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Julie's Monsters
Julie's Monsters
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eBook317 Seiten4 Stunden

Julie's Monsters

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Über dieses E-Book

"Sorry, Bruder. Ich dachte, die neue Welt würde mich verändern. Aber böse Menschen ändern sich niemals."
Julie Mond

Julie Monds Leben ist beschissen, nicht nur wegen der Zombies, die Cherryhill und die Ostküste neu bevölkern. Seit sechs Tagen sitzt sie auf einem Schlauchboot fest und der Platzmangel und die fehlende Hygiene kratzen gewaltig an Julies Nervenkostüm.
Es bleibt nur ein Ausweg, wenn die Gruppe überleben will und der heißt: Schluss mit dem Unsinn und anlegen! Doch egal, ob zu Wasser oder zu Land, die Zombies sind hungrig und gieren nach Menschenfleisch. Die Situation scheint aussichtslos, wären da nicht zwei Fremde, die unverhofft ihren Weg kreuzen.
Sie erzählen von einer Zuflucht, Sicherheit, einer Chance! Ein verlockendes Angebot, dennoch bleibt Julie misstrauisch.
In einer Zeit, in der Menschen kaum noch von Monstern zu unterscheiden sind, soll es tatsächlich einen sicheren Ort geben? Während sich die Überlebenden mit Zukunftsplänen beschäftigen, ahnt niemand von der Gefahr, die bereits ein Teil der Gruppe ist.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum8. Apr. 2018
ISBN9783742742797
Julie's Monsters
Autor

Susanne Sievert

Ich bin Jahrgang 1983, Autorin und Self-Publisher, und lebe mit meiner Familie im schönen Hamburg. Hier entstehen meine Geschichten rund um Dark Fantasy und Horror. Sternstunde wurde erstmals 2015 veröffentlicht und 2017 freue ich mich über die Wiederveröffentlichung meines Erstlingsromans. Wer gerne Horror liest, kann sich auch an der Julie Mond Reihe erfreuen. Eine Dystopie bestehend aus den Bänden: Home sweet Julie, Julie's Monsters und Bloody Julie 2.0.

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    Buchvorschau

    Julie's Monsters - Susanne Sievert

    Widmung

    Für alle Überlebenden.

    Es geht immer weiter.

    Irgendwie.

    Was bisher geschah

    Nach der Nachricht über den Tod meiner Eltern reiste ich zurück in meine Heimatstadt Cherryhill. Es war der letzte Ort, an dem ich sein wollte, aber ich musste mich selbst von ihrem Tod überzeugen und außerdem freute ich mich auf ein Wiedersehen mit meinem Bruder Jules. Ich hatte ihn fünf Jahre nicht gesehen und ich fürchtete mich davor, dem Ort des Schreckens und unserer schmerzhaften Kindheit, alleine gegenüberzustehen. Er war nicht da und das Wiedersehen musste noch warten.

    Den Zeitpunkt meiner Rückkehr hätte ich nicht schlechter wählen können. Es war der Beginn des Weltuntergangs und was hatte ich im Kopf? Alkohol und Zigaretten ...

    Später am Tag traf ich in der Bar auf Bob Baker. Er war es gewesen, der Jules und mich damals aus unzumutbaren Verhältnissen befreit hatte, indem er uns beschäftigte und bezahlte. Ihm verdankten wir nicht nur unser Leben. Wir verdanken ihm so Vieles mehr.

    Ein Gedanke ließ mich niemals los: Ich musste Jules finden.

    Nach einem Telefonat mit meinen Bruder erhielt ich die Gewissheit, dass er sich am Hafen aufhielt und auf mich wartete. Unsere Gruppe versteckte sich in einem Bootshaus. Wir ruhten uns aus, lernten uns kennen und widerwillig gestand ich mir ein, dass nicht alle Menschen verabscheuungswürdig sind und meine Verachtung verdienen.

    Ein Leuchtturmsignal bedeutete unsere Rettung und gleichzeitige Verdammnis: Jules machte mit dem Licht auf sich aufmerksam und lotste unbeabsichtigt Scharen von Zombies vor unsere Tür. Die einzige Möglichkeit, nicht gefressen zu werden, bestand darin, in den kalten Atlantik zu springen und zu hoffen, dass Jules uns finden würde.

    Er rettete uns alle und unsere Geschichte nimmt nun weiter ihren Lauf.

    Albträume

    Das Leben ist beschissen, und dann geschieht etwas unfassbar Schreckliches – sagen wir mal, das Ende der Menschheit – und du denkst: Hätte ich mal auf Holz geklopft.

    Die Welt zieht an mir vorbei, während ich das Paddel locker ins Wasser halte und meine Gedanken um die letzten fünf Tage kreisen. Ich bin müde, grüble vor mich hin und wechsle nur selten ein Wort mit den anderen. Es ist besser für sie, denn in meiner momentanen Stimmung kann nichts Nettes aus meinem Mund kommen. Meine aufbrausenden Launen sind bekannt, aber meine Lunte ist mittlerweile so kurz, dass die Ausbrüche ganz neue Dimensionen annehmen. Daher ist es klüger, den eigenen Gedanken nachzuhängen, als seine Mitstreiter zu nerven.

    Mein Blick schweift über die kleine Gruppe von Überlebenden und trotz meiner schlechten Laune vergesse ich nicht, dankbar zu sein. Denn was wäre aus Jules und mir geworden, hätte Bobby uns nicht ein neues Leben ermöglicht? Auch jetzt, als Erwachsene, steht er beschützend an unserer Seite und will unser Überleben sichern.

    Hinter ihm sitzen Hank und Rob. Hanky Boy, dem ich im Musikgeschäft zum ersten Mal begegnet bin. Sein Blick ist starr geradeaus gerichtet und auch wenn wir keinen guten Start hatten, entwickelte sich doch eine Freundschaft zwischen uns. Auch meine Freundin Judith ist an Bord, die sich von meinen Launen am wenigsten abschrecken lässt. Ich lernte sie in Bobs Bar kennen. Geplant war ein gemütlicher Abend mit Tanz und viel Alkohol, aber stattdessen wurde die Bar von Zombies überrannt und Judith und ich rannten gemeinsam um unser Leben – bis zum heutigen Tag.

    Olivia wirft einen Blick über die Schulter und ich nicke ihr lächelnd zu. Das Mädchen hatte im zarten Alter von elf Jahren schon so viel Schlimmes erleben müssen ...

    Der Einzige, auf den ich gut und gerne verzichten könnte, ist Rob. Ein ekelhaftes Schwein, das nur mit uns im Boot hockt, weil er einen Haufen Waffen besitzt, die wir während unserer Flucht definitiv brauchen werden.

    Von all den Menschen an Bord kann nur ein einziger mein Gefühlschaos nachvollziehen, denn wir teilen seit unserer Geburt dasselbe Leid. Mein Bruder Jules. Er hat mich gerettet, und dass wir wieder als Familie vereint sind, grenzt an ein Wunder.

    Vor wenigen Tagen befanden wir uns noch auf einer Jacht, mit einem gewissen Komfort, den wir jetzt schmerzlich vermissen. Wir hatten alles, wovon man in einer Welt voller Zombies nur träumen kann. Gemütliche, weiche Betten, ein Badezimmer mit fließendem Wasser, eine Toilette mit der dazugehörigen Privatsphäre und an Deck bot sich eine Aussicht, die einem das Gefühl von Freiheit schenkte und leise flüsterte: Ja, du kannst es in einer Welt voller Zombies schaffen! Es gibt noch Hoffnung.

    Das alles haben wir so lange genossen, bis uns der Treibstoff ausging. Bei einer Jacht von dieser Größe dauerte das nicht einmal zwei Tage.

    Unser Vater hatte damals zu Jules und mir gesagt: „Von so einer Jacht können alle anderen nur träumen. Sobald das Schätzchen in Fahrt kommt, zieht es einem sekündlich die Dollarscheine aus der Tasche." Dabei hatte er sich die Schuppen von der Schulter gewischt und den Bund seiner Hose zurecht gezogen.

    Nachdem der Schock sich gelegt hatte, entbrannte eine heftige Diskussion. Bleiben oder nicht? Es war das Fairste, die Mehrheit entscheiden zu lassen und die wollte auf das Rettungsboot umsteigen und die Möglichkeit nutzen, bei der nächstbesten Gelegenheit an Land zu gehen. Jules bereitete das Boot vor, während wir anderen die notwendigsten Dinge zusammenpackten. Wasser, Essen und Waffen.

    Jetzt sitzen wir zu siebt auf einem kümmerlichen Schlauchboot. Rechts von uns sehen wir nur das Meer und links die Scharen von Zombies, die ihre Nasen in die Luft halten und unsere Ausdünstungen wittern. Bobby trinkt Rum und singt Seemannslieder, die bei den anderen für rote Ohren sorgen. Er vermisst seine Bar, seine Mädels und die gute alte Zeit, von der nichts mehr übrig ist.

    Nicht ganz. Ein Teilnehmer unserer Truppe erinnert mich unentwegt an einen düsteren Teil meines Lebens: Rob Thomsen. Der Mann, der dazu beitrug, unsere Kindheit zu zerstören, indem er seine perversen Neigungen an uns auslebte. Ich dränge die Bilder schnell zurück, bevor sie die Oberhand gewinnen und ich erneut durchleben muss, was damals mit uns unschuldigen Kindern geschah. Der widerliche Kerl sitzt zum Glück zwei Plätze vor mir und unter der Aufsicht von Bob, aber ich weiß, mir wird es erst besser gehen, wenn der Atlantik ihn mit Haut und Haaren verschlingt.

    Letztendlich sind wir uns alle einig, dass die Bootstour nicht lange dauern darf, denn wir müssen neuen Proviant suchen. Es war nicht möglich, all unsere überlebenswichtigen Besitztümer mitzunehmen. Im Gegensatz zu einer Jacht ist der Platz auf einem Schlauchboot begrenzt und in Zeiten wie diesen überlegt man sich dreimal, ob man eine Konserve einpackt oder doch lieber eine Pistole. Nahrung oder Schutz? Wir haben uns für den Schutz entschieden, denn Proviant können wir zur Not an Land finden.

    Am dritten Tag traf uns die Erkenntnis, dass es nicht ganz so einfach würde, das Boot zu verlassen und ans Ufer zu gelangen. Die gute Laune schwand und wurde durch Angst ersetzt, als wir die Menge der Zombies am Strand entlang schlurfen sahen. Es waren viele, sie waren überall und sie waren sehr hungrig. Ihr Knurren und Fauchen wehte zu uns herüber und als Rob ein paar Schüsse abfeuerte, schlug Hank ihm die Pistole aus der Hand. Ein Loch im Schlauchboot fehlte uns gerade noch zu unserem Glück, aber so weit reichte Robs Denkvermögen leider nicht. Wild fluchend stürzte er sich auf den armen Hank, der nicht wusste, wie ihm geschah. Bobby konnte das Schlimmste verhindern, aber dennoch machten die Drei solch einen Lärm, dass alle untote Aufmerksamkeit uns galt.

    Es war schwierig, die hungrigen Blicke zu ignorieren, und sie zehrten an unseren Kräften.

    Wir paddelten um unser Leben, denn nun gab es nur noch zwei Möglichkeiten: Paddeln und in der Nähe der Küste bleiben oder vom Atlantik mitgerissen werden.

    Uns war klar, dass wir nicht auf den offenen Ozean getrieben werden durften. Niemand wusste, wie viele Menschen außer uns überlebt hatten und auf Hilfe von außerhalb zählte ich persönlich nicht mehr.

    Das Schlauchboot wurde zu meinem Gefängnis, aber noch schlimmer als die Enge dieser paar Quadratmeter waren die langen, kalten und dunklen Nächte. Sobald wir eine Möglichkeit entdeckten, banden wir unser Boot mit Seilen an Bäumen oder Bojen fest und gönnten uns eine Pause.

    In der vierten Nacht fanden wir ein gutes Versteck unter einem Steg und Judith war fest entschlossen, an Land zu gehen. Gerade, als ich mit Begeisterung einstimmte, hörten wir die ersten knarrenden Schritte über unseren Köpfen und das altbekannte Fauchen und Ächzen der Untoten.

    Verfluchte Scheiße!

    Enttäuscht ballte ich die Fäuste und unterdrückte einen Schrei. Jules legte einen Finger auf die Lippen und deutete auf Olivia, die still und mit weit aufgerissenen Augen meine Hand suchte. Für ein elfjähriges Mädchen zeigte sie mehr Durchhaltevermögen, als ich aufbringen konnte.

    Die ganze Nacht lagen wir starr in unserem plätschernden Sarg und der Himmel und die Erde verschmolzen zu ein und demselben Gewirr aus Blut und Schmerzen. Unser Gestank zog noch mehr Zombies an, die alle nach Frischfleisch suchten und keine Anstalten machten, den Steg wieder zu verlassen. Stattdessen floss der Speichel aus ihren geifernden Mäulern und tropfte zäh durch die Holzspalten auf uns herab.

    Mit jedem Plopp würgte ich die Galle hinunter. Hank kotzte in sein Hemd und von ganz vorn hörte ich den Schraubverschluss einer Flasche und wusste, dass Bobby sich einen Schluck Rum gönnte. Rob war der einzige, der leise schnarchend und schmatzend schlief, während wir anderen mit Angst und Ekel kämpften.

    An Jules gelehnt nickte ich irgendwann doch ein und träumte von Robs Händen, die über meinen Körper glitten. Sie berührten meine Brüste, meinen Bauch, griffen zwischen meine Beine und wühlten sich durch mein Innerstes wieder nach oben. Schreiend wachte ich auf, fest davon überzeugt, Rob vergriff sich wie damals an meinem Körper, aber es war Jules, der mich festhielt und eine Hand auf meinen Mund drückte.

    Für ihn sind meine Albträume nichts Neues. Jules hat bereits ein Gefühl dafür entwickelt, wann ich schreiend aufwachen werde, denn ich träume nichts anderes, seit wir auf dem Boot festsitzen.

    Ja, seit fünf Nächten zerfetzt die Reise mein Nervenkostüm, und egal wie oft Jules mich hält und die Albträume aus mir herausquetscht, ich muss einen Weg aus diesem Boot finden, wenn die anderen überleben sollen. Ein vertrauter Druck legt sich um meine Brust und verlangt danach, gelöst zu werden.

    Ich muss hier raus, abhauen und verschwinden, ansonsten werde ich jemandem noch sehr weh tun.

    Waffenstillstand

    Heute ist der sechste Tag, die Fahrt geht weiter, und wir haben kein Wasser mehr. Judith öffnet unsere letzten Konserven und sammelt die Flüssigkeit in einer Literflasche. Ein trübes Gemisch aus Pfirsichsaft, Gurken- und Wurstwasser.

    Welch Delikatesse!

    „Das ist absolut widerlich", murrt Rob und mein Magen verkrampft sich.

    Es gibt Momente, da vergesse ich, dass er mit an Bord ist. Ich blende ihn aus, wie alles, was mir nicht passt. Das betrifft momentan jeden Einzelnen aus der Gruppe. Die Enge macht mir zu schaffen und auch die Gewissheit, dass kein Weg aus diesem Boot führt. Wir sind gefangen und gehen uns alle gegenseitig auf die Nerven. Es ist schrecklich. Ich bin nie alleine, ständig glotzt jemand in meine Richtung, starrt mich an, will mit mir sprechen. Ich weiß nicht, wie lange ich das durchstehe. Für jemanden wie mich, der Menschen meidet und Nähe nicht ertragen kann, ist diese Situation die absolute Hölle.

    „Solange du nicht deine eigene Pisse trinken musst, ist doch alles in Ordnung", behauptet Bob und ich höre Jules’ unterdrücktes Lachen.

    Mein Bruder sitzt links von mir. Er weicht nicht von meiner Seite. Wo sollte er auch hingehen? Um uns herum gibt es nur Wasser und Tod. Er spürt, dass es mir immer schlechter geht, und versucht hin und wieder, mich aufzumuntern.

    „Wir schaffen es. Du wirst sehen", verspricht er.

    Lächerlich, als könnte mich das aufmuntern. Sein Optimismus bleibt ungebrochen und ich frage mich, wo er das wohl herhat. Es fällt mir schwer, ihm zu glauben, aber ich muss es versuchen und mich an den kleinen Funken Hoffnung klammern, den er mir anbietet.

    Von der Situation und mir selbst genervt starre ich auf Olivias Hinterkopf.

    Natürlich bin ich erleichtert, dass wir Olivia retten konnten, doch ich erinnere mich nicht gerne an den Tag zurück. Damals habe ich eine Grenze überschritten und einen Menschen umgebracht. Einen Zombie zu töten ist das eine, aber einen Menschen? Dabei hatte ich die Wahl. Sie hätte nicht sterben müssen. Statt Shirley zu retten, ließ ich ihre Hand los und warf sie den Zombies zum Fraß vor. Und all das nur, weil sie mich belogen hatte.

    Sie hatte sich als Tante von Olivia ausgegeben und nicht als ihre Mutter. Sie hatte ihr Kind ganze fünf Tage sich selbst überlassen. Schlimmer noch: Olivia hatte die Anfänge der Apokalypse alleine bewältigen müssen, in einem Haus, in dem sich ihre richtige Tante bereits verwandelt hatte. Sicher, ich bin keine Expertin für Familienangelegenheiten, aber eine Mutter sollte sich vor und nicht hinter das eigene Kind stellen.

    Also habe ich die Grenze der Menschlichkeit überschritten. Wie viele werden es ebenfalls tun? Das Schlimmste ist, dass niemand weiß, wo die Grenze in dieser neuen Welt verläuft. Alles ist möglich.

    Wenn ich bei solchen Gedanken Rob betrachte, wird mir übel.

    Mir entgehen nicht die Blicke, mit denen er Olivia mustert. Es sind dieselben, mit denen er damals Jules und mich begutachtet hatte. Es blieb nie beim Anschauen.

    Mit einem grummelnden Magen drehe ich mich von den anderen weg und lasse meine Hand durchs Wasser gleiten, bevor mein Verstand zerspringt.

    Bob, Hank, Rob und Judith kämpfen sich weiter paddelnd an der Küste entlang, aber ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Das Vorankommen ist ein einziger Krampf, mühselig, langsam und ein Ende ist nicht in Sicht.

    Was wir hier machen, ist sinnlos!

    Ich bin so müde, dass mir alles egal ist. Wir suchen seit sechs Tagen eine Gelegenheit, an Land zu kommen, aber die Untoten sind einfach überall und so zahlreich, dass ein Durchkommen unmöglich erscheint. Entweder werden wir gebissen oder brechen uns beim Besteigen der Klippen alle Knochen. Beides keine guten Aussichten.

    Jules’ Atem kitzelt mein Ohr. Wir liegen Kopf an Kopf und starren auf das Wasser. Auf dem Boot gibt es keine Privatsphäre und wenn wir ungestört reden wollen, rücken wir dicht zusammen und flüstern uns unsere Gedanken zu.

    „Was ist los?, fragt er leise. „Du sagst seit Tagen kein Wort.

    Ist das ein Wunder? Ist dir entgangen, in was für einer beschissenen Situation wir stecken?, möchte ich gerne brüllen, aber ich bleibe still.

    Stattdessen antworte ich: „Sobald ich meine eigene Pisse trinken muss, knalle ich hier jemanden ab."

    „Das ist dein Problem? Du Glückliche, er kratzt sich am Hintern und seufzt. „Was gäbe ich nur für eine Toilette. Ich habe es satt, meinen Arsch aus dem Boot zu strecken. Das ist nicht so einfach, wie es aussieht. Man muss die Balance halten, den Wind berechnen und …

    „Schon gut", flüstere ich und schüttle mühevoll meinen Ekel ab. Natürlich sehe ich sofort die Bilder vor mir, wie wir mit ausgestreckten Ärschen unsere Notdurft verrichten.

    Es gibt Schlimmeres, rede ich mir ein, aber das Gefühl der Demütigung bleibt. Die Gerüche von Scheiße und Kotze werden nur noch vom Verwesungsgeruch der Untoten übertroffen. Meine Kopfhaut juckt unangenehm.

    Großartig, ich habe bestimmt Läuse. Wir haben bestimmt alle Läuse. Widerlich! Bei dem Gedanken wachsen mir direkt drei neue Herpesbläschen.

    „Du amüsierst dich prächtig, nicht wahr?" Meine Laune wird immer schlechter und ein Knoten bildet sich in meiner Brust.

    „Es gibt Schlimmeres, Julie, als den Hintern an die frische Luft zu halten", ist seine Antwort und damit hat er recht, wobei ich das nicht gern zugebe.

    Das Wasser an meiner Hand fühlt sich gut an. Es ist eisig und nach kurzer Zeit fängt meine Haut an zu prickeln. Ich bin am Leben, sogar zusammen mit meinem Bruder, dessen Fürsorge ich gar nicht verdient habe.

    „Ey, ihr da hinten!, höre ich Bobby brüllen. Er hat seit zwei Tagen keinen Rum getrunken und nüchtern betrachtet, ist unsere Lage nur halb so lustig. „Das hier ist kein Urlaub und keine beschissene Kaffeefahrt. Aufwachen! Bewegt eure faulen Ärsche und paddelt, sonst mache ich euch Beine! Faules Pack. Immer wieder die Geschwister Mond ... Die letzten Worte grummelt er vor sich hin, aber wir haben sie trotzdem gehört und wissen, was zwischen den Zeilen steht.

    Ich will euch in Sicherheit bringen.

    Bobby Bear, wie Jules und ich ihn nennen dürfen, ist kein flauschiges Kuscheltier. Ich habe ihn als einen groben, rauen und unbarmherzigen Menschen kennengelernt, der für Geld und Ehre gerne den Abzug seiner Schrotflinte betätigt. Er war der Besitzer einer Bar, in der sich ganz Cherryhill versammelte. Seine Huren lagen ihm zu Füßen, Drogen und Alkohol füllten seine Kasse und obwohl alle Welt ihn für einen schlechten Menschen hielt, rettete er uns das Leben. Bobby Bear, ein schlechter Mensch mit guten Absichten.

    „Ich will nicht mehr." Ich spreche meinen Gedanken laut aus und öffne damit eine Tür, die besser verschlossen geblieben wäre.

    Ich will stark sein, das Paddel in die Hand nehmen und Bobby stolz machen. Aber ich kann es nicht. Die Nähe der anderen erdrückt mich und ich würde lieber über Bord springen, als noch einen einzigen Tag auf diesem schwankenden Boot verbringen zu müssen.

    Mein Herz schlägt schneller und schmerzt in meiner Brust.

    Oh nein, hör auf. Hör auf! Ich muss hier weg!, denke ich und weiß doch, dass es keinen Ausweg gibt.

    Panik schnürt meinen Hals zu und wie in meinen Träumen spüre ich plötzlich raue Hände über meinen Körper gleiten. Sie quetschen meine Brüste zusammen und der Geruch von Schweiß und Zigarettenrauch liegt in der Luft.

    Ich schaue auf mein Hemd und sehe nichts, aber sie sind da. Sie sind da! Schnaufend fasse ich mir an den Kopf und reiße mir ein paar meiner verfilzten Haarsträhnen aus. Sechs Tage lang habe ich mit meinen Albträumen gerungen und nur Jules ist es zu verdanken, dass ich nicht komplett irre geworden bin, doch seine Nähe reicht nicht mehr aus. Mit den ausgesprochenen Worten gewinnen meine Ängste die Oberhand und rütteln mich durch, als stünde ich inmitten eines Orkans.

    „Hey, Julie, ruhig." Jules hält meine Hände fest und sucht meinen Blick. Ich schaue an ihm vorbei, spüre die Blicke der anderen, aber keiner von ihnen sagt etwas. Ich höre nur Jules’ Stimme.

    „Ich helfe dir, sagt er und flüstert in mein Ohr: „Wenn einer von uns schwach ist, stützt ihn der andere. So war es und wird es immer sein.

    „Du verstehst mich nicht, erwidere ich und unterdrücke die Tränen. „Ich werde hier sterben.

    „Nein, das wirst du nicht. Jules lässt meine Hände los und umfasst stattdessen mein Gesicht. „Das lasse ich nicht zu.

    „Dann hilf mir", fordere ich ihn heraus. „Bring mich hier weg. Ich halte es nicht mehr aus. Ich halte ihn nicht mehr aus."

    Der letzte Satz ist nur noch ein Flüstern. Jules versteht mich und im selben Moment frage ich mich, warum ihn keine Albträume plagen. Ja, warum wacht er nicht schreiend auf? Und warum habe ich das Gefühl, dass diese Fahrt für ihn ein riesengroßer Spaß ist? Dann bemerke ich seinen zitternden linken Arm und schäme mich. Rein gar nichts ist an ihm vorbeigegangen. Die Misshandlungen unserer Eltern haben auch bei ihm tiefe Spuren hinterlassen.

    „Ich bin schon lange dafür, dass wir an Land gehen. Das ist doch auch mal der Plan gewesen, oder etwa nicht? Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir uns alle die Köpfe einschlagen. Irgendwann müssen wir es versuchen und außerdem gab es genug Gelegenheiten, hätte nicht jemand hier die Hosen voll", mischt sich Judith in unser Gespräch ein.

    Sie richtet ihren Blick auf Rob, der völlig außer Atem das Paddel sinken lässt.

    „Das sehe ich genauso, stimmt Jules zu. „Wir brauchen neue Vorräte und von diesem Konservenfraß bekomme ich Durchfall. Wie lange sollen wir unsere Hintern noch in den Wind halten?

    Bobby fängt laut an zu lachen, aber Rob findet den Witz überhaupt nicht lustig. Sein Blick verrät mir, dass er anderer Meinung ist. Das ist ja was ganz Neues.

    „Es ist zu gefährlich. Die Untoten sind überall, brummt er unzufrieden. „Ich finde, wir sollten nicht einfach irgendwo halten, sondern den nächsten Hafen ansteuern. Benutzt doch mal euren Verstand! Das ist doch nicht zu viel verlangt.

    Eine ganze Gruppe auf einem kleinen Boot zu beleidigen, ist entweder mutig oder sehr dumm. Da es sich um Rob handelt, brauche ich nicht lange zu überlegen.

    „Den nächsten Hafen ansteuern? Am Arsch! Das kann noch Tage dauern. Bob zwinkert mir zu und ich fühle mich ein bisschen besser. Es bedeutet mir viel, dass er auf meiner Seite steht, denn dann kann uns nichts aufhalten. „Ich bin einem kleinen Zwischenstopp nicht abgeneigt. Mein Rum ist leer und ich brauche was zur Aufmunterung. Deine Fresse ist auf Dauer nämlich schwer zu ertragen, weißt du?

    Die herzlichen Worte sind an Rob gerichtet, der sich wie ein Hahn aufplustert und zu einer Antwort ansetzt. Bevor er loslegen kann, kommt Hank ihm zuvor: „Wagen wir es. Warum auch nicht? Wir haben Waffen und die sollten wir benutzen. Ich bin mir absolut sicher, dass es irgendwo eine Auffangstation gibt, in der wir in Sicherheit sind. Es muss sie einfach geben! Wir können doch nicht die einzigen Überlebenden sein. Je länger wir auf diesem Boot bleiben, desto kleiner werden unsere Überlebenschancen. Denkt doch mal nach! Lasst den ersten Sturm kommen und wir sind Geschichte. Sechs Tage lang hatten wir Glück, das sollten wir nicht weiter strapazieren. Unsere Vorräte wachsen nicht von allein und ich habe es so satt, gegen den Wind zu pissen. Also, er deutet auf mich, „Julie hat mehr Mut als Verstand. Schon diese Tatsache wird uns weit bringen. Ich spreche auch für Judith und Olivia, wenn ich sage, dass wir ohne sie nicht so weit gekommen wären. Und dank Jules sind wir überhaupt alle hier. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr auf diesem Gummiboot sterben wollt, wenn es noch andere Alternativen gibt.

    Der gute, alte Hanky Boy. Pragmatisch, realistisch und um keine Ansprache verlegen. Ich nicke ihm zu und er akzeptiert meine Geste mit einem dünnen Lächeln. Es ist kaum zu übersehen, wie schlecht es ihm geht. Als ich Hank kennenlernte, war er ein drahtiger, großer Mistkerl, der seine Freundin Ruby liebend gern herumkommandierte und jede Auseinandersetzung mit mir begrüßte. Heute, nachdem wir Ruby an die Untoten verloren haben und zusammen dem Tode nahe durch den Atlantik geschwommen sind, sind wir Freunde und respektieren uns.

    Mir fällt auf, dass er abgenommen hat. Seine Haut ist grau, tiefe Schatten liegen unter seinen schmalen Augen und ihn umgibt eine Trauer, die mir Gänsehaut bereitet. Hank hat nicht die Hoffnung verloren, das ist nicht das Problem, aber alles andere hat er verloren. Alles, was er mal geliebt hat, ist

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