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Die Bibel Martin Luthers: Ein Buch und seine Geschichte
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eBook310 Seiten2 Stunden

Die Bibel Martin Luthers: Ein Buch und seine Geschichte

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Über dieses E-Book

Die Bibelübersetzung Martin Luthers war ein Meilenstein in der Geschichte der Reformation. Zugleich hatte Luthers Sprachgewalt einen großen Einfluss auf die hochdeutsche Sprache, die sich damals erst entwickelte. Seine Wortschöpfungen wie "Feuereifer" oder "Lästermaul" sind bis heute in Gebrauch, die Weihnachtsgeschichte ist im Klang der Übersetzung Luthers zum allgemeinen Kulturgut geworden.
Doch wie entstand diese Übersetzung? Gab es Vorläufer? Was sind ihre Besonderheiten? Warum muss die Lutherbibel immer wieder überarbeitet ("revidiert") werden? Diesen Fragen geht der Sammelband zu Luthers Bibel und ihrer Geschichte nach. Margot Käßmann und Martin Rösel haben namhafte Theologinnen und Theologen versammelt, die auf verständliche Weise mit reich bebilderten Texten das wichtigste Buch der deutschen Theologie- und Sprachgeschichte beleuchten.

Mit Beiträgen von Albrecht Beutel, Corinna Dahlgrün, Franz Josef Holznagel , Christoph Kähler, Margot Käßmann, Ernst Lippold, Ute Mennecke, Stefan Michel, Martin Rösel, Gabriele Schmidt-Lauber, Volker Leppin und Christopher Spehr.

[The Bible of Martin Luther. A Book and Its History]
Martin Luther's Bible translation was a milestone in the history of the Reformation. At the same time Luther's powerful language had a lasting impact on the New High German which was beginning to develop at that time. His neologisms are still in use today and the Christmas Story in the sound of his translation has become a common cultural heritage.
But how exactly his translation came into existence? Have there been any predecessors? What are the special features of this translation? Why is it necessary to revise it from time to time? These questions are treated in this anthology on Luther's Bible and its history, edited by Margot Käßmann and Martin Rösel. With richly illustrated texts and in a comprehensible manner renowned theologians shed a light on the most important book of the history of German theology and language.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Nov. 2016
ISBN9783374046300
Die Bibel Martin Luthers: Ein Buch und seine Geschichte

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    Buchvorschau

    Die Bibel Martin Luthers - Evangelische Verlagsanstalt

    Margot Käßmann / Martin Rösel (Hrsg.)

    D I E  B I B E L

    M A R T I N L U T H E R S

    Ein Buch und seine Geschichte

    Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

    © 2016 by Evangelische Verlagsanstalt

    GmbH · Leipzig

    und Deutsche

    Bibelgesellschaft · Stuttgart

    Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

    Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung der Verlage unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    Gesamtgestaltung: FRUEHBEETGRAFIK · Thomas Puschmann · Leipzig

    Coverbild: Martin Luther, Lucas Cranach der Ältere, 1528

    © Constantin Beyer, ARTOTHEK

    E-Book

    -Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016

    INHALT

    COVER

    TITEL

    IMPRESSUM

    LUTHERS BIBEL

    Margot Käßmann

    DEUTSCHLAND AM VORABEND DER REFORMATION

    Gabriele Schmidt-Lauber

    »WIE KRIEGE ICH EINEN GNÄDIGEN GOTT?«

    ZUR ENTWICKLUNG DER REFORMATION IN DEUTSCHLAND

    Volker Leppin

    THESEN UND TESTAMENT

    BEGINN DER REFORMATION, ÄLTERE BIBEL-ÜBERSETZUNGEN UND SEPTEMBERTESTAMENT

    Albrecht Beutel

    »DEM VOLK AUFS MAUL SCHAUEN«

    LUTHER ALS DOLMETSCHER

    Christopher Spehr

    »EINE KLEINE BIBLIA«

    DIE BEIGABEN ZUR LUTHERBIBEL

    Martin Rösel/Hannelore Jahr

    »LUTHERS SANHEDRIN«

    HELFER UND MITARBEITER AN DER LUTHERBIBEL

    Stefan Michel

    »NÜTZLICH UND GUT ZU LESEN«

    DIE APOKRYPHEN DER LU THERBIBEL

    Martin Rösel

    »EIN FESTE BURG«

    LUTHER ALS SPRACHKÜNSTLER – PSALMEN UND LIEDER

    Corinna Dahlgrün

    LUTHER UND DIE DEUTSCHE SPRACHE

    Franz-Josef Holznagel

    LUTHERGETREU ODER ZEITGEMÄSS?

    DIE REVISIONEN DER LUTHERBIBEL

    Ernst Lippold

    LUTHER WAR DOCH GENAUER!

    ERFAHRUNGEN BEI DER REVISION DER LUTHERBIBEL

    Christoph Kähler

    ANHANG

    LITERATURHINWEIS ZU LUTHERS SCHRIFTEN

    DIE AUTORINNEN UND AUTOREN

    ABBILDUNGSNACHWEIS

    LUTHERS BIBEL

    Margot Käßmann

    Als mich ein Katholik einmal fragte, warum ich denn so an Luthers Übersetzung hinge, sagte ich ihm: Ihr Klang sitzt den Evangelischen einfach so fest im Ohr. Das liegt an Luthers Sprachfähigkeit – etwa, wenn er die Weihnachtsgeschichte des Lukas wie eine spannende Geschichte einleitet: »Es begab sich aber zu der Zeit«. Und ihr Klang sitzt uns auch durch Johann Sebastian Bachs Kantaten im Ohr, die lutherische Christen wie die Bibeltexte selbst durchs Leben begleiten.

    Wenn das so ist – muss es dann überhaupt eine Revision der Lutherbibel geben? Es muss sie geben – und hat sie schon oft gegeben. Der Beitrag von Ernst Lippold erzählt die wechselvolle Geschichte früherer Bemühungen, die Bibel dem veränderten Sprachgebrauch anzupassen und neue wissenschaftliche Erkenntnisse einzubringen. Ich selbst erinnere mich, wie wir im Rat der EKD, der der Herausgeber der Lutherbibel ist, überlegt haben: Zum Jubiläum 2017 sollte es zunächst eine nur ganz moderate Durchsicht geben: Die Fachleute sollten schauen, wo Anpassungen oder Änderungen sinnvoll scheinen. Am Ende wurde die Revision zu einem intensiven Prozess, der zu vielen Änderungen führte! Christoph Kähler, der Leiter des Projekts Lutherbibel 2017, schildert in seinem Beitrag, wie aus den ersten Anfängen eine immer umfänglichere Revision wurde. Auch viele andere Beteiligte haben von den intensiven Arbeiten und dem spannenden Ringen um den besten Text erzählt, bei dem am Ende sehr oft »zurück zu Luther« revidiert wurde.

    Wer einmal einen Text von einem Computerprogramm hat übersetzen lassen, merkt sofort, wo das Problem liegt: Es braucht ein Gefühl, ja ein Empfinden für die Sprache, um gut zu übersetzen. Für den Ökumenischen Rat der Kirchen habe ich vor Jahren einmal ein kleines Buch auf Englisch verfasst. Ein deutscher Verlag wollte es übernehmen und hat, da ich keine Zeit hatte, eine Übersetzung ins Deutsche anfertigen lassen. Das Ergebnis konnte ich überhaupt nicht akzeptieren, so fremd klang es. Daher habe ich viel Zeit in die Revision investiert, weil klar war: Hätte ich den Text zuerst auf Deutsch geschrieben, hätte ich ganz anders formuliert. Dieses Erlebnis hat meinen Respekt vor Übersetzern enorm gesteigert. Sie brauchen ein Gespür für die Sprache ihrer Zeit.

    Glaube und Sprache gehören zusammen

    Genau dieses Gespür hatte Martin Luther ganz offensichtlich, obwohl er sich natürlich auch mit anderen über seine Übersetzungsarbeit austauschte. Beeindruckend legt er in seinem »Sendbrief vom Dolmetschen« dar, wie eng Glaube und Sprache zusammengehören: Intensiv hatte er um seinen Glauben gerungen, er war ein »Gottsucher« im wahrsten Sinne des Wortes. Beim Lesen der Bibel erkannte er: Die Kirche als Institution kann doch keine Sünden vergeben! Und dich selbst von Schuld freikaufen kannst du auch nicht. Davon steht nichts, aber auch gar nichts in der Bibel. Das hat Luther vor allem beim Lesen des Römerbriefs begriffen. In Kapitel 3,28 fand er folgenden Vers: »So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.«

    Luther schaut den Leuten aufs Maul – aber er redet ihnen nicht nach dem Munde

    So lautet Luthers Übersetzung des Verses, und für sie wurde er heftig kritisiert. Denn das »allein« steht so nicht im griechischen Urtext, auch nicht im lateinischen Text, den Luther ebenfalls benutzte. Energisch setzt er sich in seinem »Sendbrief« mit den Kritikern auseinander: »Ebenso habe ich hier, Römer 3, sehr wohl gewusst, dass im lateinischen und griechischen Text das Wort ›solum‹ [= allein] nicht stehet, und hätte mich solches die Papisten nicht brauchen lehren. Wahr ist’s: Diese vier Buchstaben ›s-o-l-a‹ stehen nicht drinnen, welche Buchstaben die Eselsköpf ansehen wie die Kühe ein neu Tor. Sehen aber nicht, dass es gleichwohl dem Sinn des Textes entspricht, und wenn man’s will klar und gewaltiglich verdeutschen, so gehöret es hinein, denn ich habe deutsch, nicht lateinisch, noch griechisch reden wollen.«

    Luthers Übersetzung der Bibel in die deutsche Sprache war nicht die erste, gewiss. Aber es war eine, die die Menschen mitgerissen hat; Verständlichkeit ging ihm über alles – um des Glaubens willen. Luther hat dazu dem Volk nicht nach dem Munde geredet, sondern begriffen: »Man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen; da verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.« Diese Sprache erschloss Menschen ganz neu, dass die biblische Botschaft sie ganz persönlich angeht. So wurde die Bibelübersetzung Luthers zum Bestseller. Luthers Übersetzung des Neuen Testamentes, auf der Wartburg innerhalb weniger Wochen bewältigt, wurde schnell berühmt: »Innerhalb eines Jahres erlebte es ein rundes Dutzend Nachdrucke, vom nahen Grimma bis ins ferne Basel. Bis zu Luthers Tod folgten nicht weniger als zwanzig Neuauflagen«, schreibt Historiker und Luther-Biograph Heinz Schilling.

    Übersetzen – Vermittlung zwischen Sprach- und Denkwelten

    Von Bedeutung ist für mich heute, dass Menschen überhaupt wahrnehmen, dass der Text ihrer Bibel eine Übersetzung ist. Das hat zwei Dimensionen: Einmal geht es um das grundlegende Übersetzen der Worte von der einen Sprache in die andere. Zum anderen bedeutet Übersetzen aber auch den Versuch, in der eigenen Zeit und Sprachrealität die dem Ursprungstext angemessenen Wörter zu finden. Das ist ungeheuer schwierig. Wenn etwa Wörter wie »Zeitgeist« oder »Gemütlichkeit« aus dem Deutschen in andere Sprachen übernommen wurden, ist das ein Zeichen dafür, dass die mitschwingenden Bedeutungen nicht einfach in einem chinesischen oder spanischen Wort abgebildet werden können. Ähnlich geht es mit dem hebräischen Wort »Schalom«, das im Deutschen nur unzureichend mit »Frieden« übersetzt wird. Wenn wir eine andere Sprache nicht kennen, haben wir auch keine Ahnung davon, welche Inhalte in den einzelnen Worten mitschwingen.

    Bei einer Bibelarbeit in Korea hatte ich einmal das Gefühl, die Übersetzerin verändere meinen Text, weil sie so viel länger brauchte als ich. Hinterher versuchte sie mir zu erklären, dass im Koreanischen Substantive sehr viel seltener sind als im Deutschen und deshalb meine Termini wie »Himmelreich«, »Feuereifer« oder »Kleingläubige« (jeweils Wortschöpfungen Luthers) verbal umschrieben werden müssen. Doch die Prägnanz dieser Wortbildungen des Reformators lässt sich im Koreanischen leider nicht wiedergeben.

    Selber lesen können, selber verstehen können – zur Bildung berufen

    Ein Weiteres gilt: Einen Text in der eigenen Sprache lesen zu können ist Freiheit. Viele Missionare – so kritisch wir die Missionsgeschichte auch sehen – haben unendlich viel Mühe darauf verwendet, die fremden Sprachen, beispielsweise die der Oromo oder Zulu zu erlernen, zu phonetisieren, zu verschriften und dann die Bibel in die jeweilige Sprache zu übersetzen. Dabei wurde sehr oft erneut Wirklichkeit, was im 16. Jahrhundert durch Luthers Übersetzung erstmals für größere Bevölkerungsgruppen möglich wurde: Menschen konnten selbst nachlesen, wurden frei zum eigenen Urteil über Glaubens- und Gewissensfragen – und damit oftmals eine Bedrohung für Diktatoren und Ideologen.

    Als Reformationsbotschafterin in Japan

    Das ist wohl die größte Leistung von Luthers Bibelübersetzung. Sie ermöglicht es Menschen, selbst zu denken. Genau das aber ist auch heute und sehr aktuell die beste Ansage gegen den Fundamentalismus – sei er islamischer oder auch christlicher, jüdischer oder hinduistischer Couleur. Wer selbst liest, der lernt, selbst Fragen zu stellen, lernt selbstständig zu denken und sich eine eigene Meinung zu bilden. Das meint Bildung: Ich darf fragen, ich darf denken.

    Ein Gedankenspiel – heute mit Luther diskutieren

    Es wäre interessant, heute mit Luther zu diskutieren. Wie sähe er wohl die »Bibel in gerechter Sprache«? Über sie wurde ja vehement diskutiert, weil sie dem jüdisch-christlichen Dialog gerecht werden will, den sozialen Kontext bedenkt und Frauen sichtbar machen will, deren Präsenz in der Regel schlicht »mitgemeint« ist. Über die Vehemenz der Ablehnung dieser Übersetzung, die teilweise sehr emotional war, habe ich mich oft gewundert. Kritisiert wurde zum Beispiel die Übersetzung von Lukas 2, Vers 1: »In jener Gegend gab es auch Hirten und Hirtinnen, die draußen lebten und über ihre Herde in der Nacht wachten.« Viele lästerten, »Hirtinnen« habe es gewiss nicht gegeben – doch zugleich singt man ohne Bedenken im Weihnachtslied »Kommet Ihr Hirten, ihr Männer und Fraun […]«. Auch der biblische Kontext legt ja nahe, dass nicht Männer allein diese Arbeit taten, sondern dass Frauen sie begleiteten, für sie kochten, die Schafe mitversorgten, ganz selbstverständlich Teil des Lebens waren. An vielen Stellen der Bibel, an denen von Männern die Rede ist, sind die Frauen und auch die Kinder mitgemeint. Sie waren Teil des Alltags, auch auf dem Feld, auch beim Bewachen der Herden. Ich kann mir vorstellen, dass Luther angeregt in einen Dialog über diese Übersetzung eingetreten wäre.

    Ich kann mir auch vorstellen, dass Luther größtes Interesse an der historisch-kritischen Methode der Bibelauslegung gehabt hätte. In Ansätzen hat er sie ja bereits selbst angewendet, wie sein Umgang mit den Apokryphen zeigt, den Martin Rösel in seinem Beitrag darstellt. Es ist doch großartig, fragen zu dürfen, warum es zwei ganz unterschiedliche Schöpfungsberichte gibt, wann und aus welchen Motiven sie wohl entstanden sind. Warum gibt es vier Evangelien, warum berichten sie aus unterschiedlichen Perspektiven vom Leben des Jesus von Nazareth, und was können wir daraus schlussfolgern, ja lernen? Wie kann es sein, dass im Jesaja-Buch so verschiedene Denkschulen zu Wort kommen? Endete das Markusevangelium wirklich einmal mit der Angst der Frauen – und wer hat wohl wann hinzugefügt, dass sie dann doch Mut zur Verkündigung hatten? Solche Fragen zu stellen, führt zu großartigen, horizonterweiternden Erkenntnissen. Wenn wir sie diskutieren, stellen wir die Autorität der Bibel als Buch unseres Glaubens nicht in Frage, sondern sehen in der Bibel die Erfahrungen unserer Väter und Mütter im Glauben mit Gott.

    Trotz der Vielfalt der Sprachen – die Bibel ist das gemeinsame Buch der Christenheit

    Mir persönlich ist weiterhin wichtig: Die Bibel ist unser zentrales gemeinsames Buch. Sie globalisiert unseren Glauben. Oft hat mich in den 20 Jahren, in denen ich für den Ökumenischen Rat der Kirchen viele Kirchen besuchen durfte, fasziniert, dass jemand nur von »Gethsemane« oder »Noah« sprach und alle wussten, wovon die Rede war. Eine fremde Sprache und fremde Kultur rufen keine Angst hervor, wenn Menschen sich im gemeinsamen Glauben verbunden wissen. Ja, es ist eine Freude, die je eigenen Zugänge zu den Texten, die auch wieder durch Erfahrung und Lebenskontext geprägt sind, miteinander zu teilen. Aber dafür müssen wir diese Geschichten auch kennen.

    Die größte Herausforderung in Westeuropa zum Reformationsjubiläum 2017 wird es deshalb vielleicht sein, die Menschen wieder zu ermutigen, selbst die Bibel zu lesen. Bei vielen gibt es Urteile und Vorurteile über den christlichen Glauben. Aber sie wissen wenig von dem, was in der Bibel steht. So hoffe ich, dass die revidierte Ausgabe der Lutherbibel eine hohe Aufmerksamkeit erhält und viele Menschen ermutigt, sie nicht nur zu kaufen, sondern auch wirklich in ihr zu lesen. Dabei müssen sie nicht unbedingt mit Seite 1 anfangen; sinnvoller wäre zum Beispiel ein Einstieg beim Markusevangelium, gefolgt von den anderen Evangelien. So werden sie erfahren, dass die eine Geschichte des Jesus von Nazareth auf unterschiedliche Weise erzählt wird – so wie unterschiedliche Menschen sich eben unterschiedlich an ein Ereignis erinnern. Eine solche Hinführung zum historisch-kritischen Verständnis der Bibel gehört nach meinem Eindruck auch zum Reformationsjubiläum, genauso wie das Wissen um das Gewachsensein der Lutherbibel, das in diesem Band dokumentiert wird.

    Kurzum: Ich freue mich über die revidierte Ausgabe der Lutherbibel. Sie macht deutlich, dass Reformation kein abgeschlossener Prozess ist, sondern stets fortgeschrieben werden muss. In einer Zeit der Säkularisierung, die sich die Reformatoren in keiner Weise vorstellen konnten, und angesichts der Herausforderungen des Dialogs der Religionen, die ebenfalls im 16. Jahrhundert nicht absehbar waren, wird die Bibel weiterhin eine große Bedeutung haben.

    Literatur

    MARTIN LUTHER, Sendbrief vom Dolmetschen, in: ders., An den christlichen Adel deutscher Nation. Von der Freiheit eines Christenmenschen. Sendbrief vom Dolmetschen, hrsg. v. Ernst Kähler, Stuttgart 2012 (Zitate von S. 142; 149 und 150).

    HEINZ SCHILLING, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München 2012 (Zitat S. 272).

    DEUTSCHLAND AM VORABEND

    DER REFORMATION

    Gabriele Schmidt-Lauber

    Unser Bedürfnis, die Vergangenheit in klare und übersichtliche Epochen einzuteilen, in allen Ehren – aber die Reformation in Deutschland begann gar nicht mit einem großen Knall. Einen solchen sieht man gerne in jenem 31. Oktober 1517, an dem Luther gut fundierte Thesen zur Theologie seiner Zeit verfasste und damit zu einem öffentlichen Diskurs in der Fachwelt einlud. Aber in Deutschland gab es schon länger an der einen oder anderen Stelle des gemeinschaftlichen Lebens Krisenherde, wenngleich sie im 15. Jahrhundert nicht unbedingt brisanter waren als

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