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Die Pop Art Tradition - Die antwort auf die Massenkultur
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eBook451 Seiten4 Stunden

Die Pop Art Tradition - Die antwort auf die Massenkultur

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Über dieses E-Book

Dieses Buch bietet eine völlig neue Sicht auf die in den 1950er Jahren aufgekommene so genannte “Pop Art”. Der zentrale Ansatz dieses Buches weitet die schon immer die Verhältnisse eher verdunkelnde als erhellende Bezeichnung des Terminus “Pop Art” aus und befasst sich mit der die Massenkultur thematisierenden Kunst. Die zentrale These dieses Buches lautet, dass diese Massenkultur-Kunst eine neue und noch heute blühende modernistische Tradition begründet hat. Es zeichnet diese Tradition über die mehr als 40 Jahre ihres Bestehens nach und ordnet sie in ihren größeren historischen Kontext ein.
Die vorliegende Studie stellt selbstverständlich die wichtigsten Vertreter der Pop-/Massenkultur-Kunst bis in die Gegenwart vor. Sie diskutiert bei dieser Gelegenheit auch eine Reihe von Künstlern, die bislang noch nicht mit der so genannten “Pop Art” in Verbindung gebracht worden sind, die sich aber stark für die Massenkultur interessiert haben und insofern in den hier umrissenen Kontext gehören.
In diesem Buch werden mehr als 150 Schlüsselwerke der Pop-/Massenkultur-Kunst in Farbe abgebildet und erläutert. Dies beinhaltet häufig genaue Analysen von Bildern, deren Bedeutung bislang noch nicht vollständig offen gelegt wurde. Auf diese Weise liegt dieses Buch qualitativ auf einer Ebene mit Eric Shanes' bisherigen populären und mit Preisen ausgezeichneten Schriften.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum9. Dez. 2019
ISBN9781783106448
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    Buchvorschau

    Die Pop Art Tradition - Die antwort auf die Massenkultur - Eric Shanes

    ABBILDUNGEN

    Andy Warhol, Campbell’s Soup (Turkey Noodle) [Campbell’s- Suppe (Turkey Noodle)], 1962. Tintensiebdruck auf Leinwand, 51 x 40,6 cm. Sammlung Sonnabend.

    VORWORT

    Seit den späten 1950er Jahren hat sich in der westlichen Kunst eine neue Richtung entwickelt. Obwohl sie in ihrer von etwa 1958 bis 1970 dauernden Anfangsphase rasch das Etikett Pop Art erhielt, ist dieser Begriff schon immer als eine wenig erhellende Bezeichnung angesehen worden. Der Terminus der Massenkultur-Kunst ist wesentlich zweckdienlicher, da der britische Kunstkritiker Lawrence Alloway, der den Begriff Pop im Jahr 1958 prägte, nicht eine bereits bestehende Kunstrichtung meinte, schon gar nicht eine – damals noch in ihren Kinderschuhen steckende – rebellische, an der Jugend orientierte Pop-Kultur, an die man heute (allerdings schon immer weniger) bei diesem Wort denkt. Alloway beschäftigte sich vielmehr mit jener rasch steigenden Anzahl von Menschen in der gesamten westlichen Welt, deren schiere Menge und gemeinsame Wertvorstellungen neue Formen des kulturellen Ausdrucks ins Leben riefen und denen der wachsende Wohlstand, die zunehmende Freizeit und erschwingliche neue Technologien den Konsum der Massenkultur ermöglichten. Wie wir sehen werden, hat sich die so genannte Pop Art im Kern stets mit den Produkten und Auswirkungen der Massenkultur befasst. Deshalb ist es zutreffender, von der Massenkultur-Kunst zu sprechen. Das Präfix Pop wird allerdings auch in diesem Buch benutzt, um Verwechslungen zu vermeiden, zumal die komplexe Massenkultur auch Künstler inspiriert hat, die wir niemals mit der Pop Art in Verbindung bringen würden. Daher ist es durchaus wichtig, die Tradition, zu der sowohl diese Künstler als auch die Vertreter der Pop Art der 1960er Jahre beigetragen haben, als Massenkultur-Kunst zu charakterisieren, da anderenfalls die Gemeinsamkeiten dieser zeitlich und räumlich voneinander getrennten künstlerischen Traditionen aus dem Blick geraten würden. Dieses Buch verfolgt deshalb vier Ziele: vertraute Definitionen des Begriffs Pop Art zu erweitern; die Tradition der Pop-/Massenkultur-Kunst und ihre Ursachen zu ergründen; die wichtigsten Vertreter vorzustellen und eine repräsentative Auswahl von Werken dieser Künstler im Detail zu analysieren.

    Edgar Degas, Au Café (Im Café), ca. 1876. Öl auf Leinwand, 92 x 68 cm. Musée d’Orsay, Paris.

    POP-/MASSENKULTUR-KUNST

    Das Entstehen der populären Massenkultur war historisch ebenso unvermeidlich wie die künstlerische Reaktion auf sie. Wir leben immer noch in der modernen technologischen und demokratischen Epoche, die mit der Industriellen Revolution in England und den Revolutionen in Amerika und Frankreich gegen Ende des 18. Jahrhunderts einsetzte. Im Verlauf der Industrialisierung und Demokratisierung profitierten immer mehr Menschen von dem Fortschritt der politischen Partizipation und der wirtschaftlich auskömmlichen Arbeit; dem mit dem allgemeinen Anstieg der Lebensqualität verbundenen zunehmenden Individualismus und der Gesundheit sowie der Fähigkeit, lesen und schreiben zu können und schließlich der sozialen und räumlichen Mobilität. Gleichzeitig ist jedoch ein hoher Preis zu zahlen: häufig in tiefem Zynismus und Eigeninteresse begründete politische Manipulationen; wirtschaftliche Ausbeutung; die Globalisierung und gleichzeitige Verdrängung nationaler, regionaler oder lokaler Identität; eine für weite Kreise sinnlose und unbefriedigende Arbeit; zunehmende Verstädterung und Industrialisierung ländlicher Gebiete mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Landschaft; Umweltverschmutzung und der weitgehende Verlust spiritueller Gewissheit. Gewissermaßen als Kompensation hierfür gab es eine Explosion der Irrationalität, des Aberglaubens und des religiösen Fanatismus, kultureller Randerscheinungen, eines überzogenen Nationalismus, einer quasipolitischen Romantik und primitiver oder industrialisierter Massenmorde; Materialismus, Konsumorientierung und die Verehrung von Medienhelden. All diese Entwicklungen haben notwendigerweise auch die Institutionen, industriellen Prozesse und Produkte dieser Epoche betroffen. Allerdings konzentrierten sich Künstler erst gegen Ende der 1950er Jahre im Rahmen der Entstehung der Pop-/Massenkultur-Kunst erstmals ausschließlich auf diese kulturellen Tendenzen, Prozesse und Produkte ihrer Zeit.

    Als Lawrence Alloway 1958 von Pop schrieb, gehörte er im Institut für zeitgenössische Kunst in London zu einem Kreis, der die Unabhängige Gruppe genannt wurde. Dessen Mitglieder waren Künstler, Designer, Architekten und Kritiker, die erkannt hatten, dass das um die Mitte des 20. Jahrhunderts festgestellte enorme Anwachsen der populären Massenkultur und seiner charakteristischen Kommunikationsformen diskutiert werden musste und es nicht länger ausreichte, diese Erscheinung snobistisch dem Abfallhaufen des Geschmacks des einfachen Volkes zuzuweisen. Erst die moderne technische Welt ermöglicht es überhaupt, die wachsende Zahl der Konsumenten industriell gefertigter Produkte wirkungsvoll anzusprechen. Der Zeitungsdruck, das Radio, die Kamera, das Zelluloid und der Filmprojektor, das Fernsehgerät und andere Technologien der Massenkommunikation bis hin zu jenen unserer Zeit, die ihre Vorgänger geradezu primitiv wirken lassen (und sie mit wachsender Geschwindigkeit ersetzen), haben jeweils neue Ausdrucksformen hervorgebracht, die allesamt einen fruchtbaren Boden für Künstler und Designer darstellen. Die populäre Massenkultur verfügt ferner über Energie und eine ausgeprägte Kraft. Ihre Kommunikationsmittel wie das Kino oder Fernsehen, die Reklame, Plakate und Zeitschriftenillustrationen verfügen über eine Unmittelbarkeit der Kommunikation, die jene von Werken größerer intellektueller Komplexität überragt. Man muss für das Verständnis der Dramen Shakespeares, der Sinfonien Beethovens und der Gemälde Rembrandts etwas mehr leisten als für den gewöhnlichen Hollywoodfilm, einen Popsong oder ein Plakat. Angesichts dieser Tatsache kam die Aufforderung der Unabhängigen Gruppe an Künstler und Designer, sich der Kraft, Energie und Unmittelbarkeit der Massenkultur zu bedienen, in den durch die Überwindung der Kriegszeit und den zunehmenden Wohlstand in der westlichen Welt gekennzeichneten 1950er Jahren gerade zur rechten Zeit. Die Relevanz dieses Gedankens wurde dadurch bestätigt, dass zahlreiche andere kreative Menschen an vielen Orten der westlichen Welt unabhängig von der Londoner Gruppe zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen gelangten.

    Aufgrund dieser Erscheinung war die Pop-/Massenkultur-Kunst eigentlich niemals eine homogene Bewegung. Zwar tauschten sich in Großbritannien einige diese Überzeugungen teilende Künstler während der frühen Phase aus. In den USA jedoch hatten nur wenige der Vertreter engen Kontakt miteinander. Deshalb ist es angebracht, die Pop-/Massenkultur-Kunst als eine kulturelle Dynamik und nicht als eine Bewegung zu beschreiben. In jedem Fall hatten historische Faktoren bis zu den 1950er Jahren den Boden für diese Erscheinung bereitet, die zu diesem Zeitpunkt bereits über gewisse Vorläufer verfügte.

    Edward Hopper, People in the Sun (Menschen in der Sonne), 1960. Öl auf Leinwand, 102,6 x 153,4 cm. Smithsonian American Art Museum, Washington, D.C.

    Grant Wood, Daughters of Revolution (Töchter der Revolution), 1932. Öl auf Holzfaserplatte, 58,8 x 101,6 cm. Cincinnati Art Museum.

    Die Wegbereiter der Pop-/Massenkultur-Kunst

    Selbstverständlich hatten sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts schon viele Künstler mit der Menschheit als Masse beschäftigt. Zu den eindrucksvollsten Beispielen gehörten die Maler Francisco de Goya, J.M.W. Turner und David Wilkie, die häufig normale Menschen bei der Arbeit und bei ihren Vergnügungen dargestellt hatten. Die beiden letztgenannten Künstler hatten sich auch ganz bewusst einfachen Motiven gewidmet, indem sie normale Menschen in ihren Wohnungen, in Gastwirtschaften und auf Jahrmärkten gemalt hatten. Auf diese Weise hatten sie eine Tradition wieder belebt, die bis auf Maler aus dem 16. und 17. Jahrhundert, wie Pieter Bruegel den Älteren, Adrian van Ostade und David Teniers den Jüngeren, zurückreichte. Später, im 19. Jahrhundert, ließen sich auch Gustave Courbet, Edouard Manet und Edgar Degas sowie andere vom Leben der einfachen Menschen inspirieren. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist Degas’ ausgezeichnete Studie der Entfremdung In einem Café aus der Zeit um 1876. Das Bild zeigt einen scheinbar hartherzigen Mann und eine brutalisierte Frau, die mental voneinander isoliert und räumlich von uns getrennt sind. Degas war ein wichtiger Einfluss für zwei bedeutsame Maler, die sich direkt mit der populären Kultur befassten: der Engländer Walter Sickert und der Amerikaner Edward Hopper.

    Sickert folgte Degas, dem Maler von Massenvergnügungen wie Zirkus und Cafékonzerten, dadurch ganz offen, dass er Szenen aus dem Varieté und von Vergnügungspiers darstellte. Später entwickelte er zahlreiche Gemälde auf der Basis von Zeitungsphotos, indem er die Körnigkeit des Zeitungsdrucks ebenso wie die dargestellten Gegenstände nachahmte. Hopper war ebenfalls stark von Degas beeinflusst (vor allem von In einem Café, das er in Form einer Buchreproduktion aus dem Jahr 1924 kannte), was sich in seiner Darstellung der Einsamkeit des urbanen Menschen und der Entfremdung zeigt, jenen negativen Erscheinungen der Massengesellschaft und -kultur. Gegen Ende seines Lebens stellte er in People in the Sun (Menschen in der Sonne) sogar den hedonistischen Sonnenkult dar, der im Leben des modernen Menschen eine so große Rolle spielt.

    In People in the Sun stehen Hoppers Sonnenbadende für einen kulturellen Trend. Ähnliche, jedoch wesentlich satirischere Darstellungen finden sich früher schon bei Grant Wood, der 1930 sein wohl berühmtestes Bild, American Gothic (gegenüber), schuf. Hier steht ein scheinbar typischer Farmer aus dem Mittleren Westen in Baumwollkleidung neben seiner in selbst geschneiderten Kleidern gekleideten Frau. Hinter ihnen sieht man ihre einfache Behausung mit ihrem von der Gotik inspirierten Fenster. Das Ehepaar verkörpert die gottesfürchtigen, puritanischen Werte der Mitte der USA. Woods Daughters of Revolution (Töchter der Revolution, oben) aus dem Jahr 1932 zeigt drei zweifellos zu der neokonservativen Organisation Töchter der amerikanischen Revolution gehörende Frauen vor einer verehrten Ikone ihres Nationalismus, Emanuel Leutzes Bild Washington Crossing the Delaware (Washington überquert den Delaware) aus dem Jahr 1851.

    Grant Wood, American Gothic (Amerikanische Gotik), 1930. Öl auf Holz, 73,6 x 60,5 cm. Art Institute of Chicago, Illinois.

    Pablo Picasso, Guitar, sheet-music and glass (Gitarre, Notenblätter und Glas), 1912. Geklebtes Papier, Gouache und Kohle auf Papier, 48 x 36,5 cm. Marion Koogler McNay Art Institute, San Antonio, Texas.

    Wie frühere Maler gewöhnlicher Menschen wie Degas, Hopper und Wilkie zeigte auch Wood das normale Leben, wie es gelebt wird, nicht in seiner indirekten Widerspiegelung durch das Prisma der Medien der Massenkommunikation. Die ersten Künstler, die sich mit den Assoziationen dieser Medien und der populären Massenkultur, die sie bedienen, beschäftigten, waren ohne Zweifel Georges Braque und Pablo Picasso. Braque begann 1911 in seinen Bildern mit der Nachahmung von mit Schablonen geschriebenen Buchstaben. Dies führt zwangsläufig zu Assoziationen mit der Massenkultur, da mit Hilfe von Schablonen geschriebene Buchstaben sehr an das gewöhnliche Leben erinnern. Man findet sie schließlich vor allem auf Verpackungskisten und Ähnlichem, wenn es auf schnelle Identifikation ohne jegliche ästhetische Verfeinerung ankommt. Dadurch, dass er in den Jahren 1912 und 1913 Zeitschriften und die Noten populärer Lieder in seine Bilder klebte, erfand Picasso nicht nur praktisch die Collage als neue Kunstform, sondern öffnete auch die Grenze zwischen der Kunst und den Massenmedien.

    Picassos neues künstlerisches Vehikel, dem man etwa in Gitarre, Notenblätter und Glas (gegenüber) begegnet, regte zahlreiche andere Künstler wie George Grosz, Raoul Hausmann und Kurt Schwitters an, Photographien, wissenschaftliche Diagramme, Landkarten und Ähnliches in ihre Bilder aufzunehmen. Einige dieser Werke, etwa Schwitters Collage aus dem Jahr 1947, sollten sogar Bilder aus Comics enthalten. Ein weiterer deutscher Künstler, John Heartfield, erfand eine neue Kunstform, die Photocollage, die viele ihrer Materialien aus Zeitungen bezog. Man sah folglich in ihr fast zwangsläufig den Menschen als Mitglied der Masse.

    Heartfield begann von den frühen 1920er Jahren an, sein neues künstlerisches Territorium zu erschließen. Zu dieser Zeit hatte ein aus Frankreich stammender und seit 1915 in den USA lebender Maler, Marcel Duchamp, bereits eine Reihe seiner Ready-mades (wörtlich: Konfektionsware), d.h. industriell gefertigte Massenprodukte integrierende Skulpturen, erschaffen. Derartige Kunstwerke schufen nicht nur neue Formen, sondern verwiesen stets auch auf die Industriegesellschaft. Das berühmteste dieser Ready-mades war vielleicht Brunnen von 1917, bei dem es sich schlicht um ein Keramikurinal aus einem Sanitärladen handelte. Duchamp wollte dieses Stück 1917 in einer großen Ausstellung in New York, bei deren Organisation er selbst eine zentrale Rolle gespielt hatte, ausstellen. Ein wesentliches Motiv dieser Ausstellung bestand im demokratischen Zugang (alle, in die Tausende gehenden, eingereichten Werke wurden automatisch auch gezeigt), und dies in einer Zeit, in der die Demokratie wegen des bevorstehenden Eintritts der USA in den Ersten Weltkrieg in den Medien stark diskutiert wurde. Duchamps witzig betiteltes Urinal stellte letzten Endes eine gültige Aussage über eine gemeinsame menschliche Aktivität dar, da jeder Mensch von Zeit zu Zeit ein Urinal benötigt. Tatsächlich Demokratie.

    Duchamp zufolge bestand ein wesentlicher Grund für die Ausstellung eines solchen Objekts darin, es in den Rang eines Kunstwerks zu erheben, damit wir gezwungen werden, die inhärente Schönheit eines industriell gefertigten Objekts zu erkennen, das normalerweise keine ästhetische Reaktion hervorruft. Dies war ein sehr geschickter Schachzug, denn obwohl Brunnen in den frühen 1920er Jahren zerstört wurde, weil Duchamp vermutlich keinen Wert auf das Objekt legte, sorgte das Kunstwerk dafür, dass man über ihn sprach, was für Künstler in der Massenkultur zunehmend wichtig wurde. (Später, in den 1950er Jahren, stritt Duchamp ab, dass er mit seinem objet trouvé beabsichtigt hatte, die Aufmerksamkeit auf dessen Schönheit zu lenken, während er gleichzeitig mehrere Nachbildungen des Objekts anfertigte, um sie an Museen, die eine so berühmte Attacke auf die Kunst besitzen wollten, zu verkaufen). Letzten Endes riss Duchamps Brunnen, ebenso wie seine weiteren Ready-mades, die Grenze zwischen dem Kunstwerk als handwerklich gefertigtem Objekt und dem Kunstwerk als Industrieprodukt nieder.

    Auf diese Weise wurde auch das Konzept des Künstlers demokratisiert, denn so wie ein Urinal Brunnen werden konnte – ...es ist dadurch, dass ich es zu einem solchen erkläre, ein Kunstwerk – konnte von nun an jeder Mensch ein Künstler werden (und zahlreiche Menschen sind diesem Beispiel tatsächlich gefolgt). Die extrem eng mit der modernen, technologischen und von der Massenkultur geprägten Epoche verbundene Demokratisierung begann mit Duchamps Ready-mades und besonders mit Brunnen fast unvermeidlich, auf das Feld der bildenden Künste überzugreifen.

    Kurt Schwitters, For Käte (Für Kate), 1947. Papiercollage, 10,5 x 13 cm. Pasadena Art Museum, Pasadena, Kalifornien.

    Marcel Duchamp, Fontaine (Brunnen), 1917. Photographie von Alfred Stieglitz aus The Blind Man, Mai 1917. Sammlung Louise und Walter Arensberg. Philadelphia Museum of Art, Pennsylvania.

    Abgesehen von den ästhetischen Überlegungen, der sinnlichen Freude und der moralischen Entrüstung, die Duchamps Werk 1917 hervorrief (und in Form seiner Nachbildungen in Museen noch hervorruft), verwies seine ursprüngliche Entstehung eindeutig auf die Massenproduktion im Allgemeinen. Dieser Verweischarakter der Objekte sollte, wie wir sehen werden, zu einem zentralen Merkmal der Pop-/Massenkultur-Kunst werden. Brunnen war diesbezüglich jedoch nicht der einzige Vorläufer. Von der Mitte des zweiten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts an und als direkte Folge von Picassos kubistischen Experimenten bildeten Künstler häufig Objekte aus der Massenkultur ab, und zwar nicht um ihre Geschicklichkeit zu demonstrieren, sondern um auf die Vertrautheit der dargestellten Objekte als nationale oder kulturelle Zeichen aufmerksam zu machen.

    Was nationale Ikonen anbetrifft, so setzte der amerikanische Maler Marsden Hartley in den Jahren 1914 bis 1915 (also während des Ersten Weltkriegs) in mehreren seiner Gemälde Flaggen ein. In dem Ölgemälde Portrait of a German Officer (Porträt eines deutschen Offiziers) tat er dies, um auf den militärischen Charakter der dargestellten Person hinzuweisen. Kulturelle Zeichen werden besonders offensichtlich in frühen Gemälden des Amerikaners Stuart Davis verwendet, in dessen Bildern aus der Zeit um 1924 Lucky Strike-Zigarettenpäckchen, die Sportseite des Evening Journal oder die Mundspülung Odol zu sehen sind. Wie Picasso mit seiner Aufnahme von Zigarettenpäckchen und Weinetiketten in seine Werke weist auch Davis hiermit auf die Wegwerfmentalität der Konsumgesellschaft hin. In den frühen 1950er Jahren wandte Davis sich dadurch erneut Bildern aus der Massenkultur zu, indem er stilistisch an den späten Matisse erinnernde abstrakte und sehr farbenfrohe Muster mit Supermarktzeichen, Slogans und Phrasen aus der Werbung sowie Aufforderungen zum Konsum aus der Werbung kombinierte (gegenüber). Davis befand sich hiermit an der Spitze einer Welle von Künstlern, die auf die Massenkultur reagierten.

    Der Surrealist Salvador Dalí war ein weiterer Maler, der sich immer stärker der Massenkultur bewusst wurde. Der deutsche Einmarsch in Frankreich hatte ihn 1940 gezwungen, in die USA zu fliehen und die acht Jahre, die er dort verbrachte und der amerikanischen Massenkultur ausgesetzt war, beeinflussten ihn sehr stark. Er lernte Hollywood-Filme kennen, entwarf sogar eine Filmsequenz für Alfred Hitchcock und entwickelte einen Cartoon für Walt Disney (obwohl dieser erst 2003 vollendet und gezeigt wurde, mehr als 30 Jahre nach Dalís Tod). Dalí war besonders an Cartoons interessiert, da er sie als eine Artikulation der Psychologie der Massen ansah. Dalís Jahre in Amerika machten ihn zweifellos populistischer, sie vermittelten ihm die Fähigkeit der Medien zur Kommunikation mit den Massen und die Macht des Geldes. Nach 1948 reiste er in den meisten Jahren immer wieder nach Amerika und freundete sich in den 1960er Jahren nicht nur mit Andy Warhol an, sondern machte sogar Probeaufnahmen für ihn. Wenig später schuf er ein sehr geistreiches Bild, das sich genau an der Grenze zwischen Surrealismus und Pop-/Massenkultur-Kunst befindet. Es handelt sich um die Verschmelzung zweier Gesichter, von denen eines bereits eine wichtige Rolle in Warhols Werk spielte, während das andere es sehr bald tun sollte.

    Stuart Davis, Premiere, 1957. Öl auf Leinwand, 147 x 127 cm. Los Angeles County Museum of Art, Kalifornia.

    Stuart Davis, Lucky Strike, 1924. Öl auf Pappkarton, 45,7 x 60,9 cm. Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Smithsonian, American Art Museum, Washington, D.C.

    Salvador Dalí, Mao/Marilyn, Coverentwurf, Ausgabe Dezember 1971-Januar 1972 der französischen Ausgabe vom Vogue Magazin. Verlag Condé Nast, Paris. Foto: Philippe Halsman.

    Die Anfänge der Pop-/Massenkultur-Kunst in England

    In den späten 1940er Jahren bereitete ein anderer stark vom Surrealismus beeinflusster Künstler weiter den Weg für die Pop-/Massenkultur-Kunst. Dies war der britische Bildhauer Eduardo Paolozzi, der später ein zentrales Mitglied der Unabhängigen Gruppe werden sollte. Paolozzi schuf 1949 einen sehr einfalls- und geistreichen Satz von Collagen, in denen er die Titelseiten beliebter Zeitschriften, Anzeigen, Pin-ups und Ähnliches kombinierte. Er war stark an der Banalität von Bildern interessiert, obwohl er 1971 betonte: Es ist für mich einfacher, mich mit [der Tradition des Surrealismus] zu identifizieren, als mich mit einem von anderen erfundenen Terminus wie Pop" beschreiben zu lassen, der sofort bedeutet, dass man sich in eine Coca-Cola Kiste stürzt. Ich denke gern, dass mein Werk eine Ausdehnung des radikalen Surrealismus ist." Der Surrealismus war eine Erkundung des Unterbewusstseins und Paolozzis Unterbewusstsein absorbierte in den späten 1940er Jahren zweifellos die Bilder der Alltagskultur. Später, Mitte der 1950er Jahre, schuf er einfallsreiche Collagen, die schematische Darstellungen von Maschinen enthielten und ebenfalls zukunftsweisend sein sollten.

    Paolozzi war nicht der einzige in dieser Hinsicht zukunftsweisende Künstler in Großbritannien. Der Maler Richard Hamilton schuf 1956 eine Collage mit dem ironischen Titel Just what is it that makes today’s homes so different, so appealing? (Was macht eigentlich unser Zuhause heute so anders, so anziehend?), die bereits viele der bald von anderen Künstlern verwendeten Bilder und Objekte kombinierte. Hierzu zählen unzählige Haushaltsgegenstände, wie etwa ein Fernsehgerät, auf dessen Bildschirm ein stereotyp perfektes Bild zu sehen ist, banale Pin-ups, ein ebenso banales Young Romance-Comics, das offenbar im Maßstab zu seiner Umgebung vergrößert worden ist und eingerahmt neben einem traditionellen Porträt an der Wand hängt, ein Markenlogo auf einem Lampenschirm und das Bild eines Superstars, in diesem Falle der in der Ferne zu sehende Al Jolson. Ein von der Charles Atlas-Figur getragener Gegenstand weist das Wort POP auf.

    Es ist sehr hilfreich, dass Hamilton 1957 die Eigenschaften auflistete, die eine neue Pop Art besitzen musste, um ein Massenpublikum anzusprechen:

    Man könnte dies für eine gute Definition der Pop Art halten, muss jedoch Vorsicht walten lassen. Zum einen stammt diese Liste aus einem privaten Brief, der erst ans Licht der Öffentlichkeit gelangte, nachdem die Pop-/Massenkultur-Kunst in großem Maßstab existierte,

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