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Und Frösche können fliegen
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eBook339 Seiten4 Stunden

Und Frösche können fliegen

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Über dieses E-Book

"Über den Wolken bin ich frei, denn da scheint immer die Sonne."
Als Fluglehrerin an der väterlichen Flugschule in der Fränkischen Schweiz kann Hanne fliegen, wann immer sie möchte. Doch nicht allen Sorgen am Boden kann man davonfliegen: Die Flugschule schreibt rote Zahlen und dann zerbricht auch noch Hannes Beziehung.
Hanne wäre nicht Hanne, wenn sie sich davon unterkriegen lassen würde. Erst einmal muss sie sich um die Flugschule kümmern. Ein Traumprinz wird sich dann schon finden. Hauptsache, er liebt die Fliegerei so wie sie. Oder lieber doch nicht?
Ein Roman über die Liebe zum Fliegen, das Glück und das Leben drumherum.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum10. Apr. 2020
ISBN9783752939231
Und Frösche können fliegen
Autor

Maja Christ

Maja Christ lässt sich nicht so schnell die Laune verderben. Langeweile kennt die Autorin nicht. Sie liebt ihre Familie, die Fliegerei und das Schreiben. Und Löwenzahn. Der kann an den unmöglichsten Stellen wachsen, Bienen fliegen total drauf ab und was ebenfalls schön fliegt, sind die Samen der reifen Pusteblumen.

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    Buchvorschau

    Und Frösche können fliegen - Maja Christ

    1

    Der Wind pfiff unbarmherzig durch die Ritzen des Hangars und rüttelte an den Toren. Meine Finger waren bereits taub vor Kälte und konnten kaum noch die Schraube halten, die ich gerade festzuziehen versuchte.

    »Mach schon, du dummes Ding«, flüsterte ich mit zitternder Stimme. Doch statt sich festziehen zu lassen, kullerte die Schraube irgendwo unter das Flugzeug, an dessen Fahrwerk ich hier gerade herumwerkelte. Der Schrotthaufen, wie mein Freund Sven es nannte. Das war nicht besonders freundlich, auch wenn der jetzige Zustand die Bezeichnung Flugzeug vielleicht tatsächlich infrage stellte. Aber der Doppeldecker aus den 1930er Jahren war einmal ein Flugzeug gewesen und sollte auch wieder eines werden. Mein Focke-Wulf FW 44 »Stieglitz« war ein echter Glücksgriff für mich gewesen, denn es gab nicht mehr viele seiner Art und flugfertig waren noch viel weniger. Er war in keinem guten Zustand gewesen, als ich ihn vor ein paar Jahren ergattert hatte und in fast jeder freien Minute restaurierte ich ihn nun liebevoll oder organisierte Ersatzteile in Deutschland oder England oder sonst irgendwo. Im letzten Jahr hatte ich mit der Unterstützung eines befreundeten Bauprüfers und mit Bekannten bereits den gesamten Stahlrohrrumpf überprüfen lassen und restauriert. Jetzt war das Fahrwerk dran, dann die Steuerung. Bis mein »Vogel« wieder fliegen würde, lag noch ein Haufen Arbeit vor mir. Immerhin hatte ich bereits einen funktionstüchtigen Motor: Das Herzstück meines Flugzeugs – ein 7-Zylinder-Sternmotor – stand, bedeckt mit einer Plane, auf einem Bock an der Seite.

    Wenn Sven etwas regelmäßiger helfen würde, könnte es viel schneller gehen. Aber mein Freund hatte kein Interesse daran, nachdem er mitbekommen hatte, wie viel Arbeit das bedeutete. Und wie kalt es in diesem Hangar im Winter wurde. Was mein kleiner Petroleum-Ofen an Wärme spendete, war kaum der Rede wert. Vielleicht hätte ich mir eine Art Zelt bauen sollen, damit die Wärme sich nicht so schnell in der Halle verflüchtigte. Langsam fragte ich mich, was ich bei den Minusgraden überhaupt hier tat. Jeder vernünftige Mensch würde an einem Samstag im Februar auf dem Sofa sitzen, vielleicht Kakao trinken und ein gutes Buch lesen oder mit dem Partner kuscheln. Nur Verrückte lagen auf einem kleinen Stück Pappe auf kaltem Betonfußboden in der hintersten Ecke eines Hangars. Na ja, und Piloten vielleicht. Als Pilot war man ja auch immer ein wenig verrückt – zumindest verrückt nach Fliegen und Abenteuer …

    Ich seufzte. Tatsächlich hatte ich mir für heute auch eine andere Freizeitbeschäftigung gewünscht. Doch Sven hatte es vorgezogen, den Vormittag im Fitness-Center zu verbringen. Da war ich kurzerhand zum Erlanger Flugplatz aufgebrochen. Bald würde ich kapitulieren. Aber das hier schaffte ich noch. Ich drehte mich, um die Schraube zu suchen. Dabei fiel mir auch noch der Schraubendreher aus der Hand. Kein Wunder, meine Finger waren wirklich schon steifgefroren. Ich angelte mir eine neue Schraube und hielt Ausschau nach dem Schraubendreher.

    Ein Knall ließ mich zusammenzucken. Eiskalte Luft kroch über den Boden – als ob mir nicht schon kalt genug gewesen wäre. Jemand musste die Seitentür des Hangars geöffnet und nicht festgehalten haben. Wer kam denn außer mir bei diesem Wetter zum Flugplatz? Jemand fluchte, dann war die Tür wieder zu.

    »Hanne?« Das war Svens Stimme. Ich versuchte, mich aufzurichten und ein dumpfer Schlag traf meine Stirn. Ich hatte mir den Kopf gestoßen. Aua, das tat weh. Stöhnend ließ ich mich zurück auf den Boden sinken.

    »Hanne! Bist du hier?« Diesmal war der Ton schon leicht gereizt.

    »Hallo, Schatz! Ich bin hier hinten!«, rief ich und tastete nach meiner Stirn. Das würde eine hübsche kleine Beule geben.

    Sven bahnte sich leise fluchend seinen Weg durch den Hangar. Außer meinem Flugzeug standen in der Halle noch zwei weitere Flugzeuge, die auf Reparaturen warteten und von der Decke hing zwischen den Neonlampen der kaputte Rumpf eines alten Segelflugzeugs.

    »Hey, mein Schatz! Schön, dass du da bist«, rief ich.

    »Hallo, Hanne.« Sven beugte sich zu mir herunter und gab mir einen flüchtigen Kuss. Als er sich aufrichtete, musste ich lachen.

    »Was?«, wollte Sven wissen.

    »Du hast da einen Ölfleck auf der Nase!«, gluckste ich.

    »Na, von wem habe ich den wohl?«, presste Sven mürrisch hervor. »Du bist ja schließlich voll Schmiere im Gesicht.«

    »Hey, macht doch nichts. Hinten auf dem Werkzeugwagen sind saubere Tücher. Warum so mürrisch?«, fragte ich.

    »Na, vielleicht, weil ich mir Schöneres vorstellen kann, als mein Wochenende hier in dieser Eiseskälte zu verbringen. Ich wollte dich abholen, damit du hier nicht wieder ewig versumpfst. Ich habe schon mehrmals versucht, dich anzurufen. Aber du gehst ja nicht an dein Handy«, schimpfte Sven.

    »Oh, entschuldige, meine Tasche liegt im Büro«, antwortete ich. An mein Handy hatte ich gar nicht gedacht. »Ich muss hier nur noch etwas festdrehen, dann kann ich gerne Schluss machen. Wenn du ein bisschen hilfst, geht es sicher schneller. Magst du mir mal den Schraubendreher geben? Der muss da irgendwo zu deinen Füßen liegen.«

    Sven ging zum Werkzeugwagen, wickelte ein paar Tücher ab, rubbelte sich die Schmiere aus dem Gesicht und sah sich um. »Da sind bloß Splinte, Kabelbinder und Schraubenschlüssel. Aber keine Schraubendreher.«

    »Auf dem Boden, Sven. Da vorne, unter dem Werkzeugwagen.«

    »Du und deine Ordnung«, brummte Sven.

    »Der ist mir gerade weggerollt«, setzte ich zu meiner Verteidigung an.

    »Ah, ja.« Sven bückte sich, hob das Werkzeug auf und reichte es mir.

    »Danke!«

    »Hanne, du hast Eisfinger! Du holst dir hier echt noch den Tod.«

    Ich verkniff mir einen Kommentar. Sven war manchmal ziemlich mürrisch. Außerdem hatte er einen kleinen Ordnungsfimmel. Er war wie ich fast 30 und Sportpilot, aber im Gegensatz zu mir mochte er lieber modernere Maschinen. Nicht solche Oldtimer. Dabei war das Fliegen mit einem solchen Schätzchen viel echter als mit einem hochmodernen Flugzeug. Das war jedenfalls meine Meinung.

    »Dein Vater hat vorhin angerufen«, unterbrach Sven meine Gedanken.

    »Rudi?«

    »Hast du noch einen anderen?«

    Ich lachte. »Nicht, dass ich wüsste. Was wollte er denn?«

    »Er hat irgendein Problem mit den Abrechnungen. Anscheinend ist ihm das System wieder abgestürzt«, entgegnete Sven schulterzuckend.

    »Oh.« Ich hatte meinem Vater versprochen, ihm bei den Abrechnungen unserer Flugschule zu helfen, aber er hatte wohl nicht warten können.

    »Ich habe ihm gesagt, dass du ihn später zurückrufst.«

    »Okay«, sagte ich und widmete mich wieder meinen Schrauben.

    »Puh, ich bin komplett durchgefroren«, bemerkte ich, als wir in unserer Wohnung in der Erlanger Innenstadt ankamen. Ich zitterte am ganzen Körper und meine Zehen fühlten sich taub an.

    Sven brummelte etwas von »Ja, kein Wunder, aber wer nicht hören will …« und »Selbst schuld!«, doch ich ignorierte seine Anschuldigungen. Die war ich schon gewöhnt. Er würde sich gleich wieder beruhigen. »Ich nehme erst einmal eine heiße Dusche«, sagte ich, entledigte mich meiner Arbeitskleidung und sah ihm tief in die Augen. »Kommst du mit?«, fragte ich hoffnungsvoll.

    Sven schüttelte den Kopf. »Ich habe schon im Fitness-Center geduscht. Und jetzt habe ich Hunger.« Hunger. Das könnte seine schlechte Laune auch erklären. »Ich schnipple schon mal das Gemüse fürs Essen«, sagte er und drehte sich Richtung Küche.

    Die heiße Dusche war fantastisch. »Jetzt ist mir wieder wärmer!«, rief ich fröhlich. In mein Handtuch eingewickelt hüpfte ich pfeifend aus dem vernebelten Bad. Sven stand mit meiner Kleidung in der Hand auf dem Flur und funkelte mich böse an. Er mochte es gar nicht, wenn ich Kleidung oder irgendetwas anderes auf dem Flur verteilte. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen sah ich ihn an. Seine Muskeln zeichneten sich durch das enge Shirt ab. Er war in der letzten Zeit oft im Fitness-Studio und das sah man deutlich. Ein wohliger Schauer lief mir den Rücken hinunter. Ich wusste, wie ich ihn wieder besänftigen konnte …

    »Ich weiß da was, da wird uns noch wärmer«, sagte ich verführerisch und wollte ihn küssen. Nach dem Vormittag in der Kälte war heißer Sex doch genau das richtige. Sven sträubte sich und drückte mich sanft von sich weg. »Hanne, nimm es mir nicht übel, aber ich bin total fertig vom Gewichte-Stemmen.«

    Ich nickte enttäuscht. »Ja, das verstehe ich natürlich. Ich ziehe mir schnell etwas an und dann helfe ich dir mit dem Essen …«

    »Was hast du eigentlich mit deinem Kopf gemacht?«, fragte Sven, als wir am Küchentisch saßen.

    Unweigerlich strich ich mir mit den Fingern über die Stirn. Die Beule war nicht besonders groß, hob sich aber deutlich ab. »Ich habe mich an meinem Flugzeug gestoßen«, gab ich zu. »Vorhin.«

    »Sieht hübsch aus. Tut es arg weh?«, fragte er.

    »Nein, nicht mehr.«

    Sven stand auf und servierte sich noch etwas von der Gemüsepfanne, die auf dem Herd stand. Nachdem er sich wieder gesetzt hatte, sagte er: »Ich gehe mit Joe gleich noch nach Nürnberg ins Kino. Du kannst ja nicht, richtig?«

    Ich schüttelte den Kopf und nahm seine Hand. »Ja, leider. Ich muss noch ins Café.« Eigentlich jobbte ich dort selten am Wochenende, sondern vor allem unter der Woche. Doch Meli war krank und keiner der Studenten, die normalerweise am Wochenende aushalfen, hatte Zeit. Meli und ihr Ehemann Sami waren nicht nur die Besitzer des Cafés, sondern auch meine Freunde und da konnte ich sie doch nicht hängenlassen.

    Sven zog seine Hand weg und nickte. »Es wäre schön gewesen, wenn du dann zumindest heute Vormittag hiergeblieben wärst, anstatt auf dem Flugplatz abzuhängen.«

    Auf so einen Vorwurf hatte ich schon gewartet. Ich hätte kontern können, dass er schließlich zuerst was vorgehabt hatte und ich nur zum Flugplatz gefahren war, um nicht alleine in der Wohnung abzuhängen, aber ich hatte keine Lust auf Streit. Also sagte ich: »Es ist ja nur eine Ausnahme mit dem Café heute. Morgen haben wir den ganzen Tag Zeit für uns.«

    Sven zuckte mit den Schultern, zog sein Handy aus der Tasche und rief seinen Kumpel an, um die Uhrzeit festzumachen.

    Ich sah ihm hinterher, als er aus der Küche ging. Vielleicht ging es seiner Laune morgen wieder besser. Natürlich hätte ich heute Vormittag auf die Werkelei verzichten können, aber ihm war sein Body-Shaping schließlich auch wichtiger gewesen, als etwas mit mir zu unternehmen …

    Nachdem Sven gegangen war, rief ich meinen Vater an. Es dauerte nicht lange, bis er den Hörer abnahm.

    »Hey, Papa. Alles klar bei dir?«

    »Hallo, meine Prinzessin. Schön, dass du dich noch meldest. Hast du an einem Samstagnachmittag nichts Besseres zu tun, als mit deinem alten Vater zu telefonieren?«

    »Ach, Papa«, sagte ich. »Übertreib mal nicht. Das geht schon in Ordnung. Sven ist zu Joe gegangen. Sie wollen nachher noch nach Nürnberg ins Kino. Und ich muss gleich ins Café. Meli ist krank und hat gefragt, ob ich einspringen kann. Da kann ich doch nicht Nein sagen.«

    »Du kannst nie Nein sagen, Hanne. Hoffentlich wird dir das alles nicht zu viel. Und dann habe ich auch noch ständig Fragen und Probleme und brauche deine Hilfe.«

    Ich konnte meinen Vater zwar nicht sehen, aber ich konnte es mir bildlich vorstellen, wie er am anderen Ende der Leitung langsam nickte und sich mit der Hand durch den Bart strich. Das machte er immer, wenn er nachdenklich war. Er merkte das nicht einmal mehr.

    »Ach, Papa, alles gut. Mach dir keine Gedanken. Wobei brauchst du denn meine Unterstützung?«

    »Ich wollte die Abrechnungen für die Kunden schreiben und dann ist das Programm wieder abgestürzt. Jetzt ist alles durcheinander und ich weiß nicht, wie ich es wieder in die richtige Reihenfolge kriege, ohne alles neu eintippen zu müssen«, brummte er.

    »Papa, ich kann das doch machen«, sagte ich.

    »Du sollst aber doch nicht immer alles für mich machen, Kind.«

    »Ach, Papa«, sagte ich. »Soll ich auf dem Weg zum Café einfach kurz bei dir vorbeischauen? Vielleicht kann ich noch etwas retten. Und dann mache ich dir die Rechnungen morgen fertig. In Ordnung?«

    ***

    Es war dunkel und kalt und musste mitten in der Nacht sein, als ich wach wurde. Mit der Hand tastete ich das Bett ab, doch der Platz neben mir war leer. Durch den Türspalt schien Licht ins Schlafzimmer und aus der Küche waren Geräusche zu hören. Ich angelte mir den Wecker und versuchte, die Uhrzeit zu entziffern. Drei Uhr …

    Am Nachmittag hatte ich meinem Vater mit dem Computer geholfen. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Dabei machte es mir wirklich nichts aus, ihm zu helfen. Die restlichen Rechnungen hatte er mir dann mitgegeben. Im Café war kaum etwas los gewesen. Bei dem kalten Regenwetter hatte wohl niemand aus dem Haus gehen wollen. Oder die Leute waren ebenfalls ins Kino gegangen. Sven hatte irgendwann eine Nachricht geschickt, dass es spät werden würde und ich nicht auf ihn warten sollte. Wahrscheinlich war er gerade erst angekommen. Ich stand auf und tapste Richtung Küche. Er stand am Spülbecken und trank ein Glas Wasser.

    »Hey, mein Schatz.«

    Sven zuckte zusammen und drehte sich erschrocken um. »Hilfe, schleich’ dich doch nicht so an! Wieso bist du überhaupt noch wach?«

    »Jedenfalls nicht, um dich zu erschrecken«, verteidigte ich mich und murmelte: »Ich freue mich auch, dich zu sehen.«

    »Entschuldige, aber du hast mich gerade zu Tode erschreckt! Natürlich freue ich mich, dich zu sehen. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass du dich mitten in der Nacht in die Küche schleichst.«

    Ich küsste Sven. Er roch nach Alkohol. Morgen würde er wahrscheinlich einen ordentlichen Kater haben. Ich setzte mich auf den Küchentisch.

    »Magst du auch einen Schluck Wasser trinken?«, fragte Sven.

    Ich nickte. Während Sven mir ein Glas Wasser aus dem Hahn ließ, beobachtete ich ihn. Ich liebte diesen Anblick. Er war zum Dahinschmelzen. Wenn ich nicht so müde gewesen wäre, hätte ich Sven gefragt, ob er jetzt Lust auf mich habe.

    »Viele Grüße von Marcus und Caro«, sagte er und riss mich aus meinen Gedanken. »Sie waren im gleichen Film. Zufällig. Wir sind danach noch zusammen in eine Kneipe gegangen. War lustig.« Er reichte mir das Glas.

    Marcus war Fluglehrer an unserer Flugschule. Ein sympathischer Mittvierziger mit einem ziemlich coolen Motorrad. Ich mochte ihn gerne. Doch mit seiner Freundin Caro war ich noch nicht so richtig warm geworden. Nett war sie schon, nur hatte ich bei unseren wenigen Treffen das Gefühl gehabt, sie mochte mich nicht. Und dass sie sich für etwas Besonderes hielt. Sie war groß und ernst und sich ihrer Wirkung auf Männer durchaus bewusst. Während die Männer morgen nach der kurzen, alkoholreichen Nacht wahrscheinlich total zerknautscht aussehen würden und Bartstoppeln und eine Alkoholfahne hatten, würde Caro bestimmt trotz allem perfekt gestylt aus dem Bett steigen. Ohne Ringe unter den Augen und ohne einen einzigen Knoten in ihrem langen blonden Haar.

    »Worüber amüsierst du dich denn?« Sven musterte mich.

    Ich rutschte von der Tischplatte, küsste meinen Freund noch einmal und entgegnete: »Trink noch ein großes Glas Wasser, dann wird dein Kater nicht so schlimm. Und ich koche dir morgen einen starken Kaffee. Kommst du auch gleich? Ich bin hundemüde und muss dringend wieder ins Bett.«

    »Ich komme gleich nach«, brummte Sven und füllte sich sein Glas mit frischem Wasser.

    2

    Sven schlief und schlief. Irgendwann stand ich auf, kochte Tee und kuschelte mich mit meiner Tasse aufs Sofa. Der Regen hatte aufgehört und die Sonne schien fröhlich durch das Fenster. Ich überlegte. Sven würde noch eine Weile schlafen. Dann könnte ich genauso gut zum Flugplatz fahren und eine kleine Runde fliegen. Mein Mofa stand zwar noch neben dem Hangar, aber ich würde einfach Svens Auto nehmen. Weil es in der letzten Zeit so stürmisch gewesen war, war es eine Weile her, dass ich in der Luft gewesen war. Und eben hatten die Sonnenstrahlen, die meine Nase getroffen hatten, sofort wieder dieses Kribbeln ausgelöst. Es kam immer, wenn ich dringend in die Luft musste. Außerdem sollte es in wenigen Tagen schon wieder vorbei sein mit dem schönen Wetter.

    Ich nahm mir meine Luftfahrtkarte, die griffbereit auf dem Sofatisch lag und entfaltete sie ein Stück. Vielleicht sollte ich sie nachher in ihre Schublade zu den anderen Karten räumen. Ein bisschen mehr Ordnung schadete wirklich nicht. Mit dem Zeigefinger fuhr ich langsam über die Karte, obwohl ich die Gegend über Franken in- und auswendig kannte. Wohin könnte ich fliegen? Mit einem Flugzeug war die »große, weite Welt« viel näher. In weniger als vier Stunden war man auf Rügen. Mit dem Auto brauchte man doppelt so lang – wenn es keinen Verkehr gab. Das Meer … Sobald das Wetter etwas stabiler war, musste ich mit Sven unbedingt mal wieder ans Meer fliegen. Ich geriet ins Träumen.

    Die Leidenschaft für die Fliegerei hatten meine Eltern mir vererbt. In der Luft konnte ich schon immer alle Sorgen vergessen. Wenn ich flog, war ich glücklich und fühlte mich frei. Es war mir egal, ob ich mit einem Segelflugzeug unter den Wolken »herumturnte« und sie besang, mir neue Aufwinde zu bescheren oder ob ich in einem Motorflugzeug saß. Mit dem konnte ich auch über die Wolken steigen – dorthin, wo die Sonne immer scheint, egal, wie grau und verregnet es am Boden ist.

    Glücklicherweise war es nicht grau und verregnet und auch nicht mehr so windig wie am Vortag. Der Windsack, der hinter der Landebahn am Waldrand angebracht war, hing fast etwas verschlafen nach unten. Doch auch wenn die Sonne heute vom Himmel schien, war die Luft kalt. Mein Atem dampfte, während ich die Hallentore aufschob und unser Ultraleichtflugzeug aus der kleinen Halle zog. Sie lag direkt neben dem Vorbereitungsraum und dem Büro unserer Flugschule und beherbergte neben unseren Flugzeugen noch zwei Privatflugzeuge. Der Erlanger Flugplatz war ein kleiner Sportflugplatz mit einem kleinen Tower, einem Restaurant und drei Hallen. Der alte Hangar, in dem ich meinen Doppeldecker restaurierte, lag etwas abseits auf der anderen Seite des Platzes.

    Außer unserem Flugleiter Kristian und mir hatten sich an diesem Morgen nur ein paar Krähen auf den kleinen Flugplatz verirrt. Sie liefen neben der asphaltierten Landebahn über die Wiese und krakeelten.

    Das kleine Ultraleichtflugzeug sträubte sich zunächst, als ich den Motor starten wollte. Ihm war wohl auch noch kalt. »Komm, du schaffst das«, sagte ich leise, rieb meine Hände aneinander, zog noch einmal am Choke und gab etwas mehr Gas. Endlich brummte der Motor auf. »Na, bitte«, freute ich mich.

    Ich überprüfte die einzelnen Anzeigen und drückte dann auf den Funkknopf. »Guten Morgen, Kristian, die Delta-Mike-India-Mike-India und ich wollen ganz dringend in die Luft kommen«, sagte ich etwas flapsiger als sonst.

    »Na, Hanne«, antwortete unser Flugleiter fröhlich. »Dann will ich euch daran nicht hindern. Die Piste Null-Neun ist offen.«

    »Alles klar, Null-Neun«, wiederholte ich.

    Nachdem ich auf die Piste gerollt war, gab ich Vollgas, zog etwas am Steuerknüppel und erhob mich im Nu in die Luft. Dieser Moment war immer etwas ganz Besonderes. Egal, wie viele hundert Stunden ich bereits geflogen war, wie oft ich in meinem Leben schon ein Flugzeug gestartet hatte – dieses besondere Gefühl begleitete mich. Alles andere, was am Boden passierte, war sofort egal. Auch Svens schlechte Laune. Es gab nur noch den Himmel und die Wolken um mich herum. Die Erde unter mir wurde immer kleiner und alle Probleme, die dort unten sein konnten, ebenso.

    Zunächst flog ich an der nördlichen Waldkante des Tennenloher Forst entlang Richtung Eckental, weg von der Kontrollzone des Nürnberger Flughafens. Die Laubbäume waren noch kahl. Nicht mehr lange und es würde sich immer mehr frisches Grün zwischen das Braun des Winters mischen. Darauf freute ich mich bereits. Die Wolken waren an diesem Morgen nicht besonders hoch. Ich kurvte einmal um ein besonders hübsches Zuckerwatte-Exemplar herum. Bald stieg ich über die Wolken, die wie Wattebausche vereinzelt in der Luft hingen und es wurde empfindlich kalt im Cockpit. Ich stellte die Heizung an, die sofort warme Luft in dem kleinen Zwei-Mann-Cockpit verteilte. Einmal quer über die Fränkische Schweiz ging es weiter Richtung Oberpfalz, dann zurück über Ebermannstadt und den Flugplatz Burg Feuerstein. Hier war eine große Flugschule, an der ich schon einige Lehrgänge gemacht hatte, Streckenflug, Kunstflug und solche Dinge. Ab Ostern hatte ich mich für zwei Wochen als Schlepppilot einteilen lassen, um die Segelflugzeuge an den Himmel zu bringen. Ein anstrengender Job, wenn viel los war, aber ich freute mich riesig darauf. Über Funk grüßte ich den Feuersteiner Flugleiter, dann nahm ich Kurs auf das Walberla und flog zurück nach Erlangen.

    Als ich zu Hause ankam, fühlte ich mich pudelwohl. In der Wohnung war es still und ich lugte ins Schlafzimmer. Sven schlief immer noch tief und fest. Meinen Zettel mit der Nachricht, dass ich zum Flugplatz gefahren war, hatte er gar nicht gesehen. Die unerwartete Freizeit nutzte ich, um ein wenig aufzuräumen.

    Dann setzte ich mich an die Unterlagen, die mein Vater mir am Vortag gegeben hatte. Doch mit jeder neuen Rechnung, die ich in die Hand nahm, wurde ich nervöser. Seit letztem Jahr hatten wir in der Flugschule zwar drei Maschinen zur Verfügung, aber es waren nur wenige neue Flugschüler dazugekommen. Und jetzt im Winter war natürlich noch weniger los. Dann waren Fixkosten das Schlimmste. Die Versicherungen, die Instandhaltungskosten für die Flugzeuge, die Pacht für die Halle, all das konnte so eine kleine Flugschule auffressen.

    Bei unserer Cessna war bald eine Motorgrundüberholung fällig und auch bei unserem Ultraleichtflugzeug, einer C42, standen Wartungsarbeiten an. Eine weitere C42 gehörte Werner, einem unserer Fluglehrer. Auch bei Werners Maschine mussten wir uns an den Kosten beteiligen. Dafür konnten wir die Maschine für die Flugschule benutzen – so war der Deal. Ich kam aus dem Stöhnen gar nicht mehr heraus und die Entspannung des vormittäglichen Fluges verflog im wahrsten Sinne des Wortes. Wie sollten wir das alles bezahlen? Und wieso hatte mein Vater mir nicht früher schon erzählt, wie schlimm es um die Finanzen stand? Ach, Papa, dachte ich. Leidenschaft für die Fliegerei reichte nicht, um eine Flugschule am Laufen zu halten.

    Um nicht weiteren Grübeleien zu verfallen, beschloss ich, eine Pause zu machen und nach Sven zu schauen. Der schlief schon viel zu lange. Das würde, wenn er dann wach war, seine Laune nicht gerade heben. Und zu meinem Vater musste ich auch noch. Ich schob die Papiere beiseite, stand auf und ging ins Schlafzimmer.

    »Hallo, Schatz. Was macht dein Kopf? Besser?«, fragte ich leise und strich Sven sanft über den Kopf.

    »Hmgrpf …«, machte er.

    Ich kuschelte mich an meinen Freund. Er roch noch immer nach Alkohol. »Du, Schatz, ich muss gleich zu meinem Vater. Kaffee ist in der Küche.«

    Langsam wurde Sven wach. »Wie, zu deinem Vater?«, brummte er. »Ich dachte, du willst erst am Nachmittag zu ihm.«

    Ich schlang die Arme um Sven. »Ja, genau. Guck mal auf deine Uhr. Es ist gleich drei.«

    »Hanne!«, maulte Sven. »Warum hast du mich denn nicht früher geweckt?«

    »Habe ich ja versucht. Mehrfach. Dann habe ich erst einmal aufgegeben … Du, die Finanzen der Flugschule sind viel schlimmer, als ich dachte. Willst du vielleicht mitkommen?«

    »Nee, danke«, brummte Sven. »Das letzte, wofür ich jetzt einen Kopf habe, sind irgendwelche Finanzen deines Vaters. Oh Mann, hast du eine Kopfschmerztablette für mich?«

    Sven war noch nicht ganz wach und hatte Kopfschmerzen. Na prima. Meinen bissigen Kommentar schluckte

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