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Neubeginn: Ein Shreveport Thriller
Neubeginn: Ein Shreveport Thriller
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eBook423 Seiten5 Stunden

Neubeginn: Ein Shreveport Thriller

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Über dieses E-Book

In Shreveport, Louisiana, überschlagen sich einmal wieder die Ereignisse. Wenige Tage nachdem das Team um Captain Harper sich neu sortieren musste und Detective Hope Cromworth die Leitung übernommen hat, werden die Polizisten zu einem Tatort gerufen. Eine Frauenleiche mit mysteriösen Tätowierungen gibt zahlreiche Rätsel auf. Nicht genug, dass Hope auf der Abschussliste ihres neuen Vorgesetzten steht und Spielball übler Intrigen einer frustrierten Witwe wird, auch ihr neuer Kollege, der undurchsichtige Detective Christian Taylor macht ihr das Leben schwer. Immer tiefer führen die Spuren der Ermittlung in die dunkle Bandenszene im Untergrund von Bossier City und schließlich steht fest: Nur noch ein Undercover-Einsatz kann Licht ins Dunkel bringen. Doch bei aller Planung haben die Polizisten nicht mit den fatalen Folgen gewissenloser Brutalität und unstillbarer Machtgier gerechnet. Werden sie diese Leichtsinnigkeit am Ende bereuen?
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum29. Okt. 2018
ISBN9783746774978
Neubeginn: Ein Shreveport Thriller

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    Buchvorschau

    Neubeginn - Stephanie Carle

    Neubeginn

    Neubeginn

    Prolog

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Neubeginn

    Für K. E. F.

    Nothing lasts forever

    even cold November Rain.

    (Guns ’N Roses)

    Prolog

    „Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden. Aber ich glaube, es ist vielmehr so, dass man mit der Zeit einfach lernt mit dem Schmerz zu leben.

    Die Vergangenheit hinter sich zu lassen, ist ein unmögliches Unterfangen. Irgendwann holt sie einen immer ein, ganz gleich wie schnell und wie weit man floh.

    Ich bin also nach langer Zeit wieder zu Hause und meine Vergangenheit ist präsenter denn je. Ich lebe mit ihr, lebe mit dem Schmerz. Jeden Tag aufs Neue.

    Die einen sagen, aus Fehlern lernt man, und die Erlebnisse, die wir machen, formen uns und lassen uns zu dem Menschen werden, der wir sind. Aber was ist, wenn ich dieser Mensch überhaupt nicht sein möchte?

    Die anderen sagen, dass man nicht aufgeben soll. Alles folgt einem Plan und die Situationen, in die das Leben uns stellt, müssen wir meistern. Dann wird alles besser.

    Wie ich mir die Zukunft vorstelle, kann ich nicht sagen. Ich war nie gut im Lernen oder Meistern.

    Ich muss damit leben, dass ich einen Menschen auf dem Gewissen habe, dass ich sie umgebracht habe, dass sie nie mehr zurückkehrt und dass sie vielleicht noch am Leben wäre, wenn es mich nicht gäbe.

    Das ‚vielleicht‘ kann ich streichen.

    Ob ich mir wünsche, an ihrer statt gestorben zu sein?

    Jede Minute meines armseligen Lebens und mit jeder Faser meines müden Körpers!

    Doch dieser Wunsch kann niemals Realität werden. Wir können unsere Rollen nicht tauschen, dem Schicksal kein Schnippchen schlagen, auch wenn wir uns noch so sehr danach sehnen. Wir sind, wer wir sind und wie die Vergangenheit uns geformt hat. Wir leben mit dem, was wir sind und was unsere Entscheidungen aus uns gemacht haben. Damit müssen wir zurechtkommen. Zumindest in dieser Hinsicht behalten sie Recht, die klugen Sprichwörter und die klugen Menschen, die diese klugen Ratschläge parat halten.

    Ich bin also zurück.

    In der Stadt der Sünde.

    Ein Scheiß-Gefühl!

    Warum ich Shreveport Stadt der Sünde nenne? Weil ich sie kenne!

    Nicht die atemberaubenden Wolkenkratzer in der City oder die idyllisch angelegten Parks, in denen glückliche Kinder aus intakten Familien auf Spielplätzen toben. Nicht die mondänen Kaufhäuser in der Shopping Mall oder die faszinierende Fensterfront des Flughafens. Ich meine auch nicht den Golfplatz im Norden der Stadt, an dem sich jeden Sommer die High Society zum Spielen trifft.

    Dort, wo ich aufgewachsen bin, in den tiefen Abgründen dieser Stadt, habe ich ihr wahres Gesicht kennengelernt. Ihre angsteinflößende, einschüchternde Fratze, bereit jeden zu verschlingen, der sich nicht zur Wehr zu setzen weiß. Meinen Dad… meine kleine Schwester und schließlich auch meine Mom. Wobei diese sich noch am besten mit dieser Stadt anfreundete, nämlich indem sie ein Teil dieser unendlichen Flut der Sünde wurde…

    Themawechsel.

    Ich denke nicht mehr an sie. Ich erlaube mir nicht, an sie zu denken, seit ich sie auf dieser verschmutzten, verlöcherten, vermaledeiten Matratze gesehen habe, den Schwanz eines fremden Mannes im Mund, den eines weiteren im Arsch…

    Ich kann es mir überhaupt nicht leisten, an sie zu denken, denn ich muss leben.

    Ganz gleich, wie schwer mir das fällt.

    Besonders seit…

    Nein, auch daran darf ich momentan nicht denken.

    Irgendwann ja. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, an dem ich die Stärke besitze, mit dem fertig zu werden, was sich im letzten halben Jahr zugetragen hat. Was ich getan habe. Und was nicht.

    Ich verschließe meine Gefühle zu einer Kugel und stelle sie in irgendeinem dunklen Winkel meines Gehirns ab. Das funktioniert, weil sie genauso dunkel sind, fallen sie dort nicht auf. Ich bin verdammt gut darin, meine Gefühle zu verbergen. Das ist eines der Talente, die mich diese Stadt gelehrt hat.

    Menschen sterben, weil der Tod Teil des Lebens ist. Wieder ein so kluger Spruch. Doch manchmal lassen sie etwas zurück, das durch ihren Tod keine Überlebenschance hat; es sei denn, es hat das nahezu unmögliche Glück, anderweitig Hilfe zu erhalten.

    Bei mir war das leider nicht der Fall.

    Schiefe Bahn.

    Taschendiebstahl.

    Kleinere Überfälle.

    Drogen.

    Die Gesellschaft erwartet nichts anderes von einem Menschen mit meiner Vergangenheit. Ich erwartete nicht anderes von mir. Und diese Stadt fand ein leichtes Opfer, an dem sie sich säugen konnte. Wie eine grauenvolle Bestie, die Spaß daran empfindet, ihr Opfer immer nur bis kurz vor der Bewusstlosigkeit zu quälen und es dann wieder soweit sich selbst regenerieren lässt, dass das Foltern wieder Freude macht.

    Trotz allem habe ich es geschafft.

    Weil ich ein anderer Mensch geworden bin.

    Ein vollkommen anderer.

    Innerlich.

    Äußerlich.

    Namentlich. 

    Ich habe sie verlassen, meine Peinigerin, die mich immerzu kleinhalten wollte, weil das das Prinzip ist, auf dem sie aufgebaut ist. Die Stadt der Sünde.

    Ich blickte nicht zurück. Nicht einen einzigen Tag. Keine Minute.

    Ich war frei. Die Welt lag mir zu Füßen. Alles schien möglich, alles erreichbar. Plötzlich lernte ich Gefühle kennen, die ich nicht verstecken und verdrängen wollte.

    Erfolg, Glück, Freude, Heiterkeit, Unbeschwertheit. Anerkennung. Ich war gut, in dem, was ich tat.

    Und dann kam sie. Die Liebe. Und sie erwies sich als noch grausamer als Shreveport es je zu mir gewesen war, denn ohne jede Vorwarnung riss sie mir mit eisigen Klauen das pochende Herz aus der Brust.

    Die Zeit ist meine einzige Verbündete. Auch wenn ich weiß, dass sie, entgegen dem, was der Volksmund ihr zugesteht, nicht alle Wunden zu heilen vermag, so macht sie es doch einfacher, mit dem Schmerz zu leben.

    Nachdem meine Schwäche mir einmal mehr das Genick gebrochen hatte, wurde ich versetzt. An sich nicht schlimm. Ich hätte ohnehin darum gebeten, gehen zu dürfen. Doch nun finde ich mich wieder hier, wo alles seinen Anfang nahm. Vor achtunddreißig Jahren…

    Ich weiß nicht, wie viele Leben ich habe und wie oft das Schicksal mich noch steinigen will, doch ich beginne zu begreifen, dass diese Stadt und ich nicht miteinander können. Aber auch nicht ohne einander. Sie ruft mich. Wir sind uns zu ähnlich. Beide leben wir mit der Sünde, die wir nicht loswerden können und selbst wenn es eine Möglichkeit gäbe, die Vergangenheit auszulöschen, würden wir es tief in unserem Inneren nicht wollen.

    Diese Stadt hat mich geformt und nun ist es an der Zeit, dass sie von mir geschliffen wird. Endlich habe ich den Mut gefunden, mich ihr zu stellen. Von Angesicht zu Angesicht.

    Denn letzten Endes bin ich jetzt nicht mehr vollkommen allein.

    Diese Tatsache macht mir zwar immer noch Angst, doch sie erfüllt mich gleichzeitig auch mit großer Hoffnung.

    Angst in die dunkle Nische!

    Hoffnung in den Vordergrund!

    Vielleicht ist dies meine Chance, diese Stadt in ihren anderen Schattierungen kennen zu lernen. Das glitzernde Blau des Teichs, an dem glückliche Eltern mit ihren glücklichen Kindern Enten füttern. Das saftige Grün der Bäume im Park, in deren Schatten glückliche Eltern mit ihren glücklichen Kindern auf Bänken sitzen und Bücher lesen. Das strahlende Gelb der Sonne, das die Spielplätze erwärmt, auf denen glückliche Eltern mit ihren glücklichen Kindern klettern und toben. Und es gibt noch so viel mehr, auf das ich mich freue – rot, orange, pink…

    Nur die schwarzen Schlunde werden wir meiden. Niemals soll sie wagen, mit ihren klebrigen Tentakeln nach diesem unschuldigen Wesen zu greifen.

    Ich bin der Mann mit der Sünde.

    Aber auch der, der gelernt hat zu kämpfen.

    Ich kenne dich, Shreveport – Stadt der Sünde. Kenne deine Tücken und Gefahren, deine Hinterhältigkeit, deine Fallen und Netze, die du für ahnungslose Fische ausgelegt hast.

    Du wirst sie nicht verderben, denn an mir kommst du nicht vorbei: Damals warst du die Stärkere, hast mich fortgejagt, als ich mich nicht mehr an deine Spielregeln halten wollte.

    Aber jetzt bin ich zurück. Gewachsen an meinen Fehlern und den Taten anderer, die gegen mich gerichtet waren. Gewachsen am Leben.

    Dieses Mal wirst du mich nicht bezwingen.

    Dieses Mal werde ich kämpfen.

    Und ich weiß, wofür.

    Ich bin zurück.

    Shreveport.

    Stadt der Sünde.

    Nimm dich in Acht.

    Ich bin zurück!

    Dies ist mein Neubeginn!"

    Kapitel 1

     Samstag, 31. Oktober, 12.00 Uhr

    Captain Harpers Beerdigung war eine schöne Trauerzeremonie gewesen. Schön, im Sinne von wertvoll für die Hinterbliebenen. Für die Menschen, die einen geliebten Mitmenschen verloren hatten, und von denen ließ Conrad Harper einige zurück.

    In der ersten Reihe hatten seine Frau – in schwarz gekleidet und mit schwarzem Schleier am schwarzen Hütchen – und seine beiden mittlerweile erwachsenen Söhne Platz genommen. Dahinter saßen die übrigen Verwandten und Freunde. Auf der anderen Seite erkannte Hope viele Officer, Detectives und höherrangige Polizisten des Shreveport Police Departments. Der Bürgermeister persönlich war anwesend und las eine Lobesrede, in deren Anschluss das Militär eine Ehrensalve abfeuerte. Alles, was Rang und Namen hatte, schien anwesend zu sein.

    Zum Klang von Näher mein Gott zu dir begleiteten die Trauergäste Conrad Harper auf seinem letzten Weg.

    Erde zu Erde; Asche zu Asche; Staub zu Staub.

    Eine Schippe Sand.

    Eine weiße Rose.

    Tränen zum Abschied.

    Beileidsbekundungen für Familie und Freunde.

    Hope hielt sich gänzlich im Abstand zu den übrigen Trauergästen.

    In einem schlichten schwarzen Kleid stand sie unter der großen Linde, die dem Friedhof seinen Namen gab, und trauerte dem Menschen hinterher, der für sie vielmehr gewesen war als ein guter Vorgesetzter. Es gelang ihr nicht, die Tränen zurückzuhalten und sie spürte, wie verletzlich der Verlust sie hatte werden lassen.

    Conrads Tod hatte sie in einen tiefen Abgrund gestürzt.

    Und sie wusste nicht, wie sie aus diesem Gefängnis wieder herauskrabbeln sollte.

    Es gab keine Leiter in Aussicht, an der sie hinaufklettern konnte; kein Seil, zum Hangeln; keine helfende Hand, die Hope aus diesem Elend ziehen würde.

    Lange nachdem die Trauergäste den Friedhof verlassen hatten, um entweder gleich nach Hause zu gehen oder beim üppigen Leichenschmaus den neuesten Klatsch und Tratsch auszutauschen, stand Hope noch immer unter der Linde und ließ die Gedanken und Erinnerungen vorüberziehen. So vieles, das sie mit Conrad teilte; so viele Momentaufnahmen, die unglaublich wertvoll waren. Seine letzten Worte hatten ihr gegolten.

    Du bist für mich die Tochter, die ich nie hatte. Ich liebe dich wie mein eigenes Kind. Du bist ein wundervoller Mensch, ein Spitzen-Detective, eine Klasse-Frau. Lass dir von keinem jemals etwas anderes einreden!

    Hope schob den Gedanken weiter, doch er erwies sich als hartnäckiger als die anderen.

    Langsam, aber stetig brach die Dunkelheit herein. Hope fröstelte. Sie war es nicht gewohnt, ein Kleid zu tragen und die dünnen Feinstrumpfhosen konnten nicht mit einer Jeans mithalten.

    Nachdem sie sich noch einmal versichert hatte, dass wirklich keiner mehr auf dem Friedhof verweilte, näherte sie sich Conrads Grab, das mit lockerer Erde zugeschaufelt und von zahllosen Blumenbouquets und Kränzen überhäuft war.

    Conrad hasste Blumen.

    Der Gedanke brachte sie zum Lächeln.

    Auf einem gigantischen Strauß dunkelroter Rosen prangte ein glitzerndes Herz: „So groß war die Liebe, dass selbst der Tod sie nicht beenden kann."

    Hope legte die Stirn in Falten. Sie kannte Mrs. Harper lediglich von größeren Dienstjubiläen, bei deren offiziellem Teil die Ehefrau des Captains stets zugegen war. Ansonsten hatte sie aus Conrads Erzählungen immer herausgehört, dass die Liebe zu ihm längst nicht so gigantisch war wie ihre Liebe zu Geld und Reputation. Und Conrad stellte eine geeignete Möglichkeit dar, an beides heranzukommen. Von seinen Söhnen hatte Conrad ebenfalls nicht oft gesprochen, doch er verbrachte seine Zeit stets lieber im Polizeipräsidium als zu Hause.

    Der Kranz des Shreveport Police Departments verabschiedete Captain Harper mit einem schwarzen Banner „In memoriam". Kühl und sachlich. Vermutlich erhielt er zum Gedenken daran, dass er sein Leben im Dienst geopfert hatte, eine silberne Ehrentafel im Eingangsbereich des Polizeigebäudes. Und Mrs. Harper und ihre Söhne eine Trauerkarte mit einer stattlichen Summe Witwenrente. Es hätte dieser Frau gar nichts Besseres passieren können…

    Hope rügte sich für ihre Gehässigkeit. Diese Gedanken hatten am Grab nichts zu suchen.

    Aus der Tüte, die sie mitgebracht hatte, holte Hope eine einzelne Sonnenblume hervor, die in strahlendem Gelb schillerte. „Das ist es, was du mir gegeben hast, Conrad. Sonne. Wärme. Jeden einzelnen Tag. Ich hoffe, von nun an schaffe ich es allein. Sie soll dich begleiten… Dad."

    Hope bettete die Blume an einer eigentlich unauffälligen Stelle am Rand des Erdhügels, doch durch ihre Fröhlichkeit verheißende Farbe sprang sie dennoch sofort ins Auge. Ein Skandal, eine von Lebendigkeit strotzende Sonnenblume auf ein Trauergrab zwischen dunklen, feierlichen Pflanzen zu drapieren. Hope konnte sich das Gerede lebhaft vorstellen. Daher hatte sie auch bewusst darauf verzichtet, ihren Namen zu hinterlassen. Conrad wusste, dass es ihre Art war, Abschied zu nehmen, und das allein zählte.

    „Du wirst mir ganz schön fehlen, murmelte sie unter Tränen und strich sich unsicher durchs Haar, das vom Wind ganz und gar zerzaust war. „Ich hatte mir das anders vorgestellt, weißt du. Dass du es bist, der mich in das neue Amt einführt, der mir seinen Platz übergibt und zu dem ich dennoch immer kommen kann, wenn ich nicht mehr weiter weiß. Der genervte Rentner, weil es ihn in den Fingern juckt, Verhöre selbst zu führen und knifflige Fälle aufzuklären. Weil du selbst alles am besten kannst. Ich habe dich so lieb, Conrad. Und ich verspreche dir, dass ich alles geben werde, dir eine würdige Nachfolgerin zu werden. Ich werde es nicht zu deiner Perfektion schaffen, aber ich gebe mein Bestes. Das schwöre ich dir!

    Samstag, 31. Oktober, 19.00 Uhr

    Es war die fünfte Wohnung, die er an diesem Tag besichtigte und da bisher nur Bruchbuden dabei gewesen waren, war Chris dementsprechend genervt. Elise saß in ihrem Kindersitz auf der Rückbank und kuschelte Klopfer, das blaue Kaninchen aus Walt Disneys Bambi.

    Chris verzog das Gesicht. Bambis Mutter stirbt. Wie kann man so etwas kleinen Kindern zumuten? Schlimm genug, dass es dieses Schicksal hin und wieder in Wirklichkeit gab. Er wusste nur zu gut, wovon er sprach…

    „Wollen wir, Süße?, fragte er und registrierte das leicht genervte Gesicht seiner Tochter. Ihr ging es offensichtlich nicht anders als ihm. Wer konnte es ihr verdenken? Wenn sie hier auch kein Glück hatten, dann bedeutete das eine weitere Nacht im Auto verbringen und darauf konnten sie beide nur allzu gut verzichten. „Sieht doch von außen schon mal viel besser aus als die letzten… Das war eine glatte Lüge, doch immerhin ein Versuch, sie aufzumuntern.

    Und auch sich selbst.

    Es wirkte weder bei Elise noch bei ihm.

    War ja klar.

    „Können wir nicht einfach wieder zurückgehen, Daddy?", fragte Elise.

    Chris seufzte. Nein, ich will nicht mehr zurück. Nie mehr. Zu viele Erinnerungen an… Zu viele… Und zu viele Menschen, die die Wahrheit kannten. „Ach Schatz, sagte er, „du weißt doch, dass ich hier einen Job habe. Deshalb müssen wir auch hier eine Wohnung finden. Milwaukee ist weit weg. Ich kann diese Strecke nicht täglich zurücklegen. Das klang auch für eine Vierjährige nachvollziehbar. Hoffte er jedenfalls.

    Nachdem er ausgestiegen war und das Haus näher betrachtete, musste Chris zugeben, dass es keineswegs vielversprechender aussah als die bisher besuchten. Wieder seufzte er. Es gab bessere und schlechtere Tage; dieser hier war eindeutig einer der schlechteren…

    An der Außenfassade des hellgrauen Hauses bröckelte der Putz. In dem, was wohl einmal ein Vorgarten gewesen war, standen die Überreste verwelkter Sonnenblumen zwischen ebenso hohem Unkraut und stacheligen Sträuchern.

    „Ich glaube, das ist ein Gespensterhaus, wisperte Elise. „Ich mag da nicht rein, Daddy!

    Ich auch nicht… Auch wenn Chris nicht an Gespenster glaubte, wirkte das Haus in der Tat abstoßend und bedrohlich. Ganz so, als wolle es sie wegschicken.

    „Keine Sorge, Prinzessin, sagte Chris in beruhigendem Ton, der absolut nicht zu seiner inneren Anspannung passte. „Gespenster gibt es nicht in Wirklichkeit.

    Hexen anscheinend schon.

    Jedenfalls drängte sich ihm der Verdacht auf, als die bucklige, alte Frau mit den silbergrauen, hochgesteckten Haaren auf sein Läuten hin die Tür öffnete. „Familie Taylor?, fragte sie und noch bevor Chris bestätigen konnte, winkte sie mit ausschweifenden Gesten: „Kommen Sie doch bitte herein!

    Es klang wie die Einladung ins Lebkuchenhaus…

    Elise griff nach seiner Hand, während sie eintraten. Im Inneren erwartete sie das genaue Gegenteil des Eindrucks, den das Äußere des Hauses erweckte. Die Möbel waren zwar alt, doch auf Hochglanz poliert. Kein Staubfussel benetzte die Bilderrahmen, aus denen verschiedene Gesichter sie den gesamten Flur entlang willkommen hießen. Keine Spinnweben wie in Geisterschlössern und auch keine Pfefferkuchen wie im Märchen.

    „Zur Wohnung geht es nach oben, erklärte die Frau und setzte bereits einen schwerfälligen Schritt auf die erste Treppenstufe, als sie sich besann und sich, über sich selbst schmunzelnd, zu ihnen umdrehte. „Verzeihen Sie meine Vergesslichkeit. Ich wollte keineswegs unhöflich scheinen. Ich bin Mrs. Weyler. Sie lachte herzlich und verlor im selben Augenblick jegliche Ähnlichkeit mit einer bösen Hexe. „Wissen Sie, das Alter ist heimtückisch… Manchmal vergesse ich einfach, mich vorzustellen."

    „Ich bin Elise, hörte Chris voller Überraschung seine Tochter plappern. „Hast du eine Katze?

    „Eine Katze?, wiederholte Mrs. Weyler freundlich. „Nein. Aber Greta, meine Nachbarin, hat einen kleinen Hund mit blauer Zunge. Wenn du möchtest, nehme ich dich bei Gelegenheit einmal mit. Der kleine RobRoy liebt Kinder und freut sich bestimmt, mit dir zu spielen.

    Ein Strahlen breitete sich auf dem Gesicht des kleinen, blonden Engels aus. „Au ja. Können wir gleich gehen?"

    Elise schien beschlossen zu haben hier einzuziehen. Chris war noch nicht so weit, wobei er zugeben musste, dass er auch keine große Lust verspürte, noch weiter zu suchen. Irgendwann wollte er ankommen. Zu Hause sein. Nicht mehr fliehen.

    „Vielleicht möchtest du dir zuerst dein Zimmer aussuchen", schlug Mrs. Weyler vor.

    Elise nickte und sie folgten der Vermieterin in das obere Stockwerk.

    Nachdem sie die Tür aufgeschlossen hatte, eilte sie zu dem großen Fenster in einem möblierten Wohnzimmer und schloss es hastig. Sofort verstummte der Autolärm, der vermutlich vom nahegelegenen Highway 71 herüberdröhnte.

    Die große blaue Couch, die das Wohnzimmer dominierte, wirkte keineswegs alt und antik wie die Einrichtung im Eingangsbereich gewesen war. Auch die hellen Schränke und der große Flachbildschirm waren alles andere als in die Jahre gekommen. „Mein Sohn ist zu seiner Freundin gezogen, klärte Mrs. Weyler sie auf. „Hat nix mitgenommen. Alles neu eingerichtet und dann kam diese Frau, sie winkte vielsagend ab. „Naja. Ich bin nicht gern allein. Mein Mann ist vor ein paar Jahren gestorben. Wenn Sie möchten, können Sie die Möbel gerne benutzen."

    Chris blickte sich um. „Danke", sagte er, obwohl er dieses großzügige Angebot kaum glauben konnte.

    Angrenzend an das Wohnzimmer lag eine geräumige Küche unter einer Dachschräge. Weiße Hochglanzfronten waren perfekt zur Raumform eingepasst, so dass jeder Winkel des verschachtelten Raumes ausgenutzt wurde. Spülbecken und Herd schienen nahezu unbenutzt.

    Darüber hinaus verfügte die Wohnung über ein Badezimmer mit Dusche und Badewanne und zwei weitere Zimmer, von denen sich Elise das größere als ihr Kinderzimmer erwählte. Das übriggebliebene Schlafzimmer war hellblau gestrichen und in der Ecke führte eine schmale Glastür hinaus auf einen Balkon mit Blick auf den hinteren Bereich des Grundstücks, wo auf geschätzten vierzig Quadratmetern eine farbenfrohe Wiese blühte.

    „Wenn Sie ab und zu den Rasen für mich mähen würden, kann Elise gerne dort unten spielen", sagte Mrs. Weyler, als sie Elises sehnsüchtigen Blick bemerkte.

    „Ich will hierbleiben, Daddy", erklärte Elise und gähnte herzhaft.

    Chris selbst war auch müde und diese Wohnung in der etwas abgelegenen Finn Street schien der absolute Hauptgewinn zu sein. „Wir würden die Wohnung nehmen, Mrs. Weyler."

    Die Frau nickte erfreut. „Sehr schön. Soll ich Ihnen eine Luftmatratze hochbringen bis Ihre Möbel ankommen?, fragte sie. „Umzugsfirmen sind manchmal so entsetzlich langsam.

    „Das wäre wirklich sehr nett", sagte Chris, verzichtete jedoch auf den Zusatz, dass überhaupt keine Möbel hierher unterwegs waren. Sie hatten alles zurückgelassen. Er brauchte nichts, das ihn an sein altes Leben zurückerinnerte. Hier in Shreveport sollte es einen Neubeginn geben. Noch einmal von vorn. Zweite Chance… Dritte Chance, verbesserte er sich und verscheuchte den Gedanken dann aus seinem Kopf.

    Montag, 02. November, 8.30 Uhr

    Chief Solomon Rice tat so, als wäre Hope überhaupt nicht im Raum. Unruhig trat sie von einem Bein auf das andere, während das Polizeioberhaupt in geschäftiger Hingabe diverse Blätterstapel sortierte.

    Wieso um alles in der Welt hatte er sie hereingebeten, wenn er eigentlich noch andere Dinge zu erledigen hatte? Draußen zu warten, wäre definitiv angenehmer gewesen.

    Unsicher, ob sie sich räuspern oder anderweitig um Aufmerksamkeit bitten sollte, warf Hope einen verstohlenen Blick auf die Uhr, die hier, wie in jedem anderen Raum des Präsidiums, über der Tür angebracht war. Schon sieben Minuten stand sie nutzlos hier herum und Chief Rice hatte ihr noch nicht einmal einen Stuhl angeboten.

    Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen und sagte: „Chief, ich…"

    „Sie sind noch nicht dran, Miss Cromworth", unterbrach Rice sie ruppig.

    Hope verstummte sofort. Sie war empört. Miss? Hatte sie gerade richtig gehört? Das war ja wohl die Höhe. Sie als Fräulein zu bezeichnen! Und das im Einundzwanzigsten Jahrhundert!

    „So. Jetzt wäre ich soweit, erklärte Chief Rice dann, bevor Hope sich noch mehr in die Frechheit seiner Bemerkung hineinsteigern konnte. „Ich komme ohne Umschweife zur Sache, dann erleichtern wir uns einiges, fuhr Rice gelangweilt fort, ohne Hope dabei eines Blickes zu würdigen. „Im Gegensatz zu Conrad – Gott hab ihn selig – bin ich nicht der Ansicht, dass das weibliche Geschlecht im Beruf eines Polizisten gut aufgehoben ist. Frauen gehören an den Herd und kümmern sich um Heim und Kinder. Er machte eine theatralische Pause, um seine Aussage wirken zu lassen. „Nun, da es bei Ihnen ja offenbar kein Heim mit Kindern gibt, er nahm seine Brille ab und musterte sie geringschätzend, „scheinen Sie wohl beschlossen zu haben, Unruhe in diese von Männern aufgebaute Ordnung zu bringen."

    Hope war sprachlos und schockiert. Sie fühlte sich um Jahrhunderte zurückversetzt, in eine Zeit, in der Frauen und Sklaven in etwa die gleichen Rechte hatten. War sie im falschen Film? Slapstick von primitivster Art. Das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein! Konnte ein Polizeichef sich wirklich solch eine frauenverachtende Meinung leisten? Und damit Erfolg haben?

    Frauenverachtend? Menschenverachtend! Arrogantes Arsch­­loch!

    Dennoch vermochte Hope nicht, etwas darauf zu erwidern. Zu viele Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. Das alles lief anders als erwartet. Mit Turbogeschwindigkeit in die falsche Richtung. Nur war sie nicht in der Lage, die Notbremse zu ziehen.

    Sollte das nun heißen, Chief Rice hatte sie hier einberufen, um ihr mitzuteilen, dass ein anderer Conrads Posten als Leiter ihrer Einheit übernehmen würde? Wer? Womöglich noch ein vollkommen Fremder?

    „Zu meinem großen Bedauern kannte auch Conrad meine Einstellung diesbezüglich und nahm mir das Versprechen ab, dass ich Ihnen eine Chance geben werde…" Rices Unmut über diese Sache stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, als ob er in Erwartung einer Zuckerstange stattdessen in eine saure Zitrone gebissen hätte.

    Hope zog die Augenbrauchen hoch. Und jetzt Klartext bitte!, hätte sie ihm gerne entgegengespien, aber das stand ihr nicht zu. Also schwieg sie weiter und harrte der Dinge, die da kommen mochten.

    Der Chief seufzte. „Da ich davon ausgehe, dass Ihnen früher oder später ohnehin ein Fehler unterläuft, ist es ja nur eine Zeitsache, die sie die – sagen wir Vertretung für Captain Harper übernehmen. Denn dass sie scheitern werden, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Alle Frauen in anspruchsvollen Positionen scheitern irgendwann. Und wissen Sie auch warum? Weil sie einfach nicht dafür gemacht sind, Verantwortung zu übernehmen!"

    Hope sog die Wangen ein und biss sich auf die Innenseite, um nicht zu platzen. Wieso stand sie immer noch hier? Wieso warf sie ihm nicht ihre Marke vor die Füße, sagte ihm, dass sie auf ihn und seine Einstellung scheiße und reichte unverzüglich ein Versetzungsgesuch ein?

    Weil es genau das ist, was er erreichen möchte, gab sie sich selbst die Antwort.

    „Was stehen Sie hier noch herum, Miss Cromworth?, schlug Rice nun einen harschen Ton an. „Haben Sie keine Arbeit? Unsere Unterredung ist längstens beendet. Sie kennen nun meine Einstellung Ihnen gegenüber. Fühlen Sie sich also beobachtet in allem, was sie tun und entscheiden. Ich werde jeden Schritt, den Sie machen, mit Argusaugen überwachen und seien Sie gewiss, dass ich nur darauf warte, dass Ihnen ein Missgeschick passiert. Falls sie noch darauf warten, dass ich Ihnen den Status eines „Captain verleihe, muss ich Sie leider enttäuschen. So lange ich hier das Regiment führe, wird keine Frau die Macht über ein Schiff erhalten. Und sei es auch nur ein kleines Paddelboot. Guten Tag, Miss Cromworth."

    Ein Team zu leiten, ohne einen höheren Status zu besitzen, war nicht einfach. Vor allem, da Hope die ganze Zeit über bereits auf gleicher Ebene mit ihren Kollegen zusammengearbeitet hatte. Sie waren praktisch eine eigene kleine Familie… Eine Familie, die nun zwei neue Adoptivkinder aufzunehmen plante.

    Hope blätterte durch die Personalakten, die vor ihr auf dem Schreibtisch lagen, ohne wirklich bei der Sache zu sein. Bei dem ersten Polizisten, Christian Taylor, handelte es sich zwar um eine Versetzung, doch Luke Dorians Antrag war eine Neubewerbung. Der junge Mann konnte zwar einige Jahre im Streifendienst vorweisen, doch verfügte er über keinerlei Erfahrungen in der Ermittlungsarbeit. Hope hätte eigentlich erwartet, dass ein älterer Detective ihr Team komplettieren würde, beziehungsweise dass man ihr als zukünftige Leiterin dieser neu zusammengewürfelten Einheit zumindest ein Mitspracherecht bei der Besetzung der offenen Stellen zukommen ließ.

    Dem war nicht so und sie konnte sich gut denken, auf wessen Mist das gewachsen war. Chief Rice würde ihr sämtliche Steine in den Weg legen. Soll er doch!

    Christian Taylor wirkte auf den ersten Blick vielversprechend. Beste Beurteilungen, top Leistungen… Seine Akte sah geradezu ‚frisiert‘ aus. Warum wird ein so hoch angesehener Top-Detective plötzlich versetzt? Milwaukee müsste alles daran gesetzt haben, ihn behalten zu können… Hope blätterte weiter, doch die gewünschten Erläuterungen blieben aus. Wenig Information, nur Lobesworte. Anscheinend war es dem Polizeipräsidium der größten Stadt Wisconsins ein großes Anliegen gewesen, diesen Kollegen loszuwerden. Das kann ja heiter werden.

    Hope blickte auf die Uhr. In zehn Minuten war das erste Meeting unter ihrer Führung angesetzt. Das erste Zusammentreffen des Teams seit Bertrams Selbstmord. Und Conrads Tod. Das erste Mal, dass sie wieder beruflich zusammenkamen. Es ging weiter. Auch ohne Conrad. Es muss… Auch wenn ich momentan nicht weiß, wie.

    Sie war absolut nicht vorbereitet auf dieses Meeting. Es war nicht so, dass Hope sich nicht den Kopf darüber zerbrochen hätte, was sie sagen und wie sie auftreten wollte. Doch richtige Worte wollten sich einfach nicht finden lassen. Es war einfach eine Scheiß-Situation; so hätte es jedenfalls Conrad ausgedrückt. Vielleicht war das der geeignetste Einstieg. Der, den Conrad gewählt hätte; der, der ihm aus der Seele gesprochen hätte. Hope schluckte. Die Erinnerungen waren schmerzhaft.

    Noch ein Blick auf die Uhr und Hope schlug die Akten zu. Auch wenn alles weitere sich ergeben musste und keiner Planung unterlag, so war sie sich doch zumindest sicher, dass sie bei ihrem unerwarteten Einstand nicht zu spät kommen sollte.

    Trotz dieses guten Vorsatzes war Hope die Letzte, die das Konferenzzimmer betrat. Adrian zwinkerte ihr aufmunternd zu, Grace lächelte traurig und Marc nickte zum Gruß. Hope vermied es absichtlich, sich auf Captain Harpers Platz niederzulassen. Vielleicht wenn sie eines Tages selbst Captain war, doch momentan fühlte es sich einfach

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