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Aliana - Das Amulett des Theodoros
Aliana - Das Amulett des Theodoros
Aliana - Das Amulett des Theodoros
eBook330 Seiten4 Stunden

Aliana - Das Amulett des Theodoros

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Über dieses E-Book

Der mächtige Vampirfürst Isaak de Bankloe, Alianas Schöpfer, setzt alles daran, den fehlenden Teil des Amuletts in seine Hände zu bekommen. Dessen magische Kraft ermöglichte es einst ihn zu bannen. Um dies zu verhindern wagen Howard, Aliana und ihre Gefährten den Abstieg in die tiefsten Abgründe der Hölle. Eine ganze Armada an schrecklichen Ungeheuern stellt sich ihnen in den Weg. Die Erkenntnis, dass das Erwachen des Vampirfürsten nur der Anfang des Untergangs darstellt, lässt sie das unmöglich scheinende wagen. Sie haben nichts mehr zu verlieren und setzen alles daran Isaak de Bankloes Plan, den Untergang der Welt im Dunklen des Bösen zu vereiteln.
SpracheDeutsch
HerausgeberMystic Verlag
Erscheinungsdatum15. Sept. 2019
ISBN9783947721399
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    Buchvorschau

    Aliana - Das Amulett des Theodoros - H.J. Hettley

    Hettley

    Kapitel 1

    Howard sank seufzend in die Kissen. Dann bäumte er sich noch einmal auf und stöhnte laut und lustvoll. Aliana beherrschte eine Technik, den Orgasmus zu verlängern, indem sie bei seinem Abebben die Harnröhre im Penisschaft zusammendrückte, was eine Wonne war, und eine ebenso neue Erfahrung.

    Er wusste nicht, das wievielte Mal sie es heute getan hatten. Den Tag hatte er mehr oder minder verschlafen, unterbrochen nur von wirren Träumen, die etwas mit seiner Geistreise zu jenem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit zu tun hatten, die aber Träume geblieben waren – und keine Visionen.

    Es schien tatsächlich, als sei jenem Dämon, der vier Jahre lang sein Leben beherrscht hatte, der Giftzahn gezogen worden. Nach einer ausgiebigen Mahlzeit am frühen Abend, die er genossen hatte wie schon lange keine mehr, wollte er eigentlich zurück ins Bett, um nachzudenken. Sein Verstand hatte nach dem angenehmen Dämmerzustand des Tages begonnen, Fragen zu stellen bezüglich dessen, was damals geschehen war, und wie es mit dem Heute zusammenhing. –Dann hatte er Aliana vorgefunden.

    Seine Verwirrung – obwohl sein Geist noch an dem nagte, was er gesehen und erlebt hatte, und er sich im Zustand der Retraumatisierung befand, wie seine Ärzte in New York es ausgedrückt hätten, ging es ihm gut, ja, super. Sicher, er befand sich in einem Zustand der kognitiven Verwirrung, weil plötzlich neue Fragen, bezüglich des Vampirs Isaak und seines Verhältnisses zu ihm – und Aliana – aufgetaucht waren, doch in ihm waren eine Ruhe und eine Kraft spürbar, wie schon lange nicht mehr. Es war keineswegs übertrieben zu sagen, dass er sich wie neu geboren vorkam …

    Nun kehrte er in sein Schlafzimmer zurück, das in den Schein unzähliger Kerzen getaucht war (keine Ahnung, wie sie das in der kurzen Zeit gemacht hatte).

    Aliana lag nackt auf dem Bett, die Beine einladend gespreizt, ihre Haare umflorten ihren Kopf wie die Lache einer dunklen Flüssigkeit (oder wie ihre Rabenfedern, wenn sie sich verwandelte) und sie sah mit einem Grinsen zu ihm auf, das spitzbübisch und auffordernd zugleich war.

    „Guten Abend", murmelte er, betont steif, um seine Überraschung – und Freude – zu kaschieren, und lehnte sich mit verschränkten Armen an den Türrahmen.

    Sie streckte die Hände nach ihm aus.

    „Ist das die ganze Begrüßung …?", hauchten ihre Lippen, die vom dunklen Rot reifer Schwarzkirschen waren.

    „Nett", ließ er sich nach einem auffälligen Gleiten seiner Blicke von oben nach unten und wieder zurück herab zu sagen.

    Sie gurrte: „Ich finde, du warst gestern sehr tapfer, und hast dir eine Belohnung verdient."

    Die bekam er auch, die ganze Nacht lang, bis er erschöpft ins Kissen sank.

    Sie stütze sich auf einen Arm und sah ihn an.

    „Bist du gar nicht müde?", wollte er wissen.

    „Machst du Witze? Ich könnte das noch stundenlang …" Aliana blickte, möglichst unschuldig, auf ihre schwarzen Fingernägel. Howard folgte ihrem Blick und fand, dass sie wie getrocknetes Blut aussahen. Bestimmt hatte sie, bevor sie zu ihm gekommen war, ihre Beute geschlagen. Er schauderte, verdrängte den Gedanken aber sofort.

    „Ich weiß nicht, wie ich gestern ins Bett gekommen bin ..." Aliana blickte ihn mit einer Spur Besorgnis an.

    „Das willst du auch nicht wissen."

    „Es war …"

    Sanft legte sie eine Hand auf seine Schulter.

    „Du warst wirklich sehr tapfer. Mutig. Das hätte nicht jeder Sterbliche überlebt. Noch einmal zu sehen, was du erlebt hast. Das menschliche Gehirn verfügt über ein paar ausgezeichnete Schutzmechanismen. Verdrängung ist einer davon."

    „Ich habe einen hohen Preis dafür bezahlt, in den letzten vier Jahren, mein Trauma nicht mehr sehen zu müssen. Die Visionen …"

    „Die sind jetzt vorbei. Aber es war Rosalyn. Sie war es wirklich." Aliana berührte ihn an der Schulter.

    „Sie hat dich warnen wollen."

    Howard schauderte. „Hört sich an wie ein klassischer Fall von Spuk."

    „Zu dem Mittel hätte sie wohl gegriffen, wenn alles andere nicht gefruchtet hätte. Aber wir sind uns begegnet und jetzt ist es gut", erwiderte Aliana fest.

    Howard wandte ihr den Kopf zu.

    „Das klingt, als hätte sie uns wirklich ihren Segen gegeben."

    „Das hat sie auch, nickte die Vampirin. „Ich habe noch einmal mit ihr geredet, letzte Nacht.

    Howard fuhr in die Höhe.

    „Du hast …?" Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. Die Hand, die Stunden zuvor vielleicht einem anderen Mann die Kehle herausgerissen hatte.

    „Es ist gut. Ihr geht es gut."

    „Kann ich noch mal … Ich meine, bloß reden … Es gibt noch so vieles, das zu sagen wäre …"

    Aliana schüttelte den Kopf.

    „Sie ist weitergezogen, Howard. Es ist nicht gut, die Seelen an ihrem Weiterkommen drüben zu hindern. Du hast schon genug Einblicke in deren Welt erhalten, mehr, als die meisten Sterblichen vor dir. Es ist gut. Sie hält mich für sehr stark und weiß, dass dir nichts geschehen kann, solange ich in deiner Nähe bin."

    „Sie hält dich …"

    „Das tun offenbar alle, auch Roland. Sie kennen den Feind nicht. Aber solange ich kämpfen kann und mein Herz schlägt, und sei es auch nur aufgrund geraubten Blutes, wird dir nichts geschehen, Howard." Der Ernst in ihrer Stimme versetzte ihm einen Stich. Sie erhob sich, trat ans Fenster und öffnete es. Ein scharfer Windstoß fegte herein, die Bäume dicht beim Haus bogen sich und gaben ein unheimliches Rauschen von sich.

    „Ein Sturm zieht auf", sagte Aliana düster.

    „Es ist nur … Howard suchte nach Worten. „Das Schlimmste war, dass ich wirklich glaubte, Timmy retten zu können. Nicht nur, dass er so real war. Er war nie zugegen, wenn Rosy mit mir sprach …

    „Er befand sich auf einer anderen Ebene. Rosy hat drüben einen weiten Weg auf sich genommen, um mit dir in Kontakt zu treten. Aber jetzt sind sie wieder vereint."

    „Was …?"

    Eine seltsame Musik war plötzlich in Howards Kopf, ein Wehen, wie von Streichern und Blasinstrumenten, ganz zart und kaum hörbar. Darüber ein auf Tönen basierender Gesang, eine unendlich feine weibliche Stimme oder viele, klagend und voller Sehnsucht – oder Freude – wie Alianas Stimme, in dem Turmzimmer.

    „Ja. Es geht ihnen gut. Sie sind im Licht. Da sind Wesen um sie herum, aus reiner Energie. Lichtwesen, wie sie von uns Vampiren normalerweise nicht wahrgenommen werden können. Sie helfen ihnen auf ihrem weiteren Weg. Da ist noch jemand bei ihnen. Toby. Du würdest wissen, um wen es sich handelt. Du hättest noch seinen Fressnapf …"

    „Was …?" Howards Schrei brach in einem Schluchzen ab. Er schaffte es nicht mehr länger, seine Tränen zurückzuhalten. Sie schossen seine Wangen hinab und rannen auf das Kopfkissen.

    „Das konntest du nicht wissen. Unser Hund. Er wurde überfahren. Timmy hat ihn über alles geliebt … Ich hab’ noch immer seinen Napf, das ist wahr, aber du … konntest es nicht wissen, ich habe es dir nie erzählt …"

    „Howard …" Sie kam zu ihm, nahm seinen Kopf und bettete ihn in ihrem Schoß. Wiegte ihn, sanft, tröstend, murmelte beruhigende Worte dabei.

    Irgendwann, scheinbar nach Stunden, versiegten seine Tränen und er wurde ruhig.

    „Es ist weg, flüsterte er. „Ich weiß, dass die Visionen weg sind. Es ist irgendwie ein … Verlust. Es war immer, als ob sie noch da wäre …

    „Ich bin jetzt da."

    „Ja. Entschuldige. Man sollte nicht von seiner Ex erzählen …"

    „Das ist etwas anderes. Sie ist tot und ich bin es auch."

    „Und auch wieder nicht. Ich bin froh, dass ich nach England gekommen bin."

    „Ich auch. Du bist dem Ruf des Schicksals gefolgt. Wir mussten uns begegnen."

    „Ja … Peinlich."

    „Was?"

    „Die Tränen."

    „Nicht vor mir. Du bist stark, Howard."

    „Nur, weil ich nicht zu Psychosen neige?"

    „Du hast keine Angst vor mir. Im Grunde bin ich ein unberechenbares, blutgieriges Raubtier … Und du hast keine Angst. Das hatten die anderen alle. Alle. Sie haben das Wilde in mir gespürt …"

    „Das tue ich auch."

    „Aber du fliehst nicht. Auch nicht, seit du weißt, dass eine der schlimmsten Geißeln der Menschheit Besitzanspruch auf mich erhebt."

    „Tut der Bastard das?"

    „Einem de Bankloe nimmt man nicht die Frau weg. Kein Vampir auf dieser – oder einer anderen Welt – würde sich das trauen."

    „Wir sind stärker. Stärker als er. Stärker als alles. Stärker als der Tod." Seine Stimme klang so fest, dass sie den Atem anhielt.

    „Du liebst mich wirklich."

    „Ja."

    „Mach‘s mir noch mal …", flüsterte Aliana rau. Das tat er, noch leidenschaftlicher als zuvor.

    Als sie dann wieder nebeneinander in den Kissen lagen und ihr Atem sich langsam beruhigte, fragte sie: „Und? Was wirst du jetzt anfangen mit deiner neuen Freiheit?"

    „Du meinst, ohne die Visionen?", murmelte er ermattet.

    „Ja. Howard lächelte träge. „Genauer meinst du, wie es mit uns weitergehen wird.

    Aliana strich mit den Fingernägeln über seine Brust.

    „Wir haben noch nie näher darüber geredet."

    „Wir haben überhaupt noch nicht darüber geredet. Ich dachte, wir hätten ein stilles Abkommen, die gemeinsame Zeit zu genießen …"

    „Das haben wir. Aber eines Tages wirst du wieder nach New York zurückkehren …" In ihrer Stimme lag Wehmut.

    Howard hob den Kopf und blickte ihr fest in die Augen.

    „Nicht ohne dich."

    Sie schloss die Augen. „Noch könntest du gehen und mich dort vergessen …"

    „Niemals. Aber ich glaube, wir haben ein anderes Problem."

    Aliana schwieg eine Weile, in die Dunkelheit lauschend, die immer mehr an Macht über den Raum gewann, je mehr Kerzen nach und nach erloschen. Der Sturm draußen orgelte und pfiff über die Berge und das weite, freie Land. Er klang wie das Schreien und Heulen verdammter Seelen.

    „Er würde dich auch in New York finden", meinte sie schließlich.

    „Ich werde ihn finden, stieß Howard gepresst hervor. „Er hat mir alles genommen. Er will mir dich nehmen. Grund genug, ihn zu finden.

    „Was wirst du dann tun?"

    Howards Gesicht bekam einen Ausdruck der Härte, die sie noch nie an ihm gesehen hatte.

    „Ihn vernichten."

    „Es gab schon Menschen, die behaupteten, den Krebs besiegt zu haben."

    „Manche haben es auch", begehrte er auf.

    Aliana schüttelte den Kopf.

    „Für wie lange?"

    „Denkst du, es ist hoffnungslos?"

    Aliana schwieg eine Weile.

    „Wenn du allein wärst … Ich sage nicht, dass wir eine große Chance haben, vielleicht nicht einmal eine reelle. Aber ich habe eine Idee. Ihre Hände vollführten seltsame Gesten in der Luft, als schriebe sie unsichtbare Muster hinein, denen er fasziniert mit den Augen folgte. „Nenn es einen Trumpf in der Hinterhand.

    „Was ist es?"

    „Je weniger du weißt, umso besser für dich. Aber lass uns jetzt wirklich über uns reden. Über die Zukunft. Auch wenn ich selbst das eigentlich gar nicht will."

    Er lehnte sich zurück und sah sie an.

    „Würdest du mit mir nach New York kommen?"

    „Sicher. Alianas Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. „Ich würde dort, in deinen Künstlerkreisen, sicher weniger auffallen als hier.

    „Du hängst nicht an dem Schloss?"

    „Es gehört mir nicht. Es ist eine stilgemäße Tarnung, aber etwas altmodisch und klischeehaft, findest du nicht?"

    „Schon. Howard grinste, und die Freude, die er empfand, war ihm deutlich anzusehen. „Gut, nickte er. „Dann wäre das geklärt."

    Aliana zögerte einige Augenblicke, ehe sie weitersprach. „Du wirst irgendwann deine Zähne in Kukident legen und nach jemandem rufen, der deine Windeln wechselt. Ich werde dann immer noch so aussehen wie jetzt."

    „Würdest du mir die Windeln wechseln?", fragte er amüsiert.

    „Ungern. Wahrscheinlicher ist ohnehin eher, dass du dir irgendwann ans Herz greifst und umkippst. Oder eines Tages voller Metastasen sein wirst."

    Howard klang entschlossen.

    „Ich sagte dir schon einmal, dann mach mich vorher zu einem Vampir."

    Aliana seufzte.

    „Du denkst, die Unsterblichkeit ist ein Segen, vielleicht sogar spannend. Aber das ist sie nicht. Ein Massenmörder Howard Price, der bis zu dem Tag, an dem die Sonne erlischt, durch Ströme von Blut watet? Mit Blut an den Händen? Der nicht einmal weiß, wie sein zehntausendstes Opfer hieß, ob es ein Mann war, eine Frau oder deren Kind. Immer die Angst in ihren Augen, die einen noch verfolgt, wenn sich der Deckel des eigenen Sarges über einem schließt, jeden Morgen? Die eigene Angst vor der Sonne, oder entdeckt zu werden? Das ist ein hoher Preis für ein paar Jahre mehr an Erkenntnissen, die man den Sterblichen voraushat. Und, nebenbei, ich glaube nicht mehr, dass man auf diese Weise die ultimative Erkenntnis über die Wirklichkeit an sich erreichen kann, durch ein bloßes Mehr an Zeit. Unser Geist ist nicht dafür geschaffen, Gott zu sein …"

    Howard wollte etwas erwidern, als unten, hektisch und keinen Aufschub duldend, die Türklingel anschlug.

    Er lauschte – der Sturm hatte eine beängstigende Stärke erreicht, es klang, als wollte er den Dachstuhl abheben. Zudem hatte es zu regnen begonnen, unzählige Tropfen wurden mit unnachgiebiger Gewalt gegen die Scheiben geschleudert, was ein permanentes Prasseln erzeugte, vom unheimlichen Heulen des Sturms, der Orkanstärke erreicht zu haben schien, unterbrochen. Wieder die Klingel, noch drängender diesmal.

    „Wer kann das sein? Um die Uhrzeit klingelt bei mir normalerweise niemand mehr." Howard flüsterte unwillkürlich.

    „Vielleicht eine Autopanne bei dem Sauwetter", mutmaßte Aliana, sah aber nicht so aus, als ob sie selbst es glauben würde. Howard zog sich blitzschnell an, dann rannte er nach unten. Durch das kleine, mit einem gehäkelten Spitzenvorhang seiner Mutter versehene Fenster zwischen WC und Tür sah er den Schein von Autoscheinwerfern durch das regennasse Glas. Der Sturm brüllte mit einem Mal regelrecht auf, ein Geräusch, das vertraut klang, das hatte er hier schon öfter erlebt und dennoch machte es ihm Angst.

    Als er es das letzte Mal gehört hatte, hatte er den Glauben an Dämonen ins Reich der Fantasie verbannt. Und jetzt …? Er spürte, wie seine Hand zitterte, als er die Tür öffnete.

    „Mr. Price?"

    „Ja?" Vor ihm stand ein Mann, der etwa in seinem Alter und von seiner Statur sein mochte, sofern dessen Regenkleidung und die Lichtverhältnisse dies erkennen ließen. Im Auto, dessen Motor noch lief, saß am Steuer ein weiterer Mann. Was, wenn dies bereits die Gegenseite war? Was, wenn Isaak diese Männer geschickt hatte? Aliana schien damit zu rechnen …

    Und was, so flüsterte eine panische Stimme tief in Howards Verstand, wenn dies gar keine Menschen waren, sondern nur so aussahen …?

    Regen perlte vom Mantel dessen ab, der vor Howard stand und ihm nun ein Schriftstück vor die Nase hielt.

    „Percy Collins, Scotland Yard, Sonderkommission, murmelte der Mann in monoton routiniertem Tonfall und ließ seinen Ausweis wieder in seinem dicken Mantel verschwinden. „Wir haben ein paar Fragen und müssen Sie bitten, mitzukommen. Ob vorher abgesprochen oder aus der Routine langjähriger Berufserfahrung heraus, es war eine beeindruckende Choreografie, als der Chauffeur des silbergrauen Dienstfahrzeugs genau in diesem Moment ausstieg und sich mit verschränkten Armen gegen die Motorhaube lehnte. Howards Herz begann zu hämmern.

    Polizei? Er musste sofort an die Leiche denken, die er gefunden hatte, wenngleich das auch schon Ewigkeiten her zu sein schien. Hatte er doch Spuren hinterlassen und war nun verdächtig? Irgendwie hatte er geglaubt, seit dem Zeitpunkt, als er erfahren hatte, wer den unbekannten Mann getötet hatte, und warum, wäre das Ganze erledigt. Doch nun … Es war wohl doch nicht so ganz einfach, mit einer durstigen Vampirin liiert zu sein. Okay, sagte er sich. Das hat Aliana verbockt. Soll sie mich doch hier raushauen …

    Wie soll sie das machen, fragte die mitleidlos kritische Stimme in seinem Kopf.

    Soll sie die ganzen Bullen hier abmurksen, damit sie dich gehen lassen? Oder soll sie die Wahrheit sagen?

    Darüber hatten sie noch nicht geredet: was, wenn sie entdeckt würde? Heute glaubte kein Mensch mehr an Vampire, aber Roland hatte sie schließlich auch überzeugen können. Howard wünschte sich mit einem Male nichts sehnlicher, als dass Aliana hinzukäme und die Sache aufklärte, notfalls mit Zauberei.

    „Das hier ist Inspektor Hank Snowdon. Collins nickte in Richtung des bulligen, hellhaarigen Kollegen. „Wenn Sie bitte mit uns kommen würden. Ich muss mich schon jetzt für die späte Störung entschuldigen, aber die Dringlichkeit der Angelegenheit gebietet uns ein solches Vorgehen.

    „Worum handelt es sich denn? Ich habe keine Ahnung …, setzte Howard an. Collins sah einen Moment wirklich aus, als würde er nach einer Antwort suchen, doch dann meinte er: „Das erfahren Sie im hiesigen Polizeigebäude, Mr. Price. Er suchte mit Blicken die Hausfassade ab, dann das Grundstück, soweit die Sichtverhältnisse dies zuließen. Howard fragte sich, nach welchen Gesichtspunkten er dies tat, und zu welchen Ergebnissen er kam. Eine beunruhigende Frage.

    „Mr. Price, ist Ihre Lebensgefährtin zufällig anwesend? Wir bräuchten auch sie." Howard zuckte innerlich zusammen. Wieso wussten sie von ihr? Aliana schien kein allzu großes Problem damit zu haben, dass Menschen von ihrer Existenz wussten. Sie ging durch den Ort, die Leute in Gainsborough wussten, dass sie auf ihrem Schloss lebte, sie hatte bei Norma die Granatäpfel für ihn bestellt und ging dort einkaufen (wozu eigentlich? Tarnung, vermutete er) – aber woher wussten die Bullen, dass sie zusammen waren?

    „Es ist in Ordnung, Mr. Collins Ich bin hier."

    Howard zuckte nicht weniger zusammen als die beiden Beamten, doch er ließ es sich nicht so anmerken. Aliana stand urplötzlich bei ihnen, wie aus dem Nichts aufgetaucht. Keiner hatte sie kommen sehen oder hören, nur ein Rauschen ihres schwarzen Kleides, und hier war sie. So atemberaubend schön, dass es Howard den Atem verschlug. Sie sah überhaupt nicht aus wie frisch dem Bett entstiegen, eher, wie gerade von einem Profivisagisten gestylt. Wenn ihre Wirkung auf die beiden Bullen genauso war, wie auf Howard (und vielleicht auf jeden Mann, der ja potenzielle Nahrung für sie darstellte), dann ließen die beiden berufsmäßigen Masken, die die Beamten zur Schau stellten, davon nichts merken. Howard kannte Alianas Psycho-Tricks und er zweifelte nicht daran, dass sie sie eingesetzt hätte, um sie hier herauszuhauen, falls es nötig gewesen wäre. Eine Tatsache, die ihn etwas beruhigte, aber nur etwas.

    „Miss di Badalamenti?"

    „Yep."

    „Wenn Sie uns bitte …"

    „Sind schon unterwegs. Diesen Wagen, nehme ich an?" Im Vorbeigehen drückte sie kurz Howards Hand, eine Geste, die ihn noch etwas mehr beruhigte. Wusste sie, was hier gespielt wurde?

    Sie nahmen beide im Fond des Wagens Platz, die Beamten vorne.

    Die Tatsache, dass die Türsicherung hörbar einrastete, und so eine Flucht unmöglich machte, ließ Howard einen Anflug von Platzangst auf der Fahrt erleben, die schweigend, ohne Fragen und Antworten, durch die Dunkelheit erfolgte. Versuche seinerseits, etwas über den Grund ihres Hierseins herauszubekommen, wurde von Collins gar nicht oder mit einem Hinweis auf später beantwortet. Dennoch war es ersichtlich, dass die beiden Männer unter einer immensen inneren Anspannung standen, die Blicke, mit denen sie aus den Fenstern in die Nacht hinaus sahen, als sei dort etwas, sprachen für sich, während Aliana der Gleichmut schlechthin zu sein schien und entspannt die vorbeiziehende Landschaft beobachtete.

    Dabei fiel Howard etwas auf:

    Einer der beiden Bullen, Snowdon, begann, Aliana verstohlen zu beobachten. Er blickte grundlos in den Innenspiegel, wandte sich mehrfach um, zögernd, als wollte er die Geste selbst gar nicht ausführen und brachte sie dann, gegen seinen Willen, oder seine Vernunft, doch zu Ende.

    Das an sich wäre nicht ungewöhnlich gewesen, sondern nur die Wirkung des Zaubers, der Aliana umwob wie eine unsichtbare Aura erotischen Versprechens, und der ihre Nahrung sicherstellte. Der Mann als Eroberer, der zur Beute wurde.

    Was Howard stutzen ließ, war Alianas Reaktion. Sie fixierte einmal deutlich Snowdons Blick mit dem ihren und schüttelte kaum merklich den Kopf, ja, öffnete sogar leicht die Lippen und entblößte ihre Fangzähne. Howard glaubte sogar, ein leises Knurren aus ihrer Kehle zu vernehmen.

    Was hatte das alles zu bedeuten?

    Kapitel 2

    Howard war froh, als sie den Ort erreicht hatten und fest gefügte Häuser die Straße säumten – draußen, in den Feldern, war er sich seltsam nackt und schutzlos vorgekommen. Jetzt, wo der Wagen über altes, nass schimmerndes Kopfsteinpflaster rollte, und das eine oder andere erleuchtete Fenster eine warme, gelbe oder orange Lichtinsel auf die Straße malte, war es besser.

    Sicherer.

    Das Polizeigebäude hatte er noch nie zuvor wahrgenommen; es handelte sich um ein relativ großes und breites Haus mit einer roten Backsteinfassade, einem dunklen, sanft geschwungenen Dach und sehr vielen, kleinen Fenstern.

    Das mit einer schweren Eisentür verschlossene Eingangsportal befand sich unter einem Rundbogen, der etwas an eine alte Kirche erinnerte.

    Collins wuchtete die Türe auf und ließ sie vor sich eintreten.

    Kaltes Neonlicht flutete von den hohen Decken herab und tauchte die langen Korridore mit den weißen Wänden, die von altmodischen, bis etwas in Hüfthöhe verlaufenden, braunen Verzierungen eher betont, als aufgelockert wurden, in nüchternes, eiskaltes Licht. Es roch nach Putzmittel, Zigaretten und Staub. Ihre Schritte auf dem gefliesten Boden hallten laut und wurden von einem Echo begleitet, das in der prosaischen Welt der Verwaltung etwas eigentümlich Theatralisches hatte.

    Collins führte sie schweigend einen Weg, den er bereits gut zu kennen schien. Noch immer wurde kein Wort gesprochen. Es ging über eine breite, alte Treppe tief in den Keller, in die Eingeweide des Gebäudes hinab.

    Howard fragte sich, ob es hier spukte; sie waren schließlich in England.

    Eine weiße Flügeltür in einem ebenfalls rein weiß gestrichenen Flur vor ihnen zeigte mit einem silbernen Schild das Ziel ihrer Reise: Morgue.

    Leichenschauhaus. Howard spürte, wie Kälte nach ihm zu greifen begann.

    Oh Gott, dachte er. Ein Blick auf die beiden Beamten zeigte ihm deren hart und verkniffen wirkende Gesichter. Entweder sie waren nicht so abgebrüht, wie ihre Berufsgruppe sich gerne darstellte (jedenfalls in den Krimis, wann hatte er jemals mit solchen Leuten zu tun gehabt), oder es lag an diesem verfluchten, kalten Licht, das einem das Gefühl gab, selbst bereits tot zu sein.

    Als er Aliana ansah, erschrak er, aber bei ihr war das natürlich am allerwenigsten ein Wunder. Gegenüber ihrem Teint hatte die Wand noch Farbe.

    Hinter der Flügeltür erklangen Schritte, im nächsten Moment wurde sie aufgestoßen – und ein Roland Buchanan, der aussah, als hätte er gerade den Leibhaftigen gesehen, tauchte auf.

    „Howard, Aliana – Gott sei Dank! Entschuldigt bitte die späte Störung und das Aufgebot an Polizei, aber ich wusste mir keinen anderen Rat, als sie mich holten …"

    „Was ist denn hier überhaupt los?", rief Howard. Roland sah unsicher von einem zum anderen. Aliana zeigte mit keiner Miene, ob sie ebenso überrascht – und erleichtert – war, den Father zu sehen, wie er, Howard.

    „Die Polizei hat mich genauso aus den Federn geholt, wie euch, nehme ich an … Sie fragten mich, ob ich mir das her erklären könne … Nun, ich kann es nicht, und ich dachte, dass du, Aliana …"

    Sein Blick irrlichterte seltsam.

    „Was Mr. Buchanan sagen will …", schaltete sich da Collins ein, dessen Stimme unnatürlich laut und schneidend klang, unangemessen in der hier überall präsenten Stille der Anwesenheit des Todes, „… ist, dass wir uns keinen Reim auf das machen können, was da drinnen, hinter dieser Tür, vor sich geht. Father Buchanan auch nicht. Er hat uns an Sie verwiesen, weil er meinte, dass Sie beide es könnten. Eine Antwort hätten, eine mögliche Erklärung. Das ist es, was wir von Ihnen wollen. Der Father sagte uns nicht, wer Sie sind, oder was Sie befähigen könnte, uns behilflich zu sein. Aber das ist mir, offen gestanden, auch egal. Hauptsache, Sie können jetzt mit uns da rein gehen

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