinder ließ Matteo nie mit sich reden, wir sollten schließlich mit seinen Angeberfreunden mithalten können.

    „Scheißregen!", knurrt Emma, die trotz des schlechten Wetters eine Sonnenbrille trägt und diese auch nicht abnimmt, als ich entschlossen zum Taxistand laufe, Nathan und einen großen Koffer hinter mir her ziehend.

    „Scheißregen, Scheißregen!"

    Warum wusste ich, dass Nathan mit Begeisterung dieses Wort nachplappern würde? Genervt werfe ich Emma über die Schulter einen mörderischen Blick zu, den diese nur mit einem Schulterzucken quittiert. Sie folgt mir mit ihrem eigenen und Nathans Koffer ohne zu murren, was in ihrem Alter schon mal nicht schlecht ist.

    Ich habe das Gefühl, dass ich seit ihrem dreizehnten Geburtstag auf einem Pulverfass sitze, das jederzeit hochgehen kann. Und das auch tut, meist wenn ich gerade gar nicht damit rechne. Da ihr vierjähriger Bruder Nathan jedoch ihr ein und alles ist, zieht sie sogar sein Gepäck klaglos mit sich und auf dem Flug von Bologna nach Edinburgh hat sie sich mit ihm beschäftigt, während meine Gedanken immer nur Karussell fuhren und ich mich auf nichts wirklich konzentrieren konnte.

    Hinter uns geht ein Flieger in die Luft. Ich schirme meine Augen ab, als ich das Gesicht intuitiv zu ihm emporstrecke, dem Himmel und dem nieselnden Regen entgegen.

    „Alitalia", ruft Emma sehnsüchtig, die ebenfalls nach oben guckt.

    Ich sehe schnell wieder weg, froh endlich hier zu sein. An Italien möchte ich im Augenblick am Allerwenigsten denken. Stattdessen rette ich mich in Sarkasmus.

    „Dass du das überhaupt lesen kannst durch deine dunklen Gläser..."

    Emma schiebt ihre Gucci-Brille, die ihr leicht den Nasenrücken hinunter gerutscht ist, wieder an Ort und Stelle. Ihren funkelnden Blick dahinter kann ich mehr erahnen, als dass ich ihn sehe. Wir schweigen und das ist vermutlich auch besser so. Italien – das ist ein ganz wunder Punkt in unserer derzeitigen Beziehung, über den wir besser den Mantel des Schweigens breiten.

    Ein Taxi hält direkt vor uns, der Fahrer steigt aus.

    „Wo soll’s denn hingehen?", fragt er gut gelaunt.

    „Sheemore", antworte ich und als er die Augen aufreißt, weiß ich, dass er an das hübsche Sümmchen Geld denkt, welches ihm diese Fahrt einbringen wird. Der verschlafene Fischerort Sheemore ist gut vierzig Meilen von Edinburgh entfernt, ein Ort, an den wohl die wenigsten seiner Gäste gefahren werden wollen. Ich bin mir plötzlich nicht mehr so sicher, dass uns das Taxi überhaupt so weit fährt, doch dann nickt der Fahrer zufrieden, öffnet seinen Kofferraum und lädt die Gepäckstücke ein.

    „Aye, Ma’am. Ich hab‘ sowieso in Kirkcaldy was zu erledigen."

    Unter seinem buschigen Schnauzbart erahne ich ein Lächeln. Irgendwie erinnert er mich an eine schlankere Version von Mr. Dursley, dem fiesen Onkel von Harry Potter. Nur dass er wirklich nett ist und selbst seine kleinen blauen Schweinsäuglein fröhlich blinzeln.

    Erleichtert atme ich auf, dann verfrachte ich Emma auf den Rücksitz, während der Taxifahrer einen Kindersitz für Nathan aus dem Kofferraum holt. Nachdem ich meinen kleinen Sohn angeschnallt habe, lasse ich mich zufrieden auf den Beifahrersitz gleiten. Durchatmen. Die erste Hürde ist genommen.

    „Das is‘ nicht meine übliche Route. Der Bus würde sie auch billiger kommen, aber mir soll’s recht sein."

    Innerhalb weniger Minuten erfahre ich, dass unser Fahrer Adhaim heißt, in Kirkcaldy eine Freundin hat und schon seit 30 Jahren Taxi fährt. Ich liebe seinen warmen Edinburgher Akzent - ein wenig tiefer und langsamer, als man in meinem Heimatort spricht -, weswegen ich ihn einfach erzählen lasse und nur ab und zu ein strategisches ‚Aha‘ und ‚Achso‘ einstreue.

    In seinen Worten könnte ich baden, so wohltuend empfinde ich ihren melodischen Klang. Alleine endlich wieder Englisch zu sprechen ist herrlich, doch der schottische Akzent ist für mich ganz besonders. Emma empfindet ganz sicher nicht so wie ich, denn ich höre sie anfangs entnervt auf dem Rücksitz stöhnen. Dann holt sie ihr Handy mit den Kopfhörern heraus und macht ihre Musik an. Nathan sitzt neben ihr, sie steckt ihm einen Stöpsel in ein Ohr, während sie die andere Hälfte nimmt. Ich höre leise eine Melodie von Lewis Capaldi. Komisch, mit schottischen Sängern scheint sie weniger ein Problem zu haben, aber der ist zur Hälfte ja auch Italiener.

    Ich spreche konsequent mit den Kindern Englisch, Matteo Italienisch, aber Emma hasst fast alles, was aus meiner Heimat kommt. Ausgenommen natürlich ihre Großeltern, die sie immer ein wenig lieber mochte als Matteos Eltern, obwohl sie sie viel seltener zu Gesicht bekommen hat.

    Matteo…

    Mir entfährt ein abgrundtiefer Seufzer, unser Fahrer Adhaim sieht mich fragend von der Seite an. Ich starre zum Fenster hinaus, gebe vor seine Blicke nicht zu bemerken, während wir die Forth Road Bridge überqueren, die den Firth of Forth überspannt. In der Ferne sehe ich die majestätischen roten Bögen der Eisenbahnbrücke, die wir immer überquerten, wenn ich mit meiner Mum nach Edinburgh zum Einkaufen fuhr. Das Meer ist ein wenig düster heute, genauso wie der Himmel, was aber nicht bedeutet, dass das den ganzen Tag so bleiben muss.

    Der Juni hat kaum begonnen, die Sommerferien liegen vor uns und Schottland hat von jeder Art von Wetter etwas zu bieten. Manchmal sogar mehrmals am Tag. Emma wird mosern, weil sie normalerweise den Sommer bei ihren Großeltern in Rimini am Strand verbringt. Dieses Jahr hat sie mir schon seit April in den Ohren gelegen, dass sie im Sommer einen schönen Teint bekommen will, um im neuen Schuljahr so gut wie möglich auszusehen. Ich wusste nicht, dass das mit dreizehn Jahren schon so wichtig ist, aber eins weiß ich ganz sicher: in Schottland wird das mit dem Teint nichts.

    Das neue Schuljahr… Ich seufze erneut, blicke weiter zum Fenster hinaus, während wir Edinburgh hinter uns lassen und immer weiter die Küste entlangfahren. Ich lausche dem Singsang der Lowlands, während mir Adhaim nun seine Meinung über den Brexit kundtut. Ich höre zu, wie er über England schimpft und dass er es satt habe, ständig nach der Pfeife ‚derer da unten‘ zu tanzen. Womit er offensichtlich die Regierung in London meint. Ich streue hin und wieder ein Wort oder einen Satz ein und lasse dabei die Landschaft an mir vorbeifliegen.

    Adhaim tuckert langsam über kleine Landstraßen. Es stört mich nicht. Im Gegenteil, so kann ich jeden Hügel begrüßen, mich – wie so viele Male zuvor – über die zahlreichen Golfplätze Schottlands wundern (Ich meine, mal im Ernst, wie viel Golf kann man spielen, dass man an jeder Ecke einen Club braucht?) und ab und zu einen Blick auf das Meer erhaschen. Mein Meer. Nicht die Adria, die ich nie als mein Meer betrachtet habe, sondern die Nordsee an Schottlands Ostküste.

    „Macht ihr Urlaub in Sheemore?", fragt Adhaim mit einem kurzen Kopfrucken nach hinten, wo Emma und Nathan nun ein Fingerspiel spielen, das mein Sohn besonders liebt. Ich wünschte, Nathan würde schlafen, aber ich bin zufrieden, dass er mit seiner Schwester beschäftigt ist, anstatt zu quengeln, was er bei Autofahrten gerne tut. Den Esel aus Shrek mit seinem ‚Sind wir schon da? Sind wir jetzt da? ‘, steckt er für gewöhnlich locker in die Tasche.

    Ich spüre Emmas Blick, der sich in meinen Nacken bohrt. Keine Ahnung, was ich darauf antworten soll, deswegen zucke ich nur mit den Schultern.

    „Sowas in der Art. Wir besuchen meinen Vater."

    Hinter mir atmet meine Tochter erleichtert aus. Ich weiß, dass sie Angst hat, für immer hier bleiben zu müssen. Und sie weiß gar nicht, wie nahe sie damit an der Wahrheit dran ist.

    Als wir vor dem kleinen Cottage stehenbleiben, in dem ich aufgewachsen bin, muss ich tief durchatmen, damit mir nicht die Tränen in die Augen treten. Ich war in den letzten vierzehn Jahren viel zu selten hier, aber im Grunde bin ich ein absoluter Familienmensch. ‚La Famiglia‘ – für meine italienische Mutter gab es nichts Wichtigeres als Dad und mich und irgendwie habe ich das wohl von ihr übernommen.

    In den letzten Wochen gab es zudem einige Situationen, in den mir nach Heulen zumute war, aber der Kinder wegen musste ich stark sein. Zumindest bilde ich mir das ein. Aber jetzt, als ich das zweihundert Jahre alte steinerne Cottage meiner Eltern sehe, das seit seiner Erbauung im Besitz meiner Familie ist, brennen meine Augen verdächtig. Es war immer da – zuverlässig und stabil – und in mir breitet sich eine willkommene Ruhe aus, die ich schon seit langem nicht mehr gespürt habe.

    Es steht auf einem Felsen, etwas abseits des Ortes und blickt direkt aufs Meer hinaus, als wolle es ankommende Schiffe begrüßen und Neuankömmlingen gleich zeigen, mit welchem Charme Sheemore aufwarten kann. Und tatsächlich ist das Cottage meiner Eltern bezeichnend für den gesamten Ort, der so wirkt, als sei er aus der Zeit gefallen. Am Hafen, den man von unserer Klippe aus sehen kann, dümpeln ein paar Fischerboote und an der Promenade reihen sich bunte Häuserzeilen aneinander. Ich kann es kaum erwarten dorthin zu gehen, doch zunächst hieve ich mit Adhaim unsere Koffer aus dem Auto, bezahle meine Fahrt inklusive großzügigem Trinkgeld, das mir ein zufriedenes Lächeln mit einer Reihe gelblicher Zähne einbringt, und bleibe dann mit meinen Kindern vor dem Gartentor unseres Hauses, mit dem zauberhaften Namen ‚Fairy Cottage‘, stehen.

    Hinter mir braust das aufgewühlte Meer in die Bucht, die direkt unter dem Felsen liegt, während Adhaim wendet, um die schmale Straße zurück zur Landstraße zu fahren.

    Als die rote Tür des steinernen Häuschens auffliegt und Malcolm McDonald groß und breitschultrig im Türrahmen steht, wie immer viel zu massiv für das winzige Haus, als wäre er Gulliver in Liliput, kommen mir doch die Tränen. Ich drücke die Klinke auf und renne auf meinen Vater zu, der mich mit einem beruhigenden Brummen auffängt. Zu meiner Überraschung tun es Emma und Nathan mir gleich und ihr Großvater umfängt mit seinem linken Arm mich, mit dem rechten seine Enkelkinder. Neben mir höre ich Emma kurz aufschluchzen. In dem Moment wird mir bewusst, dass zumindest sie mehr von den Turbulenzen der letzten Wochen mitbekommen haben muss, als mir klar war. Das schlechte Gewissen trifft mich wie ein Hammerschlag auf den Kopf.

    Ich hätte besser aufpassen müssen, durchfährt es mich wie ein Blitz und ich zucke zusammen. Irgendeine kleine Stimme meldet sich mit den Worten, dass es nicht allein meine Schuld ist, wie alles gekommen ist, aber ich bin sehr gut darin, sie zu unterdrücken. ‚Ich bin an allem schuld‘, dieses Motto hat sich die letzten Jahre in mein Hirn gebrannt.

    „Ihr wart lange nicht hier", begrüßt uns mein Vater, der es tatsächlich schafft, diese Worte nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen.

    Ich trete einen Schritt zurück, damit er seine Enkelkinder bewundern kann. Nathan hängt an Emmas Hosenbein und guckt zu seinem Grandpa empor, den er in seinem Leben erst zweimal gesehen hat. Da er beim letzten Mal erst eineinhalb Jahre alt war, kann er sich daran sicher nicht erinnern, aber ich habe ihm viel von Malcolm McDonald erzählt, dem Mann, von dem er sein blondes Haar geerbt hat und Emma ihre meerblauen Augen. Das letzte Mal, dass wir hier waren, war bei der Beerdigung meiner Mutter. Ich schlucke und dränge die Tränen zurück, die sich schon wieder einen Weg bahnen wollen.

    Verdammt, ich bin froh, hier zu sein! Warum muss ich denn dann dauernd heulen?

    Um mich abzulenken, fasele ich irgendwas von ‚Gepäck holen‘ und gehe den schmalen Kiesweg zurück, während mein Vater Emma nach drinnen schiebt und Nathan seiner großen Schwester wie stets einfach folgt, seine kleinen Kinderaugen kugelrund und bewundernd ob dieses Riesen von Großvater. Sein italienischer Nonno ist eine etwas größere Version von Danny de Vito.

    Ich zerre meinen und Nathans Koffer hinein, dann hole ich auch Emmas. Unser ganzes Leben in drei Gepäckstücke gepresst. Mehr habe ich nicht mitgenommen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir irgendetwas von unseren anderen Besitztümern nachholen können und ich möchte Matteo auch nicht danach fragen.

    Aber darüber möchte ich nicht nachdenken. Nicht jetzt. Das hat Zeit. Eigentlich will ich am liebsten nie wieder an Matteo und Bologna und all das denken, aber das werde ich wohl müssen, schließlich ist er der Vater meiner Kinder und noch immer mein Mann. Und es gibt leider keine Fee, die ihren Zauberstab schwingt und alles ungeschehen macht, was passiert ist, auch wenn ich jetzt an einem Ort bin, an dem Feen im Allgemeinen recht präsent sind. ‚Sheemore‘ ist nicht umsonst die abgeleitete Version eines alten gälischen Namens für ‚Feenhügel‘.

    Mein Vater sitzt mit den Kindern am Küchentisch, vor ihnen eine Servierplatte mit Scones. Er hat auch eine Kanne Tee hergerichtet, vermutlich als ich ihn anrief, dass wir in zehn Minuten da sein würden. Scones und Tee – typisch für meinen durch und durch schottischen Vater. Emma zieht die Nase kraus.

    „Ich weiß, Nonna hätte Biscotti und heiße Schokolade gemacht, seufzt Dad mit einem wehmütigen Lächeln. „Das kann ich leider nicht bieten.

    „Das musst du auch nicht, antworte ich schnell, ehe Emma etwas sagen kann. „Biscotti haben wir in Italien wirklich genug.

    „Ich habe die Scones auch nicht selbst gebacken. Nur falls ihr denkt, sie könnten nicht schmecken…"

    „Besser so", sage ich grinsend, angle mir eins vom Tisch und küsse meinen Vater im Vorbeigehen auf den Kopf. Sein blonder Haarschopf ist mit grauen Strähnen durchzogen, die mir früher nie so aufgefallen sind. „Sind die von Graham’s?"

    Ich beiße in das weiche Gebäckstück, koste die Süße des Teiges, der sich mit dem Geschmack von Rosinen vermischt und schließe die Augen. Ich hätte nicht fragen müssen. Natürlich sind die Scones von Graham’s, der einzigen Bäckerei in Sheemore. Mein Vater kann vieles, aber nicht kochen und backen. Ich frage mich kurz, wie er ohne meine Mum zurechtkommt, aber da reißt er mich auch schon aus meinen Gedanken.

    „Wusstest du, dass Josephine die Bäckerei mittlerweile übernommen hat?", fragt Dad, der Emma ebenfalls ein Scone anbietet.

    Nur zögernd nimmt diese an. Ich sagte ja bereits, dass meine pubertierende Tochter so ziemlich alles aus meiner Heimat blöd findet. Trotzdem ist sie höflich, das muss man Emma lassen und sie will ihren Grandpa sicher nicht vor den Kopf stoßen. Nathan, der entgegen seiner Gewohnheiten gar nicht schüchtern ist und bei seinem Großvater auf dem Schoß sitzt, wird bereits von Dad mit kleinen Häppchen Scone, dick bestrichen mit Sahne und Marmelade, gefüttert.

    „Ich habe zu Jo eigentlich keinen Kontakt mehr."

    Genau genommen habe ich mit niemandem aus Sheemore mehr Kontakt und auch nicht zu den Freundinnen, mit denen ich in Kirkcaldy zur Schule gegangen bin. Unsere Leben gingen vor vierzehn Jahren auseinander, als wir alle unseren Abschluss in der Tasche hatten. Der Sommer, in dem wir voller Träume waren und in dem mein Leben eine völlig andere Richtung nahm als gedacht. Mein Blick schweift zum Fenster, weit zum Meer hinaus und als hätte Dad es gesehen, klatscht er begeistert wie ein Kleinkind in die Hände, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Er mag wie ein Felsen aussehen, aber der hat einen ziemlich weichen Kern.

    „Wer möchte sein Zimmer sehen?", fragt er Emma und Nathan.

    „Ich kenne das Zimmer, das wir immer haben, Grandpa. Es ist Mums altes Kinderzimmer, vollgeramscht mit Plunder, der vor Jahrhunderten mal ‚in‘ war."

    „So alt bin ich auch wieder nicht", protestiere ich beleidigt.

    „Wie alt bist du? Zweiunddreißig? Das ist uralt."

    Ich möchte gerade über einen Vortrag darüber anheben, dass bei den meisten Frauen das Leben ab dreißig erst losgeht, da unterbricht mich Dad gutgelaunt.

    „Aber nein, doch nicht das alte Zimmer deiner Mum, sagt er zu Emma, steht von seinem Stuhl auf und hebt Nathan hoch über seinen Kopf, so dass dieser fast an die niedrige Decke des Cottages stößt. Nathan lacht begeistert. „Du hast ein eigenes Zimmer und Nathan auch.

    Emmas Augen blitzen (ja, sie hat zum Glück die Gucci-Sonnenbrille beim Anblick ihres Großvaters abgenommen, der vermutlich nur irgendeine witzige Bemerkung darüber gemacht hätte, ob sie diese trägt, weil sein Anblick sie blendet). Es ist ein Blitzen zwischen Freude und Misstrauen.

    „Ein eigenes Zimmer? Warum?"

    „Das braucht eine junge Dame wie du doch, erwidert Dad ungerührt und ich bin froh, dass er nichts davon erwähnt, dass ich ihm gesagt habe, dass ich vermutlich mit den Kindern bei ihm bleibe, bis ich etwas Eigenes gefunden habe. „Und ein kleiner Mann wie dieser hier natürlich auch.

    Dad versteht seltsamerweise Emma und ihr schwieriges Verhältnis zu Schottland. Und das, obwohl er Schottland liebt und nicht einmal meiner Mutter zuliebe mit nach Italien in den Urlaub gefahren ist. Er ist gerne hier und er will auch nie weg. Selbst ein Trip nach England war für ihn schon immer wie eine Reise ins Ausland und er war lediglich in Italien zu meiner Hochzeit. Aber ich denke, genau deswegen kann er so gut verstehen, dass Emma an dem hängt, was sie als ihre Heimat ansieht.

    „Wir leben doch bereits an einem Ort, wo andere Urlaub machen", hatte Dad stets gesagt, wenn ihn Mum zu Ferien in Italien überreden wollte. Wir flogen dann immer alleine zu meinen Großeltern und fuhren mit ihnen für eine Woche irgendwo an den Strand. Wie in dem Sommer vor vierzehn Jahren, in dem ich Matteo kennenlernte.

    „Welches Zimmer?", dringt nun Emmas aufgeregte Stimme zu mir durch und mit halbem Ohr bekomme ich mit, dass Dad das Nähzimmer meiner Mutter ausgeräumt hat, um für Emma Platz zu schaffen.

    „Ich habe es auch tapeziert und mit einem neuen Boden ausgelegt." Stolz auf sich schwingt in seiner Stimme mit.

    Ich schrecke innerlich ein wenig zusammen. Zu sagen, mein Vater hätte einen grässlichen Geschmack, wäre vielleicht ein klitzekleines bisschen übertrieben. Aber er steht schon sehr auf Tartanmuster und Antiquitäten, goldverzierte Rahmen und dicke rote oder wahlweise grüne Teppiche mit schnörkeligem Muster. Ich bezweifle, dass Emma das gefallen könnte und wappne mich innerlich für eine Szene, als Emma mit Dad und Nathan im Schlepptau die Treppe hoch stürmt.

    „Wow, Grandpa! Das ist echt nice."

    Verwirrt höre ich die Worte, kann sie aber nicht so recht glauben. Kann es sein, dass mein altmodischer Vater genau den Geschmack meiner hippen, markenverrückten Tochter getroffen hat? Das wäre zu seltsam, um wahr zu sein.

    „Mamma! Das musst du dir ansehen!"

    Ich gehe in den Hausgang, Emma hängt mit dem Kopf über dem Holzgeländer und schreit nach unten. Ihre schwarzen Locken umrahmen ihr hübsches Gesicht, blaue Augen strahlen zu mir hinunter. Obwohl ich lieber weiter von der Küche aus aufs Meer schauen würde, um meinen Gedanken nachzuhängen, mache ich mich auf den Weg nach oben in den ersten Stock, wo das erste Zimmer gleich Mums altes Nähzimmer war. Staunend betrachte ich, was mein Vater daraus gemacht hat.

    „Dad…, stammele ich. „Das… das warst doch niemals du…

    „Doch, natürlich. Hast du das deinem alten Vater nicht zugetraut? Dad sieht mich beleidigt an, dann lacht er jedoch mit seinem dröhnenden Bass. „Ich habe alles selbst gemacht. Die Idee dazu hatte allerdings Kayleigh. Du erinnerst dich an sie? Sie ist jetzt Innenarchitektin.

    „Kayleigh MacDuff?", frage ich ungläubig und schnaube verächtlich.

    Kayleigh ging mit mir in Kirkcaldy zur Schule, wir waren im selben Jahrgang und sie wohnte ebenfalls in Sheemore, weswegen wir immer den gleichen Bus nahmen. Mehr hatten wir aber nicht gemeinsam. Kayleigh MacDuff war diejenige, über die wir uns gerne lustig machten, denn sie war ein wenig zu dick, ein bisschen zu laut und ihre Mutter ziemlich schräg. Zudem war sie nicht besonders gut in der Schule. Zumindest war sie nicht so schlau wie ich, die Jahrgangsbeste.

    Aber was hat dir das gebracht?, fragt eine hämische Stimme in meinem Kopf. Kayleigh ist jetzt Innenarchitektin. Und was bist du?

    „Sie ist ein wirklich patentes Mädchen geworden. Wer hätte das gedacht?"

    Dad bringt es tatsächlich fertig, eine Frau in meinem Alter ein Mädchen zu nennen. Ich lächele ihn schief an und schiebe einen Anflug von Eifersucht beiseite. Ich könnte mich nicht erinnern, dass er mich jemals als ‚patent‘ bezeichnet hätte.

    Das Zimmer ist wunderschön mit dem plüschigen Teppich, den rosa-weiß gestreiften Tapeten und den dazu passenden weißen Möbeln, die nicht kitschig, sondern sehr stylish wirken. Und das trotz der vorherrschenden Farbe Bonbonrosa. Der Traum eines jungen Mädchens, genauso, wie Emma sich ihr Zimmer in Bologna gewünscht hat. Es ist ihr Wunsch zum vierzehnten Geburtstag im Februar, aber das ist ja nun hinfällig. Selbst die Accessoires hat Kayleigh sorgfältig und mit viel Geschmack ausgewählt und sie scheinen dem zu entsprechen, was sich Emma vorgestellt hat.

    Kayleigh MacDuff ist also Innenarchitektin.

    Tja, und was bin ich? Ich bin Hausfrau und Mutter und bald bin ich nicht mal mehr die Ehefrau von jemandem. Ich habe nie einen Beruf erlernt und ich habe noch keinen Tag in meinem Leben woanders gearbeitet, als in meinem eigenen Haushalt. Und plötzlich komme ich mir gegen Kayleigh MacDuff und selbst meine ehemals beste Freundin Josephine Graham verschwindend klein vor.

    „Was hast du jetzt vor?"

    Dad klopft neben sich auf das viktorianische Ledersofa, das die Farbe von gut gereiftem Whisky hat. Ich lasse mich bedächtig neben ihn sinken.

    Die Kinder sind im Bett und tatsächlich beide sofort eingeschlafen. Emma ist eigentlich eine Nachteule. Normalerweise bekomme ich sie zu Hause abends kaum ins Bett und morgens nicht wieder raus. Ihre Klassenlehrerin hat mir sogar schon einen Vortrag darüber gehalten, wie wichtig Schlaf für eine Heranwachsende ist. Ich wäre ihr gerne ins Gesicht gesprungen. Den Vortrag hätte sie lieber mal Matteo halten sollen, der abends gerne mit der ganzen Familie ausgeht. In irgendwelche Restaurants seiner tausend Freunde, mit denen er sich dann festquatscht, während die Kinder um die Tische jagen.

    „Ich weiß es nicht, gebe ich zu. „Ich habe keinen Mann und keine Wohnung mehr, zwei Kinder, die keine Ahnung haben, dass wir quasi obdachlos sind und ich zermartere mir die ganze Zeit schon den Kopf, wer eine ungelernte Kraft wie mich einstellen soll. Und als was überhaupt?

    „Na, na, tadelt Dad und fährt sich über das stoppelige Kinn. „Obdachlos seid ihr schon mal nicht, denn immerhin könnt ihr so lange bei mir wohnen, wie ihr wollt. Oder meinst du, ich habe die Zimmer für die Kinder für einen kurzen Aufenthalt von zwei Wochen so aufwändig hergerichtet?

    „Das hättest du nicht tun müssen."

    „Habe ich aber."

    „Du wusstest, dass ich nur vorübergehend bei dir bleibe."

    „Und du sagtest gerade, dass niemand dir einen Job geben würde, weswegen du dir auch keine eigene Wohnung leisten kannst. Also habe ich vorgesorgt."

    „Na toll, du glaubst ja wirklich an mich", fahre ich Dad an.

    „Ich wiederhole nur deine eigenen Worte."

    Für einen Moment starren wir uns an, zwei schottische Sturschädel, wie sie im Buche stehen, dann fangen wir gleichzeitig an zu prusten.

    „Wenn deine Mum uns jetzt sehen könnte, würde sie schimpfen, dass wir uns benehmen wie ihr Esel, den sie als Kind hatte. Wie hieß er noch gleich?"

    Dad denkt angestrengt nach, aber er kann sich italienische Namen sowieso nicht merken.

    „Cocciuto, helfe ich ihm. „Dickkopf.

    „Genau. Wusste ich’s doch!"

    „Ja, natürlich, Dad." Ich zwinkere ihm zu und schon wieder müssen wir losprusten.

    „Ich vermisse sie immer noch", gesteht mein Vater und sein Blick wird ein bisschen trüb.

    „Lass uns auf Mum anstoßen", versuche ich ihn aufzumuntern, dabei deute ich auf den Beistelltisch neben der hohen Sofalehne, auf dem immer ein Tablett steht mit diversen Whiskyflaschen und zwei Gläsern.

    Klar, dass Dad sich das nicht zweimal sagen lässt. Erstens liebt er Whisky – er macht eine richtige Wissenschaft daraus, wenn man ihn darauf anspricht – und zweitens will er seine verstorbene Frau ehren. Es sind etwa anderthalb Jahre vergangen seit Mums Tod, aber sie war Dads Traumfrau. Undenkbar, dass er über sie bereits hinweg ist.

    Matteo und ich – das ist etwas völlig anderes. Wir waren irgendwann mal sehr verliebt ineinander, aber wir kannten uns viel zu wenig, um schon zu heiraten. Anfangs trug uns unsere Verliebtheit durch die ersten Jahre - und der feste Glaube, dass wir als kleine Familie alles schaffen können. Später waren es nur noch die Kinder, die unsere Ehe am Leben hielten. Jetzt sind wir kein Paar mehr. Dabei hatte ich mir immer eine Ehe gewünscht wie die meiner Eltern.

    Ein schöneres Paar kann man sich nämlich gar nicht vorstellen. Der großgewachsene Hüne Malcolm McDonald und der kleine Wirbelwind Paola Zanetti – gegensätzlich wie ein Fisch und ein Vogel - und dennoch wie für einander gemacht, denn der Fisch liebte es, wenn der Vogel ihm Geschichten vom Fliegen erzählte und der Vogel brauchte ab und zu eine Abkühlung, die der Fisch ihm bieten konnte.

    Meine Mum musste mir als Kind ständig die Geschichte erzählen, wie sie einander kennengelernt haben. Besser als jedes Märchen von einer Prinzessin – wobei ich zu meiner Schande gestehen muss, dass ich mit acht Jahren ziemlich heftig in Prinz William verknallt war und gegen eine Heirat mit ihm nichts einzuwenden gehabt hätte. Meiner Freundin Jo hatte ich Prinz Harry zugedacht, da sie genauso rote Haare hat wie er. Ich erinnere mich noch, dass sie ziemlich sauer deswegen war.

    „Weißt du noch, wie Mum mir immer erzählte, dass sie dich gesehen hat und sofort wusste, dass du der Mann bist, mit dem sie eine Familie gründen will?"

    Dad lächelt, während er aufsteht, um unseren Whisky einzuschenken.

    „Ist dir ein 15-jähriger Laphroaig zu ihren Ehren recht? Ein seltener Tropfen, den man kaum noch bekommt."

    Ich will ihm nicht zu nahe treten, aber für mich könnte es auch irgendein billiger Fusel aus dem Supermarkt sein und ich hätte keine Ahnung, was ich da gerade trinke. Auch wenn es sehr unschottisch ist, ich kann einfach keine Whiskysorten auseinanderhalten und ich mag genaugenommen keinen Whisky. Deswegen zucke ich nur ungerührt die Achseln.

    „Klar."

    Ich sehe, wie Dad ein wenig resigniert den Kopf schüttelt. Es muss ein herber Schlag sein, dass sein einziges Kind sich nicht für seine Leidenschaft erwärmen kann.

    Stattdessen plappere ich einfach weiter: „Ich liebte es, wenn sie mir von ihrer Europareise erzählte, die sie mit ihren zwei Freundinnen genau an ihrem einundzwanzigsten Geburtstag antrat."

    „Weit kam sie ja nicht", brummt Dad, dann setzt er sich mit den beiden Gläsern zu mir und drückt mir eins in die Hand.

    „Von Italien nach Deutschland, dann nach Frankreich und von Calais setzte sie nach Dover über", sinniere ich verträumt.

    „Was sie in dem vermaledeiten England wollte, ist mir immer noch ein Rätsel, schmunzelt Dad und ich weiß, dass er es nicht ernst meint. „Aber sonst hätte sie ja nicht bei mir landen können.

    „Richtig. Schließlich wollte sie ja zum Loch Ness. Was seltsam ist, denn Mum hat noch nie an Fabelwesen geglaubt. Trotzdem wollte sie nachsehen, ob es Nessie wirklich gibt."

    „Stattdessen hat sie dort nur einen jungen Burschen gefunden, der mit seinem Studienfreund campen war. Sie überredete ihn nicht nur dazu, dass er ihr und ihren Freundinnen ein Zelt aufbaute, sondern auch noch, dass er sie zum Essen ausführte."

    „In ein grauenhaftes Pub, wo sie aus Versehen eine Nierenpastete bestellte, weil sie nicht wusste, was Niere auf Englisch heißt und dachte, dass ‚Kidney‘ irgendetwas mit roten Bohnen zu tun hat."

    „Es ist ein Wunder, dass sie trotzdem beschlossen hat, in Schottland zu bleiben. Ich habe deine Mutter nie wieder von etwas so angewidert gesehen, wie von dem Geruch, als sie in die Kruste der Pastete schnitt. Ehrlich gesagt dachte ich, dass sie gleich zu würgen anfängt. Immerhin war sie schon ziemlich grün im Gesicht."

    „Mum hat immer gesagt, dass sie dich auf diesem Campingplatz am Loch Ness gesehen hat und sofort verliebt war. Sie meinte, du sahst aus, wie eine zu groß geratene Version des jungen Robert Redford."

    „Weiß nicht, was sie an dem fand, aber ‚Barfuß im Park‘ war ihr Lieblingsfilm."

    Wieder kriegt Dad diesen trüben Blick. Aber traurig bin ich selbst schon genug, deswegen möchte ich ihn unbedingt aufheitern. Und indirekt mich auch.

    „Ich denke, Mum wollte nach dem Nierenpasteten-Desaster ein wenig kulinarische Kultur nach Schottland bringen."

    „Das ist ihr ja auch gelungen", meint Dad – der im Übrigen überhaupt keine Ähnlichkeit mit Robert Redford hat, wie ich finde. Aber ich bin ja auch seine Tochter, das ist wohl etwas anderes. Man sieht seine eigenen Eltern sicher nicht ganz so verklärt, wie sie sich gegenseitig.

    Slàinte mhath!"

    „Auf Mum!"

    Wir erheben beide unser Whiskyglas und schließen beim Trinken unsere Augen. Dad, weil er genießt. Ich lediglich, weil ich Angst habe, dass die bernsteinfarbene Flüssigkeit in meiner Kehle und meinem Magen brennt. Was sie prompt auch tut. Auf manche Dinge könnte man seinen Allerwertesten verwetten.

    „Oh, nun komm schon, Anna, wettert Dad, als er die Augen öffnet und mein leicht verzerrtes Gesicht sieht. „Ein Laphroaig ist nicht scharf im Abgang. Schmeckst du nicht die Süße, den leichten Birnengeschmack?

    „Ehrlich, Dad, du kannst nicht im Ernst von Birne reden, wenn ich das Gefühl habe, ich müsste irgendeine schreckliche Medizin trinken."

    „Wie deine Mutter, seufzt er resigniert. „Und vierzehn Jahre Italien haben deine Geschmacksknospen nicht gerade gebildet.

    „Na, darauf nehme ich gleich noch einen Schluck", antworte ich und nehme einen großen Zug, der mein Glas fast vollständig leert. Nichts will ich lieber aus meinen Gedanken vertreiben, als die Zeit mit Matteo.

    Kapitel 2

    Ich starre an die Zimmerdecke und entdecke ein kleines Loch wenige Zentimeter neben dem Lampenauslass. Dad hat es gebohrt, weil er meinte, dass der Kristalllüster aus bunten Plastikkristallen dort hängen sollte. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich ihm als Fünfzehnjährige die Hölle heiß gemacht habe, weil ich der Meinung war, dass das nicht mittig sei. Tatsächlich hatte ich lieber ein Loch in der Decke in Kauf genommen und ihn an der Stelle bohren lassen, die ich für richtig hielt. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, fühle ich mich irgendwie schlecht.

    Möglicherweise warst du eine ganz schöne Zicke als Teenager, sage ich zu mir selbst und wenn ich so an Emma denke, dann hat sie das wohl von mir geerbt. Sie hat ihren eigenen Kopf, ihre Vorstellungen und das muss auch alles so durchgesetzt werden.

    Mir wird ein wenig übel, wenn ich darüber nachdenke, dass ich ihr sagen muss, dass wir nicht nach Bologna zurückkehren. Aber dafür habe ich noch ein wenig Zeit. Bloß nichts überstürzen. Vielleicht ist mir auch einfach nur von Dads Whisky flau im Magen.

    Ich frage mich, wann aus der Zicke Anna die brave folgsame Anna wurde, die, wann immer etwas in der Familie schief lief, die ganze Schuld auf sich nahm. Ich glaube, es muss angefangen haben, als ich mit Emma unerwartet schwanger wurde und sowohl meine Eltern, als auch die von Matteo ziemlich vorwurfsvoll meinten, wie mir das habe passieren können. Als wäre ich alleine an der ganzen Angelegenheit beteiligt gewesen…

    „Kommt ihr zum Frühstück?", blökt Dad durch das ganze Haus.

    Ich sehe auf meine Fitbit-Armbanduhr (ich bin nicht wirklich sportlich, ich tue mit der Uhr aber gerne so als ob), blinzele kurz und schaue dann nochmal genauer hin.

    Sieben Uhr? Ist das sein Ernst?

    Emma wird ihren Grandpa fressen, wenn er sie um diese Zeit weckt. Wie gesagt, sie schläft für gewöhnlich morgens wie ein Murmeltier, ist manchmal kaum wachzubekommen und wenn ich es dann wider Erwarten doch schaffe, herrscht sie mich ungehalten an.

    Ich schwinge die Beine weit dynamischer aus dem Bett als ich mich fühle, schlüpfe in meinen alten pinken Plüschmorgenmantel den ich zu meinem siebzehnten Geburtstag bekommen habe, und trete in den Flur hinaus, wo ich fast mit meiner Tochter zusammenstoße, die gerade aus dem Badezimmer kommt. Gewaschen, angezogen und dem Summen nach bester Laune, die dunklen Locken noch feucht vom Duschen.

    „Oh!" Mehr fällt mir beim besten Willen nicht ein.

    „Was?" Ihre gute Laune ist wie weggeblasen, als sie mich sieht.

    „Nichts, sage ich wohlweislich, dann kann ich es mir doch nicht verbeißen, noch hinzuzusetzen: „Zuhause würdest du niemals um diese Uhrzeit aufstehen.

    „Tja, leider sind wir ja nicht zu Hause."

    „Naja, wenn du hier morgens schon bester Laune bist und vor sieben Uhr sogar duschen gehst, dann gefällt es mir hier besser."

    „Mir nicht."

    Emma verschränkt die Arme und sieht mich herausfordernd an. Und ich würde mich am liebsten ohrfeigen. Manchmal nervt es sogar mich selbst, dass ich mich so biestig an einem Thema festbeißen kann.

    „Was verschafft uns dann die Ehre deiner morgendlichen Anwesenheit?"

    „Ich bin nur so früh aufgestanden, weil Grandpa mit mir und Nathan zum Strand fahren will."

    „Mit Nathan und mir", verbessere ich automatisch.

    Belohnt werde ich mit einem Augenrollen. Ich kann es ja irgendwie verstehen, mich hat das bei meinem Dad früher auch aufgeregt, wenn er mich verbessert hat. Jetzt mache ich es genauso. Ich habe wohl mehr von ihm, als mir lieb ist.

    Emma flüchtet vor mir die Treppe hinunter und ich ziehe mich ins Badezimmer zurück, wo ich erstmal in den Spiegel blicke und die müde aussehende Frau anstarre, die ich kaum wiedererkenne.

    Bin das wirklich ich?

    Ich sah wirklich schon mal besser aus. Meine Haut ist blass, die Augen liegen tief in ihren Höhlen und mein Gesicht sieht ausgezehrt aus. Ich habe seit Ewigkeiten nicht mehr richtig gegessen (der Scone gestern war die Ausnahme und ich schreibe meinen Appetit der Meerluft zu). Meine Mahlzeiten bestanden in letzter Zeit aus Kaffee, Wasser und kleinen Bröckchen, die ich vom Teller meiner Kinder naschte, nur um zu merken, dass ich keinen Hunger hatte.

    Wenn Nathan und Emma im Bett waren, habe ich mich mit einer Flasche Wein aus unserem gut bestückten Weinregal ins Schlafzimmer zurückgezogen, um nicht mit Matteo im Wohnzimmer sein zu müssen - und um zu vergessen, was er getan hat.

    Seit Wochen fühlt sich mein Leben unwirklich an - das Karussell dreht sich viel zu schnell für mich, hat mich abgeworfen und ich weiß nicht, ob ich den Mut habe, nochmal aufzusteigen.

    Mit kräftigen Strichen ziehe ich die Bürste durch die nackenlangen, blondgefärbten Haare, bei denen der dunkle Ansatz schon viel zu deutlich zu sehen ist. Ein Friseurbesuch ist dringend nötig.

    Können wir uns das überhaupt noch leisten?

    Ich schüttle den Kopf, weil ich nicht darüber nachdenken möchte und mache mich daran, mein Make-up sorgfältig aufzutragen, damit niemand sehen kann, wie schrecklich ich wirklich aussehe – ich könnte Frankensteins Braut geben, wenn schon Halloween wäre. Wegen den Haaren wird mir schon etwas einfallen. Vielleicht gehe ich heute in die Stadt, wenn Dad mit den Kindern an den Strand fährt, und sehe nach was Färben im lokalen Friseursalon kostet.

    Unten sitzt die Familie bereits einträchtig am Esstisch. Nathan löffelt ganz selbstverständlich eine Schüssel Porridge, obwohl er das in seinem Leben noch nie gegessen hat. Zu meinem Erstaunen isst Emma ebenfalls den von ihrem Großvater zubereiteten Haferbrei, sie hat sich zusätzlich ein paar Blaubeeren in die Schüssel geworfen und fragt Dad gerade darüber aus, ob Porridge gut für ihre Figur ist. Armer Dad. Ich glaube nicht, dass er darauf eine Antwort hat. Dementsprechend eiert er auch um die Frage herum.

    „Ihr fahrt zum Strand?", frage ich zur Ablenkung vom Thema und setze mich zu Tisch, wo bereits eine Schüssel für mich wartet.

    Es ist nicht so, dass ich Porridge nicht mag, aber momentan fühlt sich mein Magen so an, als würde ein Matrose Knoten üben. Ständig ist mir übel und ich habe auch jetzt keinen Appetit, weswegen ich auch nur so tue, als würde ich essen. Dad bemerkt, dass ich nur den Löffel ab und zu eintauche, runzelt die Stirn, sagt aber nichts dazu – wofür ich außerordentlich dankbar bin.

    Ob ich esse oder nicht, ich habe die schlanke Linie der McDonalds geerbt, denn obwohl mein Vater groß und massiv wirkt, ist kein Gramm Fett an ihm und ebenso ist es bei mir. Was jetzt den Nachteil hat, dass meine unfreiwillige Hungerkur mich schneller wie ein rappeldünnes Skelett aussehen lässt.

    „Sicher kann man nicht ins Wasser gehen, aber vielleicht bauen wir ja eine Sandburg", meint Dad.

    Emma lächelt Nathan an, der sich laut jubelnd freut und seinen Großvater mit Fragen nach Schaufeln und Sandförmchen bestürmt.

    „Bei Nonno und Nonna in Rimini haben wir ganz viel davon", erzählt er.

    „Grandma hatte immer einen Eimer mit einer kleinen Schaufel in der Garage", erinnert sich Emma.

    Ihr Gedächtnis ist phänomenal, schließlich muss es einige Jährchen her sein, dass sie damit gespielt hat. Aber schlau ist sie, deswegen mache ich mir auch keinerlei Sorgen, dass sie hier in Schottland auf der Schule nicht mithalten kann.

    „Ich werde in die Stadt gehen und sehen, was sich in Sheemore alles verändert hat", werfe ich ein.

    „Das kann ich dir schnell beantworten, lacht Dad. „Nichts. In Sheemore hat sich seit Jahrzehnten nichts verändert. Etwas außerhalb, Richtung St. Monans, haben sie jedoch einen Supermarkt gebaut.

    Er verzieht angewidert das Gesicht. Mein Vater ist kein besonders moderner Mann und obwohl ein Supermarkt hier schon immer dringend nötig war, sieht er das wahrscheinlich ganz anders.

    „Hat Eve Smithers immer noch den winzigen Friseurladen am Marktplatz?"

    Aye. Hat sie. Willst du dir die Haare machen lassen?"

    Ich sehe, wie Dad mich mustert. Ihm fällt nicht so schnell auf, wenn eine Frau dringend zum Friseur muss, aber jetzt, wo ich ihn darauf aufmerksam gemacht habe, sieht er doch ziemlich kritisch drein und selbst er muss den gut zwei Zentimeter großen, dunklen Ansatz sehen.

    „Kann sein. Ich überlege noch", murmele ich und rücke dann meinen Stuhl zurück, um mich in mein Zimmer im Dachgeschoss zurückzuziehen.

    Als ich schon am Fuße der Treppe bin, kommt Dad mir hinterher. Ohne Worte nimmt er meine Hand und legt einen Geldschein hinein. Vor Verlegenheit schaue ich nicht mal hin und schließe die Finger darum.

    „Danke, Dad."

    Ich hauche ihm schnell einen Kuss auf die kratzige Wange und verschwinde dann hastig die Treppe hinauf. Als ich meine Hand öffne, sieht mir Lord Archibald Campbell entgegen, der Gründer der Bank of Scotland. Mir treten Tränen in die Augen, als ich die Zahl auf dem Geldschein lese. Ein Haarschnitt plus Färben kostet bei Eve Smithers keine hundert Pfund, das weiß sogar mein etwas weltfremder Vater und dennoch scheint er zu ahnen, dass ich das Geld momentan gut brauchen kann.

    Es ist ein sonniger Tag, der die schönste Seite von Sheemore zum Vorschein bringt. Nur wenige Menschen tummeln sich hier und da, während ich durch die Stadt schlendere. Die kleinen Fischerhäuser, die sich an der Uferpromenade reihen, habe ich bereits hinter mir gelassen und sehe mich nun mit dem Staunen eines Menschen, der erkennt, dass er den einen Ort auf Erden gefunden hat, wo die Zeit für immer still steht, auf dem Marktplatz um. Alles wie immer.

    Das winzige, schmale Häuschen von Eve Smithers und ihrer Schwester Carol schmiegt sich

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