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Weiße Katze auf weißem Grund: Roman, Band 2
Weiße Katze auf weißem Grund: Roman, Band 2
Weiße Katze auf weißem Grund: Roman, Band 2
eBook253 Seiten3 Stunden

Weiße Katze auf weißem Grund: Roman, Band 2

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Über dieses E-Book

Drei Kater. Eine Neogräzistin. Eine malende Katze. Ein aus einer Hainbuchenhecke ragendes Bein. Die drei Kater diskutieren eine merkwürdige Mordserie, während sie von einer Parkbank aus über den Fluss schauen, gebratene Eismeergarnelen verputzen und die Frage klären, ob man Katzen zu den Tieren zählen kann.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum2. Jan. 2021
ISBN9783753142036
Weiße Katze auf weißem Grund: Roman, Band 2

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    Buchvorschau

    Weiße Katze auf weißem Grund - Ralf Steinit

    Eins

    Der Junikäfer kam mit der Morgendämmerung. Das Brummen des Käfers beunruhigte den Kater. Er hätte sich gern ein Stück vom Rand der Balkonbrüstung zurückgezogen, fürchtete aber, er könnte dabei beobachtet werden, wie er sich vor einem Käfer zurückzog. Es war niemand da, der ihn hätte beobachten können. Niemand befand sich auf dem Weg, der zum Ufer führte, und es stand auch niemand hinter einem der Fenster, die von der Brüstung des Balkons aus einzusehen waren.

    Auf der Balkonbrüstung des Hauses, das jenseits des Weges lag, erschien um diese Zeit gewöhnlich die weiße Katze. Eine weiße Katze mit blauen Augen und auffallend großen Ohren. Noch war die weiße Katze nicht auf die Brüstung des Balkons gesprungen. Sie konnte ihn nicht beobachten, wenn sie nicht auf die Brüstung sprang.

    Das Problem des Rückzugs vor dem Käfer barg für den Kater nicht allein die Gefahr, sich dem Hohnlachen eines möglichen Beobachters ausgesetzt zu sehen. Die Balkonbrüstung war die Länge eines Ziegelsteines breit. Ein Rückzug hätte bedeutet, mit den Hinterbeinen von der Brüstung zu rutschen. Er würde an der Innenseite der Balkonbrüstung hängen. Es war eine Frage des Hohnlachens und der Bequemlichkeit.

    Der Kater überlegte, ob sich ein Ausweichen zur Seite mit seiner Würde vereinbaren ließ. Es konnte keine geeignete Lösung sein, weil der Junikäfer inzwischen in einem unkalkulierbaren Schlingerkurs in Richtung der Brüstung flog. Er war nun so nah, dass der Kater die dreigliedrigen Fühler erkennen konnte, die Haare am Bauch und das unverschämte Grinsen unter den schwarzen Kulleraugen.

    Der Kopf des Katers wich vor dem anfliegenden Käfer zurück, während sich seine nach hinten gedrehten Ohren legten. Er bemerkte, dass sein Mund offen stand, wobei ihm das Entsetzen bei dem Gedanken, der Käfer könnte in seinem Mund landen, den Mund noch weiter öffnete. Der Junikäfer vollzog einen unvermittelten Kurswechsel, prallte gegen den Balkonpfeiler und stürzte auf die Brüstung, wo er wenige Zentimeter neben der Pfote des Katers liegen blieb.

    Wenn er die Pfote bedächtig gehoben hätte, um sie in aller Ruhe aus der Reichweite des Käfers zu bringen, würde ihm wohl niemand den Vorwurf machen können, er fürchte sich vor einem Junikäfer. Er wollte in dieser Hinsicht kein Risiko eingehen, möglicherweise saß die weiße Katze inzwischen auf der Brüstung und schaute zu ihm herüber. Aus den Augenwinkeln war der Balkon des Hauses auf der anderen Seite des Weges nicht deutlich zu erkennen. Er hätte den Kopf wenden können, doch er wollte den Käfer neben seiner Pfote nicht unbeobachtet lassen. Der Käfer lag auf dem Rücken. Es war ein Käfer von enormen Ausmaßen. Er schaukelte bei dem Versuch, sich zu drehen, und bewegte seine sechs Beine gleichzeitig. An den Schenkeln hatte er Borsten und etwas, das Zähnen ähnelte, ragte nahe des Gelenks aus den vorderen Schienen, während sämtliche Fußglieder in Doppelkrallen endeten.

    Der Kater wollte sich die Details des Körperbaus nicht einprägen. Er fürchtete, den grässlichen Schenkelborsten des Käfers in seinen Träumen zu begegnen. Solange sich der Käfer bewegte, konnte er den Kopf nicht in die andere Richtung drehen. Es war denkbar, dass der Junikäfer auf die Beine kam und mit seinen in Doppelkrallen endenden Fußgliedern über die gepflegte Pfote des Katers krabbelte, wobei der Kater die Gefahr zu spät bemerken würde, weil er gerade zum Balkon des Hauses jenseits des Weges schaute. Der Käfer mühte sich noch immer ohne Erfolg. Es war kein guter Morgen, wenn einen ein hässlicher Käfer bedrängte. Ein Käfer, der unfähig war, seinen Flug zu kontrollieren, und es nicht schaffte, sich aus einer Rückenlage zu befreien. Der Kater schob den Käfer zum Rand der Brüstung und stieß ihn über die Kante.

    Nachdem er den Käfer über die Kante gestoßen hatte, kam ihm die Befürchtung, dass er im Fallen die Flügel ausbreiten könnte, um sich in einem weiteren Torkelflug der Balkonbrüstung zu nähern. Die Befürchtung war unbegründet. Der Kater sah den Käfer auf den Terrassensteinen am Haus. Er schüttelte seine Benommenheit ab und verschwand zwischen den Halmen des Rasens.

    Der Kater war nahe daran, die Pfote, mit der er den Käfer über die Kante gestoßen hatte, zum Putzen an seinen Mund zu führen. Die Pfote war mit dem Käfer in Kontakt gekommen. Wenn er die Pfote putzen würde, müsste er seine Zunge über die Stelle führen, mit der er den Käfer berührt hatte. Es wäre, als ob er Käferspuren leckte. Er hatte mit seiner Pfote die borstigen Beine des Junikäfers berührt! Die Pfote musste unbedingt gründlich gereinigt werden. Seine eigene Zunge konnte er dazu unter keinen Umständen benutzen. Es schien eine ausweglose Situation zu sein. Der Kater sah sich um, als hoffe er, jemanden zu entdecken, der seine Käferpfote putzen würde.

    Die weiße Katze saß auf der Balkonbrüstung des Hauses jenseits des Weges. Sie konnte noch nicht lange dort sitzen. Vermutlich war sie gerade nach draußen gekommen, hatte in das frühe Licht geblinzelt und entschieden, dass es ein guter Zeitpunkt für den Sprung auf die Brüstung sein musste. Ihre Augen hatten das durchscheinende Blau eines südlichen Meeres. Die außergewöhnlich großen Ohren waren aufgestellt und zeigten nach vorn. An den Ohren wuchsen lange Pinsel. Die Pinsel hatten eine Länge, dass man glauben mochte, unter ihren Vorfahren müsse sich ein Luchs befinden. Es waren weiße Pinsel. Die Katze hatte ein weißes Fell, das sich fleckenfrei von den Ohren bis zu der schwarzen Schwanzspitze zog.

    Es war jeden Morgen der gleiche Ablauf. Die Katze beugte sich ein Stück über die Balkonbrüstung hinaus und ließ ihren Blick sorgfältig prüfend an den Häusern entlanggleiten, die eine ovale Freifläche einschlossen. Der Kater sah an der Haltung ihres Kopfes, dass sie angestrengt starrte. Ihre Augen wanderten zunächst über die Fenster der Häuser, die gestaffelt an der Uferlinie standen. Wenn sie beim dritten Haus angelangt waren, das im Scheitelpunkt des Ovals lag, wusste der Kater, dass sie auf seine Seite wechseln würde und ihn auf dem Balkon sitzen sah. Er hätte sich ihrem Blick entziehen können, indem er von der Brüstung sprang und nach drinnen ging. Es wäre auch möglich gewesen, ihr Starren zu erwidern, um deutlich zu machen, dass ihre Augen in sein Revier eindrangen, sobald sie den Weg, der zum Ufer führte, überquerten. Der Kater hatte sich aber bei der ersten Begegnung mit der weißen Katze dazu entschlossen, ihren Blick zu ignorieren. Im Grunde hatte er sich nicht dazu entschlossen, sondern spontan eine Haltung eingenommen, die den Eindruck erweckte, er wäre auf der Jagd nach Mäusen, die im Rasen unter ihm ihre Baue hatten. Genau so machte er es auch in diesem Moment. Er konnte nur hoffen, dass es im Rasen keine Mäusebaue gab. Durch den Kot der Mäuse wurden schreckliche Krankheiten übertragen. Der Kater hätte über den Mäusekot verseuchten Rasen nicht einmal in Gedanken gehen wollen. Er würde möglicherweise bereits krank werden, weil er die Grashalme, an denen der Mäusekot klebte, angeschaut hatte. Es wäre besser gewesen, den Rasen zu ignorieren und die weiße Katze anzustarren, bis sie vom Balkon fiel.

    Der Kater hatte wenig Freude an Rivalitäten, die mit endlosem Starren und gesträubtem Rückenfell einhergingen. Er praktizierte diese Form des Umgangs, weil es den Konventionen entsprach. Ein ausgedehnter Schlummer auf einem frisch gewaschenen Kaschmirpullover deckte sich eher mit seinen Vorstellungen von einem gelungenen Tag. Als der Kaschmirpullover noch auf der Fensterbank der kleinen Wohnung gelegen hatte, war es möglich gewesen, das Geschehen zu beobachten, ohne einer Gefahr ausgesetzt zu sein. Ein Junikäfer hätte ihm nichts anhaben können, er wäre höchstens gegen die Fensterscheibe geflogen. Der Kater hing gewiss keinen fortschrittsoptimistischen Theorien an, doch er hätte nicht gern in einer Welt gelebt, die kein Fensterglas und kein Penicillin kannte. Er würde den Schlaf auf dem Kaschmirpullover lediglich kurz unterbrochen haben, um sich ausgiebig zu strecken. Eventuell hätte er seinen Kopf in den Schatten geschoben.

    Den Platz auf der Fensterbank hatte ihm niemand streitig machen können, auch die beiden anderen Kater nicht, die in die kleine Wohnung gezogen waren. Es handelte sich um sein Revier und in seinem Revier gehörte die Fensterbank mit dem Kaschmirpullover ihm. Vor drei Wochen hatte Tamira damit begonnen, Bücher, Geschirr und Kleidung in Kisten zu verpacken. Der griechisch sprechende Mann war gekommen und hatte Tamira geholfen, die Kisten, den Schreibtisch und die Töpfe mit dem Basilikum aus der Wohnung zu tragen.

    Das Problem bestand darin, dass er nun nicht mehr behaupten konnte, er hätte die älteren Rechte. Er war zusammen mit den anderen Katern in der neuen Wohnung eingetroffen. Rechte an bestimmten Plätzen mussten erst verhandelt werden. Die Wohnung bot deutlich mehr Raum, sie hatte zudem einen Balkon, von dem aus man über eine Wendeltreppe nach unten gelangte. Das neue Revier nahm damit einen bedeutenden Umfang an, was nur beim ersten Hören nach einem wahr gewordenen Traum klang. Ein Revier von bedeutendem Umfang war mit Arbeit verbunden. Das Revier musste fortwährend kontrolliert werden. Reviergrenzen waren festzulegen. Es bestand die Möglichkeit, dass jemand die Reviergrenzen infrage stellte. Hatte man sich für ein Schläfchen zusammengerollt, trieb einen die Sorge um Eindringlinge gleich wieder hinaus. Unter jedem Busch konnte ein Waschbär lauern, während Wildschweine durch die Hecken brachen. Es gab in der Gegend eine große Zahl an Hecken und Büschen. Das Schlimmste aber war, dass sich der Kaschmirpullover nicht mehr finden ließ. Der Kater hatte mehrfach nach seinem Kaschmirpullover gesucht.

    Die weiße Katze drang zwar mit ihren Augen in sein Revier ein, schien aber die Hainbuchenhecke entlang des Weges zum Ufer als Grenze zu akzeptieren. Der Kater hatte sie bisher noch gar nicht außerhalb der Hecke gesehen, die das Grundstück des Hauses auf der anderen Seite des Weges einschloss. Die Augen der weißen Katze mussten längst weitergewandert sein. Vom Balkon, auf dessen Brüstung der Kater saß, über den Weg, die Hainbuchenhecke und den Rasen bis zu den Apfelbäumen, die neben dem Haus der weißen Katze standen. Wie kam diese Katze dazu, ihren Blick über ihn wandern zu lassen! Er war Didier de Marche. Er hatte zahlreiche hoch dotierte Fußballspieler dazu gebracht, lächerliche Frisuren zu tragen. Von seinen Bewunderern wurde er einfach der Mann genannt. Es ging um ihn, wenn es im Titel eines Liedes hieß: Listen To What The Man Said, Heʼs A Dangerous Man, The Man Comes Around, Sharp Dressed Man oder Heʼs All The Man That I Need. Er war der letzte der berühmten internationalen Playboys. Wie kam diese schlecht gelaunte Katze mit ihren meerfarbenen Augen und der lächerlich schwarzen Schwanzspitze dazu, ihren Blick über ihn wandern zu lassen! Er würde hinübergehen, um sie für ihr Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen. Er würde sie zwingen, seine Käferpfote zu putzen.

    Der Kater bemerkte, dass er die Pfote, mit der er den Käfer berührt hatte, in hoher Geschwindigkeit leckte. Er wusste, was eine Übersprunghandlung war. Wird der normale Ablauf einer Instinkthandlung durch Mängel der auslösenden Situation oder Auftreten eines Konflikts zwischen unvereinbaren Trieben gestört, kann die aufgestaute Triebenergie über ein in der Situation irrelevantes, zu einem anderen Instinkt gehörendes Verhalten abreagiert werden. Es konnte aber keine Instinkthandlung sein, schließlich hatte er den Gedanken gefasst, die unverschämte weiße Katze zu besuchen.

    Die Sonne erhob sich über der Halbinsel. In der Lücke zwischen den Häusern, durch die der Weg zum Ufer führte, sah der Kater mehrere Schwäne auf dem Wasser, die sich nahe des Bootsstegs treiben ließen. Der Himmel war vogelfrei. Die Kondensstreifen zweier Flugzeuge malten ein im Osten bereits zerfließendes Doppelkreuz. Aus dem Inneren der Wohnung kam ein Geräusch, als ob etwas über Holz geschoben würde. Einige Augenblicke später schienen schwere Gegenstände beim Herabfallen auf etwas Hartes zu treffen. Es folgte ein anhaltender Schrei in einer unangenehmen Tonhöhe.

    Tamira Heidbidder hielt sich die Stirn an der Stelle, an der sie der erste Band Karl Mendelssohn Bartholdys Geschichte Griechenlands: Von der Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453 bis auf unsere Tage getroffen hatte. Gleichzeitig versuchte sie, ihren Morgenmantel überzuziehen. Ludwig musste die Bücher, die auf dem Regal gelegen hatten, ein Stück bewegt haben, sodass sie ihr auf den Kopf gefallen waren, als er sie herabgeworfen hatte. Es war im Grunde nicht zu glauben. Ihr schien es zudem unglaubwürdig, dass ein Kater von Ludwigs Gewicht die Höhe des Regals erreichen konnte. Er war entweder aus dem Stand von der Matratze auf das Regal gesprungen oder hatte sich am Kopfteil des Bettes hochgezogen, um das schmale Kopfteil als Ausgangspunkt für den Sprung zu nutzen. Immerhin hielt das Regal, das sie zwei Tage zuvor über dem Bett angebracht hatte, einen Kater von Ludwigs Gewicht aus, ohne sich von der Wand zu lösen.

    Tamira schob einen Arm in den Ärmel des Morgenmantels und zog ihn zu ihrer Schulter, indem sie ihn mit den Zähnen am Kragen packte. Als ihre Finger wieder zum Vorschein kamen, nahm sie die Hand, die auf der Kopfverletzung lag, von ihrer Stirn und presste die Hand des Arms, der im Ärmel steckte, gegen die Wunde.

    Ludwig schaute sie ernst aus seinen smaragdgrünen Augen an. Er saß aufrecht am Rand des Regalbretts, während seine Pfoten das Brett umklammerten und ein Geräusch zu hören war, als würden Katzenkrallen gegen Holz schlagen. Der gewaltige Bauch trat zwischen seinen Beinen hervor. Er hing über die Kante des Regals, sodass Tamira bangte, die Schwerkraft könnte dem Kater zum Verhängnis werden.

    Sie ging in die Küche und wusch das Blut von der Hand, deren Arm noch nicht im Morgenmantel steckte. Nachdem sie auch diesen Arm in seinen Ärmel geschoben hatte, fand sie ein Taschentuch, das sie beim erneuten Wechseln der Hand zwischen die Fingerspitzen und die Kopfverletzung brachte. Ludwig war vom Regal gesprungen und ihr in die Küche gefolgt. Er schien kein Verständnis für eine längere Wartezeit zu haben, doch das Frühstück würde es erst geben, wenn ihre Wunde versorgt war.

    Das Pflaster, das sie auf ihre Stirn klebte, war nicht groß genug, um die gesamte Wunde abzudecken. Über den Pflasterrand verlief der Schnitt nach oben zu ihrem Haaransatz. Er verlor sich nach unten in ihrer Augenbraue. Immerhin tropfte das Blut nicht auf die Hühnerbruststücke, die sie auf drei Teller verteilte. Oskar war kurz nach Ludwig in der Küche erschienen. Didier kam durch die offene Tür vom Balkon herein.

    Ludwig roch an den Hühnerbruststücken auf seinem Teller. Tamira fürchtete, er würde am Geruch erkennen, dass die Stücke aus einer Dose stammten, die sie in einem Tierbedarfsladen gekauft hatte. Ludwig beschwerte sich augenblicklich und die anderen beiden Kater stimmten ein. Tamira war nahe daran, die Teller mit den Hühnerbruststücken einzusammeln, als ihr der Gedanke kam, es mit Öl zu versuchen. Sie holte das Rapsöl aus dem Küchenschrank und zeigte es den Katern, damit sie sich von der Qualität des Öls überzeugen konnten. Einen Teelöffel Rapsöl gab es für jeden Teller. Zu Tamiras Erleichterung akzeptierten die Kater die Hühnerbruststücke in Pflanzenöl.

    Ein wenig später stand sie mit einer Kaffeetasse in der Hand auf dem Balkon und schaute zu dem Haus auf der anderen Seite des Weges. Es war eine neobarocke Gründerzeitvilla. Nestoras hatte behauptet, dass ihm diese Villa merkwürdig vorkam. Tamira erschien die Größe für ein zweistöckiges Landhaus nicht ungewöhnlich und es machte auf sie keinen düsteren Eindruck. Nestoras hatte zu dem Giebelfeld über dem Balkon gedeutet und ihr erklärt, dass die Maße des Giebels übertrieben waren, wenn man die Maße des Hauses zum Vergleich heranzog. Zudem würde es sich um einen gesprengten Giebel handeln. Nestoras kannte seit Kurzem einige baustilkundliche Begriffe, weil er an der Übersetzung eines architekturhistorischen Textes arbeitete. Tamira war zu dem Schluss gelangt, dass er die Maße des Giebels lediglich deshalb in Zweifel zog, weil er neidisch war, kein so schönes Haus zu besitzen. Neben dem Haus befand sich ein kleiner Wald aus Apfelbäumen. Auf dem Weg hinter den Apfelbäumen war ein blauer Lieferwagen gefahren. Ein schnörkeliger Schriftzug hatte die gesamte Seite des Lieferwagens eingenommen. Nestoras war es nicht leicht gefallen, den schnörkeligen Schriftzug auf dem fahrenden Lieferwagen zu entziffern. »Galerie Luise«, hatte er schließlich gelesen.

    In der kleinen Wohnung hatte sie mit den drei Katern unmöglich bleiben können. Oskar und Ludwig waren an ein Haus mit einem weitläufigen Garten gewöhnt. Es hatte einige Zeit in Anspruch genommen, die Wohnung auf der Halbinsel Stralow zu finden. Tamira konnte sich die Wohnung nur leisten, weil ihre Doktorandenstelle eine Zweidrittelstelle war. Es gab zwei große Zimmer, eine

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