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Samuel Hieronymus Hellborn: Memoiren eines Rockstar-Mörders
Samuel Hieronymus Hellborn: Memoiren eines Rockstar-Mörders
Samuel Hieronymus Hellborn: Memoiren eines Rockstar-Mörders
eBook310 Seiten4 Stunden

Samuel Hieronymus Hellborn: Memoiren eines Rockstar-Mörders

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Über dieses E-Book

Haben Sie sich auch schon mal gefragt, warum so viele Rockstars auf dem Höhepunkt ihrer Karriere das Zeitliche gesegnet haben? Geschah dies aus Zufall - oder hatten der Teufel, die Plattenindustrie und die CIA ihre Hände im Spiel?
Hollow Skai lüftet nun das Geheimnis: Es war das Werk von Samuel Hieronymus Hellborn, einem durchgeknallten Serienkiller, der 75 Jahre lang sein Unwesen in der Musikbranche trieb und unsere größten Idole um die Ecke gebracht hat, damit aus ihnen keine langweiligen alten Fürze wurden.
Eine Geschichte, die Sie nie für möglich gehalten haben - und die Sie lieber nie gehört hätten.
Verglichen mit Samuel Hieronymus Hellborn war Charles Manson nur ein harmloser Chorknabe. (Stefan Schmitz)

Herrlich bösartige Erzählung des Punk-Urgesteins Hollow Skai (Deutschlandradio)

Ein Muss für Fans von historischen Romanen (N24)

Die Musikgeschichte, wie wir sie kennen, muss umgeschrieben werden! (Eclipsed)

Infotainment auf höchstem Niveau (Good Times)

Äußerst unterhaltsam (musikexpress)
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum21. Sept. 2020
ISBN9783752694277
Autor

Hollow Skai

Hollow Skai ist so alt wie der RocknRoll und die Fender Stratocaster, gründete einst das Independent-Label No Fun Records, verfasste unter anderem ein Standardwerk über Punk, Bücher über Sex, Love & RocknRoll, die Rote Gourmet Fraktion, die Toten Hosen und die Neue Deutsche Welle sowie die inoffizielle Rio-Reiser-Biografie Das alles und noch viel mehr.

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    Buchvorschau

    Samuel Hieronymus Hellborn - Hollow Skai

    Ähnlichkeiten

    mit lebenden oder toten Personen

    sind rein zufällig.

    INHALT

    Prolog: Nur ein toter Popstar ist ein guter Popstar

    Born Under A Bad Sign

    Fais Do Do

    Echos De France

    I’ll Never Get Out Of This World Alive

    The Day The Music Died

    I‘ve Been Loving You Too Long

    Paint It Black

    Saint Paul

    Sympathy For The Devil

    Break On Through (To The Other Side)

    The Road Goes On Forever (And The Party Never Ends)

    Here Today, Gone Tomorrow

    X-Offender

    Who‘s Next

    Live Fast – Die Young

    (Just Like) Starting Over

    I Shot The Sheriff

    Can‘t Put Your Arms Around A Memory

    Rape Me

    All Eyez On Me

    Life After Death

    Hallelujah

    Why Is It Always This Way?

    While My Guitar Gently Weeps

    Ain’t No Sunshine

    You Know I‘m No Good

    I Will Always Love You

    Epilog: Waiting For My Man

    Editorische Notiz I

    Editorische Notiz II

    Glossar

    In memoriam

    Ludmila Hellborn

    »Das Alte freizugeben

    bedeutet, dass das Neue geboren

    werden kann.«

    Jack Kornfield

    PROLOG

    NUR EIN TOTER POPSTAR

    IST EIN GUTER POPSTAR

    Mein Name sagt Ihnen bestimmt nichts. Und wahrscheinlich haben Sie mich auch noch nie gesehen. Dabei habe ich im Laufe meines Lebens das Ansehen vieler Rock- und Popstars bewahrt: indem ich sie aus dem Weg räumte, bevor sie total langweilig wurden und ihnen nichts Neues mehr einfiel.

    Ich tat dies durchaus freiwillig und aus eigenem Antrieb. Und manchmal auch für Geld. Doch es ging mir immer nur darum, dass die Leute sich Musiker anhören, solange die noch jung und hungrig sind, und nicht erst, wenn sie Stadien füllen und bereits Stützstrümpfe tragen. Ich konnte es einfach nicht mitansehen, wenn jemand noch mit siebzig den Rocker spielte und »Still Loving You« sang oder »I Can’t Get No Satisfaction«.

    Wohin das führt, wenn man nicht bei Zeiten mit dem Flugzeug abstürzt wie Buddy Holly, erschossen wird wie Kurt Cobain oder erhängt wie Michael Hutchence, sieht man ja an denen, die in diesem Geschäft alt und grau geworden sind. Bob Dylan nimmt nur noch Platten auf, für die er sich früher geschämt hätte. Paul McCartney sieht immer mehr wie ein altes Weib aus und hat schon lange keinen Biss mehr. Und Keith Richards ist nur noch peinlich, wenn er auf Palmen klettert, um den dicken Max zu markieren, oder sich über Jaggers kleinen Mick lustig macht. »Cool zu sein bis ins Grab«, hat die französische Philologin Claude Habib mal gesagt, ist eben »gar nicht so einfach.«

    Den wenigsten Rockstars war es vergönnt, in Würde zu altern, sondern sie entwickelten sich zusehends zu Nervensägen, die es aus dem Weg zu räumen galt, um Platz für neue Talente zu schaffen. Doch mein Bedürfnis nach frischer Luft und neuer Musik war stets stärker als jeder Hass.

    Heute weiß ich, dass ich mit all den Rockstars, die ich im Laufe von fünfundsiebzig Jahren vor dem Abstieg in die Bedeutungslosigkeit oder den Drogensumpf bewahrte, auch die Spuren meines eigenen Alters beseitigte. Mein Charakter blieb so stets jung und heiter, und das sieht man mir offenbar noch heute an: manch einer nimmt mir nicht ab, dass ich bereits 1917 geboren wurde und die gesamte Entwicklung der modernen Musik vom Blues über Rock’n’Roll und Punk bis zu Reggae und Hip-Hop hautnah miterlebt habe.

    Vielleicht halten Sie ja alles, was ich Ihnen nun erzählen werde, für spinnerte Phantasien eines alten Mannes, der sich am Ende seines Lebens noch einmal wichtig machen will. Oder Sie denken, dass ich ein Serienmörder bin, reif für die Klapse oder der Teufel persönlich. Aber dann glauben Sie bestimmt auch, dass es den Club 27 wirklich gibt und Elvis noch lebt.

    Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass ich nie Gott gespielt habe, sondern selbst immer wieder am Kreuzweg stand, jenen Crossroads, an denen Robert Johnson einst angeblich seine Seele dem Teufel verkauft hat. Ich musste mich immer wieder neu entscheiden, welchen Weg ich einschlagen wollte. Und da ich überall einen Weg sah, musste ich immer wieder jemanden beseitigen. Nicht, weil ich ihn nicht mochte, sondern weil er im Weg stand.

    Bei der Wahl meiner Opfer war ich aber stets sehr wählerisch. Ich habe nur diejenigen ins Jenseits befördert, deren Musik ich wirklich gut fand. Denn wie Robert Smith von The Cure fand auch ich es widerlich, »wenn Leute, die man in seiner Jugend angehimmelt hat, im Alter die größten Idioten werden«.

    Dabei machte ich immer wieder die Erfahrung, dass kein Ereignis so viele Platten verkauft wie der Tod eines Rockstars. Weshalb das unausgesprochene Credo der Plattenindustrie auch lautet: Nur ein toter Popstar ist ein guter Popstar.

    Skrupel, sie mir aus dem Weg zu schaffen, hatte ich jedenfalls nie. Denn es war die Natur, um mit Walter Benjamin zu sprechen, die mir das Tempo vorschrieb: Wenn ich ihr nicht zuvorgekommen wäre, hätte sie selbst die Zerstörung übernommen. Und das wäre sicherlich grausamer gewesen als alles, was ich mir zu Schulden kommen ließ.

    Amen.

    I.

    BORN UNDER A BAD SIGN

    In der Stunde, in der ich geboren wurde, stromerte ein Hund durch meine Heimatstadt, den man noch nie zuvor dort gesehen hatte. Er heulte so markerschütternd, dass die Einwohner dachten, er sei direkt aus der Hölle gekommen. Als ich meinen ersten Schrei tat, war er jedoch plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Viele dachten daraufhin natürlich, der Teufel sei in mich gefahren und würde in mir weiterleben. Noch Jahre später wechselten sie die Straßenseite, wenn ich ihnen entgegenkam. Und manche, die mich viel später kennen gelernt haben, glauben das noch heute.

    Meinen Eltern gehörte damals, 1917, das Montgomery Hotel in Leland, Mississippi, das dreißig Zimmer hatte und in dem viele zugereiste Familien für zwei Dollar die Nacht unterkamen, bis ihre Häuser bezugsfertig waren. Darin untergebracht war auch ein Büro von American Express, das über das erste Telefon von Leland verfügte.

    Das Montgomery befand sich in der Nähe der Bahnstation, an der jeden Tag der »Planter« aus New Orleans auf dem Weg nach Memphis Halt machte. Unter der Woche stieg fast nie jemand aus. Wenn dieses fauchende Dampfross aber samstags in Leland einlief, wimmelte es vor dem Hotel nur so von Musikern, die von den umliegenden Plantagen in die Stadt kamen, um die Reisenden während ihres Aufenthalts mit Blues- und Worksongs zu unterhalten. Auf diese Weise verdienten sie sich ein paar zusätzliche Cent, die sie meistens noch am selben Abend in einem Speakeasy, einer Flüsterkneipe, für »Jake« ausgaben, schwarz gebrannten Schnaps, der dort während der Prohibition ausgeschenkt wurde.

    Ich kannte sie alle. Son House, der mir die ersten Akkorde auf der Gitarre beibrachte, Charley Patton, der heute als Vater des Delta Blues gilt, Chester Burnett, der sich Howlin’ Wolf nannte und später in Chicago Karriere machte, und auch Robert Johnson, von dem es ja heißt, dass er an der Kreuzung der Highways 49 und 61 seine Seele dem Teufel verkauft habe. Ohne den ging irgendwie nichts in Mississippi, was ja auch kein Wunder ist, schließlich gibt’s dort mehr Kirchen als Tankstellen und McDonald’s zusammen.

    Mein Vater, Herbert Hellborn, stammte aus Deutschland und war zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in die USA ausgewandert. In seiner Heimatstadt Hannover hatte er in einer Telephonfabrik gearbeitet, in der ab 1898 auch Schellackplatten gepresst wurden. In diesem ersten Schallplatten-Presswerk der Welt hatte mein Dad auch zum ersten Mal die Stimme von Enrico Caruso gehört, und dieses Erlebnis hatte ihn dermaßen begeistert, dass er sich schon kurz darauf ein Grammophon zulegte, das sogar die Überfahrt von England nach Amerika heil überstand. Und auch in der neuen Welt leistete es seine Dienste: Als mein Vater meiner Mutter Dora Mae Percy, einer echten Southern Belle, den Hof machte, spielte er ihr darauf Verdis Arie »Bella figlia dell’amore« aus dessen Oper Rigoletto vor, und eroberte so ihr Herz.

    Leland hatte damals knapp achthundert Einwohner, von denen viele für die Eisenbahn arbeiteten, die immer mehr den Schiffsverkehr auf dem Mississippi ersetzte, dessen Dämme zur Zeit der Depression mit öffentlichen Mitteln erhöht wurden. Und mein Vater war beileibe nicht der einzige Ausländer in der Stadt; außer ihm lebten dort auch fünf Italiener, ein Grieche, ein Ire, ein Waliser und zwei Dänen.

    Am Wochenende ging es in Leland stets drunter und drüber. Dann ließen es die Eisenbahner und die Dammbauer – Prohibition hin, Prohibition her – so richtig krachen und zogen randalierend durch die Gemeinde. Auf einen Priester kamen fünf Barkeeper. Und am Sonntagmorgen wurde man oft vom Gehämmer des Tischlers geweckt, der Särge für die Toten vom Vorabend zimmerte.

    Dass die Stadt auch als »Hell Hole of the Delta« bekannt war, verdankte sie jedoch einem Reporter, der im Hindman Hotel abgestiegen war und dort eine Schießerei falsch gedeutet hatte. Er hatte in der Lobby gesessen, als es im Saloon, der sich im Keller unter ihm befand, zu einem Streit kam. Da er nichts von dessen Existenz wusste, dachte er, dass die Kugeln, die ihm plötzlich um die Ohren flogen, direkt aus der Hölle kamen. So entstehen Legenden.

    Meine Kindheit verbrachte ich damit, am Deer Creek Enten zu füttern oder Frösche zu fangen, wie das später auch Jim Henson tat, der Erfinder der Muppets, der ebenfalls in Leland aufwuchs und einen Schulfreund namens Kermit Scott hatte.

    Anders als Henson, wurde ich von den Fröschen aber nicht zu einer niedlichen Puppe inspiriert, sondern riss ihnen die Beine aus, um zu sehen, ob sie auch ohne Gliedmaßen schwimmen können. (Als ich das später mal Johnny Cash erzählte, inspirierte ihn das zu der Songzeile »I shot a man in Reno just to watch him die«.)

    Wenn im Rex Theatre, einem Kino für Schwarze, die zwei Drittel der Bevölkerung von Leland ausmachten, Tarzan-Filme gezeigt wurden, schlich ich mich heimlich durch den Hintereingang rein. Meistens hockte ich aber wie Nipper vor dem Trichter des Grammophons und lauschte der Stimme meines Herzens.

    Enrico Caruso war der erste Schallplattenstar der Geschichte, und er klang, verglichen mit dem örtlichen Methodistenchor oder den schwarzen Blues-Musikern, wie jemand von einem anderen Stern. Die von ihm gesungene Arie »Vesti La Giubba« aus Leoncavallos Oper Pagliacci hatte sich über eine Million Mal verkauft und war der erste Welt-Hit der Schallplattenindustrie gewesen. Und jedesmal, wenn ich seine Stimme hörte, hatte ich das Gefühl, nicht in Leland eingesperrt zu sein, sondern zu schweben und davonzufliegen.

    Als ich älter wurde, trieb ich mich jedoch immer öfter in der Nähe eines teergedeckten Schuppens herum, in dem die Schwarzen den Mond anheulten, wie unsere Hausneger immer sagten. Vor allem durchreisende Blues-Musiker traten darin auf, die sich so einen Teller Gumbo, ein Po-Boy oder einen Peach Cobbler verdienten und die Nacht nicht allein verbringen mussten. Sie legten meistens viel Wert auf ihr Aussehen, trugen Krawatten und feinen Zwirn, und die Frauen himmelten sie an, weil sie mehr hermachten als die Baumwollpflücker und Maisbauern aus Leland.

    Anfangs wollte man mich gar nicht hineinlassen, weil die Schwarzen ebenso unter sich bleiben wollten wie die Weißen und mich für einen Eindringling hielten. Nachdem Son House aber ein gutes Wort für mich eingelegt hatte, wurde ich stillschweigend akzeptiert; ich durfte nur nicht Aufsehen erregen, und meine Eltern durften auch nicht erfahren, dass ich mich mit den Schwarzen schon bald besser verstand als mit meinesgleichen.

    Mein Vater wollte, dass ich an der »Ole Miss« in Oxford Rechts- oder Wirtschaftswissenschaften studiere, doch meine Mutter, die aus einer Pflanzer-Dynastie stammte, der halb Leland gehörte, bestand darauf, dass ich mich um das vierstöckige Hotel kümmerte, in dem sich heute das Highway 61 Museum befindet.

    Mit achtzehn stand ich voll im Saft und drückte mich, wann immer ich konnte, in Boss Hall’s Juke Joint auf der Main Street rum, in dem junge Typen wie Muddy Waters, John Lee Hooker oder Bukka White spielten; nicht zuletzt wagte ich mich aber wegen der schwarzen Mädchen in diesen Negerschuppen, weil die nicht so prüde waren wie meine Cousinen, sondern beim Tanzen so lasziv die Becken kreisen ließen, dass es in dem Juke Joint knisterte wie bei einem Waldbrand in den Rocky Mountains.

    Dort begegnete man mir nicht so misstrauisch wie unter Weißen, sondern teilte meine Leidenschaft für den Blues. Den gottesfürchtigen, sittsamen Bürgern von Leland war all dies natürlich ein weiterer Beweis dafür, dass der Teufel bei meiner Geburt in mich gefahren war. Doch die Schwarzen akzeptierten mich so, wie ich war, oder amüsierten sich prächtig, wenn ich rot anlief, weil eine dieser fabelhaft aussehenden Frauen sich beim Tanzen so an mir gerieben hatte, dass ich eine Erektion kaum verbergen konnte.

    Mein größtes Idol war damals die Blues- und Vaudeville-Sängerin Bessie Smith. Zum ersten Mal hatte ich von ihr 1927 gehört, als der Mississippi so viel Wasser mit sich geführt hatte, dass seine Nebenflüsse über die Ufer getreten waren und auch die Main Street von Leland geflutet hatten – ein weiteres Zeichen, dass mit mir was nicht stimmte und ich das Unglück nur so anzog. Ihren »Back Water Blues« hatte sie zwar bereits ein paar Monate zuvor in New York aufgenommen, doch als Exemplare dieser Platte im Sommer auch nach Mississippi gelangten, dachte ich natürlich, dass er von der Sintflut handelte, die Ende April weite Teile von Washington County überschwemmt und die Felder verwüstet hatte.

    In den Jahren darauf schaute ich regelmäßig in La Venes Music Center vorbei. Mal kaufte ich mir von meinem Taschengeld Bessies »Down Hearted Blues«, der mir über meinen ersten Liebeskummer hinweghalf, als mich die sittsame Tochter unseres Porters abwies. Und mal ihren sehr anzüglichen »Empty Bed Blues«, dessen wahre Bedeutung ich jedoch erst verstand, nachdem ich von einem unserer Zimmermädchen, das nach Zimt und Melonen duftete, zum Mann gemacht worden war und die Nacht wieder allein in meinem Bett verbrachte. Noch Jahrzehnte später lag jedes Mal der Geruch von Melonen in der Luft, wenn ich diese Platte spielte, und jedes Mal, wenn mir eine Bedienung in einem Café Zimt auf den Cappuccino stäubte, musste ich mich beherrschen, nicht auf der Stelle über sie herzufallen, weil mich der Zimtgeruch an die Frauen erinnerte, die mich im Negerviertel von Leland in die Geheimnisse der Liebe eingeweiht hatten.

    Bessies letzter Hit lag allerdings schon etwas zurück, als sie 1937 in Clarksdale auftreten sollte. Mit »Nobody Knows You When You’re Down And Out« war sie acht Jahre zuvor gerade mal auf Platz 15 der Hitparade gelandet. Und Columbia Records hatte zwei Jahre später den Vertrag mit der »Kaiserin des Blues« sogar aufgelöst.

    Ich verehrte sie aber so sehr, dass es mir beinahe körperlich weh tat, als sie immer mehr in Vergessenheit geriet. Dass ihre Karriere ziemlich am Ende war, wollte ich einfach nicht wahrhaben. Ich betete sie weiterhin an und wollte sie mir am 26. September 1937, meinem zwanzigsten Geburtstag, unbedingt in Clarksdale live ansehen.

    Obwohl sie noch immer ein Star war, wenn auch einer, mit deren Karriere es abwärts ging, konnte sie nicht einfach in irgendeinem Hotel absteigen. Bessie war schwarz, und die meisten Hotels waren Weißen vorbehalten. Die Sklaverei war zwar offiziell abgeschafft, doch in Mississippi herrschte noch immer strikte Rassentrennung. Nach ihrem Konzert in Memphis war Bessie deshalb noch in der Nacht nach Clarksdale aufgebrochen, wo sie am nächsten Abend auftreten sollte und es auch eine Pension für Schwarze gab. Gegen drei Uhr morgens krachte ihr Packard jedoch frontal in das Heck eines Lkw, den ich unbeleuchtet am Straßenrand des Highway 61 geparkt hatte, weil ich mal dringend austreten musste.

    Ich war natürlich total geschockt und verzweifelt, als ich erkannte, wer da in meinen Lkw gerauscht war. Ausgerechnet ich, ihr größter Fan auf Erden, hatte sie beinahe umgebracht. Bei dem Unfall war ihr fast der linke Arm abgerissen worden, sodass ich wie von Sinnen war. Mir gelang es nicht, ihr hinauszuhelfen, und als ich mit dem Lkw Hilfe holen wollte, musste ich feststellen, dass sich der Packard in ihm verkantet hatte und er sich nicht bewegen ließ. Bessie war inzwischen in Ohnmacht gefallen, und ihr Fahrer hing regungslos über dem Steuer. Zu meiner eigenen Überraschung verfiel ich aber nicht in Panik, sondern bewahrte einen kühlen Kopf und stach mit einem Schraubenzieher in den rechten Vorderreifen des Lkw, um mir eine Ausrede zu verschaffen, warum ich den Laster dort am Straßenrand geparkt hatte. Dann lief ich zu Fuß nach Clarksdale, das nur eine Meile entfernt war. Statt Hilfe zu holen, schloss ich mich jedoch in meinem Hotelzimmer ein und haderte mit meinem Schicksal.

    Als ich zu Bett ging, war die Sonne bereits wieder aufgegangen. Irgendwie gelang es mir endlich, einzuschlafen, und als ich ein paar Stunden später wieder aufwachte, frühstückte ich erst mal in aller Ruhe, als wäre nichts geschehen. Dann machte ich mich auf den Weg, um den Wagen abzuholen. Dem Tankwart, der mich zum Unfallort fuhr, erzählte ich, dass ich in der vergangenen Nacht wegen eines Reifenschadens liegen geblieben sei. Ich hatte eigentlich erwartet, dass sich die Nachricht von dem Unfall bereits wie ein Lauffeuer verbreitet hatte, doch der Tankwart verlor ebenso wenig eine Silbe darüber wie die Serviererin in dem Diner, in dem ich gefrühstückt hatte. Als wir uns dem Unfallort näherten, sahen wir schon von weitem einen Krankenwagen neben dem Lkw stehen. Wir kamen gerade noch rechtzeitig an, um mitzuerleben, wie Bessie Smith aus dem Wrack befreit und auf eine Bahre verfrachtet wurde.

    Ich hatte keine Ahnung, warum es fast neun Stunden gedauert hatte, bis sie ins G. T. Thomas Hospital, dem heutigen Riverside Hotel, in Clarksdale eingeliefert wurde, einer Klinik für Schwarze, wo man ihr sofort den Arm amputierte, sie aber trotzdem ihren Verletzungen erlag. Schon bald kursierten entlang des Highway 61 aber Gerüchte, dass zwei Krankenwagen sich geweigert hätten, sie zu transportieren, und ein Krankenhaus ihre Aufnahme abgelehnt hätte, weil sie schwarz war. Angesichts des noch immer weit verbreiteten Rassismus’ fielen solche Gerüchte natürlich auf fruchtbaren Boden und wurden nicht nur von Schwarzen für bare Münze genommen – was mir nur recht war, geriet ich so doch nicht in Verdacht, Fahrerflucht begangen zu haben.

    Was in den Morgenstunden des 26. September 1937 wirklich geschehen war, ließ sich zu meiner großen Erleichterung nicht mehr rekonstruieren. Bessie Smith war plötzlich aber wieder so beliebt wie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Selbst Leute, die sie schon lange abgeschrieben hatten, weinten sich nun die Seele aus dem Leib, und die paar Schellackplatten, die es von ihr noch in La Venes Music Center in Leland gab, waren schnell ausverkauft.

    Anfangs regte mich das fürchterlich auf, weil ich die meisten für Heuchler hielt und für ihren Tod mitverantwortlich machte – als wären sie es gewesen, die den Lkw am Straßenrand geparkt hatten. Ich wollte meinen Kummer nicht mit Leuten teilen, denen Bessie Smith nicht so viel bedeutet hatte wie mir, die nun aber so taten, als seien sie schon immer ihre größten Fans gewesen. Ich liebte sie einfach über ihren Tod hinaus und war eifersüchtig auf jeden, der auch um sie trauerte.

    Es war wirklich verrückt, wie viele Leute Bessie Smith plötzlich vermissten. An ihrer Beerdigung auf dem Mount Lawn Cemetery in Sharon Hill, Pennsylvania, nahmen zehntausend Trauernde teil. Und selbst meine Cousinen, die mich zuvor immer ausgelacht hatten, weil ich eine Lesbe verehrte, gaben sich nun untröstlich.

    Als mir ihr Getue eines Tages wieder mal auf den Geist ging und ich mich angewidert von ihnen abwandte, bemerkte meine Mutter jedoch meinen Blick und nahm mich zur Seite. »Jesus ist für unser aller Sünden gestorben«, erklärte sie mir. »Ich möchte zwar Bessie Smith nicht mit Jesus vergleichen, aber sie ist auch für uns alle gestorben, wie sie ja auch für alle gesungen hat – und nicht nur für dich oder mich.«

    Dagegen war nichts einzuwenden. Ja, die Frömmelei meiner Mutter brachte mich sogar auf eine Idee. Wenn kein Ereignis so viele Platten verkaufte, wie der Tod eines Stars, sagte ich mir, dann müssten die eben beizeiten sterben.

    II.

    FAIS DO DO

    Der Legende zufolge soll Robert Johnson 1930 an den Crossroads in Clarksdale seine Seele dem Teufel verkauft haben. Doch das ist natürlich blanker Unsinn, den sein Konkurrent Son House in die Welt gesetzt hat.

    Son House hatte sich in Leland immer über Robert Johnson lustig gemacht, weil der zwar ein ganz passabler Mundharmonika-Spieler war, aber seine Klampfe nicht stimmen konnte, sodass die Leute geradezu wütend wurden, wenn er in Boss Hall’s Juke Joint oder in Margaret’s Blue Diamond Club auftrat. Robert war deshalb zwölf Monate lang bei Willie Brown in die Lehre gegangen, dem Sideman von Charley Patton, und viel in Arkansas und Louisiana unterwegs gewesen.

    Als er ein Jahr später wieder nach Clarksdale zurückkehrte und sich im Barbershop von Wade Walton senior die Haare schneiden ließ, war er kaum wiederzuerkennen. Robert trug einen schnieken Nadelstreifenanzug, ein gestärktes weißes Hemd, eine gestreifte Seidenkrawatte, blank geputzte Schuhe und einen Borsalino, wie er in New York City Mode war. So unterschied er sich schon rein äußerlich von Wades Kumpels, die kein Geld hatten, um sich von ihm rasieren zu lassen, in dem Friseurladen aber täglich abhingen, weil sie arbeitslos waren und eins im Überfluss besaßen – Zeit.

    Natürlich wurde er sofort von dem etwas älteren Son House gefragt: »Na, Junge, hast immer noch deine Gitarre, was? Aber kannst immer noch nicht darauf spielen.« Johnson ging darauf aber gar nicht ein, sondern lieh sich von ihm, der damals so was wie der ungekrönte König des Delta Blues war, seinen Stuhl, ließ seine Finger geschwind über die Saiten gleiten und sang: »When the train rolled up to the station I looked her in the eye ...«

    Ihr hättet mal sehen sollen, wie baff Son House war!

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