Eine Mark für Espenhain: Vom Christlichen Umweltseminar Rötha zum Leipziger Neuseenland
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Über dieses E-Book
Nach der Wiedervereinigung führte der Autor des Buches, von 1991 bis 2010 Regierungspräsident von Leipzig, sein Engagement für Mensch und Natur im geschundenen Leipziger Südraum fort. Die LVZ betitelte Walter Christian Steinbach einmal als den "Vater des Leipziger Neuseenlands". Steinbach dagegen ist der Überzeugung, dass dieses unglaubliche Renaturierungsprojekt – die größte Landschaftsbaustelle Europas – nur gelingen konnte, weil unendlich viele Akteure diesen Prozess mit ihren Ideen begeistert begleitet haben.
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Buchvorschau
Eine Mark für Espenhain - Walter Christian Steinbach
WALTER CHRISTIAN STEINBACH
»EINE MARK FÜR ESPENHAIN«
Vom Christlichen Umweltseminar Rötha
zum Leipziger Neuseenland
Walter Christian Steinbach, Jahrgang 1944, studierte zunächst Mathematik und Physik für das Höhere Lehramt. Nach der Sprengung der Universitätskirche Leipzig wechselte er zur Theologie und wurde 1975 Pfarrer in Rötha im Südraum Leipzig. Dort entwickelte er mit Gleichgesinnten das Christliche Umweltseminar Rötha (CUR) als eine wichtige Oppositionsgruppe in der DDR. 1985 arbeitete er als Studiendirektor in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen. Das CUR rief 1988 die Aktion »Eine Mark für Espenhain« ins Leben, mit 100.000 Unterschriften und ebenso vielen Markstücken die größte nicht genehmigte Unterschriftensammlung in der DDR. Nach der Friedlichen Revolution berief Ministerpräsident Kurt Biedenkopf ihn zum Regierungspräsidenten für Leipzig-Westsachsen. In dieser Funktion trieb er wesentlich die Entstehung des Leipziger Neuseenlands voran.
Gefördert durch den Sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
2., korr. u. erw. Auflage 2019
© 2018 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Cover: FRUEHBEETGRAFIK · Thomas Puschmann, Leipzig
Coverbild: Tagebau Witznitz (Foto: Marion Wenzel 1994)
Satz: makena plangrafik, Leipzig
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019
ISBN 978-3-374-06249-2
www.eva-leipzig.de
Dieses Buch ist gewidmet
allen mutigen Menschen,
die 1988 und 1989 mit ihrer Unterschrift
die Aktion »Eine Mark für Espenhain« unterstützt haben,
es erinnert an die tapferen Mitglieder des CUR,
und es ist ein Dank an meine Frau Brigitte,
die alle Akten sorgsam bewahrt hat
und nach der Friedlichen Revolution
den Bornaer Musiksommer und die
SÜDRAUMjournale entwickelt hat.
INHALT
Cover
Titel
Über den Autor
Impressum
Widmung
Einleitung – Ein ökumenisches Kaffeetrinken
Ein Anfang vom Ende der DDR – Die Sprengung der Universitätskirche zu Leipzig
Ein unmerklicher Beginn – Die Gründung des CUR
Mölbis wird zum Thema – Der erste Umweltgottesdienst 1983
»Unsere Zukunft hat schon begonnen« – Die Umweltgottesdienste bis 1989 zwischen Kirche und Gesellschaft
Endstation Eingaben – »Mehr ist nicht drin …«
»Eine Mark für Espenhain – Ein Protest bekommt Flügel«
Der Tag der Entscheidung – Leipzig am 9. Oktober 1989
Runder Tisch »Energiewirtschaft, Stoffwirtschaft und Ökologie« im Raum Leipzig – »Pfarrer Steinbach, bleiben Sie in der Politik«
Erste Umweltschutzkonferenz des Kreises Borna – »Ökologie ist kein Zusatz!«
Von der Demo zur D-Mark – Was viele kleine Schritte bewirken können
Mit dem Boot von Leipzig nach Rötha – Eine Prophezeiung, deren Erfüllung noch aussteht
Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig –Der Kreis schließt sich
Bornaer Musiksommer und SÜDRAUMjournale – Rückblick von Brigitte Steinbach
Nachwort von Hansjörg Großert
Anmerkungen
Dank
Abkürzungen
Abbildungsverzeichnis
EINLEITUNG – EIN ÖKUMENISCHES KAFFEETRINKEN
Das Christliche Umweltseminar Rötha entstand 1981 in einer kleinen Gruppe nachdenklicher junger Leute in Rötha.
Christiane Hanisch, eine junge Chemikerin aus Leipzig, hatte im Sommer 1981 auf einer Tagung im Kirchlichen Forschungsheim Wittenberg an der Studie »Die Erde ist zu retten«¹ mitgearbeitet. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse ließen sie fortan nicht mehr los. Mit ihrem Ehemann Jürgen Hanisch² machte sie sich auf die Suche nach Gleichgesinnten. Über gemeinsame Sportfreunde landeten sie schließlich bei Dieter Reich in Rötha. Dort kam es einige Wochen später zu einem ersten Treffen mit mir, damals Pfarrer in der Kirchgemeinde Rötha.
Diesen Beginn nannte ich später »ökumenisches Kaffeetrinken«. Christiane und Jürgen Hanisch gehörten keiner Konfession an, Dieter Reich war Katholik, Ursel Reich und ich Protestanten. Ich meine, dass zur Ökumene Gottes alle Menschen gehören, unabhängig von ihrem Glauben oder auch ihrem Nicht-Glauben.
Das Christliche Umweltseminar Rötha (CUR) entwickelte sich rasch zu einer unüberhörbaren Keimzelle ökologischen Nachdenkens im Südraum Leipzig:
Gemeinsam mit dem Evangelisch-Lutherischen Kirchenbezirk Borna veranstalteten wir 1983 bis 1989 die legendären Umweltgottesdienste »Unsere Zukunft hat schon begonnen«.
1988 begann die symbolische Aktion »Eine Mark für Espenhain«, deren 100.000 Unterschriften und Mark der DDR mitsamt den Erfahrungen der Opposition gegen eine überflüssige Diktatur sich schließlich in der Einheit unseres Vaterlandes wiederfanden.
Abb. 1:Annette Groß, Jürgen Hanisch,
Christina und Ulrich Voigt (v. l.) bei einem Treffen im Januar 1993
Nach der Friedlichen Revolution übernahmen viele unserer Mitglieder verantwortliche Funktionen in Wirtschaft und Politik, als Bürgermeister und Minister oder in meinem Fall als Regierungspräsident. Sie alle trugen den Keim des CUR ohne viel Aufhebens in ihre künftige Arbeit. Aus CUR wurde CUR e. V. und meine Frau Brigitte führte mit dem Bornaer Musiksommer und den SÜDRAUMjournalen basisdemokratische Erfahrungen des CUR, nämlich: die eigentlichen Experten sind die Betroffenen, fort.
So geriet die Aktion »Eine Mark für Espenhain« fast in Vergessenheit und wurde zu Geschichte. Bis, ja, bis Stephan Bickhardt mir seine Predigt an Himmelfahrt 2016 auf der Halde Trages schickte:
»[…] Im Jahr 1988 schrieb ich an Walter Christian Steinbach einen Brief, ob er aufschreiben kann, was los ist in der Umweltbewegung. Er schrieb ausführlich: ›Der erste Umweltgottesdienst im Kirchenbezirk Borna fand 1983 in dem kleinen Dorf Mölbis im Windschatten von Espenhain statt. Das Motto lautete: ›In Mölbis hat unsere Zukunft schon begonnen!‹ Wir dachten damals, in Mölbis kann man sehen, wo das alles hinführt: Dreck, Gestank, Alkoholismus, tiefe und lähmende Resignation. Wir meinten, Mölbis sei ein eindeutiges Zeichen für einen Holzweg in unserer Gesellschaft. Ein Holzweg, den man umschreiben kann mit dem Satz: ›Wir leben von der Substanz der Vergangenheit und auf Kosten der Zukunft‹. Inzwischen haben sich unsere damaligen Hoffnungen auf eine ökologische Wende zerschlagen. Die lufthygienische Situation hat sich weiter verschlechtert. Es wird bis zur Mitte der 90er Jahre nach offizieller Auskunft keine Verbesserungen geben‹. Liebe Gemeinde, mit der Aktion ›Eine Mark für Espenhain‹ ist dann im Juni 1988 ein kräftiges Hoffnungssignal vom Christlichen Umweltseminar Rötha ausgesandt worden. Eine Fügung, auf der Gottes Segen lag. 100.000 Menschen unterschrieben eine Erklärung und sie spendeten. Die ökologische Umgestaltung für die Orte, aus denen wir hier alle kommen, wurde eingeleitet. Ich frage: Ist bewusst, welche erstaunliche Bedeutung dieses Zeugnis entfaltete. Sind wir dankbar? Ich will an dieser Stelle einmal ausdrücklich erwähnen, dass viele Mutige noch Jahrzehnte vorher im Gefängnis für ihr Zeugnis gegen die SED-Diktatur leiden mussten. Und auch unter uns sind solche Schwestern und Brüder, denen ich heute unter diesem freien Himmel gedenken möchte.
Einhunderttausend mutige Menschen also mit ihren Unterschriften – da war die größte Bürgerbewegung vor der Friedlichen Revolution unterwegs. Kaum zu glauben, aber wahr. Das Neue Forum sammelte im Jahr darauf, 1989, 200.000 Unterschriften. Und Demokratie Jetzt sammelte 100.000 Unterschriften gegen den Führungsanspruch der SED. Das Christliche Umweltseminar Rötha rief im Namen der 100.000 Unterzeichner der Aktion: ›Wir können mit dem ganzen Dreck nicht mehr leben‹. Hoffnung gegen die Resignation beginnt damit, dass Menschen sagen, was lähmt und was kaputt macht. Überall ist das so. Es ist wahr, liebe Christen auf dem Berg, es ist wahr, wir glauben an Jesus Christus und die Kraft der Veränderung in seinem Geist. In seinem Geist und in seiner Kraft stehen Menschen, die bereit sind, bei sich selbst zu beginnen, und da aber nicht stehen bleiben, sondern aussprechen, was ist. Wir sind angesprochen, in seiner Kraft zu stehen und uns in seine Zukunft des Reiches Gottes hineinziehen zu lassen. Das braucht den Anfang bei mir selbst und eine Gemeinschaft. Beides, den Anfang und die Gemeinschaft, brauchen wir wie die saubere Luft zum Atmen, um glaubwürdig zu leben. Es ist wirklich wahr, in dieser Weise glauben wir. […]«³
Sehr eindrücklich sagte Bickhardt zu mir: »Das müssen Sie aufschreiben!«
Ein gutes Vierteljahrhundert nach der Friedlichen Revolution und inzwischen über siebzig Jahre alt, frage ich mich manchmal: Was hat uns damals bewegt in der verschmutzten und verlogenen DDR; vor allem aber: Warum haben wir uns das alles so lange gefallen lassen?
Abb. 2:Blick von der Halde Trages auf das ehemalige Werksgelände »VEB Braukohleveredlung Espenhain«, dem heutigen Industrie- und Gewerbepark Espenhain
Aber zunächst etwas über die Anfänge. Vieles von dem, was eine Diktatur zur eigenen Machterhaltung plant und anrichtet, ist oft der Anfang von ihrem Ende.
Lieber Leserinnen, liebe Leser,
ich habe grundsätzlich auf die Klarnamen der inoffiziellen Mitarbeiter (IM) des Staatssicherheitsdienstes der DDR verzichtet, die auf die Mitglieder des Christlichen Umweltseminars angesetzt waren. Die Staatssicherheit hat als Decknamen für ihre IM in der Regel ganz alltägliche Namen verwendet. Diese Decknamen haben nichts mit natürlichen Trägern dieser Namen zu tun.
EIN ANFANG VOM ENDE DER DDR – DIE SPRENGUNG DER UNIVERSITÄTSKIRCHE ZU LEIPZIG
Die großen politischen Ereignisse der ehemaligen DDR spiegeln sich auf unterschiedliche Weise in unseren Biografien, in unseren Erinnerungen, aber auch in der Art und Weise wie wir heute unser Leben im Osten unseres neugewonnenen Vaterlandes empfinden: der Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953, die Berliner Mauer am 13. August 1961, die Sprengung der Leipziger Universitätskirche am 30. Mai 1968 und schließlich die Friedliche Revolution 1989, die unser aller Leben noch einmal gründlich veränderte.
1953 – Bleiben oder Gehen
1953 war ich neun Jahre alt, also eher Zuschauer, manchmal aber auch Zuhörer dramatischer Gespräche meiner Eltern und ihrer Freunde. »Bleiben oder Gehen« war für mich noch nicht zu überschauen, aber für manchen Leipziger Unternehmer während dieser Enteignungswelle des unternehmerischen Mittelstandes eine höchst existenzielle Frage.
Nach dem 17. Juni 1953 bekam mein Vater seinen enteigneten Betrieb wieder zurück und die gen Westen gepackten Koffer kamen wieder auf den Boden. Wir blieben fortan in der DDR. Der Betrieb war in den sechs Wochen unter der Leitung eines vom DDR-Staat eingesetzten Treuhänders selbst für damalige Verhältnisse heruntergewirtschaftet, die Mitarbeiter vollkommen durcheinander und die Kunden ziemlich verwirrt. Nachdem man bei der Enteignung meinen Vater einfach an die frische Luft gesetzt hatte, gab es jetzt bei der Rückgabe so etwas Ähnliches wie eine Übergabe. So sprach der »Treuhänder« zu meinem Vater, er möge nicht ärgerlich sein, er verstünde leider nichts von Bilanzen und solchen Sachen …
1961 – Ulbrichts Mauer
1961 begannen die Überlegungen, welchen beruflichen Weg ich einschlagen könnte. Eigentlich hätte ich gern Kunstgeschichte in Leipzig studiert. Der Leipziger Kunsthistoriker Johannes Jahn hielt gelegentlich im Hörsaal 40 des im Krieg beschädigten Augusteums Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten, die eine starke Anziehungskraft auf mich ausübten. Unser Kunstgeschichtslehrer Hollmann war eine der Lichtgestalten humanistischer Bildung an der Rudolf-Hildebrand-Oberschule, die ansonsten von einem Direktor geleitet wurde, der der Überlieferung nach Irland auch nach mehreren Lachsalven tapfer Klasse für Klasse weiter mit Doppel-R schrieb. Herr Hollmann hatte meine Wunschkombination, Kunstgeschichte und Malerei angeregt. Diese Kombination hätte ich aber nur in der Bundesrepublik verwirklichen können. Im August 1968 war ich »drüben«, um diese Dinge mit meinen Brüdern zu besprechen. Auf dringende Bitten meines Vaters kam ich am 11. August 1961 nach Leipzig zurück. Zwei Tage später, es war Sonntag, der 13. August, errichtete Walter Ulbricht die Mauer. Mir blieb nur noch Kunstgeschichte in Leipzig. Eine Mitarbeiterin des Leipziger Bildermuseums riet mir ab. Sie meinte, wer niemals in seinem Leben die französischen Dome sehen dürfe, würde als Kunsthistoriker sehr unzufrieden.
Meine beruflichen Wünsche und die tatsächlichen Möglichkeiten in der DDR – wie bei so vielen klafften sie weit auseinander. Ich studierte schließlich Mathematik und Physik für das Höhere Lehramt – und schloss das Studium 1966 mit dem Staatsexamen und einer Zusatzqualifizierung für einen Einsatz in Ghana ab. Wir hatten in Leipzig eine Reihe ghanaischer Gaststudenten, die aber nach dem dortigen Militärputsch und der anschließenden Westorientierung ihr Studium in westeuropäischen Städten fortsetzten. Die DDR verlor natürlich ebenfalls die Lust an ghanaischer Entwicklungshilfe.
1968 – Die Sprengung
Die Sprengung der Universitätskirche in