Die große Fälschung: Band 3: Flucht nach Venedig
Von P. M.
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Über dieses E-Book
Mit dem zehnbändigen Romanwerk Die Große Fälschung, das ab September 2020 in zweimonatigem Abstand erscheint, legt der Schweizer Autor P.M. ein vielseitiges Werk vor: ethnologischer Abenteuerroman ebenso wie gesellschaftliche Utopie. Wie ein Bruder im Geiste Karl Mays erzählt P.M. mit großer Fabulierkunst von Abenteuern in exotischen Welten, die sein Kara Ben Nemsi Rodulf von Gardau erlebt, und entwirft eine faszinierende Parallelwelt aus der Science-Fiction-Tradition der "Was wäre, wenn …", die nicht nur Game of Thrones-Fans begeistern wird.
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Buchvorschau
Die große Fälschung - P. M.
Schnell, schnell. Nach Aachen. Es hat keinen Schnee mehr im Moseltal und auf der Eifel ist er am Schmelzen. Der Wind ist verdächtig lau. Schneeglöckchen und Primeln zeigen sich. Wir haben wenig Zeit, die Äcker müssen bestellt, der Adel Europas geschlagen werden. Was wir jetzt nicht säen, werden wir nie ernten können. Unser Schicksal wird sich morgen entscheiden. Ich reite mit der alten Ritterabteilung – vielleicht zum letzten Mal. Neben mir Gottfried, hinter mir Werner und Gerd, vor mir Alrich und Gertwig, rundherum bekannte Gesichter aus Vorderhag, Essingen, Haselheim – alte und neue Ritter.
Wir verfügen über die besten fränkischen Kettenhemd-Modelle, Beinschienen, Helme mit Nasenschutz. Wir werden fast nicht umzubringen sein. Die Stimmung ist gut an diesem Morgen, das Wetter trocken. Wir singen neue Lieder, machen politisch korrekte Witze, freuen uns auf die Heimkehr. Haselheimweh beschleicht mich. Mein Kopf ist zuverlässig, keine weiteren Absenzen.
Unterwegs werden wir von den Bauern aufs Beste versorgt. Wir sind eine große Belastung für ihre Infrastruktur. Doch sie holen die vor ihren Ausbeutern und den Chronisten verborgenen Schinken und Speckseiten und die geheimen Getreidevorräte hervor und setzen alle verfügbaren Kalorien auf eine Karte. Wie eine Bugwelle gehen uns ihre Aufstände voraus. Ihre Herren fliehen oder schließen sich uns an, je nach Temperament und Zukunftseinschätzung. Wir Ex-Ritter haben es uns zur Aufgabe gemacht, sie mit einfühlsamen Worten über den Verlust ihres Status zu trösten und ihnen die neuen Chancen plausibel zu machen. Wir kennen ja ihre Sorgen und können aus eigener Erfahrung erzählen, was für ein Drecksjob die Ausbeutung an der Basis ist. Der mittlere und hohe Adel lässt sich nur ausnahmsweise auf unsere Seite ziehen – sie fürchten um das Ende der guten Zeiten. Aber sie zählen kaum – es gibt in Europa nur ein paar Dutzend von ihnen.
Abend in Malmedy. Unsere magyarischen Freunde sind wieder mit uns. Sie sind sehr ungeduldig. Müssten sie nicht auf unser Tempo Rücksicht nehmen, könnten sie schon in Aachen und wieder zurück sein. Wir sitzen mit Höno, Timur, Tölan, Saika und den anderen vor ihrem Zelt beim Ragout. Die alte Bande ist wieder beisammen – ich werde in ihrem Zelt schlafen. Höno erzählt gut aufgelegt die Episode von Trier:
»Diesmal hat es mit der Vorarbeit unserer Leute gut geklappt. Die Bauern begrüßten uns überall herzlich, standen mit Tannenbäumchen in den Händen vor ihren Dörfern, sangen Lieder, boten uns Honigkuchen und Starkbier an. Ein Ritter von Assental hatte schon zwei Dutzend Kollegen versammelt und schloss sich uns vollgerüstet an. Dazu kam ein kleines Bauernheer mit Dreschflegeln, Knüppeln und Spießen. Die Tore der Stadt Trier waren fest verrammelt, als wir angeritten kamen. In sicherer Distanz vor Geschossen ritten wir über die Felder vor der Stadt. Es regte sich nichts. Dann führten wir unsere Ritter und das Bauernheer vor. Das scheint sie beeindruckt zu haben. Plötzlich erschallten Trompeten, die Tore gingen auf und Bischof Liudolf erschien an der Spitze einer Prozession, links und rechts von Chorknaben flankiert, die geschmückte Tannenbäume trugen. Er überreichte uns die Schlüssel der Stadt, spendete einen agnostischen Segen, versicherte uns seiner Loyalität. Das Volk quoll hervor, grüne und goldene Banner wurden geschwenkt, Braten, Bier und Kraut gereicht. Das Fest begann. Trier war eingenommen, ohne einen einzigen Toten.«
»Dabei hatte Liudolf sich nur getäuscht«, erklärt Saika. »Er hat uns die Stadt sozusagen aus Versehen übergeben.«
»Aus Versehen?«, frage ich.
»Nun, als er nur uns vor der Stadt erblickte, hielt er die Tore fest verschlossen. Er wusste, dass ein paar leichte Reiter ihm nichts anhaben konnten. Dann sah er die Ritter und das Fußvolk. Er nahm an, es mit unserem Hauptheer zu tun zu haben. Daher gab er auf. Er war ziemlich schockiert, als er dann nur ein paar Dutzend Ritter zählte, denen er die Stadtschlüssel übergab. Sein Kopf wurde rot, und während der ganzen Zeremonie spähte er immer herum, um den Rest des Heeres zu sehen. Doch es kam nicht, und das Volk hatte die Situation schon genutzt.«
Gottfried lacht und sagt:
»Seht ihr: Die Angst vor uns spart schon Menschenleben. Je mehr man uns fürchtet, umso weniger Krieg müssen wir führen.«
»Aachen werden wir allerdings nicht aus Versehen geschenkt bekommen«, wendet Alrich ein.
»Haben wir auch nicht nötig«, erwidert Gottfried. »Wir verfügen nun über eine erdrückende Übermacht. Wir zerquetschen die römisch-abendländischen Restritter wie Flöhe.«
»Und dann geht's nach Hause«, meint Höno mit Ungeduld in der Stimme.
»Die Hauptprobleme beginnen nach der Schlacht«, sagt Waltraud. »Wir müssen Tausende von Rittern entwaffnen, ihre Pferde versorgen und sie selbst irgendwie resozialisieren. Am besten verteilen wir sie in kleinen Dosen über ganz Europa – so sind sie zu ertragen.«
»Je hundert Bauern können einen Ritter mitnehmen«, schlägt die kluge Gertwig vor. »Wir brauchen Leute für die Frühlingsarbeiten. Danach schicken wir sie in eine Berufslehre und machen nützliche Menschen aus ihnen.«
»Berufsethos ersetzt Ritterehre«, witzle ich.
»Weißt du etwas Besseres?«, fragt sie zurück.
Vielleicht fällt mir noch was ein. Im Laufe dieses Abends vor dem letzten Gefecht packe ich Gerd am Ärmel und unterhalte mich mit ihm allein.
»Es könnte morgen ein ordentliches Durcheinander geben«, beginne ich. »Und es ist möglich, dass wir uns verlieren oder dass einem von uns etwas zustößt. Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich dann für Hilda und deine Kinder da sein werde.«
Er nickt.
»Ja, auch für mich gelten die alten Abmachungen. Ich werde für deine Familie sorgen wie für meine.«
»Wir haben noch einiges vor miteinander – ich habe die Gespräche am Kaminfeuer nicht vergessen. Und den Nachmittag vor dem Wolfsrudel …«
»Es werden ruhigere Zeiten kommen. Wir werden uns nicht aus den Augen verlieren.«
Ich umarme den breitschultrigen Kerl. Wir küssen uns auf die bärtigen Wangen.
»Übrigens«, meint er, als wir zu den Zelten zurückkehren, »ich habe gehört, dass Birgit zusammen mit ein paar anderen Frauen zu einer Sondermission aufgebrochen ist.«
»Sondermission? Wohin?«
»Man weiß nichts Genaues. Es heißt, dass einige Frauen aus Haselheim und Targau es nicht mehr ertragen konnten zurückzubleiben, während ihre Männer in den Krieg ziehen. Du verstehst schon: Schluss mit den alten Rollenverteilungen.«
»Wenn sie nur keine Dummheiten machen. Es wäre mir wohler, sie zu Hause in Sicherheit zu wissen.«
»Eben damit ist es nun aus. Doch schau nicht so verängstigt drein. Birgit ist eine selbständige, vernünftige Frau. Während wir in Italien waren, hat sie sich jeweils allein ausgezeichnet durchgeschlagen.«
Gerd beruhigt mich, tröstet mich. Ich versuche bei Gottfried und ein paar anderen mehr über Birgits Mission herauszufinden, aber niemand weiß etwas.
Tölan lacht mich aus, als ich ihr von meiner Besorgnis erzähle.
»Ich würde mir eher Sorgen um dich als um Birgit machen. Birgit ist eine gute Reiterin, hat einen kühlen Kopf und einen sechsten Sinn für taktische Komplikationen.«
»Die perfekte Walküre«, meint Waltraud.
Und mit diesem Bild im Kopf schlafe ich ein: Birgit auf einem sehnigen Schimmel, in Vollrüstung, ohne Helm, wehendes blondes Haar über ein Schlachtfeld brausend.
Als ich erwache, ist das Zelt schon wieder halb abgeräumt.
»Siebenschläfer«, witzelt jemand.
»Nach Aachen, nach Aachen!«, erschallt es überall im Lager.
»Holen wir uns den Otto!«, gröhlt Gottfried.
Eine Schale vom Ragout von gestern, ein Stück Brot, eine Tasse Ersatzkaffee. Ich bin bereit. Der Kopf ist gut. Gideon wiehert mich freudig an.
»Ich komm ja schon, alter Knabe«, flüstere ich ihm ins Ohr. »Heute ist deine letzte Schlacht – dann gibt's nur noch Pflug und Karren.«
Er blinzelt mich an. Vielleicht hat er noch andere Ideen parat – oder irgendeine dieser Sondermissionen. Auch Rosse haben ihre Träume.
Um mich herum wird ein riesiges Open Air abgebrochen. Zelte werden gefaltet, hoch beladene Wagen rumpeln heran, Lanzenwälder ziehen an uns vorbei, Abteilungen sammeln sich um bunte Wimpel, Pferde aller Formen und Farben stampfen aufgeregt herum. Woodstock, Demonstrationen, Zeltlager, Festivals …
Eine Botin zu Pferd verkündet die Marschordnung. Das Heer ist in drei Züge aufgeteilt worden, die auf parallelen Routen nach Aachen ziehen. Wir würden uns sonst nur gegenseitig die Wege verstopfen und nicht zur gleichen Zeit eintreffen können. Verbindungsreiter zum Hauptquartier verbreiten Neuigkeiten: Der Abt von Malmedy wünscht uns alles Gute. Er verkündet auch eine Klosterreform: Schluss mit der stupiden Beterei, mehr Meditation und Philosophie, Abschaffung der Klosterhierarchie, nur so viel Klosterbesitz wie zur Selbstversorgung nötig, religiöser Pluralismus von Kloster zu Kloster usw. Die malmedinische Reform folgt der cluniazensischen. Wenn schon Klöster, dann als selbstversorgende Gemeinschaften in einsamen Gegenden, die jedem offen stehen, der sich einmal zurückziehen will, wenn ihm