Der Vogelbeerbaum
Von Heinz Picard
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Über dieses E-Book
Heinz Picard
Der Autor war Hauptlehrer für Deutsch und Französisch an der Bezirksschule Frick. Er schrieb mehrere Bücher und verfasste Schulfunksendungen für Radio Basel. Zuletzt erschienen bei BoD: Willkommen in Dingsda (2010), Das Tor von Dingsda (2012), Erinnerungen an Dingsda (2014), Von Paukersdorf nach Dingsda (2016) und Gehhilfen (2018).
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Buchvorschau
Der Vogelbeerbaum - Heinz Picard
Inhalt
Statt eines Vorworts
Am Bach
Meine Cousine
Operettenzauber
Die Flucht
Patres, die wir hatten
Heimweh
Der Vogelbeerbaum
Strategien
Aufsicht
Es wird heute etwas später…
Männerabend
Die Fahrtüchtigkeitsüberprüfung
Demaskierung
Vita brevis, ars longa
Am See
Nachwort
Statt eines Vorworts
Einszweidrei, im Sauseschritt
Läuft die Zeit; wir laufen mit. –
Wilhelm Busch
Am Bach
Der Bach markierte das Ende des Grundstücks, auf dem mein Elternhaus stand und war ein wunderbarer Begleiter in meiner Kindheit.
Im Sommer zeigte er sich offen für Spiele jeder Art. Manchmal baute ich mit Hilfe eines Schulfreunds eine so hohe Staumauer, dass er zum kleinen See wurde, den wir mit einem selbstgebastelten Floss schiffbar machten und der uns zu ersten Schwimmversuchen einlud. Abends – ich konnte ihn bei geöffnetem Schlafzimmerfenster gut hören – half er mir mit seinem fröhlichen Plätschern in den Schlaf.
Er wird es mir nicht übelnehmen, wenn ich auch seine Schwächen erwähne: Mit Gewittern und Dauerregen hatte er seine liebe Not. Und das Bisschen Eis, das er manchmal im Winter anbot, eignete sich höchstens für Mutproben.
Nach einem Gewitter jagte er oft in schmutzigen schäumenden Wellen Bretter, Balken und Baumäste vor sich her, als müsse er eine unbezähmbare Wut los werden. Ja, einmal verliess der Bach gar sein Bett, schwoll immer mehr an, trieb braune Fluten übers Ufer, höher und höher. Man musste befürchten, er setze unser Haus unter Wasser. Aber dann, als wir gerade die Feuerwehr mobilisieren wollten, besann er sich eines Bessern, fuhr die überschäumenden Kräfte langsam runter und fand schliesslich zu seinem gewohnten Lauf.
Auf einem ortsüblichen, schulfreien Julimarkt trafen wir einst Schüler aus dem Bezirkshauptort am Rhein. Sie hatten von unserer Stauung gehört und fragten, ob sie das Wunderwerk mal besichtigen könnten. Dagegen war nichts einzuwenden. Aber sie gaben sich auch gar überheblich: «Der Rhein ist nun mal kein Bach», dozierte ihr Sprecher. «Er ist bekannt für seine Wirbel. Für Einheimische ist das nicht weiter schlimm. Man lässt sich vom Wirbel in die Tiefe ziehen, stösst dann im richtigen Winkel mit den Füssen kräftig vom Grund ab und steigt so wieder hoch.»
«Hat schon jemand von der Lorelei gehört?» fragte ein Knirps. Er sah sich um. Und als sich niemand meldete, fuhr er fort: «Wie jedermann weiss, das endete tödlich. Aber in unserem Fall und mit der richtigen Technik …» Der Sprecher entzog dem Kleinen das Wort: Ob wir Lust hätten, mal einen Versuch zu wagen? – Ich wehrte ab. Es gebe an diesen Tropentagen viel zu tun im Bach. Aber bei Gelegenheit, warum nicht?
Ich hatte Grösseres im Sinn. Etwas in der Art der abenteuerlichen Flossfahrt auf dem Mississippi, wie sie in meinem Jugendbuch beschrieben war: Knaben unterwegs mit ihrem schwarzen Freund, um in einen Staat zu gelangen, der die Sklaverei bereits abgeschafft hatte. Eine solche Tat würde die vom Bezirkshauptort überfordern. Wobei ich zugeben muss, dass bei mir der ganz grosse Coup auch noch auf sich warten liess.
Doch zur Sache. Mein lieber Bach, du frägst dich wohl, warum man mich nie mehr bei dir antrifft. Zum Beispiel auf der kleinen Brücke, welche die Zwidellen mit der Dörrmatt verbindet. Du wirfst mir vor, früher hätte ich sie nie betreten, ohne dir ein Weilchen zuzusehen. – Es ist ganz einfach, ich wohne längst nicht mehr hier. Das hat sich halt so ergeben. Einverstanden, ich habe dereinst davon geträumt, Enkel rechtzeitig ganz praktisch in mein Jugendparadies einzuführen. Das ist nun nicht mehr möglich. Und vielleicht ist es gut so. Die Welt hat sich verändert, es ist eine technisierte Welt, in die sie hineinwachsen. Und dahin gehören sie auch. Aber mir ist sie manchmal fremd. Das hindert mich aber nicht daran, ihnen von früher zu erzählen. Ohne zu werten oder ihnen was aufzudrängen. Und wenn sie sagen: «Grossvati, erzähl mal, oder lies vor!» Dann überkommt mich ein tiefes Behagen. Und ich spüre: Man wird im Leben nicht alles richtig machen, aber auch nicht alles falsch.
Anmerkung
Der Text spielt u.a. an auf die Bücher von Mark Twain (Tom Sawyer’s und Mark Finn’s Fahrten und Abenteuer), die meine Jugend in jeder Hinsicht bereichert haben.
Meine Cousine
In meiner frühen Jugend galt der Fussball als eine eher verachtenswerte Sportart. Vor allem die Lehrerschaft tat sich schwer damit. Wenn der Lehrer in der fünften Klasse uns Knaben dabei erwischte, dass wir nach Schulschluss nicht sofort nach Hause gingen sondern auf der Schulwiese noch Fussball spielten, rief er uns ins Zimmer zurück. Das hatte Arrest zur Folge und schriftliche Strafaufgaben. Dabei machte er eine bedenkenswerte Entwicklung durch. Jahre später, als sein jüngster Sohn dem Fussballclub beitrat und ein wertvolles Mitglied für die erste Mannschaft wurde, erschien der Lehrer bei jedem Heimspiel auf dem Platz – auch mit Regenschutz bei Bedarf – und genoss es, wenn ihn jemand beim Vorbeigehen ansprach: «Der Allerweltskerl dort, ja der, das ist doch Ihr Sohn.»
Doch