Bettina auf der Schaukel
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Buchvorschau
Bettina auf der Schaukel - Liz Bente Løkke Dæhli
Saga
1
Thor wollte nicht wegziehen, aber seine Eltern hatten das entschieden, ohne ihn zu fragen.
»Du wirst sehen, das wird schön. Denk doch nur an das große, schöne Haus. Und die Tanerud-Schule ist eine gute Schule. Das wird dir gefallen, Thor, warte nur ab.«
Thor gefiel es dort, wo er jetzt wohnte. Er konnte sich nicht vorstellen von seinem Freund Ragnar und seinen anderen Kumpels wegzuziehen. Seit sie den neuen Freizeitclub hatten, war jeden Abend etwas los. Und dann das Fußballtraining und die Spiele fast jedes Wochenende in der Saison. Das letzte Mal hatten sie ein Heimspiel gehabt und da war Rita auch gekommen. Als Thor seine Mannschaft mit 1:0 in Führung brachte, hatte er ihre Anfeuerungsrufe sogar auf dem Spielfeld gehört.
Und jetzt wollten sie ihn zwangsweise an eine Schule versetzen, wo er keine Menschenseele kannte. Wollten ihn von seiner alten Truppe wegreißen, mit der er seit der Grundschule zusammen war. Thor wurde von dem ganzen Gerede über das schöne neue Haus ganz elend, über den schönen neuen Garten und die netten neuen Nachbarn. Alles war so verdammt schön und nett! Selbst die Schule war schön!
Seit Vater das Angebot für die Stelle als Bezirksleiter der Versicherungsgesellschaft bekommen hatte, nahm es gar kein Ende mit all den »Schönheiten«, die auf Thors Vater und seine Familie warteten. Und eine davon bestand also darin, dass sie fort mussten. Ihr neuer Wohnort lag auch an der Küste. Es war eine mittelgroße Stadt, ähnlich der, aus der sie fortzogen.
»Am besten ziehen wir in den Ferien um, bevor du in der achten Klasse anfängst, dann musst du nicht mitten im Schuljahr wechseln. Es ist ja nicht so einfach überall gleich mitzukommen«, sagte Vater.
Vater und Mutter hatten Thors Leben so geplant, wie es ihnen passte. Es schien, als hätten sie schon geahnt, dass er sich auf die Hinterbeine stellen würde, und hatten ihn deshalb zunächst aus allen Diskussionen herausgehalten. Womit sie sich selbst Unannehmlichkeiten ersparten und so war das Leben einfach herrlich – fanden sie.
»Du musst dich eben weigern! Total ausflippen und den Bescheuerten spielen«, hatte Ragnar in einem ironischen Ton gesagt. Ihm gefiel der Gedanke auch nicht, dass Thor aus der Stadt wegziehen sollte. Die beiden waren an den Strand gegangen, um zu baden, aber keiner von ihnen hatte eigentlich richtig Lust ins Wasser zu springen. Eine Möwe streifte über ihre Köpfe und schrie dabei durchdringend, aber die Jungs beachteten sie gar nicht. Sie hingen seit der ersten Klasse zusammen und hatten große Pläne für den Sommer gehabt, aber gleichzeitig genügend faule heiße Tage am Strand eingeplant.
»Das nützt nichts, die haben sich entschieden. Der Kaufvertrag fürs Haus ist schon unterschrieben und der Möbelwagen bestellt. Wenn ich nicht freiwillig mitkomme, packen sie mich einfach zu all ihrem Krimskrams.«
»Wir könnten abhauen, schließlich sind ja Ferien.«
»Es hat keinen Zweck Krach zu machen, dann wird es hinterher nur umso schlimmer. Nichts kann die von ihren Plänen mehr abbringen.«
Thor zupfte sich die abgepellte Haut von einer Schulter. Er hob die tote, durchsichtige Haut hoch und betrachtete sie. Das Muster der Poren war zu feinen, dünnen Strichen zusammengefügt. Seine Haut konnte keine Sonne vertragen. Typisch für einen mit roten Haaren und Sommersprossen, dachte Thor seufzend. Er war gern in der Sonne und am Wasser. Ragnar hatte Glück, der bekam nie einen Sonnenbrand, wurde nur braun. Thor ließ die dünne Haut auf den weißen Sand segeln.
»Dann gibst du also einfach auf, oder?«, stellte Ragnar fest und seine dunkelbraunen Augen verrieten Enttäuschung. Schnell beugte er den Kopf und bürstete sich den feinen Sand aus dem dunklen Pony.
»Habe ich denn eine Wahl?« Thor hatte das Gefühl sich verteidigen zu müssen.
Ragnar murmelte etwas, das Thor nicht verstand, und rannte dann zum Wasser hinunter. Er wollte schwimmen, tauchen und alles auf dem Sandgrund ablegen.
Thor stand auf und lief hinterher. Er durchschnitt die ruhige Wasseroberfläche, auf der die Sonne mit tanzenden Reflexen spielte, und tauchte.
»Willst du nicht bald mal mitkommen und dir das neue Haus angucken?«, fragte seine Mutter mit bettelndem Blick. Thor hatte immer eine Ausrede, warum er nicht mitkonnte. Würde er mit ihnen fahren, wäre das fast, als würde er klein beigeben. Er wollte sie nicht so einfach davonkommen lassen. Es war schließlich sein Leben, das sie durcheinander brachten, wie es ihnen gerade gefiel. Bis jetzt hatten sie nicht darauf bestanden, dass er mitkam, sie ließen ihn zu Hause. Diese Feiglinge, dachte Thor. Bildet euch bloß nicht ein, dass alles in Ordnung ist, träumt ruhig schön weiter!
Im letzten Sommer hatten sie sein Zimmer renoviert, genau nach seinen Wünschen. Sie hatten es blau und weiß gestrichen und Vater hatte eine Wand mit Regalen versehen. Auf denen hatte Thor Platz für seine ganze Sammlung von Modellflugzeugen und Schiffen, die er gebaut hatte. Stundenlang hatte er daran gesessen, geklebt und die Zeichnungen studiert. Da sein Zimmer groß genug war, hatten sie auch noch eine Sprossenwand angebracht und Turnringe an der Decke befestigt. Würde er für das alles im neuen Haus, in seinem neuen Zimmer auch Platz haben?
2
Bis zu dem Tag, als der Möbelwagen kam, hatte Thor gehofft, sie würden es sich noch anders überlegen. Die letzten Tage hatten Ragnar und er am Strand verbracht. Thor hatte keinen Finger gerührt, um daheim beim Packen zu helfen. Seine Eltern konnten seinen offensichtlichen Widerwillen gar nicht übersehen. Aber sie taten, als wenn nichts wäre.
Thor und Ragnar standen unten am Briefkasten. Sie vermieden es Thors Eltern und die Möbelpacker anzusehen, die ein Möbelstück nach dem anderen zum Wagen trugen. Keiner von beiden bot seine Hilfe an. Als Thors Vater an ihnen vorbeiging, sah Thor, wie er seine Kiefer zusammenbiss, und der schnelle Blick, der ihm zugeworfen wurde, war hart und schroff. Er kannte seinen Vater gut genug, um zu wissen, dass