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The Rolling Stones: Der Tanz mit dem Teufel
The Rolling Stones: Der Tanz mit dem Teufel
The Rolling Stones: Der Tanz mit dem Teufel
eBook651 Seiten9 Stunden

The Rolling Stones: Der Tanz mit dem Teufel

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Über dieses E-Book

Am Anfang stand ein Vertrag. Mit ihm räumten die Rolling Stones dem Autor im Oktober 1969 das Recht ein, sie als offizieller Biograf auf ihrer USA-Tournee zu begleiten. So erlebte Stanley Booth hautnah die Faszination mit, wie morbide Themen damals auf die bösen Buben des Rock ausübten. Ihre "Sympathy With The Devil" war mehr als bloß Koketterie, sie nahm schon fast den Charakter eines Teufelspakts an. Stanley Booth begleitete die Stones auf ihrer fünften USA-Tournee, die in Altamont mit Mord und Gewalt im Desaster endete.

Er zeichnet in seinem Buch ein realistisches und kritisch-differenziertes Porträt der Gruppe: Als Spieler, Komödianten und Trunkenbolde tanzen sie einen eigenen Tanz mit dem Teufel, voller Aggressionen, Obszönität und Poesie.
SpracheDeutsch
HerausgeberHannibal
Erscheinungsdatum27. Jan. 2016
ISBN9783854456353
The Rolling Stones: Der Tanz mit dem Teufel

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    Buchvorschau

    The Rolling Stones - Stanley Booth

    Inc.

    Impressum

    Titel der Originalausgabe:

    „Dance With The Devil", published by Random House Inc., New York

    Copyright © 1984 by Stanley Booth

    Vorwort für die deutsche Ausgabe: Copyright © 1995 by Stanley Booth

    Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

    www.hannibal-verlag.de

    © 2017 bv Hannibal

    Lektorat: Manfred Gillig-Degrave

    Coverfoto: mit freundlicher Genehmigung von Virgin Records

    Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

    Cover Design © www.bw-works.com

    ISBN 978-3-85445-635-3

    Auch als Broschur erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-149-5

    Inhalt

    For all the Children

    Ein Drittel der Ewigkeit

    The Killing Ground

    1

    2

    3

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    The Elephants Graveyard

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    Dance to the death

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    Coda

    Auswahldiskografie

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    15060.jpg

    Wir wollen die Hitze der Orgie, aber nicht ihre Tödlichkeit, die Wärme des Vergnügens ohne den Zugriff des Schmerzes – und so droht die Zukunft zum Albtraum zu werden, während wir fortfahren, uns selbst zu ver­nachlässigen. Wir sind die Feiglinge, die Werte verteidi­gen wie Mut, Sex, Bewusstsein, die Schönheit des Kör­pers, die Suche nach Liebe oder das Einfangen dessen, was letztlich eine heroische Bestimmung sein mag.

    Norman Mailer: „Advertisements For Myself"

    Ohne die Liebe und Unterstützung meiner Mutter und meines Vaters und ohne die Inspiration durch meine Tochter würde es dieses Buch nicht geben. Robert Greens Bemühungen hatten ebenfalls einen Anteil an der Verwirklichung. Mein Schreib­talent – wenn vorhanden – verdanke ich in großem Maße  meinen Lehrern Walter Smith und Helen White. Während der jahrelangen Arbeit an diesem Buch wurde ich auf verschiedene Weise unterstützt von Paul Bomarito, Gerald Weiler, Arthur Kretchmer, Dann Wenner, Aubrey Guy, Edward Blaine, Charles Baker, James Allison, Lucius Burch, Irvin Salky, Saul Belz, George Nichopoulos, Joseph Battaile und den mittlerweile verstorbenen John Dwyer, Colonel Thomas Thrash und George Campbell. Peter Guralnick und Gary Fisketjon haben mich über jedes ver­nünftige Maß hinaus unterstützt. Keith Richards, Bill Wymam, Ian Stewart, James Dickinson, Helen Spittall, Shirley Arnold, Joe Bergman und den auch verstorbe­nen Alexis Korner und Leslie Perrin gebührt die stete Wertschätzung des Autors. Viele Leute haben die Arbeit an diesem Buch unterstützt und einige haben ver­sucht, sie zu behindern und es dadurch unvermeidlich gemacht. An dem Inhalt des Buches ist ganz allein der Autor schuld.

    For all the Children

    15078.jpg

    Ein Drittel der Ewigkeit

    Vorwort zur deutschen Erstausgabe 1995

    mark twain sagte, wenn man nur gut genug schriebe, habe ein Werk „ewig – und mit ewig meine ich dreißig Jahre Bestand. Also hat dieses Buch, in den Vereinigten Staaten erstmals vor zehn Jahren publiziert, ein Drittel der Ewigkeit überdauert. Ich muss sagen, dass es mir länger er­scheint, andererseits hat es fünfzehn Jahre gebraucht, um das Buch zu schreiben. Ich glaube nicht, dass ein derartiges Buch über ein derartiges Phänomen heutzutage geschrieben werden könnte. Es ist die ziemlich in­time Story einiger idealistischer Kriegskinder: wie ihre Hoffnungen und Träume einen Unterschied machten, wie all diese Hoffnungen und Träu­me irrelevant zu werden drohten und wie nichts, oder zumindest sehr wenig von Bedeutung, dabei herauszukommen schien. Trotz wahrer Ga­laxien von Klon-Bands und obwohl seitdem Millionen von Platten über die Ladentische gingen und sogar ungeachtet der Tatsache, dass sich seit­dem das Angesicht und der Klang der Zivilisation verändert haben. Als „Dance With The Devil im Original erschien, waren die Rolling Stones aus der damals – und wahrscheinlich noch immer – überwiegend unrei­fen Sicht der Herausgeber ebenso unwichtig wie Elvis Presley in seiner Hollywood-Phase. Man sah im überholten Vermächtnis der Stones nichts als einen seichten, kosmetischen (oder antikosmetischen) Look – eine Mode, den oberflächlichsten und kurzlebigsten aller Bereiche. Aber das war vor dem Fall der Berliner Mauer.

    Die Musik der amerikanischen Unterschicht, urbaner Blues, sprach zu den Herzen von Jungen wie Mick Jagger, Keith Richards und Brian Jones, die Zeugen des Horrors der Politik waren, Botschafter einer würdigeren Art zu leben als jener, die ein traditionell kapitalistisches Arbeitsverhältnis zu bieten hat. Der Rhythm & Blues der Stones und der Rock ’n’ Roll der Beatles waren beide Nigger-Musik. Sie haben ihre Wurzeln in Bohrlagern, Sägemühlen, schindelgedeckten und in Vorderzimmern von Lagerhäusern eingerichteten Kirchen, in Spelunken, wo abgebrühte Typen verkehren, in Spielhöllen und in Vergnügungsetablissements. Gesellschaftlich un­akzeptabel. Aber das verrückte an diesem gesellschaftlich unakzeptablen Lärm ist, dass die Gesellschaft, besonders die Oberschicht, ihn akzeptiert hat. Als Edward VII. Prinz von Wales war, sagte er, dass die einzigen bei­den wirklich königlichen Frauen, die er kannte, seine Mutter und Bessie Smith waren. In diesem Buch erzählt Charlie Watts davon, wie er mit Benny Goodman auf einer Party für Prinz Philip gespielt hat. In meiner aktuellen Biographie über ihn spricht Keith Richards davon, wie er für Debütanten gespielt und eine schnelle Ausbildung bezüglich dessen, was eine Lady ist, genossen hat. Ein paar Seiten weiter bemerkt Ahmet Ertegun, dieses seelenvolle türkische Jazz-Baby, ganz richtig, dass diese Musik die populärste Musik aller Zeiten ist – nenn sie, wie du willst, meinet­wegen die Boogie-Krankheit („you may call it madness but I call it hi-de-ho"). 1830 ging es ziemlich gut mit ihr los. 1930 brauchte Jimmy Rodgers dann kein schwarzes Gesicht mehr zu haben. Das Klagelied der Sklaven war nicht das Eigentum einer einzelnen Rasse – nur der Menschheit.

    Für den ernsthaften Schriftsteller, schrieb Flannery O’Connor, sind alle Menschen arme Menschen. Jeder, der lange genug lebt, lernt, was es heißt, arm zu sein, zumindest seelisch. Diese Musik handelt von Erlösung und wie man aus den Zitronen, die das Leben reicht, Limonade macht. „Ich frage mich, wie lange noch, bis ich meine Kleidung wechseln kann, sang Booker T. Washington White als Gast des Staates Mississippi auf der Parchman-Gefängnisfarm und machte durch das Wunder der Kunst aus seiner unglückseligen Haft wegen Mordes ein Fest. Dieses Erlösungs-Zeug ist mysteriöser Stoff. Im Film „The Benny Goodman Story sagt Bennys Mutter, erschrocken über den Aufruhr nach einem Konzert ihres Sprößlings, den unsterblichen Satz: „Ich verstehe diese unpopuläre populäre Musik nicht."

    Da haben wir das Problem mit der Erlösung und der Revolution: Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerbrechen. Oder wie William Temple, der verstorbene Erzbischof von Canterbury, anmerkte: „Warum sich irgendein Mensch die Mühe gemacht haben sollte, den Christus des Liberalen Protestantismus zu kreuzigen, ist immer ein Rätsel gewesen." So ein netter, vernünftiger Kerl hätte ein großartiger Versicherungsverkäufer sein können. Jesus von Nazareth, der gewöhnliche Bürger, wurde ge­kreuzigt, weil er der herrschenden Klasse eine Scheißangst eingejagt hat. Diesbezüglich – und eigentlich in noch mehrerlei Hinsicht – waren die Sto­nes Christus ziemlich ähnlich. Brian Jones konnte nichts anderes sein, als was er war, ein lebendes (und sterbendes) Opfer. Keith Richards desglei­chen. Mick Jagger hatte die Wahl, und er braucht sein ganzes Leben lang, um sie zu treffen.

    Aber was auch immer die Stones, diese rockenden Fossile, jetzt auch sein mögen – waren sie wirklich, wie Keith glaubt, für das Einstürzen von Mauern verantwortlich wie der mythische Josua? Wäre es ohne den steti­gen Vierviertel-Beat zum Fall der Berliner Mauer gekommen, hätte es die Perestroika gegeben? Ich glaube schon, ja. Selbst wenn die Menschen noch immer Foxtrott, Gavotte, Menuett und Walzer tanzen würden. Denn sogar bei Mozart gibt es jede Menge wilder Hemmungslosigkeit, ganz zu schweigen von Beethoven – das genügt, um die Städte in Flammen zu set­zen, Mauern niederzureißen. Musik jeglicher Art – mit Ausnahme von Märschen, Kampfschreien, Hymnen und Trauergesängen – ist ein potenzielles Problem für den Staat, daran besteht kein Zweifel.

    Andererseits kann Musik völlig unbedeutend für historische Ereignis­se sein. Aber das politische Faktum bleibt bestehen, dass sich in unserer Zeit eine gewisse apolitische oder suprapolitische Lingua franca etabliert hat, die aus Levi’s, Marlboro, Cadillac, Mercedes, Coke und Koks, Ha­schisch, Heroin, Ecstasy, Löwenbräu, Dom Perignon, Jack Daniel’s, den Rolling Stones, Robert Johnson, Bob Dylan, den Black Crowes, was immer deine Marke ist, besteht. Indem man an all dem teilnimmt, erhält man sich den Glauben daran, dass das gute Leben weitergeht. Der Zusammenbruch des Kommunismus hat das moderne Konsumdenken kampflos als den of­fensichtlichen Sieger zurückgelassen. Das ist nicht unbedingt ein Desaster; Micky Maus ist ein größtenteils recht anständiger Nager, menschlicher als Josef Stalin oder viele amerikanische Präsidenten und sogar als manche deutsche Führer.

    Gleichzeitig befinden sich anscheinend verschiedene Formen des Fun­damentalismus im Aufschwung. Eine Kombination aus Konservatismus und Fundamentalismus – rechte Kräfte in einer unheiligen, aber selbstge­rechten Allianz – hat, neben anderen Schrecklichkeiten, die große De­pression in den USA vertieft und verlängert. Und diese Kräfte, allesamt scheinheilige Schleimscheißer, sind noch immer und glamouröser denn je mitten unter uns und versuchen wie eh und je, die Bevölkerung mit Nich­tigkeiten abzulenken und über welche Missstände auch immer hinwegzuregieren. Es gab diese Kräfte auch zu jener Zeit, in der dieses Buch han­delt, aber damals hatten die Rolling Stones eine gewisse Macht oder schie­nen sie zumindest zu haben, oder sie schienen wenigstens Teil einer ge­genkulturellen Macht zu sein. Noch dazu schien diese Macht nur prophe­tischer Vorbote einer zukünftigen Flutwelle zu sein. Das war eine Illusion, eine gefährliche Selbsttäuschung. Die Zeit hat uns eines anderen belehrt. Aber wenn die Rolling Stones heute wie so viele Bands, die ihnen nach­geeifert haben, nicht mehr sind als ein Produkt, ein Unterhaltungspaket, dann sind sie tatsächlich trivial und belanglos, außer vielleicht in irgend­einem soziologischen Sinn.

    Um, wie Mick sagen würde, brutal ehrlich zu sein: Ich hasse es, die Rolling Stones dieser Tage bei der Arbeit zu sehen. Vielleicht ist hassen nicht das richtige Wort – aber der Vergleich mit der Vergangenheit ist ekelhaft und beschwört Erinnerungen an jenen sprichwörtlichen Indianer her­auf, der gesagt hat: „Vor langer Zeit gut –jetzt ein Haufen Scheiße. Jeder für sich genommen sind sie vermutlich nach wie vor wundervoll – zu­mindest Keith Richards und Charlie Watts. Aber die enormen Stadien, in denen die Stones auftreten, der unvermeidlich schwammige Sound, der Leviathan ihrer Bühnenmaschinerie, die leere Präzision, der Mangel an Spontaneität und die Tatsache, dass weder auf noch vor der Bühne getanzt wird – das alles zieht doch mächtig runter. Man gibt am Eingang sein Ticket ab und schon steckt dir jemand ein Flugblatt zu oder ein Antrags­formular für das Zungen-Logo der Rolling Stones, von Visa oder Mastercard. Die Nato sollte mit den Rolling Stones einen Vertrag schließen, die Zunge auf Panzer kleben, auf Flugzeugträger und auf Bomber und da­durch wahnsinnigen Militärausgaben mehr Popularität verschaffen. Da er den letzten Funken von moralischer oder sozialer Bedeutung verloren zu haben scheint, so dass er auf keinen Fall mehr gegenkulturell ist, könnte sich der Rock ’n’ Roll als weit offener Sesam für ein Nirwana von Firmen-Sponsoring herausstellen – Designer-Drinks, Designer-Kleidung, modi­sche Accessoires, Jeans und Waffen werden zum Ruhme Gottes und der Menschheit an Krisenherde verschickt. Sony und Mitsubishi präsentieren im Verbund mit Boeing, Lockheed, Deutsche Grammophon und Disney den neuen Kassenknüller im Entertainment-Bereich – Titel: „Der Zu­sammenbruch der westlichen und östlichen Zivilisation. Eine Armee von Soldaten, die wie Michael Jackson aussehen, kämpft gegen ein Heer von Prince-Klonen. Beide werden von Madonna-Kopien niedergemacht. Mi­chael verliert Lisa Maria zur Hauptsendezeit an Madonna.

    Es ist eine andere Welt. Im November 1994 hat in Atlanta irgendein widerliches Trio, dessen Namen ich bis heute nicht weiß, die Show für die Rolling Stones eröffnet, gefolgt von dem durch und durch mittelmäßigen Bryan Adams. Ein paar Tage später traten in Gainesville die Spin Doctors im Vorprogramm auf. Ich habe nur einen Song der Doctors gesehen, aber das genügte mir. Vor fünfundzwanzig Jahren eröffnete der mittelmäßige Terry Reid die Show, aber nach ihm kamen wenigstens Chuck Berry oder B. B. King oder Ike & Tina Turner. Damals haben die Stones allerdings vor vielleicht fünfzehntausend Leuten gespielt und nicht vor fünfzigtau­send. Die Musik war das Wichtigste, und sie musste nicht mit aufblasba­ren Menagerien, gigantischen Jukebox-Lichtern, feuerspeienden Me­talldrachen, Videoshows und Feuerwerken in Konkurrenz treten. Micks bedauerliche Annahme, er müsse ein ungeheures Spektakel präsentieren, entwickelt sich zum Bumerang, indem er von einem riesigen, über ihm hängenden Gummi-Elvis in den Hintergrund gedrängt wird.

    Wenn man die Stones in B. B. Kings Club auf der Beale Street oder ins „Fox Theater in Atlanta oder in ein Lokal von der Größe des „Star Clubs in Hamburg stellt, dann werden sie immer gut sein, solange sie be­stehen – überall dort, wo sie nicht als Miniaturfiguren auf der Bühne er­scheinen. Keith meinte, wenn die Leute dereinst die enorm großen Ver­anstaltungsorte nicht mehr füllen, dann könnten die Stones wieder in klei­nerem Rahmen spielen. Ich kann es kaum erwarten.

    Doch einmal abgesehen vom Ruhm, ihrer Berühmtheit und ihrem ge­genwärtigen Zustand – die Stones haben in ihrer besten Zeit großartige Musik gemacht. Als es den Anschein hatte, dass Musik mehr als Unter­haltung war, standen sie auf der Seite des Volkes und nicht auf der Seite der Autoritäten. Die musikalische Tradition, aus der die Rolling Stones kommen, nimmt Rassismus oder Todesstrafe, die Einstellung eines Fa­brikbesitzers oder Arbeiters ebenso wie Militarismus zwar zur Kenntnis, weigert sich aber, sie als gerecht und richtig zu akzeptieren. Trotz der pa­triotischen Trommelschläge und Hornsignale von Furry Lewis und trotz Woody Guthries Gitarre mit der legendären Aufschrift „Diese Maschine killt Faschisten. Der Blues versteht und verteidigt manchmal sogar einen Mord – aber niemals staatlich sanktioniertes Meucheln. Diese Tradition ist natürlich ein Zweig des Romantizismus, aber in einer besonders be­eindruckenden Form, mit exaltierter Sprache, dramatischen Situationen, epischen Visionen. „Ich wasch’ mein Gesicht im Golf von Mexiko, hat Furry gesungen, „erwach’ dann tausend Meilen tiefer. Als Allen Ginsberg Furry traf, komponierte und sang er für ihn eine spontane Ode, die mit den Worten begann: „We thank you, o King. Heutzutage, da die Musik (wieder einmal) nichts als Unterhaltung zu sein scheint, kann man den Stones wirklich keinen Vorwurf machen. Es hätte einer Omnipotenz be­durft, der kein Künstler jemals fähig ist, um von den Fluten der Verände­rungen unbeeinträchtigt zu bleiben. Sie sind auch keineswegs die einzigen Künstler, die zusehen müssen, wie ihre Kunst durch den Erfolg untergra­ben und durch Abnutzungserscheinungen zumindest teilweise ihrer Bedeu­tung beraubt wird. Der in der gesamten Szene festzustellende Verlust von Inhalten lässt auch die Musik der Stones im Regen stehen. Jerry Garcia von den Grateful Dead entwarf Krawatten, die unter anderem auch Präsident Clinton trug. Aretha Franklin, deren Version von Otis Reddings „Respect vor sozialer Bedeutung nur so zu strotzen schien, ist zu einem matronenhaften Aushängeschild geworden, und zwar für „den Herzschlag Amerikas – den aktuellen Chevrolet. Bob Dylan hat den Steuerberatern und Buch­führern der Firma Coopers & Lybrand die Verwendung von „The Times They Are A-Changin‘" gestattet. Die Zeiten haben sich in der Tat geändert.

    Dennoch scheint es bedauerlich, dass es heute junge Leute gibt, Leute unter dreißig, die sich als Fans der Rolling Stones betrachten und die es nach ihrem ganzen äußeren Erscheinungsbild sicher auch sind, die aber keinerlei Vorstellung davon haben, was das in moralischer und histori­scher Hinsicht einmal bedeutet hat. Dafür können sie nichts, denn man kann niemand den Vorwurf daraus machen, er habe die moralische Bot­schaft nicht mitgekriegt, wenn diese Botschaft schon vor langer Zeit ausra­diert wurde. Ein unheilvolles, jedoch nicht linksrevisionistisches Gedan­kenmuster ist nicht nur in Amerika in letzter Zeit klar ersichtlich gewor­den, wo Leute, die zu jung sind, um ihn als den verschwitzten, ratlosen Halunken erlebt zu haben, der er immer gewesen ist, eine Figur wie Ri­chard Nixon für brillant halten – einen Mann, den man bestenfalls als machiavellisch bezeichnen könnte. Diese Leute preisen auch seine romanti­sche Verklärung von China, die nur eine eher scheinbare denn reale Ab­kehr von seiner normalerweise gepflegten, käuflichen Lebensführung dar­stellte – obwohl doch rechtslastige amerikanische Präsidenten in Wirk­lichkeit selten ein Problem damit hatten, Diktatoren anzuerkennen, im Iran, in Taiwan, in Korea, Portugal, Spanien, Vietnam, Nicaragua, auf den Philippinen, in vielen Ländern, weil sie einander so sehr gleichen. Zu­mindest hat Nixon, im Gegensatz zu Mao, gebadet und sich die Zähne ge­putzt.

    Nichtsdestotrotz ist es eine Wahrheit, dass niemand zugleich Nixon – oder eine lange Liste von anderen historischen Arschlöchern – und die Rolling Stones sowie die Tradition, für die sie stehen, schätzen kann. Bill Clinton andererseits steht so offen und ehrlich zur Tradition der Rolling Stones, dass es geradezu ein Wunder ist, dass er gewählt wurde. Die radi­kale religiöse Rechte in den Vereinigten Staaten betet in demselben süßen christlichen Geist für seine Ermordung, in dem sie einmal die Platten der Beatles und der Rolling Stones verdammt und den Flammen der Hölle übergeben hat. Jene fleischfressenden Pflanzen namens Gier, Intoleranz, Paranoia, Selbstverherrlichung – alles Feinde des Heiligen Geistes, der durch die Poeten wie zum Beispiel Rilke und auch die Meister des Blues spricht – sterben niemals, kommen nie außer Mode. Die Phase in den Sixties, als es schien, dass Menschen tatsächlich völlig selbstlos das Beste für so viele Mitmenschen wie möglich wünschen könnten, war nur ein Me­dienspektakel. Der Impuls, der zu Altamont führte, war aufrichtig, aber die feste Absicht, etwas Neues in der Gesellschaft zu kreieren, wurde von unserer Angst vor Gewalttätigkeit überwältigt, so dass wir die Frage, wie man asoziale Aktivitäten im Zaum hält, wie man mit ihnen umgeht, un­beantwortet ließen. Fehlschlag.

    Dennoch müssen wir kämpfen. „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich, hat Jesus gesagt. „Die, die gehen, steigen in den gottverdammten Zug, sagte William Faulkners Boon Hogganbeck. „Die, die nicht gehen, machen den gottverdammten Weg frei." Die Mauer ist gefallen. Nelson Mandela ist Präsident von Südafrika. Lech Walesa … Vaclav Havel … Bill Clinton … Wir haben wieder einmal eine Chance, uns selbst zu lieben und einander als Teil derselben Familie zu akzeptieren. Werden wir sie nüt­zen? Ja und nein. Die Kreuzigung geht weiter.

    Was auch immer sie heute sind oder in der Zukunft vielleicht sein wer­den – als sie jung waren, haben sich die Rolling Stones oft schon dadurch, wer sie waren, was sie waren, wie sie lebten und woran sie glaubten, in Gefahr begeben. In jenen Jahren begleitete ich sie. Manche Zeitzeugen haben diese Ära überlebt, andere nicht. Dies ist die Geschichte jener Tage, als beide, die Welt und die Stones, noch jünger waren und als die Bedeu­tung der Dinge noch klarer war oder zumindest klarer zu sein schien.

    Vor fast einer Ewigkeit.

    Brunswick, 1995

    STANLEY BOOTH

    The Killing Ground

    See the way he walks down the street

    Watch the way he shuffles his feet

    Oh, how he holds his head up high

    When he goes walkin’ by

    He’s my guy

    When he holds my hand I’m so proud

    ’Cause he’s not just one of the crowd

    My baby’s always the one

    To try the things they’ve never done

    And just because of that they say

    He’s a rebel

    And he’ll never ever be

    Any good

    He’s a rebel

    ’Cause he never does

    What he should

    Gene Pitney: „He’s a Rebel"

    Es ist spät. All die kleinen Schlangen schlafen. Die Welt außerhalb des Autofensters ist schwarz bis auf die staubige, von den Scheinwerfern erhellte, unbefestigte Straße. Weit von der Stadt entfernt, nach den letzten Kreuzungen, wo sie in England die Selbst­mörder mit Holzpfählen durch ihre Herzen begraben haben, sind wir auf der Suche nach einer eigenartigen kalifornischen Hügellandschaft, wo wir IHM begegnen und vielleicht sogar mit ihm in seinen zerfetzten, blutigen Kleidern tanzen könnten: kommt und spielt.

    Eine Bahnüberführung öffnete sich vor uns in den freien Himmel; als wir sie hinter uns lassen, stoßen wir auf eine unbeschilderte Straßengabelung. Die Crystals sin­gen „He’s A Rebel. Der Fahrer blickt nach links, nach rechts, dann wieder nach links. „Der hat keine Ahnung, wo er hinfährt, sagt Keith. „Sind Sie sicher, dass das der richtige Weg ist? fragt Mick. Ohne zu antworten, biegt der Fahrer nach links ab. Das Radio ist ziemlich laut. „Vielleicht hat er dich nicht gehört. Mick schließt die Augen. Natürlich haben wir uns verfahren, aber wir sind von vierzig Stunden ohne Schlaf so müde und mit jedem Moment weniger imstande, zu protestieren oder die Richtung zu ändern, dass wir in dieser schwarzen Cadillac-Limousine einfach weiter in die Unermesslichkeit des Raumes vordringen.

    „Da vorne ist irgend etwas, sagt der Fahrer. Am Straßenrand parkt ein VW-Bus, ein deutscher Schäferhund ist mit einem Strick am Griff der Hintertür angebun­den. Als wir vorbeifahren, bellt er. Dann kommen weitere Autos und Busse. In man­chen halten sich Leute auf, die meisten sind aber auf der Straße, gehen in kleinen Grup­pen, tragen Schlafsäcke, Segeltuchrucksäcke und Babys oder führen noch mehr große, hässliche Hunde mit sich herum. „Steigen wir aus, sagt Keith. „Verlieren Sie uns nicht, trägt Mick dem Fahrer auf, der noch fragt: „Wo gehen Sie hin? Aber da sind wir fünf schon auf und davon, Ron „The Bag Man, Tony „The Spade Heavy, der „Okefenokee Kid" und natürlich Mick und Keith, ihres Zeichens Rolling Stones. Die anderen in San Francisco verbliebenen Bandmitglieder schlafen inzwischen im Huntington Hotel, mit Ausnahme von Brian, der tot ist und deshalb, so sagen manche, nie­mals schläft.

    Die Straße fällt zwischen welligen Buckeln mit trockenem Gras ab. Es ist eine kahle Landschaft wie in den Szenen von Science-Fiction-Filmen der 50er Jahre, in denen Außerirdische den Teenager und seine vollbusige Freundin im geparkten Hot-Rod-Schlitten heimsuchen. Jetzt aber wimmelt es hier von jungen Leuten mit meist langen Haaren, die warme Kleidung, Jeans, schwere Army-Jacken anhaben – wegen der kühlen Luft der Dezembernacht, die uns wieder etwas belebt, während wir gehen. Mick trägt einen langen, burgunderfarbenen Überrock, und Keith hat einen vor lauter Schim­mel grün angelaufenen Nazi-Wintermantel aus Leder an. Morgen, oder genauer ge­sagt heute, in ungefähr sechzehn Stunden, wird er ihn in wahnsinniger, blinder Panik zurücklassen, um diesen Ort schnell zu verlassen, zu dem wir jetzt leichthin stolzieren. Mick und Keith lächeln. Es macht ihnen Spaß, dass sie die Macht haben, diese Men­schenansammlung Wirklichkeit werden zu lassen, nur indem sie ihren dementsprechen­den Wunsch artikulierten. Und noch mehr gefällt ihnen, dass sie die Freiheit besitzen, genau wie jeder andere diesen starkfrequentierten, ausgedörrten Weg entlangspazieren zu können. Man hört Gelächter und leise Gespräche innerhalb einzelner Grüppchen, aber kaum Konversation darüber hinaus, obwohl es scheint, dass niemand von uns ein Fremder ist. Jeder trägt die Zeichen, die Insignien der geschlagenen Schlachten, die uns an diesen verlassenen Ort am westlichen Abhang der Neuen Welt verschlagen haben, lange bevor die meisten von uns dreißig geworden sind.

    „Tony, besorg uns einen Joint, bittet Keith, und bevor wir zwanzig Schritte wei­ter sind, hat sich der schwarze, hünenhafte Tony zurückfallen lassen und zu einem paf­fenden Jungen gesellt, der ihm den Joint gibt und sagt: „Behalt ihn. Also rauchen wir und folgen dem Pfad in einen Talkessel hinunter, wo die Buckel sich zu niedrigen Hügeln strecken, die schon von Tausenden Menschen bevölkert sind, die sich um La­gerfeuer versammeln. Manche schlafen, manche spielen Gitarre, manche reichen etwas zum Rauchen und große, rote Krüge mit Wein herum. Für einen Augenblick stocken wir; das Ganze hat die traumartige Beschaffenheit tiefstempfundener Wünsche nach dem Zusammensein mit allen guten Leuten, mit der ganzen Familie, mit allen, die man liebt, in irgendeinem privaten Land der Nacht. Es ist so vertraut wie unsere frühesten Täume und doch so überwältigend und endgültig mit den Lagerfeuern, die wie weit entfernte Sterne flackern, soweit das Auge reicht, dass es schon wieder ehrfurchtgebietend ist. Und als wir den Hügel links von uns besteigen und dabei auf Schlafsäcken und Decken gehen, wobei wir versuchen, niemandem auf den Kopf zu treten, sagt Keith, es sei wie in Marokko, außerhalb der Tore von Marrakesch. Hört ihr die Flöten?

    Die Leute lagern bis direkt vor einem Sturmzaun, der oben mit Stacheldraht ver­sehen ist. Und während wir den Eingang suchen, nähern sich von hinten die „Maysles Film Brothers mit gleißenden, bläulichweißen Quarzlampen, die sie auf die schla­fenden Körper richten. Mick schreit, sie sollen die Scheinwerfer ausmachen, aber sie stel­len sich taub und kommen näher. Die Kids, die „Hi, Mick! riefen, als wir vorbeigingen, schließen sich uns an; bis wir das verschlossene Tor erreicht haben, hat sich eine Karawane von Kids gebildet, die durch die Scheinwerfer irritiert sind. Drinnen sehen wir das Clubhaus der Altamont-Speedway-Rennbahn, vor der Leute herumstehen, die wir kennen. Mick ruft: „Könnten wir hinein, bitte? Einer kommt herüber, erkennt uns und geht jemand holen, der das Tor öffnen kann. Das dauert eine Weile, und die Kids wollen Autogramme und mit uns hineingehen. Mick sagt ihnen, dass wir bis jetzt nicht einmal selber reinkommen. Keiner außer mir hat einen Kugelschreiber, aber ich habe gelernt, ihn nicht aus der Hand zu geben, weil sich die Leute im Taumel ihrer glückseligen Heiterkeit mit der Unterschrift und mit meinem Werkzeug davonmachen. So stehen wir also fluchend in der Kälte herum, von einem Fuß auf den anderen tre­tend, und keiner kommt, um uns einzulassen. Das windschiefe Tor scheppert, als ich daran rüttle, und ich sage, wir könnten es doch ziemlich leicht niederreißen. Und Keith bemerkt: „Der erste Akt der Gewalt.

    1

    Etwas über die wundersamen Wanderungen dieser Griots ge­nannten Hüter der Tradition durch die gelbe Wüste nach Norden in das Maghrebinische Land, oftmals eine einsame Wanderung; ihre Vorstellungen in arabischen Camps auf dem langen Weg, als die schwarzen Sklaven herauskamen, um zuzuhören und Tränen zu vergießen; dann die gefährliche Reise nach Konstantinopel; wo sie alte Kongo-Melodien für die großartige schwarze Bevölkerung von Stamboul spielen, die keine Gesetze oder Gewalt in ihren Häu­sern halten kann, wenn der Klang von Griot-Musik in den Straßen erklingt. Dann würde ich davon berichten, wie die Schwarzen ihre Musik nach Persien und sogar ins mysteriöse Hadramaut mitneh­men, wo ihre Stimmen von arabischen Meistern hoch geschätzt wer­den. Dann würde ich auf die Transplantation der Negro-Melodie auf die Antillen und nach den beiden Amerikas eingehen, wo ihre eigenartigsten schwarzen Blüten von den Alchemisten der musika­lischen Wissenschaft gesammelt werden und Zauberer daraus ein Parfum extrahieren … (Wie ist das für den Anfang?)

    Lafcadio Hearn in einem Brief an Henry E. Krehbiel

    sie sass auf einer cremefarbenen Couch und hatte den Kopf mit den hell­blonden Haaren über ein Buch mit rotem Umschlag gebeugt. Ihre Beine waren übereinandergeschlagen und ein Absatz ruhte auf der Marmor­platte des Kaffeetisches. Im Panoramafenster hinter ihr war eine üppige grüne Hecke zu sehen und in der Entfernung, weit unten gelegen, die Stadt der Engel mit ihren knochenweißen Gebäuden bis hin zum Pazifi­schen Ozean. An einigermaßen klaren Tagen wie diesem konnte man ihn durch den giftigen Nebel, zu dem Land und Himmel am Horizont ver­schmolzen, hindurchschimmern sehen. Auf den farblich aufeinander ab­gestimmten Polstermöbeln in der Lobby dieses motelartigen Gebäudes hatten noch andere Leute Platz genommen – aber sie schaute nicht auf, nicht einmal, als ich „Entschuldigung" sagte und über ihr ausgestrecktes Bein stieg, um mich neben ihren Gatten Charlie Watts, einen der Rolling Stones, zu setzen.

    „Erinnerst du dich an ihn, Shirley?" fragte er.

    Ein kurzer Blick. „Nein."

    „Ein Schriftsteller. Du weißt doch."

    „Ich hoffe, er ist nicht so wie der, der uns zu Hause aufgesucht hat, sagte sie. Dann schaute sie mich noch einmal an und irgend etwas ging in ihren grünen Augen vor. „Ach, Sie sind das. Sie klappte das Buch zu. „Sie haben über mich in der Küche geschrieben."

    „Ein anderer, sagte ich. „Sie lesen Priestley? ‚Prince Of Pleasure.‘ Ken­nen Sie die Bücher von Nancy Mitford?

    „Sie haben behauptet, ich hätte das Geschirr abgewaschen. Ich wurde noch nie so beleidigt."

    „Aber Shirley, Sie haben doch das Geschirr abgewaschen. Was hätte ich sonst sagen können?"

    „Sie hätten etwas erfinden sollen."

    „Wo stand das? fragte Bill Wyman, ein weiterer Rolling Stone, der mit seiner Freundin Astrid Lindstrom, der schwedischen Eisprinzessin, weiter weg am anderen Ende der Couch saß. „Toller Bass-Sound, gell? Auf einem tragbaren Plattenspieler in einer Ecke des Raumes liefen Plat­ten der Kansas City Six aus den 30er Jahren.

    „Yeah, Walter Page, echt gut, sagte Charlie. „In einem amerikanischen Magazin. Es lag im Büro rum.

    „War das über uns alle? Wir haben es nie zu sehen bekommen", sagte Astrid. Wyman sammelte Zeitungsausschnitte, die er in Kladden klebte.

    „Das würde ich mir an deiner Stelle auch nicht wünschen", entgegne­te Shirley.

    „So einen Sound kriegt man mit einem elektrischen Bass nie hin", sagte Wyman, ein Bassist, dessen Hände zu klein waren, um den akustischen Bass zu spielen.

    „Der elektrische Bass ist dafür flexibler, sagte ich als Versuch, die Kon­versation in eine andere Richtung zu lenken. „Man kann mehr damit ma­chen.

    „Das aber nicht, sagte Wyman, „Oder, Charlie?

    „Niemals", sagte Charlie, während der Bass von Page und die Schlagzeugbesen von Jo Jones sich mit der Gitarre von Freddie Green mischten. Ihr Rhythmus war stabil wie ein gesunder Herzschlag.

    „Sony", sagte ich.

    „Seit du hier angekommen bist, haben wir dich in die Defensive ge­bracht, sagte Charlie. „Hast du vielleicht die Zeitung mit der Kritik von Ralph Gleason mitgebracht? Wir haben sie noch nicht bekommen.

    „Ich hab’ sie unterwegs gelesen."

    „War’s schlecht?"

    „Es hätte schlimmer sein können, aber nicht viel. Einmal fragte ich Charlie, wie er sich angesichts der unzähligen Presseattacken gegen die Stones fühle, und er meinte: „Es kommt mir nie so vor, als wäre von mir die Rede. Und Shirley fügte hinzu: „Charlie und Bill sind nicht wirklich die Stones, nicht wahr? Mick, Keith und Brian – das sind die großen, bösen Rolling Stones."

    Charlie lächelte mit heruntergezogenen Mundwinkeln. „Gleasons Jazz-Artikel haben mir immer gefallen. Ich kenne ihn sogar persönlich. Ich habe ihn getroffen, als wir das letzte Mal in San Francisco spielten. Ich würde ihn gerne fragen, was ihn so gegen uns eingenommen hat."

    Ein Mann mit sich lichtendem, schwarzem Kraushaar und buschigen, säbelförmigen Koteletten betrat den Raum durch den offenen Zugang am anderen Ende. Er hatte weiße Shorts an und trug zwei Tennisschläger und ein Handtuch mit sich. „Hat irgendwer Lust auf Tennis?" fragte er mit einer Stimme, die wehtun würde, wenn man sich mit ihr rasieren müsste.

    Ich hatte ihn noch nie gesehen, aber ich kannte seine Stimme, die ich bereits am Telefon hatte ertragen müssen. Es war Ronnie Schneider, der Neffe von Allen Klein, dem Business-Manager der Rolling Stones. Bevor es mir selbst bewusst wurde, stand ich schon zwischen ihm und der Tür. „Haben Sie den Brief meines Agenten bekommen?" fragte ich, nachdem ich mich vorgestellt hatte.

    „Yeah, ich hab’ ihn bekommen, sagte er. „Es gibt da ein paar Sachen, die wir ändern müssen. Sag deinem Agenten, dass er mich anrufen soll.

    „Er sagt, er habe schon versucht, Sie zu erreichen. Es ist dringend."

    „Ich weiß, sagte Ronnie mit der Stimme eines teuflischen Unholds, der jungmädchenhaftes Entzücken nachäfft. Er schenkte mir ein breites Lächeln, so als hätte er mich gerade am Angelhaken. „Will denn keiner hier Tennis spielen?

    „Ich spiele", sagte Wyman.

    „Der hier ist verzogen." Ronnie gab ihm einen Schläger von der Form eines Schuhlöffels und sie gingen über die Veranda und das saftige Saint-Augustine-Gras hinaus zum Tennisplatz. Ich beobachtete durch die Glastüre, wie sie gingen; dann fiel mir auf, dass ich meinen Hut in der Hand hielt und ich beschloss, mich wieder hinzusetzen und zu versuchen, mich zu entspannen.

    Serafina, die achtzehn Monate alte Tochter der Watts, kam mit ihrer Kinderschwester herein und Shirley nahm sie mit in die Küche, um etwas zu essen. Astrid ging auch mit, vielleicht um den Orangensaft kaltzustel­len. Die Kansas City Six spielten „Pagin’ The Devil".

    „Was genau hat Gleason behauptet?" fragte mich Charlie.

    „Er hat geschrieben, dass die Tickets zu teuer und die Sitzplätze schlecht sind, dass die Vorgruppen nicht genug bezahlt bekommen – und dass das alles beweist, dass die Rolling Stones ihr Publikum verschaukeln. Kann sein, dass ich etwas ausgelassen habe. Richtig. Er hat auch gemeint: ‚Sie ziehen eine gute Show ab.‘"

    Die Hintertür ging auf und eine Gang kam hereinspaziert. Groß und hager und langhaarig standen sie einen Moment lang mitten im Raum, als würden sie für eine verblasste, sepiafarbene Fotografie posieren, für jene Art von Fotos, die ihre Bestimmung letztlich auf an Bäume genagelten Pla­katen fanden. „Die Stones Gang: Wanted Dead Or Alive", obwohl im Mo­ment nur Mick Jagger, der wie ein Model dastand und seinen schmalen Hintern seitwärts gereckt hatte, eine Gerichtsverhandlung erwartete. Neben ihm Keith Richards, sogar noch dünner und gar nicht wie ein Model, son­dern wie eine irre Werbung für einen gefährlichen, sorglosen Tod ausse­hend – schwarze zottige Haare, aschfahle Haut, mit einem Pumazahn an seinem rechten Ohrläppchen und einer Marihuanazigarette zwischen sei­nen verrottenden, gefletschten Hauern. Und mit blauem Zahnfleisch, der einzige Weiße auf der Welt mit blauem Zahnfleisch, giftig wie eine Klap­perschlange.

    Von den Fotos her erkannte ich den Ersatzmann für Brian Jones, Mick Taylor. Er wirkte rosig, blond und hübsch wie ein Püppchen neben Jag­ger und Richards, die, seit ich sie vor einem Jahr zum letzten Mal gesehen hatte, um mehr als nur ein Jahr gealtert waren. Einen der anderen, dessen schwarzes Haar mit blassgoldener Farbe wie von Reif bedeckt war und der klassische Country-&-Western-Bekleidung von Nudie, dem Rodeo-Schnei­der, trug, hatte ich, so erinnerte ich mich, im Fernsehen und auf Platten­hüllen gesehen – es war Gram Parsons und er stammte, wie ich gehört hatte, aus meiner am Rande des Okefenokee-Sumpfes gelegenen Heimat­stadt Waycross in Georgia. Wir waren einander noch nie begegnet, aber ich hatte eine Kritik über „The Gilded Palace Of Sin", das neue Album seiner Band Flying Burrito Brothers, geschrieben. Dass er die Stones kann­te, darauf wäre ich nicht gekommen. Ihn hier zu sehen, einen anderen Kna­ben aus Waycross in diesen höheren Sphären anzutreffen, ließ mich so etwas wie ein vorgezeichnetes Muster erahnen, irgendeine Bestimmung, die ich nicht klar erkennen konnte, und ich stand auf, um mit Gram Parsons zu sprechen – als wäre er ein Prophet und ich ein Erleuchtung su­chender Pilger.

    Aber als ich um den Tisch herum ging, drehte sich Jagger in meine Richtung, und zum ersten Mal, seit er den Raum betreten hatte, standen wir einander von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und zwar viel zu nahe; seine Augen waren wie die eines Wildes, groß, dunkel, überrascht.

    Ich erinnerte mich, dass ich auf dem Flug hierher im „Time-Magazin über eine Studie gelesen hatte. Demnach würde derjenige bei einer Begegnung zweier Menschen, die sich anschauen, am wahrscheinlichsten die Situa­tion dominieren, der als erster wegschaut. Ich lächelte Mick also freund­lich zu, und er schaute weg, genau wie die dominanten Leute in „Time. Ich fühlte mich, als hätte ich ein Spiel, das ich gar nicht spielen wollte, be­reits verloren. Dann war ich aber an Mick vorbei und sagte zu Gram: „Freut mich, dich zu sehen."

    „Yeah, sagte Gram mäßig begeistert, „aber wer bist du?

    Ich erzählte es ihm und er meinte: „Hat mir gefallen, was du über un­sere Band geschrieben hast."

    „Ich bin aus Waycross, sagte ich. Er nahm mich kurz in Augenschein, dann gab er mir den Joint, den er gerade rauchte. Wir spazierten auf den schmalen, vor dem Haus gelegenen Rasenstreifen hinaus (als wir hinaus­gingen, sagte Keith gerade zu Charlie: „Hast du gelesen, was dein Freund Gleason geschrieben hat?), setzten uns in das Gras neben der Hecke und sprachen über Land und Leute in Georgia. Gram sagte, er habe nicht vor, jemals zurückzukehren. Ich erinnerte mich daran, dass mir meine Mutter von der Scheidung seiner Eltern erzählt hatte. Sein Vater, ein Mann na­mens „Coon Dog" Connor, beging danach Selbstmord und Grams Mut­ter heiratete dann einen aus New Orleans stammenden Mann namens Parsons. Erst sehr viel später, als man begann, Gram in Artikeln und Büchern späte Anerkennung für das Erfinden einer neuen Musikrichtung zukom­men zu lassen, erfuhr ich, dass seine Mutter am Tag vor seinem Highschool-Abschluss an Unterernährung infolge von Alkoholismus gestorben war. Ihr Vater hatte noch Cypress Gardens und fast alle Orangen in Zen­tralflorida besessen. Aber mittlerweile war sogar das Haus in Waycross, in dem Gram lebte, abgebrannt.

    Wie wir dort oben, dem Himmel nahe, hoch über dem Sunset Boule­vard saßen, schien es, als könnten wir in Richtung Osten bis heim nach Georgia sehen, mal abgesehen vom Smog. Aber hätte es keinen Smog ge­geben, was hätten wir dann schon zu sehen bekommen, außer den Leu­ten, die den Smog erzeugten? Gram zog am Joint und inhalierte tief. Ein silbernes Indianerarmband mit Hakenkreuzen hing an seinem Handge­lenk und seine Augen waren von undurchdringlichem Hellgrün wie Vo­geleier. „Schau es dir an, Mann, sagte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. „Sie nennen es Amerika, und sie nennen es Zivilisation, und sie nennen es Television, und sie glauben daran und bezeugen ihm die Ehre und besingen es in Liedern, und sie essen und schlafen und sterben, noch immer daran glaubend, und – und – ich weiß nicht, sagte er und nahm einen weiteren Zug, „dann kommen manchmal die Mets daher und ge­winnen die ‚World Series‘ –"

    Mit all der Erleuchtung, die ich in diesem Moment verkraften konn­te, trudelte ich zurück durchs Haus auf die Veranda, wo alle, die schon dort gewesen waren, und einige Neuankömmlinge gerade ein Powwow abbrachen und Jagger zurückließen, der zu einem sehr großen, jungen Mann mit Löwenmähne und roten Bartstoppeln an den Backen aufblick­te und also sprach: „Schau, Chip, – da wusste ich, dass es ihn wirklich gab, diesen Mann, der sich selbst Chip Monck nannte – „wir können nichts mit Publikumsbeteiligung machen. Ich meine, ich schätze deinen Vorschlag und wir möchten sie auch gerne involvieren, aber wir können nicht ‚With A Little Help From My Friends‘ spielen und – was kennen sie denn? Du kannst von den Leuten nicht erwarten, dass sie bei ‚Paint It Black‘ mitsin­gen. Rock ’n’ Roll ist jetzt eine sehr coole Sache geworden, aber die Rol­ling Stones sind keine solche coole Angelegenheit. Was wir tun, ist viel alt­modischer, und weisst du, es ist nun mal nicht so, dass die Rolling Stones fünf hingebungsvolle Musiker wären – ich meine, ich würde viel lieber in einem goldmetallicfarbenen Cadillac auf die Bühne kommen und einen goldenen Anzug tragen oder so was ähnliches –

    Plötzlich, aber sanft und völlig ruhig, legte Chip seine Hände auf Micks Schultern und sagte in diesem weichen Bariton, der vor zwei Monaten Hunderttausende vom Dope ausgefreakte und vom Schlamm aufgeweichte Besucher des Woodstock-Festivals beruhigt hatte: „Ich möchte nur, dass du weisst, wie sehr es mich freut, mit euch zu arbeiten."

    Mick lachte. Als Chip ihn berührte, hatte er die Hände hochgenom­men, um ihn am Schlüsselbein auf Armlänge auf Distanz zu halten. Nicht ganz sicher, ob Mick nun über ihn lachte, lachte auch Chip. Beide stan­den mit leicht gebeugten Knien in der klassischen Ausgangsposition der Ringer da und grinsten einander an. Drinnen spielte jemand Klavier. Ich schaute nach, sah, dass es Keith war, gesellte mich auf der Bank zu ihm und fragte: „Was wird nun aus diesem Buch?" Ich vertraute Keith, zu­mindest soweit, dass ich annahm, er würde die Wahrheit sagen; ein Mann mit blauem Zahnfleisch hat es nicht nötig zu lügen.

    „Was soll damit sein? fragte er und spielte keine erkennbare Melodie. „Ich brauche einen Brief.

    „Ich dachte, Jo hat dir einen Brief geschickt."

    „Viele Briefe, aber alle nicht das, was ich brauche. Sie sagt, ich benöti­ge Allen Kleins Zustimmung."

    „Du brauchst von niemandem die Zustimmung. Alles was du brauchst, sind wir. Jo! Hey, Jo!"

    Aus den Tiefen des verschlungenen Gebäudes tauchte Georgia Berg­man auf. Sie war die Sekretärin der Stones, ein angloamerikanisches Mädchen in den Mittzwanzigern mit schrulligem, schwarzem Haar, das in der damaligen Mode wie elektrisch zurechtgemacht war und rundherum wie eine grässliche Perücke abstand.

    „Was ist mit diesem Brief?" fragte Keith. Er spielte noch immer nichts, was man hätte erkennen können.

    „Wir haben ihn abgeschickt, sagte Jo. „Aber er war nicht in Ordnung, es hat nicht funktioniert, es ähmmm -

    „Ich werde mit Mick darüber sprechen, sagte Keith. Das war zwar ein schwacher Trost für mich, aber ich sagte „fein, und Jo nahm mich auf einen Spaziergang über das Grundstück mit, das man zusammen mit der Villa für viel Geld von einem Mitglied des Chemie-Clans der Du Ponts gemietet hatte. Wir schlenderten nach hinten hinaus zur entferntesten Ecke des Besitzes, wo es für die Kinder ein kleines Haus zum Spielen, eine Rut­sche und Schaukeln gab. Ich ging mit gesenktem Kopf und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.

    Kaum länger als ein Jahr vorher, im September 1968, war ich nach England gefahren, um die Stones zu besuchen. Ich hatte mir dabei gedacht, dass mir noch diese eine Story fehlte, um eine Sammlung von Artikeln über Musik zu veröffentlichen. Fast drei Jahre lang, seit Mick, Keith und Brian wegen Drogenbesitz in Haft gekommen waren, hatten sich die Stones aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und nur ein einziges Mal waren sie öf­fentlich aufgetreten. Ich traf die Stones, war bei Brians Gerichtsverhand­lung dabei und schrieb eine Story – aber ich hatte nur ein flüchtiges Auf­blitzen des Mysteriums der Rolling Stones in Brians Augen erhascht, als er kurz von der Anklagebank aufblickte. Im Frühling, nach Veröffentli­chung der Story, fragte ich an, ob sie beim Schreiben eines Buches über sie mit mir zusammenarbeiten wollten. Es wurde Juni, und ich wartete noch immer auf eine Antwort, als Brian, der die Band gegründet hatte, ausstieg, wegen „musikalischer Differenzen" mit den anderen Stones, wie er sagte. Weniger als einen Monat später rief mich Jo Bergman mitten in der Nacht an, um mir mitzuteilen, dass man Brian tot aufgefunden hatte, ertrunken in seinem Swimmingpool.

    Einige Wochen später schickte mir Jo einen Brief im Namen der Sto­nes, in dem sie ihre Zusammenarbeit anboten – allerdings auf der Basis eines Vertrags zwischen ihnen, den Verlegern und mir. Aber es ist un­möglich, unter solchen Umständen gute Arbeit zu leisten. Man muss so gut wie möglich schreiben und darf keinerlei Kontrolle über irgendwelche Dinge mit irgend jemandem teilen, weder hinsichtlich des Manuskripts noch bezüglich des Geldes. Bei jedem anderen Arrangement kommt Publicity, aber nicht Literatur heraus. Schließlich übergab Jo die Sache mit dem Buch, in Vertretung von Allen Klein, an Ronnie Schneider, der weit­hin als der mächtigste Agent im Showbusiness galt. Als Akt der Selbstver­teidigung heuerte ich ebenfalls einen Agenten an, der auf dem Gebiet der Literatur das Gegenstück zu Klein darstellte. Er schickte Schneider einen Brief, den die Stones unterschreiben sollten. Aber Keith wiederum sagte, dass ich Klein überhaupt nicht brauchen würde. Warum erzählte Jo dann aber Klein oder seinem Neffen Schneider von meinem Buch?

    Jo saß in einer Schaukel und pendelte langsam hin und zurück. Es war, wie ich herausfinden sollte, typisch für die Art der Stones, Geschäfte ab­zuwickeln: dass ich, wie auch Jo selbst, nicht genau wusste, was sie eigent­lich für sie machte und dass die Stones das auch nicht wussten. Sie hatte in London einen Astrologen konsultiert, der ihr gesagt hatte, dass ich die­ses Buch schreiben, es mich aber alles außer meinem Leben kosten würde. Sie wusste die Details nicht – ich wurde, während ich dieses Buch schrieb, von den Hell’s Angels angegriffen, ich kam ins Gefängnis, wurde auf der Memphis-Arkansas-Brücke von einem Holztransporter angefahren, brach mir bei einem Sturz von einem Wasserfall in Georgia den Rücken und hatte epileptische Anfälle beim Entzug von Drogen. Aber selbst wenn sie das alles gewusst hätte, sie hätte es mir nicht erzählt. Sie erzählte mir auch nichts von dem Astrologen – bis sehr viel später, als es keine Möglichkeit zum Umkehren mehr gab. Ich erkletterte jetzt, eifrig wie ich war, nur mit meinen Händen die Kette einer Schaukel – erkletterte sie ohne Probleme, da ich monatelang nichts anderes getan hatte als Briefe in „Basic English an die Stones zu schreiben und Gewichte zu heben. Als ich oben war und mich wieder auf den Weg nach unten machte, flatterte mein Schal hoch und geriet zwischen meine Hand und die Kette. Die Seide war wie Öl, meine Hand bekam keinen Halt und ich krachte zu Boden, verbrannte die Hand, zerfleischte meinen kleinen Finger, schlug ihn mir bläulichweiß und große, dunkelrote Tropfen quollen dort, wo das Fleisch vom Nagel gerissen war, hervor und fielen in den Staub. „Ich dachte mir, dass dir das passieren würde, sagte Jo, und ich dachte nur: „Wo bin ich hier eigent­lich? Was geschieht mit mir?" Ich war in Kalifornien und wurde für das Tragen eines Schals bestraft.

    Mit einer Art psychischem Hinken ging ich vom Spielplatz weg. Al Steckler, ein Promotionmann von Kleins Büro in New York, kam am Hin­tereingang an und trug einen Diplomatenkoffer bei sich. Wir hatten ein­ander in London kennengelernt. Ich begrüßte ihn und ging hinein, um auf der Couch zu sitzen und an meinem kleinen Finger zu lutschen. Als nächstes nahm ich wahr, dass Jagger neben mir saß und fragte: „Was ist nun mit diesem Buch?"

    „Was soll damit sein?" Ich schaute mich im Raum um. Steckler und ein paar andere Leute waren da; Jo saß mit einer Polaroidkamera auf dem Boden und machte ein Bild von Mick und mir.

    „Diese Bücher sind nie was wert", sagte Mick.

    „Das stimmt, antwortete ich und nahm an, dass er Bücher wie „My Story von Zsa Zsa Gabor, erzählt von Gerold Frank, meinte. „Aber ich werde kein solches Buch schreiben."

    „Wovon würde dein Buch handeln?"

    „Wovon?"

    „Du weißt schon, was würde drinstehen?"

    „Wovon wird dein nächster Song handeln?"

    „Von einem Mädchen in einer Bar, Mann, ich weiß nicht. Es ist viel leichter, einen Song zu schreiben als ein Buch."

    „Ich bin hip, sagte ich. „Ich bin verdammt kompetent, Bucky. Er lachte so freundlich, dass ich sagte: „Na ja, vielleicht kann ich dir eine Idee davon vermitteln. Ich starrte in die Düsternis, runzelte die Stirn, und Mick sagte: „Du musst es mir nicht jetzt erzählen, denk ein wenig darüber nach, wenn du willst –

    „Nein, wenn ich zu lange darüber nachdenke, wird es mir langweilig." Mick lachte wieder. Die anderen waren still und beobachteten uns. Jo wartete darauf, dass sich das Polaroidfoto entwickelte.

    „Vielleicht kann ich einen Vergleich ziehen, meinte ich und erzählte Mick von meiner Story über einen Blues-Sänger, der mehr als vierzig Jahre lang in Memphis die Straßen gefegt hatte. „Aber er ist mehr als nur ein Straßen­kehrer, weil er niemals zu spielen aufgehört hat, wenn du verstehst, was ich meine. Ich schaute Mick nicht an, um herauszufinden, ob er verstand. „Man schreibt, erzählte ich ihm, „über Dinge, die das Herz bewegen, und in der Story über den alten Blues-Sänger habe ich darüber geschrieben, wo er lebt, und über die Songs, die er singt, und ich habe die Dinge aufge­listet, die er in den Straßen zusammengefegt hat, und ich kann ihm, Furry Lewis, nicht erklären, was an ihm ist, das mein Herz berührt, und genauso wenig kann ich dir sagen, was ich über die Rolling Stones schreiben würde. Und daher nehme ich an, dass ich deine Frage nicht beantworten kann. –„Nein, sagte er, „du hast sie beantwortet, und zum ersten Mal, seit es mir vor langen Monaten in den Sinn gekommen war, dieses Buch zu schreiben, hatte ich diesbezüglich ein gutes Gefühl. Das hätte mir eine Warnung sein sollen.

    Jo zeigte uns das Foto. Es war zu dunkel; Mick und ich waren nur zwei finstere Köpfe, wie Mount Rushmore als Ruine. Steckler öffnete seinen Aktenkoffer, um Mick das Cover des Konzertprogramms der Stones zur Zustimmung vorzulegen. Es zeigte ein Mädchen, das eine Empirefrisur auf dem Kopf, einen überraschten Ausdruck im Gesicht und ein im Wind flatterndes Cape trug, das die üppigen Formen enthüllte. Mick war ein­verstanden. Keith und Gram kamen vom Tennisplatz zurück und setzten sich ans Klavier. (Keiner der Stones konnte

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