Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der Reisebericht des Hieronymus Münzer: Ein Nürnberger Arzt auf der "Suche nach der Wahrheit" in Westeuropa (1494/95)
Der Reisebericht des Hieronymus Münzer: Ein Nürnberger Arzt auf der "Suche nach der Wahrheit" in Westeuropa (1494/95)
Der Reisebericht des Hieronymus Münzer: Ein Nürnberger Arzt auf der "Suche nach der Wahrheit" in Westeuropa (1494/95)
eBook2.094 Seiten11 Stunden

Der Reisebericht des Hieronymus Münzer: Ein Nürnberger Arzt auf der "Suche nach der Wahrheit" in Westeuropa (1494/95)

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Nürnberger Arzt Hieronymus Münzer floh 1494 nicht nur vor der Pest, sondern er wollte mehr. Mit Verweis auf Aristoteles wollte er sich "der Suche nach der Wahrheit" widmen. Sein Itinerarium zeugt davon, in welchem Maße ihm das gelang. Vorkenntnisse aus Studium und Nürnberger Zusammenhängen sowie die Unterstützung von Kaufleuten, Druckern, Gelehrten und Höflingen halfen ihm, erfolgreich zu suchen. Sein Itinerarium, das hier erstmals in deutscher Übertragung vorgelegt wird, dokumentiert die Ergebnisse. Es ist ein bunter Strauß an kulturgeschichtlich interessanten Aufzeichnungen aus einer bewegten Zeit. Zwei Jahre nach der ersten Seereise des Kolumbus und nach der Eroberung Granadas ist Hieronymus Münzer am Puls der Zeit, wie er nicht zuletzt in einer Rede vor den Katholischen Königen in Madrid darlegt. Die zahlreichen Beschreibungen von Menschen und Orten, Religionen und Gebräuchen, Klöstern und Pilgerzentren, Kunstwerken und Reliquien, Fauna und Flora regen dazu an, auch heute wieder auf Münzers Spuren den Westen Europas neu zu entdecken.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum7. Dez. 2020
ISBN9783772001284
Der Reisebericht des Hieronymus Münzer: Ein Nürnberger Arzt auf der "Suche nach der Wahrheit" in Westeuropa (1494/95)
Autor

Klaus Herbers

Dr. Klaus Herbers ist Prof. em. für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist Experte für die Geschichte Spaniens und des Papsttums im frühen und hohen Mittelalter.

Mehr von Klaus Herbers lesen

Ähnlich wie Der Reisebericht des Hieronymus Münzer

Ähnliche E-Books

Europäische Geschichte für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Der Reisebericht des Hieronymus Münzer

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der Reisebericht des Hieronymus Münzer - Klaus Herbers

    Für Gertrud

    Vorwort

    Die Zeichnung zur Kirche von Santiago de Compostela, die Hieronymus Münzer in den Bericht seiner Reise vom 2. August 1494 bis zum 15. April 1495 durch große Teile Westeuropas einfügt, ist schon vielfach verwendet und abgebildet worden. Für dieses Buch ziert sie den Umschlag. Das sogenannte Itinerarium bietet jedoch noch viel mehr, und es ist bei Kennern seit langem als ein kulturgeschichtliches Juwel bekannt. Der Nürnberger Arzt bereiste Frankreich, Spanien, die Schweiz, die Niederlande und Deutschland. Seine Beschreibungen führen den Leser zu vielen unbekannten Orten, die er mit eigenen Augen, aber auch aus der Perspektive anderer wahrnahm, um dann einiges davon aufzuzeichnen. Die ersten Übersetzungen dieses lateinischen Textes stammen von spanischen Kollegen, die sich allerdings nur für den iberischen Teil oder sogar nur für einzelne Regionen interessierten. Schon 1996 habe ich zusammen mit Robert Plötz einen Auszug aus dem Reisebericht in deutscher Sprache zum Besuch Münzers in der Pilgerstadt Santiago de Compostela herausgegeben. Das Pilgerzentrum ist einer der wenigen Orte, bei dem Münzer seine Beschreibungen etwas anders als bei weiteren Örtlichkeiten darbot, wo er oft aus der Höhe eines Kirchturmes die Lage beschrieb. Er verglich den Pilgerort auch nicht mit anderen Orten in Deutschland, was er sonst häufig tat. 

    Der Bericht des Hieronymus Münzer ist für Pilger nicht nur wegen der Beschreibung Compostelas interessant, sondern auch wegen der zahlreichen Wegstrecken, die in seinem Itinerar mit heutigen Jakobswegen übereinstimmen, in Deutschland, in Frankreich, aber auch in Südspanien oder in Portugal. Münzers Itinerarium ist zwar kein Pilgerbericht, aber Pilgerorte, Reliquien und Frömmigkeit gehören zu seinen Reiseeindrücken dazu. Diese Erfahrungen sind jedoch vielfältiger und werden hier erstmals in einer vollständigen Übersetzung des Textes der Öffentlichkeit vorgelegt. Es ist gleichsam eine Aufforderung, wie Münzer mit offenen Augen und Ohren den Westen Europas zu „erfahren". Gleichzeitig erscheint bei den Monumenta Germaniae Historica die lateinische Edition dieses Berichtes. Diese ist so umfassend mit Einleitung und Kommentar versehen, dass die hier gebotene Übersetzung sich mit wesentlich kürzeren begleitenden Bemerkungen und Kommentierungen begnügen kann. Der Text soll vor allem für sich selbst sprechen und möglichst viele Leser erreichen.

    Ich freue mich, dass dieser spannende Reisebericht rechtzeitig zum Heiligen Jahr in Santiago 2021 erscheint und den Mitgliedern der deutschen St. Jakobus-Gesellschaft als Jahresgabe 2020 zugehen kann. Bei der Vorbereitung der Übersetzung, die ich schon vor über zwanzig Jahren in Teilen begonnen habe, standen mir in der jetzt notwendigen Abschlussphase verschiedene Personen zur Seite. Das Druckangebot des Narr-Verlages sowie die Betreuung des Buches durch Dr. Valeska Lembke und Corina Popp förderten die schnelle und gründliche Abwicklung. Bei der Übertragung der Epitaphien und Gedichte waren Rat und Übersetzungsvorschläge von Eric Schlager unentbehrlich, die Korrekturphase unterstützten Sophie Caesperlein, Clara Hoeß und Lena Sahaikewitsch. Das Register lag in den Händen von Viktoria Trottmann. Meine Frau, die schon früher Münzer immer wieder be- und genutzt hat, las und diskutierte die Texte mit mir. Ihr und allen, auch ungenannten Helfern, sei herzlich gedankt!

    Hieronymus Münzer in Westeuropa: Person, Reise, Bericht. Eine Hinführung

    1. Student, Mediziner, Humanist und Reisender: Lebenslinien des Nürnberger Arztes Hieronymus Münzer

    „Schon im sechsten Jahr meines Doktorates in Pavia in der medizinischen Fakultät […], als in der schönen Handelsstadt Nürnberg in Oberdeutschland eine Epidemie ausbrach…" So lautet einer der ersten Sätze Münzers im Itinerarium. Und er fährt – offensichtlich ganz Mediziner – fort:

    Ich verdanke es meinem Glück und meinen medizinischen Kenntnissen, die Gesundheit bewahrt zu haben. Es war im Jahr des Heiles 1484. Ich fürchtete die Ansteckung und begriff schnell, dass derjenige weder im Krieg oder durch die Pest stirbt, der nicht in ihrer Nähe ist. Ich beschloss also zu fliehen, um nicht das Leben durch eine Unaufmerksamkeit zu verlieren.

    Zehn Jahre später schreibt der Nürnberger Bürger ganz ähnlich: „Später, im Jahre des Heils 1494, als eine neue Pestwelle ausbrach, wollte ich zum alten Heilmittel der Flucht greifen"¹.

    Trieben also Pestwellen den Nürnberger Arzt Hieronymus Münzer aus der fränkischen Reichsstadt auf den Weg, zunächst nach Italien, dann später nach Frankreich, Spanien und fast ganz Westeuropa? Nur weg aus dem Ort, wo Kontakte auch Ansteckung bedeuten konnten? Der Bericht – schon seit langem als Fundgrube kulturgeschichtlicher Beobachtungen geschätzt – zeigt aber, dass viel mehr als die Pest den Nürnberger Arzt seine Reise beginnen ließ. Deshalb seien zumindest seine Prägungen und sein Lebensweg ganz kurz skizziert.

    Hieronymus Münzer – oder „Monetarius", wie sich der Nürnberger Arzt latinisiert nannte – gehörte zum Kreis der Humanisten, die auch am Hofe Kaiser Maximilians (1493–1519) Ansehen genossen². Geboren wurde Münzer 1437 (oder 1447) in Feldkirch als ältester Sohn des Heinrich Münzer († um 1463) und seiner Frau Elisabeth. Er studierte in Leipzig (1464–1474), später Medizin in Pavia (1476–1477), wurde dort 1479 promoviert und erwarb ein Jahr später das Bürgerrecht in der großen Handelsstadt Nürnberg, wo er sich schon nach seinem Leipziger Studium niedergelassen hatte. Zum Erwerb der Bürgerschaft war ein Mindestvermögen nötig. Gefestigt wurde Münzers Stellung auch durch eheliche Bande, denn er heiratete am 3. Juli 1480 Dorothea und schuf damit Verbindungen zur wichtigen Nürnberger Familie der Kiefhaber. Aus dieser Ehe ging eine Tochter hervor. Beruflich verfasste Münzer in der Reichsstadt verschiedene Gutachten und praktizierte mit anderen Medizinern zusammen wie Johann Cramer und Hermann Schedel. Später gehörten zu diesem Kreis auch Hartmann Schedel, Heinrich Geratwohl und Dietrich Ulsen. Nicht nur durch diese Gruppe blieb er auch nach seinem Studium vielfältig interessiert, dies lässt zum Beispiel seine Bibliothek mit fast 200 Titeln erkennen, deren Zusammensetzung deutlich macht, wes Geistes Kind Münzer war.

    In Nürnberg begünstigten die vielfältigen Aktivitäten des Handels auch Forschung und Wissenschaft. Wichtig waren vor allem Mathematik und Astronomie, dann, darauf aufbauend, auch Kosmographie und Geographie. Regiomontanus kam 1471 aus dem fränkischen Königsberg nach Nürnberg, Hartmann Schedel kehrte 1484 nach Nürnberg zurück. Dessen Vetter, Hermann Schedel, starb am 4. Dezember 1485 in der Reichsstadt; aber schon er hatte einzelne humanistisch Interessierte wie Dr. Hieronymus Münzer, Dr. Sebald Mulner, Dr. Heinrich Geratwol, Dr. Lorenz Schaller sowie weitere Personen wie Johannes Löffelholz, Dr. Conrad Schütz, Johann und Georg Pirckheimer, den Prior der Nürnberger Kartause, um sich geschart. Aus dem Ägidienkloster trat Abt Johannes Radenecker hinzu. Obwohl es in Nürnberg keine Universität gab, blühte der gelehrte Austausch, der mit diesen Namen nur unvollständig charakterisiert ist.

    Weiterhin dürfte Martin Behaim nach seiner Rückkehr aus Portugal 1491 das geistige Klima in Nürnberg entscheidend mitbestimmt haben. Er vollendete 1492 in Nürnberg seinen „Weltapfel". Auf diesem Globus ist ein enormes geographisches Wissen erkennbar, an dessen Erarbeitung wohl – wie man schon früh vermutet hat³ – auch Schedel und Münzer beteiligt waren. Münzer schrieb sogar am 14. Juli 1493 an König Johann II. von Portugal einen Brief, in dem er diesen im Namen des Königs Maximilian zur Umsegelung der Welt aufforderte, um China zu erreichen. Für dieses Unternehmen empfahl er dem König Martin Behaim als kundigen Seemann und Begleiter⁴. Ob die Entdeckung der Neuen Welt – Kolumbus kehrte von seiner ersten Reise am 4. März 1493 zurück – in Nürnberg zu dieser Zeit schon bekannt war, scheint unerheblich, denn an zahlreichen geographischen Erkenntnissen waren wohl schon vorher Nürnberger Gelehrte beteiligt. Seine geographischen Kenntnisse stellte Münzer ebenso bei seinen Korrekturen am Blatt „Europa" in der Schedelschen Weltchronik unter Beweis; auch an der Schedelschen Karte von Deutschland war Hieronymus Münzer wohl beteiligt⁵.

    Da Münzer also schon früh zu jenem humanistischen Kreis gehörte, der am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts das intellektuelle Leben in Nürnberg bestimmte, dürften diese Kontakte, seine Verwurzelung in einer Handelsfamilie, seine Frömmigkeit und seine medizinisch-anatomischen aber auch allgemein kulturgeschichtlichen Interessen seine Reisen mitbestimmt haben. War die Pest also – gemäß einer klassischen Unterscheidung – eher der Anlass, während die Gründe tiefer lagen? Münzer traf beispielsweise im Januar 1495 den spanischen König Ferdinand, worüber das Itinerarium ausführlich berichtet. Sollte er, wie man vermutet hat, den spanischen Herrscher zu einer Entdeckungsreise in ozeanische Gefilde überreden?

    Nach 1495 scheint Münzer nicht mehr gereist zu sein; wichtig für ihn wurde die Hochzeit seiner Tochter Dorothea am 3. Juli 1499 mit dem Patrizier Hieronymus Holzschuher, die der sehr hohen Ausgaben wegen (600 Gulden) im Rechnungsbuch Münzers verzeichnet wird. Damit war der Anschluss an die großen Nürnberger Familien endgültig erreicht. Aus der Ehe seiner Tochter gingen Kinder hervor, drei überlebten. Der Tod seiner Frau Dorothea am 30. September 1505 traf Münzer sehr. Vielleicht errichtete er deshalb Anfang 1506 zwei Stiftungen: eine Studienstiftung sowie eine zweite in der Pfarrkirche St. Nikolai. Zwei Jahre später, am 27. August 1508 starb Hieronymus Münzer. Sein Epitaph, das von Schedel oder Holzschuher stammen könnte, hebt hervor, dass er fast ganz Europa bereist habe (totam ferme Europam peragrauit)⁶.

    Wenn man sich verdeutlicht, in welcher Welt der Autor des Reiseberichtes lebte, erschließen sich auch die Interessensfelder in seinem Reisebericht. Seine Mitarbeit in Nürnberger humanistisch-kosmographischen Zirkeln, die Sorge um den Nürnberger und den Handel insgesamt, aber auch die Interessen eines Gelehrten, der die Artes und die Medizin studiert hatte, boten spezifische Voraussetzungen, um sich fremde Welten zu erobern. Recht wenig ist aus Nürnberger Quellen zu Münzers religiösem Hintergrund zu erfahren. Hier scheint es fast so, dass der Reisebericht selbst mit seinen zahlreichen Reliquienbeschreibungen, seinen Bemerkungen zu Pilger- und Devotionsstätten, aber auch zu anderen Religionen wie dem Islam oder dem Judentum die entsprechenden Facetten des Autors erschließt.

    2. Pilgerfahrt, Bildungs-, Handels- oder diplomatische Reise? Organisationsformen des Reisens und Schlüssel zum Fremden

    Hieronymus Münzer war mobil, aus Vorarlberg stammend, mit Studien in Leipzig und Pavia hatte er schon vor und zu Beginn seiner Nürnberger Zeit viele Eindrücke aus der Fremde sammeln können. Soweit wir wissen, unternahm er von Nürnberg aus drei Reisen: 1483/84 nach Italien – angeblich auch, um der Pest zu entfliehen – und 1484 nach Lüttich. Von beiden Reisen wissen wir sehr wenig, dafür umso mehr von der hier wichtigen Westeuropareise 1494/95. Seine Fahrt und der spätere Bericht sind miteinander verknüpft, aber es ist wichtig, Erlebnis- und Berichtsebene zu scheiden, denn es wurde ja nur ein Bruchteil des Gesehenen in einen möglichen Bericht integriert, ganz zu schweigen von Auslassungen, literarischer Gestaltung und weiteren Aspekten¹. Deshalb sei der Blick zunächst auf das Reisen und die Reise selbst gerichtet.

    Dass Reisen ein gefährliches Unterfangen war ist bekannt, wird aber oft nicht ausreichend berücksichtigt. Angesichts der Unsicherheit der Straßen, der Mühen und Strapazen, der Wegelagerer, Diebe und Betrüger und vieler anderer Dinge mehr war die Rückkehr von einer Reise oft mehr als ungewiss. Nicht zuletzt der Pilgerführer nach Santiago de Compostela aus dem 12. Jahrhundert² führt diese Gefahren plastisch vor Augen, auch andere Quellen sind dazu einschlägig. Gleichwohl nahm das Reisen im Laufe des Mittelalters zu, dies betraf aber verschiedene Personengruppen und letztlich auch unterschiedliche Arten des Unterwegsseins³.

    Verschiedene Kategorien mögen helfen, wenn man fragt: Warum reisen die jeweiligen Protagonisten, was nehmen sie wahr und schließlich wohin reisen sie? Die ersten beiden Fragen – die für Münzers Reise noch offen sind – zielen im Grunde zugleich auf Typisierungen von Reiseformen: Was unterschied die Reise eines Adeligen oder eine Brautreise von einer Pilgerfahrt, was die diplomatische Reise von einer Handels- oder Handwerkerreise, vielleicht gar von einer militärischen Expedition? Etiketten wie Adelsreisen, Missionsreisen und Entdeckungsreisen, Pilgerreisen – sei es nach Rom, Jerusalem oder Santiago – Heidenfahrten und Kavalierstouren, Bäder- oder Bildungsreisen bieten nur einige gängige Klassifizierungen. Da aber häufig – auch im Falle Münzers – weniger eine einzelne Motivation, sondern ein Knäuel von Motiven das Reisen bestimmte, mag ein einzelnes Etikett sogar in die Irre führen: Bei Münzer kamen zum Beispiel kosmographische, wirtschaftliche und religiöse Interessen, vielleicht auch politische Aufträge zusammen.

    Verglichen werden kann Münzers Reise aber aufgrund des Zielgebietes, das sich mit zwei weiteren großen Reisen trifft: Westeuropa und insbesondere die Iberische Halbinsel standen auch bei dem böhmischen Adeligen Leo von Rožmital und dem Breslauer Kaufmann Nikolaus Popplau, die 1465 bis 1467 und 1483 bis 1486 in Westeuropa unterwegs waren und darüber berichteten, im Vordergrund.

    Münzer reiste nicht wie Adelige mit großem Gefolge, aber sich ganz allein auf den Weg zu machen, war ebenso undenkbar. Drei Begleiter wählte er aus: Anton Herwart, Caspar Fischer und Nikolaus von Wolkenstein. Laut seiner Einleitungsbemerkungen verfiel er nicht zuletzt auf Grund kaufmännischer Erfahrung und ihrer Sprachkenntnisse auf diese Personen. Diese als socii bezeichneten Männer werden im Bericht nicht mehr so oft erwähnt, dürften ihm aber bei der Reise stets zur Hand gegangen sein, erschlossen auch manchen Kontakt in die Kaufmannswelt.

    Deshalb waren die neuen Kontakte – die zuweilen vorbereitet waren – fast wichtiger. Ganz besonders wurde Fremdes auch durch die Landsleute im Ausland angebahnt. Der Bericht ist voll von entsprechenden Bemerkungen: Es waren Mitglieder der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft, Künstler, Mönche und Kanoniker, Drucker, Geschützmeister und viele andere mehr⁶, welche die Gruppe empfingen, die Örtlichkeiten zeigten und vielleicht auch in sprachlicher Hinsicht die Kommunikation vereinfachten, somit die Fremde erschlossen⁷.

    Weiterhin fanden Personen Aufmerksamkeit, die über die Netzwerke des Kartäuserordens mit Nürnberg verbunden waren, wie Münzer in der Kartause bei Antwerpen feststellte, oder gelehrte Humanisten wie in Portugal Duarte Galvão, der einen akademischen Lehrer (Dr. Johannes Burckstaller) Münzers kannte⁹.

    Neue Personen traten hinzu, die zugleich als „Türöffner" durch ihre Empfehlungsschreiben fungierten. So ebnete der neue Erzbischof von Granada, Hernando de Talavera, durch seine Schreiben den Weg zu den Katholischen Königen, die Münzer dann später in Madrid treffen durfte. Die Briefe heißen im lateinischen Text meist Litterae promotionales, es waren Empfehlungsschreiben. Manche dieser Briefe werden auch als Litterae passus bezeichnet, sie sollten offensichtlich den Übertritt der Grenzen in ein weiteres Herrschaftsgebiet erleichtern. Sie werden im Reich Granada, in Portugal, in Madrid und in der Picardie genannt. Diese Schriftstücke dokumentieren vielleicht eine Vorform des Ausweises, des Visums und könnten somit gut mit dem Terminus „Passierschein" vorläufig bezeichnet werden.

    3. Interessen und Wahrnehmung: von Handelszentren und Höfen, Moscheen und Pilgerorten, Reliquien und Kunstwerken

    Münzer reiste mit seinen drei Begleitern in kleiner Gruppe, zu Pferd, und notierte die Reisedistanzen in der Regel tageweise genau. Allerdings sind die Meilenangaben, die meist mit dem lateinischen Wort leuca (zuweilen auch milia) angegeben werden, nicht völlig verlässlich und nehmen wohl auch auf lokale Gepflogenheiten Rücksicht, wie die Bemerkungen zu den langen Meilen in Katalonien nahelegen¹. Die auf der Karte² eingezeichneten Orte verraten aber noch nicht, was Münzer interessierte oder besser: was ihm des Aufzeichnens wert erschien.

    Jedoch erschließt die Reiseroute verschiedene Interessensfelder. Erscheint die Italienreise von 1484 noch ganz einem klassischen Ablauf entsprechend, bei dem die wichtigen Städte Ober- und Mittelitaliens besucht wurden, so dringt die Westeuropareise 1494/95 in Neuland vor. Münzers Streckenführung über die Schweiz und das Rhônetal nach Katalonien und der Rückweg über Roncesvalles, Tours, Paris und Belgien folgte bekannten Wegen und entspricht teilweise der „Ober- und die „Niederstraße, die Hermann Künig von Vach 1496 in seinem Führer für Jakobspilger unterschied³. Handels-, Reise- und Pilgerwege waren häufig identisch.

    Den ersten Teil seiner Fahrt charakterisiert Münzer selbst in seiner Rede vor den Katholischen Königen in Madrid, die er dort gehalten haben soll. Der Bericht integriert diese rhetorische Leistung, die alle Erlebnisse der Reisegruppe auf die prägende Kraft der Katholischen Könige zuspitzt⁴:

    Heiligste und mächtigste Könige! Die Größe der Taten, die Eure Majestäten vollbracht haben, ist auf dem ganzen Erdkreis bekannt, und die Fürsten und Adligen Deutschlands sind voller Bewunderung, dass die Reiche Spaniens, die in der vergangenen Zeit wegen der zahlreichen inneren Kriege, des heimlichen Hasses und der privaten Interessen fast vollkommen erschüttert schienen, am Boden zerstört, dass diese Reiche nun ein Stern in so kurzer Zeit von der höchsten Zerstrittenheit zu einem so großen Frieden, zu einer so großen Ruhe und zu einem so großen fruchtbaren Zustand hat führen können.

    Weil viele dies nicht hätten glauben können, habe er sich mit seinen Begleitern selbst auf den Weg gemacht, um die Ergebnisse des königlichen Waltens in Augenschein zu nehmen. Und dann lässt er die Reise ab Katalonien Revue passieren, zunächst den Wiedererwerb der Grafschaft Roussillon: „Diese Grafschaft, die an den König Ludwig verpfändet worden war, gab dessen Sohn Karl freiwillig an Euch zurück und wollte, dass sie wieder Eurem Szepter unterstehe. Barcelona sei nach Rebellionen befriedet worden: „jetzt sahen wir sie [die Stadt Barcelona] aber unter Euren Auspizien wiederinstandgesetzt und in einem besseren Zustand.

    Es folgen Bemerkungen zum bekannten Kloster Montserrat, zu Poblet, der Grablege einiger Könige, und schließlich zu Valencia und dem alten, erst vor kurzem durch die Katholischen Könige eroberten Granada. Dort herrschten schon neue Adelige, die Münzer – wie er sagt – Auskünfte gegeben hätten: „Wir wurden über die wichtigsten Dinge durch den Grafen von Tendilla und durch den ehrwürdigsten Herrn Erzbischof informiert. Alhama, Malaga und Sevilla boten neue „Wunder, denn „wir sahen einige neue Menschen, zu unseren Zeiten bisher unbekannt, die man aus den Ländern Indiens herbeigebracht hatte, den Ländern, die unter Euren Auspizien entdeckt wurden."

    Auch am Hof des Königs von Portugal wurde die Gruppe „über die Dinge in Äthiopien und die südlichen Länder informiert. Über Santiago, Salamanca und Toledo seien sie nun auf die „Urheber solch großer Taten gestoßen: „Wir kommen, ich sage es, zu den Königen, durch welche die Rechte des Herrn die Völker aufrichtete, Reiche unterwarf und neue Menschen entdecken ließ."

    Die Rede spitzt alles – auch im Stil humanistischer Rhetorik – auf den Besuch bei den Katholischen Könige zu, und in der Tat könnte Münzer Aufträge König Maximilians und anderer zum Kontakt an den Höfen von Évora/Lissabon und Madrid mitgeführt haben. Weitere Motive für Münzers Reise lassen sich auch an der Verweildauer ablesen, denn auf der Iberischen Halbinsel hielt Münzer sich deutlich länger als in anderen Gegenden auf. Die Karte erschließt gut die etwas längeren Aufenthalte (in Spanien 14 Orte, in den anderen Gegenden, vor allem Westfrankreich und Flandern neun Orte).

    Münzers Reisen 1483/84 und 1494/95 (R. Hurtienne, V. Trenkle, Chr. Gürtler)

    Die Hauptaktivitäten lassen sich bündeln:

    Münzer traf nicht nur auf der Iberischen Halbinsel zahlreiche Händler und notierte Handelsgüter sowie Handelsströme. Dies scheint vor allen Dingen im katalanisch-valencianischen Raum, in Portugal und in Flandern der Fall gewesen zu sein. Bei diesen Kontakten traten oft die am Ort ansässigen Deutschen in den Vordergrund. Ob Münzer Aufträge zu Sondierungen besaß, ist allerdings nicht sicher. In diesen Zusammenhang gehören auch seine Notizen zu den zahlreichen Schätzen aus den Afrikareisen, die er nicht nur im Itinerarium, sondern auch in einem gesonderten Traktat niederlegte⁵. Wenn man die Bemerkungen zu Barcelona und Valencia mit denen in Portugal vergleicht, so scheint der Nürnberger Arzt die Zeichen der Zeit erkannt zu haben: Der künftige Handel würde mehr auf den Atlantik als auf das Mittelmeer ausgerichtet sein.

    Besonders die Besuche am Hofe Johanns II. in Portugal und am Hof der Katholischen Könige in Madrid könnten nicht nur auf politische Aufträge schließen lassen. Hier traf Münzer auch Vertreter des Humanismus wie Cataldus und Petrus Martir, deren Werke er erwähnt. Zum zweiten lobte er die Politik dieser Herrscher und die Erziehung der jungen Prinzen am Hof. Vielleicht „sichtete" er sogar die Ehepartner zur Vorbereitung der 1496 stattgefundenen habsburgischen Doppelhochzeit⁶.

    Zahlreiche Bemerkungen zur Landschaft, zu den Distanzen, zu Vegetation, Flora und Fauna bieten dem Leser ein breites Spektrum zu den verschiedenen Pflanzen, aber auch zu Bewässerungsverfahren, Herstellung von Rosinen, Glas und Zucker oder zur Funktionsweise von Ölmühlen. Münzer interessierte sich für Gärten, Bewässerung, Pflanzen und Früchte, Bodenschätze, Heilquellen, Märkte, Preise, Handelsaustausch und Städtebilder. Nicht nur die Betrachtung einer „Kosmographie", womit wohl die Karte des Fra Mauro gemeint ist, lässt die verschiedenen kosmographischen Interessen Münzers deutlich erkennen. Aufträge für den Nürnberger Gelehrtenkreis sind deshalb wahrscheinlich, ohne dass völlig klar wird, wie gezielt diese Aufgaben waren.

    Daneben waren die Interessen Münzers breit, Lehren und Praktiken des Islam, auch die Frage der Judenpolitik blieben auf der gesamten Reise eine wiederkehrende Thematik. Es ging ihm aber nicht nur um fremde Religionen, vor allem außerhalb Spaniens werden Heiligenzentren der Schweiz und Südfrankreichs ausführlich – auch mit Gedichten und Epigrammen – gewürdigt. Vielfach paarte sich dieses Interesse mit der Beschreibung von Reliquien und Kirchenschätzen. Der wirtschaftliche Sinn kam dem Nürnberger dabei nicht abhanden, denn mehr als einmal notierte er den Wert der einzelnen kostbaren Stücke. Die Abschrift aus dem Liber Sancti Jacobi in Compostela bietet ein Dossier, das sich nicht nur aus dem Interesse für Jakobus, sondern auch aus einem Faible für die Karlsepik speiste⁷.

    Handel, Politik, Religion und Wissenschaft dürften somit die vielfältigen Reisemotive Münzers charakterisieren. Münzers Wissensdrang war groß, er ging aber noch zuweilen über diese hier kurz skizzierten Interessen hinaus, denn der Nürnberger Arzt beschreibt – was in dieser Zeit noch die Ausnahme war – häufig und detailliert die Landschaft. Dazu traten religiöse Gebräuche – Reliquienkult und Mönchsgemeinschaften –, fremde Religionen, künstlerische Werke, Exotica, Universitäten, Apotheken, Spitäler und praktische Dinge, die seine Aufmerksamkeit erheischen. Dies reichte bis zur Organisation des Abwassersystems in Barcelona. Gewiss spielen auch Empfänge bei Hof eine Rolle, aber weniger als in den anderen Reiseberichten von Adligen und Patriziern.

    Dass Münzer das viele Neue häufig mit Bekanntem aus seiner Heimat verglich entspricht dem Bedürfnis, Unbekanntes zu begreifen, also auf den Begriff zu bringen⁸. Vergleiche finden sich zuhauf in Münzers Bericht. Münzer hat sich aber nicht nur deshalb auf den Weg gemacht, um sein bisheriges Wissen durch Anschauung zu bestätigen oder zu erweitern, wenn auch die curiositas, die manche für ein Merkmal der beginnenden Neuzeit halten, in seinem Itinerarium zuweilen erkennbar ist.

    Dies erschließt vielleicht auch sein Interesse an fremden Religionen. Im alten Reich Granada lebten nach der Eroberung durch die Katholischen Könige 1492 noch zahlreiche Muslime: Gebetsriten, Bestattungen und anderes interessieren den Nürnberger Arzt. Dieses Interesse wurde in Zaragoza fortgesetzt, denn dort erläuterte ihm angeblich ein „Priester der Muslime, wie es mit der Vielehe stehe. Trotz mancher Kritik lobte der Nürnberger Arzt aber die Arbeitskraft der Muslime, die ihm sogar in manchen Gegenden unentbehrlich erschien. Ganz anders war seine Haltung zu den Juden oder den als „Marranen bezeichneten neu getauften sogenannten Conversi, die Münzer am Mittelmeer, aber auch in Lissabon und immer wieder erwähnte und deren Ausweisung er kommentierte: Hier teilte er ganz die rigorose Politik der Katholischen Könige und war in seiner Meinung vielleicht auch von ähnlichen Tendenzen im Reich zu Ende des 15. Jahrhunderts mitbestimmt.

    Aber wie hielt er es mit der eigenen Religion? Was bedeutete ihm der kritische Vergleich von Reliquien? Wie können, so fragte sich nicht nur Münzer, sondern später auch Arnold von Harff, Jakobusreliquien in Toulouse vorhanden sein, wo doch der gesamte Leichnam in Compostela ruht? Die Kritik am Reliquienwesen ist alt, gewann aber neue Aktualität und hat später auch Martin Luther zu seiner Kritik an der Compostelafahrt geführt⁹. In Compostela bemängelte Münzer, dass er den Leichnam des Apostels nicht sehen konnte und fügte seufzend – oder ironisch? – hinzu, dass wir dies alles nur glauben könnten¹⁰. Der praktische Pilgerbetrieb in Compostela schien Münzer aber vor allem zu stören, und ähnlich kritisch vermerkt er zur Aachenfahrt, dass die Pilger dort mit viel Geld kämen und mit leerer Börse heimkehrten¹¹.

    Es wäre einseitig, nur die kritischen Bemerkungen Münzers aufzugreifen: Pilgerorte wie St-Maximin, Les Saintes-Maries-de-la-Mer, Montserrat, Santiago de Compostela, Guadalupe, Toulouse, Tours oder Saint-Josse-sur-Mer fanden ebenso wie Aachen, Köln oder weitere bedeutende, auch künstlerisch interessante Klöster sein Interesse. Er wollte eben alles besuchen und sehen, was es zu sehen gibt. Und wo man den Reisenden Reliquien am Altar, in der Sakristei oder Schatzkammer zeigte, vermerkte Münzer dies gerne, manche Bemerkungen deuten darauf hin, dass er als Gedächtnisstütze vielleicht wie in Toulouse oder Tours einen Reliquienzettel erhielt oder abschrieb. Oft scheint er sich sogar mehr für den materiellen als für den spirituellen Wert zu interessieren, Reliquien und besonders Reliquiare waren schließlich zu teuren Kunstwerken geworden. In vielen Dingen sah Münzer aber auch auf den größeren politischen und kulturellen Kontext religiöser Phänomene. Deutlich wird dies zum Beispiel an den Gebräuchen in Saint-Josse-sur-Mer¹², aber nicht nur dort. Wenn er in Santiago de Compostela Passagen des Liber Sancti Jacobi abschrieb, interessierten ihn vor allem die aus der Epik bekannten angeblichen Heldentaten Karls des Großen in Spanien. Aber er wollte auch mehr über einen so wichtigen Kult wie den Jakobuskult wissen – wenn er zum Beispiel das Kapitel über die Pilgermuscheln in seinen Bericht integrierte.

    In vielen Abschnitten beschritt die vierköpfige Gruppe Wege, die heutige Pilger wieder für sich entdeckt haben: Neben dem klassischen „Camino francés, den er nach seiner Abreise aus Compostela bis zu den Bergen von León nutzte, folgte er von Almería nach Granada dem heutigen „mozarabischen Weg, in Portugal auch dem sogenannten „Camino portugués". In Frankreich reiste er nicht nur auf dem Hinweg von Arles bis Narbonne, sondern auch bei seinem Weg von Poitiers bis Paris und folgte damit der sogenannten Ober- und Niederstraße. Erst danach entfernte sich Münzers Route – wahrscheinlich des Seehandels wegen, von derjenigen des fast zeitgleich gedruckten Pilgerführers des Hermann Künig von Vach (1496)¹³.

    Unser Kosmograph notierte aber nicht nur die Distanzen zwischen den Städten, sondern auch die Lage (meist von einem Kirchturm in Augenschein genommen) oder auch die Bauwerke einer Stadt. Für viele (Sakral-)Bauten ist Münzer sogar die einzige Quelle, um den Zustand am Ende des 15. Jahrhunderts kennenzulernen. Größe, Breite und Höhe der Kirchen werden vermessen, mit Schritten, mit Handspannen, Ellen oder anderen Hilfsmitteln. Kleriker und Pfründen werden ebenso wie Ausstattungsgegenstände oder Gebräuche (Prozessionen in Santiago, Ritterschlag in Saint-Josse usw.) wahrgenommen. Er sah und hörte offensichtlich mit höchster Aufmerksamkeit.

    Für Kunst und Kunsthandwerk sind seine (freilich nicht immer ganz klaren) Beschreibungen oft einzigartig und werden von Kunsthistorikern sehr geschätzt, denn sie bieten nicht nur eingehende Beschreibungen der Objekte wie zum Genter Altar¹⁴, sondern auch Hinweise zum Entstehungsprozess, zu den (zuweilen aus Deutschland stammenden) Bauhandwerkern und vieles andere mehr. Förderer waren auch Kaufleute: Kunst und Kommerz hingen zusammen.

    Auch seine ständige Sorge, ob Klöster der Reformbewegung der Observanz folgten, zeigt, wie sehr der Nürnberger Humanist in den Diskussionen der Zeit zuhause war und wie er die Reformpolitik Ferdinands und Isabellas in dieser Frage zunehmend an den Orten kennenlernte und würdigte. Ob er die spezifisch iberischen Gemeinschaften der Hieronymiten und das Vorbild des Hieronymus so sehr schätzte, weil dies an seinen Namenspatron erinnerte? Ähnliches galt auch für andere Themen der Zeit, wie den Krieg von Granada, die Thronfolge in Frankreich oder Portugal und besonders für die Neuigkeiten zur sogenannten Europäischen Expansion.

    Die politischen Interessen, die sich in Besuchen niederschlugen und teilweise erst durch Empfehlungen und Vermittlung möglich wurden, sind vielfältig und wirkten wie ein Schneeballsystem. Herausgehoben sind die Besuche am portugiesischen und kastilisch-aragonesischen Königshof. Aber auch bei Statthaltern und Bischöfen war Münzer zu Gast. In Navarra oder in Orléans wollte Münzer die Herrscher sehen und erreichte dies auch, bis hin zu der etwas merkwürdigen Szene, als ihm der kränkelnde französische Thronfolger gezeigt wurde, den er von einer Brücke aus betrachten durfte¹⁵.

    Orte, Bauwerke, Institutionen und Personen waren wichtig, dazu traten aber die der Kosmographie geschuldeten Interessen, die Landschaft aufzunehmen. Zwar scheint hier später manches stereotyp und nicht immer stimmig niedergelegt, aber in der Regel beobachtete Münzer genau. Interesse an Flora und Fauna schloss wirtschaftliche Hintergründe ein, denkt man nur an den Safranhandel des 15. Jahrhunderts. Jedoch wird fast alles erfasst: Die genannten agrarischen Produkte und Pflanzen stellen für jede Übersetzung auch eine Herausforderung dar. Tiere in den herrschaftlichen Gehegen registrierte der Nürnberger Arzt ebenso, besonders exotische Tiere, von denen zum Beispiel eine Schlangenhaut oder ähnliches in Kirchen aufgehängt war. Und welche Mühe machte es Münzer, eine Gazelle zu beschreiben! Die genannten Früchte und agrarischen Produkte, deren Gedeih auch von den häufig gerühmten Bewässerungssystemen abhing, wurden oft exportiert, wie Malvasierwein, Safran, Wolle oder auch Rosinen. Deren Herstellung interessierte Münzer ebenso wie die Verarbeitung von Oliven zu Öl und anderes. Denkt man daran, dass er in jeder Landschaft immer auch Produkte, an den Kirchen Pfründen und beim Betrachten der Reliquien Geldwerte angab, dann scheint Münzer zwar Kosmograph, aber in vielem auch ein Homo oeconomicus gewesen zu sein. Er machte seinem Namen Münzer oder Monetarius also alle Ehre, obwohl ihn noch viel mehr interessierte, dies lässt der aufgezeichnete Bericht an vielen Stellen erkennen.

    4. Was ist aufzeichnenswert? Das Itinerarium

    Eine Skizze der Kathedrale in Santiago de Compostela steht fast genau in der Mitte des Itinerariums, wie der Bericht sich nennt. Was fand von Münzers Eindrücken Eingang in den Bericht? Konnte Münzer alles angemessen in Worte fassen? Zuweilen greift er – wie in Compostela – zur Zeichnung, obwohl dies nicht sehr oft geschieht. Die Entstehung des Itinerariums ist eine eigene Geschichte, die hier nur kurz resümiert werden kann¹.

    Ohne Hartmann Schedel wüssten wir von Münzers Reise so gut wie nichts, denn fast alle Informationen entstammen dem Itinerarium, das uns nur in einer Abschrift Hartmann Schedels in der Münchener Handschrift (Clm 431) überliefert ist. Die Entstehung des Berichtes wird dort aber nicht explizit thematisiert, grundsätzlich folgt der Text dem Reiseverlauf. Trotzdem ist die gesamte Handschrift aufschlussreich, denn sie enthält neben dem Itinerarium weiteres Material, das zusätzliche Überlegungen zur Reise und zur Abfassung des Berichtes bereithält. So zeigen die weiteren Teile der Handschrift, dass Hartmann Schedel Materialien Münzers als Beilagen aufgenommen hat, die teilweise eine Grundlage zur Abfassung des Berichtes geboten haben dürften². Einzelne Schriften wurden aber nicht wie der Liber Sancti Jacobi in den Text integriert, sondern ausgelagert, zum heiligen Mamertus in Vienne, zur Lobesrede des Alfons de Ortiz auf die Katholischen Könige oder zu den Entdeckungsfahrten nach Afrika. Weitere Ergänzungen betreffen die Epigramme des in Portugal von Münzer aufgesuchten Humanisten Cataldus und einige andere kleine Notizen, wie auf Folio 303. Dort wird die Situation in Freiburg im Üchtland beschrieben; dies zeigt, wie ein Notizzettel Münzers ausgesehen haben könnte³. Wer die Verschränkungen und die internen Verweise vornahm, Münzer oder Schedel, bleibt jedoch offen. Da Münzers Itinerarium aber nur über Schedels Abschrift greifbar ist, können Rückschlüsse auf die Eigenheiten im Einzelfall Hartmann Schedel und nicht Hieronymus Münzer selbst betreffen.

    Trotzdem suggeriert das Itinerarium, dass Münzers persönliche Reiseeindrücke in die schriftliche Fassung eingingen. Die Struktur variiert: Schon beim schlichten Durchlesen werden unterschiedliche Schwerpunkte erkennbar. Dominieren noch in Frankreich vielfältige Notizen zur Hagiographie, zu den Heiligen, zu Gräbern und ihren Epitaphien, so erscheint der insgesamt sehr lange Teil zur Iberischen Halbinsel deutlich ethnographischer. Die Fremdheit führt auch zu „politischen" Kommentaren: Judenpolitik, Krieg von Granada, dynastische Entwicklungen oder die sogenannten Entdeckungsfahrten treten in den Vordergrund. Beim Rückweg fällt auf, wie sehr die Universität und die Reliquienschätze das Bild von Paris bestimmten.

    Tagesdaten und Distanzen werden in verschiedener Form notiert, Meilenangaben manchmal am Rand wiederholt. Bei längeren Aufenthalten gibt es aber zuweilen Unstimmigkeiten, zuweilen auch Irrtümer (so in Zaragoza). Besonders interessant ist Folio 129, denn an falscher Stelle sind hier Bemerkungen zum nördlichen Navarra in die Handschrift eingebunden. Zuweilen sollte vielleicht noch etwas ergänzt werden, dies zeigen zum Beispiel die halb leeren Folien vor und nach der Rede, die Münzer vor den Katholischen Königen in Madrid hielt. Manche allgemeine Betrachtungen werden bei längeren Aufenthalten eingeschoben, so zum Beispiel zu den „Marranen", zum Krieg um Granada oder über das Reich Navarra, so als ob man einen passenden Ort im chronologischen Ablauf gesucht hätte. Ob Kirchen oder Institutionen ausführlich oder nur summarisch beschrieben werden, folgt keiner besonderen Systematik und hing vielleicht auch an den Bedingungen und Informationen während der Reise selbst.

    Die jeweilige Länge der Schilderungen lässt Unterschiede erkennen: Die Aufenthaltsdauer, die Vermittler und deren Informationsfreude, aber auch das persönliche Interesse und/oder die schon vorher (oder während der Reise) erhaltenen oder im Zuge der Verschriftlichung hinzugekommenen Informationen könnten eine Rolle gespielt haben.

    Neue Informationen, besonders hinsichtlich der Größe, der Anordnung und Lage von Städten erschloss Münzer im Vergleich mit Nürnberger oder süddeutschen Verhältnissen. Diente dies nur der Selbstvergewisserung oder betraf das auch Informationen, die zum Beispiel für die Schedelsche Weltchronik relevant waren? Es bleibt auffällig, dass Zeichnungen erst ab seinen Erläuterungen im Reich Granada in nennenswertem Maße erscheinen. Lagepläne, Wappen, Kirchen gehören dazu.

    Viel trugen die (deutschen) Personen im Ausland bei, Dolmetscher und Begleiter halfen zudem. Es wird deutlich, wie sich im Laufe der Reise und auch des Berichtes zunehmend ein Netzwerk an Personen etablierte, die mündliche Informationen des Reisenden geradezu legitimierten. Dazu trat klassisches Wissen, das Münzer einstreut, zum Beispiel mit Zitaten aus den Werken des Plinius.

    Die Gestaltung des Itinerariums selbst ergibt sich auch aus den vielen Binnenverweisen. Rück- und Vorgriffe, Hinweise auf Früheres und Späteres, also Vor- und Rückverweise kennzeichnen den Bericht und belegen eine grundsätzlich chronologische Anlage der Aufzeichnungen. Die Notizen, die Münzer wahrscheinlich von seiner Reise mitbrachte, mögen dennoch disparat strukturiert gewesen sein.

    Natürlich verarbeitete Münzers Itinerarium auch Vorlagen, aber insgesamt eingeschränkt. Neben der resümierenden Abschrift aus dem Liber Sancti Jacobi in Compostela, die darauf hindeutet, dass vielleicht ein anderes und von der heutigen Fassung verschiedenes Exemplar in Compostela vorhanden war, sind es kurze Abschnitte, die übernommen wurden. Inschriften (ein besonderes Interesse Schedels), Epigramme, Reliquienzettel oder Schatzverzeichnisse seien hervorgehoben.

    Damit ist die Abfassungsweise des Itinerariums angesprochen. Neben Münzers und Schedels schon vorhandenen Wissensbeständen wurden manche Texte in kondensierter Form aufgenommen, dies gilt zum Beispiel für die hagiographischen Traditionen um Mamertus oder die Auszüge aus dem Liber Sancti Jacobi. In beiden Fällen wurde in humanistischer Manier gekürzt und zugespitzt. Notizen in der Handschrift wie zu den Reliquien und Ablässen in Toulouse entlasteten den Text, es wird im Itinerarium sogar darauf verwiesen. Bücher oder Hefte, die Münzer in Orléans zur Gallia (Anthonius Astensis⁴) oder in Sevilla (Rede des Alfonso Ortiz an die Katholischen Könige⁵) gezeigt oder gegeben wurden, boten Material zur Darstellung von Zusammenhängen (wie dem Hundertjährigen Krieg oder dem Krieg gegen Granada), ohne dass diese Materialien zu wörtlichen Vorlagen wurden. Zusätzliche Erläuterungen boten die verschiedenen Schriften des in Portugal getroffenen Humanisten Cataldus oder die eigenständige Schrift zu den portugiesischen Fahrten der Europäischen Expansion.

    Diese Hinweise zur Abfassungsweise müssen mit weiteren Informationen verbunden werden, die dem Itinerarium selbst zu entnehmen sind. Ob Inschriften, Epigramme und anderes nur am jeweiligen Ort kopiert wurden, bleibt fraglich, manchmal ist das Itinerarium aber der einzige Überlieferungsträger. Offensichtlich wurden auch die Spuren der Abfassungsweise verwischt, denn dass Münzer den Text des Alfonso Ortiz in Sevilla erhielt, berichtet nicht das Itinerarium, sondern ein späterer Abschnitt der Handschrift⁶. Neben schriftlichen Vorlagen, Erweiterungen und Hinweisen ist der Beitrag der mündlichen Informanten nicht zu unterschätzen, denn woher kannte Münzer zum Beispiel die Zahlen zu Einwohnern oder zu den Klerikern und Pfründen einer Kirche?

    Insgesamt wird deutlich, dass der Reisebericht vielleicht auf Tagebuchnotizen basierte, dann aber in verschiedener Weise „angereichert" und weiter entwickelt wurde. Wer dies in welchem Maße tat, bleibt wie gesagt offen. Manches deutet darauf hin, dass Münzer vielleicht größere Verantwortung für den spanischen, Schedel für die restlichen Abschnitte besaß. Die Beobachtungen zur Verschriftlichung treffen sich durchaus mit Überlegungen zu den zahlreichen auch neu gefundenen Notizzetteln Hartmann Schedels⁷ und damit zur Arbeitsweise der Nürnberger Humanisten.

    In der Sprache des Itinerariums dominiert ein eher einfaches, umgangssprachliches, zuweilen sogar parataktisches Latein mit grammatischen Eigenheiten. Zahlreiche Floskeln bestimmen den Text, so etwa, dass man etwas – um kurz zu bleiben – nicht weiter ausführen könne. Neologismen (auch aus romanischen Sprachen) finden sich zuweilen, insbesondere ist das Vokabular zu den Südfrüchten bemerkenswert. Dazu treten einzelne deutsche Wörter oder lautmalerische Transkriptionen des muslimischen Gebetsrufes.

    5. Zur vorliegenden übersetzten Ausgabe

    Gerade die Ausführlichkeit dieses in einem einfachen Humanistenlatein verfassten Berichts sowie das breite Interesse des Verfassers machen den Bericht Münzers über fremde Länder, fremde Menschen und fremde Sitten zu einer Fundgrube für den heutigen Leser, der neben kulturgeschichtlichen Details auch die Weltsicht, die Neugier und das geistige Klima im Zeitalter des Humanismus und der „Entdeckungsreisen" aus einer persönlichen und zugleich für einen gewissen Personenkreis repräsentativen Perspektive kennenlernen möchte. Das Itinerarium wurde lange Zeit nur in seinen spanischen Teilabschnitten ediert, danach folgten einzelne Ergänzungen¹. Gleichzeitig mit dieser Übersetzung lege ich erstmals eine Gesamtausgabe des lateinischen Textes vor, die mit einer Kommentierung und ausführlichen Literaturangaben den Text in den verschiedenen Facetten erschließt. Deshalb ist für jegliche nähere Auseinandersetzung mit Einzelfragen des Itinerariums auf die Edition des lateinischen Textes zu verweisen; hier finden sich auch einige der erwähnten zusätzlichen Texte der Handschrift ediert².

    Für die vorliegende Übersetzung wurden Kommentare vor allem auf Zusatzinformationen beschränkt und der Text möglichst wortgetreu in Übersetzung geboten. Die teilweise sehr spezifische und simple Ausdrucksweise des Lateinischen (oft fehlen Verben oder werden Dinge mit einem fast stereotypen habet eingeführt) sollte stilistisch nicht grundsätzlich übertroffen werden, jedoch wird durch Klammern und Anmerkungen der Sinn zuweilen verdeutlicht. Allerdings ließ sich der parataktische Rhythmus auch im Deutschen nicht ganz vermeiden und spiegelt damit teilweise Münzers spezifische Ausdrucksweise. Bisherige Übersetzungen haben bis auf eine Ausnahme immer nur Teile vorgelegt, ins Deutsche übertragen wurden nur zwei kurze Auszüge³, vom ganzen Itinerarium liegt nur eine französische Übersetzung vor⁴. Die römisch bezeichneten Kapiteleinteilungen stammen von mir, um die Reiseabschnitte besser zu gliedern. Die beigegebenen Abbildungen mögen einen Eindruck von der Handschrift und von einigen Zeichnungen verschaffen. Ortsnamen wurden – zuweilen mit den Varianten in Klammern – in moderner Form in die Übersetzung integriert. Das Itinerarium gibt Zahlen recht willkürlich mal in Ziffern, mal ausgeschrieben an, dies wurde übernommen. Zu vielen Begriffen der Fachsprache ist auch das Wortregister in der lateinischen Edition zu vergleichen⁵.

    Das Orts- und Personenregister dieser Ausgabe erschließt die jeweiligen Orte und Personen des Haupttextes. Bibelzitate werden nach der für mittelalterliche Texte üblichen Form der Vulgata nachgewiesen. Die zahlreichen Maße, Münzen und Gewichte, die Münzer verwendet, bleiben ein Problem: Dazu gehören leuca und milia für Meile, aber auch die verschiedenen Gewichte und Münzen, die von Mark, Gulden, Dukaten, Schillingen und Denaren (Pfennigen) über Écus/Escudos bis zum Real, zum Maravedi und zur Dobla reichen. Manchmal gibt das Itinerarium selbst einen Gegenwert an, wenn es z. B. mit rheinischen Gulden vergleicht oder 66.000 Reales mit 600 Dukaten gleichsetzt. Ladungen rechnete Münzer manchmal in Nürnberger Zentner um, bei Schiffen scheint er mit verschiedenen Termini an Tonnen zu denken, aber wie spezifisch er die Gewichte sonst bemaß, offensichtlich auch nach regionalen Traditionen, bleibt offen.

    Eine Übersetzung bedeutet immer eine Interpretation des Textes. Zwar hoffe ich, dass meine Sichtweisen Zustimmung finden, aber neue Diskussionen dürften die weitere Beschäftigung mit diesem einzigartigen Reisebericht von 1494/1495 beleben.

    Abb. 1:

    Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 431, fol. 96r

    Beginn des Itinerariums in der Münchener Handschrift.

    Itinerarium oder (Pilger-)Reise des hervorragenden Doktors der Artes und der Medizin, Hieronymus Münzer aus Feldkirch, Bürger von Nürnberg

    Der Herr sei mein Helfer

    Jesus Christus

    I. Von Nürnberg nach Perpignan

    Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 431, fol. 97r

    Vorwort des Doktors Hieronymus Münzer aus Nürnberg zu seinem Itinerarium und seiner Pilgerfahrt, die er zur Zeit der Pest¹ im Jahre des Heils 1494 nach Spanien, Gallien und ganz Westeuropa unternahm.

    Ich glaube mit Aristoteles, dass der Mensch die Intelligenz und eine natürliche Fähigkeit besitzt, sich der Suche nach der Wahrheit zu widmen. Ich glaube auch, dass, wenn sein Geist frei von allen häuslichen Sorgen und allen verpflichtenden Aufgaben ist, er alle Dinge hören und lernen kann; durch die Kenntnis der verborgenen Wahrheiten und der Wunder der Natur wird er zu einem würdigen und glücklichen Leben geführt werden. Und mit diesem Verlangen danach, die Wahrheit zu erkennen, ist die Größe des Geistes verbunden: Durch sie (die Größe) konnte er, so weit wie möglich, Unsterblichkeit erlangen. Deshalb wollten so viele Menschen Geschichte schreiben, Reisen zu Land und zu Wasser unternehmen, die Lage der Orte untersuchen und, was das eigene einer edlen und erhobenen Seele ist, die Menschen verschiedener Nationen kennenlernen, ihre Sitten sehen und dies im Gedächtnis behalten. Ähnliche Forschungen haben Platon, Pythagoras, die Pompeii, die Fabricii, die Cäsaren, Sertorius und die Christen Hieronymus, Augustinus, Antonius, Aegidius aus Athen und andere in unzähliger Zahl vorgenommen².

    So haben mich alle diese hochbekannten Männer eingeladen, meinen Vorsatz auszuführen. Schon im sechsten Jahr meines Doktorates an der medizinischen Fakultät zu Pavia kam es dazu, als in der schönen Handelsstadt Nürnberg in Oberdeutschland eine Epidemie ausbrach. Ich verdanke es meinem Glück und meinen medizinischen Kenntnissen, die Gesundheit bewahrt zu haben. Es war im Jahr des Heiles 1484³. Ich fürchtete die Ansteckung und begriff schnell, dass, wer nicht ihre Nähe sucht, weder im Krieg noch durch die Pest stirbt. So beschloss ich zu fliehen, um nicht durch Nachlässigkeit das Leben zu verlieren; im September desselben Jahres verließ ich Nürnberg und erreichte das schwäbische Gebiet Deutschlands. Nachdem ich die Alpen überquert hatte, durch die Italien von Deutschland getrennt wird, kam ich in die Ebene von Mailand. Von dort ging es nach Genua, dem edlen Hafen Liguriens, ich machte einen Umweg über Pavia, Piacenza, Parma, Cremona, Modena, Bologna, Florenz, Siena, Viterbo und gelangte nach Rom, der Herrin des ganzen Erdkreises. Dort blieb ich einige Tage und sah Velletri, Terracina, die Grafschaft Fondi, Gaeta, Capua; schließlich kam ich nach Neapel. Wieviel Freude bereitete es mir, im Verlauf dieser Reise hochgelehrte Menschen zu treffen und zu hören, zudem die Orte der Heiligen zu besichtigen! Mich begeisterten die Umgänglichkeit der Leute, die Monumente der Väter, die Fruchtbarkeit des Bodens, der Glanz der Städte, um es mit einem Wort zu sagen, der Anblick des Paradieses, aber es ist jetzt nicht an der Zeit, davon zu erzählen. Auf dem Rückweg schlug ich einen anderen Weg ein, über die Marken, Ancona, Pesaro, Rimini, Ravenna, Faenza, Imola, Ferrara, Padua, Venedig; dann kehrte ich über Vicenza, Verona, Brixen, Bergamo und Como zurück. Nach Überquerung des dort gelegenen Sees ging ich über Alpenpässe und die Quellen des Rheines bis nach Deutschland zurück, wo ich am 24. Januar im Jahre des Heils 1485 Nürnberg erreichte, gesund und unbeschadet, und meine Frau, meine Familie und mein ganzes Haus wohlbehalten vorfand.

    Ende der ersten Fahrt.

    Es folgt das zweite Itinerarium.

    Später, im Jahre des Heils 1494, als eine neue Pestwelle ausbrach, wollte ich zum alten Heilmittel der Flucht greifen; erneut dachte ich daran, mir ein paar aufrichtige junge Männer auszuwählen, Söhne wohlhabender Kaufleute, welche in der italischen und gallischen Sprache bewandert waren: Antonius Herwart aus Augsburg, Kaspar Fischer und Nikolaus Wolkenstein, sie wählte ich zu meinen Reisebegleitern⁴.

    Am zweiten August des genannten Jahres verließ ich Nürnberg und durchquerte in Schwaben die großartigen Städte Nördlingen, Ulm, Biberach, Ravensburg sowie Konstanz, das wegen des Konzils Martins V. und Kaiser Sigismunds bekannt ist⁵. Sodann kam ich durch die Gegend der Schweizer und Orte wie Duregum, heute Zürich, bei einer Eremitensiedlung an die Schwellen der Jungfrau Maria⁶. Dann ging es über die heißen Quellen in Baden zu den Ufern des Limatflusses, dort wuschen wir uns, danach richteten wir unsere Schritte zur uralten Stadt Soloturn und nach Bern, den wichtigsten Städten der Schweizer. Nachdem wir die Schweizer Republik des Volkes in Augenschein genommen hatten, verließen wir deutsches Gebiet und nahmen Kurs auf ein Städtchen namens Murten, das durch die Niederlage des Herzogs Karl von Burgund bekannt ist⁷. Welches Morden an Menschen dort vollzogen wurde! Mehr als 24 tausend Menschen aus dem Heer des burgundischen Herzoges und seiner Anhänger starben durch die Niederlage gegen die Liga der Schweizer und das aufgebrachte Volk. Es wäre unglaublich, von diesem Ereignis zu erzählen, denn man müsste sich die vielen Knochen getöteter Gegner anschauen, was ich weiter unten ein wenig geschildert habe⁸.

    Nachdem ich nun das Bild des Todes so vieler christlicher Menschen gesehen hatte, bewegten wir unsere Schritte in Richtung Freiburg, der Stadt der Allobroger, dort wurde einstmals die gallische Sprache, nun jedoch größtenteils die deutsche benutzt⁹. Erneut ritten wir durch waldige Schluchten zur ersten Stadt der Allobroger, Lausanne, das mit einem Bischofssitz geziert ist; und an den Ufern des Genfer Sees kamen wir nach 9 weiteren Meilen zur uralten Stadt Genf, bekannte Handelsstätte der Allobroger und ausgezeichnet durch die Wundertaten vieler Heiliger, einstmals von Genabus, einem Exilierten aus Numantia in Spanien, gegründet, wie du im Folgenden genauer erkennen wirst. In diesem Herzogtum Savoyen hat nun Christopherus als Herzog Savoyens die Herrschaft inne, er ist mit Anna, einer Tochter des Königs Maximilian, ehelich verbunden, die vorher vom Sohn des Königs von Spanien geheiratet wurde¹⁰.

    Ich habe aber, soweit es die Gelegenheit erlaubte, über wichtigere Orte geschrieben und Sitten und Gebräuche der Völker: in der Gallia Lugdunensis, der Narbonensis und in ganz Spanien wie in der Grafschaft Barcelona, im Reich Valencia, Granada, Kastilien, Aragon, Navarra, Gallien, Aquitanien, Belgien, in der Normandie, der Picardie, und in Niederdeutschland bis zur Stadt am Rhein in Oberdeutschland¹¹, wie Du im Folgenden sehen wirst.

    Jesus Christus 1495 (1494), 21. August, Genf

    Es ist der Ort der Allobroger, früher nannte man ihn „Genf";

    ihn schmückt ein See mit Wasser klarer als Kristall.

    Diesen See durchbrechen in seiner Mitte die reinsten Wasser der Rhône,

    der Sturzbach der Arve und die Berge von Leman.

    Als Cäsar die Helvetier angriff, und diejenigen Völker, die gegen die Römer rebellierten, da hielt er sich in dieser Stadt auf.

    Dort ließ er eine Rhône-Brücke wiederherstellen und den Göttern ehrwürdige Tempel errichten.

    Nach dem Sieg Scipios über Numantia gründete diese (Stadt) ein Spanier namens Genabus:

    Jener hatte Numantia verlassen und ihr dann seinen eigenen Namen „Genf" gegeben.

    Dies schreibt Frontonius in seinen Epigrammen über die Städte¹²

    Die am weitesten entfernte Stadt der Allobroger ist Genf.

    Dort führt eine Brücke hinüber zu den Schweizern, unter der vom Genfer See her die Rhône fließt.

    Dies schreibt Cäsar in seinen Commentarii¹³.

    Die Ruinen der Stadt der Helvetier scheinen heute jenseits des Schlosses von Biel zu liegen, wo sich drei sehr bekannte Seen treffen: der von Neuchâtel, der von Biel und der von Murten. Heute sind Solothurn, Bern und Freiburg die Metropolen der Helvetier. Solothurn ist eine Stadt mit einem sehr alten Turm, und dort steht geschrieben, dass dieser 450 Jahre vor Christi Geburt errichtet wurde.

    Über die Schlacht und die Niederlage bei der Burg Murten habe ich Folgendes notiert:

    Im Jahre des Herrn 1476, als Herzog Karl von Burgund gegen die Helvetier Krieg führte, sind 10.000 Kämpfer (die ortsansässigen Leute erzählten mir, mehr als 24.000) getötet worden. Und dort beim See ist eine Kapelle erbaut worden, auf deren Türsturz folgende Inschrift steht¹:

    Wohlergehen denen,

    die den listenreichen Feind Karl, Ruhm und Stolz von Burgund, vom Schlachtfeld vertrieben haben,

    die durch ihren Gesang die Helden im Himmel ehren,

    und die Altäre des Mars mit einem süßen Opfer beladen,

    all denjenigen, die die zerstörerische Kraft der Waffen erfuhren.

    Im Lauf der Jahre hatten sich 1000 und 400 und 70 und 6 (Jahre) vereinigt,

    und Atlas (= die Erde) hatte sich einmal um die Achse gedreht:

    Da hatte die niedergemetzelten Körper grausam das feindliche Schwert zu Boden gestreckt.

    Die Gebeine der Toten sind in zwei Grabkammern niedergelegt. Die Breite der ersten beträgt 20 Schritte, die Länge 6 und die Höhe 6, die Länge der anderen 7 Schritte und die Breite 5. Die Anhäufung so vieler Knochen ist schrecklich anzusehen, und fortwährend bringt der See neue Knochen hervor, die dort beigesetzt werden. Ich habe dies am 17. August 1494 gesehen.

    Über die Stadt Lyon

    Die alte Stadt Galliens Lyon ist bestens gelegen. Im Osten fließt außerhalb der Mauern der vielgerühmte Rhônefluss vorbei; die Saône, der allseits bekannte Fluss Burgunds, teilt die Stadt in zwei Teile. Beide (Flüsse) sind schiffbar. Die Steinbrücke der Saône hat 9 ausgezeichnete und hohe Bögen, 13 jedoch die der Rhône. Im Osten liegt Savoyen, im Norden Burgund, woher die Saône kommt, im Westen liegen die Berge Frankreichs und im Süden die Dauphiné der Allobroger. Ausgezeichnet ist der Ort durch 4 Kathedralkirchen und einen Bischofssitz; der vorzügliche Kirchenbau des göttlichen Johannes ist aus Steinquadern erbaut. In der Kollegiatkirche des heiligen Paulus ruht der Leichnam von Johannes Gerson, des Kanzlers von Paris; dessen Epitaph lautet folgendermaßen¹:

    Eine kleine Urne enthält Johannes, genannt Gerson,

    gerühmt für seine Taten und erhaben durch seine Verdienste.

    Als Pariser Professor für Theologie leuchtete dieser der heiligen Kirche.

    Er verschied als Kanzler am zwölften Tag im Juli 1429.

    Außerhalb der Mauern, einige Steinwürfe entfernt, liegt auf einer gewissen Insel im Fluss der Saône ein stolzes benediktinisches Kloster, in dem sich eine Gebetsstätte befindet, die wegen der Wunder der seligen Jungfrau berühmt ist. Und in einer anderen Kapelle ruhen der Leichnam der seligen Anna, der Mutter Mariens und derjenige des Kämpfers Longinus, der mit seiner Lanze die Seite des Herrn durchbohrte; dort findest Du einen Unterarmknochen des seligen Martin, das Haupt des heiligen Mauritius, eine Ampulle aus Smaragden, angeblich mit edlem Silber überzogen – daraus sollen beim letzten Abendmahl die Apostel, kurz bevor sie predigten, getrunken haben –, und viele andere (Reliquien), von denen man hier nicht erzählen muss. Im Kloster ruhen auch die Gebeine des Minderbruders Bonaventura, des bekannten und gelehrten Mannes².

    Auf einem Berg Lyons liegen gegen Westen uralte Ruinen, außerdem das Kloster des heiligen Irenäus, des 13. Bischofs von Lyon, der von Severus Antonius mit 19.000 Männern, ausgenommen Frauen und Kleinkinder, durch das Martyrium gekrönt worden ist.

    Außerdem ruhen im Chorraum in einer tiefergelegenen Krypta weitere Leichname. In der Nähe wurde uns der größte Teil der Säule gezeigt, an der Christus gegeißelt wurde. In diesem Kloster gibt es Regularkanoniker des Augustinerordens. Und aufgrund der behauenen marmornen Monumente und anderer Dinge scheint es sehr alt zu sein. Die vorgenannte Kirche war ein Bischofssitz, der später unterhalb des Berges in eine andere sehr schöne Kirche des heiligen Bischofs Justus übertragen worden ist. Wir sahen zahlreiche Gebeine von heiliggesprochenen Bischöfen. Dort sind diejenigen des heiligen Justus, eines der unschuldigen Kinder und von anderen zu sehen. Nun aber ist im Laufe der Zeit der Bischofssitz an die Ufer der Saône übertragen worden, wo eine hervorragende, mit Steingewölbe versehene Kirche zu Ehren des heiligen Johannes des Täufers erbaut worden ist.

    Am vierten September verließen wir Lyon und erreichten auf einem Schiff über den Rhônefluss die uralte Stadt Vienne, die bestens erbaut ist. Der dortige Bischofssitz ist in einer wichtigen Kirche mit einem hervorragenden Gewölbe und mit einer sehr bemerkenswerten Säulenhalle, die jedoch noch nicht vollendet ist; Patron der Kirche ist der heilige Mauritius. In einem sehr alten Kloster des Benediktinerordens, einstmals der Bischofssitz, ruht der Leichnam des heiligen Mamertus, eines Bischofs von Vienne, der die kleineren Litaneien (letanias menores) einführte. Einiges habe ich aus dessen Vita zusammengestellt, wie Du auf Folio 216 findest³.

    Wir verließen die Stadt am 5. September; vorbei an sehr schönen Burgen, deren Namen mir nicht alle einfallen, kamen wir zur äußerst berühmten Stadt Valence, einem Bischofssitz. Später gelangten wir nach Pont Saint-Esprit, einer ehrwürdigen Stadt mit steinernen Brückenbögen, zur Stadt Avignon. Avignon liegt auf dem Ostufer der Rhône. Die Stadt ist in einem Kreis erbaut. Dort sahen wir drei staunenswerte Dinge: Die Brücke mit 23 Bogen aus behauenen Steinquadern erbaut. Zum zweiten den Papstpalast, dem, wie ich glaube, nichts auf dem ganzen Erdkreis gleicht. Wie bewundernswert und eindrucksvoll ist das Bauwerk mit so vielen Kapellen, so vielen Palästen, so vielen Umgängen, dass man es fast für ein Labyrinth und ein Werk des Dädalus halten könnte! Die Türen sind zu größten Teilen aus Eisen, alle Fenster sind mit stärksten Eisenstangen gesichert, dazu kommen hohe Türme, beeindruckende Bollwerke, Gärten innerhalb der Mauern mit verschiedenen Früchten wie Maulbeeren, Brombeeren und Quitten. Ich glaube, dieser Palast könnte dem Kaiser und Papst für sich und ihr Gefolge als Aufenthaltsort genügen⁴. Aber weil dort kein wachsamer Bewohner zugegen ist, findest Du dort vieles durch Nachlässigkeit zerstört, und der Ort scheint sich in eine Ruine zu verwandeln. Dort half uns ein gewisser Gefolgsmann des Leiters, der uns Verschiedenes zeigte; dies alles zu beschreiben würde jedoch zu viel Zeit kosten.

    Und drittens gibt es dort eine hervorragende Mauer um die Stadt herum. Sie ist aus behauenen Steinen gebaut, mit vielen Türmen, Schutzwerken und Zinnen: Etwas Ähnliches habe ich noch nie gesehen. Die Stadt liegt freilich in einer schönen Ebene beim Rhônefluss und ist nach Art der Gallier mit edlen Häusern ausgestattet.

    Dort findet sich auch das Kloster des heiligen Petrus vom Orden der Coelestiner der Observanz, das mit ausgezeichneten Bildern dekoriert ist⁵. Hier liegt der Leichnam des heiligen Petrus aus der Familie der Grafen von Luxemburg in Deutschland, schon von seiner Jugend an wurde er Gott und der Askese geweiht und in Paris ausgebildet. Später wurde er Bischof von Metz, dann zum Kardinalat erhoben und führte ein kontemplatives Leben. Schließlich ging er – durch körperliche Gebrechen und ein sehr hartes Leben erschöpft – in Avignon in das Reich des Herrn ein. In der vorgenannten Kirche ist er begraben und leuchtet durch unzählige Wunder⁶. Sein Epitaph folgt:

    Epitaph des heiligen Petrus‘ von Lützelburg in Avignon

    In diesem Tempel wird verehrt und zugleich bedeckt goldene Tugend:

    Der berühmte Spross aus dem Hause Luxemburg, ein überaus glanzvoller Lohn.

    Auf Erden einmaliger Ruhm wird mit sterblicher Hülle in den Himmel überführt,

    und für seine Verdienste durch Petrus in das Himmelreich erhoben.

    Im Jahr Tausend, füge dreihundert, achtzig und sieben hinzu, wurde er begraben:

    Durch seine großartigen Wunder mächtig erfährt er jedes Jahr am fünften Juli Verehrung durch das Volk.

    Wir verließen Avignon am 6. September, durchquerten eine sehr schöne Ebene und gelangten dann über den schiffbaren Fluss Isère¹ an Berglandschaften, Tälern und fruchtbaren Ebenen vorbei zur Stadt Aix(-en-Provence), einst für ihr Thermalwasser bekannt. Jetzt im Sommer ist der Ort allerdings seiner heißen Quellen vollkommen beraubt, im Winter hingegen wird er von genug heißem Wasser bewässert. Der Ort ist mit zugerichteten Quadersteinen sehr vornehm erbaut; in den Ebenen sind Weinstöcke und anderes in großer Zahl vorhanden, die Stadt ist mit einem Bischofssitz ausgezeichnet. Patron der Kathedrale ist der Welterlöser (Salvator Mundi); dort ruht inmitten der Leichname der Heiligen unter anderem derjenige des heiligen Maximin, des Bekenners der seligen Magdalena: Er ist mit einem wunderschönen silbernen Gewand geschmückt. Ebenso befindet sich dort das ausgezeichnete Grab des Königs René von Sizilien² und einige weitere Dinge.

    Am achten September kamen wir nach Saint-Maximin, ein Kastell, das ehemals Villa lata genannt wurde; dort hörten wir frühmorgens im ehrwürdigen Kloster der Predigerbrüder³ eine Messe und sahen rasch die Reliquien, zunächst den rechten Arm und das Schienbein des ergebensten Bischofs Maximin; ebenso den Kopf eines Blinden, der von Gott geheilt wurde, auch das Haupt der heiligen Susanna, der Schwester des heiligen Maximin, die Haare, mit denen sie (gemeint Magdalena) Christus berührte und trocknete, sie sind unvergänglich und in der Farbe eines reifen Hafers.

    An einem gegenüberliegenden Ort jedoch, rechts des Altares, wurden uns der Arm der heiligen Maria Magdalena und andere Reliquien gezeigt. Schließlich kamen wir aus dem Chor in die Kapelle des heiligen Maximin. Es ist die Stelle, wo vor dem Steinaltar Maria Magdalena, nachdem sie den Leib des Herrn empfangen hatte, in dessen Armen ihren Geist aushauchte. Wir sahen ihr Grabmal bei demjenigen des heiligen Maximin und ebenso weitere sehenswerte Gräber⁴. Schließlich erblickten wir an einem Ort, der durch Stangen und anderes gesichert war, das Haupt der heiligen Magdalena, das mit einem Tuch aus Gold und Silber bedeckt war. Es ist schrecklich, dieses Gesicht anzusehen, am vorderen Teil des Schädels, auf der linken Seite, kleben ein wenig Fleisch und Haare am Knochen. An dieser Stelle freilich hat Christus sie nach seiner Auferstehung mit seinem verklärten Leib berührt und gesagt: Noli me tangere⁵. Erhalten ist dort auch der untere Kinnknochen. All dies ist bewunderns- und staunenswert! Ich glaube nicht, dass man auf dem ganzen Erdkreis etwas finden wird, was dem göttlichen Wirken im katholischen Glauben derart ähnelt. Je länger man es betrachtet, desto mehr fühlt man sich von einem ungeahnten Geist entflammt!

    Wir sahen auch eine kleine Glasampulle, in der sich mit dem Blut des Herrn getränkter Sand befindet, den die heilige Magdalena aufsammelte; immer am Freitag beginnt dieser Sand zu kochen und das Glas mit einer blutroten Farbe zu füllen. Dies ist ohne Zweifel ein sehr großes Wunder. Noch am selben Tag verließen wir das Kastell Saint-Maximin über eine schlecht ausgebaute und steile Straße, 35 Meilen weit bis zu einem Ort, wo sie Buße tat. Unter den übrigen Bergen sticht dieser hervor. Sein Gipfel reicht bis zu den Wolken, und am unteren Ende des Abhangs, innerhalb des Berges nehmen eine Höhle und Krypta großen Raum ein. In dieser Krypta leistete die heilige Magdalena auf einem harten Felsen zweiunddreißig Jahre lang Buße: Jeden Tag wurde sie von Engeln siebenmal über den Abgrund erhoben und durch göttlichen Nektar genährt. Am Ort dieser Krypta steht heute ein Kloster des Dominikanerordens, das mit bewundernswerter Technik am Abgrund des Tals erbaut wurde.

    Dorthin werden regelmäßig Brüder aus dem Ort Saint-Maximin geschickt, die Tag und Nacht Lobgesänge auf Gott und die heilige Magdalena anstimmen; sie empfingen uns als Pilger in ihrem Hospiz und teilten freizügig. Unter ihnen war ein Deutscher aus Freiburg, ein wirklich frommer Priester, der mit uns die sehr lange und noch dazu harte Straße bis zum Gipfel des Berges emporstieg. Dort konnten wir bei einer Kapelle mit dreimaligem Umlaufen Ablässe erwerben, derer wir hoffentlich teilhaftig wurden. Im Kloster hinter dem Hauptaltar gibt es ein äußerst weiches und für die Gegend eiskaltes Wasser. Die Lage des Ortes verweist nach Norden, so dass, wenn die Sonne unter winterlichen Bedingungen scheint, Wolken, heftige Regenfälle und Schnee den Berg heimsuchen. Dennoch nehmen diejenigen, die dort bleiben, dies alles aus Liebe zur heiligen Maria Magdalena auf sich.

    Am Fuß des Berges gibt es einen geradezu riesigen Wald. Er ist reich an Buchen, Eichen, ebenso an Eiben, Wacholder und Tamarisken. Die Stümpfe dieser Bäume sind so groß, dass sie von den Armen eines einzelnen Mannes nicht umschlossen werden können; so etwas habe ich in Deutschland noch nirgendwo gesehen.

    Gebet zur heiligen Maria Magdalena

    Sanfte Freundin Gottes, neige Dich unseren Tränen zu,

    und erhöre unsere demütigen Bitten, sorge für unser Wohlergehen!

    Denn das vermagst Du. In der Tat ist es für Dich unstatthaft vergeblich zu berühren,

    mit Deinen Tränen kannst du die heiligen Füße benetzen,

    und sie mit strahlend glänzenden Haaren trocknen, die Sohlen darfst Du küssen,

    über dem Haupt des Herrn kostbaren Duft verbreiten.

    Im Moment seiner Wiederauferstehung warst Du die erste, der es gewährt war,

    ihn zu treffen, seine Worte zu hören und seine Glieder zu betrachten.

    Sie (die Glieder) werden von unsterblicher Herrlichkeit sein und für alle Zeiten leuchten.

    Christus, König oben im Götterhimmel, gab nicht vergebens:

    Dieser hatte sie am Kreuze stehen sehen, jene ihn,

    den weder das schreckliche Foltern durch Judenhand

    noch die Anschuldigungen und Beleidigungen der aufgebrachten Menschenmenge

    – und auch nicht solche Äußerungen, die Schlägen gleichkamen – ängstigten.

    Doch er, tief betrübt und unerschrocken zugleich, sah,

    wie sie die blutbeschmierten Nägel mit ihren Fingern betastete und die Wunden mit ihren Tränen benetzte,

    wie sie mit ihren Fäusten fest auf seine fahle Brust schlug,

    und mit ihren Händen rücksichtslos die bleichen Haare ausrupfte.

    Und ich wiederhole: er hat das alles gesehen,

    während die treuen Seelen seiner Gefolgschaft ängstlich auseinandergelaufen waren.

    Daran hat er sich also erinnert, als er sich vor allen anderen zuerst nach Dir umsah,

    Dir allein offenbarte er sich schon früher.

    Du bist es auch, die er, als er dem irdischen Reich entschwunden und zu den Gestirnen zurückgekehrt war,

    unter diesem Felsen nährte, sodass Du in diesen 30 Lebensjahren niemals irdischer Nahrung bedurft hast.

    So lange Zeit warst Du ausschließlich von göttlichen Speisen gesättigt und von heilsamem Tau benetzt.

    Dieses Dein Haus, von tropfendem Gestein feuchte Höhlen, furchterregend und finster gelegen,

    hatte über die Paläste der Könige, und all den anderen Luxus, sowie über fruchtbares Land gesiegt.

    Hier bist Du gerne abgeschieden, bedeckt von langem Haar, ansonsten aber unbekleidet.

    Hier sollst Du 30 Dezembertage lang gelitten haben. Hier lebtest Du und bist dabei nicht vor Eiseskälte erfroren.

    Auch die Angst konnte Dich hier nicht bezwingen.

    Denn obwohl Du Hunger hattest und es eiskalt war, hast Du durch Deine Liebe und Hoffnung, die im

    Innersten Deines Herzens wohnte, das Gestein in eine Schlafstätte verwandelt.

    Du bist zwar für niemanden sichtbar, doch umringt von Engelsheerscharen.

    Du, die Du würdig warst, sieben Mal am Tag aus dem Kerker Deines Leibes entrückt zu werden,

    und die himmlischen Chöre dabei zu hören, wie sie Dir im Wechselsang ein Loblied singen.

    Irgendjemand schrieb in jener Höhle folgende Verse:

    Die sieben Freuden der heiligen Magdalena

    Frohlocke, fromme, Magdalena,

    Du Hoffnung auf Heil, Ader des Lebens,

    Zuflucht der Gestrauchelten.

    Frohlocke, edelmütige Fürsprecherin,

    den Unglücklichen nach ihren Verfehlungen Ideal einer Büßerin.

    Frohlocke und sei glücklich, Dank sei Gott,

    Dir sind Deine Sünden erlassen worden,

    mit besonderer Gnade.

    Frohlocke, die Du die Füße Christi gewaschen hast,

    wodurch Du Dir so sehr Zeichen der Liebe verdientest.

    Frohlocke, die Du als Erste würdig warst,

    Dich am Antlitz Deines Retters zu erfreuen,

    der ruhmvoll auferstanden ist.

    Frohlocke, die Du siebenmal am Tag

    aus der Höhle nach draußen fährst,

    auf zu himmlischen

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1