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Auf immer gezeichnet: Frauen in Kriegen und Katastrophen
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eBook349 Seiten4 Stunden

Auf immer gezeichnet: Frauen in Kriegen und Katastrophen

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Über dieses E-Book

»Der Krieg hat kein weibliches Gesicht«. So hat die weißrussische Nobelpreisträgerin für Literatur, Swetlana Alexijewitsch, ihr Buch über Frauen betitelt, die im Zweiten Weltkrieg in der Roten Armee kämpften. Tatsächlich ist das, was wir als »Krieg« bezeichnen, das Töten und Getötetwerden, seit alters hauptsächlich Männersache gewesen. Zynisch könnte man sagen: Mit dem Tod auf dem Schlachtfeld war der Krieg für die Männer beendet.
Für die überlebenden Frauen jedoch begann eine jahrzehntelange Belastung durch die Folgen. Wie unterschiedlich sie sein können, und wie verschieden in ihren Auswirkungen, das zeigt dieser Band mit Beiträgen zu 12 Großkonflikten des zwanzigsten Jahrhunderts.
Am Anfang steht der Spanische Bürgerkrieg. Ein weiterer Schwerpunkt ist Deutschland. Barbara Halstenberg hat die Erinnerungen deutscher Frauen an den Zweiten Weltkrieg aufgezeichnet: Bombenkrieg, Hunger, Vertreibung und Vergewaltigungen. Aber auch die Zähigkeit, der Erfindungsgeist und der Lebenswille, mit deren Hilfe die Frauen sich und ihre Kinder durch alle Schwierigkeiten brachten. Aus der Zeit direkt nach dem Zweiten Weltkrieg folgt die bisher noch unveröffentlichte autobiografische Erzählung des Schriftstellers Arno Surminski, der erzählt, wie ein Kind die Vertreibung der letzten Deutschen aus Ostpreußen erlebte. Hiroshima, Korea, die Tschechoslowakei, Äthiopien, Kambodscha, Ruanda und Afghanistan sind weitere Schauplätze dieser Schicksalsreise, die in bewegenden Beiträgen internationaler Journalisten, Schriftsteller und Wissenschaftler ihren Niederschlag gefunden hat.
SpracheDeutsch
HerausgeberOsburg Verlag
Erscheinungsdatum22. Feb. 2022
ISBN9783955102890
Auf immer gezeichnet: Frauen in Kriegen und Katastrophen

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    Buchvorschau

    Auf immer gezeichnet - Osburg Verlag

    I. Der Spanische Bürgerkrieg und der Zweite Weltkrieg

    Spanische Flüchtlinge im grenznahen Bagnères-de-Luchon, 1938.

    Der Spanische Bürgerkrieg (1936–39)

    Der Spanische Bürgerkrieg spielte sich im Wesentlichen zwischen dem von Deutschland und Italien unterstützten konservativen General Franco auf der einen und den von der Sowjetunion unterstützten linken Kräften auf der anderen Seite ab. Dabei kam es auf beiden Seiten zu einer Vielzahl von Massakern an der Zivilbevölkerung, die es bis heute unmöglich machen, die genaue Zahl von Opfern zu ermitteln. Je nach Quelle schwankt sie zwischen 200 000 und 500 000 Menschen. Dazu kommen bis zu 150 000 Gegner Francos, die nach dem Sieg seiner Truppen hingerichtet und anonym in Massengräbern verscharrt wurden. In der weit überwiegenden Zahl waren dies Männer, deren weibliche Angehörige sich oft jahrzehntelang vergeblich um die sterblichen Überreste bemühten. Im Folgenden ein Interview mit der damals 91 Jahre alten Ascensión Mendieta, welches die spanische Historikerin Encarnación Barranquero Texeira 2016 aufzeichnete. Diesem kurzen Text folgen zwei weitere. Im ersten berichtet die Dichterin Francisca Adame aus ihrem schweren Leben als Angehörige von Verlierern des Bürgerkriegs, gefolgt von einem ihrer Gedichte; im zweiten berichtet die spanische Historikerin Lucía Prieto Borrego vom harten Überlebenskampf der Frauen im Nachkriegsspanien.

    »Ich möchte bei meinem Vater liegen«

    Ascensión Mendieta

    »Mein Name ist Ascensión Mendieta Ibarra. Ich bin am 29. November 1925 in Sacedón, Guadalajara, geboren. Wir waren sieben Geschwister, kamen alle im gleichen Dorf zur Welt. Mein Vater wurde am 16. November 1939 umgebracht. Sie hatten ihn aus unserem Haus geholt, ins Gefängnis von Sacedón gebracht und von dort in die Haftanstalt von Guadalajara. Wir haben ihn nie wiedergesehen.

    In der Familie meiner Mutter waren alle sehr konservativ eingestellt und mochten meinen Vater nicht, weil er Sozialist war. Mein Vater, Timoteo Mendieta, war Präsident der Arbeitervereinigung (Unión General de Trabajadores), der Gewerkschaft der Sozialisten von Sacedón. Er war Metzger und hatte zu allen im Dorf ein sehr gutes Verhältnis. Er führte eine kleine Fleischerei am Marktplatz, doch so, wie es eben den Leuten mit sozialistischen Vorstellungen erging, kamen immer weniger Leute zu ihm in den Laden, und er musste sein Geschäft aufgeben. Er nahm einen Job als Maurer an, arbeitete auch mal auf den Feldern, eben alles, was er kriegen konnte. Als der Krieg begann, tat er nichts Böses. Doch trotzdem verschleppten sie ihn in ein anderes Dorf, nach Guadalajara. Als der Krieg zu Ende ging, glaubte er, nach Hause zurückkehren zu können. Aber ein Dorfbewohner und ein Militärangehöriger nahmen ihn fest.

    Meine Mutter wollte ihn besuchen, doch er wünschte nicht, dass sie ihn so sah, und bat sie stattdessen um Fotos von uns, seinen Kindern. Ich war zu jener Zeit 10 oder 12 Jahre alt. Als der Krieg zu Ende war, verkündete Franco, dass er niemanden fürchte, dessen Hände nicht mit Blut beschmiert seien, und dass dies ein ehrenvoller Friede sei. Vier Tage nach Kriegsende brachten sie meinen Vater weg, und ein paar Tage später kam er ins Gefängnis nach Guadalajara. Von dort holten sie ihn ab, um ihn zu töten. Es gab eine Gerichtsverhandlung und sein Urteil lautete: Todesstrafe wegen Unterstützung der Aufständischen.

    Als sie meinen Vater abgeholt hatten, fuhren wir nach Madrid, ins Dorf Puente de Vallecas, wo meine Großmutter, die Mutter meines Vaters lebte, in einem kleinen Zimmer, dazu die sieben Geschwister sowie meine Mutter und ein Onkel: zehn Personen in einem einzigen Zimmer! Eine Schwester meiner Mutter lebte in Sacedón, und sie bekam ein Telegramm, in dem hieß, sie solle sofort von Madrid aus ins Dorf kommen, ohne dass man ihr einen Grund dafür nannte. Meine Mutter verließ uns am folgenden Tag, denn da hatten sie meinen Vater schon getötet und in die Grube geworfen. Meine Mutter hatte keine Möglichkeit gehabt, ihn noch einmal zu sehen. Und sie konnte auch die Fotos von uns Kindern nicht zurückholen, die er in seiner Brotbüchse aufbewahrt hatte. Sie konnte nichts tun. Meine Mutter ging weg mit dem großen Schmerz im Herzen, dass sie absolut nichts hatte für ihn tun können. Überall waren wir Außenseiter, man zeigte uns die kalte Schulter.

    Wir gingen zur Sozialstation (von Falangisten organisiert), um etwas zu essen zu bekommen – etwas Brot, eine Dose Milch. Mit einem Topf in der Hand stellten wir uns jeden Tag in die lange Schlange. Zu jener Zeit hatten wir niemanden, mit dem wir reden konnten, denn sie nannten uns nur »die Roten« und sagten, »wenn die getötet werden, dann haben sie auch was verbrochen«, und so fort. Meine Mutter ging in die Dörfer, um Bestellungen anzunehmen und sich auf den Schwarzmärkten umzusehen (es war ein illegaler Markt außerhalb der Rationierungsmaßnahmen entstanden): aus Sacedón, Córcoles, Tabladillo und anderen Dörfern brachte sie dann etwas Öl oder Eier oder auch mal Schuhe mit, je nachdem, was die Leute bei ihr bestellt hatten. Die Polizisten der Guardia Civil nahmen sie einmal fest und steckten sie für drei Monate ins Gefängnis, weil sie mit zwei Broten und ein wenig Mehl geschnappt worden war, man nahm ihr alles ab und sie kam in Haft. Zudem erhielt sie eine Geldstrafe von 3000 Peseten. Meine Mutter verbrachte ihre Haft in dem Gefängnis, in dem auch mein Vater gesessen hatte. Ihm hatten sie auch das Geld der Landgüter seiner Familie abgenommen. Meine Mutter handelte dann mit Stoffen oder was sie sonst so bekam und machte sich täglich auf den Weg von Dorf zu Dorf.

    Solange wir klein waren, verdiente sie auf diese Weise ihren Lebensunterhalt. Meine Schwester heiratete sehr jung, und ich begann mit 14 zu arbeiten. Ich verdiente zwei Peseten am Tag. Nach fünf Jahren erhöhten sie meinen Lohn um 20 Cent. Als sich einer meiner Brüder in Vallecas niederließ und eine Metzgerei aufmachte, verdiente er endlich so viel, dass meine Mutter ihre Schwarzmarktgeschäfte aufgeben konnte. Ich heiratete 1949 und bekam zwei Kinder.

    Doch in all diesen schweren Jahren war mein Vater stets in unseren Gedanken. Meine Schwester Paz und ich gingen regelmäßig zusammen zum Friedhof und anschließend zum Friedhofsbüro. Dort stand der Name meines Vaters in einem Registerbuch, doch es gab keine Angaben, wer überhaupt einmal ausgegraben werden würde. An einem Feiertag, an Allerheiligen, dem 1. November, fragten wir im Büro nach, ob die Toten irgendwann einmal herausgeholt würden, und der Beamte antwortete: ›Die? Die doch nicht, niemals!«

    In Argentinien ließ die dortige Militärjunta ab 1976 Zehntausende Regimegegner spurlos verschwinden. Nach 1983 und dem Ende der Diktatur wuchs der juristische Druck der Angehörigen, bis sich die Militärs schließlich gezwungen sahen, Auskunft zu geben. Diese Entwicklung wurde in Spanien aufmerksam verfolgt, wo gleichfalls viele Tausend Angehörige endlich Gewissheit haben wollten. Schließlich reiste Ascensión Mendieta nach Südamerika, wo ein argentinisches Gericht ihren Anspruch bestätigte, endlich die Gebeine ihres Vaters ausfindig zu machen und ordentlich zu begraben. Ihre Reise war Teil einer internationalen Kampagne von Menschenrechtsaktivisten, die die spanische Regierung schließlich so unter Druck setzte, dass sie einer Öffnung der Massengräber zustimmte, um die Ermordeten zu identifizieren.

    »Seit dem Jahre 1977 wäre es ihre Pflicht gewesen, die Ermordeten aus den Massengräbern hervorzuholen, doch es geschah nicht. Sie wussten, dass sie es hätten tun müssen. Ich weiß nicht, ob sie nicht wollten oder ob sie vermeiden wollten, dass die Leute über diese Gräueltaten Bescheid wüssten. Nirgendwo hat man über jene gesprochen, die Franco ermordet hat.

    Mein Wunsch ist es, meinen Vater in einer kleinen Nische des Friedhofes hier zu begraben, und wenn ich bald sterbe, möchte ich, dass sie mich zu ihm legen. Dies ist mein großer Wunsch, dass ich bei meinem Vater liege, und dass ich mit ihm zusammen verrotte und zumindest sagen kann, ›Papa, jetzt sind wir zusammen‹. Eine große Hoffnung, die ich da hege, eine große Illusion. Doch ich werde sie mit viel Freude verfolgen, denn dann werden wir mehr erreicht haben als sie [gemeint sind die Franco-Anhänger]. Wir mussten in ein anderes Land dafür gehen, aber nicht nur um meinen eigenen Vater herauszuholen, sondern alle, die in diesen Massengräbern lagen – und die sie schon längst hätten herausholen müssen.«

    Nach langer Suche konnte am 9. Mai 2017 der Leichnam von Timoteo Mendieta sowie weiterer 22 Ermordeter gefunden werden. Ascensión bekam die Überreste ihres Vaters nach einem fast achtzig Jahre währenden Kampf zurück. Sie brachte die Überreste auf den Zivilfriedhof in Madrid und konnte sie endlich unter Tränen begraben. Ascensión Mendieta starb im Jahre 2019 und wurde bei ihrem Vater beerdigt.

    »Ich bin Teil des historischen Gedächtnisses«

    Francisca Adame

    Die Dichterin Francisca Adame, eine Angehörige der Besiegten des Bürgerkriegs, blickt im Interview schlaglichtartig auf ihr schweres Leben zurück.

    Die Flucht

    Am Ende des Bürgerkriegs flohen die Unterlegenen in die Hafenstädte Spaniens, wo sie hofften, durch sowjetische Schiffe vor der Rache der Sieger in Sicherheit zu sein. Eine in den meisten Fällen vergebliche Hoffnung. (Anmerkung des Herausgebers)

    »Meine Mutter hatte 10 Kinder. Im April 1939 war das jüngste noch gar nicht auf der Welt. Die beiden ältesten waren Republikaner: einer war Hauptfeldwebel, der andere Oberleutnant, und beide flohen mit meinem Vater nach Alicante. Als wir uns auf die Flucht begaben, war meine Mutter schwanger. Mein kleiner Bruder wurde in La Herrería geboren, starb jedoch kurz nach der Geburt – wir konnten ihm noch nicht einmal genügend Vitamine und Mineralstoffe geben. Wir machten uns genau in dem Moment auf den Weg, als in Ciudad Real die ersten Schüsse fielen. Mein Vater hatte versprochen, uns einen Lastwagen zu schicken, doch der kam nie an. Militärangehörige, die in Autos an uns vorbeifuhren, sagten, wir sollten sofort verschwinden, sofort, egal wie. Zu Fuß flohen wir dann nach Miguelturra (in der Nähe von Ciudad Real), wo ein Verwandter meines Vaters uns in seinem Haus aufnahm.«

    In der Nacht endete der Krieg

    »Das Haus war voll mit Flüchtlingen. Wir blieben alle zusammen drinnen im Haus, niemand wagte sich hervor. Wir aßen Linsen mit irgendwelchen Krabbeltieren. In jener Nacht endete der Krieg. Wir hörten, wie die Soldaten die Straße entlangmarschierten und riefen: ›Raus mit den Flüchtlingen.‹ Meine große Schwester war sehr hübsch, und als wir hörten, dass die »moros« die schönen Frauen in ihre Gewalt brachten, steckte meine Mutter sie ins Bett und befahl ihr zu sagen, sie wäre krank, wenn jemand hereinkäme. Ich hingegen, mager und wenig attraktiv, konnte hinaus auf die Straße.«

    Zug für Flüchtlinge verboten

    »Wir stiegen in einen offenen Güterwaggon ein. Der Zug hielt in Manzanares, dort stiegen wir aus. Man sagte uns, wir müssten uns zu einer Kaserne begeben, um Essen zu bekommen. Dort gab man uns weiße Bohnen und meine Mutter machte eine Kerze an, um das Essen zu erwärmen. Sofort kam jedoch ein Soldat herbei, der dem Topf einen Fußtritt versetzte und das Feuer löschte. Viele Züge fuhren vorbei, mit Plakaten, auf denen stand ›Keine Flüchtlinge‹. Im Morgengrauen endlich konnten wir in einen Zug einsteigen, der uns nach Córdoba brachte, und von dort ging es zunächst weiter nach Posadas, wo meine Großeltern väterlicherseits lebten, und später dann nach La Herrería, zu den Eltern meiner Mutter.«

    Hunger und Stille

    »Als wir in La Herrería ankamen, empfing uns eine merkwürdige Stille. Den Frauen hatte man, bevor der Krieg zu Ende ging, die Köpfe geschoren. Niemand sprach. Meine Mutter hatte ihr ganzes Leben lang nicht laut gesprochen. Als sie heiratete und mit ihrem Mann von Kaserne zu Kaserne zog, hörte man von ihr immer nur ›still, mein Kind – still, mein Kind‹. Die Leute in unserem Umfeld kümmerten sich gut um uns. Mein Vater hatte allen Nachbarn rundherum geschrieben und um Hilfe gebeten. Und sie halfen uns, wo sie nur konnten: eine Nachbarin gab uns ein wenig Milch, eine andere mal eine Kartoffel … Wir hatten ständig großen Hunger, und ich musste lernen, auf dem Feld zu arbeiten. Der Hunger war so groß, dass ich mehr als einmal von den Feldern Rauke mitnahm, Kräuter, die wie Radieschen schmecken. Ich kochte die Blätter und briet sie mit Knoblauch – wenn es welchen gab – in Öl – wenn wir etwas hatten. Wir aßen auch Spinat und Johannisbrotmehl. Wir litten sehr häufig Hunger. Die Großmutter, die Arme, sagte noch im Sterben: ›Ich habe Hunger, ich habe Hunger.‹«

    Suppenküche

    »Sie sagten uns, dass es in Fuente Palmera eine Suppenküche für Witwen und Waisen gebe, geleitet von Frauen der Falange. Wenn man jedoch von La Herrería nach Fuente Palmera zu Fuß hin- und zurückging, kam man hungrig wieder zu Hause an. Meine Mutter schlug vor, dass nur eine von uns mit dem Topf losging, um ihn mit weißen Bohnen oder Linsen füllen zu lassen, die wir dann später gemeinsam zu Hause aßen. Und sie entschied auch, dass sie selbst gehen müsse, denn wenn wir es täten, würden wir sicher auf dem Rückweg alles aufessen und mit leerem Topf wieder zu Hause ankommen.«

    Wo sind unsere Männer?

    »Während wir diese qualvolle Zeit hinter uns brachten, bekamen wir keinerlei Nachricht von unseren Männern, weder von meinem Vater noch von meinen beiden Brüdern. Bevor sie sich auf den Weg nach Alicante machten, wo sie von russischen Schiffen aufgenommen und weggebracht werden sollten, sagte mein Vater zu uns: ›Weint nicht, mich nehmen sie nicht mit, denn ich habe eine Pistole mit fünf Patronen und da werde ich mir vorher eine in den Kopf jagen.‹ Die Schiffe kamen nie an, und Erzählungen meiner Brüder zufolge wurde die Nacht im Hafen für alle zu einem grauenhaften Erlebnis. Die Nationalisten befahlen den Befehlshabern auszusteigen, und danach töteten sie den einen oder anderen. Sie sagten einfach: ›Du herkommen, du weg.‹ Dem Kleinsten von ihnen, Antonio, der als Fähnrich Nachrichtenbote war, sagten sie, er solle abhauen, nicht fragen, einfach verschwinden …«

    Noch ein Roter

    »Vom Pflichtanwalt, den wir für meinen Vater engagieren wollten, hörten wir nur: ›Noch ein Roter …‹, und er machte uns klar, dass er meinen Vater auf gar keinen Fall verteidigen wolle. Wir schauten uns nach einem anderen um und fragten einen der Leutnants der Artillerie, die zu jener Zeit auch als Verteidiger eingesetzt wurden. Er war uns gegenüber sehr freundlich und las sich die Anklageschrift in Ruhe durch. Dann rief er uns zu sich: ›Ich bin kein Rechtsanwalt und auf solche Fälle nicht richtig vorbereitet. Ich möchte nicht den Tod eines Familienvaters auf dem Gewissen haben.‹ Er schickte uns weiter zum nächsten Anwalt.«

    Fast eine Informantin

    »Vier Monate lang habe ich für die Gefangenen dies und das erledigt. Ich kam mir fast vor wie eine geheime Informantin. Wenn ich Essen ins Gefängnis brachte, flüsterten mir die anderen Gefangenen etwas zu: ›Dein Vater sagt, der Soundso bittet dich, seine schmutzige Wäsche zu waschen, weil er niemand anderes hat.‹ ›Dein Vater sagt, dass du mit dem Soundso in Kontakt treten sollst.‹ Und so ging es fort, und ich brachte die Nachrichten zu den Familien und die Antworten zurück. Sie gaben mir auch schmutzige Kleidung, die ich ins Frauengefängnis trug, wo die Frau oder Freundin dann alles wusch. Eines Tages baten mich sogar zwei Häftlinge, die draußen auf dem Feld arbeiteten, dass ich ihre Feldflaschen, die sie in der Nähe eines Baumes vergraben hatten, mit Wein füllen solle.«

    Bedienung

    »Meine Tante verkaufte Bananen von Tür zu Tür. Auf diese Weise lernte sie eine Dame kennen, die eine Bedienung brauchte, und so wurde ich dorthin geschickt. Ich musste eine Haube und eine weiße Schürze tragen, was mich immer wieder zum Weinen brachte. Ich weinte auch, als ich die Leute an den Tischen bedienen musste. Schon lange hatte ich großen Hunger gelitten, und so aß ich alles auf, was ich kriegen konnte. Um 15 Uhr kamen die Armen, um sich die Reste der Mahlzeiten abzuholen, doch häufig gab es nichts mehr für sie, weil ich selbst alle Reste aufgegessen hatte.«

    Unterstützer-Netzwerk

    »Die Gefangenen stellten in Haft diese und jene Produkte her und schenkten mir ihre Werke. Meine Tante wollte aber nicht, dass ich die Sachen behielte und übergab sie meiner Mutter, die wiederum alles an die Nachbarn verschenkte, die uns mit Nahrungsmitteln versorgt hatten. Meine Mutter gab dann jedem von uns Kindern ein Brötchen und sagte, dass wir am nächsten Tag unseren Papa besuchen würden. Deswegen teilte ich mir mit meinem Bruder eines der zwei Brötchen, um meinem Vater und Manolito das andere mitzubringen.«

    Los Merinales

    »Vier Monate nach dem ersten Gerichtsurteil wurde die Todesstrafe für meinen Vater in eine 30-jährige Haftstrafe umgewandelt. Er wurde ins Gefängnis von Sevilla verlegt und von dort ins Internierungslager Los Merinales (Dos Hermanas, Sevilla). Als später das Urteil über meinen Bruder gefällt wurde, landete auch er in Los Merinales. Mein Vater arbeitete dort als Koch, Manuel im Büro. Sie arbeiteten hart, um ihre Strafe zu verkürzen. Jedes Jahr, das sie arbeiteten, verkürzte ihre Haft um drei Jahre. Mein anderer Bruder, Antonio, arbeitete auch dort, wurde dafür aber bezahlt. Meine Mutter zog ebenfalls nach Sevilla, genauer gesagt nach Bellavista, um in der Nähe ihres Mannes und ihrer Söhne zu sein. Meine Schwester ging im Lager ein und aus, um Nachrichten und Meldungen hin- und herzutragen, offiziell allerdings gab sie an, als Geschirrwäscherin tätig zu sein. Ihre Jugendzeit war zerstört, junge Leute hatten keine Chance. Ich persönlich besuchte meinen Vater nur, um ihm meine Kinder vorzustellen. Zu jener Zeit hatte ich nämlich geheiratet.«

    Meine Ideen und Hoffnungen weitertragen

    »Niemals habe ich zugelassen, dass meine Ideen und Hoffnungen in Vergessenheit gerieten. Immer wenn ein Pfarrer oder ein Lehrer in unser Dorf kam, fühlte ich mich gut aufgehoben und verstanden. Meinen Kindern erzählte ich nur hinter dem Rücken ihres Vaters, was ich erlebte. Zum Glück waren sie immer alle auf meiner Seite.

    Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, die Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, auch wenn so viel Zeit ins Land gegangen ist. Wenn nach einer Veranstaltung mal ein junger Mensch zu mir kommt und mir sagt, wie gut ihm mein Vortrag gefallen habe, dann ist es für mich, als ob mir jemand eine Blumenkrone aufs Haupt setzt.«

    Viele gute Menschen

    »Ich kann nur immer wieder betonen, dass es viele gute Menschen gab in jener Zeit, die sehr gerne ihre Hilfe anboten. Als die Wärter zum Beispiel meinen Bruder Manuel vom Gerichtssaal ins Gefängnis bringen sollten, wollte meine Großmutter, die taub war, ihn unbedingt vor seinem Haftantritt noch einmal sehen, mir blieb aber eigentlich gar keine Zeit, sie auf die Schnelle noch zu holen. Da sprach mich einer der Wachleute an, und bot an, ich solle einfach losgehen und sie mitbringen – sie würden solange auf uns warten.«

    Lesen und schreiben

    »Ich konnte bis ins hohe Alter kaum schreiben. Ich lernte es erst mit 65 richtig. Als ich einmal meine ältere Schwester einen Brief an meinen Bruder schreiben sah, fasste ich den Entschluss, es doch noch zu versuchen. Mein Bruder sagte, wenn ich wirklich dranbliebe, würde er mir meine Briefe korrigiert zurückschicken. In unserem Dorf gab es nur eine einzige Frau, die schreiben konnte. Daher übernahm ich, in meiner ganz persönlichen Art, die Aufgabe, für die Frauen im Dorf Briefe zu schreiben, die sie an ihre Männer und Söhne im Gefängnis und später auch ins Exil nach Deutschland schicken wollten. Meinen Mann bat ich, die Adressen gut lesbar auf den Umschlag zu schreiben, denn es war sehr wichtig, dass die Briefe ihr Ziel erreichten. Wenn die Frauen dann Antwortbriefe zurückbekamen, baten sie mich, sie ihnen vorzulesen. Allerdings fiel mir auch das schwer, und oftmals musste ich die Sätze einfach erfinden: ›Geliebte Carmen, mir geht es gut und ich spare viel …‹ – So kam es, dass alle Antwortbriefe ziemlich gleich klangen.«

    Leben und Poesie

    »Über jede der Geschichten meines Lebens habe ich ein Gedicht geschrieben. Das erste entstand, als ich in der Volkshochschule einen Kurs absolvierte. Unsere Aufgabe war es, im Rahmen eines Wettbewerbs, eine Zeichnung über Andalusien anzufertigen. Ich zeichnete ein Ehepaar mit vielen kleinen Kindern und schrieb darunter, ›wegen Mangel an Informationen gibt es nun diesen Haufen hier‹. Daraufhin drängte man mich, an einem Poesie-Wettbewerb teilzunehmen. An diesem Wettbewerb nahm auch Paco, der Pfarrer, teil. Deswegen war ich davon überzeugt, dass ich keine Chance hätte. Doch ich gewann den Wettbewerb und – begann zu schreiben!«

    Im Folgenden das Gedicht, mit dem Francisca Adame den Wettbewerb gewann:

    »Kein Brot, kein Licht«

    Wie Frauen unter dem Franco-Regime in Würde zu überleben suchten Lucía Prieto Borrego

    Das Alltagsleben der spanischen Frauen zu Beginn des Franco-Regimes war geprägt durch die Rationierung lebenswichtiger Güter. Die Rationierungsmaßnahmen sollten der Gefahr der Lebensmittelknappheit entgegenwirken, die Befriedigung der Grundbedürfnisse sichern und den Konsum regulieren. Allerdings zeigten die entstehende Schattenwirtschaft und der rege Schwarzmarkt, der sich trotz Kontrollen und Sanktionen nicht eindämmen ließ, schnell die Unwirksamkeit dieses Instruments.

    Die Rationierung

    Aus den Pressemitteilungen der großen Städte ließ sich deutlich ablesen, wie das eingeschränkte Nahrungsmittelangebot selbst ein Mindestmaß an Lebensqualität für einen Großteil der Bevölkerung unmöglich machte. Der an wissenschaftlichen Standards gemessene Ernährungszustand Mitte der 1950er-Jahre zeigte verheerende Ausmaße: bei 15 Prozent der Spanier war die Kalorienzufuhr viel zu gering, die Fettaufnahme zu hoch und ein Großteil der Bevölkerung litt an einer Unterversorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen.

    Brot und Öl waren seit jeher Grundlage einer Ernährung, die sich durch einen äußerst begrenzten Fleischkonsum auszeichnete. Fleisch kam nur in Ausnahmefällen, beispielsweise an Festtagen, auf den Tisch. Tierische Eiweiße wurden durch Eier, Fette wie z. B. Speck und Wurst oder auch durch billigere Lebensmittel wie Kabeljau geliefert. Allerdings war diese elementare und sehr einseitige Ernährung, die zudem vom Jahreszyklus abhing und der es an grundlegenden Nährstoffen fehlte, für einen Großteil der Bevölkerung im Franco-Regime gar nicht zugänglich und die Zutaten für ihre Zubereitung waren nur auf dem Schwarzmarkt zu bekommen.

    Kein Brot, kein Öl, kein Kaffee

    Brot wurde auf äußerst winzige Mengen rationiert: die Zuteilungen schwankten zwischen 150 und 200 Gramm. Dies hatte zur Folge, dass die strikten Vorschriften im Verarbeitungsprozess und in der Verteilung an vielen Kettengliedern untergraben wurde, sowohl von den Fabrikanten, die ihr Weizenmehl am Rande der offiziell erlaubten Kontingente produzierten, als auch von den Bäckern, die Brot unterschiedlicher Qualität herstellten und es an den Hintertüren ihrer Backstuben verkauften.

    Die Frauen machten sich zu den Brotfabriken oder Geschäften auf, die Brot unter der Hand verkauften, oder zu den Mühlen, die nachts Mehl produzierten. Auf

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