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Ricardos Weg: und weitere Erzählungen
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eBook245 Seiten3 Stunden

Ricardos Weg: und weitere Erzählungen

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Über dieses E-Book

Ricardo, Sohn portugiesischer Einwanderer, geht seinen Weg in Deutschland. Er lebt mit Iva, seiner über alles geliebten Freundin, ein gutes Leben und ist auch im Beruf erfolgreich. Als Iva durch einen tragischen Autounfall stirbt, ändert sich für Ricardo alles. Nichts ist mehr so, wie es war. Alles hat seinen Sinn verloren. Sein nicht enden wollender Schmerz führt ihn durch ungeahnte Abgründe seiner Seele und bis ins Drogenmilieu. Eine Überdosis scheint das vorprogrammierte Ende zu sein Auch Arvid, Jonathan und Marco, die Protagonisten der weiteren Erzählungen, befinden sich in schwierigen Lebenssituationen. Einer kämpft gegen seine Drogensucht, ein anderer ist alt, verbittert und lebt in der Vergangenheit; der dritte muss die Schranken zwischen Kulturen überwinden, um mit seiner Liebsten vereint zu sein. Sie alle brauchen einen festen Willen und eine gehörige Portion Mut, um ihr Leben wieder zurechtzurücken.
SpracheDeutsch
HerausgeberKarina Verlag
Erscheinungsdatum30. Nov. 2019
ISBN9783967243802
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    Buchvorschau

    Ricardos Weg - Marc Schuhmacher

    Marc Schuhmacher

    Ricardos Weg

    Impressum:

    Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages, Herausgebers und Autors unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    © KarinaVerlag, Wien

    www.karinaverlag.at

    Text: Marc Schuhmacher

    Covergestaltung: Karina Moebius

    Coverbild: Pixabay, Manfred Zimmer, Waldryano

    Lektorat und Layout: Bruno Moebius

    © 2019, Karina Verlag, Vienna, Austria

    ISBN:978-3-96724-380-2

    Ricardos Weg

    Kapitel 1 · Das letzte Bankett

    »Du hast dem Teufel deine Seele verkauft. Du bist nicht länger mein Sohn«, schrie Ricardos Vater Joaquim in den Hörer. Dann legte er auf.

    Ricardo beugte sich nach vorne und hielt seine Hand vors Gesicht. Einige Sekunden vergingen. Dann wischte er plötzlich mit einer ebenso wuchtigen wie schnellen Armbewegung Tastatur, Maus, Lautsprecher, Handy und die halb volle Getränkedose vom Tisch. Die Sachen verteilten sich über das ganze Schlafzimmer. Ricardo stand auf und trat den Stuhl quer durch den Raum.

    »Gottverdammte Scheiße!«, rief er laut. Mit zittrigen Händen nahm er eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an.

    »So ein Spinner«, sprach er leise vor sich hin. »Hoffentlich überredet Mutter ihn, wieder zum Psychologen zu gehen«, fügte er nach einigen stillen Sekunden seinem Monolog hinzu.

    Ricardo hatte heute vorgehabt, von zu Hause aus zu arbeiten. Am Abend stand ein Firmenbankett an, und Ricardo wollte sich Fahrtwege ersparen. Nach dem Streitgespräch mit seinem Vater entschied er sich jedoch spontan, in die Firma zu fahren. Nachdem er aufgeraucht hatte, zog er ein schwarzes Hemd und eine dunkelblaue 501-Jeans an. Sein Haar richtete er flüchtig vor dem großen Spiegel. Anschließend holte er das Etui aus der Schublade, in dem er sein Speed aufbewahrte. Er legte sich eine Linie hin, rollte einen Geldschein zusammen und zog das Amphetamin in die Nase. Nun hob er die hintere Schale sowie den Akku seines Smartphones auf und steckte die Teile zusammen. Anschließend wollte er den Autoschlüssel zur Hand nehmen, bis ihm einfiel, dass er das Auto seiner Partnerin Jenny ausgeliehen hatte. Auf der Kommode im Flur lagen einige Stempelkarten, die Jenny normalerweise nutzte, um zu ihrer Arbeit als Kinderkrankenschwester zu fahren. Er nahm eine der Karten, steckte sie in die Tasche und verließ die Wohnung. Nach nur wenigen Minuten kam er an der S-Bahn-Haltestelle an. Auf der Anzeigetafel, die die nächsten zehn Züge anzeigte, wurde seine Bahn mit zwanzig Minuten Verspätung angezeigt. Ricardo verdrehte die Augen und murmelte:

    »Die Bahn ist so ein Scheißverein«, vor sich hin. Er ging ans Ende des Bahnsteiges und setzte sich auf die leere Wartebank. Während Ricardo nach etwa fünfzehn Minuten immer noch auf den Zug wartete, bewegte sich ein verarmt und vernachlässigt wirkender Mann mit Vollbart und Hut auf ihn zu. Ricardo ahnte, dass er nach Geld oder einer Zigarette gefragt werden würde. Der Mann blieb etwa einen Meter vor Ricardo stehen und sprach in freundlichem Ton:

    »Guten Tag, junger Mann. Haben Sie vielleicht ein wenig Kleingeld für mich?«

    Ricardo schaute dem Mann ins Gesicht und wartete kurz.

    »Weil du nett gefragt hast«, sagte er dann und holte seine Brieftasche hervor. Er hatte keine Eineuromünze mehr, deshalb gab er ihm zwei Euro.

    »Hier, bitteschön. Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen«, sagte Ricardo und legte die Münze in die Hand des alten Mannes.

    Dem war die Freude deutlich anzusehen.

    »Ich bedanke mich sehr und wünsche Ihnen ebenfalls einen schönen Tag«, sagte er, zog seinen Hut, setzte ihn wieder auf und ging davon.

    Die restliche Wartezeit nutzte Ricardo, um sich sein Frühstück am Gebäckstand zu kaufen. Kurz darauf traf sein Zug ein, der Ricardo nach nur wenigen Minuten Fahrtzeit in die Nähe seines Unternehmens brachte.

    Ricardo Prado war in Deutschland geboren worden, als Sohn portugiesischer Einwanderer. Seine Eltern, Catarina und Joaquim Prado, waren 1970, zur Zeit der Salazar-Diktatur, aus Portugal geflohen und nach Deutschland emigriert. Ricardo wuchs gemeinsam mit seiner Schwester Patricia in einfachen, aber geordneten Verhältnissen auf. Sein Vater arbeitete bei einem großen Kölner Automobilhersteller am Fließband, die Mutter kümmerte sich um Kinder und Haushalt und ging überdies als Putzfrau arbeiten. Ricardos Eltern waren sehr liebevoll, Gewalt oder überzogene Disziplin gab es nie. Catarina und Joaquim waren gläubige Christen und sie ließen in ihre Erziehung auch die Weitergabe ihres Glaubens einfließen. Ricardo störte das in jungen Jahren ganz und gar nicht, im Gegenteil: Er mochte die Gemeinde, die aufregenden Jugend-

    Zeltlager im Sommer, die Fußballspiele in der Kirchenliga, und je älter er wurde, desto mehr befasste er sich mit theistischen Themen. In der Oberstufe spielte er sogar einige Zeit mit dem Gedanken an ein Theologie-Studium, entschied sich jedoch, sein naturwissenschaftliches Talent für ein Studium der Informatik in Bonn zu nutzen.

    Während seine Schwester immer wieder unter psychischen Problemen litt, war Ricardo stets glücklich. Doch eines Tages brachte ein tragischer Schicksalsschlag alle seine Dämme zum Brechen. Seine Partnerin Iva, mit der er bereits verlobt war und die er so sehr liebte, dass man von einer Obsession sprechen konnte, kam bei einem Autounfall tragisch ums Leben. In den sieben Jahren der Beziehung hatten Iva und Ricardo stets frisch verliebt gewirkt, sie galten als Traumpaar. Nach Ivas Tod war Ricardo ein Schatten seiner selbst, er weinte permanent, aß wenig und sprach kaum. Manchmal lag er stundenlang apathisch auf seinem Bett und blickte die Wand an. Er beschäftigte sich sehr häufig mit dem Thema Suizid, offenbarte dies aber zunächst niemandem. Und er versuchte nicht einen einzigen Moment, Kraft aus seinem Glauben zu schöpfen, denn mit Iva starb auch sein Glaube an Gott. Das Thema verbannte er sofort, und wenn jemand aus seinem Umfeld einen Satz wie »Ich bete für dich« oder »Gott stehe dir bei« sagte, reagierte Ricardo wütend und beendete das Gespräch umgehend. Sein Umfeld akzeptierte dies jedoch, man verstand ihn. Seine Mitmenschen stellten sich darauf ein und wählten ihre Worte fortan mit Bedacht. Man tat alles, um Ricardo zu helfen.

    Er lehnte einen Klinikaufenthalt stets ab, ließ sich jedoch auf eine ambulante Therapie ein. Nach etwa einem halben Jahr begann er, sich mit langsamen Schritten der Normalität anzunähern. Sein Essverhalten wurde normal, er begann, seinen Tag zu strukturieren, wieder Bücher zu lesen, ab und an fernzusehen und sich in seltenen Abständen sogar mit Freunden zum Billardspielen oder Fußballgucken zu treffen. Einige Monate später sah man ihn zum ersten Mal wieder lachen. Etwa ein Jahr nach der Tragödie nahm Ricardo sogar sein Studium wieder auf. Er war dabei, sich wiederzufinden.

    Doch dann nahm sein Umfeld mit Besorgnis Veränderungen bei ihm wahr. Nach seiner Religion schien er zunehmend auch seine Werte und seine moralischen Prinzipien abzulegen. Er entwickelte nihilistische Verhaltensmuster, darüber hinaus empfanden seine Freunde und Verwandten ihn als zunehmend ignoranter und egoistischer. Er begann, viel mehr Zeit alleine zu verbringen, Geld wurde ihm immer wichtiger und sein Studium nahezu heilig. Er wandte sich von zunehmend mehr Personen ab und die Zeit, die er mit seiner Familie verbrachte, wurde ebenfalls weniger. Die Sorgen derer, denen Ricardo am Herzen lag, vergrößerten sich immens, als sie feststellten, dass sich diese Entwicklung immer weiter fortsetzte.

    Sie hatten alles in ihrer Macht Stehende versucht, doch sie waren nicht an Ricardo herangekommen. Er war ein anderer geworden.

    Nach etwa sechs Stunden verließ Ricardo das Firmengebäude. Es hatte in der Zwischenzeit lange geregnet, nun schien die gleißende Sonne über seiner Stadt. Ein Regenbogen war am Himmel zu sehen, zahlreiche Pfützen bedeckten den Gehweg. Ricardo war zufrieden mit dem heutigen Arbeitstag. Nun stand das wichtige Bankett seiner Firma, einer renommierten Kölner Softwareschmiede, für die er seit vier Jahren tätig war, auf dem Plan.

    Ricardo musste sich sputen, denn er wollte zuvor noch nach Hause fahren, um zu duschen und sich frisch zu machen. Jenny hatte ihm geschrieben, dass sie sich nach der Arbeit mit einer Freundin träfe. Ricardo hatte ihr viel Spaß gewünscht. Er hoffte, dass Jenny ihn nicht betrog.

    Zu Hause angekommen räumte er zunächst das Chaos im Schlafzimmer auf. Anschließend betrat er die Küche, nahm ein Kräuterbutter-Baguette aus dem Gefrierfach und machte es in seinem Ofen warm. Während er es aß, dachte er über den Tag nach. Ricardo hatte heute ein wichtiges Projekt abgegeben. Er hatte eine Kundenschnittstelle für den Auftraggeber, ein großes, lokales Unternehmen, geschrieben und dabei viel Mühe und Leidenschaft investiert. Stets sein Bestes zu geben und sich erst mit Perfektion zufriedenzugeben, war für Ricardo Ehrensache und selbstverständlich.

    Er betrat die Dusche und drehte lauwarmes Wasser auf. In ihm herrschte immenser Enthusiasmus. Beim heutigen Bankett wollte Ricardo den bestmöglichen Eindruck bei den Kollegen aus der Partnerfirma erwecken. Er freute sich auf einen informativen und unterhaltsamen Abend mit den Geschäftspartnern.

    Fertig mit der Dusche stieg Ricardo aus der Kabine und trocknete sich ab. Anschließend trug er sein Aftershave großzügig im Brustbereich auf. Er überlegte kurz, sich im Gesicht zu rasieren, doch er ließ seinen Dreitagebart stehen. Dann betrat er sein Schlafzimmer, um seinen vor kurzem gekauften Maßanzug anzuziehen. Er stand vor dem Ganzkörperspiegel, als er sich sein Sakko über das Hemd anzog. Sein Haar wurde mit etwas Haargel versehen und geformt. Daraufhin ging Ricardo noch einmal in sein Badezimmer, um mit einer Nagelschere seine Augenbrauen zurechtzuschneiden. Der junge Programmierer warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass er noch etwa dreißig Minuten Zeit hatte, bis er losfahren musste. Er schaltete den Fernseher an und schaute eine Nachrichtensendung. Es wurde über den Krieg im Nahen Osten berichtet, anschließend wurden einige Szenen über protestierende Bürger gegen Einwanderer gezeigt. Ricardo ließen die Bilder im Fernsehen kalt, die Aufmerksamkeit galt ausschließlich dem bevorstehenden Abend. Seine Firma traf auf eine befreundete Softwareschmiede, um die erfolgreiche Kooperation zu feiern. Ricardos Arbeit bereitete ihm keinen besonderen Spaß, doch er genoss das Prestige und den überdurchschnittlichen Lohn. Darüber hinaus schätzte er die gute Atmosphäre im Betrieb. Ricardo war stets bemüht, sich den fehlenden Enthusiasmus für das Programmieren nicht anmerken zu lassen. Manchmal fragte er sich, ob es seinen Kollegen ähnlich wie ihm ginge.

    Ricardo war einunddreißig Jahre alt und knapp einsneunzig groß. Er trug meistens einen Dreitagebart, sein Haar war mittellang und schwarz, seine Augen dunkelbraun. Er hatte einen drahtigen, sportlichen Körper. Seine Arme waren muskulös, obwohl er sie nie trainierte. Während seiner Studienzeit hatte er Amateurfußball gespielt, in seiner Schulzeit war er einige Jahre in einer Boxgruppe aktiv gewesen. Mit dem Beginn des Arbeitslebens hatte er den Sport eingestellt, auch wenn er sich immer wieder vornahm, nochmals aktiv zu werden. In seiner brandneuen Garderobe fühlte Ricardo sich äußerst wohl. Er mochte dunkle, dezente Farben, sie standen ihm seines Erachtens sehr gut.

    Nun begab sich Ricardo in die Küche. Auf der Diele streute er erneut eine Linie Speed, die er anschließend mit einem gerollten Geldschein in seine Nase zog. Heute wollte er wach und wohlauf sein für das bevorstehende Festessen. Ricardo spürte die gesteigerte Energie. Er ging zurück ins Badezimmer, um sein Gesicht zu betrachten. Sein Eindruck war, dass er wach und konzentriert wirkte. So konnte er beim Bankett erscheinen, dachte er. Anschließend betrat er sein Schlafzimmer, um sich ein Taxi zu bestellen. Der Mann am anderen Ende der Leitung kündigte an, dass der Wagen gegen 19:30 vor seiner Tür stehen würde.

    Ricardo setzte sich auf sein Bett und versuchte, eine Weile innezuhalten. Doch das Amphetamin verursachte immensen Tatendrang, weshalb er die Zeit bis zur Abfahrt mit einer Konsolen-Online-Partie seines Lieblingsegoshooters totschlagen wollte. Doch kaum hatte er das Gerät eingeschaltet, klingelte sein Handy. Es war seine Schwester Patricia.

    »Ich grüße dich, Schwesterherz«, sagte Ricardo.

    »Hallo Ricardo. Wie geht es dir?«, antwortete Patricia mit zittriger Stimme.

    Ricardo ahnte schon, dass Patricia wieder einmal seine Hilfe brauchte – finanzielle Hilfe, Seelsorge oder beides.

    »Mir geht es gut, wie geht es dir?«, fragte Ricardo, obwohl er die Antwort erahnte.

    »Nicht so gut«, antwortete Patricia.

    »Wieder die Stimmen?«, fragte Ricardo knapp.

    »Ja, unter anderem«, sprach Patricia leise.

    Ricardo erhöhte seine Stimmlage ein wenig:

    »Wann gehst du endlich in die Klinik? Das Thema hatten wir doch schon tausend Mal.«

    »Ja, ich weiß«, murmelte Patricia verlegen.

    Ricardo wollte sich nicht aufregen und er wollte ihr nicht zum wiederholten Mal erklären, dass man mit einer Psychose in Behandlung gehörte. Patricia schien sich nicht zu trauen, etwas zu sagen. Beide schwiegen einige Sekunden. Ricardo kannte seine Schwester außerordentlich gut und nun versuchte er, es ihr einfacher zu machen.

    »Wie viel?«

    »Woher weißt du, dass ich Geld brauche?«, fragte Patricia ihren älteren Bruder. Ricardo lachte kurz.

    »Weil wir den Einundzwanzigsten haben; um die Zeit fragst du immer nach Geld. Ja, du kriegst welches. Wie viel brauchst du?«, wollte er wissen.

    »Sind hundertfünfzig in Ordnung?«, entgegnete Patricia.

    »Kein Problem, ich schicke dir hundertfünfzig Euro via Onlinebanking«, kündigte Ricardo an.

    »Danke Ricardo, das ist superlieb, du bist der Beste«, sagte Patricia mit einer Stimme, die unter anderem darauf schließen ließ, dass sie vor Kurzem Alkohol zu sich genommen hatte.

    »Klar doch, Patricia. Aber wenn du nicht bald in die Klinik gehst, bring ich dich gegen deinen Willen hin. Ich habe wenig Zeit, ich melde mich in den nächsten Tagen noch einmal bei dir, in Ordnung?«

    Patricia entgegnete: »Okay, schade, ich hätte gerne noch mit dir geredet. Dennoch riesigen Dank.«

    »Gerne«, sagte Ricardo und fügte hinzu: »Pass auf dich auf, Patricia.«

    »Mache ich. Ciao, Ricardo. Te amo.« Mit diesen Worten beendete Patricia das Gespräch.

    Die restliche Wartezeit nutzte Ricardo zunächst für eine Zigarettenpause, doch kaum hatte er zweimal gezogen, klingelte der Taxifahrer bereits an der Haustür. Es war nun so weit. Ricardo verließ das Haus, stieg ins Taxi und nannte dem Fahrer die Zieladresse, das Restaurant Il Nido in der Südstadt – ein gehobenes italienisches Restaurant mit ausgezeichnetem Ruf. Während der Fahrt versuchte Ricardo zu entspannen, denn er war in seinen Augen bestens vorbereitet. Er atmete tief durch, richtete den Blick aus dem Fenster und ließ den Tag Revue passieren. Ein anstrengender Tag war vorübergegangen und ein wichtiger Abend stand bevor. Die Tatsache, dass er das Projekt abgegeben hatte, erleichterte ihn. Ricardo war sich sicher, dass der Auftraggeber mit seiner Arbeit zufrieden sein würde. Er war bekannt als hochbegabter IT-Spezialist und galt als Ass in Programmierung. Nach einiger Zeit hielt der Wagen an.

    »Wir sind am Ziel, junger Mann«, wandte sich der Taxifahrer an seinen Fahrgast. »Das macht dann zweiundzwanzig fünfzig.«

    Ricardo zog seinen Geldbeutel aus der Tasche und entnahm diesem fünfundzwanzig Euro, die er dem Taxifahrer in die Hand gab.

    »Stimmt so«, sagte er. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend«, fügte er hinzu.

    »Danke, ebenso«, entgegnete der Taxifahrer.

    Nun stand der junge Programmierer vor dem anvisierten Restaurant. Zwei seiner Arbeitskollegen, Egon und Jonas, standen vor dem Lokal und rauchten.

    »Herr Prado ist da«, rief Jonas und lachte.

    Ricardo ging auf die beiden zu und reichte ihnen nacheinander die Hand. Dann betrat er das Lokal und richtete seinen Blick auf den langen Tisch, der für das Bankett ausgerichtet war. Einige Gäste fehlten noch und Ricardo konnte unter einem der freien Plätze wählen. Es fehlten noch zwei Personen aus seiner eigenen Firma. Von der Partnerfirma, der Nextsource Developments & More GmbH, waren erst drei von zehn eingeplanten Personen anwesend. Die Leiter, die Ahmadi-Brüder, waren beide bereits da. Ricardo mochte die zwei. Er schätzte ihre humorvolle und aufgeschlossene Art. Er ging auf sie zu und begrüßte sie in freundlichem Ton:

    »Hallo, ihr beiden. Lange nicht mehr gesehen. Wie geht es euch?«

    »Es könnte kaum besser sein«, antwortete einer der Brüder, Rebwar Ahmadi, mit einem breiten Grinsen.

    »Uns scheint die Sonne aus dem Arsch«, fügte sein Bruder Mahmoud Ahmadi hinzu.

    Die beiden fingen an zu lachen, Ricardo tat es ihnen umgehend gleich. Für eine Weile herrschte schallendes Gelächter, dann wurde es wieder ruhig.

    »Wie geht es dir, Ricardo?«, wollte Rebwar nun wissen.

    Ricardo ging es gerade gut, er war auf Speed und freute sich auf einen munteren, geselligen Abend.

    »Mir geht es super, es könnte ebenfalls gar nicht besser sein«, antwortete er und bemühte sich dabei, in einer Tonlage zu sprechen, die eine gute Stimmung suggerierte.

    »Das freut mich sehr zu hören«, sagte Mahmoud.

    »Trinken wir Rotwein?«, fragte er dann.

    »Sehr gerne«, antwortete Ricardo.

    Mahmoud winkte die Kellnerin zu sich und bestellte einen vier Jahre alten, trockenen Rotwein aus Spanien.

    »Was macht deine Kundenschnittschnelle für Nextsource?«, fragte Rebwar nun.

    »Die habe ich endlich fertiggestellt. Heute Vormittag habe ich noch einige Fehler ausgemerzt und dem Programm den Feinschliff verpasst, dann habe ich es abgeschickt. Habt ihr es noch nicht begutachtet? Ich hoffe, ihr seid zufrieden mit dem Ergebnis«, erklärte Ricardo.

    »Ich kam heute nicht dazu, alle Mails abzurufen, denn ich hatte einen langen Außentermin. Das Programm ist bestimmt wie gewohnt einwandfrei, etwas anderes kennt man von dir nicht«, sagte Rebwar anerkennend.

    Nun brachte die Kellnerin den Wein zum Tisch und schenkte den drei Softwareentwicklern je ein halb volles Glas ein.

    »Zum Wohl«, sagte Ricardo, während er sein Glas hob.

    Die drei prosteten einander zu, dann nahm jeder einen Schluck des trockenen Riojas. Ricardo bemerkte, dass gerade vier Gäste der Kooperationsfirma das Lokal betraten. Sie hingen ihre Mäntel an die Garderobe und begaben sich anschließend an das Ende des langen Tisches, an dem die Ahmadi-Brüder gemeinsam mit Ricardo saßen. Es folgte eine ausführliche Begrüßung jedes Einzelnen. Die meisten der Neuankömmlinge kannte Ricardo nur flüchtig. Dennoch fielen die Begrüßungen sehr herzlich aus, da die beiden Firmen ein sehr gutes Verhältnis zueinander pflegten. Als die neuen Gäste Platz genommen hatten, kam die Kellnerin erneut.

    »Der Wein hier ist sehr gut, den kann ich nur wärmstens empfehlen«, sagte Ricardo zu den

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