Der Maler als Seher: Unwahrscheinliche Meditationen über wahrscheinliche Visionen
Von Jan Pelzer
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Buchvorschau
Der Maler als Seher - Jan Pelzer
Jan Pelzer Der Maler als Seher
Unwahrscheinliche Meditationen über wahrscheinliche Visionen
Ein erfundener Briefwechsel
Titelbild: Alpina
Bräutigamsschau, 2005, 157x107, Acryl auf Styropor
Damenkränzchen, 2006, 157x107, Acryl auf Styropor
Jan Pelzer
Der Maler als Seher
Unwahrscheinliche Meditationen über wahrscheinliche Visionen
Ein erfundener Briefwechsel
Lebenszellen, 2001, 157x107cm, Acryl
Ersterscheinung: 2003, Überarbeitung 2015
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck verboten
Paradise Lost, 2001,157x107cm, Acryl
Unter Mitarbeit von
Julia Pels
Antonia Pelzer
Traumzeit, 2000, 157x107cm, Mischtechnik
Orientalisches Märchen, 2001, 157x107cm, Mischtechnik
Nordlicht 3, 2012, Acryl auf Styropor, 157x107cm
Sehr geehrter Herr Pelzer
Ich bin Kunststudentin im zehnten Semester mit dem Schwerpunkt „Symbolische Malerei". Ich interessiere mich besonders für Bilder von zwischenmenschlichen Beziehungen und für Sinnbilder unserer Existenz. Bisher bin ich bei der Genremalerei der alten Holländer fündig geworden. Aber nachdem ich durch Zufall in die Ausstellung Ihrer Bilder geraten bin, die Sie im Schloss Baldeney veranstaltet haben, wurde mir klar, dass es auch zeitgenössische Bilder gibt, die uns etwas über zwischenmenschliche Beziehungen und Sinnfragen des Lebens zu sagen haben .Ich habe Ihre Bilder fotografiert und mich eingehend mit den von Ihnen gemalten Szenen aus unserem menschlichen Dasein beschäftigt. Dabei ist mir aufgefallen, dass Ihre Malerei in Bereiche vorstößt, die man als philosophisch, ja sogar als visionär bezeichnen kann. In früheren Zeiten hätte man Sie vielleicht als Seher betrachtet! Eine Kennzeichnung, die für mein Empfinden sehr gut zu einem Maler passt. Nach geringer Überzeugungsarbeit ist es mir gelungen, meine Professoren für Ihre Bilder zu interessieren. Sie haben es mir ermöglicht, ein Referat darüber anzufertigen und es in unserem Oberseminar vorzutragen. Das Echo meiner Mitstudenten und der Professoren auf meine Vorführung Ihrer Bilder (mit Hilfe des Diaprojektors) und den Vortrag meiner Erläuterungen war so positiv, dass mir die Erweiterung meines Referates zu einer Staatsarbeit empfohlen worden ist. Hierfür bin ich allerdings auf Ihre Unterstützung insoweit angewiesen, als Sie meine Ergebnisse prüfen und die falschen richtig stellen sowie die richtigen bestätigen sollten.
Da der gegenwärtige Zeitpunkt für den Start in die Öffentlichkeit günstig wäre, möchte ich Ihnen nahe legen, sich mit mir so bald wie möglich in Verbindung zu setzen. Wir könnten dann eine geeignete Strategie für unser weiteres Vorgehen absprechen. Falls Sie an einer öffentlichen Rolle kein Interesse haben sollten, so möchte ich Sie dennoch bitten, meine Ihnen hier vorgelegten Gedanken zu beurteilen und mich Ihre Meinung wissen zu lassen. Ich wäre Ihnen dafür - vor allem im Hinblick auf die erfolgreiche Abfassung meiner Staatsarbeit - sehr dankbar.
Cordula Brelow
Sehr geehrte Frau Brelow
Mit Freude habe ich Ihren Brief gelesen und bin erstaunt, dass sich doch jemand für meine Bilder interessiert und mehr – sie versteht und sich für sie engagiert! Ich möchte mich daher in erster Linie für Ihre Zuwendung und die Mühe, die Sie sich mit meinem Werk gemacht haben, bedanken.
Natürlich erkläre ich mich in jeder Hinsicht mit Ihren Maßnahmen, die Sie zugunsten meiner Person und Werke ergreifen, solidarisch und verspreche Ihnen, Sie nach Kräften dabei zu unterstützen. Sie können also unbefangen alle Fragen stellen, die sich für Sie bei der Beschäftigung mit meinen Arbeiten ergeben, und auch für persönliche Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Was Ihr Verständnis meiner Arbeit angeht, so möchte ich Ihnen das Kompliment machen, auf Anhieb ins Schwarze getroffen zu haben. Mein Hauptthema kann man wirklich als eine intensive Beschäftigung mit den zwischenmenschlichen Beziehungen und den Sinnfragen unseres Daseins bezeichnen. Ihr Brief hat mir in dieser Hinsicht viel Hoffnung gemacht und Sie haben für jede Form, in der Sie sich mir gegenüber äußern wollen, meinen Segen!
Ihr
Jan Pelzer
Mystische Bilder
Notturno, 1991, 54x103 cm, Mischtechnik
Lieber Herr Sprenger
Vielen Dank für Ihren ermutigenden Brief. Ich denke, wir werden über persönliche Angelegenheiten mündlich miteinander sprechen können. Ich möchte meine Staatsarbeit so bald wie möglich fertig stellen und komme sofort zur Sache. Sehr rätselhaft und geheimnisvoll erscheinen mir Ihre mystischen Bilder
. Ich nenne sie so, obwohl ich mir nicht sicher bin, mit dem Wort mystisch
den richtigen Begriff gewählt zu haben. Diese Bilder haben alle die Gemeinsamkeit, dass sie Szenen enthalten, die unreal und urtümlich wirken. Sie sind wie mit dem inneren Auge
gesehen und enthalten Erinnerungen, die im Unterbewusstsein der Menschen seit Millionen von Jahren gespeichert sein müssen. Ein oberflächlicher Beobachter würde solche Bilder wahrscheinlich als surreal
bezeichnen, aber diese Bilder haben keine Tendenz, auf alogische, absurde Strukturen unserer Wirklichkeit aufmerksam zu machen.
Sie sind auch nicht geprägt von einer konstruktiven Raffinesse, mit der Maler wie Dali oder Magritte ihre Bilder gestaltet haben, sondern sie enthalten Spuren des elementaren Lebens selbst, sind Botschaften aus den Tiefenschichten der Natur und der in ihr wirkenden Energie.
Zu diesen Bildern gehören meiner Meinung nach folgende: Notturno
, „Heidekate,
Der unheimliche Gondoliere,
Der Wassermann und das Mädchen,
Der Fluss des Lebens,
Das Erbe von Adam und Eva".
Sie teilen uns wesentliche Strukturen eines elementaren, naturbestimmten Daseins mit. Ich kann solche Strukturen nur ahnungsvoll erfassen und bruchstückhaft in Worte kleiden. Aber ein Bild wie Notturno
scheint mir viel von der Einheit der Menschen mit dem Kosmos zu erzählen, wie sie frühere Völker, die Sumerer, die Ägypter, die Mayas empfunden haben. Die Verbindung der Erde mit dem Universum haben diese Völker in der Anlage ihrer Städte und der Form ihrer Heiligtümer zum Ausdruck gebracht. Besonders stark haben sie diese Verbindung empfunden, wenn sie die Sterne und die Sonne beobachtet haben. Sehr wahrscheinlich haben sie schon die Wirkung des Mondes auf Ebbe und Flut und der Sonne auf das Wachstum der Pflanzen und die Stimmung der Menschen bemerkt. Daher haben sie beide Himmelskörper nicht selten als Götter verehrt und auch die Zeitmessung mit ihren Phasen verbunden.
Das Bild Notturno
scheint solche Zusammenhänge zu veranschaulichen. Die Szene ist nächtlich. Der Mond erscheint personifiziert durch einen Frauenkopf, der die obere Bildmitte beherrscht. Unter diesem Kopf versammelt sich eine bunte Menschenmenge, deren Mitglieder wahrscheinlich zwei Sippen angehören. Ihre Vorstände, zwei in lange, altertümliche Gewänder gekleidete Männer, verhandeln im Angesicht des Mondes friedlich miteinander.
Die Feierlichkeit der Umstände legt die Vermutung nahe, dass sie über elementare Lebensinteressen (wie die wechselseitige Verheiratung von Kindern oder die Abgrenzung von wirtschaftlichen Interessensphären) miteinander reden.
Einen Hinweis auf die Tragweite ihrer weitreichenden Handelsvereinbarungen gibt auch das Meer oder der See, an dessen Ufer die Versammlung stattfindet und in dessen nachtdunklen Wellen sich die Silhouetten der Personen spiegeln. Das Bild erscheint mir wie eine Botschaft aus versunkenen Zeiten, als das Leben noch auf die wesentlichen Dinge beschränkt war und eng mit der Sippe oder dem Stamm, zu dem man gehörte, verbunden war. Die Menschen wurden von der Vorstellung beherrscht, dass alle Lebensvorgänge im ständigen Zusammenhang mit dem Leben der Natur und dem kosmischen Geschehen stünden. Zwar stehen sie im Wesentlichen immer noch in diesen Zusammenhängen, aber damals war es den Menschen noch bewusst und wurde von ihnen als der Wille einer göttlichen Macht respektiert.
Heidekate, 1989, 103x54 cm, Mischtechnik
Auch das Bild Heidekate
gehört zu dieser Serie. Das Bild verblüfft durch die Zusammenstellung scheinbar nicht zusammengehöriger Bildgegenstände. Die auffälligen Bildgegenstände sind der magisch leuchtende Kopf einer ägyptischen Sphinx, der wie ein Himmelskörper in der linken oberen Bildecke hängt, die verkleinerte Silhouette des Kölner Doms, die schwarz aus der dunklen Hügelkette im Hintergrund herausragt, und eine im rechten Mittelgrund stehende bescheidene Heidekate. Obwohl auch der magische Kopf der Sphinx durch einen schmalen Halsstreifen mit der Hügelkette verbunden ist und die Fundamente des Kölner Domes in dem Hügel zu liegen scheinen, wirken beide Bildzeichen unpassend und fremdartig in ihrer Umgebung. Dagegen scheint die Heidekate harmonisch eingebettet zu sein in die Umgebung von bunten Wiesen, gelben Feldern und grünbelaubten Bäumen. Scheinen die über die Erde hinausweisenden Bildzeichen (Sphinx und Dom) beängstigend und fremd, indem sie von der Erde wegstreben und übermenschliche wie überirdische Ziele und Kräfte repräsentieren, so scheint die Heidekate einen Ort der Stabilität, der Geborgenheit und maßvoller Menschlichkeit zu versinnbildlichen. Auch sie weist mit der Spitze ihres Daches in den Himmel, der hier als ein Symbol für jenseitige Wirklichkeiten gelten kann.
Aber hierdurch soll eher eine Verbindung zu ihnen gemeint sein als eine Gleichsetzung mit ihnen oder eine totale Hingabe an sie, wie es