Die große Fälschung: Band 4: Entführung in die Sahara
Von P. M.
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Über dieses E-Book
Mit dem zehnbändigen Romanwerk "Die Große Fälschung", das ab September 2020 in zweimonatigem Abstand erscheint, legt der Schweizer Autor P.M. ein vielseitiges Werk vor: ethnologischer Abenteuerroman ebenso wie gesellschaftliche Utopie. Wie ein Bruder im Geiste Karl Mays erzählt P.M. mit großer Fabulierkunst von Abenteuern in exotischen Welten, die sein Kara Ben Nemsi Rodulf von Gardau erlebt, und entwirft eine faszinierende Parallelwelt aus der Science-Fiction-Tradition der "Was wäre, wenn …", die nicht nur Game-of-Thrones-Fans begeistern wird.
"Entführung in die Sahara" ist der vierte Band der Reihe.
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Buchvorschau
Die große Fälschung - P. M.
Übers Deck weht ein milder Scirocco aus der Sahara. Ich habe das Hemd ausgezogen und mich zum Sonnenbad auf einige Hanfsäcke gelegt. Unter mir schlagen die Galeerensklaven mit ihren Rudern einen regelmäßigen Takt. Wegen des Gegenwinds haben wir keine Segel gesetzt. Wir sind südlich von Sizilien und haben auf Pantelleria einen kurzen Zwischenhalt gemacht. Ich bin an Bord der Muruna, einem Handelsschiff des Reeders Hassan Al Hakub. Die letzten russischen Nerzfelle, baltischen Bernsteine, schottischen Wollstoffe sind mit mir unterwegs nach Susah, dem Hafen der ziridischen Kalifenstadt Kairuan. Neben mir sitzt der Kapitän Abu Badruk, ein rundlicher, umgänglicher Kerl, auf einer Kiste und raucht seine Pfeife.
An Bord sind außerdem zwanzig Kaufleute mit Dienern, vor allem aus Nordafrika und Venedig, drei venezianische Sekretäre, fünf dalmatinische Leibwächter, mein persönlicher Herold (samt Posaune), zwei Kämmerer, Friedrich und ich. Wir bilden die Verhandlungsdelegation, die Bologgin Ibn Ziri, den Kalifen von Kairuan, zu einer Invasion im Raum Marseille/Arles bewegen soll. Wir haben alle Vollmachten und viel Geld dabei.
»In meinem Garten wachsen Mispeln, Bohnen, Zwiebeln, Knoblauch, Pflaumen, Mandeln, Oliven, Kapern, Thymian, Rosmarin, gelbe Rüben, Lattich«, berichtet der Kapitän.
Nicht weit von Tunis, mitten in den Ruinen Karthagos, hat er ein Häuschen mit Garten. Dort erwarten ihn seine Frau Tiba und seine fünf Kinder, deren Namen ich mir nicht merken konnte.
»Ihr Tintenfischsalat ist unerreicht. Sie kocht sie in ihrer Tinte mit Walnüssen, Lorbeerblättern und Knoblauch. Dazu viel Olivenöl, Zitronensaft und Salz.«
Er pafft zufrieden und träumt von Salaten, Ragouts und fettigen Kuskussen aller Art. Die ganze Adriaküste entlang hat er ausschließlich von gefüllten Tauben, Teigtaschen, Gemüsen, Meerestieren geschwärmt. Während er seine Rezepte erzählt, habe ich Zeit, meine Gedanken zu ordnen.
Abu Badruk fährt sich durch seinen struppigen, angegrauten Bart und rückt sich den weißen Wickelturban zurecht. Er hat gütige dunkle Knopfaugen, eine runde Nase, tiefe Stirnrunzeln.
»Das Meer ist eine Wüste, Rodulf. Es ist nur zu ertragen, wenn man vom Boden träumt. Manchmal wühle ich stundenlang in der warmen Erde, wenn wieder eine Fahrt vorüber ist. Ich bin kein Seemann, sondern ein verhinderter Gärtner.«
»Wir sind nie, was wir sein wollen.«
»Du schon. Du bist der Erretter Europas, ein Heerführer, Kriegsheld …«
»Ach was. Am liebsten läge ich jetzt an einem Waldrand, unter Eichen, neben mir meine Frau, nach ihrer Lavendelseife duftend."
»Wald, Wald«, murmelt er, »rundherum mächtige Baumstämme, moosig-feuchter Boden, kühle Luft, zwitschernde Vögel. Was gäbe ich dafür, einmal in einem Wald zu liegen.«
»Du bist eingeladen.«
Das Schiff ächzt und knarrt. Die Galeerensklaven singen ihr eintöniges Lied. Kaufleute sitzen beim Würfelspiel, Friedrich starrt dösend in den Himmel. Momentan hat er es leicht: Ich kann ja nicht abhauen.
Abu Badruk schildert mir sein Thunfischsaucenrezept, zu dem viel Zwiebeln und Kapern benötigt werden.
»Dazu ofenfrisches Fladenbrot«, meint er, mit seinen breiten Nasenflügeln zuckend.
»Delphine!«, ruft einer der Schiffsjungen vom Bug her.
Der Kapitän ignoriert ihn.
»In drei Jahren setze ich mich zur Ruhe, dann habe ich genug Land. Immer wenn die Fahrt gut und meine Provision ausreichend ist, kaufe ich ein Stück dazu. Ich habe überdies genug Geld auf der Bank für die laufenden Ausgaben. Man muss sich einzurichten wissen und klug investieren. Nur die Dummen ärgern sich über die schlechten Zeiten und warten auf bessere. Die beste Zeit ist jetzt.«
Die Kaufleute haben sich auf der Steuerbordseite versammelt, um die angekündigten Delphine zu beobachten. Ihre bunten Seidenhalstücher flattern im Wind. Sie strecken die Arme aus, reden aufgeregt von »guten Zeichen« und halten ihre großen Turbane fest.
Abu Badruk hat schon genug Delphine gesehen. Er beschreibt mir, wie er seinen eigenen Hanf anbaut, die Pflanzen pflegt und die Blätter trocknet. Dann erklärt er mir, wie er sich durch die Aufzucht von Schafen, Ziegen, Hühnern und Enten auch mit Eiern und Fleisch selbst zu versorgen gedenkt.
»Eine fette Ente mit Datteln und Feigen gefüllt«, schwärmt er, »das bringt dich durch die kalten Winternächte.«
Warum muss bei ihm immer alles gefüllt sein? Psychologisch sicher vielsagend: das Stopfsyndrom. Vielleicht hat es auch nur mit dem Vollstopfen von Schiffsladeräumen zu tun. Ich habe Durst und denke an den süffigen apulischen Weißen, den wir in Otranto an Bord genommen haben. Die Verpflegung an Bord ist einfach, aber gut: Hartkäse aus den Ostalpen, Trockenfleisch aus Rätien, toskanische Oliven, Schweinswürste aus Lukanien (für Nichtmuslime), Kräuterzwieback. Wir picknicken an Deck, betrachten Sonnenuntergänge, schwatzen über alles Mögliche. Politik ist tabu. Die Kaufleute interessieren sich für Modetrends in Tunis und Kaiman, berichten von neuen Duftnoten bei Parfüms, von Stoffmustern, Farben, den irisierenden Effekten auf Glaskaraffen. Sie führen einander die neuesten Gadgets vor, die sie in Venedig gekauft haben: Maniküresets im Krokodillederetui, polyvalente Klappmesser, Nagelscheren mit Feile, ausschwenkbare Taschenlupen, die auch zum Feuermachen verwendbar sind, Reiseessbestecke, Nähzeug in Silberkartuschen, Sets für Kleinchirurgie usw. Es gibt so viele aufregende Produkte, Formen und Farben. Man kommt gut ohne Themen wie Revolution, Krieg, Bauern, Städte aus.
»Morgen früh sind wir da«, bemerkt der Kapitän und pafft weiter.
Ich kann die Delphine weit draußen springen sehen, ohne aufstehen zu müssen.
Aus der Luke zum Ruderdeck ertönt ein wütendes Bellen. Der Sklavenaufseher taucht mit hochrotem Kopf auf.
»Zum Teufel nochmal!«, fährt er die Kaufleute in seinem schaurigen Galeerenarabisch an. »Verteilt euch an Deck. So kann man doch nicht anständig rudern!«
Die Kaufleute zucken zusammen und zerstreuen sich sofort in verschiedene Richtungen. Der Aufseher, glänzender Kahlkopf, stechender Blick, verschwitzt, nackter Oberkörper, speckige Lederhosen, Peitsche – ein Dämon aus der Unterwelt. Er stößt ein abschätziges Fauchen aus und ist schon wieder verschwunden. Es dröhnen noch einige Flüche von unten herauf, dann beschleunigt sich der Rudertakt.
Abu Badruks Hanfrauch zieht an meiner Nase vorbei. Die Probleme im Maschinenraum gehen ihn nichts an. Er kümmert sich hauptsächlich um den Kurs, die Passagiere und die Kommission für die Ladung.
Auf See herrscht ein eigener Zeitbegriff, und alles, was an Land geschieht, wird seltsam entrückt, in eine andere Wirklichkeit versetzt. Kann es wirklich wahr sein, dass eine Bauernrevolte im fränkisch-bayrischen Raum sich wie ein Steppenbrand ausgebreitet und das deutsche Reich hinweggefegt hat? Ist es nur ein Traum, dass Europa aus der Geschichte, so wie sie stattfinden sollte, ausgeschert ist? Andererseits: Wäre ich sonst auf diesem Schiff? Und was hat der obskure kleine Ritter Rodulf von Gardau in Afrika zu suchen? Zwei Szenen sehe ich immer wieder vor mir: Linda im Dorf Bärach, wie sie mir das Schwert an den Hals hält und ziemlich kühl sagt:
»Entweder machst du mit oder du bist tot.«
Ich machte mit, auch die anderen Ritter sahen ein, dass sie nur in einer »unnatürlichen« Allianz mit den Bauern eine Chance gegen Handelsherren, Kirche und Kaiser hatten. Danach ging es schnell, viel zu schnell: ein Dorf, eine Stadt, eine Diözese, halb Westeuropa. Es schien, als ob alle nur auf das Signal gewartet hätten. Dann, nur vier Monate später: die Schlacht von Aachen. Die kaiserlichen Ritter mit ihren weißen Adlerbannern vor der Stadt, unser Ritter-Bauern-Heer mit seinen bunten Wimpeln. Ich wurde mitten aus der Schlachtreihe herausgeholt und als Verhandler ins Hauptquartier des Feindes, zum großen Gerbert d'Aurillac, Erzbischof von Reims und zukünftiger Papst, Berater und Manipulator des jungen Kaisers Otto des Dritten, zu Reichskanzler Hildebold, zur alten Kaiserin Adelheid geschickt. Es stellte sich heraus, dass Gerbert der Mann war, der für die Geschichte, so wie sie sein sollte, zuständig ist. Ein undurchschaubarer, kühler Technokrat, ein Manager mit einer Mission, ebenso absurd wie absolut, windig und wendig, ruhig in Krisen, geschäftig dazwischen. Gerade, als er eine neue Allianz zwischen dem