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Leichen im Dörpskrog: Inspektor Herdenbein frisst sich durch Band IV
Leichen im Dörpskrog: Inspektor Herdenbein frisst sich durch Band IV
Leichen im Dörpskrog: Inspektor Herdenbein frisst sich durch Band IV
eBook345 Seiten4 Stunden

Leichen im Dörpskrog: Inspektor Herdenbein frisst sich durch Band IV

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Über dieses E-Book

Dieses Mal muss Kriminalhauptkommissar Jens Herdenbein den Mord an drei Rats-Politikern von SPD, CDU und FDP der Stadt Plön aufklären. Eines muss man dem Täter lassen: er scheint den Proporz zu wahren: nur der Grüne entgeht dem Mordanschlag, da er durch einen anonymen Hinweis rechtzeitig gefunden wird. Es muss ein Zusammenhang zwischen den Taten bestehen, hinzu kommt, alle geschehen im "Dörpskrog". Zusätzliches Kopfzerbrechen bereitet Herdenbein die Tatsache, dass der Mörder ihn gut zu kennen scheint und in Kontakt mit ihm tritt. Wer in Herdenbeins Bekanntenkreis ist ein Mörder? Wie so oft spielt Kommissar Zufall eine große Rolle: Eines Tages meldet sich eine alte Bekannte bei Herdenbein und der hat plötzlich einen Verdacht. . .
Wieder ein "echter" Herdenbein, unterhaltsam, spannend, lebensnah, authentisch, mit sehr viel Lokalkolorit, und zum guten Schluss gewürzt mit den Rezepten des Autors.

SpracheDeutsch
HerausgeberPandion Verlag
Erscheinungsdatum27. Aug. 2015
ISBN9783869115016
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    Buchvorschau

    Leichen im Dörpskrog - Niels Peter

    Bier.

    Teil 1

    1. Die Ruhe vor dem Sturm - Von Arbeitslosigkeit und Menschen

    Es gibt nichts Schlimmeres für mich als ein Telefonat an einem frühen Morgen! Oder doch? Ja, das Schrillen eines Telefons an einem frühen Montagmorgen! Und diese Grausamkeit konnte noch gesteigert werden, wenn ich am anderen Ende der Leitung die Stimme von Konrad Koczik hörte. Diese Eventualität war allerdings im Moment nicht gegeben – da Vergangenheit. Koczik, seine Name war Programm, hatte es dahingerafft. Nicht in dem Sinne, dass er zu seinen Ahnen heimgekehrt wäre, vielmehr hatte ihm sein übertriebener und ungerechtfertigter Diensteifer, sein permanentes Spionieren hinter dem Rücken der Kollegen, schlichtweg seine Unkollegialität das Genick gebrochen. Mit anderen Worten, der Erste Kriminalhauptkommissar war – von einem Tag auf den anderen – strafversetzt worden, was jeden Kollegen in der Bezirkskriminaldirektion in der Blumenstraße 2-4 in hellstes Entzücken versetzte. Aber des einen Freud ist des anderen Leid. In diesem Falle war ich der andere, denn ich hatte kommissarisch die Stelle des Ersten einzunehmen. Das war für mich umso unangenehmer, da ich alle diesbezüglichen Angebote von Kriminaloberrat Wölger in der Vergangenheit stets abgelehnt hatte. Bei den ersten Angeboten hatte ich noch mit meinem Einsam-Recherchieren-Müssen argumentiert. Heute würde ich das Angebot Erster zu sein ablehnen, weil es mir einfach Spaß macht, mit den beiden Kommissaren Jochen Twiete und Maren Ketels zusammenzuarbeiten. Aber selbst das war mir nicht vergönnt gewesen, da ja die Versetzung Kocziks überstürzt kam und ich wohl oder übel in die Bresche springen musste. Kein löbliches Argument konnte ich da von meiner Seite aus anführen, um dieser Führungsposition zu entgehen. Allerdings und Gott sei Dank war diese interimistische Lösung lediglich bis zum Ende des Jahres 1999 angesetzt worden. Ich konnte also schon wieder einen Lichtschein am Ende des Horizonts erblicken, da wir uns zu jenem Zeitpunkt bereits inmitten des Monats November befanden.

    Da plaudere ich und plaudere und vergesse dabei vollkommen, dass ich mich noch gar nicht vorgestellt habe. Ich bitte um Entschuldigung! Gleichwohl, dieses Plaudern hat durchaus seine Berechtigung. Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten und Sie sollen dabei gleichermaßen mit mir verfahren. Plaudern, unterbrechen, Einwände vorbringen, Kritik üben. Wie das gehen soll? Sie werden es schon selbst entdecken.

    Noch mal Entschuldigung, dass ich mich nicht gleich zu Beginn vorgestellt habe. Mein Name ist Jens Herdenbein. Meine Freundin, Geliebte, Liebste nennt mich überwiegend nur Herdenbein, meine beiden jungen Kommissare sagen „Chef zu mir und mein vorletzter und nun auch wieder zukünftiger Chef nennt mich originellerweise „Fliejenbein. Er kann nichts dafür, er ist Berliner! Die Bezeichnung Fliegenbein, ich sag’s lieber gleich, hat mit meiner Marotte zu tun, Fliegen zu tragen. Ja, Sie lesen richtig. Ich bin einer der letzten Fliegenträger in Schleswig-Holstein. Morgens, mittags, abends, sommers wie winters lasse ich mich durch Fliegen zieren. Wie viele von ihnen ich mein Eigen nenne? Ganz schon neugierig sind Sie, und das gleich zum Auftakt! Nun, ich habe sie in letzter Zeit nicht gezählt, aber es dürften an die Hundert sein. Ich trage keine Jeans, sondern Bügelfaltenhosen, dazu ein Jackett und einfarbige Hemden. Und: Fliegen! Meine Lieblingsfliegen sind die Gepunkteten.

    Ich bin 61 Jahre alt, habe eine normale Figur; hier würde meine Liebste Protest einlegen, und schütteres – es gibt unliebsame Zeitgenossen, leider zu viele, die das anders ausdrücken würden! – Haar. Zum Titel „Inspektor" ist zu bemerken, dass es schlichtweg eine liebgewordene Erinnerung an gute alte Zeiten mit den ersten Erfolgen ist. Ich bin Kriminalhauptkommissar.

    Noch etwas? Ach ja! Ich habe zwei Vorlieben. Die erste liegt – infolge mangelnder Zeit in Kisten verstaut – brach; ich suchte, sammelte und bestimmte Mineralien. Die zweite Vorliebe ist das Speisen: Ich esse gerne sehr gut und wenn ich gerade Lust habe, koche ich auch selbst. Für mich allein, für Margit und manchmal auch für halb Grebin.

    Mir fällt justament ein, dass es noch etwas Schlimmeres als einen Telefonanruf am Montagmorgen gibt.

    Was das sein könnte, fragen Sie?

    Das Aktenstudium unerledigter Fälle! Ja! Ich geb’s zu, auch ein Herdenbein ist nicht immer erfolgreich. Unaufgeklärte Mordfälle, die in der Mehrzahl weit, weit zurückliegen sind eine höllische Qual. Schon in jener weit entfernten Zeit als der Mord geschah, den wir uns nicht in Lage sahen, aufzuklären, hatte ich gebrütet, ermittelt, nachgefragt und nachgehakt, nach Spuren, nach Verborgenem und Verbindungen gesucht und war letztendlich nicht fündig geworden. Eine höchst unangenehme Angelegenheit, wenn man sich eingestehen muss, dass alle Bemühungen, Licht ins Dunkel zu bringen, nichts gefruchtet haben. Nach einer solchen Erkenntnis schloss sich der Weg zum Kriminaloberrat an, dem Erfolglosigkeit plausibel zu machen galt. Ich will auf diese Weise sagen, dass alles nur Menschenmögliche getan worden war. Damals!

    Und jetzt hatte man wieder diese unglücklichen Fälle in zerfledderten, teils staubig, teils muffig riechenden Ordnern vor sich liegen. Und ich sollte jetzt, nach dieser langen Zeit, noch etwas Neues, damals Übersehenes, nicht Entdecktes aufspüren? Das ist höchst unwahrscheinlich und aus diesem Grund ist eben das Studium unaufgeklärter Fälle etwas für Korinthenkacker oder intellektuelle Aktenwürmer, aber nicht für mich. Und meine Mitarbeiter, die Kommissare Jochen Twiete und Maren Ketels? Die saßen genauso belämmert und gelangweilt in unserem Großraumbüro, blätterten, lasen, stöhnten und legten beiseite. Gut nur dass beide hervorragend Kaffee kochen können, was nicht zu meinen überragenden Fähigkeiten gehört und dass es sie nicht stört, wenn ich rauche.

    Sie werden jetzt vielleicht einwenden, dass die Chance, einen Fall doch noch zu einem positiven Abschluss zu führen, durch die jüngeren und unbeleckten Kollegen doch verbessert wird. Nun, als Twiete neu war, hatte ich das während einer solch flauen Ermittlungsphase auch geglaubt, und dem jungen Kollegen voller Begeisterung die alten Akten hingeschoben. Das war alles für die Katz gewesen. Reine Zeitverschwendung, denn ich musste sämtliche Vorgänge beschreiben und erklären, bis Twiete zum Nachdenken kam. Das Ergebnis, wie auch später bei der Kollegin Maren Ketels, war gleich Null.

    Wissen Sie, wie viele unerledigte Fälle ich während meiner über 35-jährigen Dienstzeit zur Aufklärung brachte?

    Sie haben richtig geraten! Keinen.

    Also saßen wir drei in der Bezirkskriminaldirektion und versauerten.

    Nach dem Strangulationsfall Wrotter im November 1999 legten potentielle Mörder in Schleswig-Holstein ihre Hände in den Schoß und bescherten uns gewissermaßen geruhsame Zeiten. Wenn es nicht diese Akten gegeben hätte! Es gab keine Morde im Dezember 1999 und im Januar 2000. Dachten wir.

    Es gab einige Montagmorgen, an denen ich beinahe darauf wartete, hoffte, ja ersehnte, dass vielleicht doch einmal das Telefon ... Na, Sie wissen schon!

    Wenn wir drei nicht so begierig gewesen wären, den Tätern das Handwerk zu legen, hätten wir die Zeit richtig genießen können. Nun gab es ja in weitem Umkreis keine Mörder und ... wir waren dennoch nicht zufrieden. Das Aktenstudium!

    Gut, da waren natürlich in diesen zwei Monaten sehr nette Gespräche mit den Kollegen aus den anderen Abteilungen, mit denen man normalerweise – und normal heißt hektisches oder zumindest angestrengtes Arbeiten – nur flüchtig plaudern konnte. Ketels, Twiete und ich machten auch reichlich Gebrauch von dieser ungeplanten Möglichkeit. Aber das Team wollte Mördern nachjagen und so waren wir letztlich alle drei unzufrieden.

    *

    Twiete hatte ich 1995 kennengelernt, als es um eine angeschwemmte Leiche am Schluensee ging. Er war damals Polizeimeister in Plön gewesen und hatte mit drei weiteren Kollegen zur Aufklärung dieses sehr traurigen Falles beigetragen. Er war damals 23 Jahre alt, sehr groß und sehr schlaksig und trug seine langen blonden Haare offen, die er bei vielen Gelegenheiten um seinen Kopf fliegen ließ. Ich mochte das nicht, muss jedoch ganz still sein, wenn ich an meinen Fliegenwahn denke. Jochen (gesprochen: Joochen!) Twiete war so begeistert von unserer Arbeit gewesen, dass er sich nach Abschluss der Ermittlungen dazu entschlossen hatte, zur Kriminalpolizei zu wechseln. Nach einem zusätzlichen, zweijährigen Studium und nach bestandener Prüfung in Altenholz war er in den gehobenen Polizeidienst übernommen worden. Twiete hatte einen Antrag auf Laufbahnwechsel gestellt und war schließlich bei mir gelandet. Seine Versetzung zu mir war eigentlich eine Rache Kocziks, meines nun strafversetzten Vorgesetzten, gewesen. Ich, der ich immer gerne allein arbeitete, sollte durch einen jungen Spund verärgert werden. Koczik wusste nicht, dass wir beide uns kannten und mochten. So stieß Kocziks Racheplan ins Leere. Der Religionslehrer Paul Nilusch von der Bechstein-Hauptschule in Plön, den ich aber erst später kennenlernen sollte, würde wahrscheinlich, in seiner unnachahmlichen Weise dazu folgendes Zitat anführen: „Der Herr spricht: ,Die Rache ist mein; ich will vergelten‘, 5. Buch Mose, Kapitel 32, Vers 35". Wie hatte der Mann mich bei diesem Fall genervt. Dieser Nilusch hatte immer einen Bibelspruch auf Lager. Fürchterlich!

    Nun ja! Schlaksig ist Twiete immer noch, seine üppige Haarpracht hat er momentan mittels eines Pferdeschwanzes gebändigt und bringt nebenbei, durch sein teilweise grelles Outfit, Farbe in unser tristes Dienstzimmer. Er ist jetzt beinahe zwei Jahre bei mir und hat sein kriminologisches Talent oftmals unter Beweis stellen können, wenn man einmal von seinem berühmt-berüchtigten Mörder-Find-Programm – bei dieser Bezeichnung würde er lauthals Protest anmelden, ja kreischen! – absieht.

    Maren Ketels, die 26-jährige Kollegin, gehört seit einem halben Jahr zum Team von Twiete und mir. Das heißt, sie gehört mehr zu Twiete, denn die beiden sind schon seit Jahren befreundet. Ihr Erscheinen bei uns war auch mehr oder minder Kocziks Werk und böse Absicht, der mich mit einem weiteren jüngeren Kollegen zur Weißglut bringen wollte. Ein Vorhaben, das wiederum nicht gelingen sollte! Maren passt sehr gut zu uns. Der gelegentliche private Heckmeck zwischen Jochen und ihr hat unseren Dienst bisher noch nicht beeinträchtigt, wenn ich davon absehen mag, dass Twiete sich einmal geweigert hat, seine überaus geliebte Freundin bei einem Rekonstruktionsversuch zu erhängen. Schwamm drüber! Maren ist etwas größer als ich und ein wenig kleiner als Twiete, allerdings viel attraktiver als wir beide zusammen. Sie neigt dazu, ihre sehr üppigen Reize nicht zu verstecken. Ich muss allerdings kleinlaut bekennen, dass beim letzten Fall gerade diese freizügig zur Schau gestellten Reize unseren Staatsanwalt Heiko Hauen schnell zur Beantragung des von uns gewünschten Haftbefehls geführt haben.

    *

    Als interimistischer Erster Kriminalhauptkommissar hatte ich aus den schon vorgestellten Gründen nicht besonders viel zu tun. In allen Abteilungen herrschte Saure-Gurken-Zeit. Ein gefundenes Fressen für Margit, die schon die Auflösung der Kieler Kriminalpolizei prophezeite. Da tat es dann auch recht wohl – da der Abwechslung dienend! –, wenn im Dezember von Zeit zu Zeit Sprenz auftauchte. Jakob Sprenz, der ab Januar 2000 wieder der „Erste" sein würde. Er erschien das erste Mal Anfang des Monats in der Bezirkskriminaldirektion und schlenderte durch die verschiedenen Abteilungen, die er mit seinem Berliner Humor – der allerdings manchmal doch von merkwürdiger Art war – aus der Tristesse zu locken versuchte. Ab und zu gelang es ihm auch.

    Jakob Sprenz musste Anfang 1998 den Dienst quittieren, da er unter Herzproblemen litt. Da ich mich weigerte seinen Posten zu übernehmen, bekamen wir Konrad Koczik vor die Nase gesetzt. Und erst bei dessen Auftreten begriffen wir so richtig, was wir an Sprenz gehabt hatten. Der war nicht nur Berliner mit Schnauze, er konnte auch manchmal recht ekelig sein und manche Verwünschung schallte durch die Gänge des Dienstgebäudes. Allerdings, und das merkten wir erst nach seinem Abschied, zeichnete er sich durch Direktheit und Gerechtigkeit aus. Und hinterfotzig wie Koczik war er schon gar nicht.

    Wir beide waren doch sehr gegensätzlich, obwohl beinahe gleichaltrig; er war ein Jahr jünger als ich. Dieser Gegensatz bestand nicht so sehr im dienstlichen sondern vielmehr im persönlichen Bereich. Ich, der immer Wert auf korrekte Kleidung legt – Twiete hat mich allerdings in der Zwischenzeit Toleranz gelehrt! – fiel schier in Ohnmacht, wenn der Erste Kriminalhauptkommissar im Sommer in kurzen Hosen zum Dienst erschien. Ich traute meinen Augen nicht. Und wenn sich die Gelegenheit ergab, dass wir einmal zusammen speisten, betonte er immer wieder, dass es für ihn die höchste kulinarische Erfüllung sei, wenn man ihm eine Rinderroulade mit Dampfkartoffeln und Rotkohl vorsetzte. Ich hatte ihn einmal zu mir eingeladen – eine Wiederholung verbat sich anschließend von selbst – um ihn mit herrlichen Gaumenfreuden bekannt zu machen. Sprenz jedoch stopfte die ihm offerierten Köstlichkeiten in sich hinein und gab mir dann abschließend zu verstehen, dass das Nonplusultra letztendlich eine Roulade sei!

    Mich haute es beinahe vom Stuhl. Was sagen Sie dazu? Ist das nicht furchtbar, wenn man ein solcher Ignorant ist?

    Das größte Problem mit Sprenz hatte man, wenn es um dienstliche Dinge ging und man gegensätzlicher Auffassung war. Konnte man sich seiner Ansicht nicht anschließen, beharrte er zuerst einmal – zuweilen recht kleinkindhaft – auf der eigenen Sichtweise. Gelegentlich fühlte er sich auch angegriffen. Dann schaute er empor – er war sehr klein! – und zitierte Napoleon: „Sie sind nicht größer als ich, Sie sind nur länger".

    Daraufhin drehte er sich um und maulte eine Zeitlang. Seine Größe, beziehungsweise seine Kleinheit, machte ihm bisweilen zu schaffen.

    Übrigens tauchte er im Dezember 1999 nicht nur in der Blumenstraße auf, meiner Dienststelle, um uns mit seinem Charme zu beglücken. Jakob Sprenz erschien – und das war ein absolutes Novum bei ihm – in der Linde in Grebin. Plötzlich saß er an der Theke und ließ mich durch Margit herbeizitieren. Als ich dann ausgesprochen perplex aus unserer Wohnung herunterkam, staunte ich nicht schlecht. Ein Bier hatte er schon getrunken und, was soll ich sagen, er duzte sich bereits mit Margit, der er sich mit den Worten vorgestellt hatte: „Ick bin der Chef von Ihrem Jeliebten. Sie können sich vorstellen, wie verblüfft ich war. „Ick denke, wir wollen mal von Erster zu Erster eenen Plausch halten, erklärte er.

    Nun, im Laufe des Monats wurden es in der Direktion und der Linde etliche und ich nannte ihn schließlich Jakob und er mich Jens.

    „Da haste ne wirklich tolle und jute Frau, Jens, meinte er immer wieder. „Du solltest se unbedingt heiraten, forderte er mich wiederholt auf.

    Margit ist eine tolle Frau! Sie ist 50 Jahre alt, groß, blond, mit einer großartigen Figur und so richtig norddeutsch. Sie war gewissermaßen meine Traumfrau. Ich hatte sie zum selben Zeitpunkt wie Twiete kennengelernt und damals ihren Dorfkrug teilweise zum Hauptquartier bei den Ermittlungen im Wasserleichen-Fall umfunktioniert. Wir waren uns näher gekommen. Na ja, eigentlich erst nach Abschluss der Arbeit und, ehrlicherweise muss ich gestehen, sie hatte mich geangelt. Ich bin schüchtern. Sie brauchen überhaupt nicht zu lachen! Ich kann nichts dafür!

    Also, der Dezember 1999 und der Januar 2000 waren Monate der Ruhe für uns.

    Es war die berühmte Ruhe vor dem Sturm. Der, ohne mein Wissen, schon im November angefangen hatte.

    Aber nun der Reihe nach!

    2. Daten

    Montag, 1. November 1999

    Als ich am späten Nachmittag von meinem nun seit Wochen aufreibenden Dienst endlich in Grebin ankam, erwartete mich eine Überraschung. Ich hatte es mir nicht nehmen lassen, meine geliebte Strecke über Sophienhof, Lepahn und Lebrade zu fahren – es ist nebenbei gesagt auch die kürzeste! – den Golf auf dem Parkplatz vor der Linde geparkt und dieselbe gerade betreten, als mir aus dem Gastraum von Margit zugerufen wurde, ich möchte mich doch gleich nach oben in die Wohnung begeben. Nanu!

    Ich legte oben Elbsegler und Mantel ab, zupfte meine Fliege zurecht und schaute in die Küche. Ich erwartete gewissermaßen im häuslichen Bereich ein lukullisches Mahl. Da hatte sich Herdenbein allerdings gründlich geirrt. Aufgeräumt und blitzblank schaute die Küche aus. Infolgedessen konnte sich auch kein speichelanregendes Wohlgerüchlein einstellen. Schade und nochmals nanu!

    Ich ging gespannt zum Wohnzimmer, öffnete die Tür. Aha!

    Die bauchigen Rotweingläser standen auf dem Tisch. Dort, wo ich den Platz einnehmen sollte, stand neben dem Glas eine Schale mit gerösteten Erdnüssen, eine weitere mit Cashews und eine dritte mit Erdnussflips.

    Ich roch den Braten. Madame hatte ein Attentat vor und ich sollte das Opfer sein. Ich kenne doch meine Pappenheimer! Ich setzte mich artig hin – ich nehme an, dass die Liebste das von mir erwartete – und wartete. Ich konnte wenig später die leichtfüßigen Schritte von Margit auf der Treppe vernehmen, dann wurde die Tür geöffnet und sie trippelte mit honigsüßem Lächeln herein, in der rechten Hand eine Flasche Wein.

    Da stand mir – alle Zeichen deuteten darauf hin – ein äußerst unangenehmer Anschlag bevor.

    „Mein lieber Herdenbein", flötete mit melodischem Klang die Lindenwirtin.

    Sie kam zu mir und tüscherte mich.

    „Du brauchst dich gar nicht so anzustrengen, meine Liebe!, rief ich au ich weiß, dass du ein Attentat planst.

    „Ein Attentat, lieber Jens, ein Attentat!, rief Margit mit gespielter Entrüstung aus, „ein Attentat! Ich will dich auf ein besonderes Vergnügen vorbereiten und du unterstellst mir böse Absichten. Pfui Herdenbein!

    Margit schenkte die Weingläser halb ein und stellte die Flasche neben mein Glas. Chateauneuf du Pape! Ich wusste doch gleich, dass ich etwas tun sollte, zu dem ich überhaupt keine Lust verspüren würde. Wir stießen an und der Klang versöhnte mich ein wenig mit dem Schrecklichen und wahrscheinlich auch Unabwendbaren, das auf mich zukommen sollte. Wir schlotzten – wie der Schwabe sagen würde – von dem köstlichen Rebensaft und Margit lächelte mich an. Ja, das Studium der Weiber ist schwer.

    „Nun komm' schon mit der Kröte heraus", drängelte ich.

    „Schmeckt dir der Wein, mein Herdenbein", säuselte sie.

    „Also!"

    „Jens, hast du schon einmal etwas vom Verein zur Förderung des Fremdenverkehrs in der Region Plön gehört?", fragte sie und zeigte mir dabei fortwährend ihr strahlendstes Lächeln.

    „Ja!, antwortete ich knapp. „Und was habe ich damit zu tun?

    „Der Verein hat dich zu einem gemütlichen Zusammensein der Fördermitglieder im Dörpskrog eingeladen."

    „Ich bin kein Fördermitglied!"

    „Aber ich! Und ich kann am nächsten Donnerstag nicht. Das weißt du!"

    „Und bei diesem langweiligen Beisammensein mit Geschäftsleuten, Kneipiers und Plöner Verwaltungsleuten soll ich mich vergnügen?", stieß ich voller Entsetzen aus.

    „Mein lieber Herdenbein, setzte Margit zu einer Erklärung an, „der Dörpskrog ist das Erste Haus am Platz, wie Klaus Burmeester immer wieder gerne betont. Überdies kocht er vorzüglich, wenn du dich erinnern magst, und dir werden Speisen und Getränke unentgeltlich serviert. Du kannst folglich so viel essen und trinken, wie du möchtest.

    Ich muss gestehen, dass man bei Klaus tatsächlich gut isst. Was heißt gut isst? Man kann bei ihm speisen und das sagt ja wohl alles.

    Auch wenn Sie mich jetzt für einen Verfressenen halten oder gar einen, der dem Trunk ergeben ist, meine ablehnende Haltung bröckelte bei der Vorstellung eines schmackhaften Essens und eines frisch gezapften Bieres. Der Chateauneuf du Pape hier erledigte den Rest.

    Ich würde also am nächsten Donnerstag zu einem vergnüglichen Beisammensein mit Plönern zusammenkommen, die nur eins im Sinn hatten, Gäste anzulocken. Sie würden Strategien entwickeln, Prospekte entwerfen und Anzeigen formulieren. Und das alles zum löblichen Zweck, den Menschen vom Rest der Welt klarzumachen, dass es das größte Versäumnis ihres Lebens sein würde, nicht mindestens einmal in Plön gewesen zu sein.

    Nun, mich tröstete das zu erwartende Labsal.

    Donnerstag, 4. November 1999

    Nicht, dass ich es wusste oder geschweige denn nur entfernt ahnte, fing dieser Fall – zuerst war es ja noch ein geselliges und teilweise auch amüsantes Beisammensein – hier an. Zwar sollte es zu keinem Massenmord kommen, allerdings blieb es auch nicht bei dem üblichen einen Toten.

    Das Drama begann also an diesem Tag, besser an diesem Abend, beim gemütlichen Zusammensein, zu dem der „Verein zur Förderung des Fremdenverkehrs in der Region Plön" eingeladen hatte und zu dem ich verdonnert worden war. Es geschah folglich bei einer Feier, bei der ich es am wenigsten vermutet hätte, ja, und ich das mörderische Geschehen auch nur andeutungsweise bemerkt hätte. Es geschah sozusagen vor meiner Nase, vor meinen Augen und ich war blind. Und das Schlimmste war, wenn ich nachträglich zurückblicke, wir murkelten an diesem Fall herum und kamen kaum vorwärts, bis der berühmte Kommissar Zufall eine bedeutende – zumindest aber abkürzende – Rolle in dieser fatalen Angelegenheit spielen sollte.

    Als ich gegen 19.00 Uhr vor dem neuen und großen Spiegel im Schlafzimmer stand, um mich für den gemütlichen Abend im Dörpskrog anzukleiden, sah ich, wie mein Konterfei mich zufrieden anlächelte. Es war die Erkenntnis, dass ich nie – bei Margit wäre es vollkommen anders gewesen! – Probleme mit meiner Kleidung habe, welche mir ein Strahlen entlockte. Da ich sowohl im Dienst als auch in meiner Freizeit immer gepflegt gekleidet bin, stellt sich für mich niemals die Frage: Was soll ich nur anziehen?. Ich konnte einfach unter einer erheblichen Anzahl geschmackvoller Kleidungsstücke auswählen. Genau das hatte ich getan und mein prüfender Blick hatte sich in einen lächelnden verwandelt. Ein letztes Zupfen an der Fliege genügte und das Gesamtkunstwerk war wieder einmal hergestellt.

    Sie wollen wissen, welches Outfit zu meiner Zufriedenheit beigetragen hatte? Okay! Trotz des winterlichen Wetters hatte ich mich zu einem leichten grauen Anzug entschlossen, einem blütenweißen Hemd mit verdeckter Knopfleiste und einer dezent gestreiften, in verschiedenen Rottönen gehaltenen Fliege. Also überhaupt nichts Auffälliges, von der Fliege einmal abgesehen. Alles aufeinander abgestimmt und rundherum perfekt. Schwarze Schuhe!

    Ich ging die Treppe zur Gaststube hinunter und vermisste die bewundernden Ausrufe der Gäste. Es waren noch keine da! Margit und Hilke, die in der Küche wirkten – gegen zwanzig Uhr sollte schließlich die Veranstaltung in der Linde beginnen, die mich zum Beauftragten der Wirtin gemacht hatte – ließen sich auch nicht zu schwärmerischen Ausrufen hinreißen. Ich verschwand etwas indigniert aus der Küche, mir noch einen Mantel in der Diele überziehend, und verließ dieses gering zu begeisternde Haus.

    Ich wanderte die wenigen hundert Meter bis zum Schluensee-Hotel in Görnitz und gerade als ich den Parkplatz erreichte, kamen die Hoteliers Knut und Imke Helms – langjährige Freunde von Margit und mir – aus der breiten Eingangstür herausgeschritten. Ich hatte mit ihnen ausgemacht, dass sie mich zum Dörpskrog mitnehmen sollten.

    Nein! Das ist nicht richtig, was Sie im Augenblick denken! Ich hatte keineswegs vor, mich zu betrinken! Laden wollte ich schon, und man kann ja auch nie wissen, wie lange eine solche Gemütlichkeit dauert. Ich wollte gewissermaßen einfach sicher gehen. Schließlich weiß man ja nie, ob man nach vielen Stunden – in denen man immer wieder die Trockenheit aus der Kehle verbannen muss – noch sicher gehen kann. Vom Fahren ganz zu schweigen! Und schließlich ist man ja auch von der Polizei. Wir wollen doch nicht, dass Sie einen völlig falschen Eindruck von mir bekommen.

    Wir begrüßten uns, bestiegen den alten Benz der Hoteliers und fuhren die kurze Strecke nach Rathjensdorf.

    Das Erstaunlichste – und es grenzte beinahe schon an ein Wunder – war, dass wir auf dem Parkplatz neben dem Garten des Dörpskrog eine Lücke zwischen den vielen abgestellten Autos fanden. Längs der Alten Dorfstraße vor der Gaststätte hatten die Wagen der Gäste schon – teilweise gegen alle Regeln, teils riskant – gestanden und ich hatte schon befürchtet, einen längeren Fußmarsch unternehmen zu müssen. Und nun dieses! Wir entstiegen dem alten Gefährt und gingen bei einsetzendem Nebel zurück zur Alten Dorfstraße und standen schließlich vor dem, zum Dorfkrug umgebauten, alten reetgedeckten Bauernhaus aus dem Jahre 1872. Wir stiegen die drei Stufen zur schönen Eingangstür empor, öffneten diese und uns schlug fröhliches und lautes Stimmengewirr entgegen. Ich war voran gegangen und steuerte zielsicher nach rechts in den Frühstücksraum, da ich dort die Garderobe für diesen Abend erwartete. Ich hatte mich nicht getäuscht. Viele Garderobenständer waren aufgestellt worden, um den Mantelbergen der Freunde vom „Verein zur Förderung des Fremdenverkehrs in der Region Plön" gerecht zu werden. Klaus Burmeester hätte

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