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Im Bann der Finsternis: Venus - Die Liebende des Lichts
Im Bann der Finsternis: Venus - Die Liebende des Lichts
Im Bann der Finsternis: Venus - Die Liebende des Lichts
eBook338 Seiten4 Stunden

Im Bann der Finsternis: Venus - Die Liebende des Lichts

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Über dieses E-Book

Der Kampf zwischen Göttern und Vampyren geht in die dritte und letzte Runde.
Jetzt, da Venus in den Händen der Vampyre ist, erwacht die Dunkle Dreiheit, der auch der Wächter-Vampyr Mandale angehört. Ihm schenkte die Liebende des Lichts einst ihr Herz. Doch Mandale ist ein anderer geworden, und er soll ihr eine Wimper entlocken. Freiwillig gegeben gewährt diese dem, der sie auffängt, einen Wunsch. Damit wäre Vulcanos Sieg greifbar.

Wird Venus ihre Wimper für Mandale geben und damit das Chaos entfachen?
Und wird Mandale in Kauf nehmen, dass die Goldene Göttin fällt, und so über Licht und Dunkelheit auf Erden entscheiden?
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum8. Feb. 2021
ISBN9783946381938
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    Buchvorschau

    Im Bann der Finsternis - Marc Short

    Prolog

    Der Tempel der Venus

    »Bilder sind vergänglich«, sagte ich. »Aber dein Herz wird immer dasselbe sein.« Ich strich ihm über die Wange und spürte, dass sich eine Träne in meinem Augenwinkel zu bilden begann. Sie glitt an meinem Wimpernstrang entlang, bis sie an dessen Ende hing wie eine Regenperle an einem Feigenblatt. Mehr und mehr bog sich meine Wimper durch, Stück für Stück, gleich einem Grashalm unter der Last eines Tropfens. Ich konnte fühlen, dass sie ihren Halt zu verlieren drohte, sich ihre Wurzel aus der Verankerung lösen wollte.

    Nicht heute, dachte ich, nicht morgen, nicht übermorgen. Und ehe der Moment kommen konnte, wischte ich über die Augenpartie, um meinen Gedanken Tiefe und Stärke zu verleihen. Keine Träne, kein Verlust einer Wimper. Niemals.

    Die Mascara verwischte, ich ignorierte es. Und er, diese Kreatur der Nacht mit einer Iris so schwarz wie die Pupille, sah mich weiter einfach nur an.

    Niemals, für niemanden darfst du eine Wimper geben, sagte ich mir. Ich bläute mir dies seit einer Ewigkeit ein, denn das sollte mich Arkadien in jedem Fall gelehrt haben. Damals, als ich mit dem jungen Mercure und später auch mit Mars in die Lehre gegangen war. In jener Zeit hatte ich eine Wimper gegeben, aber wieder aufgefangen. Und doch ist viel passiert, waren die Folgen verheerend gewesen. Manche wussten von dem goldenen Sturm, der Tausende von Seelen verschlang. Doch der Großteil hatte das Ereignis verdrängt und irgendwann vergessen. Bei den anderen habe ich nachgeholfen, indem ich die Erinnerungen daran in Blasen legte und diese, Kraft meines Wunsches und meiner Energie, platzen ließ. So weiß nur noch ich von diesem Moment.

    »Sie kommen zurück. Sie werden mich holen«, sagte der Vampyr. »Darum muss ich gehen und vor ihnen dort sein, um zu vermeiden, dass sie erfahren, was ich fühle, was mein Herz mir über dich sagt.«

    Ich sah ihn an und versuchte, in seinen dunklen Augen etwas zu erkennen, mich zu finden.

    In der Schwärze seiner Iris entdeckte ich purpurne Adern und Admiralblau, doch ich erkannte mich selbst nicht darin. Unwillkürlich wendete ich ihm meinen Rücken zu.

    Ja, ich, die viele auch als die Goldene bezeichnen, verkehrte mit einem Dunklen. Das, was niemand glauben würde und ich selbst kaum fassen konnte, waren meine Gefühle für ihn. Ich empfand etwas für diese Kreatur, und ich sah in diesem Dunklen mehr als nur einen Vampyr, ich sah ihn auf Augenhöhe. Doch ich durfte weder zulassen, dass er zum Hort meiner Sehnsucht wurde noch zum letzten Halt oder zu etwas, das mein Herz zu sehr in sich fing und am Ende einschnürte.

    »Noch ein wenig«, sagte ich dennoch und genoss, wie seine kräftigen Hände meine Ohrmuscheln, meinen Hals und Nacken massierten und über die Schultern ausrollten. »Mandale, dein Bruder hält sicher weiterhin Wache. Andere werden ihn für dich halten und denken, du seist schon zurück. Kaum jemand kann euch unterscheiden.«

    »Nicht einmal unseresgleichen gelingt es immer und gleich«, raunte Mandale mit tiefer Stimme. Ein Knurren unterstrich seine Worte, ein Ton, der Knochen vibrieren und meine weiche Haut sich verfestigen ließ. »Aber du, du kannst es.«

    Seine Lippen, rau, breit und wulstig, legten sich auf die Stelle, an der er mein Haar hochgenommen hatte.

    Ich habe bis heute nicht bemerkt, dass ich dies kann. Jetzt, wo seine Worte wie eine kühle Brise über meine Schulter streichen, spüre ich die Antwort. Ja, ich weiß, woran sie in jedem Fall zu unterscheiden sind.

    »Dein Bruder, Vertufe, kann die Dunklen Hügel nicht verlassen. Er kann weder mich noch die Welt außerhalb besuchen.«

    Er packte meine Oberarme und klammerte sich knapp unterhalb meiner Schultern an sie. Sein Griff verstärkte sich, die Lippen entblößten scharfe Eckzähne, wie ich aus dem Augenwinkel erkannte. Für einen Moment fuhren sie wie Schleifmaschinen über meine Haut, ließen goldene Funken sprühen. Und wieder fragte ich mich, was Mandale vor mir verbarg. Empfand der Dunkle Gefühle weniger für mich als vielmehr für Vertufe? Wie weit war er bereit, für ihn zu gehen, wo er doch die Zeit mit mir suchte – so wie ich sie mit ihm?

    Mich fröstelte und ich griff hinter mich, um seinen Kopf zu fassen. Ich fühlte die geflochtenen Haare, die wie Schlangen gewunden von der Stirn bis in den Nacken liefen. Dazwischen konnte ich die Kopfhaut spüren, die feinsten Unebenheiten – wie bei einer Sandbank, die über die Jahre vom Meer geebnet worden war und immer noch verändert wurde.

    Ob ich ihn verändern kann?, fragte ich mich. Ob ich ihn jetzt und hier verändere?

    »Du bist eine Göttin«, raunte Mandale mit einem Mal. »Du bist die Goldene Göttin. Ich habe dich damals beobachtet, als ich nicht sein durfte, wo ich war. Jetzt bin ich erwachsen, aber noch in Ausbildung, und es wird die Zeit kommen, da wirst du sein, wo du nicht sein darfst, und ich muss mich entscheiden.«

    Seine Worte klangen nicht nach Resignation, weder haftete ihnen eine Schwere noch eine Leichtigkeit an. Es war schlicht die Wahrheit, eine, die in ferner Zukunft lag. Der Moment hatte etwas Magisches und Mystisches zugleich.

    »Noch bist du in der Ausbildung, noch solltest du dir darüber keinen Kopf machen«, sagte ich. »Weißt du, mein Lieber, ich genieße, dass du da bist. Aber einlassen, wirklich hier hinein …« Ich nahm seine Hand und führte sie zu meinem Herzen. »Das kann ich nicht und werde ich nie können. Sollte einmal der Tag kommen, so müssen du und ich unseren Weg gehen, wie er uns beschrieben ist.«

    Mandales Hand ruhte auf meinem Dekolleté. Bis auf mein cremefarbenes, von Muscheln an den Seiten gehaltenes schmales Tuch um meine Hüfte, war ich nackt. Die Luft knisterte, und in Mandales Gesicht, ja in seiner ganzen Haltung, lag diese Wildheit, die mich anzog, die mich denken ließ: Zerreiß die Luft und zerreiß mein Hüfttuch gleich mit!

    Mandales Finger spreizten sich, und so, wie er wohl meinen Herzschlag spüren konnte, so fühlte ich das Blut durch seine Adern rauschen. Was Mandale tat und wie er es tat, entspannte mich auf unerklärliche Weise, obwohl er war, was er immer sein wird: ein Vampyr, ein Dunkler und eines Tages ein ernst zu nehmender Gegner. Er durfte nur nie über Augenhöhe hinauswachsen, dafür musste ich Sorge tragen.

    Sein Daumen fuhr über meine Brustwarze, ließ sie wachsen. Ich lehnte mich zurück, rutschte weiter hinein in das Becken, unter das Nass, und seine Hand folgte mir, obwohl Wasser für ihn Schmerzen bedeutete.

    Als seine Finger um meine Brust wanderten, konnte ich nicht anders, strömte wieder aus dem Nass. Immer mehr hob sich mein Körper daraus hervor. Der Schaum lief daran hinab, hinterließ glänzende Schlieren.

    Ich stieg aus dem Badezuber und blickte auf die Umgebung. Hier bei den heißen Quellen, einem Ort zwischen den Dunklen Hügeln und Mercures Ausbildungsstätte, war unser Platz. Ich wollte ihn nicht als geheime Zuflucht beschreiben, ich wollte ihn als das sehen, was er war: Ein Platz in dieser Welt, von uns zu dem gemacht, wofür wir ihn gerade brauchten.

    Die Nymphen hatten in unserer Abwesenheit den Zuber mit heißem Wasser gefüllt – auf ihre unnahbare, wundersame Weise. Ich hatte ihnen viel zu verdanken, und ich wollte nicht daran denken, was wäre, wenn sie nicht mehr seien, wenn sie ihre Macht verlören. Dann wäre ein Schleier wie dieser, der vor fremden Augen verhüllte, was wir taten, nicht mehr möglich und vieles andere ebenso. Diese Welt würde etwas verlieren, was nur mit einem Wort zu beschreiben war: Magie. Ohne sie hätte ich nur meine Priesterinnen, um auf so wundersame Weise zu lieben und geliebt zu werden, ohne Reue, ohne Eifersucht, ohne Verpflichtungen.

    Ich blickte Mandale an. Warum war er für den letzten Schritt nicht bereit, der uns zu einer Einheit verschmelzen ließ?

    Mandale hielt mir ein goldgelbes Seidentuch hin, und ich drehte mich darin ein. Jedes Mal brachte er es mit. Es nahm meinen Geruch, meine Feuchtigkeit an, vielleicht auch einen Hauch Planetenkraft, und blieb für ihn wohl das letzte Stück zur Überbrückung der Zeit, wenn wir getrennt waren.

    Ich schmiegte mich an ihn, spürte die Muskeln an seinem Bauch, die breite Brust, doch weder hob noch senkte sie sich bemerkbar. »Kann ich je erreichen, dass dein Herz schlägt?«, hauchte ich. »Dass du fühlst, was es bedeutet, wenn Feuer unseren Herzen entspringt und die Brust sprengt wie eine Armbrust eine Panzerung?«

    »Kaum ein Herz eines Dunklen wirst du je schlagen hören wie das der Menschen oder ich jetzt das deine, noch wirst du es dazu bringen«, raunte er. »Und wäre es so, wäre es ein Zeichen von Schwäche. Gerade unter uns Männern und den Kriegern, insbesondere noch den Wächtern. ›Sie zu Stein werden, sie zu Nacht und Dunkelheit werden, um mit ihr zu fliegen. Das ist alles, das ist einzig‹«, zitierte Mandale.

    Ich lächelte versonnen. »Du wirst dich gut machen. Sollte einst eine Begegnung anstehen, wünschte ich, dein Bruder möge dort sein, zumindest wenn wir gegeneinanderstehen.«

    »Das eine wird das andere nicht ändern«, antwortete er. »Stehst du Vertufe gegenüber, so stehst du auch mir gegenüber, triffst du ihn, so triffst du auch mich.«

    Ich fuhr die harten Züge nach, die mit jedem Jahr prägnanter wurden. »Werde nicht ganz zu Stein, hörst du? Behalte dir deinen Kern«, sagte ich und küsste seine Lippen. Sie zogen mich in ihren Bann wie der Ozean, wenn ich mit einem Wal zum Schlund tauchte.

    Seine Hände fuhren über den Stoff um meine Hüfte und fassten nach meinem Körper darunter. Fest und schwer stand er vor mir und riss mich an sich. Ich konnte spüren, wie seine Männlichkeit erwachte. Wir rieben uns aneinander und wanden uns umeinander wie Adler und Schlange. Wir wollten mehr, aber wir konnten nicht.

    Als der Stoff mich verließ, ich wie ein Schmetterling aus seinem Kokon brach, bändigte er sein Verlangen und verwehrte mir den alles entscheidenden Sturm. Doch glitzerten und funkelten seine Augen, und ich konnte mir vorstellen, wie er als junger Vampyr all meinen Bewegungen gefolgt war und diese in sich aufgesogen hatte.

    Hier, vor mir, blieb Mandale wie angewurzelt, hart und kalt wie Stein, den die Sonne traf, aber nicht erwärmen konnte.

    Ich ging um ihn herum, berührte jede Hautpartie mit meinen Fingern, meinen Lippen, massierte seine Arme, seinen Rücken, bis ich wieder vor Mandale stand. Dann küsste ich ihn bis hin zu den Hüften.

    »Lass uns uns vereinen, lass mich auf dir sitzen und dir das Licht schenken«, sagte ich, presste meinen Unterkörper so fest an ihn, dass nur eine letzte einfache Schwingung sein musste, um zu vollenden, was wir heraufbeschworen hatten.

    Mandale lächelte weiter. Er fasste nach mir und hielt mich still und lange. Ich schloss die Augen.

    »Eines Tages … oder eher nachts – vielleicht«, sagte er dann. »Aber die Zeit ist nicht reif. Stein baut auf Stein, und wird einer bröckelig, so stürzt alles in sich zusammen. Ich bin der Stein, auf den viel gebaut wird, ich bin der Stein, auf den mein Bruder baut und zählt, ich bin Stein von innen und außen, und Vertufe ist die Finsternis, die alles zusammenhält. Das musst du verstehen, und darum glaube ich, begegnen wir uns einmal im Kern der Dunkelheit, wäre mein Bruder die bessere Wahl. Denn ihn zu vernichten fiele dir leichter.«

    Ich legte den Kopf in den Nacken, mein Kinn lag unterhalb seines Halses, aber weit über seiner Brust. »Sag so etwas nicht. Dein Herzblut steckt in deiner Aufgabe. Du erinnerst mich an einen Gott. Ich kann dich weder befreien, noch kann ich dir befehlen, ich bin nur hier, um dieses Stück der Stille mit dir zu erfahren, weil es sich richtig anfühlt.«

    »Das aus dem Mund der Goldenen Lichten zu hören, tut wohl«, entgegnete Mandale. »Aber nun muss ich zurückkehren. Sicher wartet Vertufe schon, und ich kann ihm nicht immer das Gleiche erzählen.«

    »Die Zeit wird kommen«, sagte ich, »in der du begreifst, vielleicht auch bereust, was du und ich heute nicht getan haben. Doch ich wünsche weder diese Zeit herbei, noch dass es dich trifft. Lass uns, so es uns erwischt, und das versprich mir, die letzte Entscheidung immer im Licht der Sonne treffen.«

    »Oder im Licht der Sterne. So soll es sein, Liebende des Lichts, die du immer für mich sein wirst«, sagte Mandale.

    Ohne dass ich hörte, wie er »Lebe wohl« sagte, wusste ich, dass dies unsere letzte Zusammenkunft für lange sein würde. Für zu lange. Und ich begann bereits, mich zurückzuziehen. Ein Rückzug, der ewig währen und weit sein konnte, denn ich glaubte, mein Herz verloren zu haben, da er, der Vampyr, es mit sich trug.

    Diesen Gedanken musste ich wegsperren! Zeit, eine weitere Blase zu schaffen, die zu Vergessen führte und verpuffte.

    Mandale verschwand rasch und lautlos, weder ein Schatten blieb noch Dunkelheit. Nur Leere in meinem Herzen. Und ich wusste, wenn er nicht innerhalb der nächsten Dekade wiederauftauchte, würde ich eine Ablenkung brauchen, die größer und tiefer ging als jede zuvor. Ich dachte an die Amazonen. Fürwahr, sie könnten mir geben, was ich benötigte, denn Männer waren ihnen noch nie zur Last ihres Herzens geworden. Manch eine entfachte das Feuer der Leidenschaft auch in einer der ihren. Warum nicht auch in einer Lichten, in der Einen, der Goldenen?

    Bei der Königin der Amazonen … Nehmt die Last von mir, die Mandale mit seinem Verschwinden hinterlässt! Tut dies, und die Planetenkraft der Venus ist euch gewiss.

    I

    Ein treuer Gefährte des Kriegsgottes und einer, auf den ich mich verlassen kann, gestand Ortrera sich ein. Einer mit Aussichten.

    Die Amazonen-Königin hatte Argon am Rand des Tals kämpfen gesehen und konnte, dank ihrer Erfahrung, in sein Inneres blicken, glaubte sie. Doch die Amazone schloss nicht allein von seinen Taten auf seine Art und sein Denken, das hatte sie längst verworfen.

    Aber manchmal sieht man jemanden, wie er ist, manchmal gibt es diesen klaren Moment. Und Argon, das habe ich in einem dieser Augenblicke gesehen, ist weit mehr als ein Vasall. Umwelt und Zeit haben ihn geprägt.

    Ortrera erkannte in dem Moment: Nicht eine deiner Amazonen-Kriegerinnen, ihn musst du zu dieser Mission entsenden. Ihm musst du sagen, was zu sagen ist, wie Venus es dir für einen Augenblick wie diesen vor langer Zeit aufgetragen hat.

    Ortrera erinnerte sich an die Begegnung mit Venus, an die Offenbarung, als wäre es heute erst gewesen. Die Göttin legte damals eine Offenheit an den Tag, die sie nicht erwartet hatte, und erzählte ihr von vielen Liebschaften – stets mit einem Lächeln. Bei einer jedoch war ihr Ausdruck starr geblieben, als hätte das Wasser des Quelldrachen Drashé eine traurige Wahrheit aufgezeigt. Die Geschichte drehte sich um einen Vampyr, einen Wächter namens Mandale. Ortrera hatte sich die Worte gemerkt und gefühlt, dass der Moment kommen würde, da eine Tat gefordert wurde, die nur sie ausführen konnte.

    »Wenn einst der Tag kommt, an dem die Nacht siegt …«, hatte Venus ernst gesagt und alle liebevoll reizenden Berührungen eingestellt. »Wenn einst dieser Schattentag kommt, an dem sie mich fangen, dann musst du Folgendes tun: Entsende jemanden, der das Herz in sich trägt, die Wahrheit zu erkennen. Entsende nur die, der du wahrlich vertraust und deren Inneres dich überzeugt wie mich das deine. Dann sage, was ich dir sage: Einst wird die Finsternis Herr über Venus sein, einst wird sie verschwinden. Doch sie hat einen Schlüssel hinterlassen, einen Schlüssel, der ins Herz der Finsternis führt. Teste zwei und finde den einen. In ihm wächst ein lichtes Korn, in ihn hab Hoffnung. Und dann erzähle von der Liebenden des Lichts, gib dem auserwählten Wesen Venus’ Schriften des Herzens und des Leidens. Aus diesen wird dem lichten Korn Leidenschaft und Liebeskraft entwachsen. Dann soll wachsen, was wachsen kann, und werden, was sein muss. Zeit dazu werde ich euch verschaffen, die Zeit, die mein Dunkler benötigt, um in neuem Licht zu erwachen. … So sollst du es sagen und erzählen, wohl wissend, dass diese eine nicht kämpfen darf, um Frieden zu schaffen«, hatte die Göttin nachgesetzt.

    Venus’ Gestalt war dabei im flackernden Licht eines Feuers gewachsen, aber die Amazone hatte sich nicht gefürchtet, obwohl es das erste Mal gewesen war, dass sie das Amazonental verlassen hatte, dass sie sich einer fremden Person voll und ganz anvertraut hatte und ihr gefolgt war, ohne zu wissen, wo sie landen würde. Doch Venus mit ihren golden glänzenden Schwingen und der Kraft ihres Planeten, hatte sie in ihren Bann geschlagen und ihr Sicherheit geboten.

    Für Ortrera war es eine Ehre gewesen, der Göttin zuzuhören. Sie hatte die Information, wie einen Pfeil in ihrem Köcher, abgelegt, bereit, diese hervorzuziehen, sollte der Zeitpunkt einst kommen.

    Und er war gekommen – jetzt und hier, denn nachdem das Amazonental nun Teil der irdischen Welt war, gab es für die Amazonen-Königin neue Aufgaben, aber auch Freiheiten.

    Deine Tochter Antiope, sie lebt, und sobald sie bei Kräften ist, wird sie sich um das Tal kümmern. Eine neue Zeit, eine junge Königin, dachte Ortrera. Außerdem ist Mars bei ihr – mit einer neuen Liebe.

    Sie hatte dort keinen Platz mehr, obwohl es immer ihrer gewesen war. Jetzt gab es nur noch einen: den an der Seite der Göttin Venus. Dafür musste sie zu den letzten Planetengöttern, die geblieben waren, um einen Plan für Venus’ Rettung zu schmieden. Also machte sie sich auf, um Argon abzufangen, um ihm die Botschaft zu übermitteln. Sie drehte an dem Bernstein-Ring, den ihr Mars bei der Verabschiedung zukommen lassen hatte. Sie wusste, dass er von Venus war – ein Geschenk von der Liebenden an den Krieger Mars, und er vermachte ihn ihr. Die Planetenkraft der Lichten floss durch ihn, das spürte sie deutlich. Und es gab ihr Kraft. Das Licht der Goldenen Göttin war auf ihrer Seite.

    Argon war bereits auf halbem Weg, als sie ihn einholte. Der göttliche Vasall wandelte auf einem unentschlossenen Pfad, wie Ortrera wusste, wollte er doch zum einen die direkte Verfolgung Omegas aufnehmen, zum anderen das Heer in der Kampfstätte neu zusammenstellen. Ortrera konnte das an der Fährte seines Pferdes ablesen, der Spur, die Reiter und Träger zogen, wenn sie diese mit den Informationen verband, die sie von Mars gewonnen hatte.

    Dank der Gabe, die es ihr ermöglichte, die Sprache der Pferde zu sprechen, und die ein besonderes Band wob, flog ihr Reittier weit schneller über die Gräser, Äcker und öden Landschaften.

    Wieder wurde die Amazonen-Königin daran erinnert, wie anders dieser Teil der Welt, der immer außerhalb gelegen hatte, war. Die Flora wirkte hier wie gesprengt; als hätte ein Komet eingeschlagen, so unförmig und ungleich war sie größtenteils. Berge und Täler zeichneten sich hinter dichtem Nebel ab.

    Kühle Feuchtigkeit kroch ihr unter die Kleidung und die Haut bis tief in die Knochen, als Ortrera zu Argon aufschloss.

    »Weißt du, was du tust? Oder lässt du dich von deinem Zorn leiten?«, rief die Amazonen-Königin.

    Der Vasall lachte hörbar. »Ich habe dich stets bemerkt. Du bist nicht wie eine Vampyrin in meinem Schatten gewandert«, antwortete er.

    »Ich zolle dir Achtung, genau deshalb bin ich dir gefolgt und hier. Auch ich hatte vor, auf direktem Weg auf das Ziel zuzuhalten. Venus ist für mich, was sie auch für dich ist: die Goldene Göttin! Sie war immer das Vorbild der Amazonen, sie war unsere Schildgöttin und doch wussten wir, sie hat ein Zuviel an Herz, das wir niemals besitzen werden, ja dürfen.«

    »Ich habe keine Zeit zum Philosophieren«, erwiderte Argon streng. »Komm zum Punkt und trag mir dein Anliegen vor.«

    »Wahrlich, du hast viel von Mars«, sagte die Amazone ehrlich. Dann änderte sich ihre Stimmung, Ortrera wurde unumwunden ernst. Ihre Miene blieb ausdruckslos, die Stimme gewann eine tiefere Nuance und wirkte beschwörend. Sie sprach eindringlich, und sie hatte das Gefühl, der Wind hauche ihr kalt über die Schultern. »Deine Göttin braucht dich mehr, als du denkst, allerdings auf andere Weise, als du ahnst. … Nimm dir also die Zeit, mich anzuhören!« Ein Kribbeln glitt über ihre Schulterblätter bis zum Gesäß hinab. Der Moment wirkte unnatürlich, und er endete, als Argon von seinem Pferd abstieg.

    »Machen wir ein Feuer. Wenn du solche Worte sprichst, will ich mir die Zeit nehmen. Außerdem bist du verwundet, auch wenn du dies niemals zeigen würdest«, sagte der Vasall mit einem deutlichen Blick auf die besagte Stelle.

    Ortrera suchte die Umgebung ab. Sie ignorierte seinen Hinweis bewusst. Den Schmerz hatte sie längst ausgeblendet. Das anfangs feurige Brennen war einem Kribbeln gewichen und somit lästig, aber nicht tödlich. Die meisten Kratzer von den Vampyr-Fledermäusen waren längst wieder geheilt, nur diese Stelle wehrte sich hartnäckig gegen eine Besserung.

    »Hier ist niemand, niemand der uns beobachten und deine Wunde sehen könnte. Vampyre werden, selbst wenn sie das Feuer bemerken, uns unsere Ruhe gönnen. Sie warten jenseits der Ebene in ihnen vertrautem Gebiet.«

    Während Argon vertrocknete Grashalme und Holz einsammelte, legte Ortrera einen Steinkreis. Ihre Pferde hatten sich still und leise zurückgezogen und verschmolzen mit der Dunkelheit. Die Einfachheit der Rast erinnerte sie an frühere Tage, eine ungewohnte Vertrautheit kehrte ein. Und selbst sie fand eine lang gesuchte Ruhe.

    »Du hast eine ungewohnte Art, für Ausgeglichenheit und Frieden zu sorgen«, sagte sie.

    »Und du hast anderes zu berichten«, mahnte Argon und entfachte das Feuer. »Setzen wir uns also, und du erzählst mir eine Geschichte. Ich liebe Geschichten, Erzählungen alter Zeit.«

    »Diese«, sagte die Amazone langsam, »stammt von Venus und bezieht sich auf die jüngsten, aktuellen Ereignisse. Zwei Brüder spielen darin eine Rolle. Der eine ist eine wandelnde Zone inneren Friedens, der andere blüht in der Finsternis wie eine Mondwiese und wird von einer besonderen Motivation angetrieben. Der eine ist zu ändern sich bereit, der andere niemals und gebunden. Zu erkennen, wer welcher ist, ist schwer. Noch schwerer ist es, den Zugang zum Zentrum der Finsternis zu finden. Denn nur durch einen gewinnen wir diesen und allein durch ihn finden wir einen Weg, das kostbarste Licht dieser Welt aus den Dunklen Hügel zu befreien.«

    »Venus ist voller Würde und Liebe, sie ist mächtiger, als wir denken, und stabiler als so mancher Kämpfer«, sagte Argon.

    »Ihr Herz ist nicht so stark, wie es das einer Göttin sein sollte, es wird in der Finsternis schlagen wie das eines Menschen in der Hölle«, hielt Ortrera dagegen. »Ihre Tränen werden bald fließen, dort im Zentrum der Dunkelheit. … Aber genug davon; ich werde zu den verbliebenen Lichten sprechen, mich mit ihnen abstimmen. Du aber musst direkt zu den Dunklen Hügeln aufbrechen und den einen der beiden Brüder finden.«

    »Ich war bereits in der Nähe, ich kenne den Weg dorthin«, sagte Argon. »Doch sollte nicht Mars an meiner statt Venus folgen? Ist nicht er es, den sie erwartet? Er weiß, was seine Göttin denkt, was sie erwartet und benötigt.«

    Bedächtig erst, danach streng verneinend schwenkte Ortrera ihr Haupt. »Ich spreche mit Venus’ Vollmacht – wenn man es

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