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Tales of Beatnik Glory, Band IV (Deutsche Edition): Ohne einen Tropfen Blut
Tales of Beatnik Glory, Band IV (Deutsche Edition): Ohne einen Tropfen Blut
Tales of Beatnik Glory, Band IV (Deutsche Edition): Ohne einen Tropfen Blut
eBook272 Seiten3 Stunden

Tales of Beatnik Glory, Band IV (Deutsche Edition): Ohne einen Tropfen Blut

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Über dieses E-Book

Band IV der vierbändigen deutschsprachigen Ausgabe von "Tales of Beatnik Glory" über die Jahre 1968-69.
Eine Sammlung von höchst vergnüglichen und schrägen Geschichten um einen Dichter aus dem Hinterland, der zuerst in New York landet und von dort aus die verschiedenen Phasen der alternativen Szene der USA erlebt.

Der hier vorliegende abschließende Band der "Tales of Beatnik Glory" erzählt von den Geschehnissen einer Hippie-Kommune in Kansas. Hanfanbau, Vietnamkrieg und Polizeirazzien bestimmen die Szene und die Stories führen weiter an die Westküste der USA, wo die Hippiebewegung im aufkeimenden Rockmusik-Business in L.A. dem Prozess der Kommerzialisierung unterzogen wird. Auch der politische Aktivismus kommt mit der Besetzung der Gefängnisinsel Alcatraz durch amerikanische Ureinwohner zur Sprache, bevor sich der Dichter in die akademische Provinz zurückzieht.
In einem abschließenden Kapitel treffen die Protagonisten aller vier Bände der "Tales of Beatnik Glory" noch einmal im New York der 1990er Jahren aufeinander, um gemeinsam Résumé zu ziehen.

Kaum jemand hat die alternativen kulturellen Strömungen in der Kunst, der Musik und vor allem in der Literatur stärker beeinflusst als die amerikanische Nachkriegsgeneration der Beatniks. Jack Kerouac, Allen Ginsberg, William S. Burroughs und Ed Sanders sind Vertreter jener "Wilden Generation", die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren und noch heute mit ihren literarischen Werken neue Formen des Schreibens dokumentierten.

Ed Sanders, Gründungsmitglied der legendären Fugs und Herausgeber des nicht minder legendären Avantgarde-Magazins Fuck You, gilt als Verbindungsglied zwischen der Beatnik-Szene der 1950er und der Hippie-Bewegung der 1960er Jahre. In den vierbändigen "Tales of Betanik Glory" hat er seine Erinnerungen an diese Jahre literarisch aufgearbeitet.
SpracheDeutsch
HerausgeberFuego
Erscheinungsdatum25. Apr. 2014
ISBN9783862870981
Tales of Beatnik Glory, Band IV (Deutsche Edition): Ohne einen Tropfen Blut

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    Buchvorschau

    Tales of Beatnik Glory, Band IV (Deutsche Edition) - Ed Sanders

    Coverbild

    — DEUTSCHE EDITION —

    Ed Sanders

    Tales Of Beatnik Glory

    Band IV

    Ohne einen Tropfen Blut

    Aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Rauch

    FUEGO

    Über dieses Buch

    — Band IV der vierbändigen Ausgabe —

    Der hier vorliegende abschließende Band der Tales of Beatnik Glory erzählt von den Geschehnissen einer Hippie-Kommune in Kansas. Hanfanbau, Vietnamkrieg und Polizeirazzien bestimmen die Szene und die Stories führen weiter an die Westküste der USA, wo die Hippiebewegung im aufkeimenden Rockmusik-Business in L.A. dem Prozess der Kommerzialisierung unterzogen wird. Auch der politische Aktivismus kommt mit der Besetzung der Gefängnisinsel Alcatraz durch amerikanische Ureinwohner zur Sprache, bevor sich der Dichter in die akademische Provinz zurückzieht.

    In einem abschließenden Kapitel treffen die Protagonisten aller vier Bände der Tales of Beatnik Glory noch einmal im New York der 1990er Jahren aufeinander, um gemeinsam Résumé zu ziehen.

    Kaum jemand hat die alternativen kulturellen Strömungen in der Kunst, der Musik und vor allem in der Literatur stärker beeinflusst als die amerikanische Nachkriegsgeneration der Beatniks. Jack Kerouac, Allen Ginsberg, William S. Burroughs und Ed Sanders sind Vertreter jener Wilden Generation, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren und noch heute mit ihren literarischen Werken neue Formen des Schreibens dokumentierten.

    »Sanders erzählt mit einer gehörigen Portion Selbstironie, ohne Verbitterung, doch voll satirischem Witz aus den Urzeiten der Alternativ-Szene und die schrägen Vögel an der Lower East Side geben zu anhaltender Heiterkeit Anlass« schreibt Florian Vetsch in der Neuen Zürcher Zeitung.

    TALBOT KANDIDIERT

    Sag niemals »Ich bin ein Beat,« wenn du für den Kongress kandidierst, oder »Ich sympathisiere mit den Beats« und schon gar nicht »Ich mag diese Hippies und ihre hübschen Farben«,« sagte Talbots politischer Berater, der Abgeordnete Ervin »Top Rank« Plank, nach einer wenig erfreulichen Pressekonferenz, bei der Talbots Geschichte in der Lower East Side Poeten-Szene ausführlich erörtert worden war.

    Blume

    Rechtsorientierte Kolumnisten hatten sich schon über das Wort »Spaß« auf seinem Button hergemacht. Für sie war es ein Synonym für Sex und Marihuana und sie stürzten sich mit hektisch geschriebenen Sätzen darauf, die seiner gewagten Kampagne großen Schaden zufügten.

    Das Jahr hatte mit Schrecken begonnen, er war nicht sicher, ob im Januar und Februar, aber immer war da dieses unablässige, ungute Gefühl, wie der »Minyrismus«, eine alte griechische Lied-Tradition, ein stiller, fast unhörbarer Klagegesang, der an seinem Bewusstsein nagte. Zu Jahresbeginn gab es den berühmten Streik der Müllarbeiter in New York City, der dazu führte, dass Talbot seine Anrufe in einer Telefonzelle voller Mülltüten führen musste. Dann erfolgte die »Tet-Offensive«, schwer einzuordnen, war sie ein Zeichen dafür, dass der Krieg bald vorüber sein würde? Wahrscheinlich nicht. Talbot begann zu glauben, dass sein leises, ungutes Gefühl das Zischen des fernen Napalms in einem ewig andauernden Krieg war.

    Abgesehen vom Zischen erinnerten Talbot diese Wochen an eine frühere Sechziger-Jahre-Sinuskurve, — mit Spannung gefüllte Spitzen voller Sex und Gedichte, während er die Alben von Albert Ayler, Pharaoh Sanders und dem Celestial Freakbeam Orchestra hörte, um anschließend bei der Lektüre von Ärger, Rache, Abzocke und imperialistischem Abschlachten im gierigen Chaos der Zeitungen still in die Täler der Hoffnungslosigkeit abzugleiten.

    Das Grauen schien Ende März ein Ende zu haben, als Talbot nach Washington eingeladen war, um an Martin Luther Kings Poor People’s Campaign mitzuarbeiten. Talbot hatte solche Energie nicht mehr seit dem »Freedom Summer« gefühlt. Die Kampagne rief dreitausend arme Menschen auf — Schwarze, Puerto Ricaner, Weiße, eingeborene Amerikaner, Mexikaner — mit ihren Wohnwagen nach Washington zu ziehen, dort Zelte aufzustellen und in ihnen zu schlafen, damit täglich Abgesandte zu den Ministerien gehen konnten. Die Zahlen waren steigend, von dreitausend über dreihunderttausend bis zu drei Millionen, alle würden vor Ort campen und die Regierung zu Ergebnissen zwingen.

    Die erste Forderung der Poor People’s Campaign war ein Ausgleich für die siebzig Milliarden Dollar, die für Waffen ausgegeben wurden, um davon Jobs, Essen und Wohnraum zu schaffen. Es war die bestmögliche Antwort auf seinen Zustand der Verzweiflung und Talbot konnte gar nicht abwarten, dabei zu helfen, die Hauptstadt und dann die gesamte Nation in einem großen sozialen Aufruhr umzuwälzen. Er packte für seine Zugreise gen Süden, um King zu treffen, während er dem ergreifenden Rücktritt Johnsons am 1. April zuhörte.

    Dann kam der Tag des Jüngsten Gerichts in Memphis und der Minyrismos wurde zu einem schmerzhaften, ohrenbetäubenden Klagen der Trostlosigkeit. Es war eine Trostlosigkeit, die ihn im Zustand der Unruhe hielt, weil sie von einem zähneknirschenden Ärger begleitet wurde. Zum ersten Mal wurde er sich dem Vorhandensein einer Verschwörung bewusst. In diesem Moment und später war er sich sicher, dass der rechte Flügel, vielleicht sogar das Militär, seinen Helden ermordet hatte, und schüttelte ungläubig den Kopf, als ein Einzelgänger, der gerade Wochen vorher eine Barkeeper-Ausbildung in einer Schule in Los Angeles begonnen hatte, als mutmaßlicher Schütze gehandelt wurde.

    Talbot überlegte, dem Poor People’s March zu helfen, aber der große Umbruch der Massen konnte nicht ohne den Anführer King stattfinden, und so verfiel er wieder in den Zustand der Erregung – der angstbesetzten Sinuskurve des Tompkins Park.

    Als Robert Kennedy einen Monat später nach seiner Siegesrede bei der Eismaschine in der dunklen Hotelküche zu Boden glitt, war Talbot so niedergeschlagen, dass er sich im wahrsten Sinne des Wortes für Wochen nicht mehr vom Fleck rühren konnte. Eine Dreißig-Nullsechser-Patrone und die Salve einer Zweiundzwanziger hatten Geschichte umgebracht. Es war so, als ob ein Klanmitglied ein Bleirohr genommen und auf ein schrecklich vermurkstes Land eingeschlagen hätte, ein Land, so groß wie ein dreitausend Meilen großer Patchwork-Teppich, und Talbot fühlte sich plötzlich alt, hässlich, unzulänglich, niedergeschlagen, töricht und jeglicher Energie, Sehnsucht und Ziele beraubt. Vorher war er Talbot der Große, eine »Sonnenblume« seiner Generation, angestrahlt von den starken Spotlights der Gerechtigkeit. Aber nun, nach fast einer Dekade ununterbrochener Arbeit für die Bürgerrechte, gab es keine Wege, keine Spotlights, keine Eingebung, keine Hoffnung, keine Anweisungen, keine Botschaft und absolut keine Möglichkeit für den Großen Wandel.

    Als das Fernsehen Kennedys Trauergeleit zeigte, das mit dem Zug entlang der Küste nach Washington zog, überkam ihn eine religiöse Anwandlung und er sank auf die Knie, legte seinen Kopf auf die als Couchtisch dienende Kiste neben die silberne Wasserpfeife und betete. Er war entschlossen, ein neues Ziel für seinen Lebensweg zu finden, vielleicht die juristische Fakultät oder sogar das Ministerium. Seine Mittellosigkeit zermürbte ihn, er musste sich mit den üblichen Delikatessen der Beat-Ära begnügen, mit Fünfundzwanzig-Cent-Spaghettipackungen, einer Ketchtup-Sauce von Odessa und mit von Ratten angekautem Basilikum, das in einem Topf am Notausgangsfenster wuchs. Manchmal fuhr er zum Abendessen zu seiner Mutter nach Harlem, aber das war noch deprimierender, weil sie immer wieder darauf zu sprechen kam, dass er einen Job in einem Laden finden oder sogar wieder Abbrucharbeiten mit seinem Onkel in Brooklyn ausführen solle.

    Mitten in dieser fast totalen Bewegungslosigkeit fand die Party zur Feier seiner »Freedom Poems« im Peace Eye Bookstore statt. Dank einer Spende von Johnny Ray Slage, der durch einen Vorschuss für sein in L.A. aufgenommenes Album reichlich Geld zur Verfügung hatte, gab es große Stapel seines sehr kunstvoll gedruckten Buches. Mit losen Schnürsenkeln und reichlich benommen tauchte ein verlegen blickender Talbot auf, der kopfschüttelnd zurückzuckte, als sie ihm beim Hereinkommen applaudierten.

    Er verspürte einen Anflug von Angst, als er vor Beginn seiner Lesung einen kurzen Blick auf das Publikum warf. Was er sah, war wie ein Hogarth-Druck seiner gegenwärtigen anarcho-erotischen Misere. In Frühjahr des Jahres ’68 hatte er ein bisschen zu viel herumgebumst und sich auf das Säuseln von verhätschelnden, beruhigenden Worten verlassen und jetzt war sein Liebesleben verkorkst. Alle drei der Wilden Frauen aus der Zehnten Straße — Debbie Harnigan, Enid Baumbach und May Heath, waren in unterschiedlichen Graden von Besessenheit und Konkurrenzkampf in ihn verliebt, und sie waren alle gekommen, um ihren Mann im Peace Eye zu sehen. Ebenso in der ersten Reihe saß Cynthia Pruitt mit leuchtenden Augen und rosa Gesicht, seine Catholic Worker-Flamme, die ihn gern in ihrem Bett aufwachen sehen wollte. Seine Mutter hatte ihn dazu gebracht, die erste Sopranistin ihres Kirchenchors zu treffen, und beide warfen im Peace Eye strenge von Religiosität und Missbilligung erfüllte Blicke auf die Wilden Frauen. Seine langjährige Freundin Rose Snyder war die einzige, die fehlte. Er sah Rose ungefähr einmal im Monat, aber nun war sie sehr krank und hatte gerade ihren vierundsiebzigsten Geburtstag im Krankenhaus gefeiert. Talbot schaute nach Roses Katze und goss die Blumen in dem Appartment ihrer Kindheit, das sie für fünfzig Jahre verlassen hatte, um sich der Arbeit in der Antikriegs- und Bürgerrechtsbewegung zu widmen.

    Seine Freunde und Unterstützer waren so zahlreich erschienen, dass Bücherregale beiseite geräumt werden mussten. Diejenigen, die wegen der Jahre der stillen, unermüdlichen Empörung, die in seinen bemerkenswert erzählten »Freedom Poems« explodierte, zu ihm aufschauten, applaudierten ihm zu jedem seiner Worte. Genau in diesem Moment, als er in dieser Nacht im Peace Eye stand und große Beifallsbekundungen erhielt, dachte er, »Ich bin ein Nichts. Völlig bedeutungslos. Eine Null.«

    Er endete mit dem berühmtesten seiner Gedichte, jenes, das seinen Hass auf Ethrom Slage, den Klan-Führer, der ihm mit einem Bleirohr während eines Freedom Rides die Beine so massiv verletzt hatte, dass seine Karriere als Fullback im College beendet war. Es erzählte auch davon, wie Talbot und Sam Thomas Ethroms Sohn Johnny Ray halfen, dem Klan zu entfliehen und zur Lower East Side zu kommen. Johnnys tatsächliche Identität war in dem Gedicht verschleiert, jetzt, wo er ein angehender Star war, wollte er nicht, dass man in der Rock ’n’ Roll-Presse darüber schreibt.

    Talbot weinte zum Ende des Gedichts, krempelte sein Hosenbein hoch, zeigte die Narben an seinen Beinen und steigerte seine Stimme zu den letzten Zeilen.

    Er tat mir das an!

    Er ruinierte mein Leben.

    Er schlug auf mich ein im Todes-Bus!

    Er zerschlug meine Träume!

    Seine Freunde weinten auch und bewegten sich wie eine wogende Masse in einer Kundgebung.

    Aber der Tag wird kommen für die totale Befreiung

    von Hass und Ausgrenzung

    Totale Befreiung, totale Befreiung

    eine große Nation wird es ermöglichen

    nichts wird es aufhalten können

    Totale Befreiung, totale Befreiung

    Der Raum nahm seinen Gesang mit ihm auf, »Totale, totale, totale Befreiung ...«. Talbot stand mit gesenktem Kopf in dem überwältigenden Beifall und dachte, was immer auch in seinem Leben passiert, die Wandlung eines Klankindes würde ihm Kraft geben.

    Der Abgeordnete Plank hatte Talbot während der Lesung sorgsam beobachtet und ging dann mit ihm zu Stanley’s Bar, wo Talbot sich alles von der Seele sprach — seine Verwirrtheit, seine Depression, seine Armut, sein verpfuschtes Liebesleben, sein heilloses Sich-Ausgelaugt-Fühlen zu Zeiten seiner Schnorrerei.

    Plank, der seine Karriere als ein Organisator für die Kommunisten in der Bekleidungsindustrie begonnen hatte, war fünfunddreißig Jahre später eine Größe innerhalb der New York City-Demokraten. Seine politischen Ziele hatten sich weiterentwickelt und ähnelten nun, sagen wir mal, denen der schwedischen Sozialdemokraten. Seine Vision war eine Wirtschaft, in der sich ungefähr fünfzig Prozent der Unternehmen in privater Hand befänden und fünfzig Prozent Schlüsselindustrie treuhänderisch vom Staat für das Volk geführt würde. Plank lieh sich Stanleys Telefon und fand dank seiner politischen Beziehungen einen zeitlich begrenzten Job für Talbot im Jugend-Mobilisierungs-Büro in der Avenue A.

    Als er versucht, Talbot in dieser Nacht in einer Bar voller Künstler und Aktivisten aufzumuntern, hatte Plank eine Idee, die auf der Begeisterung von Talbots Freunden und Unterstützern während der Lesung im Peace Eye beruhte. Du hättest die Gesichter im Buchladen sehen sollen. Ich denke, du solltest kandidieren. Eines Tages könntest du es bis Washington schaffen, oder du könntest der erste schwarze Bürgermeister sein.«

    Talbot war nicht beeindruckt.

    »Ich scherze nicht«, fuhr der Abgeordnete fort. »Das ist dein Moment.«

    Wo vom richtigen Augenblick die Rede ist, genau in diesem Moment spürte Talbot wieder die von dem Schlag mit dem Bleirohr herrührenden, chronischen Schmerzen in seinem Knie, und er wurde daran erinnert, wie sehr er Ethrom Slage, das Klanmitglied, hasste, der wie besessen den Bus in Alabama gestürmt und mit dem Rohr auf ihn eingeschlagen hatte. Er rieb sein Knie unter dem Tisch und dachte an verpasste Gelegenheiten.

    »Weißt du, Talbot, du kannst es wirklich schaffen. Lass dich zur Wahl aufstellen.«

    »Mein Knie schmerzt an der Stelle, wo das Arschloch mich in Birmingham getroffen hat.«

    »Eines Tages wirst du dieses Bleirohr als Türstopper in Washington benutzen«, erwiderte Plank.

    Talbot ging nach Hause und dachte darüber nach. Aber zuerst einmal musste er seine Depression abschütteln. Er flüchtete sich in die Welt der Sportereignisse von 1968, die Baseball-Spielergebnisse, Geschichten über die kommende Football-Saison, die 68er Ausscheidungswettbewerbe im Schwimmen.

    Er versuchte zu joggen, um wieder fit zu werden. Niemand lief während des My Lai-Jahres, höchstens jemand, der vor einem Dope-Entzug floh. In seinen tiefausgeschnittenen Carolina Tech-Stollenschuhen trottete er um den Tompkins Square Park herum, in genau jenen Schuhen, die ihn zur NFL getragen hatten, bevor die Geschichte mit Slages Bleirohr passierte. Früher hätte Sam Thomas sich ihm angeschlossen, der mit seinen Nebraska Highschool-Turnschuhen, die mit Horus-Augen verziert waren, prächtig aussah. Talbot vermisste Sam, der jetzt mit seiner Freundin Annie Maketorch in einer Kommune in Kansas lebte. Er hatte gehört, dass sie schwanger war.

    »Unordnung, Fäulnis, Herumwandern und Chaos machen meine alte Gang kaputt«, sang Talbot der Große, als er die Schnürsenkel seiner Turnschuhe festzurrte. Er hatte vor langer Zeit gelernt, dass der Versuch, bei den ungezählten Lower East Side Einbrüchen, Trennungen, Auflösungen, Einzügen, Auszügen und Umzügen auf dem Laufenden zu bleiben, dem Schütteln eines Kaleidoskops mit farbigen Perlen auf einem Acid-Trip gleichkam.

    Eines Morgens ließ das Klicken seiner Stollenschuhe auf dem Tompkins Park-Bürgersteigs wie Schwingungen eine Idee in seiner Birne entstehen. Warum auf die Politik warten? Er dachte an Onkel Thrills berühmten Gesang »ImGrat ImGrat ImGrat.«

    »Ich werde für die Lower East Side für den Kongress kandidieren!«, rief Talbot der Große, während er zu einem Krakauer- und Eierfrühstück zum Odessa joggte. Es war zu spät, bei den Vorwahlen der Demokraten anzutreten, und nebenbei gesagt, er verachtete die Demokraten auch wegen ihres eintönigen, nicht endenden Krieges. Einige von Talbots Freunden — Enid Baumbach, Cynthia Pruitt, der Dichter Andrew Kliver und andere — ließen eine Petition herumgehen, um ihn auf dem November-Stimmzettel zu setzen und bald war Talbot in der East Side unterwegs, um Flugblätter anzubringen, die wir im Peace Eye für ihn druckten und die um Unterstützung für ihn baten.

    »Du musst jeden bitten,« riet ihm der Abgeordnete Plank. »Schau’ jeder Person in die Augen und flehe ihn oder sie behutsam an, für dich zu stimmen. Sei positiv, upbeat. Nicht beat, denk dran, aber upbeat. Und zeige dich immer mit sauberen, gepflegten Händen. J. Edgar Hoover hasste schlüpfrige Hände regelrecht. Das solltest du auch.« Talbot schlief gern bis in die Mittagsstunden und dementsprechend fiel es ihm schwer, sich morgens zusammenzuraufen und für die vormittäglichen Kampagnen fit zu sein. Seine ruhigen Stunden, in denen er bis in die Dämmerung Poesie las, seine sorgfältigen und ausgedehnten Studien des Wechselspiels von Haschisch und Jazz im Rausch der Nacht, während er es mit Cynthia Pruitt vor Mitternacht trieb und mit Enid Baumbach vor Sonnenaufgang — das lag jetzt in der Vergangenheit. Stattdessen studierte er Tag und Nacht Belange und Grundsatzpapiere. Der Lehrer-Streik. Der Müllarbeiter-Streik. Die Arbeitslosigkeit. Die Wohnungsnot. Die gegenwärtige Kriegswirtschaft. Wie man Geld aus Washington lockermacht. Wie der Kongress wirklich funktioniert. Zusätzlich begann er mit Hilfe der Yippies, des SDS, des Anti-Kriegs-Vereins, der Catholik Workers nach Wegen zu suchen, den Krieg zu beenden.

    Seit der Highschool hatte Talbot keinen Schlips mehr getragen, nun jedoch hatte er ein Sortiment von Dylan Thomas-Schlipsen und Cynthia machte für ihn ein paar Tweed Jacketts im Catholic Worker-Kleiderbestand ausfindig, in deren Taschen sich noch die Vorlesungs-Notizen des Fordham-Professors befanden, der sie gespendet hatte. Im Peace Eye gaben wir eine Cocktailparty für Talbot, um Spenden zu sammeln und hatten ein Oktett von Louella Jenkins Kirchenchor zu Gast. Für diesen Abend war das Peace Eye verwandelt. Man hoffte, Liberale zu ködern, um ihnen jeweils über fünfzehn Dollar zu entlocken, also wurden für diese Nacht die Stapel von Fuck You/A Magazine of the Arts und The Marijuana Newsletter versteckt. Der Abgeordnete Plank erspähte Allen Ginsbergs berühmtes »Pot Is Fun«-Logo, das von der allerersten Demonstration zur Legalisierung von Cannabis vor einigen Jahren stammte, und drehte es zur Wand, um die Schrift zu verstecken. Wir kratzten genug Spenden zusammen, um das geschlossene, frühere Psychedelicatessen in der Avenue A als Talbots Wahl-Hauptquartier anzumieten.

    Einige der Peace Eye-Leute waren ziemlich genervt von Louella Jenkins und so waren wir nicht unglücklich, als sie begann, statt im Laden im Psychedelicatessen-Hauptquartier abzuhängen.

    Der Blick ihrer ernsten Augen, der erfüllt war von Religiosität und einem Anti-Faulenzer-Tadel, ließ uns oft erschauern. Es waren die Augen all der ernsten Mütter in aller Ewigkeit.

    Sie war schließlich bereit, die Schwächen ihres Sohnes zu akzeptieren — vielleicht ist akzeptieren nicht der richtige Ausdruck. Sie nahm Maß wie Lachesis und zerpflückte sie wie Atropos. Es war Louella Jenkins, die die meisten Antragsformulare ausfüllte, woraufhin Talbot eines Morgens perplex im Postamt an der Stuyvesant Station stand und begriff, dass er an der Columbia University zum Studium der Rechtswissenschaften zugelassen worden war.

    Die Farbrente Rose wurde die Wahlkampfmanagerin. Mittels einer Gehhilfe entliess sie sich selbst aus dem Krankenhaus und leitete das Wahlbüro im alten Psychedelicatessen mit der gleichen Entschlossenheit, die sie auch während der Roosevelt-Ära in die Kampagne für die Gesetze gegen Kinderarbeit an den Tag gelegt hatte. Es war eine Neuauflage vom Freedom Summer, trotz ihrer Vierundsiebzig hatte Rose sich eine natürliche Lebenslust bewahrt. Johnny Ray Slage, dessen Album Ready to Rock nun beinahe in den Tops der Billboard-Charts war, veranstaltete ein Benefiz-Konzert im Fillmore East in der Second Avenue und überliess Talbot genügend Bargeld, dass einiges an Porto und Anzeigen im East Village Other gezahlt werden konnte.

    Ziemlich schnell fand Talbot zwei allgemeingültige Wahrheiten über politischen Wahlkampf heraus:

    1.) politische Flugblätter sind keine Gedichte (dies lernte er, während er wie unter Strom seine Taschen und Notizbücher mit hastig geschriebenen Ideen für Reden, Poster, Werbung und Thesenpapiere füllte, und

    2.) Freiwillige verdrücken sich.

    Nimm die Malerin Mary Heath. Für Talbots Wahlkampf hatte sie einen Haufen gerahmter Leinwände bereitgestellt, die an die Galerien, Bars und sogar an die Tompkins Park-Bibliothek verteilt wurden. Sie waren so gut gemacht, dass die Leute sie für ihre Wohnzimmer mit nach Hause nahmen. Schließlich wurde es Mary Heath zu viel und sie floh nach Provincetown, um dort den unruhigen Atlantik zu malen. Nach nur drei Talbot-Benefiz-Veranstaltungen machte sich

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