Die Katzen des Sallust: Geschichte eines römischen Viertels
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Buchvorschau
Die Katzen des Sallust - Salvatore Algieri
Salvatore Algieri
Die Katzen des Sallust
Geschichte eines römischen Viertels
Die Katzen des Sallust
Salvatore Algieri
Copyright: © 2014 Salvatore Algieri
Covergestaltung: Daniela Algieri
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-0133-0
Genitoribus optimis
Philippo et Romildae
in memoriam
Zwischen der Via Salaria und der Straße, die die Antiken Alta Semita nannten, befanden sich die Gärten des Sallust, nahe an den Stadtmauern. Sie waren unbeschreiblich angenehm und reich an Wonnen, mit schattigen Wegen und wohlgeordneten Bepflanzungen, geschaffen zum Vergnügen des römischen Volkes. An der Via Salaria befand sich ein Platz und ein der Göttin Venus gewidmeter Tempel, wie eine dort gefundene Inschrift bezeugt. Der Tempel war umsäumt von schönen Arkaden und prächtigen Bauten, in denen wundersame Dinge aufbewahrt wurden: Körper von Giganten, Zwergen und Pygmäen, Walfischknochen und ähnliche Extravaganzen.
Monsignor Michele Mercati 1589¹
Inhalt
1. Wer war Sallust?
2. Die römische Politik zu Sallusts Zeiten
3. Ist alles wahr?
4. Die Gärten
5. Venus Erycina
6. Es war Krieg
7. Wasserströme
8. Die Vernichtung Roms
9. Spithöver
10. Pulcinella, Pincio und ein Obelisk
11. Die Katzen
12. Die Geschichte der Villa Ludovisi
13. Ein Hirsch geht nach Kopenhagen
14. Die Wehrmacht schaut vorbei
15. Von Kunsthändlern, Fälschern und Schmugglern
16. Ist etwas übrig geblieben?
Zeittafel
Bibliographische Abkürzungen
Allgemeine Quellen
Bildquellen
Anmerkungen
***
Hat der römische Historiker Sallust Katzen besessen? Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass eine Schar von Katzen in den Ruinen seiner Gärten gelebt hat. Für uns Kinder, die wir direkt gegenüber wohnten, war der Name dieses großen Unbekannten unzertrennlich mit diesen Katzen verbunden. Die vorliegende Geschichte handelt von Katzen, vom Leben des Sallust, von seinen berühmten Gärten und von einer italienischen Familie in den 40er- und 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts.
1. Wer war Sallust?
Wir Kinder fanden es immer merkwürdig, dass wir als unsere Adresse Piazza Sallustio angeben sollten. In unseren Augen war das nämlich überhaupt keine Piazza, sondern lediglich drei oder vier Straßen rund um die antiken Gärten des Sallust, des römischen Politikers und Historikers. Sallust muss über viel Geld verfügt haben, wenn er sich die Horti Sallustiani leisten konnte, eine 20 bis 30 Hektar große Anlage, die zu seiner Zeit an der Peripherie des damaligen Roms lag, sich heute allerdings im Zentrum der Stadt befindet.
Der Teil der Horti Sallustiani, der noch heute sichtbar ist, war – und ist immer noch – von einem Mäuerchen umgeben (Abb. 1). Diese „Ummauerung der restlichen Antiquitäten wurde um 1880 vollzogen, als das „sallustianische Tal
für die intensive Bebauung freigegeben wurde. Das Mäuerchen war das Resultat der Kämpfe zwischen der Stadtverwaltung und dem ehemaligen Besitzer, dem westfalischen Buchhändler Josef Spithöver, der das neue Viertel nach seinen Vorstellungen gestalten wollte. Die Kompromisslösung lautete wie folgt:
….die Gruppe der Denkmäler, die sich quasi in der Mitte des Tals befinden, wird von Herrn Spithöver mit einer unregelmäßigen, achteckigen [letztlich wohl eher fünfeckigen] Stützmauer geschützt.²
Von dem Mäuerchen aus kann man auf die circa zehn Meter tiefer liegenden imposanten Reste von Gebäuden hinunterblicken, die an die Caracalla-Thermen erinnern. Diese Ruinen waren das Paradies der Katzen: sie boten der verhätschelten Kaste der römischen Katzen unzählige Unterschlupfmöglichkeiten und unser Interesse galt ausschließlich diesen Tieren.
Abb. 1 – Das Mäuerchen der Piazza Sallustio
Aber wer war dieser Sallust, nach dessen Namen ein ganzes Viertel benannt wurde? Geboren im Jahre 86 v. Chr. in einem kleinen Städtchen in der Nähe von LʼAquila in den Abruzzen, entstammte Gaius Sallustius Crispus einer Familie von Gutsbesitzern, die in Rom jedoch unbekannt waren. Wie viele andere Erfolg versprechende Söhne von ehrgeizigen Eltern wurde Sallust als junger Mann nach Rom geschickt, um seine Ausbildung zu vervollständigen, in der Hoffnung, dass er sich auf dieser Grundlage einen Platz in der gehobenen römischen Gesellschaft würde erarbeiten können. In seinen Schriften ist nachzulesen, dass er sehr früh aus einer inneren Neigung heraus in die Politik einstieg, dort aber vor allem auf Dinge stieß, die er widerwärtig fand: Anstelle von Anstand, Zurückhaltung und Tugend herrschten Unverschämtheit, Bestechlichkeit und Habsucht vor.³ Offensichtlich haben sich die Zeiten nicht geändert!
Spätere Historiker haben bemerkt, dass Sallusts Sitten nicht immer seinen hehren Worten entsprachen aber das Lamento über den Sittenverfall in der römischen Gesellschaft zieht sich wie ein Leitmotiv durch die gesamte Geschichtsschreibung – von den Anfängen bis hin zum Kollaps der römischen Vorherrschaft. Für die römischen Historiker bildete die moralische Integrität des öffentlichen Lebens in Rom die prägende Kraft der römischen Expansion. Rom konnte sein Weltreich nur deshalb begründen und halten, weil die Tugenden der Väter weitergelebt wurden. Jede Niederlage, die die Barbaren den römischen Legionen zufügten, wurde als ein Zeichen der Ungnade der Götter infolge des Sittenverfalls der Römer interpretiert.
Sallust lebte in einer Zeit großer Umwälzungen, die zum Aufstieg des Augustus und damit einhergehend zum Verfall der republikanischen Institutionen führten. Irgendwann waren die Römer und die Italiker müde von den immer neuen Intrigen auf höherer Ebene und den nicht enden wollenden Bürgerkriegen und sehnten sich nach einem fürsorglichen Herrscher. Damals stellte sich, wie auch heute in vielen Ländern, die Frage: politische Stabilität oder Freiheit?
2. Die römische Politik zu Zeiten Sallusts
Im ersten Jahrhundert v. Chr. kam es zu einer Zuspitzung der politischen Kämpfe, die unheilvolle Konsequenzen für das gemeine Volk der damaligen römischen Welt nach sich zog, die sich langsam von Gallien bis nach Ägypten ausbreitete. Kämpfe unter Politikern hat es immer gegeben und gibt es noch heute, doch die Rivalitäten, die scheinheiligen Allianzen und die offenen Kriege dieses Abschnitts der römischen Geschichte sind sprichwörtlich geworden und bilden den Stoff für Berge von Literatur (egal ob gelehrt oder populär). Wer hat nicht von den Auseinandersetzungen zwischen Marius und Sulla, zwischen Caesar und Pompeius, zwischen Antonius und Octavian gehört? Aber auch weniger kriegerische Gestalten, zum Beispiel Schriftsteller wie Cicero und Sallust, haben sich in Form von heftigen verbalen Attacken, Verleumdungen und Intrigen an diesen Konflikten beteiligt: Cicero gegen Caesar, Cicero gegen Antonius, Sallust gegen Cicero und Sallust an der Seite von Caesar.
Wie kann man sich in der Politik durchsetzen? Das Rezept lautet – damals wie heute: mithilfe von Geld und Allianzen. Wer über ein gewisses Familienvermögen verfügte, konnte sich glücklich schätzen. Doch auch der Mangel an eigenem Geld konnte den ehrgeizigen Politiker in spe nicht bremsen, Lösungen gab es immer: Man konnte versuchen, eine reiche Frau zu heiraten, oder aber Schulden machen. Im antiken Rom war die Finanzbranche schon weit entwickelt; aufgrund der immensen Reichtümer, die aus den Provinzen nach Rom eintrudelten, fehlte es nicht an finanziellen Mitteln, die nach einer Verwendung suchten.
Rom konnte sein inzwischen enorm gewachsenes Territorium nicht allein mithilfe von Soldaten beherrschen. Eine glänzende Leistung der römischen Politik war die Einbindung der lokalen Herrscher in die Kontrolle ihrer Völker. Die römischen Historiker (inklusive Sallust) versuchen gerne, den Eindruck zu erwecken, als hätten sich die Völker des Mittelmeeres und des Orients nichts anderes gewünscht, als Untertanen von Rom zu werden. Wahr ist, dass der Ruhm der römischen Kultur eine gewaltige Anziehungskraft auf diese Völker ausübte, aber letztlich war es das handfestere Argument der militärischen Überlegenheit, das die lokalen Könige zur Kooperation bewegte. Am Ende war es für beide Seiten ein guter Deal: Die Könige konnten ihre Autorität als Spiegelung der römischen Macht weiter ausüben, solange die Römer von den Reichtümern ihrer Länder profitieren konnten, entweder in Form von Goldminen oder von Steuern. Gewöhnlich rühmt man die Römer für ihr militärisches Können und für ihre Leistungen im Ingenieurbereich (Aquädukte, Straßenbau!), doch eine Kunst, in der die Römer wahre Meister waren, war das Eintreiben von Steuern aus den Taschen der besiegten Völker. Schon damals hatte der Staat die Vorteile der Privatisierung entdeckt: Anstatt eine umfassende Bürokratie aufzubauen, überließ man das Eintreiben von Steuern dem privaten Sektor. Pachtverträge wurden öffentlich versteigert, Scharen von Geschäftsleuten boten sich für diese lukrative Tätigkeit an. Um die Effizienz zu steigern, haben sich diese Publicani in Finanzkonzernen organisiert (Societates publicanorum). Die Provinzbewohner wurden erbarmungslos geschröpft; insbesondere im Orient war die Quelle des Reichtums unversiegbar. Plutarch berichtet über die Provinz Asien, die
von unsäglichem und unglaublichem Leid heimgesucht war, indem sie von den Steuerpächtern und Wucherern ausgeräubert und geknechtet wurde. Die einzelnen Bürger wurden gezwungen, wohlerzogene Söhne und jungfräuliche Töchter, die Gemeinden Weihgeschenke, Gemälde und Götterstatuen zu verkaufen.⁴
Es gab genug für alle: die Eintreiber, die römischen Verwalter und die Senatoren in Rom, die ein Auge zudrückten; alle bedienten sich aus ein und demselben Topf. Aber manchmal trafen die geschundenen Völker auf einen einsichtigen Herrscher, wie Lukullus, der einen „Schuldenschnitt" verordnete:
Erstlich durfte nur ein Prozent und nicht mehr auf die monatlichen Zinsen berechnet werden. Zweitens annullierte er die das Kapital übersteigenden Zinsen; und die dritte und wichtigste Bestimmung war, dass der Gläubiger nur den vierten Teil der Einkünfte des Schuldners in Anspruch nehmen dürfe.⁵
Es waren hauptsächlich die Völker des Orients, von denen das meiste Gold eingetrieben wurde. Ab und an aber wurde es den lokalen Königen doch zu viel, woraufhin sie jede sich bietende Gelegenheit ergriffen, um es den Römern heimzuzahlen. Einer dieser Herrscher, dem irgendwann der Kragen platzte, war Mithridates, König von Pontos. Er lässt uns klar und deutlich in einem von Sallust zitierten Brief wissen:
Die Römer haben einen einzigen Grund, um auf alle Nationen und Könige Krieg zu bringen, nämlich eine unersättliche Gier nach Macht und Reichtümern. Sie schmeicheln erst den Königen mit ihrer Freundschaft, machen sie zu Wächtern der eigenen Völker und dann degradieren sie sie mit ihren Erniedrigungen und Steuertreibereien, sodass aus Königen die elendsten Sklaven werden.⁶
Rom musste sich mit diesem Herrn in drei Kriegen auseinandersetzen, bis es Pompeius (im Jahr 63 v. Chr.) schließlich gelang, mit ihm definitiv Schluss zu machen. Im zweiten Krieg allerdings brachte Mithridates den römischen Gesandten Manius Aquillius in seine Gewalt, woraufhin er sich eine anschauliche Unterrichtsstunde für die römische Öffentlichkeit ausdachte, die unter der Überschrift Ohne Worte stand. Er ließ den armen Aquillius unter dem Gejohle der Zuschauer durch die Straßen von Pergamon schleifen und ihm im Anschluss daran, sozusagen als Krönung der Veranstaltung, geschmolzenes Gold in den Rachen gießen. Aquillius erstickte also regelrecht an Gold.⁷
Es ist erstaunlich, wie sehr die römische historische Literatur von Schuldenaffären geprägt ist: junge Männer mit glänzenden Aussichten, die in die Hände von Kredithaien gelangen; Selbstmorde infolge zu hoher Schulden; Rausschmiss aus schmackhaften Ämtern wegen – tatsächlicher oder vermuteter – Überschuldung. In der Geschichte der Wahlen für die römischen Ämter spielt die Bestechung derjenigen, die bis zum Hals in Schulden steckten, eine wichtige Rolle. Sallust selbst hatte ebenfalls mit Schuldenproblemen zu kämpfen.
Aber in der Politik kann man ohne solide Allianzen nichts bewegen. Heute ist die quantitative Komponente vielleicht wichtiger geworden: Auch ein Politiker, der nicht in allen „richtigen" Kreisen zu Hause ist, kann, sofern er in den Kommunikationskünsten bewandert ist, mithilfe des Internets Millionen von Menschen dazu bewegen, zur Wahl zu gehen oder durch die Straßen zu marschieren. Aber damals war die Qualität der Unterstützer besonders wichtig: Sie mussten reich sein und am besten aus einer angesehenen Familie stammen, die schon ein paar Konsuln hervorgebracht hatte und ausreichend Klienten mobilisieren konnte, sprich: eine Partei organisieren konnte. Ein Meister der Parteibildung war, ohne Zweifel, Caesar.
In den kritischen Jahrzehnten zwischen Sulla und Augustus (circa 80 bis 30 v. Chr.) waren Pompeius, Cato, Antonius, Caesar und Cicero die Hauptakteure der römischen Politik; Sallust hat nur eine Nebenrolle gespielt und hauptsächlich mit den beiden Letzten zu tun gehabt, zumindest wenn wir