18/4/4: 18 Geschichten - 4 ErzählerInnen - 4 Jahreszeiten
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Rezensionen für 18/4/4
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Buchvorschau
18/4/4 - Hocke / Kühne / Labussek / Schleich
Liebe Leserinnen und Leser,
welche Regeln gelten für eine gute Kurzgeschichte?
Du sollst nicht langweilen,
du sollst nicht langweilen und
du sollst nicht langweilen.
Gibt es weitere Regeln? Muss es weitere geben, wo diese doch alles umschließen? Ich habe meinen Lieblings-Filmregisseur Billy Wilder zitiert. Wilder hatte als Schriftsteller, als Journalist und Drehbuchautor begonnen und dann als Autorenfilmer auch die Drehbücher für seine Zelluloid-Klassiker mitverfasst. Was für den Film gilt, das trifft aufs Schreiben von Kurzgeschichten ebenso zu.
Wir, die vier Autorinnen und Autoren von »Wortwechsel 15«, wollen, dass das Jahr 2018 für Sie ein gutes wird. Lektüremäßig. Dafür haben wir uns ins Zeug gelegt. Textmäßig. Jede Jahreszeit mal mehr, mal weniger in unsere Geschichten einfließen lassen, viele Themen angesprochen, ganz unterschiedliche Sichtweisen eingenommen. Wir hoffen, dass uns spannende, heitere, traurige, aufregende oder besinnliche, realistische oder skurrile Beiträge gelungen sind.
Vielleicht interessieren Sie sich auch für die »Geschichten hinter den Geschichten« und möchten einen Blick in unsere Schreibwerkstatt werfen? Hinter dem Titel des einen oder anderen Beitrags werden Sie ein Sternchen bemerken, es weist auf einen Begleittext hin, in dem die Autorin oder der Autor etwas zur Entstehung des Textes erzählt. Sie finden unsere Begleittexte gebündelt am Ende des Buches.
Ob wir Sie am Ende des Jahres oder des Buches nicht gelangweilt haben, müssen Sie aber selbst entscheiden.
Für uns war bereits dieses Projekt, das erste der »Edition Wortwechsel«, ganz und gar unlangweilig. Obwohl wir alle erfahren im Publizieren von Kurzgeschichten sind, teilweise auch als Herausgeberinnen und Herausgeber, gab es dieses Mal viele Verzögerungen durch immer neue Aspekte, die wir haben einfließen lassen. Das mussten wir, weil sonst die Qualität des Buches nicht gepasst hätte. Ob Sie sich langweilen oder beim Lesen Spaß in den Backen haben, das ist auch von Ihrem Geschmack abhängig, aber die Formalia sollen stimmen, daran haben wir hart gearbeitet.
Da wir uns alle vier stark in dieses Projekt eingebracht haben, wird es hier keine Danksagungen geben. Mit einer Ausnahme: Herzlichen Dank an Anja Labussek für die Erstellung der Druckversion, die noch einmal viel Aufwand war. Aber wir haben ja das Glück, mit Anja einen Profi, eine Verlagsredakteurin, unter uns zu haben. Da musste sie durch diese Aufgabe durch.
Wenn Sie mit dem Buch durch sind – wenn’s Ihnen gefallen hat, Sie die Geschichten schön fanden oder Sie Kritik anbringen möchten, schreiben Sie uns das gerne, bitte an meine Mailadresse toho2003@email.de. Und wenn Sie mehr über uns, unsere Schreibprojekte und unsere Gruppe »Wortwechsel 15« erfahren möchten, dann besuchen Sie doch unser Weblog unter .https://wortwechsel15.wordpress.com
Thomas Hocke
Berlin, im Dezember 2017
Winter – Geschichten für kurze Tage und lange Nächte
Weihnachtsmänner wie wir
Thomas Hocke
Diesmal fällt Weihnachten aus
Elke Schleich
Polarfieber
Armena Kühne und Thomas Hocke
Valentins-Menü mit und ohne Rosen
Anja Labussek und Thomas Hocke
nach einer Idee von Olaf Trint
Frühling – Mit und ohne Musik
Frühlingssonate
Anja Labussek
Singender Osterfisch
Thomas Hocke und Anja Labussek
Als Hummel schlief
Elke Schleich
Klarböcks Mai-Violine
Thomas Hocke
Sommer – Sonnenflimmern, Sternenfunkeln
Keine Zeit ohne Quirin
Armena Kühne
Sommernachtsmord
Anja Labussek
Heidesommer
Elke Schleich
Der letzte Flug
Armena Kühne
Stefanies Rettung
Thomas Hocke und Anja Labussek
Herbst – Von bunt bis stürmisch
Die Gazelle
Armena Kühne
Träume wie Herbstlaub
Elke Schleich
Narzissenstraße 7
Thomas Hocke
Teufelswerk
Armena Kühne
Winter II – Ja, ist denn schon wieder Weihnachten?
Das Weihnachtsproblem
Anja Labussek
Begleittexte – Ein Blick hinter die Kulissen (bei mit* gekennzeichneten Geschichten)
Autorinnen und Autor
Winter
Geschichten für kurze Tage und lange Nächte
Weihnachtsmänner wie wir
Thomas Hocke
1
»Dass wir uns hier treffen! Ist ja wie Weihnachten und Ostern zusammen!«
»Und das kurz vor Weihnachten!«
Mein Blick ruht beinahe zärtlich auf Hans, dem alten Tunichtgut, wandert durch die Scheibe des Cafés nach draußen, wo es dicke, schwere Flocken schneit und die Leute durch tiefen Matsch stiefeln.
Damals war Sommer, ich weiß es noch gut. Sieben Jahre? Acht? Ein Drama war’s für Hans, als er aus dieser hippen Firma für intelligentes Neuleben flog. Wunderbare Objekte hatte er mir zum Testen anvertraut. Die immerblühenden Üppigblumen, die irgendwann doch verblühten. Oder diesen Phager, der aussah wie ein verdammt schöner Schmetterling. Er sollte Insekten aller Art vernichten, spezialisierte sich jedoch in nicht vorgesehener Weise auf den Werkstoff Gummi.
»Drei Sommer und drei Winter lang waren sie der bunte Mittelpunkt meiner Wohnung, die Blumen von dir«, sage ich, um einen netten Gesprächseinstieg bemüht. Seine traurigen Augen werden noch trauriger.
»So kurz nur? Und dann die Sache mit …«
»Geschenkt. Er ist weg, der Phager.«
Meine damalige Freundin ebenfalls. Ich denke an Katja mit den Sommersprossen und an den Eklat anlässlich ihrer ungewollten Schwangerschaft. Ich hatte mindestens eines der kleinen Löcher nicht bemerkt, die der Phager in meine Kondome zu fressen beliebte. Katja beendete die Schwangerschaft und ich die Beziehung mit ihr.
In der Scheibe des Cafés spiegeln sich unsere Gesichter, die mir nun sehr abgekämpft erscheinen. Meine Augen richten sich in die Ferne. Die Scheibengesichter verschwimmen und ich beobachte das aufdringliche Kudamm-Gewusel.
»Tut mir so leid, das mit Katja.«
»Hans, wir machen uns gegenseitig ein Weihnachtsgeschenk und erneuern unsere Freundschaft, hm?«
»Oh ja, bitte. Dann hab ich sogar schon eines für dich, das heißt, wenn du es überhaupt annimmst.«
Freundschaft, Hans, ist das Geschenk der Geschenke. Doch du, mein Lieber, du bist Wissenschaftler, ihr seid anders als alle anderen, so unterschiedlich die anderen untereinander auch sein mögen.
»Magst du … Weihnachtsmänner?«, bringt Hans etwas mühsam heraus.
»Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaube, bin ich diesbezüglich neutral.«
»Weißt du, ich hab mich selbstständig gemacht … und mich … ähm … auf neuartige Weihnachtsartikel spezialisiert.«
So schauen die Gründer von heute aus. Yuppie war Hans nicht einmal, als er jung war.
»Ich hab da etwas entwickelt, weißt du … Ganz ungefährlich.«
»Wenn du’s sagst. Und ich darf es wieder testen?«
»Ich möchte dich sehr darum bitten. Es wird dir viel Spaß machen.«
Der beschwörende Ton rührt und warnt mich gleichermaßen. Ich sehe vor mir einen daumengroßen Weihnachtsmann, der Gedichte aufsagen und auf Christbäume klettern kann.
»Na, herzlichen Glückwunsch«, sage ich und lausche dem Grundrauschen der Zivilisation in diesem gut besuchten Café, das wichtige Gespräche wie unseres unterlegt wie den Dialog in einem Film mit nichtssagender Begleitmusik.
»Hast du jetzt mich oder dich gemeint?«, fragt Hans vorsichtig nach.
»Uns beide. Du machst endlich dein eigenes Ding. Ich werde Weihnachtsmannbesitzer.«
»Ja, ich arbeite an robotronischen Haushaltserleichterungen.«
»Saugroboter, die aussehen wie Frisbee-Scheiben, die zu viel Fastfood gemampft haben, gibt’s im Media Markt ab 299,99. Saugen aber nur maximal 30 Prozent Dreck auf. Lenk deine Energie nicht auf Sachen, die gestern die Gegenwart von heute waren!«, ende ich mit ein wenig Pathos in der Stimme.
»Äh … ich hab einen voll funktionsfähigen Weihnachtsmann-Roboter entwickelt.«
»Das ist eine andere Größenordnung. Ist er auch richtig groß?«
»So groß wie du etwa.«
»Ein Gigant!«
Hans schaut mit gefurchter Stirn durchs Fenster. Ein Mensch in Moll als Entrepreneur. Die Leute im Weihnachtslichterglanz stapfen durch dicke, nasse Flocken, die sich auf dem Matsch niedergelassen haben. Am linken Rand des Fensterausschnitts kann ich den größten Weihnachtsbaum der Stadt sehen, wie er das Baugerüst vor der Gedächtniskirche vorfestlich anstrahlt. Ein Baum wie ein Baum, kann man ohne Übertreibung feststellen.
»Santatronics GmbH i. G. – in Gründung –, so heißt meine Firma. Hörst du mir zu, Tom?«
»Ich weiß, was i. G. heißt. Und ich hab lange niemandem mehr so aufmerksam gelauscht, der nicht aus dem Fernseher zu mir gesprochen hat, wie jetzt dir. Wer haftet eigentlich, wenn deinem Weihnachtsmann die Sicherungen durchbrennen?«
Draußen stolpert ein Dreijähriger durch die dünne Flockendecke und landet im Matsch. Seine Mutter setzt sich solidarisch neben ihn und fordert den Vater auf, das Gleiche zu tun. Der steckt die behandschuhten Hände in die Manteltasche und schaut in die Luft, als habe er nichts mitbekommen. Ich seufze und Hans antwortet nicht.
»Ich versuch gerade wieder, eine Beziehung aufzubauen, Hans. Falls es klappt, gibt’s Kids obenauf«, versuche ich ein anderes Thema.
Nina kann mit ihren großen braunen Augen beinahe so ernst und forschend gucken wie Hans. Noch hat sie nicht ausgeforscht, ob ich es wert bin, ihre beiden Racker kennenzulernen.
»Normalerweise werden die Weihnachtsmänner von den Vätern gespielt«, doziere ich. »Und die beiden haben je einen Vater.«
»Vielleicht sind die unabkömmlich oder nicht erwünscht. Dann könntest du meinen Weihnachtsmann einsetzen.«
»Im Ernstfall wollte ich den Typ geben. Ich hab mir das berühmte Ratgeberbuch 1000 beste Weihnachtsmann-Ideen gekauft.«
»Stell dir die Überraschung vor, wenn du rausgehst, um dein Kostüm anzuziehen, eine Zeit später kommt ein Weihnachtsmann ins Wohnzimmer und fängt an, Geschenke zu verteilen und »ho ho ho!« zu rufen und dann du hinterher, als ob’s die normalste Sache der Welt sei.«
Hans versteht es nach wie vor, Erfindungen zu Erinnerungen und damit zu Gefühlen werden zu lassen. Zum Beispiel solche an meine Kindheit, als mein Vater den Weihnachtsmann machte, drohend die Reisig-Rute schwang und eine Liste mit all meinen Sünden vorlas, welche er unter Zuarbeit meiner Mutter und meiner Großeltern während eines langen Jahres aufgeschrieben hatte. Irgendwann spätabends gab es jedoch die unverdienten Gaben.
Ob man Hansens Weihnachtsmann auch so programmieren könnte? Durch den Türspalt zuzugucken, wie die Gesichter von Ninas kleinen Biestern länger und grauer werden, dann reinzukommen, als sei nichts gewesen, und alle fallen in Ohnmacht, das könnte aus Weihnachten eine recht zünftige Angelegenheit werden lassen. Der Preis wäre vermutlich die erneute Partnersuche. Ich berichte Hans meine Idee. Seine Augen werden groß. Jetzt fall du mir nicht in Ohnmacht, mein durch vierzig Jahre Sozialpädagogik weichgeklopfter Freund. Gott sei Dank kratzt er sich nur heftig am Kopf und nickt ergeben.
»Meine Vorschläge machen dein Produkt eindeutig besser«, muntere ich ihn auf und Weihnachtsmänner konstruieren ist halt nicht wie Ponys aufziehen, was sie bei hinreichend Weidegras selbst erledigen.
»Apropos Weidegras – ich hoffe, der Weihnachtsmann hat einen guten Akku. Nicht, dass der mitten im Vortrag kindlicher Verfehlungen den Geist aufgibt. Ich mache mich mit deinen Produkten nicht gerne lächerlich … Also nicht direkt am Anfang.«
»Der Akku von meinem W-2015-FLW hält länger als der von einem iPhone. Und das Sündenregister von zwei kleinen Kindern kann doch nicht einen ganzen Tag dauern!«
Hans, weißt du noch, wie es war, als das Kind Kind war?
»Nun aber zu etwas Wichtigem.«
»Oh!«, ruft Hans. »Du sprichst von Vergütung! Dankeschön!«
»Äh … Vergütung für mich, Hans. Risikoprämie. Oder sagen wir: Kaution. Du kriegst sie zurück, wenn es keine Toten einerseits und keine ungewollten Kinder andererseits aufgrund des Einsatzes deines Weihnachtsmannes gegeben hat.«
»Oh je.«
2
In der Nacht, die meinem Treffen mit Hans folgte, hatte der Schnee sich gegenüber dem Matsch durchgesetzt und heute Morgen, vier Tage vor Weihnachten, begann das Tauwetter.
Alle stapfen wieder durch den Matsch oder knirschen über Granulat. Vor meiner Tür eine Überraschung in Form einer Box, die gar nicht durch die Tür passt. Meine Nachbarin von gegenüber hat sie offensichtlich empfangsquittiert und auf meine »Welcome, wenn’s kein Gerichtsvollzieher ist«-Fußmatte geschoben. Mit dem Riesending komme ich nicht in die Wohnung. Ich muss das Paket tatsächlich an seinem Standort öffnen und die Teile des Weihnachtsmann-Bausatzes Stück für Stück ins Wohnzimmer tragen.
Ich breite meine türkisgrüne Gymnastikmatte aus, damit der Boden nicht durch Mechanik-Teile verschrammt wird. Die Zeit beim Reintragen vertreibe ich mir, indem ich Teile zähle. Bei etwa 2001 komme ich durcheinander. Der Tag vergeht.
Welch eine Vorweihnachtszeit. Bei allem, was doof ist: Lieber als hier sitzen und ohne vernünftige Bauanleitung nen Weihnachtsmann bauen würd ich doch Plätzchen backen und nen Punsch brauen.
Ein weiterer Tag vergeht ereignislos. Am dritten Tag jedoch sehe ich, dass es gut geworden ist. Was im Wohnzimmer steht, ähnelt durchaus einem Weihnachtsmann. Ich klebe den weißen Rauschebart mit den vorgesehenen Klett-Haftflächen an das Gesicht mit der roten Knollennase und den blauen Strahleaugen, die vermutlich im Takt von Weihnachtsliedern blinken können.
Ein weiteres Paket trifft ein, darin ein Weihnachtsmann-Outfit aus der allerneuesten Kollektion des führenden Couturiers All Saints. Wie Hans sich diese Luxuslatzhosenmode leisten konnte, ist mir schleierhaft. Vorsichtig schließe ich den letzten der hübschen dicken Knöpfe der Überjacke. Alles sitzt wie maßgefertigt. Und erst der Klappschlitten mit den elektrischen Rollkufen, der schicke Geschenksack mit dem Aufdruck Fair Trade Biobambusfaser.
»Ach, Menno«, murmele ich und schiebe Verpackungsmaterial vom Sofa auf den Boden. »Du kannst nichts dafür«, sage ich zu dem W-2015-FLW. Nachdem ich mich eingekriegt habe, widme ich mich ausführlich seinem Sprachmodul.
»Fertig!«, rufe ich nach drei Stunden aus. »Sag mal was!«
»Redest du mit mir? Mit mir?!«, schnarrt W-2015-FLW.
»Oh, mein Gott. Setz dich mal!«, fordere ich den Typ auf, der klingt wie Robert De Niro in seiner wilden Zeit als Taxifahrer, und klopfe aufmunternd auf den freien Sofaplatz neben mir.
Ich bastele weiter an der Sprachsteuerung. So lange, bis die deutsche Stimme von Frodo Beutlin aus W-2015-FLW dringt und probiere unzählige Satzkombinationen durch, die zu Weihnachten besser passen als das, was dieser Sonderling von einem Roboter soeben von sich gegeben hat. Ich habe sogar das Gefühl, er hat dabei die Augenbrauen zusammengezogen. Aber jetzt ist es gewiss viel kindgerechter. Und nun zu dem, was in der Programmieranleitung »Customizing« genannt wird. Es ist mühsam.
Am spannendsten finde ich