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Leben und Lieben im alten Rom und der Renaissancezeit: Erzählungen
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eBook344 Seiten4 Stunden

Leben und Lieben im alten Rom und der Renaissancezeit: Erzählungen

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Über dieses E-Book

Die im Titel dieses Buches aufscheinenden zwei Zeitalter der europäischen
Geschichte sind insofern miteinander verknüpft, dass
in der Renaissance (= Wiedergeburt) vom Bürgertum der frühen
Neuzeit die Sprachen des antiken Roms und Griechenlands sowie
ihre Literatur, Philosophie und Kunst wiederentdeckt wurden.
Die feudale Ritterschaft und die Kirche, die das dazwischenliegende
Mittelalter bestimmt hatten, gerieten dadurch in eine Krise.
Schon im Römischen Kaiserreich hatte es eine ähnliche Krise gegeben,
als die antike Götterwelt durch den Glauben an nur einen
Gott im aufkommenden Christentum infrage gestellt wurde.
Die Erzählungen, die in beiden Zeitaltern angesiedelt sind, schildern,
wie sich die geschichtlichen Veränderungen auf das Alltagsleben
der Menschen, auf Frauen und Männer in diesen Umbruchzeiten
auswirkten – auch auf ihr Verhältnis zueinander.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum19. Sept. 2019
ISBN9783837222449
Leben und Lieben im alten Rom und der Renaissancezeit: Erzählungen

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    Buchvorschau

    Leben und Lieben im alten Rom und der Renaissancezeit - Walter Schild

    978-3-8372-2244-9

    Allgemeine Einführung

    Wir wissen viel vom eindrucksvollen Rechts- und Verwaltungssystem des antiken Römischen Reiches und haben oft auch Anlass, seine Architektur, Philosophie oder Kunst zu bewundern. Viel weniger anschaulich ist heute, nach so vielen hundert Jahren, wie damals der Alltag für den einzelnen Menschen in der Hauptstadt Rom oder auf dem Lande aussah.

    Die fünf Erzählungen zu dieser Epoche konzentrieren sich auf dieses private Leben in der damaligen Zeit, besonders auf das Verhältnis von Männern und Frauen zueinander.

    Verdeckt von 1 000 Jahren „Mittelalter", erkundete das Bürgertum in den Städten der frühen Neuzeit langsam die Antike wieder in ihrer Sprache, ihren Werken und Werten. Zuerst geschah das in den norditalienischen Städten, für die damit auch ein Stück ihrer Frühgeschichte anschaulicher wurde. Als Renaissance (Wiedergeburt) dienten die antiken Vorbilder bald europaweit als vielseitige Anregungsquelle.

    Die in dieser Zeit handelnden fünf Erzählungen versuchen, deutlich zu machen, wie sich die antiken Vorbilder und Einflüsse auf das private Leben der Bürgerinnen und Bürger in der Renaissancezeit auswirkten.

    Einführung in die Zeit der Erzählungen im alten Rom

    Die Stadt Rom wurde im 8. Jahrhundert v. Chr. der Sage nach von Romulus und Remus auf sieben Hügeln gegründet und beherrschte bald auch ihre nähere Umgebung. In Kämpfen gegen die ebenfalls auf dem italienischen Stiefel beheimateten Volksstämme und Kulturen, zum Beispiel die Etrusker, gewannen sie die Vorherrschaft über sie. Ein Charakteristikum der ausgreifenden römischen Herrschaft war, dass sie sich in den religiösen und kulturellen Zusammenhalt der besiegten Völker nicht einmischten, jedoch Abgaben verlangten, sie durch Verkehrswege verbanden und durch die Einführung ihres Rechts beherrschten.

    Das familiäre und öffentliche Leben im alten Rom wurde – wie bereits bei den griechischen Stadtstaaten – von den Männern bestimmt. Das drückte sich bereits in der Bezeichnung der Oberhäupter der bestimmenden Familien als „Patrizier aus. „Sklaven dagegen benutzte man für jede Art von praktischer Arbeit in der Stadt, auf den Landgütern, aber auch für alle häuslichen Dienstleistungen. Sie waren Eigentum ihres jeweiligen Besitzers und rechtlos. Oft handelte es sich um Kriegsgefangene, Schiffbrüchige, ausgemusterte Menschen aus den besiegten Völkern, die auf Sklavenmärkten verkauft wurden. Waren sie gebildet, konnten sie auch als Lehrer der Heranwachsenden in reichen Familien eingesetzt werden. Erwarben sie sich Verdienste, konnten sie von ihren Besitzern freigelassen werden und sich – mit ihren erworbenen Fähigkeiten – auch wirtschaftlich selbstständig machen. Selbst wenn sie jedoch zu Reichtum gekommen waren, blieben sie als „Freigelassene" doch Bürger zweiter Klasse.

    Die Stadt Rom selbst und auch das von ihr beherrschte Reich hatten viele Jahrhunderte lang eine republikanische Verfassung und wurden von den einflussreichen Familien der Stadt regiert, die im Senat ihre gemeinsame Politik festlegten. Durch seine militärischen Qualitäten beherrschte Rom bald alle an das Mittelmeer grenzenden Staaten und die Mittelmeerinseln. Durch berühmte Feldherren wie Cäsar versuchte es anschließend auch, das nördliche Europa, das heutige Frankreich, England und Deutschland zu erobern. Nach der Ermordung Cäsars, der sich zum Alleinherrscher Roms machen wollte, durch Anhänger der Republik , gelang es im folgenden Machtkampf Augustus, als Kaiser das Reich aus diesen Wirren zu führen und zu befrieden – er lebte zur Zeit von Christi Geburt.

    Die Erzählungen handeln in der frühen Zeit seiner Nachfolger, die die Macht fest in ihrer Hand hatten. Der römische Senat bestand als repräsentatives Gremium weiter und konzentrierte sich in der Kaiserzeit auf die Verwaltung der Metropole Rom.

    Die zentrale Erzählung handelt in der Hauptstadt Rom der frühen Kaiserzeit und beleuchtet das Werben um eine Ehefrau, die Heiratssitten und das Eheleben innerhalb einer angesehenen römischen Familie.

    In den einleitenden kürzeren Erzählungen begeben wir uns in die ländliche Umgebung der römischen Hauptstadt. Einmal tauchen wir in die Lebenswelt der Sklaven ein, die auch für die Arbeit in der Landwirtschaft gebraucht wurden. In der zweiten Geschichte geht es um die Tochter einer bedeutenden römischen Familie, die sich in einen sie unterrichtenden Sklaven verliebt hatte und auf den Landsitz der Familie verbannt wurde.

    In den beiden letzten Kurzgeschichten spielt das aufkommende Christentum im Römischen Reich eine wichtige Rolle. Das war auch dann noch der Fall, als die Herrschaft Roms am Ende des fünften Jahrhunderts zusammengebrochen war und germanische Völker den Norden Italiens regierten.

    Leben und Lieben

    im alten Rom

    Olivenernte

    Pico war als junger Gehilfe dem Pan zugeteilt, um mit ihm eine größere Ziegenherde zu hüten. In der Herde befanden sich junge und ältere Tiere, auch solche, die gerade trächtig waren, und Muttertiere mit Zicklein. Pico und Pan teilten das Melken und das Beaufsichtigen der Herde unter sich auf. Manchmal waren verirrte Tiere zurückzuholen. Das alles lernte Pico vom alten Pan, dem erfahrenen Hirten. Doch so viel Pan über Kräuter, Krankheiten der Tiere und ihre Behandlung auch wusste, so wenig wusste er von Frauen oder dem fernen Rom – Dinge, die den jungen Pico brennend interessierten.

    Und auch sonst war Pico wissbegierig. „Wieso heißt du Pan?"

    „Wieso heißt du Pico?, fragte dieser zurück. „Die Namen haben wir Sklaven von unserem Herrn bekommen, dem es irgendwann einfiel, uns so zu nennen.

    Ihr Herr war ein inzwischen greiser Pächter mit seinem Weibe, der mithilfe seiner Sklaven das Landgut bewirtschaftete. Die beiden Alten waren gerecht und mild, und ihre Untergebenen lebten gerne bei ihnen. Der Herr achtete auf gute Sitten, und so wohnten die Männer und die Sklavinnen streng getrennt. Unter den älteren Arbeitern gab es auch Paare, die zusammenlebten. Bei ihnen wurde darauf geachtet, dass sie ihre Kinder gut erzogen. Pico, der mit fünf etwa Gleichaltrigen in einem großen Raum des Stallgebäudes lebte, hatte deshalb wenig Gelegenheit, die Mädchen, die ihre Männergespräche so stark bestimmten, genauer kennenzulernen.

    Wenn Pico die Krüge mit der Milch von der Weide zum Hof trug, ergab es sich gelegentlich, dass er an dem einen oder anderen der jungen Mädchen vorbeiging. Er musterte sie dabei genau und versuchte, sie wie seine Tiere an bestimmten Merkmalen zu unterscheiden. Eines Tages fiel ihm ein Mädchen auf, das auch ihn kurz musterte und dessen Augen ihn freundlich anblitzten. Diese Szene beschäftigte ihn bis in seine Träume. Doch so oft er in den nächsten Tagen auch Ausschau hielt – sie ließ sich einfach nicht mehr sehen. Das nahm ihn so in Anspruch, dass Pan ihn wegen Unaufmerksamkeiten rügen musste. Doch er konnte nicht anders, als an sie zu denken. Als er zu zweifeln begann, ob es sie überhaupt gegeben habe, sah er sie etwa an der gleichen Stelle wieder stehen. Über ihr Gesicht ging ein Wiedererkennen, und sie lächelte ihn an. Zu aufgeregt, um zurückzulächeln, hatte er danach das Gefühl, sich dumm angestellt zu haben. Er hatte wieder ihre Augen gesucht – sie waren schwarz und sehr lebendig – und hatte sonst nichts von ihr gesehen.

    Der Herbst war fast vorüber, und es nahte die Olivenernte. Dabei mussten alle mithelfen. Pan hatte mit Picos Hilfe die Herde in einen Pferch getrieben. Beide kannten die Ölbaumfluren gut, da ihre Ziegen in den vergangenen Wochen das Gras unter den Bäumen abgefressen hatten, um die Ernte zu erleichtern. Der Herr versammelte alle auf dem freien Platz vor dem Gutshause, dankte den Göttern für das gute Wachstum der Oliven und forderte sie auf, an deren Ernte zu gehen und sie dabei sorgfältig zu behandeln. Zwei Männer und drei Helferinnen sollten jeweils einen Baum abernten. Pico sah nun die lang ersehnte Gelegenheit gekommen, in der Nähe seines Mädchens zu sein: Er wollte sich für ihre Gruppe einteilen lassen. Doch ach, wie sollte er sie wiederfinden, kannte er doch nur ihre Augen? Als er suchend umherging, schauten ihn recht viele Mädchen freundlich an. Aber keine war – nach seiner Erinnerung – die Richtige. Schließlich wurde er vom Aufseher der letzten Gruppe zugeteilt. Betrübt nahm er eine der Stangen mit dem runden Haken auf und schloss sich den anderen an.

    Die Aufgabe der Männer war es, durch Rütteln der Äste die Früchte herunterzuschütteln. Sie nahmen dafür entweder Leitern oder die Stangen zu Hilfe. Die Weiber, Mädchen und die Kinder sammelten die heruntergeschüttelten Oliven in Körbe und leerten diese in zweirädrige Kastenwägen aus, vor die, wenn sie voll waren, ein Esel zum Abtransport angeschirrt wurde.

    Pico war so in sein Unglück versponnen, dass er es zunächst gar nicht bemerkte, dass ihn Oliven auch dann trafen, wenn nicht geschüttelt wurde. Schließlich sah er sich um, erblickte allerdings nur hinuntergebeugte Sammlerinnen, die viel miteinander lachten. Er wandte sich wieder der Arbeit zu, und prompt traf wieder eine Olive seinen Rücken. Nun wollte er es wissen: Da er die fröhlichen Mädchen in Verdacht hatte, tippte er einem nach dem anderem auf die Schulter, um es zum Aufschauen zu bewegen. Doch wie auf Verabredung wandten sie sich dem Wagen zu, um ihre Körbe zu leeren. Aber sie mussten ja wieder zurückkehren! Und hier erkannte er in der Mittleren sein schwarzäugiges Mädchen. Sein Herz tat einen Sprung. Sie näherte sich ihm, während die beiden anderen wieder mit dem Sammeln begannen. Nun standen sie sich gegenüber.

    Er nahm seinen Mut zusammen und sagte ihr: „Ich habe dich heute gesucht. Ich musste oft an dich denken."

    Sie lächelte ihn an. „Jetzt haben wir uns gefunden", entgegnete sie nur und begann, wieder aufzusammeln.

    Pico sah über ihr noch einen Zweig, an dem eine vergessene Olive hing. Er schüttelte ihn, und die Frucht fiel auf ihren Rücken. Sie lachte.

    Der alte Pan sah nach ihm: „Alles in Ordnung, Kleiner?"

    „Ja, alles in Ordnung." Er spürte, es war viel mehr, fühlte er sich doch beschenkt und glücklich. Sein Auge schweifte über die abgeweideten, braungrünen Fluren bis zu den fernen Bergen hinüber. Über die Berge spannte sich ein blassblauer Himmel bis ins Unendliche. Er sah das alles wie zum ersten Mal: Es war einfach schön.

    Julia

    Wenn sie zurückblickte, musste sie sich eingestehen, dass es nicht anders hatte kommen können, als es gekommen war. Sie saß auf „ihrer Steinbank im Park des elterlichen Landhauses in den Albaner Bergen. Diese Bank stand an einem rechteckigen Bassin, das von einem Säulengang und marmornen Figuren umgeben war. Sie sah auf eine nackte Nymphe, die in etwa ihre Figur hatte, und dachte für sich: „Wie leicht ist es doch, tugendhaft zu sein und seine schlanke Figur zu behalten, wenn man aus Stein ist. Sie selbst war nicht aus Stein und war deshalb in dieses Idyll verbannt worden. Als Verbannung empfand sie die Entscheidung des Vaters, der sie nach ihrem „Fehltritt", zusammen mit der Mutter, der Amme und Dienerinnen hierhergeschickt hatte. Hier würde sie ihr Kind bekommen, entfernt aus der Gesellschaft Roms und geschützt vor ihrem Klatsch. Ihr Kind, das sie in fünf Monaten erwartete, würde von ihrem Vater – das sah sie voraus – nicht anerkannt; es würde ausgesetzt und von Sklavenhändlern eingesammelt werden oder sterben. Welchen Zweck hatte dann noch ihre Schwangerschaft mit ihren Mühen und dem Fehlen jeder Hoffnung? Wäre es nicht besser gewesen, das Kind abzutreiben, sobald das möglich gewesen wäre? Doch dagegen hatte sie sich innerlich gewehrt in der wahnwitzigen Hoffnung, dass ihr Vater Lucius freilassen und ihre Verbindung akzeptieren würde.

    Lucius war bis zu ihrem vierzehnten Lebensjahr einer ihrer Erzieher gewesen. Der Vater hatte ihn für teures Geld erworben, damit er seine Kinder unterrichte. Aus einer griechischen Familie in Vorderasien stammend, hatte er eine ausgezeichnete Bildung in Ephesos genossen. Als er nach Rom reisen wollte, um seine Studien fortzusetzen, war das Schiff von Seeräubern gekapert und die erbeuteten Reisenden in Alexandria als Sklaven verkauft worden. Der Käufer, ein Händler, hatte ihn nach Ostia gebracht, wo ihn der Vater gekauft hatte. Sie selbst war mit ihren Brüdern, ihrer Amme und Bediensteten, unter anderen auch mit Lucius, sommers hier aufgewachsen. Als ihre Erziehung mit fünfzehn Jahren abgeschlossen war und sie überwiegend in Rom lebte, begegnete sie Lucius in dem geräumigen elterlichen Hause immer wieder; er unterrichtete ihre Brüder nun in Rhetorik und griechischer Literatur. Sie hatte beim Vater erreicht, an der Einführung in die griechische Poesie, die Tragödien und die Werke Homers teilnehmen zu dürfen. Da ihr Griechisch ausgezeichnet war, besser als das der Brüder, hatte der Vater zugestimmt. Daneben lernte sie die Kithara spielen. Da Lucius eigene poetische Übungen empfahl, hatte sie Gedichte an einen Geliebten verfasst und dabei mehr und mehr an ihren Lehrer gedacht. Da auch ihre Blicke zu ihm sprachen, ahnte er bald, dass er selbst mit dieser Lyrik gemeint war. Diese ihre Schwärmerei hatte sich bei ihnen in eine heimliche Liebe gewandelt. Wenn sie ihre Verse rezitierte und mit ihrem Instrument begleitete, sang es in ihr, und sie sah sich mit Lucius zusammen in einer schönen Zukunft. Irgendwann hatte er ihr Antwortgedichte zugesteckt. Als sie sich dann außerhalb des Unterrichts trafen, war das nur nachts möglich gewesen, da während des Tages den Bediensteten und den wachsamen Augen der älteren Frauen im Hause kaum eine Kleinigkeit entging. Es war eine furchtbare Szene gewesen, als der Vater, auf dessen besonderes Wohlwollen sie bis dahin bauen konnte, zwischen Zorn und Enttäuschung ihre „Verbannung" hierher angeordnet und den Lehrer sofort aus seinem Hause entfernt hatte. Wie sie hörte, war Lucius vom Vater zu schwerer Arbeit in einem seiner Marmorbrüche im fernen Etrurien verurteilt worden.

    Ihre eigenen Chancen waren auf dem römischen Heiratsmarkt durch den Verlust ihrer Jungfräulichkeit gesunken. Ihr war das nur recht, da sie sich keinen anderen Mann als Lucius an ihrer Seite vorstellen mochte. Sie hatte einen ehrerbietigen Brief an ihren Vater verfasst, in dem sie ihn bat, Lucius freizugeben und ihnen ein kleines Landgut zur Bewirtschaftung zu überlassen. Bis heute hatte sie keine Antwort erhalten. Hatte ihr Vater noch die Hoffnung, sie vorteilhaft zu verheiraten? Solange eine Antwort auf sich warten ließ, konnte sie sich ihrem Traum noch hingeben: Sie sah sich nach der Geburt unter den Frauen, die Hebamme legte ihr Kind auf den Boden, und Lucius hob es auf, um es als seines anzuerkennen. Wie einfach, wie schön könnte das Leben doch sein!

    Marcellus oder Eine römische Hochzeit

    I

    Erzählt wird hier aus dem Leben eines jungen Römers der frühen Kaiserzeit. Während seiner Erziehung und in seinen Studien waren ihm die Lehren der Stoa vermittelt worden, die das Ideal der Ehe hochhielten. Das Zusammenleben mit der Gattin sollte auf Freundschaft und gegenseitiger Hilfe fußen und die körperliche Liebe ausschließlich dazu dienen, für gesunden Nachwuchs zu sorgen. Alles war von der Vernunft her zu steuern; Lust oder gar Ausschweifungen sollten im ehelichen Verhältnis keine Rolle spielen. Unter diesen Bedingungen konnte sich Marcellus ein Leben sehr gut auch ohne eine Gattin vorstellen, zumal das, was er aus bestehenden Ehen hörte, viel mehr mit Verdruss und Streitereien zu tun hatte als mit einem Zustand, den man anstreben und für den man Opfer bringen sollte. Seinem Vater gegenüber hatte er sich nicht getraut, dieser Skepsis der Ehe gegenüber Ausdruck zu geben. Für den Vater war der Lebensweg des Sohnes klar vorgezeichnet gewesen: Nach der Verehelichung mit einer Tochter aus bestem Hause sollte der Sohn es, wie er selbst, einmal zum Senator bringen. Marcellus hatte sich diesem väterlichen Zugriff einerseits fügsam gebeugt, war jedoch andererseits dort, wo er selbstständig entscheiden konnte, einem Weg gefolgt, der ihm bei Bekanntwerden den Vorwurf der Verschrobenheit eingebracht hätte: Er ertüchtigte seinen Körper mit gymnastischen Übungen griechischer Art wie ein Sportler oder Kämpfer. Das gehörte sich, wenn man nicht eine militärische Laufbahn anstrebte, für einen Angehörigen seiner Kreise nun wirklich nicht. Und andererseits frönte er der Frauenliebe, was – wie man allgemein fand – zur Verweichlichung führte. Für ihn selbst jedoch war beides bis vor Kurzem seine Art des Protestes gegen die in seiner Familie gelebte Prüderie gewesen, wie auch gegen die Zurückstellung aller persönlichen Wünsche hinter die ehrgeizige Familienpolitik.

    Der Tod des Vaters vor wenigen Wochen machte diesen Protest, was seine innerfamiliäre Seite anging, nun gegenstandslos. Denn er war damit Herr des Hauses geworden und somit in eine Machtposition gerückt, auf die die meisten männlichen Nachkommen der großen Familien oft ein Leben lang warten mussten. Zu seinem Erstaunen bemerkte er seither bei sich Veränderungen in seinem Urteil und seiner Weltsicht. Wirtschaftliche Notwendigkeiten übten einen fast diktatorischen Einfluss auf Entscheidungen aus, von denen er vorher gedacht hatte, sie stünden in seinem freien Ermessen. Auch die vermutete Außensicht auf sein Haus nahm er nun viel ernster. In vielem verstand er seinen Vater erst jetzt. Nun war es zu einer seiner wichtigsten Aufgaben geworden, die Reputation seines Hauses aufrechtzuerhalten, zumal wenn er sich um das Amt eines Senators bewerben wollte, wie es sowohl von Freunden als auch von Gegnern erwartet wurde.

    Dazu gehörte – wohl oder übel – auch das Eingehen einer Ehe. Seine Skepsis würde er überwinden müssen. Aufgrund der Zugehörigkeit seiner Familie zu den obersten Kreisen des kaiserlichen Roms galt er – davon konnte er ausgehen – als ausgezeichnete Partie und würde keine Schwierigkeiten haben, eine Tochter aus einer der einflussreichen Familien für sich zu gewinnen. Da auch seine Tante, die nach dem frühen Tod seiner Mutter den Haushalt leitete, ihn zu diesem Schritt drängte, entschloss er sich, Rufinus als engen Freund seines Vaters zu bitten, für ihn in den infrage kommenden Häusern in dieser Sache vorzufühlen.

    II

    Als er sich am späteren Abend mit Lydia, einer jungen Sklavin, der er seine persönliche Bedienung übertragen hatte, in sein Schlafgemach zurückzog, ging ihm diese notwendige Verehelichung noch durch den Kopf. Wie müsste er es anstellen, um sich die Nächte mit Lydia auch in der Ehe zu erhalten?

    „Löse dein Haar", bat er sie.

    Sie kam seiner Bitte nach und zog die Kämme heraus, die ihr Haar zusammengehalten hatten. Dann suchte sie für ihn aus der Fruchtschale eine besonders reife Feige heraus. Noch in seine Gedanken versunken, nahm er die Frucht und legte sie wieder zurück.

    „Was habt Ihr, Herr?", wollte Lydia nun wissen.

    „Ich denke daran, dass ich mich verheiraten sollte", entgegnete er.

    „Dann werdet Ihr Eure Nächte bald mit einer Gattin verbringen?", fragte Lydia bekümmert weiter.

    Beide ahnten sie, dass ihr lustvolles Beisammensein damit ein Ende haben würde. Noch rechtzeitig erinnerte er sich an den Rat des Epikur, doch das Heute nicht um eines unbekannten Übermorgens willen zu versäumen.

    Dieses Heute, das waren das warme Licht der Öllämpchen, das weiche Lager, der gewürzte Wein und das süße Obst, vor allem aber seine reizende junge Gespielin, ihm ganz ergeben. Sie saß am Fußende des mit Kissen und Fellen bedeckten Betts, stützte ihr Kinn auf das Knie und sah ihn an.

    „Mische mir den Wein, du weißt schon: Nicht zu viel Wasser!", bat er sie.

    Sie schien auf diese Bitte gewartet zu haben. Geschickt hantierte sie mit den Krügen, kniete sich zu ihm hin und reichte ihm den vollen Pokal.

    „Trink du zuerst!"

    Sie tat einen kleinen Schluck.

    „Mehr!", befahl er.

    Sie trank und schaute ihn dabei über den Becherrand hinweg an. Dann trank er den Wein in einem Zuge aus und reichte ihr den Pokal. Sie füllte ihn, und er trank.

    Marcellus bemerkte, dass ihm leichter wurde. „Zieh dich aus, Lydia."

    Sie schüttelte die Locken des langen dunklen Haars vor ihr Gesicht, wie um sich zu verbergen, bevor sie, bei jedem Handgriff zögernd, die Spangen löste und ihr Obergewand schließlich herunterglitt.

    „Darf ich zu Euch kommen?", fragte sie.

    Es war ihm bisher wichtig gewesen, in seinem Liebesleben möglichst gegen alle Tabus zu verstoßen, die ihm bekannt waren. Zum Beispiel liebte er die Frauen auch bei Tageslicht oder in erleuchteten Zimmern und veranlasste die Frauen, sich völlig zu entkleiden. An die Lämpchen hatte Lydia sich gewöhnt, das Entkleiden war indessen durch ihren sanften Widerstand zu einem Spiel mit ungewissem Ausgang geworden, lag es doch nicht in der Natur von Marcellus, sie zu nötigen oder Gewalt anzuwenden. So auch jetzt.

    „Nein, warte, gieße Öl in das hintere flackernde Lämpchen dort."

    Nun musste sie aufstehen, und er sah durch das dünne Untergewand die Konturen ihres Körpers.

    „Mische uns noch einen Wein. – Bring die Obstschale her." Es gefiel ihm, dieses anmutige Mädchen zu beschäftigen und sich an ihren Bewegungen zu erfreuen. Nun erst bat er sie, zu ihm zu kommen und auch ihr Untergewand abzulegen.

    „Muss das sein?"

    „Es muss sein."

    „Vielleicht ein wenig später?"

    „Na gut."

    Sie lächelte ihn an und streifte es nun freiwillig ab. Allerdings drapierte sie es so, dass es die intimen Teile ihres Körpers bedeckte. Sie tranken wieder. Lydia, sonst temperamentvoll und voller Ideen für lustige Neckereien, blieb an diesem Abend verhalten.

    „Ihr werdet mich nicht mehr rufen lassen, Herr."

    „Warte es ab und mach dir nicht heute schon Sorgen deswegen."

    „Sie wird es nicht zulassen."

    „Diese ‚sie‘ gibt es noch nicht."

    „Es wird sie bald geben, ganz gewiss."

    Marcellus, dem Lydias Wehmut jetzt nicht passte, auch weil seine eigene dadurch geweckt wurde, ließ etwas von seinem Wein in ihren Schoß tropfen. Sie zog schnell ihr Gewand weg und versuchte, den Wein mit den Fingern wegzuwischen, doch je mehr sie sich bemühte, umso reichlicher machte er sie nass. Nun musste auch sie lachen. Sie gab ihre Mühe, sich trocken zu halten, auf und verteilte den Wein über Bauch und Schenkel. In seinem Bemühen, die Abschiedsgedanken aus ihren Köpfen zu vertreiben, nahm er die reife Feige von vorhin und zerdrückte sie am festen Busen Lydias. Dann beugte er sich über sie und aß sie von ihrem Körper. Nach anfänglichem Zögern gewann Lydia selbst Spaß an diesem Treiben, streifte die Reste der Früchte, die er zerdrückte, von ihrem Körper und naschte daran. Sie genoss es auch, dass Marcellus sie mit seinen noch fruchtigen Lippen küsste. Lydia hatte den Einfall, dass sie eine Frucht gleichzeitig, ohne Zuhilfenahme der Hände, zu essen versuchen sollten. Fast gelang die gewohnte Unbeschwertheit.

    Noch manche hervorgehobenen oder verschwiegenen Orte ihrer Körper fanden sie an diesem Abend zum Platzieren und Genießen der reifen Früchte geeignet. Unmerklich kamen sie so zu ihrem ersten Höhepunkt. Es sollte nicht der letzte in dieser Nacht bleiben. Als sie sich zuletzt eng umschlungen ausruhten, klebten die Reste ihres Liebesmahles sie so unzertrennlich aneinander, als wären sie nur ein Leib. Erst das anschließende Bad machte sie wieder zu Einzelnen, durchwärmt und in jeder Hinsicht gesättigt.

    III

    Nach einer Nacht wie dieser mochte Marcellus nicht daran denken, Lydia aufzugeben. Doch Rufinus hatte seinen Auftrag ernst genommen und berichtete ihm bereits nach wenigen Tagen von den Ergebnissen: Die Töchter dreier „Häuser" schienen infrage zu kommen. Eine Familie mit besten Verbindungen zum Kaiserhaus besaß ein Einzelkind, eine Tochter, von der allerdings ein Gerücht wusste, dass

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