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Die Tote im Wald: Somerset-Krimi
Die Tote im Wald: Somerset-Krimi
Die Tote im Wald: Somerset-Krimi
eBook280 Seiten3 Stunden

Die Tote im Wald: Somerset-Krimi

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Über dieses E-Book

Kitty Miller ist auf rätselhafte Weise spurlos verschwunden. Ihr Mann wird verdächtigt, sie getötet zu haben und Adam, der geheimnisvolle Gärtner, ist plötzlich nicht mehr auffindbar. Dann wird im Wald eine verkohlte Frauenleiche entdeckt. Handelt es sich dabei um Kitty? Die Unbekannte wurde erdrosselt, mit Benzin übergossen und angezündet. Bald darauf wird eine weitere junge Frau in ihrer Wohnung in Bath auf brutale Art getötet. Chief Inspector Smith vermutet eine Verbindung zwischen den beiden grausamen Morden und stößt bei seinen Ermittlungen auf eine mysteriös, schwarzhaarige Frau und ein Verwirrspiel aus Geldgier und Rache.

SpracheDeutsch
HerausgeberFederfrei Verlag
Erscheinungsdatum6. Dez. 2019
ISBN9783990741023
Die Tote im Wald: Somerset-Krimi

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    Buchvorschau

    Die Tote im Wald - Renate Taucher

    Montag

    Ein leichtes Zittern lief durch die Maschine, und Miriam wusste, das war ihr Ende! Ergeben schloss sie die Augen und dachte an all die Dinge, die sie in ihrem Leben versäumt hatte. Mühsam versuchte sie, die aufkommende Panik in den Griff zu bekommen, gleich würde sie in hysterisches Schreien ausbrechen! Sie kämpfte mit sich, um die Beherrschung nicht komplett zu verlieren und versuchte, sich zu entspannen und ihren Atem zu beruhigen. Tatsächlich nahm dadurch das Rauschen in ihren Ohren langsam ab, und auch das Rasen ihres Herzens ließ etwas nach. Dann gab es plötzlich einen sanften Ruck, das Flugzeug setzte auf und rollte auf der Landepiste des Flughafens Heathrow aus.

    Als Miriam erlöst feststellte, dass sie wider Erwarten noch am Leben war, sandte sie ein Stoßgebet zum Himmel, öffnete vorsichtig die Augen und blickte direkt in das lächelnde Gesicht ihres Sitznachbarn. Ihr Verhalten während der Landung war ihr schrecklich peinlich, aber sie bekam ihre Flugangst einfach nicht in den Griff. Etwas neidisch schaute sie auf die anderen Flugpassagiere, die offensichtlich entspannt und locker ihre Sicherheitsgurte lösten und sich zum Aussteigen bereit machten.

    „War es sehr schlimm?", fragte der sympathische Mann am Nebensitz mitfühlend. Er sprach Englisch mit einem leichten Akzent.

    „Ja, ziemlich, sagte sie mühsam lächelnd. „Ich habe es schon mit Selbsthilfegruppen, einschlägigen Seminaren und Beruhigungsmitteln versucht, aber nichts davon hat tatsächlich geholfen.

    „Ich habe einen Freund, erklärte ihr Sitznachbar, „der hatte dasselbe Problem und ist mit Hypnose seine Flugangst komplett losgeworden. Vielleicht versuchen Sie es einmal damit.

    „Vielen Dank für den Tipp. Sie haben recht, damit habe ich es noch nicht probiert. Möglicherweise hilft es ja wirklich. Allerdings muss ich den Rückflug erst noch hinter mich bringen, und mir graut schon jetzt vor dem Gedanken."

    „Bleiben Sie länger in England?", fragte der gutaussehende Fremde.

    „Voraussichtlich drei Wochen. Ich möchte eine Brieffreundin besuchen, von der ich schon lange nichts mehr gehört habe", gab Miriam bereitwillig Auskunft.

    Ihre Freundin Kitty hatte ihr seit Jahren mit schöner Regelmäßigkeit einmal im Monat einen herzlichen, altmodischen und auf richtigem Papier handgeschriebenen Brief geschickt, der mit der Post zugestellt wurde. Niemals E-Mails oder ausgedruckte Computerbriefe.

    Der Kontakt brach jedoch plötzlich ab, ohne dass im Vorfeld irgendetwas darauf hingedeutet hätte.

    Miriam hatte noch einige Male geschrieben, aber keine Antwort mehr erhalten. Wenn Kitty keine Zeit oder keine Lust mehr gehabt hätte, die Brieffreundschaft aufrecht zu erhalten, hätte sie es ja verstanden, aber dass sie so von einem Tag auf den anderen den Briefwechsel abgebrochen hatte, ließ Miriam keine Ruhe. Irgendetwas musste geschehen sein! Falls Kitty krank geworden wäre, hätte doch ihr Mann eine kurze Mitteilung senden können.

    In ihrem letzten Brief hatte Miriam dringend um Nachricht gebeten und sogar ihre Telefonnummer angegeben, für den Fall, dass Kitty aus irgendeinem Grund nicht schreiben konnte. Vielleicht sah sie aber auch nur Gespenster, und mit Kitty war ohnehin alles in Ordnung.

    Miriams Tätigkeit als Kriminalbeamtin hatte sie bestimmt unnötig misstrauisch werden lassen, aber sie hatte schon die unwahrscheinlichsten Dinge erlebt.

    Eigentlich hasste sie Fliegen im Allgemeinen, aber ein so unruhiger Flug wie der vergangene, brachte sie an die Grenzen des für sie Erträglichen. Bei größeren Entfernungen blieb ihr jedoch keine andere Wahl, als das Risiko auf sich zu nehmen. Dieses Mal hatte sie sich sogar freiwillig dieser Prozedur unterzogen, die Neugierde und vielleicht auch die Sorge um ihre Brieffreundin waren stärker gewesen als die Abneigung gegen Fluggeräte jeder Art.

    Bald darauf standen Miriam und ihr einfühlsamer Mitreisender zwischen unzähligen anderen Passagieren eingekeilt in einem Wagen, der sie zum Terminal brachte, wo sie ihr Gepäck abholen konnten. An eine weitere Unterhaltung war da nicht mehr zu denken.

    Als sie aus dem Wagen stiegen, lächelte sie der Fremde an: „Hier trennen sich unsere Wege, ich habe nur Handgepäck. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Aufenthalt, viel Spaß und einen stressfreien Rückflug!"

    „Danke, lächelte Miriam zurück. „Das kann ich brauchen. Auf Wiedersehen!

    Immer noch lächelnd sah sie dem großen, dunkelhaarigen Mann nach, wie er mit raschen Schritten durch die Halle davonging.

    Kitty wohnte in Combe Hay, einer winzigen Ortschaft in der Nähe von Bath. Die kleine Ansiedlung schmiegte sich in ein sanftes, idyllisches Tal und bestand nur aus einer Handvoll Häusern, zwischen denen sich schmale Straßen schlängelten, die meist von Mauern und dichten Hecken begrenzt waren. Das Ausweichen zweier sich begegnender Autos wurde dadurch oft zu einer richtigen Herausforderung für die Fahrer. Sogar Fußgänger hegten manches Mal den unrealistischen Wunsch, sich in Luft auflösen zu können, wenn sie sich dicht an die Hecken drücken mussten, um ein Fahrzeug vorbeizulassen. Zum Glück kannten die meisten Autofahrer die Tücken der schmalen Straßen und fuhren entsprechend vorsichtig.

    Miriam Beck hatte keine Schwierigkeiten, in dem kleinen Ort die gesuchte Adresse zu finden. Schließlich stand sie vor dem malerischen, steinernen Häuschen, das sie schon von diversen Fotos her kannte, und das sie an Fernsehkrimis mit Inspector Barnaby erinnerte: schmale Fenster mit vielen kleinen Scheiben, über denen unmittelbar das Dach hockte, eine roh gezimmerte Eingangstür, darauf ein großer, schwerer Ring mit einem Löwenkopf aus Bronze, der als Klopfer diente und darüber ein grün gestrichenes Vordach. Zwischen Tür und Fenster rankten reichblühende, blassblaue Clematis.

    Die große Doppelgarage neben dem Jahrhunderte alten Gebäude wirkte in dieser Umgebung wie ein Fremdkörper und störte Miriams Empfinden für Ästhetik beträchtlich. Allerdings war ihr klar, dass es zu der Zeit, in der die meisten Häuser hier errichtet worden waren, naturgemäß noch keine Garagen gegeben hatte und eine moderne Garage daher immer unpassend wirken musste.

    Es war ungewöhnlich still, und das Haus machte einen verlassenen Eindruck. Miriam verspürte eine leichte Unruhe, als sie mit dem schweren Ring an das Tor klopfte. Sie wartete eine Weile geduldig und versuchte es erneut, dieses Mal mit mehr Nachdruck.

    In dem Haus rührte sich nichts, und als der knatternde Lärm eines schlecht eingestellten Rasenmähers plötzlich die Ruhe des frühsommerlichen Nachmittags zerstörte, zuckte Miriam nervös zusammen und überlegte, was sie jetzt tun sollte.

    Kitty konnte das Haus eben nur ganz kurz verlassen haben, etwa um einzukaufen, sie konnte aber auch schon gar nicht mehr hier wohnen. Unschlüssig blickte sie um sich.

    „Suchen Sie jemanden?", hörte sie plötzlich eine Stimme.

    Miriam drehte sich erschrocken um und entdeckte hinter einer hohen Buchsbaumhecke einen weißen Haarschopf, unter dem misstrauische, wasserblaue Augen hervor blitzten. Sie trat näher und sah einen älteren Herrn, der sich im Nachbargarten offensichtlich mühte, über die Hecke zu sehen.

    „Schönen Nachmittag, grüßte sie. „Ich möchte zu Mrs. Miller. Die wohnt doch hier?

    „Ja - die wohnt hier, sagte die Stimme aus der Buchsbaumhecke gedehnt, „aber ich habe sie schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Mr. Miller ist auch nicht da, wahrscheinlich sind die beiden in den Urlaub gefahren. Das Haus ist seit Wochen unbewohnt. Ich glaube aber nicht, dass sie richtig ausgezogen sind, ohne mir etwas davon zu sagen. – Vielleicht kommen Sie besser zum Gartentor.

    Damit entfernte sich die Stimme von der Hecke, und Miriam folgte dem Klang der Schritte auf dem Kies, Richtung Straße. Dort sah sie sich einem untersetzten Mann gegenüber, der in einem gepflegten Vorgarten stand und eine Astschere in der Hand hielt.

    „Mein Name ist Ben Thornton, stellte er sich vor. „Ich bin, im Vertrauen gesagt, etwas beunruhigt, weil ich von den Millers schon so lange keinen mehr gesehen habe. Bis jetzt waren sie niemals länger als vier Wochen hintereinander unterwegs. Was wollen Sie denn von Mrs. Miller?

    Miriam stellte sich ihrerseits vor, erzählte in kurzen Worten von ihrer langjährigen Brieffreundschaft mit Kitty, und dass sie sich Sorgen um deren Wohlergehen machte.

    „Sollte die Tochter der Millers nicht zur Schule gehen? Ist sie auch mit in den Urlaub gefahren?", fragte sie abschließend.

    „Welche Tochter?, wunderte sich ihr Gegenüber. „Das Ehepaar hat keine Kinder!

    „Das kann nicht sein, sagte Miriam bestimmt. „Kitty hat mir doch Fotos von sich und ihrer Familie geschickt! Warten Sie!

    Sie kramte in ihrer Handtasche nach ein paar Fotos, die sie dem hilfsbereiten Nachbarn über den Zaun reichte.

    Der betrachtete sie eingehend und sagte dann:

    „Also, die Frau auf den Bildern ist eindeutig Mrs. Miller, aber den Mann und das Kind habe ich noch nie in meinem Leben gesehen."

    Miriam stutzte. „Sind Sie da auch ganz sicher?"

    „Ich habe ein hervorragendes Personengedächtnis und meine Augen sind auch noch ganz in Ordnung, meinte Mr. Thornton etwas beleidigt. „Wenn ich sage, dass die Leute auf dem Foto nicht meine Nachbarn sind, dann können Sie mir das ruhig glauben.

    „Jetzt bin ich erst recht davon überzeugt, dass hier irgendwas nicht stimmt, sagte Miriam nachdenklich. „Wenn Kitty doch gar keine Kinder hat, warum habe ich dann Fotos von ‚ihrem‘ Kind bekommen? Und warum hat sie mir nicht das Bild von ihrem eigenen Mann geschickt? Ist er so hässlich?

    „Aber keine Spur! Im Gegenteil! Mr. Miller ist ein äußerst gut aussehender Mann und ein erfolgreicher Schriftsteller."

    „Jetzt kenne ich mich gar nicht mehr aus, sagte Miriam verblüfft. „Ich dachte, Kittys Mann sei Lehrer!

    „Nein, das weiß ich zufällig ganz genau, widersprach Mr. Thornton. „Robert Miller war ein bekannter Journalist, er hat vor ein paar Jahren einen Bestseller geschrieben, und seitdem widmet er sich ganz der Schriftstellerei. Die beiden wohnen erst seit eineinhalb Jahren hier, sie pflegen jedoch wenig Umgang mit den Nachbarn. Er ist ja ganz nett, wir hatten manchen Tratsch am Gartenzaun, aber sie ist sehr zurückhaltend, grade, dass sie auf meinen Gruß dankt. Mit ihr habe ich noch kein einziges Wort gesprochen.

    „Das wundert mich aber, meinte Miriam überrascht. „Aus ihren Briefen habe ich den Eindruck gewonnen, dass sie sehr aufgeschlossen ist.

    Als Ben Thornton Miriam die Fotos zurückgab, sagte er nachdenklich: „Es ist eigenartig: Jetzt, wo wir davon sprechen, fällt mir auf, dass niemand etwas Genaueres über sie sagen kann. Sonst erfährt man doch im Lauf der Zeit immer so allerlei über die Leute, die in der Nachbarschaft einziehen. Wie gesagt, über ihn weiß man auch einiges, aber sie macht ein richtiges Geheimnis um ihre Person."

    Mit Schaudern dachte Miriam daran, dass Leute, die schon lange nicht mehr gesehen worden waren, oftmals hilflos oder sogar tot in ihren Wohnungen lagen.

    „Am Ende ist ihr etwas zugestoßen, meinte sie beunruhigt. „Wenn ihr Mann allein für längere Zeit weggefahren sein sollte, ist er bestimmt im Glauben, dass sie nach wie vor zu Hause ist. – Nein, das geht auch nicht, berichtigte sie sich selbst, „denn er hätte sie sicherlich von Zeit zu Zeit angerufen, und wenn er sie nicht erreichen hätte können, hätte er bestimmt Nachschau gehalten, oder wenigstens jemanden gebeten, nachzusehen. Vielleicht bin ich aber auch nur so misstrauisch, weil mir in meinem Beruf als Kriminalbeamtin schon allerhand untergekommen ist. Trotzdem, ich gehe auf jeden Fall und schaue, ob ich durch ein Fenster etwas erkennen kann."

    „Warten Sie, ich komme mit!, sagte Ben Thornton. „Lassen Sie mich das machen! Vorne sieht man ohnehin nicht hinein, die Wohnräume liegen nach hinten hinaus.

    Gemeinsam stapften sie durch das hohe Gras des schon etwas verwahrlost aussehenden Gartens rund ums Haus. An der Rückseite ging Mr. Thornton zu einem Fenster und versuchte, in das Innere zu sehen. Er hielt dabei beide Hände seitlich vor das Gesicht, um das Spiegeln der Glasscheibe zu verringern. Plötzlich zuckte er leicht zusammen und richtete sich auf.

    „Kommen Sie!, sagte er und winkte mit der Hand, ihm zu folgen. „Da drinnen sind eindeutige Kampfspuren zu erkennen, ich denke, ich sollte besser die Polizei anrufen.

    Miriam sah ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. „Glauben Sie, dass da ein Verbrechen stattgefunden hat? Was haben Sie gesehen?"

    „Eigentlich gar nicht viel. Einen umgestürzten Stuhl, eine zerbrochene Vase auf dem Fußboden und einen Tisch, von dem das Tuch halb heruntergerissen ist. Aber so eine Unordnung hinterlässt man doch nicht und fährt dann monatelang auf Urlaub. Irgendetwas stimmt hier nicht! - Ich werde Dabbl-Ju anrufen, sagte er wie zu sich selbst. „Ich würde Sie bitten, noch auf die Ankunft des Polizeibeamten zu warten, vielleicht hat er einige Fragen an Sie.

    „Aber ich weiß doch überhaupt nichts, ich werde bestimmt keine große Hilfe sein, stellte Miriam fest. „Trotzdem stehe ich natürlich zur Verfügung, wenn es tatsächlich nötig ist.

    Mr. Thornton ging voraus zu einer schattigen Bank in seinem Vorgarten und bot ihr Platz an. Etwas umständlich wählte er dann auf seinem Handy eine Nummer, verlangte Chief Inspector Smith zu sprechen und gab eine kurze Beschreibung der vorgefundenen Situation.

    „Es wird ein wenig dauern, bis die Beamten hier sind", sagte er erklärend, als er das Telefon einsteckte.

    Chief Inspector John W. Smith las zum wiederholten Mal die Personenbeschreibung des Bankräubers. Demnach war der Täter höchstwahrscheinlich jung, ziemlich groß und kräftig. Mehr konnten die Angestellten der Bank nicht erkennen, da der Räuber Motorradkleidung und einen Vollvisierhelm getragen hatte. Er verübte gleich drei Banküberfälle innerhalb nur einer Woche. Beim ersten Versuch hatte der Täter nicht viel Glück. Als ein später Kunde die Bank betrat, flüchtete der Räuber ohne Geld. Aber beim zweiten Mal händigte ihm die Kassiererin fünfzigtausend Pfund aus, und beim dritten Coup erbeutete er sogar noch etwas mehr.

    Er war jeweils kurz vor der Schließung in die Bank gekommen, hatte wortlos eine Pistole gezogen und einen Zettel mit dem Wort „Überfall" auf den Schaltertisch gelegt. Zwar war dabei der Zettel einmal auf dem Kassatisch liegen geblieben, und es konnten darauf auch DNA-Spuren sichergestellt werden, aber die waren ohne Vergleichsmaterial wertlos. Die Zeugen sagten übereinstimmend aus, dass der Räuber ungewöhnlich große Schritte machte und überhaupt einen etwas sonderbaren Gang hatte. Das waren aber auch schon alle Hinweise auf den Täter, der auf einem Motorrad geflüchtet war, das sich später als gestohlen herausgestellt hatte.

    John W. Smith setzte seine schwungvolle Unterschrift unter seinen Abschlussbericht. Er hasste es, ungeklärte Fälle zu den Akten legen zu müssen, aber dieses Mal sah er keine Möglichkeit mehr, doch noch zu einem positiven Ergebnis zu kommen.

    Er hatte sich, gemeinsam mit Sergeant Jeremy Truman, in den vergangenen Monaten sehr bemüht, aber es war alles vergebens gewesen. Die Bilder der Überwachungskameras und die unzähligen Einvernahmen hatten keinen einzigen Hinweis auf den Täter gebracht, und etwaige hilfreiche Spuren waren am Tatort nicht gefunden worden. Die Beamten hatten das Umfeld der Bankangestellten unter die Lupe genommen, sie hatten nach Übereinstimmungen mit anderen ungeklärten Banküberfällen gesucht und nach ungewöhnlich-plötzlichem Reichtum bei verdächtigen Personen geforscht.

    Der Chief Inspector blickte auf, als plötzlich das Telefon läutete. Sergeant Truman, der am Nebenschreibtisch saß, hob ab und meldete sich. Er lauschte einen Moment und reichte dann den Hörer weiter. „Für Sie, Sir!, sagte er. „Es ist Mr. Thornton.

    „Hallo, Ben, schön dich zu hören, meldete sich John W. Smith erfreut. „Was verschafft mir das Vergnügen? Interessiert hörte er eine Weile zu und warf nur gelegentlich ein fragendes „Wer? oder „Seit wann? ins Gespräch. Dann sagte er seufzend: „Wenn du meinst, dass ich mir das anschauen sollte, komme ich natürlich. Ich bin in einer halben Stunde bei dir."

    Eine dunkelblaue MG Magnette hielt vor Ben Thorntons Haus, und ein großer, schlanker Mann stieg aus. Obwohl er sehr jugendlich wirkte, war sein kurz geschnittenes Haar schon grau. Die schweren Lider über den ungewöhnlich dunklen Augen verliehen ihm einen etwas schläfrigen Blick, doch das energische Kinn und die deutlichen Falten, die von seiner schmalen Nase bis über die Mundwinkeln reichten, ließen diesen Eindruck verblassen und machten sein Gesicht markant.

    „Hallo, Ben, sagte er zur Begrüßung. „Wenn du mich wegen einer Bagatelle von meiner Arbeit weggelockt hast, dann kannst du was erleben!

    „Hallo, Dabbl-Ju", grüßte Mr. Thornton zurück.

    Chief Inspector Smith konnte seinen Eltern bis heute nicht verzeihen, dass sie ihm den schönen Namen „John gegeben hatten, wo er doch schon mit dem durchaus nicht seltenen Namen „Smith durchs Leben gehen musste. Sein einziger Trost war das „W, das für seinen zweiten Vornamen, „Walter, stand. Da John W. Smith immer großen Wert darauf legte, mit seinem kompletten Namen angesprochen zu werden, waren seine Freunde dazu übergegangen, ihn einfach nur ‚Dabbl-Ju‘ zu nennen. Dass der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, George W. Bush von guten Bekannten ebenfalls so genannt wurde, ärgerte den Chief Inspector zwar ein wenig, aber er konnte es nun einmal nicht ändern.

    „Mir wäre es auch lieber, wenn sich herausstellen sollte, dass ich dich nur wegen eines unaufgeräumten Zimmers herbeordert habe, aber es sieht nicht danach aus. - Das ist Frau Miriam Beck aus Österreich, die Kitty Miller besuchen wollte, sagte Ben Thornton, als er den fragenden Blick des Chief Inspectors sah. „Sie ist eigentlich der Grund, warum mich die Neugierde gepackt hat, und ich durchs Fenster gesehen habe.

    Smith schaute Miriam prüfend an. Mit einem Blick versuchte er sie einzuschätzen: eine schlanke Frau, ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, mittelgroß, rotes, ziemlich wirres Haar, etwas burschikos und mit einem gewinnenden Lächeln, das ein kleines Grübchen auf ihrer linken Wange entstehen ließ. Außerdem besaß sie die grünsten Augen, die er je an einem Menschen gesehen hatte. Er tippte auf Künstlerin oder Lehrerin.

    „Guten Tag, ich bin Detective Chief Inspector Smith, sprach er sie an. „Kann ich Ihren Ausweis sehen? Was haben Sie von den Bewohnern des Hauses gewollt?

    Miriam reichte dem Beamten ihren Pass, wiederholte geduldig, was sie schon Mr. Thornton erzählt hatte, und Chief Inspector Smith hörte aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen. Er notierte sich ihren Namen und gab ihr den Pass zurück. Erstaunt hatte er zur Kenntnis genommen, dass Miriam nicht, wie er vermutet hatte, Lehrerin oder gar Künstlerin, sondern ebenfalls Kriminalbeamtin war.

    „Da sind wir ja eigentlich Kollegen, lächelte er. „Vielen Dank für die Informationen. Ich glaube nicht, dass Ihre Anwesenheit hier weiterhin notwendig sein wird. Wo kann ich Sie erreichen, wenn ich noch Fragen an Sie habe?

    Miriam nannte ein kleines Hotel in der George Street in Bath.

    „Ich bin noch längere Zeit in England und möchte gerne erfahren, was Ihre Untersuchungen ans Licht bringen, sagte sie. „Immerhin ist Kitty schon seit langer Zeit meine Brieffreundin, und ihr Schicksal ist mir nicht gleichgültig. Würden Sie mich vielleicht anrufen, wenn Sie etwas herausgefunden haben?

    Sie gab dem Chief Inspector ihre Handynummer.

    Als sie sich anschließend von den beiden Herren verabschiedete, stellte Smith überrascht fest, dass sich Miriams Lächeln anscheinend positiv auf sein Wohlbefinden auswirkte. Seine Kopfschmerzen, die ihn schon den ganzen Vormittag geplagt hatten, waren plötzlich verschwunden.

    „So, so, eine Kollegin…, murmelte er vor sich hin, als er ihr nachblickte. „Gut, dann wollen wir einmal nachschauen, was in dem Haus los ist. – Kitty Miller, sagtest du, wandte er sich überlegend an Ben Thornton. „Ich habe das Gefühl, als ob mir der Name in der letzten Zeit irgendwo untergekommen wäre. – Aber Miller ist ja auch kein wirklich seltener Name."

    Ben Thornton ging voran und zeigte dem Chief Inspector das Fenster, durch das er geschaut hatte.

    Smith machte nur einen kurzen Blick ins Zimmer, dann meinte er beunruhigt:

    „Das schaut wirklich nicht gut aus, ich möchte mir das gerne genauer ansehen. Was meinst du, soll ich einen Schlüsseldienst anrufen?"

    „Da fällt mir gerade ein….", sagte Ben Thornton unvermittelt und lief zur Vordertür. Verwundert folgte ihm Smith.

    Er sah, wie Ben erst eine Weile nachdenklich die verwelkten Blumen in den Töpfen auf der Fensterbank betrachtete und schließlich einen Topf nach dem anderen in die Höhe hob. Plötzlich griff Ben Thornton zu und hielt triumphierend einen Schlüssel in der Hand.

    „Also, damit habe ich jetzt wirklich nicht gerechnet, sagte er überrascht. „Ich habe zwar einmal gesehen, wie die Miller ihren Haustorschlüssel unter einem Blumentopf versteckt hat, aber dass er tatsächlich hier liegt, hätte ich nicht erwartet. Wer lässt schon seinen Schlüssel im Versteck, wenn er in den Urlaub fährt?

    „Haben diese Mrs. Miller oder ihr Mann nicht doch irgendwann erwähnt, wo sie hinfahren wollten?, fragte Smith, während er sich mühte, die Tür zu öffnen. Der Schlüssel passte offensichtlich nicht sehr gut. „Vielleicht machen wir uns lächerlich, und das Ehepaar taucht über kurz oder lang gut erholt wieder auf.

    „Ich weiß nicht,

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