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Marvel | Heldinnen – Domino auf Abwegen
Marvel | Heldinnen – Domino auf Abwegen
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eBook363 Seiten4 Stunden

Marvel | Heldinnen – Domino auf Abwegen

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Über dieses E-Book

Die scharfsinnige, glücksmanipulierende Söldnerin Domino stellt sich in diesem explosiven Roman sowohl einem gefährlichen Kult als auch ihrer dunklen Vergangenheit.

Der Auftrag: Die Sekte eines Chicagoer Hochstaplers infiltrieren und ein gehirngewaschenes Zwillingspaar befreien. Die Antwort der ehemaligen X-Force-Agentin Domino: Nein. Fanatiker bedeuten bloß Ärger. Sie hat noch immer Albträume wegen Projekt Armageddon, das Supersoldatenprogramm, das ihr Leben und ihre Familien zerstört hat. Wenn sie doch damals nur jemanden gehabt hätte, der ihr geholfen hätte, jemanden … wie sie. Vielleicht wird es Zeit, sich den Dämonen zu stellen. Mit ihren wahrscheinlichkeitsmanipulierenden Superkräften sollte sich doch alles zum Guten wenden lassen.

© 2021 MARVEL.
SpracheDeutsch
HerausgeberCross Cult
Erscheinungsdatum5. Apr. 2021
ISBN9783966584067
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    Buchvorschau

    Marvel | Heldinnen – Domino auf Abwegen - Tristan Palmgren

    1

    CHICAGO, HEUTE

    Es gibt was, das einem niemand über das krasse, superaufregende Leben eines Söldners erzählt, und zwar, was für eine Schufterei es zwischen den Aufträgen ist.

    Ich will nicht lügen, natürlich ist es auch glamourös. Wenn man so wie ich bettelarm anfängt – ohne Ausbildung, aber mit jeder Menge Talent –, dann gibt es nichts, was glamouröser ist. Söldner werden nicht alt, aber der Trick ist, in diesen wenigen Jahren für zehn zu leben. Meine Freunde und ich haben das zu einer Art Wettbewerb gemacht: Sobald der Scheck von einem hoch bezahlten Job eingelöst ist, ziehen wir los und schauen, wer seinen Lohn am schnellsten auf den Kopf hauen kann. Bonuspunkte gibt es für denjenigen, der alles in Clubs ausgibt. Zusätzliche Bonuspunkte, wenn es nur ein einziger Club in einer einzigen Nacht ist.

    Einige meiner schönsten Erinnerungen stammen aus solchen Nächten. Jedenfalls die Teile, an die ich mich noch erinnern kann. (Echt traurig, wenn ich mir vorstelle, was ich alles vergessen habe.)

    Für jemanden, der für die Zukunft plant und nicht schlafen kann, wenn er nicht weiß, was er nächste Woche macht, ist das hier nicht der richtige Beruf. Es gibt da doch dieses Experiment, bei dem ein paar Weißkittel ein Vorschulkind vor ein Marshmallow setzen und ihm sagen, dass es noch ein zweites bekommt, wenn es das erste fünf Minuten lang nicht isst. Die Kinder, die warten, haben angeblich eine bessere Selbstbeherrschung, können vorausschauend handeln und werden es im Leben noch weit bringen und so weiter.

    Wenn ihr zu denen gehört, die auf das zweite Marshmallow gewartet hätten, ist das der falsche Job für euch. Um das zu tun, was ich tue, muss man immer den ersten nehmen. Vertraut niemals Leuten, die euch irgendwas versprechen.

    Verlasst euch nicht darauf, irgendeine Zukunft zu haben. Die Gegenwart ist ohnehin der lustige Teil. Der einzige Teil, der echt ist.

    Und dann ist da noch der Rest. Der schwerste Teil – na ja, es gibt einen Haufen schwerer Teile, aber der schwerste, der zum Beispiel nichts damit zu tun hat, mit offenen Wunden durch Abwasserkanäle zu waten – besteht darin, jemand zu finden, der 1) vertrauenswürdig genug ist, das zu zahlen, was ausgemacht war, 2) einen Auftrag hat, der eurer Fähigkeiten auch wert ist, 3) bereit ist, einen Vorschuss und Sonderzulagen zu zahlen, und 4) kein totaler Mistkerl ist.

    Der vierte Punkt ist für gewöhnlich das K.-o.-Kriterium. Wer hätte es gedacht? Also ist es auch der Punkt, auf den ich am meisten achte, wenn ich meine Auftraggeber oder ihre Agenten treffe oder mit ihnen über einen identitätsverbergenden VoIP-Server rede. Das Bewerbungsgespräch ist wechselseitig. Ihr wärt überrascht, wenn ihr wüsstet, wie viele Leute euch nicht sagen, was sie erledigt haben wollen, oder euch anlügen, bis sie die Gelegenheit bekommen, euch in die Augen zu schauen. Manche wollen sich vergewissern, dass ich genug auf dem Kasten habe, um den Auftrag zu erledigen, wenn sie schon verzweifelt genug sind, jemanden wie mich dafür anzuheuern. Oder sie wollen mich einfach nur so treffen.¹

    Bei ersten Treffen habe ich einen Vorteil. Ich habe ein Mal um mein Auge, das die meisten Leute für eine Narbe halten. Und sie konzentrieren sich darauf, anstatt mich zu mustern. Mir macht dieses Missverständnis nicht viel aus. Es lässt mich tough aussehen.

    Ich meine … tougher.

    So traf ich mich also eines eiskalten Chicagoer Winterabends mit Rebecca Munoz in einer Wohnung, von der ich behauptet hatte, dass sie meine wäre. Sie klopfte während der allabendlichen Rush Hour an die Tür. Die Schlange der Scheinwerfer draußen vor dem Fenster war endlos und würde es noch ein paar Stunden bleiben. Ich war überrascht, dass sie es bei dem Verkehr überhaupt rechtzeitig geschafft hatte.

    Sie war eine von diesen vorausschauenden Personen.

    Ich hatte vor, sie abzuweisen. Sie hatte mir eine lange Geschichte darüber geschickt, dass ihre erwachsenen Kinder den Kontakt mit ihr abgebrochen hätten und sich weigerten, sich mit ihr zu treffen. Sie sagte, dass sie in die Fänge irgendeiner Sekte geraten seien, die sie dazu ermutigt hätte. Von so was halte mich ich normalerweise fern, und zwar aus gutem Grund. Aber ich gebe jedem eine Chance. Eine einzige.

    Als sie reinkam, wirkte sie unsicher – wie die meisten Leute, wenn sie mein Waffenholster und mein aus Sammlerstücken bestehendes Arsenal auf dem Couchtisch ausgebreitet sehen. Doch dann war es, als würde sie sie gar nicht mehr wahrnehmen. Und ihre hochgezogene Augenbraue drückte aus, wie unbeeindruckt sie war.²

    Ihr hevorstechendstes Merkmal waren die Ringe unter ihren Augen. Sie sah aus, als hätte sie seit Tagen nicht mehr geschlafen. Oder hätte seit Wochen nicht mehr als ein, zwei Stunden pro Nacht bekommen. Ihr schwarzes Haar war tropfnass. Sie hatte Schnee hineinbekommen und im Gebäude war es so kalt, dass er erst jetzt zu schmelzen begann.

    Sie setzte sich mir gegenüber auf einen Stuhl. Als Erstes erklärte sie, wie sie mich bezahlen wollte und über welche Banken. Das hätte sie wohl kaum getan, wenn sie sich nicht bereits entschieden hätte, mich anzuheuern. Sie beachtete das Mal an meinem Auge gar nicht.

    Die Leute denken immer, sie können es anstarren, ohne dass es mir auffällt, aber ich merke es jedes Mal.

    Als sie begann, Geld auf dem Tisch abzuzählen, hob ich eine Hand. »Ich hab nur gesagt, dass ich Sie treffen würde. Sie tun so, als hätte ich bereits auf der gepunkteten Linie unterschrieben.«

    »Ich wusste gar nicht, dass Leute wie Sie irgendetwas schriftlich festhalten.«

    Da war es wieder, dieses altvertraute Gefühl: Mir stellen sich die Nackenhaare auf. Leute wie Sie kann viele unterschiedliche Bedeutungen haben. Könnte Söldner heißen. Oder Mutanten.

    »Worin liegt der Sinn, etwas vertraglich festzuhalten, wenn es kein Richter vollstrecken würde?«, fragte sie.

    »Das war eine Metapher.« Ich biss die Zähne zusammen. »Diese E-Mail, die Sie mir geschickt haben? Über Ihre Kinder? Die war ja endlos.« Aber süße Fotos. Hispanische zweieiige Zwillinge, die Seite an Seite bei ihrem Highschool-Abschluss stehen. Das Mädchen war etwas größer als ihr Bruder, aber beide hatten Sommersprossen. Doch laut der Metadaten war das Bild mehrere Jahre alt. Die Zwillinge waren inzwischen Mitte zwanzig. »Ich will ehrlich sein. Ich hab nach der Hälfte nicht weitergelesen. Wenn Sie einen Auftrag für mich haben, brauchen Sie nicht auf die Tränendrüse zu drücken.«

    Manchmal ist der beste Weg, neuen Kunden auf den Zahn zu fühlen, indem man einen Streit vom Zaun bricht und schaut, was passiert. Und nach dem, was sie gerade vielleicht angedeutet hatte, würde dieser Streit mir ein Fest sein.

    »Ich hatte nicht erwartet, dass es so kompliziert wird«, sagte sie. »Ich will einfach nur jemanden engagieren, um herauszufinden, was aus ihnen geworden ist.«

    »Ach ja?«, erwiderte ich. »Und wenn ich rausfinde, dass sie genau da sind, wo sie gesagt haben? Was dann?«

    Darauf hatte sie keine Antwort oder wollte mir keine geben. Sie erwiderte meinen Blick mit derselben Härte. Erneut, das musste ich ihr lassen, ohne auf das Mal zu starren.

    »Würden Sie das wirklich als Ende dieser Geschichte akzeptieren, die Sie sich da einreden?«, fragte ich.

    »Sie denken, dass ich mir etwas einrede?« Wieder musste ich ihr lassen, dass sie ihre Verachtung nicht verbarg.

    »Die meisten meiner Klienten wollen genau das. Zumindest die meisten mit familiären Problemen. Sie wollen mich anheuern, weil ihnen die Geschichte, in der sie sich befinden, nicht gefällt. Sie wollen ein paar Kapitel zurückgehen. Die Charakterentwicklung einer anderen Person rückgängig machen. Oder einfach verhindern, dass die letzte Seite aufgeschlagen wird. Aber so einfach ist es nie.«

    Nicht viele Leute können das Genre ihrer Geschichte ändern. Ich hab ein paar getroffen, die es konnten. Aber wenn sich diese Frau in einer Tragödie befand, konnte ich das nicht in was anderes verwandeln. Und ich wollte es eigentlich auch nicht. Egal wie viel Geld ich bekam. Und für Geld mache ich eine Menge.

    Rebecca Munoz trug immer noch ihren Wintermantel. Sie zog ihre Hände in die Ärmel zurück. Ich in meinem dünnen Kampfanzug musste so tun, als würde mir die Kälte nichts ausmachen. Die Autoscheinwerfer warfen schillernde Wellenmuster auf die Eisblumen am Fenster.

    Meine Freunde, Diamondback und Outlaw, hatten diese Wohnung – damals, noch bevor wir unseren Glückspiel-Flussdampfer, die Painted Lady, bekamen – allein für diese Art Treffen angemietet. Das ist natürlich teurer, als einfach in irgendein Hotel zu gehen. Aber ich traue Hotelzimmern bei so was nicht über den Weg. Außerdem weiß man nie, wann es brenzlig wird oder man plötzlich untertauchen muss. Dann ist man froh, vorgesorgt zu haben. Orte wie dieser, an dem dich deine Freunde, aber nicht die Polizei finden können, sind jeden Dollar wert, den man dann nicht mehr beim Feiern ausgeben kann.

    Bevor ihr mir jetzt vorwerft, ich würde ja doch vorausschauend denken: Diese Wohnung war Diamondbacks Idee. Ich hab nichts gegen Planer. Manchmal brauche ich sie sogar. Ich will es nur nicht selbst tun müssen.

    Rachel – Diamondbacks bürgerlicher Name, auch wenn man sie besser Diamondback nennen sollte, bis sie was anderes sagt – hatte zwar die Idee, aber die Auswahl wollte ich ihr nicht überlassen. Rachel hat einen Hang zu schönen und teuren Dingen. Sie die Wohnungen aussuchen zu lassen, hätte unser Feierbudget um Zehntausende gekürzt. Ich hab die Sache an Inez weitergegeben, unsere Outlaw. Möglicherweise war ich damit ins andere Extrem umgeschlagen.

    Letztendlich ist Inez auch nicht vernünftiger als der Rest von uns kostümierten Söldnern. Sie hat ihre Ästhetik, genau wie Rachel und ich. Sie steht auf runtergekommen, verwahrlost und praktisch. So praktisch, dass ich mir auf dem Boden hier ohne meine Stiefel Splitter eingefangen hätte. Und so praktisch, dass das zweckmäßigste Möbelstück die Bar ist. Sie ist gut bestückt und hat sogar eine Zapfanlage.

    Inez stammt aus Texas. Als sie sich diese Bude hier angesehen hat, hat sie sich keine Gedanken gemacht, wie es hier im Winter sein würde. Kälte ist ihr fremd.³ Ich nahm mir vor, mir eine Ausrede einfallen zu lassen, um sie herzuschicken und sie zu zwingen, eine Nacht hier zu verbringen.

    Ich war direkt aus meiner Wohnung in San Francisco hergekommen. Jedes Mal, wenn ich das Gefühl bekomme, dass San Francisco ein unbewohnbares Höllenloch ist, kehre ich nach Chicago zurück, um mich daran zu erinnern, wie wirklich unbewohnbare Höllenlöcher aussehen.

    (Hey – ich bin in Chicago aufgewachsen. Ich darf meine Stadt beleidigen. In gewisser Hinsicht ist sie immer noch meine Stadt.)

    »Das Einzige, was ich will«, sagte sie, »sind meine Kinder.«

    Ich legte meine Füße auf den Couchtisch und lehnte mich zurück. »Schon, aber Ihre Kinder wollen das nicht.«

    »Sie sagen nur, was man ihnen eingetrichtert hat.«

    »Ihre Kinder sind erwachsen.«

    Sie begann, mit den Zähnen zu knirschen. Doch ihre Stimme blieb ruhig. »Sie glauben nicht, dass Erwachsene falsche Entscheidungen treffen können?«

    »Glauben Sie mir, das weiß ich sogar ganz genau.«

    »Denn genau das machen Sie gerade.«

    »Soll das eine Drohung sein?«, fragte ich.

    »Nein. Ich sage Ihnen nur, dass Sie eine falsche Entscheidung treffen.«

    Vor diesem Treffen hatte ich meine Erkundigungen eingezogen. Rebecca Munoz hatte keine Superkräfte, war kein Mutant oder so was. Das hieß zwar nicht, dass sie nicht doch was verbergen könnte, aber bis jetzt ließ mich alles, was ich rausgefunden hatte, glauben, dass sie harmlos war. Und übertrieben selbstbewusst, sollte das tatsächlich eine Drohung gewesen sein. Sie war nur ein ganz normaler Mensch. Der sich in meiner Welt voller Superkräfte bewegte.

    Ich schwang meine Beine vom Tisch und lehnte mich vor. »Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, dass Sie Ihre Kinder vertrieben haben könnten?«

    Es war nur ein weiterer Versuch, Wut oder Tränen zu provozieren. Früher oder später würde es doch dazu kommen, dachte ich. Da war es mir lieber, es gleich hinter mich zu bringen. Die Wohnung war voller Sachen, die sie nach mir werfen konnte, aber ich vertraute auf mein Glück, dass ich ausweichen würde.

    Doch es kam nichts davon. Sie starrte mich lediglich mit versteinerter Miene und eisigem Blick an.

    »Die beiden werden jemanden verletzen, wenn sie nicht von dort weggehen«, sagte sie.

    Eine unerwartete Antwort. Allerdings noch innerhalb der Grenzen des Genres.

    »Wenn sie zu den Kindern gehören, die andere gern verletzen, ist es egal, wo sie sind«, erwiderte ich.

    »Sie sind aber nicht so.«

    Ihr Tonfall war giftiger als zuvor. Ich sah ihr in die Augen.

    Rebecca Munoz war Mutter zweieiiger Zwillinge, Rose und Joseph. Bis vor einem Jahr hatten sie bei ihr gelebt. Dann waren sie zusammen ausgezogen und hatten ihr Leben irgendeiner Sekte gewidmet. Die Kinder waren alt genug, um ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.

    Um das klarzustellen: Ich hab keinerlei Respekt für Leute, die denjenigen, die sie zu lieben behaupten, irgendwas aufzwingen wollen. Ehrlich gesagt gilt das für neunzig Prozent der Leute, die mich aus »familiären Gründen« anheuern wollen. Ich sollte mir für solche Leute einfach eine standardisierte Absage zurechtlegen.

    Meine Abneigung gegen langfristige Planungen ist das eine. Aber wenn ich die Typen, die durch meine Tür kommen, nicht ordentlich überprüfe, helfe ich vielleicht einem Stalker dabei, sein Opfer zu finden. Oder, wie in diesem Fall, einer übergriffigen Mutter, ihre erwachsenen Kinder aufzuspüren, denen es endlich gelungen ist, sich von ihr zu lösen.

    Es wäre nicht das erste Mal, dass ich mit so was zu tun hätte. Der letzte Mistkerl, der das bei mir versucht hat, ein echtes Arschloch von Vater, fand sich an einem Fuß von der Golden Gate Bridge baumelnd wieder. Und was ich mit Typen mache, die mich als Streikbrecher anheuern wollen, muss ich wohl nicht weiter ausführen.

    »Sie haben schon mal von Dallas Bader Pearson gehört«, sagte sie.

    Keine Frage. Eine Feststellung. Ich hasse es, wenn jemand das macht, besonders wenn sie falschliegen. Ich hatte keine Ahnung, wer Dallas Bader Pearson war. »Wenn Sie alle drei Namen benutzen, muss er ein Serienkiller sein. So sind die Regeln, oder?«

    »Er ist schlimmer. Und wenn Sie das nicht wissen, kommen Sie wohl nicht von hier.«

    Ich breitete meine Arme in gespielter Kapitulation aus. »Ich weiß es wirklich nicht.«

    »Er mischt ziemlich in der Lokalpolitik mit.«

    »Wer nicht?«

    »Er hatte seine eigene Radiosendung auf einem der ehemals besten Nachrichtensender der Stadt.«

    »Schön für ihn.« Ich machte mir nicht die Mühe, meinen gelangweilten Tonfall zu verbergen.

    »Er und zehntausend seiner Anhänger wollen eine spirituelle Revolution anzetteln, die die Welt in ein Paradies verwandeln soll.«

    Ich blinzelte. »Okay, damit hab ich nicht gerechnet.«

    »Er ist ein Lügner und Psychopath, aber sehr gut darin, die Leute davon zu überzeugen, dass er es nicht ist. Er kann das unmöglich selbst glauben, aber seine Anhänger schon.«

    Ich kratzte mich am Kinn und war gegen meinen Willen interessiert. »Er kann keine zehntausend Anhänger haben, sonst hätte selbst ich schon mal von ihm gehört.«

    »Nein, aber die Zahl ist ihm wichtig. Er glaubt an Numerologie und die Prophezeiungen der Apokalypse.«

    Je mehr ich hörte, desto weniger gefiel mir die Sache. Und das hätte ich nicht für möglich gehalten. »Okay, er ist also ein Irrer. Na und?«

    »Hören Sie, Miss Domino …«

    »Nur Domino.«

    Sie warf mir einen genervten Blick zu, um mich wissen zu lassen, wie kindisch sie das alles fand. Sie und ich lebten eindeutig nicht in der gleichen Welt. »Haben Sie es schon mal mit Fanatikern zu tun gehabt?«

    Ob ich es schon mal mit Fanatikern zu tun hatte? Ich erwiderte ihren genervten Blick. »Das ist so ziemlich das Einzige, womit ich zu tun habe. Fanatiker und die Leute, die sie anheuern.«

    »Haben Sie schon mal versucht, jemanden davor zu retten – aber diese Person wollte das nicht?«

    Das ließ mich innehalten. »Ja, natürlich.«

    »Wen?«

    Plötzlich stieg Wut in mir auf. Eine Sekunde lang hatte ich den algenverseuchten Geschmack von Sumpfwasser im Mund. Ich verdrängte die Erinnerung. »Ich bin nicht hier, um Ihnen meine Seele zu entblößen. Wir sprechen hier über eine Geschäftsbeziehung.«

    »Tun wir nicht.«

    »Wenn Sie das so sehen, sind Sie hier falsch. Da ist die Tür …«

    »Wenn es nur ums Geschäft gehen würde, hätte ich die Sache schon vor langer Zeit abgehakt. Das sind meine Kinder.«

    »Für mich geht es nur ums Geschäft.«

    Sie lächelte höflich. »Wenn das alles ist, bin ich bereit, alles zu zahlen, was Sie wollen.«

    Eine kleine rhetorische Falle. Bis jetzt hatten all meine Einwände mit dem Job an sich zu tun, nicht ihrer Zahlungsfähigkeit. Ich wusste, dass sie genug Geld für das Eröffnungsangebot mitgebracht hatte. Schließlich hatte sie es vor mir auf dem Couchtisch ausgebreitet.

    Aber das war hier nicht der Debattierclub und ich war keine Preisrichterin. Ich musste nicht fair sein und ich musste mich auch nicht mit Wortklaubereien rumschlagen. Wenn ich was nicht tun wollte, tat ich es nicht.

    »Nein«, sagte ich.

    »Nein? Aber ich habe alles getan, worum Sie gebeten haben …«

    »Ich hab mich schon mit Kronprinzen und Wirtschaftsbossen getroffen, die weniger anmaßend waren als Sie, Lady.«

    Zum ersten Mal, seit sie reingekommen war, wirkte sie aufgewühlt. »Außer Ihnen habe ich keine andere Option.«

    »Nicht mein Problem.« Und ich bezweifelte, dass das stimmte.

    Darauf sagte sie nichts mehr. Ich seufzte und stand auf. Rebecca zuckte zusammen, als wollte ich sie wortwörtlich rauswerfen, doch ich ging an ihr vorbei zum vereisten Fenster.

    Ich wollte sie nicht mehr sehen. Und sie sollte nicht sehen, wie wütend sie mich gemacht hatte, besonders weil ich selbst nicht wusste, was der Grund dafür war.

    »Denken Sie wirklich, dass ich in der Lage wäre, ihre Meinung zu ändern?«

    »Solange sie da drin sind, wird das kaum möglich sein«, erwiderte sie.

    »Sie wollen also, dass ich sie entführe.«

    »Sie brauchen sie nicht zu mir zu bringen, wenn das Ihr Problem ist. Ich will nur, dass Sie sie da rausholen. Ihnen zeigen, dass sie auch außerhalb von Dallas Bader Pearsons Sekte leben können.«

    »Nein«, sagte ich. »Ich bin kein Anstandswauwau, keine Fremdenführerin und definitiv keine Motivationstrainerin.«

    »Ist mir aufgefallen.«

    »Wenn Ihnen meine Einstellung nicht gefällt, können Sie jederzeit gehen.«

    Danach war sie still. Ich hörte ihren Mantel rascheln, einen Schritt. Als ich mich umdrehte, war sie bereits auf dem Weg zur Tür.

    1Mein Ruf eilt mir weiter voraus, als mir lieb ist.

    2Hey, nicht alle wissen Schönheit zu schätzen. Ich kümmere mich hingebungsvoll um die Kimber Eclipse Custom II.

    3Gut an ihrem Outfit zu erkennen.

    4Ist eine Weile her, seit so was das letzte Mal vorkam. Vielleicht hat die Lektion, die ich der letzten Dame erteilt hab, ja genug Eindruck hinterlassen.

    2

    Konferenzschaltung. Am gleichen Abend. Über eine verschlüsselte Video-App. Um mit meinen Freundinnen unsere nächsten Aufträge durchzugehen. Ich brauchte eine Pause, aber sie zu sehen besserte meine Laune leider nicht. Ich hockte immer noch in dieser arschkalten Wohnung in Chicago, während sie sich, soweit ich im Hintergrund ihres Videos erkennen konnte, in einer Rooftop-Bar in San Francisco amüsierten. Sie waren ebenfalls auf der Suche nach neuen Arbeitgebern, doch irgendwie war es ihnen gelungen, das an einem sehr viel gemütlicheren Ort zu tun.

    Rachel trug eines ihrer vielen lila Abendkleider mit hohen Schlitzen (bessere Bewegungsfreiheit bei Kämpfen) und wirkte mühelos elegant. Inez hatte den Cowboyhut auf, den sie überallhin mitnahm, egal wie oft er ihr vom Kopf zu wehen drohte.

    Rebecca Munoz war nicht die einzige potenzielle Klientin an diesem Tag gewesen. Doch die anderen Jobaussichten sahen nicht besser aus. Ich war immer noch nicht über diesen plötzlichen Anflug von Wut und bösen Erinnerungen hinweg. Ich erzählte Inez und Rachel von meinem Treffen und wiederholte detailliert, was Rebecca Munoz und ich zueinander gesagt hatten.

    »Denkst du nicht, dass du ein bisschen zu hart zu ihr warst?«, fragte Inez.

    Rachel schaltete sich ein. »Die Arme klingt, als sei sie einfach noch nicht bereit gewesen, unsere Welt zu betreten.«

    »Dann hätte sie sich nicht an uns wenden sollen«, sagte ich.

    Ich war hart zu ihr gewesen und sie wussten es. Normalerweise unterstützten sie mich darin. Doch anders als sonst machte es mir diesmal zu schaffen. Und sie spürten das auch.

    Ich wurde einfach diese Wut nicht los, aus Gründen, die ich nicht benennen konnte.

    »Es war nicht unsere Art Job und das hätte sie wissen sollen«, beharrte ich. »Und die Art, wie sie sich benommen hat – wie sie immer davon ausgegangen ist, dass ich alles weiß, zum Beispiel, wer dieser Spinner Pearson …«

    »Moment mal«, unterbrach Inez. »Pearson? Wie in Dallas Bader Pearson?«

    Großartig. Ich bin diejenige, die aus Chicago stammt, und die Texanerin ist diejenige, die schon mal von Pearson gehört hat. »Woher weißt du das?«

    »Es gibt nicht viele bekannte Pearsons in Chicago. Kennst du einen anderen?«

    »Ich bin überrascht, dass du überhaupt einen kennst. Nichts für ungut. Aber es ist ja nicht deine Stadt.«

    »Ja, aber ich interessiere mich für die Welt um mich herum.«

    Rachel sah mich an. »Schatz, wer hat denn noch nicht von Dallas Bader Pearson gehört?«

    »Verarscht ihr beide mich jetzt?«

    »Sieh dir mein Gesicht an«, sagte Rachel »Das ist mein ›Ich verarsche dich bestimmt nicht‹-Gesicht.« Sie hatte tatsächlich ein ziemlich anständiges Pokerface aufgelegt.

    »Damit meint Rachel, dass wir dich immer verarschen – aber den Namen kennen wir trotzdem.«

    »Ihr zwei seid nicht aus meiner Stadt und wisst trotzdem mehr darüber als ich.«

    »Deine Stadt? Das letzte Mal, als wir über Chicago geredet haben, hast du nicht so getan, als wäre es deine Stadt.«

    Ja. Aber sie war es trotzdem.

    »Komm schon«, sagte Rachel. »Ich verfolge die Nachrichten.«

    Ich sah sie scharf an. Nach ein paar Sekunden bekam ihr Pokerface Risse.

    »Okay«, knickte Rachel ein. »Meinetwegen. Ich folge Leuten auf Twitter, die die Nachrichten verfolgen. Aber so machen das die meisten Leute.«

    »Und was sagen die Leute auf Twitter, die die Nachrichten verfolgen, über Dallas Bader Pearson?«

    »Vor ein, zwei Jahren gab es einen Riesenskandal. Er war gezwungen, irgendein Amt abzugeben, im Stadtrat oder so was. Es hat mit einem Vorwurf wegen sexueller Belästigung angefangen.«

    »Angefangen?«

    »Es gab mehr als einen«, erklärte Rachel.

    »Gleich ein ganzes Dutzend«, fügte Inez hinzu und verzog das Gesicht.

    Da war sie wieder, die Wut. Ich wusste nicht, warum das Ganze diese Wirkung auf mich hatte. Ich hatte in diesem Job regelmäßig mit Monstern und Kriminellen zu tun. Doch ich war gereizt und diese Sache regte mich immer mehr auf.

    »Danach folgten Vorwürfe von Missbrauch in seiner Sekte, krumme Geldgeschäfte, alle möglichen bizarren Geschichten«, sagte Rache. »Er hat wohl ältere, demenzkranke Paare dazu gedrängt, ihren Besitz seiner Sekte zu vermachen. Solche Dinge.«

    »Also ein richtig liebenswerter Typ.« Ich bohrte meine Nägel in meine Handinnenflächen.

    »Viele seiner Handlanger sind bei Twitter und haben einige echt seltsame Verteidigungen gepostet. Und das hat dafür gesorgt, dass die Sache richtig durch die Decke gegangen ist«, erinnerte sich Rachel mit abwesendem Blick. »Man hat sich über sie lustig gemacht. Alle haben darüber getwittert.«

    Ich sah Inez an. »Und so hast du auch davon gehört? Über Twitter?«

    »Ich hab mit diesem Twitter-Zeug nichts am Hut.«

    »Und wie hast du dann davon gehört?«

    »Über Rachel.«

    Ich schnaubte. »Großartig. Ganz toll.«

    »Ehrlich gesagt bin ich überrascht, dass uns noch niemand angeheuert hat, um ihn umzubringen«, sagte Rachel.

    »Ich glaube nicht, dass Rebecca Munoz irgendjemand töten lassen wollte.« Wahrscheinlich. Der Gedanke musste ihr gekommen sein, doch sie hatte ihn nicht ausgesprochen.

    Ich fragte mich, wieso nicht. Wenn sie genug wusste, um mich zu finden, musste sie doch auch wissen, wozu ich fähig war. Vielleicht war sie einfach nicht der Typ für so was.

    Aber es war fast immer naiv, so zu denken.

    »Und das ist echt eine Schande.« Rachel winkte ab, als würde sie eine Fliege verscheuchen wollen. »Ganz ehrlich, bei so einem Typen wäre ich nicht abgeneigt, den Auftrag pro bono zu erledigen. Man würde der Welt damit einen Gefallen tun.«

    »Wir machen das nicht, um irgendwelche Familienstreitigkeiten beizulegen«, erinnerte ich sie. »Das zahlt sich am Ende nie aus.« Und es spielte keine Rolle, wie viele Scheine Rebecca auf diesen Couchtisch geblättert hatte.

    Der Ruf ist für uns Söldner entscheidend. Wenn man einmal damit anfängt, sich in häusliche Streitereien einzumischen, ist man irgendwann nur noch dafür bekannt, und schon bald ist das alles, weshalb sich jemand an einen wendet. Dann geht man pleite und ist am Arsch.

    »Schon klar. Du weißt, wie viele teure Vorlieben ich finanzieren muss. Trotzdem …« Rachel ließ den Gedanken im Raum stehen. »Nach dieser Sache mit der Creation Constellation hat sich bei mir ein kleiner Heldenkomplex entwickelt. Geld ist nicht das Einzige, was sich gut anfühlt.«

    Und jetzt arbeiteten wir auch noch mit altmodischen Heldinnen zusammen. Früher gab es nur uns drei. Doch bei dem Vorfall, auf den Rachel anspielte, hatten sich drei weitere Frauen unserem Team angeschlossen … einschließlich Black Widow, einem echten Mitglied der Avengers.

    »Rache gibt es schließlich auch noch«, sagte Inez mit einem Grinsen, das Rachel damals, als sie, Inez und ich uns kennengelernt hatten, hätte das Weite suchen lassen.

    »Ja, stimmt«, erwiderte Rachel, »das war impliziert, aber du musst es ja gleich rausposaunen.« Ein nachsichtiges Lächeln. »Außerdem hätte ich es eher Vergeltung genannt.«

    »Rebecca Munoz wollte mich nicht für so was anheuern. Es ging nur um ihre Kinder.« Ich lockerte meine Faust. Die Handfläche brannte, wo die Nägel sich eingegraben hatten. »Aber sie sind erwachsen und können ihre eigenen Entscheidungen treffen. Nach allem, was wir wissen, machen sie sich wahrscheinlich auf Twitter zum Affen, wie alle von Pearsons Jüngern. Und wir können nichts tun, um irgendwas daran zu

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