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Eine Plöner Strangulierung: Inspektor Herdenbein frisst sich durch Band III
Eine Plöner Strangulierung: Inspektor Herdenbein frisst sich durch Band III
Eine Plöner Strangulierung: Inspektor Herdenbein frisst sich durch Band III
eBook287 Seiten3 Stunden

Eine Plöner Strangulierung: Inspektor Herdenbein frisst sich durch Band III

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Über dieses E-Book

In der Turnhalle der Bechstein-Hauptschule in Plön bietet sich Kriminalhauptkommissar Jens Herdenbein ein grauenhaftes Bild. Der Kopf der Sportlehrerin Julia Wrotter steckt im Basketballkorb. Nicht allein, dass die Tote offensichtlich stranguliert wurde, sie ist auch nackt! Wer hat Julia Wrotter so gehasst, dass er ihr jegliche Würde nehmen wollte? Was steckt hinter dieser außergewöhnlichen Tötungsart? Dass es mindestens zwei Täter gewesen sein müssen, ergibt die spätere Rekonstruktion des Falles. Als Jeremia Wrotter, Hauptverdächtiger und Ehemann der Toten, verhaftet wird und die Tat gesteht, passiert etwas Unvorhergesehenes.
Niels Peter ist mit "Eine Plöner Strangulierung" nicht nur ein ungewöhnlicher Krimi, sondern auch eine gute Milieustudie aus dem Schulalltag gelungen.

SpracheDeutsch
HerausgeberPandion Verlag
Erscheinungsdatum13. Aug. 2015
ISBN9783869115009
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    Buchvorschau

    Eine Plöner Strangulierung - Niels Peter

    1936

    Vor dem Unterricht

    Montagmorgen

    Ich hätte schreien können. Vor Wut! Das tat ich jedoch nicht. Ich hätte fluchen können. Ich unterließ es, da ich Fluchen verabscheue. Aber in genau dieser gereizten Stimmung war ich, als der erste unangenehme Laut mein gewissermaßen noch schlaftrunkenes Ohr erreichte. Moderne Telefone säuseln, flüstern, zirpen oder dingdongen. Sie geleiten einen friedlichen Schläfer gleichsam schonend in den Wachzustand hinüber. Mein Telefon dagegen läutet, schrillt, obwohl es ebenfalls eines der moderneren Bauart ist. Mein Telefon läutet und schrillt vor allem deshalb, weil Montagmorgen ist. Montagmorgen! Ich bitte Sie! Am Montagmorgen schreit mein Telefon gewissermaßen. Und es war Montagmorgen. Ich wusste es, wie gesagt, schon beim ersten Ton.

    Ich wusste ebenfalls, wer am anderen Ende der Leitung zu erwarten war. Günstigenfalls Twiete, wahrscheinlich aber Koczik. Pfui Deubel noch mal! Das Entscheidende meines jähen Missmuts war jedoch der Montagmorgen!

    Mörder sind unsozial! Sie denken ausschließlich an sich. Sie haben kein Herz. Nicht dem Opfer gegenüber, nicht bei den Gesetzeshütern, und natürlich auch nicht bei mir. Sie halten sich nicht an die behördlichen Ladenschlusszeiten! Bei den Opfern kann ich das – bei allen moralischen Einschränkungen! – noch verstehen, aber bei uns? Das scheint bei Mördern eine Maxime zu sein. Und ihre größte Unfreundlichkeit besteht darin, dass sie ihre Taten, ihre Untaten am Wochenende ausführen. Nicht am Dienstag oder Mittwoch! Das wäre ja direkt ein Entgegenkommen. Nein! Am Wochenende! Und am liebsten am Sonntag. Ich weiß nicht, ob es empirische Untersuchungen über dieses unverschämte Verhalten gibt. Für mich ist dieses Verhaltensmuster beinahe schon Gesetz. Erfahrung, sage ich nur! Wahrscheinlich öden sich am Wochenende so viele Menschen mit Hingabe an, dass es zu diesen tödlichen Auswirkungen kommen muss. Ich sage Ihnen, das ist Erfahrung! Langeweile, Frust, ein schlechtes Fernsehprogramm, das Mittagessen zum Kotzen (Pardon!), gescheiterte Beziehung oder was weiß ich, lässt mühselig überdecktes Urmenschentum mit Urgewalt hervorbrechen und alle Ethik vergessen.

    Ich rutschte aus meinem kuscheligen Bett empor und griff nach dem verfluchten Hörer.

    „Ich werde dir einen Kaffee machen, mein lieber Herdenbein", sagte Margit mitfühlend und schwang erstaunlich hurtig ihre Beine aus dem Bett.

    „Ist nicht nötig", murmelte ich griesgrämig vor mich hin.

    „Ja, ja, ist schon gut", erwiderte meine verständnisvolle Geliebte und verschwand nach unten in die Küche der ,Linde’.

    Schließlich hatte ich den Hörer am Ohr. Koczik oder Twiete dachte ich. Koczik war mein Chef – sein Name war Programm! –, Twiete mein Kollege. Wollte Koczik mich ärgern – das war seine Lieblingsbeschäftigung –, war er selbst am Telefon, vor allem montags. War Twiete am Telefon, dann wollte mich Koczik auch ärgern, da er mich sozusagen über einen untergebenen Mitarbeiter informierte.

    Also, was meinen Sie, wer dran war? Wunderbar! Sie haben richtig geraten!

    „Guten Morgen, Meister Herdenbein", flötete er.

    ,Blödmann!‘ dachte ich.

    Ich bitte Sie! Meister Herdenbein, was sollte dieser Blödsinn nun wieder. Das war noch nie aus seinem kaum versagenden Lästermaul gekommen. Wahrscheinlich hatte Koczik irgendeine ominöse Fernsehsendung gesehen und geglaubt, dass diese Bezeichnung genau das Richtige für mich sei.

    „Guten Morgen, mein Erster Kriminalhauptkommissar", flötete ich nun meinerseits zurück.

    „Herdenbein!, das war nun gerade schneidend an mein Ohr gedrungen. „Plön, Johannisstraße, Bechstein-Hauptschule, erhängte Frau in der Turnhalle, ich erwarte Ihren Bericht.

    Koczik hatte den Hörer aufgeknallt. Stille. Ja, so war er! Ich legte den Hörer auch auf. Der Blick auf den Wecker zeigte mir, dass es halb sieben war.

    Na, das fing ja gut an! Montagmorgen!

    Ich schlurfte mit nackten Füßen ins Badezimmer und gab mich mit größter Ausführlichkeit meiner Morgentoilette hin.

    Sie sind erstaunt, dass ich mich nicht schneller auf die Socken machte? Ich bitte Sie! Erstens bin ich einundsechzig Jahre alt, zweitens: ist die Erhängte tot oder nicht? Meine eventuelle Schnelligkeit wird sie also nicht wieder lebendig machen können. Ich kleidete mich mit Bedacht an, denn ich lege großen Wert auf ein, – auf mein – gepflegtes Äußeres. Dazu gehörte – und das sage ich lieber gleich zu Beginn – auch ein einfarbiges Oberhemd mit selbstgebundener Fliege. Ich erkläre es vielleicht später noch einmal genauer: Die Sache mit der Fliege!

    Als ich die Treppe zum Gastraum der ,Linde’ herabschritt, strömte mir verführerischer Kaffeeduft entgegen.

    In der Küche nahmen Margit und ich den Kaffee im Stehen ein. Ein Ritual, das jedoch heute Morgen ein wenig verändert werden musste, denn – ich gebe es zu – langsam wurde ich doch hibbelig. Ich verzichtete auf ein Frühstücksei. Margit kannte mich gut und hatte deshalb auch gleich zwei Stullen zurechtgemacht und den Rest des Kaffees in eine Thermoskanne abgefüllt. Mit Zucker und Milch. Die Gute!

    Mit noch zugekniffenem Mund wiederholte ich Kocziks Worte und bat das geliebte Weib bei Twiete anzurufen, dann war ich auch schon auf dem Weg nach Plön.

    Ich weiß nicht warum, aber bei der Anfahrt zur Bechstein-Hauptschule fiel mir mein 1. Schultag ein. Es war kein schöner Tag für mich gewesen. Daran konnte ich mich ausnehmend gut erinnern. Andere Kinder freuten sich schon seit längerer Zeit auf die Schule, spielten sogar höchst gerne Schule. Ich wäre lieber weiter zum Spielen aus dem Haus gegangen. Aber es half nichts, ich war schon sieben Jahre alt! Meine Mutter und meine Großmutter packten mich am 1. Schultag und wir gingen los. Mehr zogen sie mich, als dass gegangen wurde. Es war ein kurzer Schulweg von fünf Minuten. Eine Einschulungsfeier – wie heute üblich – gab es nicht. Wir standen auf dem Schulhof und es war kalt. Ich trug einen, von meiner Mutter selbst geschneiderten, hellen Mantel, Kniestrümpfe und halbhohe Schnürschuhe. Alles war aus zweiter Hand. Das Schlimmste war, ich musste eine Baskenmütze tragen. Ich war der Einzige, der eine Baskenmütze trug, die anderen Kinder schauten mich merkwürdig an. Dann wurden wir aufgerufen – wahrscheinlich vom Rektor – und von unseren Müttern getrennt. Ich weinte. Es nützte nichts. Wir wurden in einen Raum geführt und setzten uns in die Zweierbänke, die mit den abgeschrägten Tischplatten eine Einheit bildeten. Vorne gab es quadratische Löcher, die mit einer Metallplatte abgedeckt waren und die die Tintenfässer aufnehmen sollten. Wir lernten mit einer Schiefertafel und Griffeln. Unsere Lehrerin, Frau Mau, war groß und dürr, sie trug eine Brille. Eine fürchterliche Brille, durch die sie uns mit funkelndem Blick anschaute. Sie war eine Brillenschlange, die vor einer Zugtafel stand und uns musterte. Wir wurden durch ihren Blick und ihre Größe eingeschüchtert und waren vollkommen still. Was sie zu unserer Begrüßung sagte, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall mussten alle Kinder einzeln vor die Klasse treten und ihren Namen sagen. Bei meiner Vorstellung brach die Klasse in heftiges Gelächter aus. Nicht etwa des Namens Herdenbein wegen, ich hatte mich lediglich mit Jens vorgestellt. Nein! Sie lachten, weil ich vor ihnen einen Diener gemacht hatte. Das hatten mir meine Mutter und Großmutter eingeschärft. Das sei höflich! Und der Erfolg war Gelächter. Ich, dieser Pöks, stand da vor ihnen und weinte. Und glauben Sie nicht, dass mich meine Lehrerin getröstet hätte. Sie herrschte mich an und ich ging zu meinem Platz zurück. Auf dem Pausenhof wurde mir die Schultüte gegeben. Ich war enttäuscht, als ich den Inhalt sah. Der größte Teil der Tüte war mit Papier ausgestopft. Ich hatte natürlich keine Ahnung von Nachkriegsbewirtschaftung und Mangel.

    Merkwürdig, dass mir gerade jetzt dieser unglückliche Einschulungstag einfiel. Nun ja!

    Mit meinem alten Golf fuhr ich von Grebin über Görnitz auf der Bundesstraße 430 in die Kreisstadt Plön. Der Himmel war grau verhangen. Die Bäume zu beiden Seiten der Straße streckten ihre kahlen Arme empor und ließen Tristesse aufkommen. Das passte wie die Faust aufs Auge zu diesem Montagmorgen! Ich erreichte schnell die Umgehungsstraße und zweigte dann in die Hamburger Straße ab. Schließlich bog ich in die Hans-Adolf-Straße ein und über ,Am Moor‘ kam ich zur bewussten Johannisstraße. Ich fuhr in den linken Teil der Straße und hielt hinter einem Polizeifahrzeug gegenüber der Bechstein-Hauptschule, einem roten Backsteinbau, sicherlich aus dem letzten Jahrhundert. Auch ich hatte in einem solchen alten Gebäude – allerdings erheblich größer – die ersten beiden Jahre meiner Schulzeit verbracht. Diese – schon wieder auftretenden schwermütigen – Gedanken verscheuchte ich jedoch sofort und entstieg meinem Wagen. Erst hier und jetzt empfand ich die herbstliche Kühle und holte aus dem Kofferraum meinen Übergangsmantel heraus. Wie war doch der gestrige Sonntag noch vergleichsweise sommerlich gewesen.

    Als ich die Straße überquerte, wurde ich von freudigem Winken begrüßt. Kannte mich hier jemand?

    Ein Polizeibeamter stand mitten im großen, rundbogigen Eingangstor der Schule und strahlte mich an. Ich erkannte ihn nicht sofort.

    „Chef!", schallte es mir entgegen und meine Erinnerung setzte ein.

    „Polizeimeister Graumann!", rief ich aus begrüßte ihn händeschüttelnd.

    „Jetzt Polizeiobermeister", gab mir Graumann stolz, aber mit einem schüchternen Lächeln, zu verstehen.

    Wir wechselten ein paar Worte, bei denen ich ihn davon in Kenntnis setzte, dass Twiete gleich erscheinen würde.

    Graumann war einer jener Viererbande gewesen – auch Twiete hatte damals dazu gehört –, die mir bei der Aufklärung eines Mordes am Schluensee – der Wasserleiche! – sehr geholfen hatte. Mit vorbildlichem Einsatz! Wahrscheinlich war Graumann deshalb nicht mehr Polizeimeister sondern Polizeiobermeister? Vielleicht würde er es mir noch erzählen! Auf jeden Fall sah er viel besser aus als damals und man konnte wahrhaftig keine Parallele mehr zwischen seinem Namen und seinem Aussehen ziehen. Wir plauderten also ein paar Minuten miteinander – eine Leiche kann einem nicht mehr abhanden kommen – dann durchschritt ich den Durchgang zum Schulhof.

    „Holtz schiebt vor der Turnhalle Wache", rief mir noch POM Hanno Graumann nach, dann klappte die schwere Schultür hinter mir zu und ich stand auf dem Schulhof.

    Zubetoniert war er und die zwei einsamen und blätterlosen Platanen konnten den tristen Eindruck, den dieser Hof auf mich ausübte, nicht vertreiben. Die Bechstein-Hauptschule war ein U-förmiger Bau, der an seiner hinteren, offenen Seite von einer Turnhalle modernerer Ausführung begrenzt wurde. Es gab zwei Eingänge und ich steuerte auf den linken zu, denn ich konnte dort Holtz erkennen.

    Heribert Holtz! Der schöne Heribert! Holtz war ein Bild von einem Mann und ich konnte schon damals bei der Wasserleiche am Schluensee kaum meinen Blick von ihm wenden. Burt Reynolds oder auch Richard Gere konnten ihm nicht das Wasser reichen! Seine Uniform musste maßgeschneidert sein, sie betonte seinen Adonis-Körper. Kein Gramm Fett! Er war auf jeden Fall jünger als vierzig Jahre. Groß, strahlend, blendend! Ziehen Sie bitte keine falschen Schlüsse aus meinem Enthusiasmus! Allerdings sah er im Moment etwas blass aus. Sollte das der frühe Morgen sein oder hatte ihn etwa der Anblick der Leiche erbleichen lassen?

    Er salutierte. Ich musste grinsen, denn ich erinnerte mich nun auch daran. Eine Marotte von ihm!

    „Grauenhaft, Inspektor Herdenbein", ließ er sich mit belegter Stimme vernehmen. Aha, daher die Blässe.

    Auch wir begrüßten uns dann händeschüttelnd und wechselten einige wenige private Worte.

    „Lassen Sie niemanden herein, Herr Holtz, ich möchte drinnen ein wenig allein sein."

    „Der Schulleiter der Bechstein-Hauptschule ist bereits in der Halle und erwartet Sie, Chef", belehrte mich Holtz.

    „Ich ging durch den Windfang der Turnhalle und betrat dann dieselbe.

    Die Sicht in den Innenraum wurde mir durch den avisierten Schulleiter versperrt.

    „Colmorgen, Schulleiter", stellte er sich vor. Er wirkte fahrig, was man verstehen konnte.

    „Herdenbein, Inspektor, retournierte ich, „lassen Sie mich einen Augenblick die Situation erfassen, dann bin ich für Sie da.

    Er nickte, gab den Weg frei und blieb an der Tür stehen. Ich hatte mit einem kurzen Blick durch die aufgeräumte Halle die Leiche wahrgenommen. Ich kümmerte mich aber noch nicht darum. Ich muss eine Situation auf mich wirken lassen. Infolgedessen ging ich zur Längswand und zog eine Turnbank in die Mitte des Raumes. Erst als ich meinen Mantel ausgezogen und mich auf die Bank gesetzt hatte, hob ich den Blick und ließ das Geschehene, das grauenhaft Geschehene, auf mich einwirken.

    Protokollhaft und unbeteiligt würde ich jetzt sagen: Eine weibliche Person wurde mit dem Kopf in einen Basketballkorb gesteckt und dann stranguliert.

    An der Stirnseite der Turnhalle, die rundherum bis in zweieinhalb Meter Höhe braun gepolstert war und darüber eine blaue Kachelung aufwies, war in etwa 2,80 Meter Höhe der Basketballkorb angebracht. Der Kopf der Toten steckte im Korb, der unten zugebunden war. Das Gesicht schaute zur Hallendecke empor und war bläulich verfärbt, die Augen traten wie bei Basedowkranken hervor. Auf Grund des zugezogenen Netzes war der Mund geschlossen und die normalerweise in solchen Fällen typisch herausgestreckte Zunge fehlte. Kannte ich die Tote? Das war nur ein kurzer gedanklicher Blitz, der mein Hirn durchzuckte. Der Körper war absolut schlaff und bewegte sich nicht.

    Und… Der Frauenkörper war nackt! Und wunderschön! Eine bildschöne, nackte Frauenleiche. Kannte ich sie? Mein Gott, Herdenbein! Du siehst diesen Körper das erste Mal und willst sie kennen. Das ist ja schon beinahe abartig! Gut. Vergessen wir’s!

    Sie meinen, dass meine Schilderung sehr sachlich klingt? Richtig! Nach all meinen Dienstjahren bin ich in der Lage, eine solche gefühlskalte Beschreibung eines Ermordeten abzugeben. Aber denken Sie nicht, dass ich unberührt geblieben war. Nur, es tauchten sofort viele Fragen auf: Was mag in dem Mörder vorgegangen sein, dass er sich eine solch absonderliche Tötungsart ausdachte? Noch nie hatte ich einen Ermordeten in dieser Situation vorgefunden oder auch nur davon gehört. Dann fragte ich mich auch sofort: Kann man diese Tat allein vollbringen? Und warum war die Ermordete ausgezogen worden?

    Ich stand auf und ging zurück zur Eingangstür. Einen kurzen Moment schauten Colmorgen und ich uns still – erschüttert – an. Der Mann war groß, hatte volles dunkles Haar und eine rötliche Gesichtsfarbe. Wahrscheinlich litt er unter Bluthochdruck. Später sollte ich erfahren, dass er unter einer ganz anderen Krankheit – wenngleich nicht lebensbedrohend – litt. Er war verständlicherweise nervös. Er suchte in seiner Jackentasche nach Zigaretten, fand sie, hatte auch schon das Feuerzeug in der Hand, steckte dann aber beides in Anbetracht der Situation wieder ein. Übrigens der zweite schöne Mann an diesem gräulichen Herbsttag!

    „Die Tote gehört zu Ihrer Schule?"

    „Ja, das ist Julia Wrotter, unsere Sportlehrerin."

    Sie merken, wir nähern uns schon in behutsamen Schritten der Antwort, warum der Mord in einer Turnhalle stattgefunden hat.

    „Ich verstehe das überhaupt nicht! Ich bin entsetzt, fuhr Schulleiter Colmorgen fort. „Warum gerade sie?

    „Wie meinen Sie das?"

    „Nun, Frau Wrotter war eine beliebte Kollegin, eine vorbildliche Lehrerin."

    „Also würden Sie einen Täter aus dem Kollegium ausschließen?", insistierte ich.

    „Als Schulleiter kam ich wunderbar mit ihr zurecht und die Kinder, ich meine die Schüler, liebten sie."

    „Also würden Sie einen Täter oder eine Täterin aus Ihrem Kollegium ausschließen?", wiederholte ich meine letzte Frage.

    „Auf jeden Fall!, antwortete Colmorgen, ohne nachzudenken. „Wie furchtbar!, er schaute zur Stirnwand der Sporthalle.

    „Wie haben Sie, Herr Colmorgen, von diesem entsetzlichen Ereignis erfahren?

    „Unser Hausmeister, Herr Kant, rief mich gegen zwanzig vor sechs an und teilte mir ganz verstört mit, dass er in der Turnhalle Frau Wrotter gefunden hätte. Im Basketballständer. Tot! Da er mich zuerst angerufen hatte, bat ich ihn, sofort die Polizei zu verständigen. Ich bin dann so schnell ich konnte in die Schule geeilt. Vor dem Eingang empfing mich unser Hausmeister und begleitete mich zur Turnhalle. Ein Polizist stand davor, der zweite war in der Halle. Ich bin dann hineingegangen. Ich kann es nicht fassen. Unsere allseits geliebte Julia Wrotter ist tot. Ermordet!"

    „Einstweilen vielen Dank, Herr Colmorgen, wir sprechen uns noch später."

    „Und was soll ich jetzt machen?, er schaute auf seine Uhr, „es ist bereits halb acht. Der Unterricht beginnt um acht Uhr?

    Ich überlegte einen Moment.

    „Der Unterricht kann ganz normal verlaufen. Die Turnhalle bleibt natürlich gesperrt. Sie informieren Ihr Kollegium offiziell erst in der großen Pause. Und ich möchte dabei sein!"

    „Ich versuche das auf die Reihe zu kriegen", stöhnte er und verließ die Halle.

    Auch ich kehrte der still baumelnden Leiche den Rücken und bat Holtz, vor der gesamten Turnhalle ein Absperrband zu spannen.

    Ich hatte vielleicht zehn Minuten auf der Bank in der Halle gesessen, als Jochen Twiete und Maren Ketels, meine beiden jungen Kollegen, erschienen. Twietes äußere Erscheinung setzte mich immer wieder in Erstaunen. So auch jetzt. Er trug graue Hosen mit Schlag und dazu ein schlabberiges Jackett, das durch seine Farbenvielfalt Aufmerksamkeit erregte. Sein geblümtes Hemd biss sich mit dem Jackett. Auf einen Mantel hatte der Junge, trotz des üblen Herbstwetters, verzichtet. Dass Maren bei diesem Outfit nicht einschritt?! Naja!

    „Ich habe deinen Leichendoktor informiert!", rief Twiete pietätlos in den Raum, um dann abrupt abzubrechen.

    Pause.

    „Das ist doch!? Das gibt’s doch nicht! Julia Wrotter!"

    Ich drehte mich zu ihm um.

    „Du kennst die Tote?", fragte ich vollkommen überrascht.

    „Na klar, Chef! Das ist, das war, die Julia Roberts von Plön!"

    Erinnern Sie sich noch, dass ich bei der ersten eingehenderen Betrachtung der Toten gemeint hatte, sie zu kennen? Jetzt fiel es mir wieder ein, jetzt wusste ich, woher ich sie kannte: Julia Roberts.

    Ferien

    Fliegenbein und diverse Bodys

    Nicht, dass Sie nun denken, dass ich ein besonderer Fan von Julia Roberts, der ,Pretty Woman‘ gewesen wäre! Nein! Nur, diese Ähnlichkeit! Verblüffend! Margit war übrigens ganz anderer Meinung, aber davon später. Man sagt ja, dass Männer in meinem Alter auf solche Frauen ,abfahren’. Im wirklichen Leben – nicht im Film! Ich gehöre nicht zu ihnen. Da ist Margit ein weiteres Mal vollkommen anderer Meinung. Aber lassen wir das jetzt.

    Wie alt ich bin? Hatte ich das noch nicht erwähnt?

    Ich bin einundsechzig Jahre alt, 1,79 Meter groß und wiege 79,5 Kilo. Jetzt können Sie sich meine Figur vorstellen. Margit meint, dass ich einen Bauch habe. Ich finde, das entspricht einer üblen Nachrede und gehört sich nicht. Oder doch? Unter Liebenden? Ich heiße Jens Herdenbein und bin Kriminalhauptkommissar bei der Bezirkskriminaldirektion Kiel in der Blumenstraße. Ich habe als Inspektor meine ersten Erfolge gehabt – als es diese Dienstbezeichnung noch gab – und darum bin ich bei diesem ,Titel’ geblieben. Twiete sagt ,Chef’ zu mir, Maren Ketels auch. Es gibt Menschen, die mich Fliegenbein nennen. Das ist überwiegend nett gemeint. In der Schule waren meine Mitschüler erfindungsreicher; ich möchte hier jedoch deren bösartige Kreationen nicht verraten. Wenn Ihnen danach ist, können Sie ja ein wenig mit dem Namen Herdenbein experimentieren. Warum Fliegenbein? Ich trage grundsätzlich, im Sommer wie auch im Winter, eine Fliege. Das finde ich gut und es kleidet mich vorzüglich. Wie war das noch mit der Vollkommenheit?

    Es gibt Mitmenschen, die behaupten, ich sei zu behäbig. Ich streite das nicht ab, würde es aber lieber sehen, wenn man mir Genussfreude unterstellen würde. Ich habe im Laufe meines Lebens das Genießen gelernt. Und ich kann genießen. Sehen Sie, bei einem guten Essen vergesse ich die Widrigkeiten des Alltags: Mörder, Verbrecher und Vorgesetzte, in dieser Reihenfolge! Ich liebe die Behaglichkeit – wenn es geht auch dienstlich (wer tot ist, ist tot!) – ein ideenreiches Mahl, einen guten Wein und später eine Zigarre. Sehen Sie, und dazu passt dann auch meine Fliegenmarotte! Oder?

    In der Winterzeit koche ich manchmal für die Grebiner Hautevolee. Ab und zu für meine Freunde und mein Team. Und ich koche, wann immer es möglich ist, für mich. Für mich ganz alleine. Oder für Margit oder für Hilke Hansen, die ein weiblicher Merlin in der Küche der ,Linde’ ist.

    Als Letztes sei noch bemerkt, danach kennen Sie mich annähernd und umfassend, dass ich im Augenblick dabei bin, meine eingestaubte Mineraliensammlung wieder zum Leben zu erwecken.

    Jahrelang habe ich in Kiel in der Gerhardstraße gewohnt. Ich bin dann aber in diesem Jahr zu Margit, meiner zweiten großen Liebe, nach Grebin gezogen. Margit ist die Wirtin der ,Linde’, dem Dorfkrug, dem ersten Haus am Platz. Ich hatte sie zum selben Zeitpunkt kennen gelernt, als auch die Viererbande aus Plön mir bei der Aufklärung eines Mordes

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