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Liturgie und Poesie: Zur Sprache des Gottesdienstes
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Liturgie und Poesie: Zur Sprache des Gottesdienstes
eBook267 Seiten3 Stunden

Liturgie und Poesie: Zur Sprache des Gottesdienstes

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Über dieses E-Book

Während das neue "Gotteslob" und das neue Messbuch langsam Gestalt annehmen, stellt Alex Stock hier aus aktuellem Anlass die Gestaltung der Liturgie nach der Reform durch das Zweite Vatikanische Konzil einmal grundsätzlich auf den Prüfstand. Bei allem Gewinn der Sprachreform, so seine Feststellung, wurde im Eifer der Neugestaltung die theologische Poesie der Lieder und Gebete nicht selten übersehen oder sogar übergangen. Doch kritische Aufmerksamkeit für die Sprache heißt auch, den Reichtum der Überlieferung für die Zukunft zu bewahren. Wahrheit und Schönheit, Begriff und Bild, Intellekt und Emotion - sie gilt es im christlichen Gottesdienst schöpferisch zusammenzuhalten. Eine nuancierte Analyse mit Relevanz für die weitergehende Reform der liturgischen Bücher, aber auch ein Plädoyer dafür, einen lebendigen Sinn für die Sprache des Gottesdienstes zu entwickeln.
SpracheDeutsch
HerausgeberButzon & Bercker
Erscheinungsdatum5. Jan. 2011
ISBN9783766641229
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    Buchvorschau

    Liturgie und Poesie - Alex Stock

    Kevelaer

    Inhalt

    Vorwort

    A. Dichten und Denken

    I. Weltliche Poesie und theologische Poetik

    II. Gutes denken, tun und dichten

    III. Im sozialen Wandel

    IV. Gedämpfte Erinnerung

    V. Schule der Poesie

    VI. Atem der Texte

    VII. O-Antiphonen

    VIII. Am Grab

    B. Römische Tradition

    I. Rechte Attacke

    Mosebach anhören?

    II. Wunde Punkte

    III. Römische Orationen

    IV. Inter mundanas varietates

    V. Unde et memores

    Über die Idee des Eingedenkens

    VI. Gabenbereitung

    Zur Logik des Opfers

    VII. Engelbrot

    Zu einer alttestamentlichen Figur

    VIII. Dies irae

    Nachwort

    Anmerkungen

    Nachweise

    Vorwort

    „In Wirklichkeit, und dem entgegen, was viele heutigen Tages verkündigen, sind die Werke der Vergangenheit, die unsere Kultur ausmachen, nur in dem Maße vorhanden und mächtig, als sie, statt zu überschatten, uns erleuchten, statt eine Last zu sein, uns beflügeln."¹

    Christliche Gebete und Lieder in deutscher Sprache gibt es seit über tausend Jahren. Vor einem halben Jahrtausend ungefähr wurde die deutsche Sprache hierzulande für den reformatorischen Flügel der Christenheit zur Grundsprache der Liturgie. Das brachte eine ungeheure Spracharbeit mit sich, das Übersetzen der Bibel, aber auch lateinischer Hymnen und Gebete, und einen Schub der Neudichtung von Liedern. Martin Luther war der führende Reformator nicht zuletzt als sprachbegabter Initiator eines Gottesdienstes in deutscher Sprache.

    Die revolutionäre Entscheidung des Zweiten Vatikanischen Konzils, die Landesprache nicht nur neben, sondern auch statt des alten Lateins im offiziellen Gottesdienst zu gebrauchen, bescherte den katholischen Ortskirchen von oben her, was sich die Reformation von unten her genommen hatte. Ähnliche Aufgaben wie zu Beginn des 16. Jh. standen um die Mitte des 20. Jh. unvermutet auf der kirchlichen Tagesordnung: das Übersetzen der Bibel, die deutsche Fassung von Missale, Rituale und Stundengebet, ein neues Gebet- und Gesangbuch. Unter dem amtlichen Druck, die liturgische Reform möglichst bald aus dem Stadium der offenen Experimente wieder in den Ruhezustand allgemein verbindlicher Textbücher zu überführen, wurde von vielen vieles schnell gemacht. Ein Sprachgenie von Luthers Format war dem deutschen Katholizismus nicht beschieden. Das Kirchenmanagement übernahm, dem Verfahrensmodell des gerade stattgehabten Konzils folgend, in einer Vielzahl von Kommissionen die Überführung des alten Liturgie- und Andachtswesens in den geforderten neuen Sprachzustand. Auf die ausführenden Organe vor Ort kamen sprachliche Gestaltungsaufgaben zu, die sie nach den verfügbaren Kräften nutzten.

    Dass die Veränderungen in mancherlei Hinsicht über das hinausgegangen sind, was sich die Väter der Liturgiereform vorgestellt haben, ist schwer zu übersehen. Das hat wiederum die Reaktion auf den Plan gebracht, die das ganze Unternehmen als Verfallsgeschichte stigmatisiert und am liebsten zur tridentinischen Messe und altem Latein zurückkehren möchte, wofür sogar an allerhöchster Stelle einiges Verständnis aufgekommen ist. Der pastoral besonnene Hauptstrom wird sich in dieses Bett kaum leiten lassen, aber an einer Reform der Reform, etwa in Form neuer Übersetzungen lateinischer Texte oder eines neuen Gesangbuchs, arbeitet man auch hier. Solche Entwicklungen haben ihre eigenen Gesetze und im konservativ-progressiven Buschkrieg hat Nachdenklichkeit keinen leichten Stand. Theologische Kritik, Kritik verstanden als Unterscheidungskunst, kann sich nur aus dem ihr eigenen geschichtlichem Gedächtnis heraus um Aufklärungen bemühen, um das freibleibende Angebot von Gesichtspunkten und Argumenten.

    Die im Folgenden zusammengetragenen Beiträge sind keine Bilanz nachkonziliärer Liturgieentwicklungen und schon gar nicht eine Abrechnung damit. Es sind Marginalien; sie stehen mit dem, der sie geschrieben hat, am Rand. Sie kommen nicht aus einer amtlichen Zuständigkeit oder gar kirchlichen Autorisierung, auch nicht aus liturgiewissenschaftlicher Professionalität. Es sind Überlegungen, aus Passion für die Sprache und an ihr geschrieben, der Sprache als hohem Gut der Religion.

    Die Beiträge sind anlassbedingt im Laufe der Jahre entstanden, aber sie sind so bearbeitet und angeordnet, dass ein Gedankengang durch alle hindurch möglich ist. Der erste Teil befasst sich unter dem Titel „Dichten und Denken mit Sprachentwicklungen auf dem Feld der deutschsprachigen Liturgie, vor allem im Bereich des Kirchenlieds.² In sprachlichen Mutationen stecken theologische und theologische drängen zu sprachlichen. Diese Verflechtung von Dichten und Denken ist genau und im Einzelnen zu bedenken, wenn die Religion Schönheit mit Vernunft bewahren will. Der zweite Teil des Buches reflektiert unter der Überschrift „Römische Tradition Umbrüche im Übergang von der lateinischen in die landessprachliche Verfassung der Liturgie. Das geschieht nicht in restaurativer, wohl aber in rettender Absicht.

    Alex Stock

    A. Dichten und Denken

    I. Weltliche Poesie und theologische Poetik

    Unter dem Titel „Reiz der Wörter erschien im Jahre 1978 eine Anthologie von kurzen Texten, Antworten von Autoren auf eine Frage, die der Reclam-Verlag zu seinem 150-jährigen Bestehen gestellt hatte: „Wir fragen nach einem Gedanken, einer Devise oder einem Satz aus der Literatur, der haften geblieben ist, auch einer Gedichtstrophe oder einfach einem Stück Sprache.³ In dem Beitrag des 1909 geborenen Schriftstellers Ernst Johann fand ich die folgenden Sätze: „Dem Reiz der Wörter nachzugehen, heißt für einen, der ihm für immer verfallen bleiben sollte, dem Reiz der Erinnerung nachzugehen. Schulpflicht hieß damals zugleich auch Kirchenpflicht. Eingezwängt auf der Knabenseite, ohne den Blick auf den Hochaltar, bei einer feiertäglichen Andacht mit Segen hört der zum ersten Mal das Te Deum singen, das Lied „Großer Gott, wir loben dich, angestimmt vom Pfarrer, eingestimmt von der Gemeinde und nicht von der Orgel begleitet, sondern allein von den silbernen Glöckchen der Messdiener. Die Stelle ,Alle Engel, die dir dienen …‘ wurde von der Gemeinde so hinausgezogen, dass statt der drei aufeinander folgenden i-Wörter ,die dir dienen‘ vier i-Wörter wurden: ,die-i dir dienen‘, eine Neu-Artigkeit, die den Siebenjährigen berauschte. Er wiederholte sie, wann immer und wo immer vor sich hinsummend: ,Alle Engel, die-i dir dienen‘. Den nächsten Wörter-Reiz übten Litanei und Rosenkranz aus, die gewöhnlichen Wechselgebete der gewöhnlichen Andachten. Im Mai die Lauretanische Litanei (zur allerseligsten Jungfrau) mit ihren immer neuen und, wie es schien, unerschöpflichen Anrufungswörtern: du Siegel der Gerechtigkeit, du Sitz der Weisheit, du Ursache unserer Freude, du geistliches Gefäß, du ehrwürdiges Gefäß, du vortreffliches Gefäß der Andacht, du geistliche Rose, du Turm Davids, du elfenbeinerner Turm, du goldenes Haus, du Arche des Bundes, du Pforte des Himmels, du Morgenstern … Und im Oktober die Rosenkranz-Andachten mit dem freudenreichen, dem schmerzhaften und dem glorreichen Rosenkranz … Wörter, kostbar in ihrer Erlesenheit, ausgedrückt vom einfachen (und einfach betörenden) Rhythmus der Wechselgebete, in die Gefühlswallungen von Himmelserwartungen gebettet, sollte man ihren Reiz nicht hier und endlich Poesie nennen?

    Ernst Johann ist eine Generation älter als ich, aber ich teile mit ihm solche Erinnerung. Liturgie, Messe, Andachten, Prozessionen, lateinisch und deutsch, in der Vielfalt der Textsorten und Sprechweisen und Singweisen, eingebettet in die Atmosphäre des Kirchenraums und der wechselnden Zeiten des Tages und des Kirchenjahres – das war auch für mich in dem westfälischen Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, der Mutterboden der Poesie. Nicht allein, die Volks- und Jugendlieder kamen hinzu und natürlich die einsame Lektüre unter der Lampe. Aber die Liturgie war doch jener poetische Raum, in dem kulturelle Weite und persönliche Betroffenheit aufs Engste sich verbanden. Diese Erfahrung teile ich mit dem 1909 geborenen Schriftsteller Ernst Johann. Wie weit die noch einmal eine Generation später Geborenen an alldem noch teilnehmen können, ist schwer zu sagen.

    Aber, dies ist jetzt nicht die erste Strophe des Liedes „Wie schön der Weihrauch damals roch." Ich greife nicht zur Panflöte der Nostalgie, wollte vielmehr nur zu Beginn kenntlich machen, woher das kommt, was ich vorlegen möchte, was sein lebensgeschichtlicher Grund ist und folglich auch seine perspektivische Grenze.

    „Das meiste vermag die Geburt, heißt es bei Hölderlin, aber lebensentscheidend ist dann, was wir aus dem machen, was uns mitgegeben ist. So steht es in den letzten Sätzen von E. Blochs monumentalem Werk „Prinzip Hoffnung: „Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch (…) so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin doch niemand war: Heimat."⁵ Da ist vom schaffenden, schöpferischen Menschen die Rede, eben von dem, was im Griechischen poiein und poiesis heißt, etwas ins Werk setzen, aus Gegebenem, Vorgegebenem, Überkommenen, Überlieferten etwas Neues hervorbringen, aber nicht im Sinne eines blinden Fortschritts, sondern aus dem verborgenen Antrieb, als Erwachsener irgendwie einzuholen, wovon ein verheißungsvoller Vorschein in die Kindheit gefallen ist.

    Das Poetische hat so von vornherein diesen doppelten Sinn, den der Schönheit und den des Werkes. Es weist auf eine Herkunft, aber es meint keine Regression in den schönen einfachen Kinderglauben des katholischen Milieus und schon gar nicht dessen fundamentalistische Restaurierung. Das Poetische ist, wie schon in der Romantik, kein Weg hinter die Aufklärung zurück, sondern über sie hinaus: Der Versuch, Wahrheit und Schönheit, Begriff und Bild, Intellekt und Emotion zusammen zu halten.

    Wie zur bildenden Kunst so ist auch das Verhältnis der Theologie zur Poesie, historisch gesehen, zwiespältig, gespalten zwischen humanistisch-neugierigem Interesse für die literarischen Schätze der Welt und moralischer Verachtung für das feinsinnige Allotria christlicher Ästheten. Das offene Interesse wiederum hat sich seit der Spätantike auf zwei Ebenen bewegt. Die erste Interessensrichtung schließt sich an die antike Tradition der theologia poetica (mythica, narrativa) an, dergemäß die ersten Theologen die Dichter waren, Männer wie Hesiod und Orpheus. Christliche Theologen der Spätantike und des Mittelalters haben sich da angeschlossen, indem sie die heidnischen Mythen wie das Alte Testament allegorisch und typologisch lasen auf Christus und die Offenbarung des Neuen Bundes hin, als verborgene (christliche) Theologie, die man durch Interpretation aus ihrer Latenz heben konnte.

    Das zweite positive Interesse richtete sich nicht primär auf die potentiellen theologischen Inhalte, sondern auf die der Dichtung eigene sprachliche Kunstfertigkeit. Im propädeutischen Schulprogramm der artes, insbesondere der Grammatik und Rhetorik, las man die Dichter. Man beschäftigte sich mit Poesie in poetischer Absicht, d. h. in der Lernabsicht, selbst in und mit der Sprache etwas machen zu können, inhaltlich durchaus etwas anderes, als es die klassischen Autoren vorgaben. Richtig lesen, reden und schreiben zu können, gut und auch schön, lernte man durch das Studium der Autoren. Poetik zielte hier darauf, aus dem gelungen Gemachten die Regeln der Kunst des Machens zu gewinnen. Diese poetische Position hat die Poesie in der Theologie jedoch nicht auf Dauer halten können. Im Bildungssystem der Hochscholastik stieg die Logik zum ersten Lerngegenstand der artes auf, die „poetica" wurde zur „infima inter omnes doctrinas", zur untersten aller Wissenschaften (Thomas v. Aquin, Sth I q 1 a 9). „Die Scholastik ist an der Würdigung der Poesie nicht interessiert. Sie hat keine Poetik und Kunsttheorie produziert"⁶, resümiert E. R. Curtius. Das gilt auch für die Neuscholastik des 19./20. Jahrhunderts. Und als diese transzendentaltheologisch aufgehoben oder exegetisch überrollt wurde, fand eine theologische Poetik auch keine nennenswerte Wiederbelebung.

    Die Theologen, die sich heute mit der mittlerweile weltlich gewordenen Literatur beschäftigen, sind primär Nachfahren der inhaltlich-offenbarungstheologisch interessierten Allegoriker der Antike und des Mittelalters. Weltfreudig-humanistisch sind sie an der in der säkularen Literatur verborgenen Theologie interessiert, an dem, was die Dichter in ihrer anderen Sprache sagen über Gott und Jesus, die biblischen Geschichten, die Kirche und die Moral. Hiob und der Holocaust sind bewegende Anziehungspunkte des Theodizee-Interesses der literarischen Theologen der Gegenwart. Und so, wie die heidnische Literatur der Antike als Präfiguration der christlichen Botschaft gelesen wurde, so wird die aus dem Christentum herausgewachsene weltliche Literatur der Moderne von vielen als „Postfiguration⁷ gelesen, wie A. Schöne sagt, oder als „Realisation eines theologischen Gehaltes in der nicht-religiösen weltlichen Konkretion⁸, wie es bei Dorothee Sölle heißt. Nicht selten wird dies in einem unmittelbar inhaltlichen Sinne verstanden: Die dichterische Gestalt ist die bildliche Einkleidung von Gedanken. Diese erscheinen als das eigentlich theologisch Interessante, die „Aussagen des Schriftstellers zu …" und seine darin artikulierte weltanschauliche Position. Es ist wohl der konfessorische, kerygmatische, dogmatische Grundzug theologischer Rede, der dazu führt, die Poesie vor allem daraufhin zu befragen, was der Dichter sagen will und welche Meinung er hierzu und dazu vertritt, um dies dann mit den hauseigenen Aussagen und Meinungen vergleichen und mit diesem Maßstab einordnen zu können.

    Man kann versuchen, Dichtung so zu lesen, und je mehr sie selbst Lehr- und Gedankendichtung ist, mag das auch gelingen. Was dabei zwangsläufig in den Hintergrund treten muss, ist die eigentümliche Sprachbewegung der Dichtung selbst. Ihr kommt man nur auf die Spur, wenn man den Lesevorgang selbst, in den wir uns durch die literarischen Texte verstricken lassen, als den Ort begreift, wo Dichtung sich realisiert. Vielleicht hat D. Sölle, die den Begriff der „Realisation in die theologische Literaturdiskussion eingebracht hat, dies auch im Sinn gehabt, wenn sie „Realisation als „Gewinn an Sprache, an Ausdrucksmöglichkeit, an angeeigneter Welt⁹ interpretiert. Es ist sehr wichtig, sich in der Weltliteratur umzusehen, wie die alten Motive und Themen des Christentums jenseits des kirchlich verwalteten Terrains weiterverhandelt werden. Aber erst, wenn durch diese Lektüre den lesenden Theologen selbst etwas geschieht, wenn das Lesen solcher Literatur die Theologie nicht nur ornamental umspielt, sondern in ihre ureigene Schreib- und Redeweise eingreift, wird die Bedeutung der Poesie für die Theologie Ereignis. Der theologisch eigentlich interessante Ort der Poesie, insbesondere der modernen, ist somit das Arbeitsfeld einer theologischen Poetik. Da geht es primär nicht darum, ob man hier oder da einmal ein Gedicht oder eine Kurzgeschichte „einsetzen kann, sondern um sprachliche poiesis im ursprünglichen Sinne des Machens, Herstellens, Anfertigens von Texten und Textkompositionen.

    Auf diesem Gebiet ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten atemberaubend viel einfach gemacht worden, in den verordneten Textreformationen der Liturgien, Gesangbücher, Bibelübersetzungen wie in der freihändigen Durchführung und Eigenproduktion vor Ort. Eine von der Poesie, zumal der modernen, belehrte Poetik hat dabei, wie mir scheint, keine bedeutende Rolle gespielt. Ob sie das gekonnt hätte oder in den verbliebenen Spielräumen noch kann, steht freilich dahin. Man kann es nur experimentierend auskundschaften. Nur im Durchgang durch sie selbst kann man schrittweise herausbekommen, was Poesie für die Theologie austragen könnte.

    II. Gutes denken, tun und dichten

    Der lateinischen Herkunft des Begriffs folgend, könnte man „Qualität zunächst im ontologischen Sinne der scholastischen „qualitas verstehen, als Beschaffenheit eines bestimmten Seienden, hier also der Eigenart jener bestimmten Textkörper, die man als Kirchengesänge bezeichnet. Im Zuge solchen Verständnisses wäre eine Taxonomie von Textsorten des Kirchengesangs vorzulegen, eine Typologie von Genera litteraria, in denen er sich realisiert. Bei der Bestimmung des Genus litterarium kommen bekanntlich formale und funktionale Komponenten zusammen; analog zu einem in der Kunstgeschichte gebräuchlichen Begriff könnte man von „Funktionsformen" sprechen. Eine solche Sichtung der hymnodischen Genera et Species ist unverzichtbar, damit man weiß, von welchem literarischen Feld man überhaupt spricht. Aber der Begriff „Qualität" ist im vorliegenden Zusammenhang nicht vorrangig in diesem ontologischen Sinne von literarischer Beschaffenheit gemeint, sondern im normativen Sinne von Wertigkeit. Es steht weniger die Klassifikation nach generischen Differenzmerkmalen zur Debatte als die Erörterung von Wertmaßstäben und Urteilskriterien. Es geht um eine Kriteriologie, die freilich ohne taxonomische Ordnung im Nebel stochert.

    Bewertung setzt eine Situation der Wahl voraus, in der es zugleich möglich und nötig ist, das eine dem anderen vorzuziehen. Im Bereich des Kirchengesangs gibt es zwei exemplarische Wahlsituationen: die zumeist über mehrere Jahre sich erstreckende Makrosituation der Entstehung eines Gesangbuchs und die zumeist im Stundenmaß bleibende Mikrosituation der Entscheidung über die Liedgestaltung eines bestimmten Gottesdienstes. Die Resultate dieser beiden Wahlentscheidungen sind miteinander verschränkt. Die Globalentscheidung des Gesangbuchs befindet darüber, was langfristig als Repertoire dem Gemeindegesang zur Verfügung stehen soll. Die Mikroentscheidungen der Liturgen vor Ort befinden, jedenfalls in der Summe ihrer Bevorzugungen und Vernachlässigungen, darüber, was wirklich unter das Volk kommt und was als hymnodischer Ladenhüter verstaubt. Es wäre eine lohnende Arbeit empirischer Hymnologie, zu ermitteln, welche Gesänge, bezogen auf ein bestimmtes Gesangbuch, realiter in Gebrauch genommen worden sind, in welchem Umfang, zu welchen Anlässen, aus welchen Gründen. Solche von den lokalen Liturgen oder liturgischen Gremien gelenkte hymnologische Volksabstimmung über ein Gesangbuch kann zwar nicht alleiniger Maßstab sein, aber ihre Ergebnisse könnten doch den Realitätssinn von Gesangbuchmachern im Hinblick auf künftige Entscheidungen schärfen, jedenfalls der kriteriologischen Reflexion bodennahe Fakten bieten.

    Da mir solche empirischen Untersuchungen aber nicht zur Hand sind, niste ich meine Überlegungen in der Makrosituation der Entstehung eines Gesangbuchs ein und wähle dazu den exemplarischen Fall des ersten katholischen Einheitsgesangbuchs deutscher Zunge, des in den Jahren 1963 bis 1975 entstandenen „Gotteslob".¹⁰ Die verantwortlichen Hersteller dieses Gesangbuchs haben in einem umfänglichen Redaktionsbericht über Entscheidungsprozeduren ihrer zehnjährigen Arbeit Auskunft gegeben.¹¹

    Dieses Gesangbuch mitsamt den Informationen über seine Entstehung wirft für den an diesem Prozess nicht beteiligten, aber von

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