Das Recht der Arbeit in Europa: Vergleichendes und Europäisches Arbeitsrecht
Von Harun Pacic
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Harun Pacic
Harun Pacic ist Privatdozent der Universität Wien, Professor an der Fachhochschule des BFI Wien und Inhaber der Stadt Wien Stiftungsprofessur für Arbeitsrecht im Digital HR-Management.
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Buchvorschau
Das Recht der Arbeit in Europa - Harun Pacic
109).
1. Vortrag.
Rechtsvergleichung ist der (kritische) Abgleich der Rechtslage verschiedener Rechtsordnungen zur Abklärung einer sinnvollen Rechtsfrage.² Fragen wir nach übergreifenden Grundsätzen im Europäischen Arbeitsrecht, so ist dies, obzwar das Arbeitsrecht hauptsächlich (mitglied-)staatlich (autonom) geregelt ist, kein sinnloses Unterfangen, denn die Europäische Union begründet ein durchgreifendes Rechtssystem.³
Innergemeinschaftliche Vergleiche können verschiedensten Zwecken dienen; wir bezwecken: Grundlagenforschung für ein gemeinsames Vorverständnis.⁴
Das Arbeitsrecht hat sich in Europa zu einem Rechtsgebiet mit ausgeprägten Bezügen zum öffentlichen Recht entwickelt, fußt aber auf dem Zivilrecht; von seinen (Grund-)Zügen her ist es privatrechtlich vorgeprägt.⁵ Eine Einteilung in Rechtskreise ist hier aber wenig ergiebig, insb. im kollektiven Arbeitsrecht.⁶
In der Europäischen Union ist das Arbeitsrecht in Ansehung ihrer Zuständigkeiten und Aufgaben wie auch in Anbetracht der (Rechts-)Topik des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu den Binnenfreiheiten schwerlich von Fragen der sozialen Sicherheit zu lösen und zudem mit Regelungen für die unternehmerische Erwerbstätigkeit verknüpft.⁷
Das Recht der Arbeit in Europa schützt vor dem Missbrauch der Privatautonomie und ordnet das Arbeitsverhältnis hin zur sozialen Marktwirtschaft; das Sozialrecht sichert im Rahmen sowie auf dem Boden der (unions-)bürgerlichen Solidarität ein menschenwürdiges Leben.⁸
Wer Staatsbürger (Bürgerin) eines Mitgliedstaats der EU ist, ist auch Unionsbürger und hat als solcher das (An-)Recht, sich in der Union frei zu bewegen und für einen Zeitraum bis zu drei Monaten in anderen Mitgliedstaaten aufzuhalten;⁹ ist er (dort; unfreiwillig) arbeitslos geworden und hat sein Arbeitsverhältnis länger als ein Jahr gedauert, so behält er das Recht zu bleiben, wenn er sich dem (dortigen) Arbeitsamt zur Verfügung stellt.¹⁰
Hat das Arbeitsverhältnis nicht so lang gedauert, verlängert sich das Bleiberecht bloß auf sechs Monate; im Übrigen müsste er nachweisen, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichend Mittel zur Existenzsicherung und über einen Krankenversicherungsschutz verfügt.¹¹ Er und die Angehörigen dürfen nicht ausgewiesen werden, solange er weiterhin Arbeit sucht und begründete Aussicht besteht, solche zu finden.¹²
Arbeitssuchenden Unionsbürgern dürfen finanzielle Leistungen des Aufnahmestaates, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, zwar nicht verweigert werden, wohl aber die Sozialhilfe (als Hilfe zur Sicherung ihrer Grundbedürfnisse und derjenigen ihrer Angehörigen).¹³
Nicht erwerbstätigen Unionsbürgern (und den Angehörigen) steht das allgemeine Aufenthaltsrecht (überhaupt) nur solange zu, als sie die Leistungen der Sozialhilfe des Aufnahmestaates nicht inadäquat in Anspruch nehmen; eine Inanspruchnahme derselben ist aber an sich kein Ausweisungsgrund.¹⁴
Steht einem Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt oder (nach fünf Jahren sogar) auf Daueraufenthalt zu und wird er vom Ehegatten (eingetragenen Lebenspartner) oder gewissen Kindern oder Eltern begleitet oder ziehen diese nach, so sind sie als Angehörige ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft befugt, eine Erwerbstätigkeit im Aufnahmestaat aufzunehmen.¹⁵ Eine häusliche Gemeinschaft wird nicht vorausgesetzt; insoweit das Unionsrecht auf Unterhaltsgewährung abstellt, ist die faktische Leistung maßgeblich, nicht die rechtliche Verpflichtung dazu.¹⁶
Die(se) Kinder dürfen am allgemeinen Unterricht und an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen und solche selbst dann noch fortsetzen, wenn die Eltern wieder in ihren Heimatstaat zurückgekehrt sind.¹⁷ Stirbt der Unionsbürger oder zieht er weg, steht auch dem drittstaatsangehörigen Elternteil, das mit der Obsorge für das Kind betraut ist, bis zur Beendigung der Ausbildung ein Aufenthaltsrecht zu; im Übrigen gewährt ihnen das Unionsrecht ein solches (auf persönlicher Grundlage; nur) unter gewissen Voraussetzungen.¹⁸
Ausreise-, Einreise- und Aufenthaltsrechte der Unionsbürger und Angehörigen dürfen von Mitgliedstaaten nicht aus (bloß) wirtschaftlichen, sondern nur aus (gravierenden) Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränkt werden; willkürliche Unterschiede zwischen Staatsangehörigen zu machen ist indes keineswegs gestattet.¹⁹
Vorbehaltlich aus (eben-)solchen Gründen gerechtfertigter Beschränkungen, leistet das Unionsrecht innerhalb der Union Gewähr für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (-innen), indem sieihnen das Recht gewährt, sich auf Stellen zu bewerben, sich zu diesem Zweck auf Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten frei zu bewegen, sich dort aufzuhalten, um eine Beschäftigung auszuüben und unter gewissen Bedingungen nach der Beendigung derselben dort zu verbleiben.²⁰
Ein Bürger der Union kann sich sowohl dem Aufnahmestaat als auch dem Heimaltland gegenüber und sogar schon dann auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit stützen, wenn er den Wohnsitz ins Ausland verlegt, ohne seine Beschäftigung im Heimatstaat aufzugeben.²¹ Auf Freizügigkeit können sich auch Arbeitgeber (Arbeitgeber innen ) berufen; so dann, wenn nationales Recht sie nötigen würde, inländische oder (nur) im Inland wohnhafte Arbeitnehmer zu beschäftigen.²²
Im Fokus stehen (jedoch) freilich die Arbeitnehmer (selbst), wobei es hierfür um Leute geht, die sich insofern wirtschaftlich betätigen, als sie Dienstleistungen in rechtlicher Unterordnung erbringen und dafür eine Vergütung erhalten.²³
Die Union strebt das Ende jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung von Arbeitnehmern in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und jedwede sonstige Arbeitsbedingung an.²⁴ Die Freizügigkeit steht beschränkenden nationalen Maßnahmen auf allen Regelungsebenen entgegen, auch wenn sie unterschiedslos angewendet würden; es wäre denn, solche würden sachlich gerechtfertigt und wären zudem nicht inadäquat.²⁵
Nur für Beschäftigte in der öffentlichen Verwaltung, die (und soweit sie) an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse im öffentlichen Interesse teilnehmen, ist sie nicht zwingend, sofern die Tätigkeit eine Verbundenheit mit dem Staat voraussetzt, die des Bandes der Staatsbürgerschaft regelrecht bedarf, wie das etwa beim Wehr- oder Polizeidienst und in der Rechtsprechung der Fall ist.²⁶
Da der Zugang zu freien Stellen nicht selten vom Nachweis der Befähigung zur Ausübung der (Berufs-)Tätigkeit