Bei der Fahne: Dienen in der NVA
Von Anonym
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Über dieses E-Book
entstanden und Partnerschaften zerbrachen an der Armeezeit. Dieser Band widmet sich der NVA in vielerlei Aspekten. Wie sah der Alltag eines
Soldaten in der NVA aus? Welche Besonderheiten hatte ein Grenzsoldat zu beachten?
Wie verhielt es sich mit der stets deklarierten Freundschaft zur Sowjetarmee? Was bedeutete es, als Christ oder Pazifist den Dienst als Bausoldat anzutreten? Wie und was empfand eine junge Ehefrau und Mutter, wenn der Partner für 18 lange Monate eingezogen wurde? Und was spielte sich zur Wende in den Kasernen ab? Entstanden ist ein
bewegendes Erinnerungsbuch an den Dienst bei der Fahne!
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Buchvorschau
Bei der Fahne - Anonym
Vorwort
Hans-Georg Löffler – Generalmajor a. D.
Ehrenwache am Ehrenmal im KZ Sachsenhausen bei Oranienburg (Foto: Archiv jm)
1956 – das Gründungsjahr der NVA
Aus den kaserniert untergebrachten Polizeieinheiten, die polizeitypische Strukturen und Bewaffnung besaßen, wurde ab 1952 die Kasernierte Volkspolizei (KVP) geschaffen, die strukturell und kadermäßig den Vorläufer einer Armee darstellte. Denn die sowjetische Staatsführung drängte die DDR-Regierung, auf die Aufstellung eigener Streitkräfte unter Anleitung sowjetischer Militärs hinzuarbeiten. Die äußeren Bedingungen, unter anderem der Kalte Krieg zwischen Ost und West und die laufenden Vorbereitungen zur Aufstellung einer westdeutschen Armee, forcierten diesen Prozess. Nachdem die BRD im Mai 1955 dem Nordatlantikpakt (NATO) beigetreten und am 12. November 1955 die Bundeswehr gegründet worden war, folgte der Beschluss der Volkskammer der DDR vom 18. Januar 1956 zur Bildung der Nationalen Volksarmee und des Ministeriums für Nationale Verteidigung (MfNV). Bestätigt wurde weiterhin der Beschluss des Ministerrates über die Einführung der Uniformen, Dienstgradbezeichnungen und der Dienstgradabzeichen der NVA sowie über die Aufstellung der NVA, bestehend aus Land-, Luft- und Seestreitkräften. Generaloberst Willi Stoph wurde zum Minister für Nationale Verteidigung (MfNV) berufen. (Klaus Froh: Chronik der NVA, der Grenztruppen und der Zivilverteidigung der DDR 1956–1990. Berlin: Verlag Dr. Köster, 2010.)
Mit dem Befehl Nr. 1/1956 des MfNV wurde die Stärke der NVA auf 120 000 Mann festgelegt, davon 90 000 Mann in den Landstreitkräften. Aber schon am 28. Juni 1956 entschied der Ministerrat, die Personalstärke der NVA auf 90 000 Mann zu begrenzen, das Prinzip der Freiwilligkeit, das sich in der KVP bewährt hatte, beizubehalten und auf die Anschaffung von U-Booten und Bombenflugzeugen zu verzichten.
Die sowjetische Militärführung orientierte darauf, dass die NVA von Beginn an ein Teil der östlichen Militärkoalition als Reaktion auf die NATO sein sollte. Innerhalb dieser Koalition und unter der Führung und im Zusammenwirken mit der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) sollte die NVA Aufgaben zur Landesverteidigung erfüllen, die sich aus ihrer strategischen Lage an der Schnittstelle zur NATO ergeben würden. Die dafür notwendige operative Planung erfolgte bis 1989 im Oberkommando der GSSD in Wünsdorf, nach Vorgaben des Generalstabes der sowjetischen Streitkräfte und unter Wahrung strengster Geheimhaltung. Administrativ wurde das Territorium der DDR in zwei Militärbezirke eingeteilt, im Norden war es der Militärbezirk V, mit dem Stabssitz in Neubrandenburg, und ab der Linie Wernigerode, Jüterbog und Eisenhüttenstadt war es der Militärbezirk III, mit dem Stabssitz in Leipzig.
Neue Uniformen und neue Tradition
Es ist bemerkenswert, dass sich die Partei- und Staatsführung der DDR dazu entschloss, die Uniformen der NVA, anders als bei der Bundeswehr, deutlich den historischen deutschen Militäruniformen anzupassen. Der Erkenntnisweg bis zu dieser Entscheidung verlief jedoch sehr kontrovers. Waren die Uniformen der Kasernierten Volkspolizei allzu deutlich an sowjetische Vorbilder angelehnt, tauchten nun wieder Bilder von deutschen Soldaten in steingrauen Uniformen und sogenannten Knobelbechern als Schuhwerk oder Offizieren in Stiefelhosen auf. Die Einführung der Uniformen erfolgte auf der Grundlage des Befehls Nr. 1/1956 des MfNV vom 10. Februar 1956. Darin heißt es: »Anstelle der khakifarbenen Uniformen der KVP wird die steingraue Uniform für die Land- und Luftstreitkräfte/Luftverteidigung und die blauweiße Uniform für die Seestreitkräfte eingeführt.« Bedeutsam ist auch, dass die militärische Anrede festgeschrieben wurde, und zwar galt nun die Anrede »Genosse« mit Nennung des Dienstgrades, zum Beispiel »Genosse Leutnant«, eigentlich eine in Parteien übliche Anrede. Erst ab Januar 1990 wurde im Zuge der Militärreform wieder die Anrede »Herr« bzw. »Frau Leutnant« eingeführt.
Es war also augenscheinlich, die Uniformen der NVA sahen den Wehrmachtsuniformen ähnlich und schon bald war die Rede von den »roten Preußen«. Vor der Erarbeitung des Befehls Nr. 1/1956 hatten zwar viele höhere SED-Funktionäre weiterhin für eine khakifarbene Uniform plädiert, da sie wohl niemanden in Moskau verärgern wollten. Aber die sowjetische Militärführung argumentierte zu Recht dagegen, dass eine deutsche Militärtradition existierte, die nicht nur reaktionär war: erinnert sei an die deutschen Truppen, die 1813/14 im Befreiungskrieg gemeinsam mit der russischen Armee die Streitkräfte Napoleons besiegten oder an die vielen tausend Soldaten und Offiziere im Nationalkomitee Freies Deutschland während des Zweiten Weltkriegs. An deren Erscheinungsbild solle man sich anlehnen. Die Haltung der sowjetischen Militärs war lobenswert und es sei bemerkt, dass die russischen Streitkräfte bis in die Gegenwart ihre Traditionen, ob Liedgut, Marschmusik, Uniformen oder Rituale, aus der zaristischen und sowjetischen Flotte und Armee bewahren.
Eine neue deutsche Armee, eine Volksarmee, wurde aufgebaut. Auf welche Traditionen sollte sie sich stützen? Schließlich würden diese auch die geistige Verfasstheit der Truppe bestimmen. Die Traditionen der NVA spiegelten sich in ihren militärischen Zeremoniellen, Ritualen und ihrem Brauchtum wider. Sie waren Ausdruck des Geschichtsbewusstseins und des Selbstverständnisses der Soldaten. Die jährlich durchgeführten Paraden, der wöchentliche Große Wachaufzug am Mahnmal Unter den Linden in Berlin und der bei besonderen Gelegenheiten stattfindende Große Zapfenstreich, um nur die wichtigsten zu nennen, sind vielen Menschen im In- und Ausland, darunter vielen Angehörigen der NATO-Streitkräfte, noch heute in guter Erinnerung. (Mehr dazu in: Hans-Georg Löffler/Bernd Biedermann/Wolfgang Kerner: Paraden und Rituale der NVA. 1956-1990. Berlin: edition berolina, 2014.)
Kampfkraft und Gefechtsbereitschaft
Zur Sicherung einer ständig hohen Kampfkraft und Gefechtsbereitschaft galt es, das Niveau der politischen, militärischen und technischen Ausbildung in den Teilstreitkräften sowie an den Lehreinrichtungen der NVA ständig zu verbessern. Das war notwendig, weil die Streitkräfte der NATO kontinuierlich den Grad ihrer Militarisierung erhöhten.
Die anspruchsvollen Aufgaben zur Intensivierung der Ausbildung, schon ab Beginn des Bestehens der NVA, waren nur möglich mit einem solide ausgebildeten und motivierten Offiziers- und Unteroffizierskorps. Während sich das Offizierskorps der Bundeswehr nach 1955 vor allem aus Angehörigen der traditionellen Eliten der Reichswehr und der Wehrmacht zusammensetzte, entstand in der DDR in wenigen Jahren ein Offizierskorps neuen Typus.
Das war nur machbar mit großer fachlicher und logistischer Unterstützung durch die sowjetische Militärführung, sicherlich nicht uneigennützig. Bereits ab 1949 konnten Offiziere der Volkspolizei und ab 1952 Offiziere der KVP zum Kommandeur eines Truppenteils in Ausbildungszentren weit hinter Moskau und unter sehr einfachen Lebensbedingungen ausgebildet werden – jedoch unter strengster Geheimhaltung. Von 1956 bis 1990 konnten Offiziere aller Waffengattungen, Spezialtruppen und Dienste zu einem Studium an einer militärischen Lehreinrichtung in der Sowjetunion delegiert werden. Im Buch Militärs der DDR im Auslandsstudium (Bernd Biedermann/Hans-Georg Löffler: Militärs der DDR im Auslandsstudium. Erlebnisberichte – Dokumente – Fakten. Friedland: Steffen Verlag, 2012.) wird hervorgehoben, dass von 1949 bis 1953 circa sechshundertfünfzig Angehörige der Volkspolizei/KVP in der Sowjetunion an einem Qualifizierungslehrgang teilnahmen. Es ist nicht zu leugnen, dass diese Ausbildung im Widerspruch zu den Beschlüssen von Potsdam zur Demilitarisierung Deutschlands erfolgte. Die sowjetische Führung erachtete sie jedoch angesichts des sich verschärfenden Kalten Krieges für notwendig, denn es bestand ein hoher Bedarf an Offizieren, die befähigt waren, in höheren Stabsdienststellungen bzw. zur Führung von Verbänden und Truppenteilen eingesetzt zu werden.
Nach der Gründung der NVA und deren Einordnung in den Bestand der Vereinten Streitkräfte der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) sowie wegen der kontinuierlichen Zuführung moderner Führungs- und Waffensysteme aus sowjetischer, sogenannter vaterländischer, Produktion, schien es notwendig, die Anzahl der Offiziere zu erhöhen, die an Lehreinrichtungen der Sowjetarmee ausgebildet werden. Die qualifizierte und anspruchsvolle Ausbildung von Generalen und Offizieren der NVA an Lehreinrichtungen der Sowjetarmee hat wesentlich dazu beigetragen, dass die NVA in all den Jahren ihres Bestehens eine verteidigungsbereite und akzeptierte Streitkraft im Bestand der Vereinten Streitkräfte der WVO war.
Großer Wachaufzug an der Neuen Wache Unter den Linden in Berlin, im Hintergrund das Kronprinzenpalais gegenüber der Neuen Wache (Foto: Archiv jm)
Im Verlauf der Manöver »Waffenbrüderschaft-70« und »Waffenbrüderschaft-80« sowie weiterer gemeinsamer Truppen- und Flottenübungen hat die NVA in aller Öffentlichkeit ihr Können und ihre Fähigkeit zur Verteidigung unserer Heimat bewiesen. Eine Voraussetzung dafür war, dass an der Akademie des Generalstabes in Moskau insgesamt zweihundertdreiundachtzig Generale und Offiziere der NVA ein zweijähriges Studium absolvierten. Auch an den fünfzehn Militärakademien der sowjetischen Teilstreitkräfte beendeten dreitausendzweihundertsiebenunddreißig NVA-Offiziere ein drei- bis fünfjähriges Studium erfolgreich. Hinzu kam, dass eintausendeinhundertdreiundvierzig Offiziere und Offiziersschüler zu einem Studium an sowjetische Offiziershochschulen delegiert wurden. Alle diese Absolventen beherrschten die Kommandosprache Russisch. Ergänzt wurde die Heran- und Ausbildung von Generalen und Offizieren der NVA an der Militärakademie »Friedrich Engels« in Dresden sowie an den Offiziershochschulen der Teilstreitkräfte. Das Unteroffizierskorps der NVA erhielt seine Qualifikation an den Militärtechnischen Schulen sowie an den Unteroffiziersschulen/Ausbildungszentren der Land-, Luft- und Seestreitkräfte.
Hohe Gefechtsbereitschaft und andere Probleme
Ständige Gefechtsbereitschaft bedeutete, dass stets fünfundachtzig Prozent des Personalbestandes präsent sein musste. Für eine Mot.-Schützenkompanie von hundert Mann hieß das, dass nur fünfzehn der Unteroffiziere und Soldaten im Urlaub bzw. im Ausgang sein durften. Die übrigen fünfundachtzig mussten im Kompaniebereich verbleiben oder die begrenzten Möglichkeiten der Freizeitgestaltung in der Kaserne zum Beispiel eines Mot.-Schützenregiments (circa zweitausend Mann) nutzen. Die