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Aufgeräumt: Eine Berlin-Social-Fiction
Aufgeräumt: Eine Berlin-Social-Fiction
Aufgeräumt: Eine Berlin-Social-Fiction
eBook163 Seiten2 Stunden

Aufgeräumt: Eine Berlin-Social-Fiction

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Über dieses E-Book

Berlin vor der Wahl: Weiter so mit dem Chaos oder Aufbruch in eine neue soziale Struktur? Der Protagonist N. Bohse hat sehr spezielle Ansichten darüber, wie man mit bestimmten Missständen aufräumen sollte. - Das stößt manche von seinen alten Freunden vor den Kopf, auch wenn sie ihm in der Problemanalyse widerwillig zustimmen müssen...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum20. Apr. 2021
ISBN9783753185873
Aufgeräumt: Eine Berlin-Social-Fiction

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    Buchvorschau

    Aufgeräumt - Stephan Schaar

    Stephan Schaar

    Aufgeräumt

    Eine Berlin-Social-Fiction

    © Berlin, 2020/21 verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes: Stephan Schaar | Manfred-von-Richthofen-Straße 169 | 12101 Berlin

    Covermotiv: Renée Strecker, Berlin

    Beratung: Noah Schaar

    Lektorat: Aaron Schaar & Noah Schaar

    1 Unrasiert und fern der Heimat, fern der Heimat unrasiert, summte Norbert und dachte, als ihm das bewußt wurde: Wieso muß ich immer an meinen Vater denken, der das immer mal vor sich hin gesungen hat, wenn wir gemeinsam unterwegs waren, auf dem Fahrrad oder zu Fuß, im Grunewald oder auf dem Weg zum Garten?  Vielleicht lag es daran, daß er für seine Verhältnisse heute ungewöhnlich früh aufgestanden war. Aber gar keine Frage: selbstverständlich hatte sich Norbert rasiert, extra sorgfältig sogar, und nach einer Tasse Kaffee im Stehen das Taxi bestiegen, das ihn soeben vor der Eingangshalle des Flughafens Willy Brandt abgesetzt hatte; die Uhr zeigte 7⁵⁰ Uhr - es blieben noch zehn Minuten bis zur planmäßigen Landung.

    Er betrat das Gebäude des BER mit forschenden Blicken: Wo kommt sie an? Aha, das schaffe ich locker. Dann aber hieß es warten, mehr als eine halbe Stunde. Noch 30 Minuten, bis wir uns endlich im wirklichen Leben wiedersehen nach - wie lange war das her? Ein paar Jahre + 1. Das Bonusjahr war in Wahrheit ein Malusjahr gewesen, ein verlorenes Jahr, weltweit; ihn und seinesgleichen hatte es noch vergleichsweise milde getroffen. Für andere war es um die nackte Existenz gegangen, und er kannte nicht wenige, die diesen Kampf gegen die Gesetze des Marktes und eine schwerfällig-bevormundende Politik verloren hatten.

    Gleich, als er am Blumen-Shop vorbeikam, war ihm ein kleiner, aber besonders stilvoller Strauß ins Auge gefallen, und er hatte sofort seinen hastigen Schritt abgebremst, um die Blumen zu erwerben; denn mit leeren Händen wollte er seine alte Freundin nicht in Empfang nehmen. Gleichwohl nahm er nun das Bündel in die linke Hand, um seine rechte frei zu haben und Masako besser in die Arme schließen zu können, wenn sie um die Ecke käme.

    Da, endlich - sie strahlte ihn schon von weitem an, als die Schiebetür sich öffnete und man bis zur Paßkontrolle blicken konnte auf die Passagiere, die auf dem Weg zur großen Halle nur noch den Zoll passieren mußten, ehe sie ganz angekommen waren.

    Nach der ebenso herzlichen wie langen Begrüßungszeremonie schlenderten beide zum Ausgang, doch statt in ein Taxi zu steigen, wollte die Japanerin lieber mit der S-Bahn fahren: Ich komme erst richtig in Berlin an, wenn ich mit der S-Bahn gefahren bin.

    Unterwegs nach Tempelhof berichtete die ebenso zierliche wie energische Frau von einem angenehmen Flug, dessen größter Vorteil für sie darin bestanden habe, etliche Stunden schlafend verbringen zu können. Dann und wann hob Masako ruckartig den Kopf, um konzentriert auf  Orte und Gebäude zu blicken, die ihre Aufmerksamkeit auf sich zogen - die einen, weil sie sich so wenig verändert hatten, daß die Japanerin diese auch nach Jahren mühelos  wiedererkennen konnte, die anderen, weil sie so zugepflastert waren mit Wahlplakaten in elektronischer oder papierner Ausführung, daß sie kaum zu identifizieren waren.

    Dann hielt der Zug im Bahnhof Tempelhof, und voller Ungeduld drückte Masako auf den Türöffnet. Eine weiter wäre näher, meinte Norbert; aber Masako hatte schon ihren Fuß auf den Bahnsteig gesetzt. Er folgte ihr mit den Koffern die Treppe hinab und bemerkte ihr Erstaunen, als beide die verkehrsreiche Straße erreicht hatten: Worüber wunderst du dich? In Tokyo kann man doch von der Straße essen - hast du immer gesagt, und ich fand das auch. Ich habe euch immer darum beneidet. Hier sieht es jetzt endlich halbwegs zivilisiert aus. Aber es ist leider nur eine Wahlkampf-Maßnahme. Wenn es nach mir ginge, dann würde richtig aufgeräumt.

    Die kleine Frau sah ihn verwundert an, insbesondere seinen angewiderten Gesichtsausdruck. War das noch derselbe Norbert, den sie aus gemeinsamen Studienzeiten kannte? Na ja - das war ja nun auch schon eine ganze Weile her, überlegte sie: Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts war Berlin nicht nur ein Drecksloch, es war obendrein von einer Mauer umgeben. Wie ein Zoo, wie ein Museum für seltsame Lebensweisen.

    Hierhin - also: in den Westen der damals geteilten Stadt - hatte es seinerzeit allerhand merkwürdige Menschen gezogen, angefangen bei den jungen Männern, die keine Lust auf Bundeswehr hatten, über entlaufene Schwabenkinder, die der Enge ihrer Heimatdörfer entgehen wollten (um nach dem Mauerfall in großstädtische Wohlstandsoasen wie den Kollwitz-Kiez zu fliehen) bis hin zu zahnlosen Obdachlosen, Suffkes und Junkies aus dem In- und Ausland, auch Prominente aus der Glitzerwelt des Rock ’n’ Roll darunter.

    Während Masako Kagawa ganz in Gedanken an damals versunken war und zugleich den Tempelhofer Damm beäugte, den sie in Richtung Platz der Luftbrücke entlanggingen, um dann aber doch in die Höppnerstraße abzubiegen, weil das nicht nur kürzer, sondern vor allem auch angenehmer war, hatte ihr Norbert ein paar Erklärungen zu geben versucht; doch seine Worte drangen nicht zu ihr durch.

    Entschuldige bitte: Was sagtest du gerade?, strahlte sie ihn mit jenem immer noch gewinnenden Lächeln an, dem er bisher nie hatte widerstehen können. Willst du behaupten, ihr hättet in Berlin kein Armutsproblem mehr, mit einem Mal?

    Das Problem mit der Armut ist global, das weißt du so gut wie ich, entgegnete Norbert, aber dem Problem mit den Pennern wird endlich bald nicht mehr ausgewichen.

    Ah, bekommen die jetzt alle ein Zuhause, und dann ist es gut, oder wie?

    So ähnlich. Die bekommen, also: wenn es nach mir ginge, - je nachdem, was genau für ein Problem sie haben - eine Therapie angeboten. Der Staat bezahlt das, damit sie wieder in ein geregeltes Leben zurückkehren können: ohne Alkohol, mit Arbeit, Nachbarschaft, Freunden - na eben das ganze Pipapo.

    Und schon sind sie weg von der Straße!

    "Und schon sind sie weg von der Straße, Tatsache. Denn wenn sie das Angebot ablehnen, werden sie, wenn es nach mir geht, in die Uckermark verfrachtet. Das heißt: Genau genommen werden alle erst einmal dorthin gekarrt, ob sie wollen oder nicht. Und dann haben sie die Wahl: Therapie und Rückkehr in ein mehr oder weniger normales Leben - oder sie vegetieren weiter vor sich hin.

    Aber dann nicht mehr auf eigene Faust, sondern unter Aufsicht und mit Betreuung.  Sie bekommen sogar den Fusel, wenn sie partout nicht davon lassen können - stell dir das so ähnlich vor wie die Methadon-Abgabestellen für Heroinsüchtige. Nur eben: Weit weg von der Hauptstadt. Damit schaffen sie sogar noch Arbeitsplätze in einer strukturschwachen Gegend!"

    Dieser Schlag in die Magengrube war heftiger, als Masako nach dem langen Flug vertragen konnte.

    Ein gedanklicher Schlagabtausch mit Norbert, ihrem einstigen Schöneberger WG-Genossen und Kommilitonen an der FU - er Jura, sie Soziologie - war zwar immer schon eine unterhaltsame Angelegenheit gewesen, die sie stets zu schätzen wußte. Aber nicht mit dem Jetlag und nach - wie viele Jahre waren das jetzt, fragte auch sie sich jetzt - nicht nach mindestens fünf Jahren, die sie sich nur per Skype gesehen hatten.

    Er wohnte jetzt im sogenannten Fliegerviertel - in grüner Citylage, wie es in der Maklersprache hieße. Nach der Scheidung von Marion hatten sie das gemeinsame Haus verkauft (was sollte er oder sie ohne Kinder auch  mit dem großen Kasten in Schmargendorf? ), und er hatte durch seinen Kumpel Wolfgang aus dem ARC den Tip erhalten, daß ein altes Mütterchen ohne Verwandte einen Käufer suche.

    Mit ihr war er sich dank seinem unwiderstehlichen Charme im Umgang auch mit älteren Damen rasch handelseinig geworden, und nach einem allerdings umfangreichen Umbau des alten Gemäuers zu einem Smart Home hatte er sich vor nunmehr drei Jahren in einer Nebenstraße dieser ruhigen Gegend niedergelassen, wie er es in Gedanken selbst nannte; mit über 50 ist man irgendwann nicht mehr der Unruhegeist, der man womöglich jahrzehntelang war...

    Schön hast du es hier, wirklich schön, lobte Masako die moderne und vor allem funktionale Einrichtung des nur zweistöckigen Hauses, das sie nun endlich in echt besichtigen konnte, wo es - wie zu erwarten war - ganz anders wirkte als auf Fotos oder per Skype-Kamera. Es verfügte neben einem Wohn- und einem Schlaf- sowie einem Arbeitszimmer lediglich über ein kleines Gästezimmer sowie zwei Bäder und eine von Künstlicher Intelligenz dominierten Küche, hatte aber auch einen Garten, in dem es nicht nur ein Swimmingpool, sondern auch eine Sauna gab; und das alles wirkte beileibe nicht so, als wolle ihr alter Freund mit seinem Wohlstand protzen, sondern machte lediglich den Eindruck, daß er sich leisten konnte, woran er Freude hat - und das gefiel ihr.

    Er lächelte versöhnlich: Wie spät ist es jetzt bei euch, 18 Uhr? - Ja, acht Stunden später als hier, gähnte sie und verabschiedete ihn mit Blicken nach oben.

    Erst als sie - ohne den Wecker gestellt zu haben - nach etwa anderthalb Stunden wieder erwachte, bemerkte sie, mit wieviel Liebe er das Gästezimmer für sie hergerichtet hatte: Nicht nur standen ihre Lieblingsblumen, ein buntes Arrangement aus Dahlien, in einer stilvollen Vase auf einer kleinen Jugendstilkommode, an der Wand sah sie auch ein offenbar reproduziertes Foto aus den bewegten 80er Jahren, das sie selbst zeigte und daneben Norbert mit Britta, seiner damaligen Freundin, und Nelson, den verrückten Chilenen, mit dem sie andauernd unterwegs gewesen war durch Clubs, die damals noch Discos hießen, privaten Parties in Dutzenden WGs und natürlich in Vorlesungen und Seminaren bei Hoppe, dem Soziologie-Guru, an dem kein Weg vorbei führte, wenn man etwas auf sich hielt.

    Sag mal, das habe ich ganz aus dem Blick verloren: Lebt der Hoppe eigentlich noch? Sie kam nur langsam die Treppe herab, denn auf dem Weg in das Wohnzimmer konnten sich ihre Blicke schwer von den geschmackvoll ausgesuchten Gemälden lösen, die im Treppenhaus hingen - abstrakte Malerei, Originale natürlich; aber der Name der Künstlerin R. Strecker sagte ihr nichts.

    Der ist schon eine ganze Weile tot. Mensch, das Studium ist über dreißig Jahre her, Masako! Der war doch Kettenraucher!

    Werden die neuerdings auch zwangstherapiert? Sie nippte an ihrem Tee.

    Die Abneigung gegen die Ideen zum rabiaten Umgang mit Obdachlosen, von denen Norbert beim Abholen erzählt hatte, war ihr wohl eine Spur zu deutlich anzumerken, so spitz, wie ihre Stimme jetzt geklungen hatte. Aber was hilft’s: Solche Methoden konnte sie nicht unkommentiert lassen.

    Dir scheint es wieder besser zu gehen. Freut mich, grinste Norbert. Was möchtest du heute machen? Möchtest du überhaupt etwas unternehmen? - Wir können gern auch den Tag zuhause verbringen."

    Masako mußte nicht lange überlegen: Jetzt wohnst du so nahe am Tempelhofer Feld - in der Amtssprache ursprünglich ‘Tempelhofer Freiheit’ genannt, warf er ein - da möchte ich gern ein wenig dort spazieren gehen.

    Er war einverstanden und schlug vor, einmal die nördliche Startbahn hinauf zu laufen und im Schillerkiez eine Kleinigkeit zu essen. Und dann sehen wir einfach weiter. Was hältst du davon? Masako lächelte und nickte; das genügte. Also schlenderten sie den Loewenhardt-Damm und die Paradestraße entlang, das war der kürzeste Weg zum Tempelhofer Feld, das sie direkt neben dem im Halbrund langgestreckten Flughafengebäude betraten.

    Masako staunte über die - für europäische Verhältnisse - Menschenmassen, die sich nicht eben drängten, aber dennoch zur ständigen Vorsicht gezwungen waren, denn neben Spaziergängern und spielenden Kindern gab es auch jede Menge ambitionierte Sportsleute unterschiedlichster Disziplinen und aller möglichen Stufen technischen Könnens - von Inline-Skater*innen über Radsport-Fans bis hin zum Kite-Surfing; dies war allerdings nur in besonders markierten Bereichen erlaubt, dafür aber für Außenstehende umso rasanter anzusehen und geradezu bedrohlich wirkend, wenn man sich auf dieses Terrain vorwagte und die Fahrzeuge auf einen zu rasten.

    Als sie das Feld auf der Neuköllner Seite verließen, mußten sie nicht mehr weit laufen, bis sie neben einer alten Kirche ein breites gastronomisches Angebot fanden, das ihnen auf Anhieb zusagte, so daß sie sich niederließen und Snacks bestellten. Beim Kaffee  angekommen, hielt Norbert die Gelegenheit für günstig, eine kleine Verteidigungsrede zu halten; denn er hatte, so stand zu befürchten, mit seinen lockeren Sprüchen Masako vorhin womöglich erschreckt. Das wollte er nun gern richtigstellen.

    "Du zweifelst hoffentlich nicht daran: Ich bin kein Rechter, war nie einer und werde auch nie einer

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