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Das kosmische Ei: Drei Erzählungen
Das kosmische Ei: Drei Erzählungen
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eBook147 Seiten1 Stunde

Das kosmische Ei: Drei Erzählungen

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Über dieses E-Book

Der Dozent für Kommunikationswissenschaft, Anfang vierzig, erwacht verkatert in den Armen einer ehemaligen Studentin. Gleich ist Vorlesung, und er ist unvorbereitet. Eine geistesabwesend eingepackte John-Player-Special-Werbung und ein unterwegs gekauftes rohes Ei gebären die improvisatorische Meisterleistung "Vom Ei zu Gott", einen Vortrag, in dem endlich geklärt wird, dass nicht das Huhn zuerst da war - und wer das kosmische Ei gelegt hat.
Ein Mann des Wortes. Er spinnt sich das Rettungsseil selbst, auf dem er über den Abgründen des Lebens und des Sinns balanciert. Auch die Protagonisten der anderen zwei Geschichten - andere Berufe, andere Altersstufen - erleben solche prekären Situationen, denen es mit großer Geste zu entrinnen gilt.
Drei mit hellem Witz erzählte Geschichten aus dem heutigen Brasilien. Drei Überlebenskünstler zwischen Italo Svevo und Woody Allen.

Von Sérgio Sant'Anna außerdem in der Edition diá:


Amazone
Roman
Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Frank Heibert
ISBN 978-3-86034-531-3

Die Wahrheit über den Fall Antônio Martins
Roman
Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Enno Petermann
ISBN 978-3-86034-534-4
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition diá
Erscheinungsdatum25. Sept. 2013
ISBN9783860345337
Das kosmische Ei: Drei Erzählungen

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    Buchvorschau

    Das kosmische Ei - Sérgio Sant'Anna

    Über dieses Buch

    Der Dozent für Kommunikationswissenschaft, Anfang vierzig, erwacht verkatert in den Armen einer ehemaligen Studentin. Gleich ist Vorlesung, und er ist unvorbereitet. Eine geistesabwesend eingepackte John-Player-Special-Werbung und ein unterwegs gekauftes rohes Ei gebären die improvisatorische Meisterleistung »Vom Ei zu Gott«, einen Vortrag, in dem endlich geklärt wird, dass nicht das Huhn zuerst da war – und wer das kosmische Ei gelegt hat.

    Ein Mann des Wortes. Er spinnt sich das Rettungsseil selbst, auf dem er über den Abgründen des Lebens und des Sinns balanciert. Auch die Protagonisten der anderen zwei Geschichten – andere Berufe, andere Altersstufen – erleben solche prekären Situationen, denen es mit großer Geste zu entrinnen gilt.

    Drei mit hellem Witz erzählte Geschichten aus dem heutigen Brasilien. Drei Überlebenskünstler zwischen Italo Svevo und Woody Allen.

    »Sérgio Sant’Annas Protagonisten sind Helden der Stadt Rio de Janeiro. Seine tragikomischen Lebensakrobaten laden zu wahrhaft kurzweiligen und atemberaubenden Abenteuern ein. In der Übersetzung von Frank Heibert sind diese Erzählungen ein echter Leckerbissen.« (Tagesspiegel)

    Der Autor

    Sérgio Sant’Anna, geboren 1941 in Rio de Janeiro, ist Autor von mehreren Romanen, Erzählbänden, Theaterstücken und Geschichten. Seine Schriftstellerkarriere begann in den sechziger Jahren mit der Gründung einer (später von der Militärdiktatur verbotenen) Zeitschrift für experimentelle Literatur; in den siebziger Jahren zählte er zur literarischen Avantgarde Brasiliens, die das Formexperiment mit dem revolutionären Engagement zu verbinden suchte. Sant’Anna war lange Dozent für Kommunikationswissenschaft an der Universität von Rio de Janeiro. Für seine Werke erhielt er mehrere brasilianische Literaturpreise, darunter 1986 den Prêmio Jabuti für »Amazone«.

    Der Übersetzer

    Frank Heibert, geb. 1960, übersetzt vor allem aus dem Englischen und Französischen, u. a. Don DeLillo, Richard Ford, Lorrie Moore, Tobias Wolff, Neil Labute und, zusammen mit Hinrich Schmidt-Henkel, Yasmina Reza. 2006 erschien sein erster Roman »Kombizangen«. 2012 erhielt er den Heinrich-Maria-Ledig-Rowohlt-Übersetzerpreis für sein Gesamtwerk.

    Sérgio Sant’Anna

    Das kosmische Ei

    Drei Erzählungen

    Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Frank Heibert

    Edition diá

    Inhalt

    Kurze Geschichte des Geistes

    Das kosmische Ei

    Adieu

    Impressum

    Kurze Geschichte des Geistes

    Für Tião Nunes und André

    1

    Es wurde Zeit, und Rosinha half mir dabei, mich in Gala zu werfen, wie es die Situation erforderte. Ich hatte mich schon rasiert, geduscht und Kaffee getrunken, ich stand in Unterhose und Hemd da, und Rosinha hielt mir die Hose des Anzugs hin – den sie selbst fein säuberlich gebügelt hatte –, damit ich, auf ihre Schulter gestützt, erst das eine und dann das andere Bein hineinsteckte.

    Seit Neuestem versuchte ich ständig, meinen übersprudelnden Geist zu kontrollieren und wieder auf den Boden der Tatsachen zu kommen, genauer gesagt, seit ich in der Frauenzeitschrift, deren Mitarbeiterin Rosinha war, etwas über den Unterschied zwischen Einbildungskraft und Fantasie gelesen hatte. Während sich die Fantasie Ersatzschwärmereien hingibt, erlaubt die Einbildungskraft, Wirklichkeiten in Form von Werken zu erschaffen, wie es die Künstler tun. Hielt ich mich nicht in erster Linie für einen Künstler?

    Doch, schon, allerdings ließ mich das Bild eines Toreros nicht los, den ich in einem Film gesehen hatte, mit allem Pomp für den tödlichen Kampf mit dem Stier gekleidet, dazu die musikalische Untermalung von Flamencogitarren und Kastagnetten. Ich bekam eine Gänsehaut.

    Rosinha holte mich wieder in die Gegenwart zurück. Sie bat mich, ihr dabei zu helfen, den Knoten der Krawatte so zu binden, wie ihr Bruder es uns gestern gezeigt hatte, als wir uns den Anzug ausgeliehen hatten, alleine kriegte sie es nicht hin.

    »Meinst du, die merken das nicht?«, fragte ich, während wir mich im Spiegel betrachteten. Ihr Bruder war kleiner und dicker als ich.

    »Ach was, du Dussel, wer arbeitslos ist, hat doch kein Geld, um sich einen Anzug zu kaufen, oder? Außerdem sind die religiös, die müssen Verständnis zeigen.«

    Tatsächlich war die Anzeige von einer Evangelistensekte aufgegeben worden, die Redakteure für ihre religiösen Heftchen suchte. Sie verlangten Gläubigkeit, ein ansprechendes Äußeres und Übung im Schreiben.

    Ich hatte den Coupon eher ungläubig ausgefüllt, aber Rosinha schickte ihn mit der Post los, und nun war ich, per Telegramm, zu einem Test bestellt worden.

    Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden, das Wort Arbeitsloser hat für mich einen fast romantischen Beiklang, der das individuelle Scheitern in der kollektiven Krise aufgehen lässt. Außerdem verspürte ich den Impuls, Rosinha in die Arme zu schließen, Rosinha mit ihrem kleinen Viermonatsbauch, die wie ein stützender Pfeiler neben mir stand, bis sich ein Schatten zwischen uns drängte.

    Dieser Schatten war nun eben Rosinhas Schwangerschaft, denn wäre sie nicht schwanger gewesen, hätten meine Buchrezensionen, ihre Artikel über psychologische Themen als freie Mitarbeiterin der Zeitschrift und die kleine Summe, die sie von ihren Eltern bekam, zum Leben ausgereicht. Außerdem hegte ich insgeheim die Hoffnung, bei Erzählungswettbewerben ein bisschen Geld zu verdienen. Nur drohten Rosinhas Eltern jetzt, ihr die monatliche Beihilfe zu streichen, falls sie nicht endlich heiratete; da konnte ich noch so viel erklären, dass wir gar kein Liebespaar waren, bloß Freunde, die sich eine Wohnung teilten, was doch bei der Wirtschaftskrise heutzutage etwas ganz Alltägliches war. »Ach so, und Freunde werden dann auch schwanger?«, fragte ihre Mutter zynisch am anderen Ende, in Três Corações. »Da zieht man mit all seiner Liebe ein Mädchen groß, bloß damit es dem Erstbesten in die Finger fällt«, klagte sie unter Schluchzern, bevor sie unvermittelt den Hörer aufknallte. Die Alte war völlig durcheinander.

    »Der Erstbeste, das ist wirklich gut!«, sagte ich zu dem tauben Apparat in meiner Hand. Dabei war Rosinha sogar ein Jahr älter als ich.

    Andererseits war meine Haltung der Abtreibung gegenüber zwiespältig. Die Initiative würde ich nie ergreifen.

    »Na schön, in Gottes Namen«, sagte ich. Rosinha brachte mich noch zur Fahrstuhltür.

    »Viel Glück, mein Schatz.« Sie umarmte mich.

    »Geh wieder rein.« Ich befreite mich. »Du stehst im Nachthemd im Flur.«

    Ich war spät dran. Der Fahrstuhl kam, es waren noch andere Leute drin, aber Rosinha hielt die Tür fest, auch als ich schon drinnen war.

    »Achte auf deinen Stil, ja, Schatz?« Endlich ließ sie los und reckte als ermutigende Geste die geballte Faust.

    Keine Ahnung, ob ich weiß vor Wut oder schamrot wurde. Meine zukünftige Frau hatte sich nicht nur zerzaust und im Negligé zur Schau gestellt, sie hatte auch noch den Finger auf meine empfindlichste Stelle gelegt, meine Stärke und Schwäche zugleich: den Stil, meine spasmodische Prosa, jedenfalls in den Erzählungen, in meinen Kritiken war ich dagegen streng, fast rigide, was mich stets dazu brachte, besagte Erzählungen zu zerreißen, kaum hatte ich einen ersten Entwurf begonnen. Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass Rosinha auch nur eine davon las.

    Ich starrte sie starr an, um dem Stil meiner Kritiken zu entsprechen.

    »Adieu, Rosa«, sagte ich und versuchte, meinen Worten den Nachdruck eines wahrhaftigen Abschieds zu verleihen.

    Rosinha sah mich eine Sekunde lang mit offenem Mund an. Ich hatte ihr die Verkleinerungsform entzogen. Ihre Antwort, als sie die Tür losließ, war ein höhnisches Lachen, vielleicht weil sie meine Angewohnheit, Wörter theatralisch einzusetzen, zur Genüge kannte, ob als Drama oder als Komödie oder als beides zugleich.

    Ja, ich pflege meine Niederlagen in hochtrabende Phrasen zu verwandeln, und mit dem Hinuntersinken des Aufzugs dachte ich an den fortschreitenden, unaufhaltsamen Niedergang – an die Ideale, die eines nach dem anderen zusammengebrochen waren: Basketballspieler, Saxofonist, Jetpilot, Philosophiestudent an der Sorbonne, Globetrotter, Imker in Freiburg –, während ich Gedichte schrieb, konzis bis ins Mark. Und nun sollte ich schließlich auch nur einer der beschlipsten Typen werden, die zu dieser Morgenstunde im Fahrstuhl nach unten standen, starr über die jeweiligen Köpfe hinweg ins Nichts starrend, als würden die anderen nicht bemerken, dass mein Anzug gleichzeitig zu kurz und zu weit war, als hätten sie nicht meine Frau im Nachthemd und in voller Fahrt erlebt. Die mussten doch alle finden, dass sie verrückt war. Ich fand, dass sie verrückt war.

    Die Helligkeit der Straße verschaffte mir einen noch größeren Anfall von Erleuchtung. Rosas überraschende Wandlung von der Busenfreundin zur Gattin und heißen Geliebten – warme Frühstückseier, Orangensäfte, gebügelte Wäsche und lüstern-lustvolle Schwanzlutschereien, ganz zu schweigen von ihrer ausgekochten Verführungstaktik, wie sie mir eines Abends plötzlich erlaubte, was sie mir bis dahin immer verweigert hatte, selbst wenn ich beim Fernsehen meinen Kopf auf ihren Schoß legen durfte oder sie vor meinen Augen Kleider anprobierte, in denen sie ihren Geliebten empfangen wollte –, all das war nichts anderes als die Heuchelei und Perfidie einer Frau, deren einziges, kaltes und unerschütterliches Ziel darin bestand, ein Kind mit Vater zu bekommen.

    Jetzt war ich an der Reihe mit meinem Hohngelächter. Die Leute an der Bushaltestelle beäugten mich argwöhnisch und furchtsam. Gerade war mir ein teuflischer Plan eingefallen: Ich würde den Test boykottieren, auf Verlust spielen, und Rosa oder Rosinha sollte sehen, wie sie mit ihrem Kind klarkam: »Betrachtet die Lilien des Feldes, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht, sie spinnen nicht«, hatte das nicht Jesus Christus höchstselbst gesagt?

    Ob sich das auch auf Protestanten anwenden ließ?

    Doch wenn ich jetzt die Prüfung sabotieren wollte, wozu mir über die Position der Protestanten den Kopf zerbrechen? Um ihr zu widersprechen vielleicht? Ja, aber nur vielleicht.

    Denn der Mensch ist ein gespaltenes Wesen, und jeder Gedanke bringt zeitgleich sein Gegenteil hervor. Vielleicht ist es aus diesem Grunde so schwierig, nicht vom rechten Weg abzukommen. Die ganze Zeit, seit dem Fahrstuhl, hatte ich unterschwellig an den Namen Rosa gedacht, bis heute verhüllt von einem Diminutiv. Doch hatte mich nicht von Anfang an die wörtliche Wucht seiner versteckten Bedeutung angezogen, verborgen in einem Kelch aus Rosenblättern, auf den ich mein Begehren richtete?

    Wohl mochten die Worte mir oft mit dem Schwanken der Trunkenheit entströmen; doch ebenso konnten sie eine geradezu fleischliche Materialität annehmen, weit über die nutzorientierte Kommunikation hinaus. Und in einem Augenblick der Besessenheit und des Überschwangs, wie ich ihn nun erlebte, tauchte Rosas Heimatstadt Três Corações schlaglichtartig auf meinem persönlichen Atlas auf, drei pulsierende, herzförmige Hügel: meines, Rosas und das des Kindes!

    Zu diesem Zeitpunkt war ich schon in den Bus gestiegen und hatte mich genau vor ein Plakat gesetzt, das auf der Trennwand zum Fahrersitz klebte. Darauf priesen die Spieler Jorginho, Silas und Dida, die ersten beiden Mitglieder der Nationalmannschaft, aber alle drei Sportler Christi, die Glaubensfibel Kraft zum Leben an. Den

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