Inseldrama. Ostfrieslandkrimi
Von Rita Roth
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Über dieses E-Book
Norderney ist alarmiert, als ein Enkeltrick völlig außer Kontrolle gerät. Sind die älteren Bewohner der idyllischen Nordseeinsel nicht mehr sicher? Gefesselt und geknebelt wird Elske Visser in ihrem eigenen Haus zurückgelassen. Die hinterlassene Drohung lässt keinen Zweifel: Es geht um ihr Grundstück, das einem millionenschweren Bauvorhaben im Wege steht. Gretje Blom nimmt sofort die Ermittlungen auf, um ihre alte Freundin Elske zu unterstützen. Wer ist die junge Frau, die sich als Lebensgefährtin des Enkels ausgegeben und das Opfer so brutal überfallen hat? Ist Elskes Enkel Björn, der kurz nach der Tat auf Norderney erscheint, womöglich selbst in die Sache verstrickt? Und machen die Hintermänner ernst, falls sie das gesetzte Ultimatum verstreichen lässt? Als tatsächlich eine Leiche auftaucht, nimmt das Drama auf der ostfriesischen Insel seinen Lauf...
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Inseldrama. Ostfrieslandkrimi - Rita Roth
Kurz-Ostfrieslandkrimi
Kapitel 1
Gedankenverloren schlürfte Gretje Blom eine heiße Schokolade. Sie hatte es sich in den gemütlichen Polstersesseln ihres Lieblingsstrandlokals auf Norderney bequem gemacht, so ließ sich das Schietwetter dieses Apriltages einigermaßen ertragen. Der Regen pladderte monoton gegen die Fensterfront, die den Blick auf Himmel und Meer freigab. Die rüstige Ostfriesin, die aus ihrem Alter noch immer ein Geheimnis machte, nahm die Hintergrundmusik, die Geräuschkulisse der Urlauber und selbst die Anwesenheit ihres besten Kumpels Piet kaum wahr. Sie schaute hinaus aufs Meer, auf die stetig heranrollenden Wellen, die sich brachen und einen Schauer sprühende Gischt in die Luft spuckten. Es war ein wundervolles Schauspiel der Natur.
»Was guckst du?«, riss Piet sie aus ihrer Versenkung. So ausdauernd schweigend kannte er sie normalerweise nicht. Konnte es sein, dass sie Sorgen hatte oder etwas seine alte Freundin bedrückte, von dem er nichts wusste.
»Meer«, erwiderte sie. Mehr nicht.
»Denn will ich man nicht länger stören.«
»Mannomann, Piet, nun sei man nicht gleich eingeschnappt«, lenkte Gretje ein. »Willste wirklich wissen, was mir durch den Kopf geht?«
»Hmm.«
»Der teuflische Plan«, nuschelte sie kaum hörbar, damit die anderen Gäste es nicht mitbekamen. Piet sah sie irritiert an, sodass seine lüttje Friesenrose erkläre, was sie damit sagen wollte. »Ich frage mich jeden Tag, ob der teuflische Fluch mir in diesem Urlaub wieder übel mitspielt oder ob ich über die Ostertage von Mord und Totschlag verschont bleibe. Ich habe da so ein komisches Gefühl.«
»Seit wann hast du das denn im Gefühl, wenn ein Verbrechen passiert? Du wirst mir langsam unheimlich, meine lüttje Friesenrose«, sagte Piet.
»Mach du dich man lustig über mich. Wirst schon sehen. Wäre ja ein Wunder, die Feiertage ausnahmsweise ohne Stress und vor allem ohne Leiche genießen zu können.«
»Willst wohl mit mir Ostereier suchen?«
Gretje grinste. »Wir können auch zum Eiertrullern gehen«, schlug sie vor und erzählte dem Freund aus ihrem Heimatort Rhauderfehn von dem österlichen Brauch. Sie einigten sich aber dann doch darauf, lieber zum Osterfeuer zu gehen.
»Sind ja noch ein paar Tage Zeit«, sagte Piet, »heute ist ja erst Dienstag. Soll ich dir noch eine heiße Schokolade holen? Oder möchtest du ein Gläschen mit Fittaminchen?«
»So ein schöner heißer Sanddornpunsch, das wäre jetzt genau das Richtige«, seufzte Gretje. Sie glaubte an die gesundheitsfördernde Wirkung der Vitamine im Sanddorn und auch im Sanddornschnaps.
»Nun hör sich das mal einer an!« Eine fette Schlagzeile der Norderneyer Zeitung hatte ihre Aufmerksamkeit gefesselt. »Brutaler Überfall auf Norderney! Alte Insulanerin im eigenen Haus gefesselt und geknebelt! Was sagst du dazu, Piet?« Schnell überflog sie die Zeilen und mokierte sich über die Dreistigkeit und Brutalität der Gangsterin. Schon beim Lesen des Berichts sträubten sich ihr die Haare. Erst einen Tag später war die Rentnerin völlig entkräftet und dehydriert an einen Stuhl gefesselt, mit einem Knebel im Mund von einer Nachbarin aufgefunden worden. Noch gerade rechtzeitig. Einen weiteren Tag hätte das Überfallopfer aus Sicht des Arztes nicht überlebt.
»Das ist doch eine Schande! Eine bodenlose Schweinerei! Was sagst du denn dazu, Piet? Angeblich soll die Lebensgefährtin von dem Enkelkind der Rentnerin angeklingelt und erzählt haben, der Enkel wäre in Gefahr und bräuchte dringend Geld von seiner Oma. Die alte Frau ist immer noch nicht zu einer vernünftigen Aussage fähig, so dolle hat die Ganovin die eingeschüchtert.« Noch einmal überflog sie den Artikel. Der Name des Opfers, Elske Visser, kam ihr bekannt vor.
»Elske Visser! Die kenne ich«, rief sie. »Aus meiner Zeit damals als Briefträgerin, als ich auf der Insel ausgeholfen hab. In einem Jahr, da hab ich Elske kennengelernt. Dat Häuschen von ihr lag nämlich etwas abgelegen, das war ganz schön weit weg, bis ich an ihrem Briefkasten war. Den Namen Visser, den gibt’s ja wie Sand am Meer, aber Elske Visser … Das muss meine Elske sein.«
»Und ich hab immer geglaubt, hier ist die Welt noch in Ordnung«, brummelte Piet. »Frag doch mal bei deinem Inselpolizisten nach, was da los gewesen ist. Der wird das ja wohl ganz genau wissen.«
»Da kannste aber Gift drauf nehmen!«
Piet nahm ihr die Zeitung aus der Hand und las den Artikel zur Sicherheit noch einmal selber. »Auf dein Gefühl scheint Verlass zu sein. Hier hast du deinen Fall. Bist du nun zufrieden?«
»Mein Inselpolizist? Was ist das denn für’n Schnack? Nur weil ich Jan Berg schon kannte, als er noch im Sand gebuddelt hat, ist der noch lange nicht mein Inselpolizist.«
»Dass die Gangster es mit diesem Trick jetzt auch schon auf den Ostfriesischen Inseln versuchen! Das ist doch der klassische Enkeltrick, vor dem immer gewarnt wird«, schnaubte Piet verächtlich. Gretje nickte, mit erstaunlicher Fingerfertigkeit tippte sie auch schon eine WartsAb an den Hauptkommissar in ihr Smartphone. Anschließend leerte sie ihr Glas, sie wollte schnellstens zurück in ihre Unterkunft, in Onno Fokkens Friesenrose.
Bei dem grantigen alten Seebären konnte sie jederzeit wohnen, wenn sie das Meerweh plagte. Onno Fokken war mit ihrem Mann Freddy, der jetzt bei die Fische wohnte, viele Jahre zur See gefahren, er war sein bester Freund gewesen. Sogar für umsonst konnte sie bei ihm unbeschwerte Tage verbringen und das turbulente Inselleben genießen. Ihr Kumpel Piet Hansen zählte auch zu den erlesenen Gästen, die von der Gutmütigkeit des kauzigen Seebären profitierten. Ursprünglich wollte der auf seine alten Tage seine Ruhe haben. Doch dann traf er Gretje Blom nach langer Zeit wieder. Die fünf Zimmer, die er mit viel Liebe modernisiert und mit eigenen Bädern ausgestattet hatte, wollte er keinesfalls an Touristen vermieten. Nur für Leon, den sympathischen Physiotherapeuten, machte er eine Ausnahme.
»Unser Onno, der müsste die Elske doch auch ganz gut kennen. Der sagt zwar immer nicht viel, aber der kriegt eine ganze Menge mit.«
***
Im Schritttempo fuhren Hauptkommissar Jan Berg und seine junge Kollegin Swantje Robben mit dem Streifenwagen die Strandpromenade entlang, Richtung Weststrand. Sie waren auf der Suche nach der Person, die vor einer Woche bei Elske Visser hinterlistig und gewaltsam eingebrochen war. Bisher hatte die Fahndung nach der Frau nichts ergeben, nicht einmal Hinweise aus der Bevölkerung. Das war bei der miserablen Personenbeschreibung durch das Opfer allerdings auch nicht weiter verwunderlich. Jede kleine, schlanke Frau zwischen zwanzig und fünfzig kam in Betracht. Es gab weder ein Foto noch konnte Elske Visser sich an auffällige Merkmale der Person erinnern.
»Bei dir piept’s«, haute Swantje ihren Kollegen an, ohne die Augen von der Promenade zu nehmen. Sie meinte sein Handy. »Nun geh schon ran. Wollten wir nicht sowieso einen Fahrerwechsel vornehmen?«
Jan Berg stoppte den Wagen auf dem Fußweg, trotz nachlassenden Regens waren nur wenige Menschen unterwegs. Die zwei tauschten die Plätze, Swantje klemmte sich hinters Lenkrad und steuerte die nächste Abzweigung ins Zentrum an.
»Kannst mich an der Friesenrose absetzen. Gretje Blom ist wieder mal auf der Insel, da kann ich gleich mal Moin sagen. Und dann fahr weiter zum Anleger und hol unsere Neue von der Fähre ab.«
»Wann kommt die Bissick denn an? Mit welcher Fähre? Die ist doch noch gar nicht offiziell bei uns. Warum soll ich die dann abholen? Die hat doch noch Urlaub. Kann die Bissick nicht wie alle anderen auch mit dem Bus fahren?«, fragte Swantje mürrisch.
»Auch wenn Hauptkommissarin Bea Bissick erst ab Mitte April zu unserm Team gehört, wollen wir sie auf unserer Insel doch freundlich empfangen. Oder, Swantje?«
»Wenn du meinst, Chef.«
»Na also. Wenn ich bei Gretje war, will ich anschließend noch einmal bei Elske Visser vorbeischauen und ihre Türschlösser auf Einbruchsicherheit überprüfen. Vielleicht ist ihr inzwischen doch noch etwas Wichtiges eingefallen.«
Swantje fuhr zur Friesenrose und setzte ihren Kollegen ab. »Sie haben Ihr Ziel erreicht«, quäkte sie mit blecherner Computerstimme. Jan Berg stieg aus und schüttelte den Kopf, als sie mit quietschenden Reifen davonfuhr.
»He!«, begrüßte Gretje den Beamten nach Insulanerart. Sie war sichtlich erfreut, dass er sich nach ihrem Anruf sofort die Zeit genommen hatte und schon vor der Tür stand. Ohne Umschweife kam sie auf ihr Anliegen zu sprechen. »Sag mal, Jan, ich hab das mit dem Überfall auf Elske Visser in der Zeitung gelesen. Furchtbar! Hat sie sich inzwischen davon erholt? Das ist doch die Elske, die in dem schnieken Häuschen am Rande der Siedlung wohnt? Dat, wo die doch alle so scharf drauf sind? Erzähl doch mal, wie das gewesen ist.«
»Das hätte ich mir doch gleich denken können, dass du dich nur meldest, weil du mich ausquetschen willst. Da gibt’s aber nicht viel zu erzählen, die Elske sagt ja nichts, womit wir etwas anfangen könnten. Mannomann. Du kannst dir nicht vorstellen, in welcher Verfassung die war, als wir die vorgefunden haben. Die hat ’nen verdammt starken Schutzengel gehabt.«
»So schlimm? Habt ihr denn die Täter schon gepackt? Oder sollte ich mich mal etwas umhören? Und was ist da dran, an der Geschichte mit dem Enkel?«
»Gretje Blom! Misch dich da bitte nicht ein! Nicht schon wieder«, stöhnte der Hauptkommissar auf. »Wir wissen bislang nur, dass es tatsächlich einen Enkel gibt. Irgendwo in Süddeutschland, in der Nähe von München.«
»Aha. Habt ihr mit dem Enkel schon Kontakt aufgenommen?«
»Sicher. Was glaubst du denn? Wir haben ihn sofort informiert. Der war völlig schockiert und will seine Oma zu Ostern besuchen kommen. – Nun guck nicht so. Der hat mit dem Überfall nichts zu tun, der war zum Tatzeitpunkt auf einer Dienstreise im Ausland.«
»Tee?«, fragte Onno und setzte sich zu ihnen. »Also, man hört ja so einiges«, brummelte er, wobei er in hohem Bogen die Tassen füllte. Bedächtig schob er dann seine blaue Strickmütze auf dem kahlen Kopf ein paar Millimeter zur Seite.
»Was hört man denn so?«, hakte Gretje nach. Mit einem leisen Klirren ließ sie einen Brocken Kandis in ihre Tasse fallen, schöpfte noch ein Löffelchen Sahne hinein und sah zu, wie das Wölkchen sich in der Teetasse aufblähte.
»Nun sag schon, Onno. Was wird geredet?«, drängte ihn nun auch Jan Berg. »Es wird ja immer viel geschnackt. Mir sind auch schon recht zweifelhafte Gerüchte zu Ohren gekommen.«
Onno beugte sich vor, als wolle er ein Geheimnis verraten, und erzählte von einem Bauvorhaben in Planung, einem riesigen Freizeitpark, bei dem Elskes Haus noch im Weg war. »Aber soll ich euch mal verraten, was sich in Wirklichkeit hinter diesem Bauvorhaben verbirgt?«
»Ein Luxushotel mit all inclusive?«, tippte Piet.
»Nee. Auf den ersten Blick mag das wohl so aussehen wie ein feines Hotel. Aber man munkelt, da soll ein Swingerclub hin. So ein ganz exklusives Ding, mit Dünenpark und Hubschrauberlandeplatz.« Onno schnaubte verächtlich.
»Eine Tanzschule?«, fragte Gretje arglos, »und da wird nur Swing getanzt? Kein Walzer oder Tango? Also, Kinners, das ist schon sehr speziell. Verstehe denn aber nicht die ganze Aufregung. Ich wollte immer schon mal Tanzstunden nehmen. Vielleicht gibt das da dann auch so Kurse für ältere Leute. Piet, du machst das doch mit mir?«
Keiner antwortete. Die Männer feixten nur und grinsten dämlich. Gretje funkelte sie böse an. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Onnos stattlicher Bauch hob und senkte sich verdächtig unter dem blau-weißen Ringelshirt. Er rollte mit den Augen, dann platzte dem alten Seebären das Lachen aus dem Mund, bis ihm die Tränen über die Wangen liefen. »Der Witz war gut, Gretje!«, schnaufte er, bemüht, sich wieder zu beruhigen.
Natürlich hatte die pfiffige Ostfriesin den Begriff Swingerclub in der Zwischenzeit längst gegoogelt und brach ebenfalls in Lachen aus. »Stellt euch das nur mal vor! Auf unserm Eiland soll es ein ›klein St. Pauli‹ geben.«
»Und das Projekt ist schon genehmigt worden?«, argwöhnte Piet. »Da haben ja wohl mehrere Stellen ein Wörtchen mitzureden.«
»Nee«, sagte Onno. »Bis jetzt ist noch gar nichts genehmigt. Aber wenn dieser Investor mit seinen Schnapsideen so weitermacht … Es gibt auch schon eine Bürgerinitiative dagegen. Elske mischt da ordentlich mit.«
Jan Berg schwieg zu all dem, das Gerede war ihm nicht neu.
»Der Investor soll sehr einflussreich sein. Der weiß wohl nicht, wohin mit seinem Geld. Der wird die Gegner des Projekts auf seine Weise nacheinander mundtot machen. Der hat anscheinend vor, auf Ney und auch in Norddeich in weitere dubiose Geschäfte zu investieren. Guckt euch nur mal die Megabaustelle hinter dem Kap an, da, wo der riesige Baukran schon von Weitem zu sehen ist. Da soll der auch seine Finger im Spiel haben.«
»Junge, Junge, Junge!«, murmelte Gretje. »Da