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Die Märkte Alt-Wiens: Geschichte & Geschichten. Mit einem Vorwort von Bürgermeister Dr. Michael Häupl
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Die Märkte Alt-Wiens: Geschichte & Geschichten. Mit einem Vorwort von Bürgermeister Dr. Michael Häupl
eBook369 Seiten2 Stunden

Die Märkte Alt-Wiens: Geschichte & Geschichten. Mit einem Vorwort von Bürgermeister Dr. Michael Häupl

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Über dieses E-Book

Warum Fischverkäufer keine warme Kleidung tragen durften, wie man zu verhindern suchte, dass Zwischenhändler die Preise in die Höhe trieben, mit welchen Rufen die Käufer angelockt wurden, was auf dem ältesten Markt Wiens bei der Ruprechtskirche zu erwerben war – dies und noch viele weitere interessante und unterhaltsame Details erfährt man in dieser umfassenden Darstellung der Wiener Märkte. Auf abwechslungsreiche Weise bietet die etablierte Stadtethnologin Helga Maria Wolf grundlegendes Wissen über Menschen, Waren und Plätze, über Geschichte und Entwicklung des Verkaufs unter freiem Himmel.
Seltene historische Illustrationen veranschaulichen die fundierte Darstellung, sodass Rufe wie "Brennhaße Kästen! Große wällische Kästen! Ossa hassa hob i do!" lebendig aus dem Buch dringen. Entdecken Sie "die Welt ums Eck" von einst und jetzt, treten Sie ein in das bunte Leben und Treiben auf der Straße und lernen Sie eine neue Seite der österreichischen Geschichte kennen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. Okt. 2017
ISBN9783903217034
Die Märkte Alt-Wiens: Geschichte & Geschichten. Mit einem Vorwort von Bürgermeister Dr. Michael Häupl

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    Buchvorschau

    Die Märkte Alt-Wiens - Helga Maria Wolf

    Einleitung

    Wer sich zu Wienn nit neren kan, ist uberal ein verdorbner man!«, reimte der Schotten-Schulmeister Wolfgang Schmeltzl 1548 in seinem »Lobspruch der Hochlöblichen weitberümbten Khünigklichen Stat Wienn in Österreich«. In dem fiktiven Reisebericht lässt der Dichter dem Neuankömmling von einem Zöllner erklären, dass der Wochenmarkt am Samstag stattfindet und es auf einem einzigen Markt 723 mit Getreide voll beladene Wagen gebe. Immer wieder bildet das Marktleben ein Thema dieser 1600 Verse umfassenden Schilderung Wiens.¹

    Schon im »Lobspruch«, der vor fast 500 Jahren erschien, spielen die Wiener Märkte eine große Rolle.

    Die Entwicklung des Marktes ist untrennbar mit der Entwicklung der Stadt im Mittelalter und neuer, urbaner Lebensformen verknüpft. Städter brauch(t)en Lebensmittel aus dem Umland. Diese wurden anfangs weniger in Geschäften gehandelt, als von den Produzenten unter freiem Himmel verkauft. Das erste erhaltene Stadtrecht, das Herzog Leopold VI. (1176–1230) den Wienern am 18. Ok tober 1221 verlieh, regelte neben der politischen Mitsprache der Bürger Angelegenheiten des Handels.

    Doch schon frühere Archivalien hatten Marktrechte zum Inhalt. Die älteste Urkunde, die das Wiener Stadt- und Landesarchiv verwahrt – sie stammt aus dem Jahr 1208 –, ist das so genannte Flandrenserprivileg. Herzog Leopold VI. stattete die Tuchfärber aus Flandern mit besonderen bürgerlichen und wirtschaftlichen Rechten aus.² Das Dokument sollte den Wiener Tuchhandel gegen über rheinischen und flandrischen Städten konkurrenzfähig machen.³

    Durch die Jahrhunderte bewahren Straßennamen die Erinnerung an die frühesten bekannten Wiener Märkte. Der Hohe Markt ist wohl identisch mit dem 1208, 1210 und 1213 erwähnten »Markt zu Wien«, ehe dieser Name 1233 den Hauptmarkt der Stadt bezeichnete. Ein Jahr später war vom »Neuen Markt« die Rede.⁴ Der Fleischmarkt, einer der ältesten Straßenzüge im babenbergischen Stadterweiterungsgebiet, schien 1220 als »Carnifices Viennensis« auf. Hier waren der erste Marktplatz für Fleisch und der älteste Sitz der Metzger zu finden, deren Innungshaus 1333 an diesem Ort stand.⁵

    Auf den Märkten hatten die Wiener Gelegenheit, aus erster Hand Waren zu erwerben, die in der Stadt nicht erzeugt wurden. Bauern aus der Umgebung kamen mit Kraut und Rüben, Geflügel und Eiern, Milchprodukten und Getreide. Den Beginn der Marktzeit markierte – vom Mittelalter bis in die Barockzeit – die Marktfahne.⁶ Dann hatten Bürger, Klerus und Hofgesinde – nicht aber Zwischenhändler – Gelegenheit zum Lebensmittelkauf.⁷ In Krems ließ König Ladislaus 1453 ausrufen: »Man sol das fenel des morgens nach der frumes aufsteckhen undcz auf ahte und in der czeit sollen die burger und peckchen zu Krembs und Stain kauffen ir notdurfft, darnach körnler und ander.« Im 16. Jahrhundert war es in den Städten üblich, ein »Fändl, Pusch oder Wisch« zwei Stunden lang auszustecken. In dieser Zeit durften die Bewohner kaufen, »sovil Sy zu jrer eigen hawss notturfft bedüffen«, wie es 1542 in einer Wiener Verordnung hieß.

    Vorschriften zur Kontrolle des Marktlebens, zum Konsumentenschutz und gegen den Zwischenhandel fanden sich schon 1340 in einer Verordnung von Herzog Albrecht II. (1298–1358). Durch die Jahrhunderte wollten die Obrigkeiten preisregulierend wirken, le benswichtige Güter sollten nicht unnötig verteuert werden. Ein Leitmotiv seit den ältesten Marktordnungen war die Ablehnung der Fürkäufer, Vorkäufer oder Ablöser. Die solcherart Kriminalisierten waren – abgesehen von Wiener Gewerbsleuten wie Greißler, Häringer oder Kässtecher – großteils Frauen aus den unteren sozialen Schichten.

    1865 hat der Historiker, Archivar und Bibliothekar Alexander Gigl eine »Geschichte der Marktordnungen vom 16. Jahrhundert bis zu Ende des 18.« herausgegeben – eine wahre Fundgrube zum Thema Wiener Märkte. Er schrieb: »Auf allen diesen Plätzen entwickelte sich zu jeder Zeit ein bewegtes, eigenthümliches Leben, reich an bunten Gestalten und drastischen Scenen. Und dazu liefern gleichmässig alle Stände, alle Elemente und Gewalten des socialen und staatlichen Lebens ihr Contingent und kreuzen sich auf den Märkten im lautesten Gewirre. Die Bauerndirne und der herrschaftliche Groom [Roßknecht], die ›gnädige‹ Frau und die keifende ›Frätschlerin‹, der Hoflakai und der majestätische ›Rumorwächter‹ begegnen sich da auf neutralem Boden und verstehen sich in allen Zungen, in allen Wünschen, in Einer Befriedigung, in Einer Klage. In der Regel bilden die gemeinsamen Interessen den bindenden Ring, und es waltet einzig und allein der Geist des Handels und Wandels, herrschend durch uralte Gesetze der Natur über dem Gewirre.«

    Fast eineinhalb Jahrhunderte später freut sich das Marktamt: »Die Wiener Märkte sind Top-Player in Sachen Wirtschaft. Die 21 Wiener Detailmärkte beherbergen auf ihren 90 000 Quadratmetern Gesamtfläche 900 ständige Marktbetriebe, 600 tageweise MarktbezieherInnen sowie 4000 ArbeitnehmerInnen. Die Wiener Märkte erwirtschaften einen Umsatz von 300 Millionen Euro und damit vier Prozent des Gesamtumsatzes des Wiener Handels.« Der Naschmarkt und Gelegenheitsmärkte wie der »Adventzauber« vor dem Rathaus oder der »Altwiener Christkindlmarkt« bilden beliebte Touristenattraktionen. Die Detailmärkte »sind nicht nur wichtig für die Nahversorgung, sie sind Orte zum Gustieren, zum Flanieren und Orte der Kommunikation«, meinte die zuständige Stadträtin Sonja Wehsely bei einer Marketingveranstaltung 2005. Vielfalt und Besonderheit charakterisieren »die Welt ums Eck«.

    Dieses Buch widmet sich einigen Aspekten der Wiener Märkte. Zunächst geht es um die Menschen, die »fliegenden Händler und fahrenden Leute«. Gleichermaßen als »Volkstypen« verklärt wie wegen ihres unsteten Daseins oft nicht gut beleumundet, ist ihre Lebenswelt ein besonders interessantes Thema der Stadtethnologie. Weitere Kapitel behandeln Waren, Marktplätze, Jahrmärkte und Gelegenheitsmärkte. Angesichts der Vielfalt und Besonderheit kann nicht »alles« beschrieben werden. Doch soll man etwas von der Atmosphäre erahnen, die Generationen von Reisenden, Schriftstellern und Malern zu begeisterten Schilderungen der Märkte Alt-Wiens veranlasst hat.

    Menschen

    Am Markt lernt man die Menschen kennen«, kündet die Inschrift auf einem deutschen Marktbrunnen. Seit Jahrhunderten haben die Menschen auf dem Markt Künstler inspiriert: Albrecht Dürer, der 1519 ein bäuerliches Marktgängerpaar malte, den Hamburger Bildhauer Pfeiffer, der den Straßenhändlerinnen auf dem Brunnen ein Denkmal gesetzt hat, Akademieprofessor Johann Christian Brand, den Schöpfer der Wiener Kaufrufe, ebenso wie Generationen von Reiseschriftstellern und Literaten.

    In Wien ist »Frau Sopherl vom Naschmarkt« nahezu sprichwörtlich geworden. Ihr geistiger Vater war der humorvolle Schilderer des Wiener Lebens Vinzenz Chiavacci (1847–1916). Der Dichter und Chefredakteur ließ sie in einer Zeitungskolumne hunderte »lokalpolitische Standreden« halten. Die Themen waren keineswegs nur marktbezogen. Als »eine, die’s versteht« machte sie sich Gedanken über Mystisches und Influenza, Hebammen und Leichenverbrennung, Volkszählung und Fremdenverkehr und vieles andere, was Wien damals bewegte.

    Die Öbstlerin vom Naschmarkt kam als »Frau Sopherl« zu literarischen Ehren

    Für den Schriftsteller verkörperte »Frau Sophie Pimpernuß, von ihren Getreuen schlechtweg Frau Sopherl genannt«, den Idealtypus der Standlerin: »Eine robuste, wohlgerundete Gestalt mit einem gutmütigen, von derber Gesundheit strotzenden Gesicht, aus dem zwei kluge, muntere Augen blitzen, ein Mund, dessen energischen Linien man ansieht, daß er in ewiger Bewegung ist, schlichte, braune Scheitel, die mit etlichen Silberfäden gemengt unter der buntgeblümten ›Gugel‹ hervorschauen, ein Gemisch von Reschheit und Gutmütigkeit […] Den reichen Wortschatz des Wiener Dialekts und die traditionelle Volksweisheit, wie sie in Sprichwörtern, Bildern und Gleichnissen zum Ausdruck kommt, beherrscht sie mit souveräner Gewalt […] nicht angekränkelt von des Gedankens Blässe.« Die zu literarischen Ehren gekommene Obst- und Gemüsehändlerin und ihre lebenden Vorbilder erscheinen als starke Frauen, selbstständig und selbstbewusst. Im Vergleich zu anderen Händlerinnen, die bei Wind und Wetter ihre selbst herbeigeschleppten Waren zu verhökern hatten, war sie geradezu privilegiert. Ihr geistiger Vater nennt sie »eine b’lehrte und b’lesene Person«.

    Fliegende Händler

    Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert spielte sich ein großer Teil des Handels auf der Straße ab, stellte der Historiker Hubert Kaut fest. Er unterschied drei Berufsgruppen: Handwerker, Händler auf dem Markt und fahrende Händler. Die Werkstätten der Handwerker hatten selten ein Verkaufslokal. In Ermangelung eines Schaufensters präsentierten sie ihre Erzeugnisse auf Tischen und Bänken vor dem Geschäft und reichten die Waren den Kunden einfach durch die Tür oder das Fenster hinaus.¹

    In Jahrmarktshütten und bei Ständen auf den Wochenmärkten bot man Viktualien (»Lebensmittel und andere zur Führung des Haushalts erforderliche Waren«)² und Gegenstände des täglichen Bedarfs an. Ludwig Berekoven zeichnete im Lehrbuch »Geschichte des deutschen Einzelhandels« eine Entwicklungslinie: »Aus dem ursprünglich nicht ortsgebundenen Hausier- oder Wanderhandel entwickelte sich mit dem Aufkommen der Städte der ortsgebundene Straßenhandel (fliegende Händler). Mancher Hausierer ließ sich in der Stadt nieder. […] Der Höker, Winkler bzw. arme Krämer wurde der erste stationäre Einzelhändler. Er führte in der Regel eine kümmerliche Existenz und genoß nur geringes soziales Ansehen. Im allgemeinen handelte der Höker mit Nahrungsmitteln in kleinen und kleinsten Mengen. Diese Erwerbstätigkeit bot oft alleinstehenden Frauen ein bescheidenes Auskommen. Anfangs breiteten die Höker ihre Waren auf dem Boden auf. Später benutzten sie Holzböcke, über die sie Bretter legten, sodaß Verkaufstische entstanden. Die leicht verderblichen Waren schützte man mit einem Leinendach vor Regen oder Sonne. Als Kram bezeichnete man im Mittelhochdeutschen ein ausgespanntes Tuch, bzw. eine Zeltdecke[auch die Ware selbst]. Eine Bude hatte an der vorderen Holzwand zwei Läden, von denen einer aufgeklappt als Verkaufstisch, der andere als Überdachung diente.«³

    Bauern als Marktzieher

    Johann Pezzl (1756–1823) zählte zu den Reiseschriftstellern der Aufklärung, die Wien eine »Skizze« widmeten. Von 1786 bis 1790 erschienen fünf Hefte mit Beschreibungen »dieses in jedem Betracht merkwürdigen Platzes«, wobei Pezzl nicht nur Sitten und Zeitgeist kommentierte, sondern auch andere Schreiber kritisierte. So liest man über die »Konsumtion«: »Nichts ist schiefer als die Miene jener Schriftsteller, die darüber klagen und heulen, daß eine große Residenzstadt alle Ernten, Weinlesen, Hammelställe, Hühnerhöfe, Obstgärten und Fischteiche auf zwanzig Meilen rings um sich her aufzehre. Gerade jene Landleute sind die wohlhabendsten, besitzen das schönste Vieh, die besten Häuser, die wohlbestelltesten Felder, Gärten, Weinberge und Triften, die sich im Gesichtskreise der Hauptstadt befinden. […] In der Tat, der Magen von Wien ist ein Schlund, der den Überfluß aller benachbarten Provinzen verschlingt, und desto besser für dieselben.«

    Seit Jahrhunderten versorgten die Bauern der näheren und weiteren Umgebung die Städter mit Lebensmitteln. Auch die Bürger betrieben Landwirtschaft, aber meist nur Weinbau. Am Dienstag und am Samstag (seit 1578 auch am Freitag) konnten sie auf dem Wochenmarkt für die nächsten Tage Lebensmittel einkaufen.⁵ Die Marktordnungen bevorzugten das direkte Geschäft zwischen ländlichen Produzenten und städtischen Konsumenten.⁶ Streng reglementiert wie die Marktzeiten, Waren und Verkaufsplätze war die Frage, wer für wen produzieren durfte: Berufsgärtner zunächst nur für den Hof, Bauern für die Bürger.⁷ Von »freier Marktwirtschaft« war keine Spur. Außerdem standen verschiedene Interessengruppen einander unversöhnlich gegenüber: Bauern als Produzenten und Verkäufer, Zwischenhändler, Hausierer, ansässige zünftisch organisierte Kaufleute und Obrigkeiten, denen die »Wohlfeilheit« ein Anliegen war.

    »Wir sind im Hochsommer, es ist zwei Uhr; noch herrscht nächtliche Ruhe in allen Straßen […]. Wien scheint ausgestorben. Wir nähern uns dem Marktplatze, und plötzlich verändert sich das Bild. In allen zum Hofe, zur Freyung, zum Judenplatz führenden Gassen und Straßen wird es lebendig […]. Im weiten Umkreis um den Markt stehen Wagenburgen – nicht jene der vornehmen Gespanne zwar, die während des Tages hier aneinander vorüber fliegen, sondern verwahrloste, ärmliche Leiter- und Steirerwagen jeden Schlages, jeder Facon, jeder Herkunft. Die Wagen sind alle bespannt, aber schon abgeladen, der Kutscher liegt in seinen Kotzen gehüllt und schläft den Schlaf des Gerechten; er braucht diese Ruhe denn er ist meilenweit vom flachen Lande her, Tag und Nacht, oft 15 bis 16 Stunden aus dem oberen Donauthal und dem Wienerwald, aus dem Tullnerfeld und dem Marchfeld […] mit Gemüse und Obst zugefahren. Es sind […] 800 bis 1000 Gefährte.«⁸ So schildert das Ende des 19. Jahrhunderts erschienene »Kronprinzenwerk« die »Approvisionierung der Großstadt«.

    Ein Wiener Marktbild zur Zeit der Monarchie: »Am Hof«

    Obst und Gemüse kam aus spezialisierten »Marktfahrergemeinden«. Groß-Engersdorf, Manhartsbrunn oder Pillichsdorf in der Wolkersdorfer Gegend (Bezirk Mistelbach, Niederösterreich) behielten diese Funktion bis weit ins 20. Jahrhundert bei. Ihnen hat der Volkskundler Werner Nachbagauer seine Dissertation gewidmet. So genannte Marktzieher, Bauern und Lastfuhrwerker, besorgten den Transport.⁹ Die Langenzersdorfer aus dem Bezirk Korneuburg (Niederösterreich) lieferten Früchte und landwirtschaftliche Produkte. Aus Nussdorf (Wien 19) kamen Milch, Obst und Gemüse.

    »Buckelkörbler« reisten aus der Gegend von Mattersburg (Burgenland) an. Eine Approvisionierungs-Enquete in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts lobte »die so genannten Hernzen oder Wieser«: »Dieses Volk ist unendlich thätig, unermüdet, gleichsam die Bienen, die für Wien nach allen Richtungen sorgen.«¹⁰ Heanzen (Heinzen, Hienzen, Hinzen) nannte man die – im 11. und 12. Jahrhundert eingewanderten – deutschsprachigen Bewohner des südlichen und mittleren Burgenlandes und der Randgebiete des ungarischen Komitates Ödenburg (Sopron). »Heanzenland ist Bauernland« lautete eine bekannte Gleichung.¹¹

    Die Marktfahrt erfolgte häufig zu Fuß. Körbe, Krüge, Butten, Simperln, Amper, Krächsen, Säcke, Fässer, Kisten und Rucksäcke dienten beim Transport als Behälter. Frauen trugen die Ware oft auf dem Kopf.¹² »Wenn es in den Straßen leer und still geworden ist – das Wiener Nachtleben ist gering – dann beginnen Karawanen geheimnisvoll zwischen den Häuserreihen zu ziehen. An jedem der vollbeladenen Wagen hängt eine Laterne. Nebenbei huschen, ohne zu sprechen, im Dauerlaufe, Frauen, hochbeladen, Butten auf dem Rücken, die überdies durch Körbe gekrönt werden, nach den einzelnen Plätzen. Sie sind, nachdem die Eisenbahnen sie abgesetzt, bei den Linien hereingekommen oder haben meilenweit über das flache Land den Weg bis Wien zu Fuß gemacht.«¹³ Den Herausgebern des 1895 erschienenen Werkes »Wienerstadt. Lebensbilder der Gegenwart« schienen diese Bauern und Bäuerinnen so typisch, dass sie diese gleich in der Einleitung beschrieben.

    In Bockfließ (Weinviertel, Niederösterreich) begann der Fußweg um 16 Uhr des Vortages, in Floridsdorf (Wien 21) wurde genächtigt, um bereits um 2 Uhr früh auf dem Markt zu sein. Um 13 Uhr trat man den Heimweg an. Zum Vergleich: Mit dem Auto braucht man für die 30 Kilometer lange Strecke eine halbe Stunde. Die Stammersdorfer (Wien 21) brachten bis in die 1920er Jahre zu Fuß »Wiener Kram« in Butten auf den Markt Am Hof. Das waren Eier, Fisolen, Erbsen, Erdäpfel und Paradeiser. Die Butten dienten neben dem Transport zum Auslegen der Früchte, wobei man sich lange Zeit mit auf den Boden gebreiteten Tüchern begnügte. Gemüse verkaufte man stückweise oder bundweise, oder man schätzte das Gewicht. Der Gewichtsverkauf – meist mit von der Stadt geliehenen Waagen – setzte sich erst seit den 1870er Jahren durch.

    »Wer den Mund nicht aufbringt, hat auf dem Markt keine Chance«, wussten die Weinviertler Bauern. Für manche soll die Redegewandtheit ein entscheidendes Kriterium bei der Brautwahl gewesen sein, denn der Verkauf erfolgte meist durch Frauen. Das galt besonders für den Eier- und Geflügelhandel, den Bäuerinnen und Inleute aus Jedlesee und Kagran (Wien 21), Breitenlee und Süßenbrunn (Wien 22) betrieben. Im Marchfeld entwickelte sich die Geflügelhaltung im 19. Jahrhundert durch vermehrten Maisanbau.¹⁴

    Der Begriff »Körberlgeld« geht einer Ansicht zufolge auf den Gewinn zurück, den die Frauen beim Eier- und Hühnerverkauf erwirtschafteten und der ihnen zustand. Nach einer anderen Meinung handelt es sich um den Betrag, den sich Dienstmädchen durch günstige Einkäufe erwirtschafteten, aber nicht bei der Dienstgeberin ablieferten. Jedenfalls hat das Körberlgeld mit dem Markt zu tun.¹⁵

    Lebensmittel waren nicht die einzige Ware, die Bauern auf die Wiener Märkte brachten. Gutensteiner Waldbauern verkauften Schindeln und Holzwaren, Kohlenbauern aus der Schneeberggegend kamen bis ins 19. Jahrhundert mit Holzkohle. Wer einen Ochsenoder Pferdewagen besaß, organisierte sich eine »Gegenfuhr«. So hatten die Bauern aus dem Weinviertler Ort Auersthal Ende des 19. Jahrhunderts einen Mistkontrakt mit der Stadt Wien. Der zur Stadtplage gewordene Pferdemist war auf dem Land als Dünger willkommen.¹⁶

    Fratschlerinnen, »Polletenweiber«, Höckerleute

    Ein Thema zieht sich durch sieben Jahrhunderte Marktleben: Die Ablehnung des verteuernden Zwischenhandels, und das nicht nur in Wien sondern beispielsweise auch in Nürnberg.¹⁷ Johann Joachim Becher (1635–1682), der im 17. Jahrhundert Wirtschaftsberater des Kaisers Leopold I. war, unterschied zwischen Vorkauf (zeitlich und örtlich vom Marktverkauf verschieden) und Fürkauf (spekulativer Aufkauf eines Warenvorrats). Doch schon 1340

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